«Nicht länger Künstler» Tiziana Pagano

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Nicht l채nger K체nstler

aus der Kunst heraus


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Von Tiziana Pagano März – August 2012

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Inhalt Vorwort...................................6-7 Nicht länger Künstler....................8-10 Der Fisch...............................12-13 Mensch sein................................14 Phantasma...............................16-18 Mensch sein................................19 Rote Herzen................................20 Nicht länger Künstler...................22-23 Fischsorte: Künstler.......................25 Fischsnack Tipp.........................26-27 Der Fisch sagt:„Ehrlich sein beim Lügen“...28 Kunst......................................29 Ich.....................................30-31 Die Kunstpilger............................32 Mensch sein mit Distanz....................33 Nicht menschlich........................35-38 Das Menschenleben.......................39-41 Date mit einem Fisch / Erinnerungen........42 Der Fisch in der Blase..................44-45

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Kunst.......................................46 Kunst....................................47-52 Irgendeine Weisheit.........................53 London, 17.September 2010................54-55 Kunst / Kunst / Kunst....................58-60 Ich Kerze...................................62 Kunst.......................................63 Abschiednehmen..............................65 K端nstler.................................68-70 Nachwort....................................71 Nicht menschlich.........................72-74 Mensch / Ich................................75 Anders gesagt............................76-77 Abbildungsverzeichnis.......................78

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Vorwort Mein ganzes Leben schon beschäftige ich mich mit der Kunst. Ich hinterfragte die Kunst im Alter von 7 Jahren und seither schenkte ich nie meine Aufmerksamkeit etwas anderem als der Gestaltungsfrage und all dem, was die Gestaltung der Dinge sein könnte. Alle Erfahrungen die ich machte, mein gesamtes Wesen, widmete ich der Kunst. Ich sah das Betrachten der Dinge als Schlüssel zum Verstehen, was Gestaltung alles verändern kann. Mit 9 Jahren hatte ich bereits meine eigenen Zeichnungsstudien begonnen. Da ich wenig Zeit hatte, selber zu gestalten, habe ich eher meine Umwelt betrachtet und im Kopf sie nachvollzogen, auseinandergenommen und neu zusammengesetzt oder mit meiner Fantasie ganz neu ausgedacht. Bis Mitte 20 hatte ich weder Ahnung von Kunstgeschichte, noch eine Form gefunden, meine Gestaltungsenergie umzusetzen. Als die Möglichkeit bestand, ergriff ich die Chance mich künstlerisch zu entfalten. Zu meinem Glück öffneten sich Türen und ich sah eine lange und erfüllende Karriere als Künstlerin vor mir. Durch Umwege fand ich die Möglichkeit, die europäische Kunstgeschichte in ihrer chronologischen Abfolge bis zur Moderne, zu studieren. Mein künstlerisches Potential wurde endlich gefördert. Nach dem Studium stellte ich meine Werke aus und sah mich gezwungen, mich mit der Vermarktung zu befassen. Kunst als Profession war mein neues Ziel. Während meiner jetzigen Ausbildung

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versuchte ich mich in weitere Techniken und Theorien zu vertiefen. Aber Alles 채nderte sich auf einmal.

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Nicht länger Künstler Von März bis Juni 2012 beschäftigte ich mich täglich damit, Kunst nicht mehr zu kreieren. Seither habe ich mich nicht mehr gefragt, wie ich zur Kunst gelange. Was auch immer ich tat, nichts von alldem, was entstand, brachte ich mit Absicht mit Kunst in Verbindung. Ich wollte mit der Kunst aufhören und versuchte ein Leben zu beginnen ohne der Kunst darin Raum zu gewähren. Die Vorgänge und Prozesse die man durchlebt, wenn man Kunst erschaffen möchte, waren nicht mehr meine Probleme. Ich hatte glücklicherweise keine Motivation mehr, Dinge in Kunst zu formen. Ich war sorglos und frei von jeglichen Formalitäten, die verlangt werden, um als Künstlerin verstanden zu werden. Aber es tauchte mit der Zeit ein ernstes Problem auf: Meine Psyche: Gedanken, die ich hatte um mich von der Kunst fern zu halten, das kam mir so vor wie wenn man im Traum mit Mühe versucht etwas zu ändern und trotzdem gelingt es einem nicht. Man sieht was man braucht oder zumindest was man will, aber nichts taucht davon auf, wovon man auf irgendeine Weise Gebrauch machen könnte. Ich konnte meine Gedanken nicht steuern und mir einreden, dass Kunst einfach nicht mehr existiert. Das war auf Dauer unmöglich. Ich bin auf Widersprüche gestossen. Ich bezweifelte plötzlich, dass alles, was Kunst ist, auch nicht Kunst sein könnte. Ich kam aber nicht zu dem Entschluss, dass alles was nicht Kunst ist, Kunst sein könnte. Ich suchte

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nach einer neuen Orientierung; ich suchte eine neue Lรถsung.

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Das Bedürfnis Kunst zu machen hatte ich seit März nicht mehr. Der Drang etwas zu kreieren ist mir entflohen. Ich vermisse bis jetzt das Planen und das Gestalten nicht. Vielleicht habe ich eines meiner Ziele auf eine gewisse Weise damit erreicht. Ich stellte plötzlich die ganze Menschheit wieder in Frage zu stellen. Und seltsamerweise kam mir die Entfernung von der Kunst widerwillig vor. Wie auf Entzug kämpfte ich mich durch und durch. Eine Lösung hatte ich interessanterweise schon vor dem Problem. Ich musste einen Vorgeschmack haben von dem, was auf mich zukommen würde. In dieser sauersüssen Erfahrung bin ich auf Aufgaben gestossen, die mich jetzt bereits beschäftigen.

