pharma:ch 1/2014: Gesundheit und Wirtschaftswachstum

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1/14 Markt und Politik

pharma:ch Gesundheit und Wirtschaftswachstum – eine attraktive Kombination Der medizinische Fortschritt leistet einen wesentlichen Beitrag zum Wohlstand unserer Gesellschaft. Viel Schmerz und Leid werden gelindert oder gar vermieden. Wir leben länger und sind länger gesund. Hinter dieser erfreulichen Entwicklung stehen Forscher, Ärzte, Pflegepersonen, Spitäler, die Medizi­ naltechnik und die Pharmaindustrie. Die Gesundheitswirtschaft trägt als eine der grössten Branchen wesentlich zum Wirtschaftswachstum bei. Wer heute in der Schweiz zur Welt kommt, hat eine Le­ benserwartung von 83 Jahren. Das ist eine der höchsten Lebenserwartungen weltweit. Wir werden aber nicht nur älter, sondern bleiben auch länger gesund. Hinter dieser Entwicklung stecken ein enormer medizinischer Fort­ schritt und in der Schweiz ein Gesundheitssystem, das zu den besten der Welt zählt. Dazu leistet die Pharmaindus­ trie einen wichtigen Beitrag. Neue Medikamente und The­ rapien tragen erheblich zu einer besseren Lebensqualität vieler Patientinnen und Patienten bei. Sie erhöhen die Aus­ sichten auf Überleben und Heilung. Viele Medikamente haben gar die Sterberate von ganzen Patientengruppen – zum Beispiel Aids und Leukämie – massiv gesenkt. Mit dem medizinischen Fortschritt ging auch eine wirt­ schaftliche Entwicklung einher. In der Schweiz arbeiten rund 351 000 Personen in der Gesundheitswirtschaft ein­ schliesslich Pharmaindustrie. Das ist mehr als im Detail­

ständlichkeit. Und es ist alles andere als selbstverständ­

handel oder im Baugewerbe. Im Zuge der Bestrebungen,

lich, dass das so bleibt. Dafür braucht es enorme An­

die Qualität im Gesundheitswesen im Interesse der Pati­

strengungen der Unternehmen, denn die Konkurrenz

entinnen und Patienten weiter zu verbessern, wird die

schläft nicht. Es braucht aber auch beste Rahmenbedin­

Gesundheitswirtschaft auch in Zukunft eine Wirtschafts­

gungen für den Forschungsstandort Schweiz. Mit dem

branche bleiben. Dabei profitieren Schweizerinnen und

Massnahmenpaket zur Verteidigung dieser Spitzenposi­

Schweizer nicht nur von immer besseren medizinischen

tion bei der biomedizinischen Forschung und Technolo­

Leistungen, sondern die Schweiz steht weltweit an der

gie hat der Bundesrat seinen Willen bekundet, dieses

Spitze in Forschung und Entwicklung. Die hoch innovati­

weltweit einmalige und fruchtbare Nebeneinander und

ven Branchen Pharma und Medizinaltechnik werden

Miteinander von ausgezeichneten Hochschulen und füh­

auch anderswo geschätzt. Deshalb ist die Pharmaindus­

renden Unternehmen zu fördern. Doch Tatsache ist vor­

trie die wichtigste Exportbranche der Schweiz. Diese

erst, dass die klinische Forschung in der Schweiz seit

wirtschaftliche Ausnahmestellung ist keine Selbstver­

Jahren rückläufig ist.


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Gesundheit – ein gewichtiger Wirtschaftsfaktor wider Willen Die steigenden Gesundheitskosten und als Folge davon die regelmässigen Erhöhungen der Kranken­ kassenprämien sind in der Schweiz ein Dauerthema. Die Diskussion dreht sich dabei zu einseitig um die Kosten. Oft gehen der Nutzen für die Menschen und die Bedeutung des Gesundheitswesens als Wirtschaftsfaktor für das ganze Land vergessen. Dank den Fortschritten in der medizinischen Forschung

unter dem Strich können sie die Kosten reduzieren, weil

– auch der Pharmaindustrie – leben wir heute nicht nur

sie zum Beispiel Spitalaufenthalte verkürzen oder gar ope­

länger, sondern erleben das Älterwerden in einer besse­

rative Eingriffe vermeiden. Untersuchungen belegen, dass

ren gesundheitlichen Verfassung. Die demografische Ent­

neue Medikamente (neben einer gesünderen Lebens­

wicklung ist eine Erfolgsgeschichte von Medizin und For­

weise) den grössten Beitrag an die gestiegene Lebenser­

schung und hat dafür gesorgt, dass das Gesundheitswe­

wartung leisten.

