Portrait von
Januar 2011
Studienprojekt // DW-Akademie
wirklichen Freund. Ihre besten, sagt Mahnaz, seien im Iran zurückgeblieben. So ist Sus Publikum auf der Straße für sie zur Familie geworden. Dieser Ersatz beenge sie nicht. Und dennoch: «Ich habe Glücksmomente erlebt, weil ich dort gestanden habe und zusammen mit dem Publikum eine Einheit bildete.» In diesem Moment der Kreativität, erzählt Mahnaz, schließe sie sich an eine göttliche Kraft an: «Dann bin ich als Person nicht mehr da. Verstehen Sie? Das ist die Präsenz. Nicht die Persönlichkeit. Das Leben. Kann man auch Gott nennen. Oder eine Quelle, einen Energiefluss.»
Natalia Karbasova
ir sitzen in einem überfüllten Café vor dem Kölner Dom. Als neue Besucher auf unseren großen Tisch zukommen und sich zu uns setzen wollen, scheint Su genervt. «Wir machen ein Interview, sehen Sie das denn nicht?» Ganz plötzlich ist sie aus dem Gleichgewicht, bricht das Gespräch ab und schlägt vor woanders hinzugehen. Ihre verlorene Fassung findet sie allerdings schnell wieder und lächelt mich an: «Als die Leute vor uns standen, habe ich eine Welle von Gedanken gespürt.» Ihre innere Energie habe die ungebetenen Gäste schließlich wieder vertrieben. Su zeigt mir ihre Empfindlichkeit wie einen freigelegten Nerv. Su ist eine Puppe. Für die halten sie zumindest viele Menschen. Und es gibt Momente, da sieht sie sich sogar selbst in diesem Licht. Seit jetzt 15 Jahren zeigt die Frau vor mir diese Figur auf deutschen Straßen: Sie steht einfach da, wie eingefroren, bis ein Passant eine Münze oder einen Geldschein in den Hut vor ihr wirft. Dann erwacht sie zum Leben, führt eine oder zwei Figuren vor, um schließlich wieder stillzustehen. Sus echter Name ist Mahnaz Vatanpour und die ist vor 47 Jahren im Iran geboren. Das Leben daheim liegt schon weit zurück. Mahnaz erzählt, dass sie in Teheran auf eine teil-französische Schule gegangen ist, bis sich im Land die Islamische Republik breit machte. Die Schule wurde zugemacht; die ausländischen Lehrer flohen. Auch Mahnaz wollte nicht in einem Land bleiben, wo ihre Freiheit durch strikte Regelungen begrenzt wurde. Sie wollte kein Kopftuch tragen, sie wollte in Diskotheken gehen können. Es dauerte weitere sechs Jahre, bis Mahnaz in den Westen fliehen konnte. Wie sie es geschafft hat, erzählt sie immer noch nicht gern: «Was sollen die Leute über mich denken?» Ein Cousin ihres Vaters aus Deutschland hatte ihr einen Heiratsantrag gemacht und damit die
Foto: Mahnaz Vatanpour
W
Das Leben zwischen Puppe, Publikum und Gott
Ihr Land und ihre Familie hat die gebürtige Iranerin als junges Mädchen für immer verlassen. Seit 15 Jahren spielt sie eine lebendige Puppe auf der Straße - und das Publikum ist für sie zur Familie geworden.
perfekte Möglichkeit geboten, offiziell das Land zu verlassen. Schon kurze Zeit später trennte sich die damals 22-Jährige von ihrem Verlobten, weil es «keine Liebe war». So verlor Mahnaz gleich zwei Mal ihre Familie. Sie zog nach Köln und begann ein DesignStudium. Es schien, als ginge es aufwärts. Doch ein tief verstecktes Schuldempfinden ließ sie nicht mehr los. «Ich habe die Geschichte meiner Flucht verdrängt und niemandem davon erzählt. Ich habe jeden Kontakt zu Iranern gemieden, weil ich ein schlechtes Gewissen hatte, meine Familie verlassen zu haben.» Die sei im Iran sehr wichtig, fügt Mahnaz
Ich habe die Geschichte meiner Flucht aus dem Iran verdrängt und niemanden davon erzählt
mit weicher Stimme hinzu. Das Studium gab sie wegen zuviel Routine auf, arbeitete als Kellnerin oder Verkäuferin, bis ihr schließlich die Idee mit der Pantomime kam. Gearbeitet wird meistens am Wochenende. Am liebsten stellt sie eine Schaufensterpuppe dar, denn viele ihrer Bekannten meinten, sie sähe genau wie eine solche aus. Auf der Straße steht Mahnaz seitdem für höchstens drei Stunden am Stück. Auf den ersten Blick scheint das nicht viel. Doch die Arbeit sei konzentriert und kraftraubend, sagt sie: «Ich gebe den Menschen meine Kraft.» Manchmal fühlt sie sich einsam. Manchmal nicht. Sie könne ja auch sehr schnell süchtig nach anderen Menschen werden, weil sie ihre Mutter so früh, mit neuen Jahren, verloren habe.
Dann müsse sie aufpassen, denn besitzen und besitzen lassen will sie nicht. Eine Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit kann sie nicht ausstehen, sogar wenn sie im Gegenzug menschliche Wärme und tiefere Beziehungen bekommt. Die Pantomime Su zu sein, gebe ihr ein Gefühl von Selbständigkeit und Freiheit, sagt Mahnaz. Und Freiheit sei die Achse, um die herum man sein Leben aufbauen könne. Wenn ich da stehe, fühle ich Freude, die mit nichts auf der Welt zu vergleichen ist. Von anderen Menschen will sie dennoch lieber unabhängig bleiben. Sie habe noch keine eigene Familie, keine Kinder, keinen
Von diesem Energiefluss hat sie allerdings in den letzten drei Jahren nur wenig gespürt, wegen einer «kreativen Pause». In der Tat wurde ihr Freiheitsgefühl unter Beweis gestellt, als sie zum Geisel von inneren verdrängten Ängsten wurde. In der Schule in Iran ist sie sie mit sieben Jahren Opfer sexueller Gewalt gefallen, und nach 40 Jahren kam die Angst zurück. «Ich hatte alles verdrängt, dann mich wieder durch einen Zufall daran erinnert. Ich musste mich von diesen Symptomen befreien, damit ich wieder kreativ werden konnte», erzählt Su. Drei Jahre hat sie mit Traumabewältigung und Meditieren verbracht. In ihrer Trauma-konfrontation hat sie die «Quelle» auch gesehen. Sie beschreibt sie als ein kraftvolles Licht, für welches man nur reine Liebe empfinden kann. Bei diesem Licht will man für immer bleiben. Auf der Suche nach dem, was man den Sinn des Lebens nennen könne, sei sie allerdings immer noch. Während sie das erzählt, schaut sie mich mit einem zweifelnden Lächeln an.
Dann bin ich als Person nicht mehr da. Verstehen Sie? Das ist die Präsenz
Eine Mission, die richtige Form, diese Welt zu verbessern, habe sie noch nicht gefunden. «Aber vielleicht», sagt sie wie um sich Mut zu machen, «werden die Leute für Momente aus ihrem Schlaf gerissen, wenn ich als Su nur dastehe.» Dann eilt sie nach Hause, denn sie hat heute noch ein langes Meditieren vor – ganz alleine.