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Der Fisch

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Es gibt gute Aussichten, hat mir der Fisch im Flug erz채hlt. Ich schenke seinen Worten Vertrauen. Denn nur der fliegende Fisch ist wahr.

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Mensch sein Eins muss ich mir eingestehen: ich bin ein Mensch. Meine 채ussere Erscheinung bildet das ab, was die Menschen sehen wollen. Sie sehen mich und ich f체hle es. Sie nehmen mich wahr und ich f체hle es. Doch erkennen tun sie mich nicht.

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Phantasma Die Fantasie, ein Hirngespinst, welch ein schönes Gefühl, doch wahr ist es nie. Wenn es Fantasie wirklich gibt, dann möchte ich sie endlich löschen, denn die Fantasie führt mich zum Problem ein Mensch zu sein. Ich wünsche mir ein Leben ohne Fantasie, anderseits kann ich nicht ohne Fantasie leben. Eigentlich lebe ich nur in einer Fantasie, und es ist die Fantasie, die mir im Wege steht, etwas zu erkennen. Als ich neun oder zehn Jahre alt war und mich zum ersten Mal verliebte, was genau drei Tage gedauert hatte, ohne die nachträglichen Tage dazu zu rechnen, war es wohl das pure Erkennen meines Gegenübers. Das Gegenüber, das anders war, noch befreit von meiner Fantasie. Als jedoch die Fantasie eintrat, verblasste diese Liebe und wurde von Dauer zu Dauer Geschichte. Die Momente des Erkennens vergesse ich nie. Ich versuche der Fantasie zu entfliehen, sie holt mich ein, es gelingt mir nicht, das zu erreichen, was ich wirklich möchte, weil ich mit dieser Fiktion mich selbst fiktioniere. Mich selbst gibt es plötzlich nicht mehr; ich stehe in einer Geschichte, die ich mir selbst ausgedacht habe und wenn es mir dabei nicht gut geht, endet dies tragisch mit einem „Russian Ending“. Die wahren Geschichten sind die schönsten Geschichten, ob mit gutem Ende oder nicht; sie sind voller Wert. Die fantasievollen Geschichten sind die schönsten

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solange sie mit Wahrheit nur geschmückt werden. Die Fantasie in der Natur ist die schönste, denn sie gibt es nicht. Die Gegenwart ist die einzige Wahrheit, die niemals schön sein kann.

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Ich beginne etwas und beende es nie: Das ist meine Gegenwart, meine Ewigkeit und meine Wahrheit. Ich bin verloren gegangen: Die Fantasie allein ist schuld daran. Ich weiss nicht wie lange mein Gehirn mithält: Die Fantasie ist hinterhältig, weil sie in der Gegenwart lauert. Sie macht alles schön. Ich mag nichts mehr sehen.

„Das Sein ist ungeworden, und unzerstörbar ... es war nicht und wird nicht sein, denn im Jetzt ist es als Ganzes, Zusammenhängendes.“ Parmenides von Elea

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Mensch sein So still ich sein kann, bin ich immer noch zu laut. Wie ist wohl mein Gehirn verbunden mit dem, was ich fühle aber nicht sehen kann? Als die Badewanne voll war, dampfte das heisse Wasser, das grün gefärbt von Badesalz war. Ich stieg in die Badewanne und legte mich so flach wie ich konnte hin. Die Musik war laut; ich musste wieder aufstehen, ich brauchte dringend Ruhe. Zwei Züge an meiner selbstgedrehten Zigarette brachten die Zigarette auch zur Ruhe. Nur noch Qualm um mich und das heisse Wasser um meinen Körper.

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Rote Herzen Rote Herzen auf meiner Tasse, wie niedlich sie sind. Ich frage mich, wie ich wohl dazu gekommen bin, diese Tasse nach Hause zu nehmen. Fehlt mir etwas? Ich hab wohl nicht alle Tassen im Schrank. Die Menschen draussen beschäftigen mich sehr, sie sind so laut. Sie schreien ohne Grund, klingen wie Clowns, die aus irgendeinem Grund irgendjemanden zum Lachen bringen wollen. Sollte ich lachen? Diese Stimmen, sie sind einfach hässlich. Die brummenden Autos, die mit lautem Auspuffrohre dekoriert werden, wie kann man nur auf eine solche Idee kommen. Meine Tasse, wie erbärmlich sie ist. Etwas lastet auf mir, es macht mich müde und trübt meine Gedanken. Ich fühle mich nicht wohl. Meinen Körper verstehe ich immer noch nicht.

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Nicht länger Künstler Kunst ist die einzige Sprache die ich zu verstehen vermag. Wird das, was schon Kunst ist, als Kunst wieder verwertet, so verliert es an Originalität und ich verstehe sie nicht mehr. Diese Kunst, die ich nicht verstehe, ist die welche in einem Kunstzirkel mit sich selbst im Kreis läuft. Diese Kunst wird nur deshalb von den Menschen für Kunst gehalten, weil sie die Menschen an Kunst erinnert. Die Sprache dieser Kunst verstehe ich nicht. Eigentlich gibt es keine Sprache in der Kunst, weil Kunst die Sprache selbst ist. Die Form ist nichts anderes als Sein. Wenn ich darüber nachdenke, welche Werke für mich am begreiflichsten sind, dann bin ich es selbst, im Nichts, als Werk. ………………………………… Deswegen gehöre ich nicht dazu. Ich möchte mich einschliessen, ich muss alles aussperren. Dann fällt mir plötzlich ein, dass ich mich ausgegrenzt habe und zu nichts mehr gehöre. Es gibt keine Kommunikation mehr zwischen mir und der Gesellschaft. Paranoid schleppe ich mich zum Supermarkt. Alles, was ich sehe, kommt mir gestellt vor. Alles wirkt wie eine Bühne und alle warten auf Kunst, auf mich. Sie wollen sehen wie ich lache, wie ich weine, wie ich durchdrehe. Sie wollen meine Schönheit sehen, sie wollen meine Hässlichkeit sehen. Durchdringende Blicke, Augen, die versuchen etwas zu sagen. Ich verstehe nur das, was ich denken kann und was