sen (inkl. Pharmaindustrie) zum wichtigsten Wirtschafts­ zweig der Schweiz geworden ist – vor dem Baugewerbe und dem Detailhandel. Medikamente können Spitalaufenthalte verkürzen Die auf die Kosten ausgerichtete gesundheitspolitische

Innovative Medikamente können zwar teurer sein als ihre Vorgänger­ präparate, aber unter dem Strich reduzieren sie die Kosten.

Diskussion klammert vielfach den Nutzen neuer Behand­ lungsmethoden aus. Neue Medikamente verkürzen die

Auch wenn die grossen medizinischen Durchbrüche sel­

Dauer oder mildern die Folgen einer Krankheit. Dadurch

ten sind, wurden in den vergangenen Jahrzehnten auf

entstehen auch ökonomische Vorteile. Innovative Medika­

mehreren Gebieten deutliche Verbesserungen erzielt. So

mente sind zwar teurer als ihre Vorgängerpräparate, aber

ging in den 1980er-Jahren eine grosse Bedrohung von der

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GESUNDHEIT UND WIRTSCHAFTSWACHSTUM

Aidsepidemie aus, da die Krankheit unheilbar war. 1994

Die höhere Lebenserwartung hat aber auch ihre Kehr­

starben in der Schweiz fast 700 Menschen an Aids. In der

seite. Mit steigendem Alter nimmt das Risiko zu, an De­

Zwischenzeit wurden dank intensiver Forschung Medika­

menz, Alzheimer oder Krebs zu erkranken. Gemäss einer

mente entwickelt, welche die Krankheit beherrschbar ma­

Studie der Schweizer Alzheimervereinigung sind hierzu­

chen. Heute gibt es über 50 Aidsmedikamente. Die Ster­

lande heute mindestens hunderttausend Menschen von

berate reduzierte sich dadurch bis 2011 auf 12 Personen.

einer Demenzerkrankung betroffen. Bis im Jahre 2050

Ein weiteres Beispiel betrifft die Asthmakranken (5% aller

dürfte sich ihre Zahl auf über 300 000 Personen verdrei­

Erwachsenen, 10% der Kinder). Neue Medikamente, die

fachen.

zur Erweiterung der Bronchien führen, reduzieren die Zahl der Notfälle und verbessern die Lebensqualität der Betrof­

Alterung der Gesellschaft wird zur Herausforderung

fenen erheblich.

Und noch ist kein Medikament in Sicht, das die Ursache von Alzheimer bekämpfen könnte. Die heutigen Medika­

Selbst bei der «Volkskrankheit» Krebs konnte die For­

mente zögern zwar den Krankheitsverlauf hinaus, aber die

schung gewichtige Fortschritte erzielen. Rund die Hälfte

zerstörten Nervenzellen im Gehirn können sie nicht mehr

aller Krebsleiden können heute geheilt werden. Dies gilt in

reparieren. Alzheimer entsteht auf komplexe Weise und

erster Linie für Krebsarten, die früh erkannt werden und

verändert das Gehirn über Wege, die noch immer nicht

deshalb besser zu behandeln sind. Besonders erfreulich

ganz geklärt sind. Trotzdem versuchen Forscherinnen und

sind die Fortschritte für Kinder, die an Krebs erkrankt sind.

Forscher weltweit Wirkstoffe zu entwickeln, welche den

Waren es in den 1970er-Jahren erst 40% der betroffenen

Krankheitsverlauf positiv beeinflussen. Das Ziel muss

Kinder, die geheilt werden konnten, sind es heute bereits

sein, den Betroffenen mit neuen Therapien möglichst

drei Viertel. Dank besserer Früherkennung und modernen

lange ein selbstständiges Leben zu ermöglichen oder zu

Wirkstoffen konnte die Sterblichkeitsrate auch beim Brust­

verhindern, dass die Krankheit überhaupt ausbricht.

krebs in den letzten 20 Jahren um rund 30% gesenkt wer­ den. Bei bösartigen Tumoren des Lymphsystems («Non-

Dem ganzen Gesundheitswesen wird künftig eine noch

Hodgkin-Lymphomen») gelang dank neuer Medikamente

grössere Bedeutung als Wirtschaftsfaktor zukommen.

eine Reduktion des Sterberisikos um fast 50%.