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ich denke ist nicht schön. Ich suche Ablenkung und verirre mich. Mein Kopf, schon wieder wirr. Dann alle diese Gegenstände. Alles will mich beeinflussen. Alles Gehirneindringlinge!! Ich haste nach Hause Da wo ich stehe, entsteht Kunst. Weil ich alles bin. Weil sie ich sind. Ich frage mich weshalb das Erschaffen von Kunstobjekten so wichtig ist. Mir reicht es nicht, ein Werk zu schaffen und es zu betiteln. Es muss in Verbindung mit meinem Selbst sein. Mein Selbst aber gibt es gar nicht. Das Verständnis für Kunst zu entwickeln, empfinde ich als eine Tortur. Ich verlege mein Denken dahin, wo kein anderes Denken es erreichen kann. Nur ich entscheide mit welchem Denken ich mich verbinden möchte. Wie in einem Kerker sitze ich dann da. Dort gibt es nur mich allein, in dieser Einsamkeit bringt mir die Kunst als Werk nichts anderes als Falschheit. Eine Fiktion für einen Helden. Ich brauche die Kunst als das, was sie ist durch mich. Kein Fake und keine Herstellung der Fantasie rettet mich aus der Gefangenschaft. Ich bin kein Held und Fiktionen machen mich krank. Ich bin die Fiktion selbst geworden. Ich bin krank. Ich lebe in Szenen, die ich einmal gesehen habe. Ein Spiel im Wind, bei dem ich die Luft selbst bin, welch ein Trug mich erwartet. Ich hab ihn mir selbst kreiert.

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Fischsorte: Künstler Als Fisch frage ich mich: „Welches Werk soll ich anfangen?“ Meine Gedanken kreisen um Ideen und zerfallen in Pessimismus: „Nichts tun ist besser.“ Wenn die schönste Kunst im Dienste der Gesellschaft sein sollte, dann ist es die schönste Kunst, auch wirklich Gesellschaft zu sein. Ich bin die Gesellschaft also brauche ich nicht Kunst zu machen, weil ich selbst Kunst bin. Viele Menschen denken, Kunst sei ein Objekt, ein Beweis, eine Pädagogik, in der sie etwas in Form von Erziehung neu lernen. Wie Kinder wissen sie noch nicht wie sie zur Kunst gelangen, geschweige davon sie selbst zu erschaffen. Es wird mal eine Zeit geben, in der alle Menschen wissen was Kunst sein könnte. Alle werden denken, Kunst zu haben und sie auch zu machen. Wenn plötzlich alle Kunst machen und alle Kunst kennen, was wird wohl Kunst dann noch sein? Oder wird Kunst endlich nicht mehr

„Kunst“ sein?

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Fischsnack Tipp

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Selbst das Erfundene besteht aus nicht Erfundenem. Auf die Kombination kommt es an, zu vergessen, dass es mal das Erfundene gab.

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Der Fisch sagt: „Ehrlich sein beim Lügen!“ Ich bin ganz ehrlich, ich mache Kunst, weil ich mich von all dem, was mich umgibt, entfernen möchte. Ich, die Kunst entferne mich von all dem, was sich mir nähern möchte. Denn als Künstler besteht die Gefahr, wenn man keine Kunst mehr macht, dass man plötzlich von allem Geschehen, von allen Dingen, die einem umgeben, angegriffen wird. Ich, die Kunst, alle wollen mich. Sie wollen mich zerstören, weil ich ihnen nicht gefalle. Sie wollen mich haben, weil sie mich plötzlich nötig haben. Sollte ich deswegen Kunst machen? Damit der Mensch mich nicht angreifen kann? Damit ich als Künstler zum Kunstwerk herabschauen kann, damit ich mich wie Gott fühlen kann? Damit ich genialer bin als andere? Dass meine Idee die beste ist? -Ich bin die Idee! Und ich bin das unfertige Werk. Ich habe es satt satt satt: die Gestaltungen. Ich bin kein Weltgestalter, ich bin Kunst, die sich um nichts anderes kümmert als um die eigene Wahrnehmung. Ich bin kein Farbenspieler mehr. Ich möchte Mensch werden, ich möchte die Gesellschaft sehen und erleben. Ich möchte das Volk berühren ohne Künstlichkeit, ohne verdrehte Dinge. Ich bin das Verdrehte, ich bin die Spirale, die sich nach Möglichkeiten sehnt, die es nicht gibt. Denn ich bin das, was es nicht gibt. Ich freue mich auf die Menschen.

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Kunst Empfindet denn der Künstler kein Unbehagen? Er stellt einfach Kunst aus, während Millionen von Menschen hinter Maschinen, in riesigen Fabriken mit ihren blossen Händen, Dinge herstellen. Der Künstler nimmt das auch noch als Inspiration. Er relativiert die gesellschaftlichen Probleme, ohne sich in dieser Situation, in der das Problem ist, wirklich zu befinden. Er nimmt sich einfach was er will und braucht es für sich. Eine respektlose Umarmung der Gesellschaft. Er verleiht all dem, was ihm gefällt, eine Verfremdung. Auf dieser Weise wird Kunst nie wirklich Kunst sein. Lenkt sich der Künstler ab von all dem was wirklich ist, um eine neue Wirklichkeit zu erschaffen, um herauszufinden, was wirklich ist? Nein, er verfremdet die Wirklichkeit, um nicht arbeitslos zu sein. Bemerken denn die Künstler nicht, dass sie alles zerstören. Sie zerlegen alles, was ihnen durch die Hände geht. Sie übernehmen die Kontrolle über das Objekt und fügen ihm eigene Interpretationen zu, die rein erfunden sind. Sie stellen sich und das Objekt in den Mittelpunkt, als wären sie die Erfinder der ganzen Sache. Da gestalte ich nicht mit.

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Ich

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Leute halten oft normale Dinge f端r Kunst.

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Die Kunstpilger Sie reisen, um Kunst zu sehen. Sie begeben sich dorthin, wo Kunst erlebbar ist, wie ein Wunder. Aber würden sie Kunst auf der Strasse sehen, würden sie diese nicht erkennen. Der Fisch sagt: „Ja, höchstwahrscheinlich. Sie haben vielleicht Angst, selbst Kunst zu finden, sie verstehen Kunst gar nicht, sie wollen einfach nur konsumieren. Es macht einfach Spass…hehehehe.“ Wie schön… Menschen in der Masse, das kann nichts Gutes bedeuten. Menschen versammeln sich, wieso denn? Welches Problem haben die denn? Was wollen die Menschen lösen, wenn sie sich zu Ausstellungen begeben? Was fehlt ihnen? Arbeiten sie zu viel und haben keine Zeit ihre eigene Fantasie auszuleben? Oder vergleichen die Menschen, wie auch Künstler, ihre Fantasien und ihre Kunst mit der ausgestellten Kunst, mit der sozusagen wirklich wahrgenommenen Kunst? Oder fühlen sie sich den Medien so sehr unterlegen, dass sie die Kunst als Erlösung ihrer Medien-Verwirrung sehen und in der Kunst, die Freiheit? Oder ist die Kunst das neue Medium, um an Nachrichten von Menschen zu gelangen? Ist Kunst das neue Medium, um an Ereignisse von Menschen, zu gelangen? Wirkt Kunst wahrer als die Nachrichten Sprecherin?

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Mensch sein, mit Distanz Ja ich springe runter, denn es bleibt mir nichts anderes übrig, als runter zu springen und mir treu zu bleiben, und den Rest hinter mich zu bringen. So weit gehe ich, um das zu erreichen, was ich erreichen möchte. Ich traue niemandem. Ein glühend strahlender Morgen. Selbst die Haut an meinem Körper schmilzt vor sich hin. Die Hitze erreicht mein Herz, ein Adrenalinstoss überwältigt mich. Laute Herzschläge, mein Körper wippt. Nur der Himmel und ich, bereit zum eins werden. Ich fühle mich verliebt und so traurig, dass ich weinen muss. Eine Träne fällt runter, tief bis ich ihr nicht mehr folgen kann. Ich kann den Boden nicht mehr sehen. Ich schliesse meine Augen und sehe nichts, also öffne ich meine Augen wieder und dabei wird mir schwindlig. Mir ist heiss, ich springe runter. „Allein in der Furcht bleibt immer noch der Versuch, sich vom Gefürchteten zu befreien… Dagegen ist's in der Ehrfurcht ganz anders. Hier wird nicht bloß gefürchtet, sondern auch geehrt: das Gefürchtete ist zu einer innerlichen Macht geworden, der Ich Mich nicht mehr entziehen kann… Ich bin vollständig in seiner Gewalt und versuche die Befreiung nicht einmal mehr… Ich und das Gefürchtete sind Eins.“ Max Stirner

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Nicht menschlich Ich traue niemandem, ich verspreche nichts und manchmal hasse ich alle Menschen auf dieser Welt. Ich hasse mich selbst und das ganze menschliche Getue. Beziehungen zu Menschen aufbauen, mich menschlich zu verhalten, sind lästige Plagen für mich. Ich verstehe nichts vom Mensch sein und all meine Bemühungen im Leben verstärken den Eindruck, nicht verstehen zu können, was das Wesen Mensch ist. Was wenn ich wirklich kein Mensch bin? Niemand würde es mir glauben. Aber ich bin mir sicher, dass ich weniger Mensch bin als andere.

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Wenn ich über Kunst nachdenke, wird mir schlecht. Sie ist nicht mehr das, wofür ich es einmal gehalten habe. Etwas hat sich in mir geändert.

Ich frage mich des Öfteren, wofür kränke ich mich so sehr? Und ich bin mir ganz sicher, etwas entsteht bei mir wegen mir selbst, ich bin so und ja, ich bin der Kunst krankhaft hinterher. Ich will die Kunst loswerden, damit ich sie wieder ganz für mich allein haben kann.

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Ich möchte zu den Menschen, mich von ihnen führen lassen. Sei es ein widerlicher Mensch oder auch nicht. Ich möchte nicht ein Instrumentarium sein, sondern einfach wieder Mensch sein und mich von meiner Spontaneität führen lassen. Ich verspüre eine grosse Lust, den Menschen nah zu kommen und zu gehen, auch wenn ich unerwünscht bin, denn ich möchte es riskieren, beleidigt zu werden. Ich möchte das Gesicht der Menschheit sehen, um mir sicher zu sein, dass wir wirklich Menschen sind. Ich selbst weiss nicht mehr was ich bin, aber ich weiss, dass ich Mensch sein kann.