Bereits heute zählt der Gesundheitssektor (Gesundheits­ wesen oder Pharmaindustrie) in der Schweiz rund 351 000

Rund die Hälfte aller Krebsleiden können heute geheilt werden. Dies gilt in erster Linie für Krebsarten, die früh erkannt werden. Zusammenfassend lässt sich sagen: Wer krank ist, verur­ sacht nicht nur Kosten, um wieder gesund zu werden. Er bewirkt auch indirekte Kosten wie den Produktivitätsver­

Beschäftigte, womit jeder zwölfte Beschäftigte in diesem Bereich angestellt ist. Das Gesundheitswesen dürfte in absehbarer Zeit zum wichtigsten Arbeitgeber des Landes werden.

Bereits heute zählt der Gesundheitssektor in der Schweiz rund 351 000 Beschäftigte.

lust durch das Fehlen am Arbeitsplatz, die informelle Pflege durch Verwandte und Freunde sowie verlorene

Dabei ist die pharmazeutische Innovation der Motor für

Freizeit. Neue Medikamente tragen dazu bei, die Krank­

Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliches Wachstum.

heitskosten zu senken. In der Gesamtrechnung können

Die forschende Pharmaindustrie steht direkt und indirekt

sich also höhere Ausgaben für die Gesundheit durchaus

für fast 170 000 Arbeitsplätze in der Schweiz. Im Jahre

lohnen, weil sie im Gegenzug volkswirtschaftliche Einspa­

2013 erwirtschaftete sie einen Exportüberschuss von

rungen erbringen.

über 37 Milliarden Franken. Die Interpharma-Mitgliedfir­ men investieren allein in der Schweiz jährlich mehr als 6 Milliarden Franken in Forschung und Entwicklung, machen hier aber nur rund 1,2 Milliarden Umsatz.

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GESUNDHEIT UND WIRTSCHAFTSWACHSTUM

Der Forschungsplatz Schweiz muss Weltspitze bleiben Die Erforschung neuer Wirkstoffe und die Entwicklung von Medikamenten haben sich in den letzten Jahren massiv verteuert, weil ein viel grösserer Aufwand betrieben werden muss. Breit abgestützte klinische Versuche sind in der Schweiz seit einiger Zeit rückläufig. Um die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes zu erhalten, sind Reformen und bessere Rahmenbedingungen nötig. Sonst droht dem Land der Verlust der internationalen Spitzenposition. 4

Einige Fakten zur Bedeutung des Pharma- und For­

• G emessen an der Zahl der gesamten Erwerbstätigen

schungsstandorts Schweiz vorweg:

werden in der Schweiz überdurchschnittlich viele Phar­

• Seit der Finanzkrise sind die Exporte pharmazeutischer

mapatente über das Europäische Patentamt angemel­

Produkte markant gestiegen. Sie beliefen sich 2013 auf

det. Übertroffen wird die Schweiz nur von Dänemark.

66 Milliarden Franken und machen damit rund einen Drittel des Exportvolumens der Schweiz aus.

Bis ein Patent angemeldet werden kann, ist es aber ein langer Weg. Überdies ist die Pharmaforschung mit gros­

• Die Pharmaindustrie hat seit 1990 ihre um die Preisent­

sen Risiken behaftet. Oftmals sind die Bemühungen nicht

wicklung korrigierte Wertschöpfung von 3,3 Milliarden

von Erfolg gekrönt, weil unbefriedigende Wirkungen oder

auf 20,3 Milliarden Franken gesteigert. Dies entspricht

ernste Nebenwirkungen erst in aufwendigen klinischen

einem jährlichen Wachstum von knapp 9%. Damit hat

Versuchen erkannt werden. Von 10 000 Substanzen

sich die Pharmaindustrie deutlich dynamischer entwi­

schaffen es nur 20 in die präklinische Phase. Von diesen

ckelt als die Gesamtwirtschaft.

wiederum erreichen nur zehn die klinische Phase, in der Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit eines neuen

• Im Jahr 2012 beschäftigte die Pharmaindustrie 39 500

Medikaments geprüft werden. Die klinische Phase, also

Personen. Mehr als 130 000 Menschen sind in ihrem

das dreistufige Verfahren mit freiwilligen Testpersonen so­

Umfeld tätig (inkl. Zulieferer).

wie kleineren und grösseren Patientengruppen, ist denn auch mit einem Anteil von 36% der grösste Kostenblock.