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Das Menschenleben Heute wurde ich zutiefst beleidigt. Alles begann nach dem Aufwachen. Man erzählte mir, ich sei etwas unruhig gewesen und hätte im Schlaf gesprochen, mehr hatte man mir nicht erzählt. Ich ging nicht darauf ein. Ich war genug beschäftigt mit meinem Traum und meinem Tagesablauf. Ich hatte einen Arzttermin und wollte pünktlich sein. Nach dem Kaffee trinken und nach einer Zigarette wollte ich losgehen, mir wurde bewusst, dass ich mich nicht ganz wohl fühlte. Die Person neben mir war plötzlich einfach nur ein Mensch für mich, eher lästig fühlte sich seine Anwesenheit an. Er wirkte unsicher und unentschlossen. Ich verstand nichts von dem was er sagte. Er war mir wie fremd. Meine Aufmerksamkeit schenkte ich kurz vor dem Gehen, einem Buch von Natsume Souseki. A. beschäftigte sich am Computer und ich wusste nicht genau ob er mir so aus dem Weg gehen wollte, oder ob er wirklich beschäftigt war. Auf jeden Fall gab es weder Zeit noch Raum für eine Diskussion. Nach der kleinen Intervention beim Chirurgen hatte ich meine ganze Aufmerksamkeit auf meine Narbe gerichtet. Sieben Stiche an der linken Seite des Haaransatzes. Die Haut war gespannt und mein ganzes Gesicht stand unter Spannung. Die linke Seite meines Kopfes war betäubt. Und obwohl ich Betäubungen nicht besonders mag, finde ich den Zeitpunkt, in der die Betäubung gerade nachlässt, amüsant. Diese fühlbaren

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Schmerzen bringen für mich immer mit Freude verbundene Gefühle mit sich: „Endlich spüre ich mich wieder.“ Es wurde Mittagszeit und ich verspürte einen leichten Hunger. Zuhause angekommen, bereitete ich mir was Kleines zu Essen vor, danach fühlte ich mich müde. Aber es gab noch einiges zu erledigen, ich wollte mich nicht hinlegen, sonst wäre ich eingeschlafen. Ich lud mich selbst zu A. ein. Als ich dort war, wirkte er mir gegenüber gleichgültig, dachte ich zumindest. Ich war erstaunt ihn genau gleich anzutreffen, wie ich ihn an jenem Morgen verlassen hatte. Als ich in seinem Büro Fuss fasste, drehte er sich zu mir um, schaute mich an und fragte nach meinem Arzttermin. Er vergass es, wie vieles anderes auch. Er lächelte und meinte, dass der Schnitt ja klein wäre und das war alles. Meine Stimmung war ruhig, jedoch angespannt. Ich konnte seine Gefühle nicht lesen und nicht verstehen. So ging ich in die Küche und als ich mir einen Kaffee mit Zigarette gönnte, tappelte er in die Küche ohne ein Wort zu sagen. Nicht eine Minute lang dauerte es, keinen Blick wandte er mir zu und schon war er wieder auf dem Weg zu seinem Arbeitszimmer, zu seinen Computer. Das wars, ich wollte nur noch etwas loswerden. Ich sprach ihn genervt an und das kam nicht gut an. Er erwiderte, dass ich nicht anzusprechen wäre, ich sei zu bissig und wollte mir klar machen ich sei das Problem. „Klar!“, dachte ich mir, aber was meinte er damit? Bissig wurde ich

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doch gerade dann, als er mir erwiderte, dass ich bissig war. Er fing an, mich zu nerven, da seine Argumente nicht die Absicht hatten, eine Lösung zu bringen. Einen Schuldigen zu finden, diese menschliche Gabe reichte mir nicht aus. „Wir passen nicht zusammen!“,war sein Entschluss. Mir kam nichts in den Sinn, um Widerspruch einzulegen. Auch er war nervös, vielleicht mehr als ich und so beleidigte er mich. Eine derartige deplatzierte Beleidung kam mir entgegen. Wahrscheinlich war es so…

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Date mit einem Fisch Ich hätte gehen können. Es hätte alles verändern können. Nichts wäre jetzt so wie es jetzt ist, wenn ich es nur gewollt hätte. Wäre ich gegangen. Wäre ich zu jenem Chinesischen Restaurant gegangen. Aber ich wollte nicht.

Erinnerungen Es begann im siebten Jahr meines Lebens, mit einer Aufführung im TV, ein Tanz mit minimalen Bewegungen erweckte mein Interesse. Alle meine Gedanken über das Wesen Mensch fielen über mich her. Ich verstand nichts. Ich konnte bei grösster Bemühung diese Bewegungen nicht mit etwas identifizieren, was ich kannte. Ich kannte diese Sprache nicht. Ich wollte es mit aller Kraft verstehen, so begann ich mich bewusst zu bewegen. Ich suchte nach dieser Sprache. Wenn man nicht geliebt wird, macht alles keinen Sinn, noch weniger Sinn macht es, wenn man geliebt wird und man keine Liebe dafür empfindet.

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Der Fisch in der Blase

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Ich versuche es immer wieder, doch ich passe nirgendwo hin. Allein allein. Als Alleinherrscherin meiner eigenen Armut, ich bin mein eigener Narr, ich bin der Geschichtenerzähler meiner eigenen Geschichten. Das Zerfallen meiner eigenen Armee ist das Zerfallen meiner Haut, meiner Organe, meines Herzes. Es bedeutet dass, der Krieg bald beginnen wird. Was bedeutet es noch? Wenn selbst das stärkste Gefäss in Millionen Teile in die Luft zersprengt wird und so alle Herzen von Menschen treffen wird, die noch ein Herz besitzen. Es ist so weit, es wurde bereits angekündigt, ich habe es gehört. Ich wusste es, nur bin ich mir nicht ganz sicher. Wird es morgen sein oder genau von heute an in sieben und halb Jahren geschehen? Bald…….

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Kunst Ich bin verwirrt durch die Irre der Verwirrung. In der Verwirrung steht viel im Angebot, ein Multidilemma türmt sich zum Mount Everest. Kunst soweit das Auge reicht, ich kann mich daran ergötzen und beim Übermass wird mir seltsam übel. Ich muss mich übergeben. Das Erbrochene, schon wieder Kunst, die aus säurehaltiger Künstlichkeit besteht. Sie liegt auf dem Küchenboden schon seit 7 Jahren. Ausgetrocknet und nicht mehr erkennbar. Was übrig geblieben ist, kann man mit einem Spachtel abkratzen. Beim Auflesen sehe ich sofort ein, es ist immer noch Kunst. Ohne grosse Bemühung schütte ich die Reste in die Mahlmaschine, zermahle es und zerstreue es, weg aus dem Fenster. Ich schaue nicht zu, wie der Wind es mit sich nimmt. Schliesse die Fensterflügel und gehe aus der Küche.

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Kunst Und wieso es nicht einfach m旦glich, alles so liegen lassen und sich von komplett neuen Dingen aus zu orientieren? Kein Museum wird es ausstellen, keine Galerie wird es verkaufen, kein Kritiker wird dar端ber schreiben, keine Kunsthistoriker werden es untersuchen, keine Kunstschule wird es vorstellen, kein Raum wird jemals damit geschm端ckt, kein Mensch wird sich eine Meinung davon machen m端ssen, und trotzdem besteht es und ist Kunst.

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Ein Zug rast vorbei, ein Windstoss kommt mir entgegen. Heiss f端hlt es sich an, stickig in der Nase, klebrig im Gesicht. Ich wasche es ab bevor ich zu Bett gehe.

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Was ist schon daran, wenn Kunst in Museen eingeboxt wird? Der Fisch sagt: „Keine Ahnung.“ Ich frage den Fisch: „In Welcher Zeit befinde ich mich? wenn sich die Welt dreht? und ich mich dazu? Der Fisch sagt: „Sorry, ich bin auch gerade am durchdrehen.“

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Irgendeine Weisheit Der Staub macht sich durch Sonnenstrahlen bemerkbar. Sich aus dem Staub zu machen bringt nicht viel, denn jeder Tag beginnt mit der Sonne.

„Eine private Kunst?“ fragte der Fisch. „Wann stirbt eigentlich ein Kunstwerk?“ „ 芸術作品はいつ死ぬのか。“

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London, 17. September 2010 „Ich gehe mit dem Fisch Kunst betrachten.“

National Gallery Raffaello Sanzio Raphael The Procession of Calvary 1504-1505 Öl auf Holz, 24,4 x 85,5cm

Ein fabelhaftes Bild von Raphael. Das Format bringt ihn dazu, ein Band von Menschen zu kreieren. Die leuchtenden Farben ziehen mich sofort an. Im ganzen Raum hängen pompöse, grossformatige, manieristische Bilder. Ich befinde mich in einem der grossen Räume in der National Gallery in London. Da hängt ein kleines Bild zwischen den grosszügig gemalten Gemälden. Die Farbe des Himmels, ein helles Kobalt Blau über den abgebildeten Protagonisten. Ich nähere mich und sehe, dass die Farbpalette vollständig ist. Das Gleichgewicht empfinde ich als perfekt. Nicht nur die Technik fasziniert mich, sondern auch der Aufbau der Szenerie, wie auch meine Aufmerksamkeit für das Bild.

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Es ist so, als zeige das Bild mehr als nur eine vergangene Geschichte. Es hat eine gegenwärtige Dynamik in meinen Augen. Die Dynamik der inneren Motivation. Es wirkt so, als hätte Raphael eine Zeitreise durchgemacht. Ich frage mich: „Wie war es möglich eine Vergangene Zeit so in Szene zu setzen, dass es heute in meinen Augen so real wieder aufblühen kann?“ Diese Abbildung der Biblischen Geschichte macht einen sonderbaren Eindruck auf mich, weil es in meiner Betrachtung hier mehr um den Künstler geht und seine Rechte. Es ist nicht Jesus, sondern der Mensch, wie auch Raphael als Künstler, der nach Gerechtigkeit sucht. Mit einem letzten Blick zum Publikum weist er auf das Urteil der Menschen. Das Bild überträgt sanft in pastellfarbigen Formen ein brutales Ereignis. Es zeigt Menschen, ihre Gefühle und deren Ausdrücke. Im Grunde ist die gemalte Geschichte nicht wichtig, das faszinierende an der Wirkung ist das Wie. Ich frage mich: „Wie hat Raphael über das Künstlersein gedacht?“

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Kunst Ich brauche mehr Wahrheit, und ich spreche nicht von der Wahrheit, von der die Künstler keine Ahnung haben. Von der die Philosophen kaum ein Wort fassen können. Ich spreche von der Wahrheit, die ein Faktum ist, und ständig stattfindet, weil es die Gegenwart ist. Es ist der Mensch und seine Tat, alles andere ist eine Lüge. Und was ist eigentlich mit all diesen Künstlern los? Sie produzieren und produzieren und produzieren und produzieren……………………………..

„Mach dies, mach jenes, dann wird es besser, mach doch einfach. Mach gar nichts, dann wird es am besten. Es ist nicht nötig, dass du dir so….“

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Kunst Qualität; ich wünsche mir, die Kunst ganz für mich zu haben. Ich teile aber sehr gerne und wünsche mir, die Kunst gemeinsam entstehen zu lassen. Ich möchte mit der Gesellschaft wirken weil ich die Menschen einfach liebe. Ich selbst bin ein Mensch. Alles Unsinn. Weshalb verstehe ich einfach nichts? Das alles denke ich, weil ich denke, dass ich alles verstehe. Ich sehe alles, und jede Bewegung, jeder Blick sagt etwas aus, das ich glaube, verstehen zu können. Ich sehe zu viel und werde wahnsinnig darüber. Ich fühle zu viel und werde wahnsinnig dabei. Mein Gleichgewichtsorgan ist überempfindlich und ich leide deswegen an chronischem Schwindelgefühl. Ich bin sensibel und launisch wenn mein Gleichgewicht gestört wird. Ich brauche ständig Ablenkung von monotonen Dingen, durch diese sich ständig wiederholenden Rhythmen, fällt mein Bewusstsein in ein Koma, das mein Gehirn nicht verstehen kann, weil mein Gleichgewichtsorgan ständig messen möchte. Wenn es nichts gibt, das ich ins Gleichgewicht bringen kann, falle ich in Schwindelgefühle, die mich total nerven und ermüden. Es fühlt sich manchmal an wie eine Krankheit. Ich brauche Chaos, ich brauche Lärm. Ich brauche Ruhe und Ordnung. Niemand erträgt mich. Ich allein.

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Kunst Ich mĂśchte mich um gar nichts mehr kĂźmmern. So entsteht nur das, was entstehen muss.

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Ich Kerze Eine Kerzenflamme flattert hin und her. Eine Rauchwolke macht sich davon und meine Gedanken um die Kunst sind immer noch wirr. Ich mĂśchte mich fern halten, dann fĂźhle ich mich beruhigt. Fragt mich bitte nicht danach, ich weiss es nicht. Ich weiss nichts. Von dem, was ihr wissen wollt, weiss ich nichts. Ich bin aber sicher, dass ihr es auch nicht wisst. Ich bin gerne manchmal Mensch, psychisch komisch und unberechenbar in meinen Handlungen. Menschen, Menschen, Menschen, ich tanze gerne fĂźr sie. Wie ein Kerzenlicht, wie eine Rauchwolke, werde ich mich einmal davon machen. Aber ich sterbe nie. Wenn es toll ist, will man leben, wenn es verschissen ist, will man sterben.

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Kunst Ich halte es nicht mehr l채nger aus, Kunst ausserhalb von mir zu kreieren. Ich verfalle in Nichtigkeit. Von Kleinigkeiten hingerichtet, muss ich mich damit abfinden, dass die Kunst unerreichbar ist solange ich ihr hinterher bin. Eins werden mit der Kunst, bedeutet f체r mich, sie nicht mehr als Kunst zu betrachten.

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Abschiednehmen Das Abschiednehmen von der Kunst, wie ich sie bis jetzt kannte und verstand, wird meine Bereinigung sein von all dem, was mich getr端bt hat. Ich konzentriere mich auf all das, was mich machtlos machen will, ich konzentriere mich auf all das, was mich erniedrigen will.

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Künstler Die Künstler zerstören alles, ohne es zu bemerken. Es gibt keine Kunstwerke mehr. Sie sind Arbeiter wie alle anderen auch. Es geht nur um das Geld. Recht so, deswegen sage ich Bai, Bai, zur Produktion von Kunst. Ich habe es schon immer gehasst, mit dem Strom zu gehen, weil ich mein eigener Strom bin. Ich habe meine eigene Theorie und ich habe meine eigene Formel, und ich habe meine eigene Atombombe wie auch mein eigenes Universum. Und wissen Sie was, Sie gehören auch dazu. Ich nehme die Verantwortung als Künstlerin auf mich und ich diene niemandem und helfe niemandem und vor allem füge ich keinen Schaden zu! Niemandem!!!! Ich habe Lust, zu provozieren.

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„Ich bin Nichts im Sinne der Leerheit, sondern das schöpferische Nichts, das Nichts, aus welchem Ich selbst als Schöpfer alles schaffe.“ Max Stirner

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Als Mensch habe ich gelernt, mindesten zu 5% immer kooperativ zu bleiben. Diese 5% sind meine menschliche Seite, der Rest von mir ist Kunst.

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Nachwort Durch die Distanz, die ich zwischen der Kunst und mir aufgebaut habe, stellte sich mir das Thema “Menschlich-sein“. Ich hatte plötzlich den Eindruck, nicht mehr wirklich Mensch zu sein. Und noch schlimmere Gedanken türmten sich auf, nämlich die der Selbstverzweiflung. Ich stellte fest, dass ich mich nicht nur von der Kunst distanzierte, sondern auch vom “Menschlich-sein“. Ich konnte mich selbst als Mensch betrachten und mich kritisieren. Ich kritisierte alle anderen Menschen, da sie ähnliche Verhaltensmuster und ähnliche Eigenschaften hatten wie ich. Ein Ich das aber nicht meins war. Was geschah, ist für mich jetzt logisch nachvollziehbar. Es geschah, dass ich mich als Kunst in Person zu entpuppen schien. Ich verkörperte selbst die Kunst. Mein Ich war aber gleichzeitig nichts, da ich nicht mehr in mir selbst war. Da ich mich von mir selbst entfernt hatte. Ich selbst war das Opfer der Kunst, und in derselben Zeit der Täter, ich war Kunst.

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Nicht menschlich Eines Nachts, im Bett liegend, erinnerte ich mich an meine schlimmsten selbstzerstörerischen Gedanken über mein Selbst. Dazu stellte ich alles in Frage, was man in Frage stellen konnte in Sachen “Menschsein“ und nicht “Mensch-sein“. Ich stiess auf eine Gedankenlücke, die mich mitten in der Nacht nicht mehr schlafen liess. Ich musste an den Computer, ich brauchte Musik. Mit Kopfhörer, da war “Korn“, eine meiner Lieblingsbands, meine Nachtbegleitung. A. war längst schon eingeschlafen und 5 Meter weit entfernt konnte ich durch die Kopfhörer sein Schnarchen noch hören. Aber ich fragte mich trotzdem weiter: „Was ist mit dem Gefühl, das ich habe, wenn ich mich am meisten hasse? Warum möchte ich mich hassen, nur weil ich einen Körper habe? „Was bin ich, wenn ich nicht Mensch bin? Ich fragte mich: „Woher kommt der Gedanke, dass ich mich nicht wohl fühle in meinem Körper?“ Dieses Gefühl des nicht “Materiell-seins“ verfolgte mich. Was beeindruckt mich so sehr an anderen Menschen, das mir selbst fehlt? Wieso kann ich mich nicht als das sehen, was ich bin? Ich versuchte mich zu erinnern an die Tage, an denen ich mir sicher war, dass mein Körper nichts anderes ist als nur ein Körper, und dieser Körper ist nicht mein. Mein Wesen in mir strahlt aus und im Spiegel sehe ich nichts anderes als einen fremden Körper und verwundert komme ich nicht davon los. Ich

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bestaune es, meine Augen sind das einzige, was mir ermöglicht, aus mir heraus zu gehen. Ich kann mit meinem ganzen Umriss nichts anfangen, ich habe keine Ahnung, was es ist und ein widerliches Gefühl stellt sich ein. Als wäre mein Gehirn eigenständig, als wären meine Augen das einzige, was wahr ist, entziehe ich mich diesem schrecklichen Körper und nehme meine Augen mit. Ich wünsche mir, die ganze Materie um mich herum auszuschalten. Ich fange an, zornig zu werden und bedaure, es noch länger auszuhalten in diesem Körper. Als hässliches Ding spüre ich den Drang, aus diesem Körper heraus zu kriechen. „Dieses hässliche Ding vor mir bin nicht Ich. Ich möchte endlich heraus“. Ich versuche heraus zu kriechen. Leider, geplagt von zu viel Moral, hänge ich fest zwischen zweifelnden Wissenschaften und hoffnungslosen Geboten. Mein Gehirn hat zu viel gespeichert. Im Spiegel stecken geblieben, betrachte ich jetzt alle beide, mich als Geist und als Körper. Wie auch mich als Ich und nicht Ich. Bin irre im Zwiespalt der Wahrnehmung. Welches Ich nimmt wahr? Sehen meine beiden Ichs mich? Eine Bangigkeit beiderseits, ich sehe es. Sie haben keine Ahnung. Aber ich weiss es. Und ich, gelöst von beiden Ichs, kehre zurück und übernehme beide Ichs. Ich setze mein Gehirn zurück und richte meine Augen ich wieder nach Innen und Aussen. Ich, ich, ich, alle drei aber nur ich weiss es und ich kann nichts übermitteln, wenn ich mit beiden verbunden bin und schlimmer, dass ich nichts übermitteln

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kann, wenn ich weder Kรถrper habe noch Geist. Diese Erfahrung erlebe ich, seit ich mich daran erinnern kann, dass ich mich erinnern kann.

"People die from typewriters falling on their heads." Jonathan Davis

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Mensch / Ich Das Ich ist ständig im Wandelfieber und wandert zwischen den Menschen, und wie in einer Symbiose rastet es im Gehirn andere Menschen ein, bis es sich wieder ausklinken kann. Was bin ich und was sind Sie? Ich bin Sie, könnten Sie sich das vorstellen? Ich bin Sie, und wenn ich es noch nicht bin, dann werde ich es noch sein. Ihr Gehirn beinhaltet nichts anderes als potenzielle Energie, die verbrannt werden möchte. Indem sie das Gehirn benutzen, besteht der Reiz in der Abnutzung - was ihnen gefällt. Sie mögen es, ihre Energie zu verbrauchen und krümmen sich zu Tode, bis sie das Gefühl haben, ihr Gehirn nicht mehr zu fühlen. Sie sind leer. Sie vergessen ihr Gehirn und all ihre lebenswichtigen Verknüpfungen, alle universellen Verknüpfungen haben sie in wenigen Stunden verpufft.

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Anders gesagt Ihr Gehirn besteht aus immer wieder neu verbundenen Verknüpfungen, die verbunden werden möchten. Indem sie diese Verknüpfungen nicht mit den gesamten Verknüpfungen aller anderen Menschen verknüpfen, stumpfen die Endungen ihrer Verbindungs- Möglichkeiten ab. Was sie nie verbunden haben, kann nie mehr wieder verbunden werden. Wenn sie die Verbindung verpasst haben, dann können sie sich noch so sehr zu Tode krümmen, um Dinge heraus zu finden. Es ist für sie leider zu spät. Ihre Wissensplattform wird nie gross genug sein, um das Spiel der Welt zu spielen, sie sind nur Sklaven, Nebenrollen, ein kleines Detail oder sogar ein Fehler im System des Spieles. Verstehen Sie, Sie stören weil Sie nicht mitspielen. Sie sind ersetzbar und nach den Spielregeln löscht sich ihre Anwesenheit von selbst. Sie vergessen ihr Gehirn und all ihre lebenswichtigen Verknüpfungen, alle universellen Verknüpfungen haben Sie in wenigen Stunden verloren. Sie sind tot, auch wenn sie noch laufen.

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„Wie ist es möglich, sich menschlich zu fühlen, wenn man nicht als der Mensch erkannt wird, den man sich ausgedacht hat? Wie ist es möglich, einen Menschen zu verstehen, wenn er sich ständig verändert?“

END

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Abbildungsverzeichnis Bild 1

TV............................15

Bild 2

Tรถffli........................17

Bild 3

Mit Adrian....................24

Bild 4

Mit Tasche....................30

Bild 5

Sprungbrett...................34

Bild 6

Handmixer.....................37

Bild 7

Spirale.......................43

Bild 8

Zimmer........................49

Bild 9

Zug...........................51

Bild 10

Raphael.......................56

Bild 11

Spielen / Bild 12 Skelett.....61

Bild 13

Bestattung 1..................64

Bild 14

Bestattung 2..................66

Bild 15

Max...........................69

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