• Die nominale Arbeitsplatzproduktivität lag im Jahr 2012

Doch selbst in der Phase III ist die Erfolgswahrscheinlich­

bei 488 000 Franken und somit um den Faktor 3,9 über

keit noch relativ gering. Ein Fünftel der gesamten Kosten

dem gesamtwirtschaftlichen Wert von 124 000 Franken.

entfällt auf die Erforschung neuer Wirkstoffe.

Zwischen 1990 und 2012 lag das durchschnittliche jähr­ liche Wachstum der Arbeitsplatzproduktivität bei 5,3% (Gesamtwirtschaft ca. 2% pro Jahr). • D ie Interpharma-Firmen investieren in der Schweiz in

Pharmazeutische Produkte machen rund einen Drittel des Exportvolumens der Schweiz aus.

Forschung und Entwicklung jährlich rund 6 Milliarden Franken, was einem Anteil ihrer gesamten Forschungs­

Weil der Forschungs- und Entwicklungsprozess bis zu ei­

ausgaben von rund 34% entspricht.

nem neuen Medikament zeitaufwendig und teuer ist, kommt dem Patentschutz grosse Bedeutung zu. Patente

• Auch im internationalen Vergleich investiert die Phar­

schützen eine Erfindung für die Dauer von 20 Jahren. In

maindustrie überdurchschnittlich viel in Forschung und

dieser Zeit geniesst der Erfinder ein begrenztes Exklusiv­

Entwicklung. 2013 lagen Novartis und Roche unter den

recht zur kommerziellen Nutzung des Produkts. Ohne Pa­

ersten zehn Firmen weltweit, was die absolute Höhe

tentschutz entfällt das Interesse von privaten Investitionen

ihrer Ausgaben für Forschung und Entwicklung angeht

in die Medikamentenforschung. Oder anders ausge­

(an der Spitze liegt Volkswagen). Werden diese Ausga­

drückt: Der Patentschutz schafft die Anreize für weitere

ben auf den Gesamtumsatz umgelegt, ist Roche mit

Innovationen, auf die wir alle angewiesen sind. Nur durch

21% führend, Novartis kommt auf Platz vier.

Innovationen kann die Schweiz den Ruf als wettbewerbs­ fähigstes Land behaupten.

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Angesichts des starken Rückgangs der klinischen For­

torisches Umfeld zu schaffen, das fördert statt behindert.

schung in der Schweiz besteht aber die Gefahr, dass un­

Es ist unabdingbar, dass die Strukturen und Formen der

ser Land ins Hintertreffen gerät. Waren es im Jahre 2004

Zusammenarbeit zwischen Universitäten, Industrie, regi­

noch rund 400 klinische Versuche, die hierzulande durch­

onalen und kantonalen Zentren verbessert werden müs­

geführt wurden, so sank deren Zahl im Jahre 2013 auf 205

sen. Die Zusammenarbeit zwischen der akademischen

Versuche. Dafür sind verschiedene Faktoren verantwort­

Forschung und der Industrie ist zu intensivieren.

lich: kleine Patientenzahlen, dezentrale, langwierige Ver­ fahren sowie die Verlagerung in neue Länder. Der Rück­

Die auf Verordnungsebene bereits in Kraft gesetzten Ver­

gang schadet den Patienten und beeinträchtigt die Qua­

besserungen gilt es nun aber in die Praxis umzusetzen.

lität der Medizin. Die Pharmaindustrie hätte es deshalb

Dabei geht es in erster Linie um die Beschleunigung der

begrüsst, wenn der Bundesrat in seinem Ende des letzten

Verfahren für die Bewilligung von klinischen Studien sowie

Jahres verabschiedeten «Masterplan zur Stärkung der

die raschere Aufnahme von neuen Medikamenten auf die

biomedizinischen Forschung und Technologie» For­

Spezialitätenliste. Dadurch kann der schnellere Zugang

schungsanreize im Bereich des geistigen Eigentums auf­

von Patientinnen und Patienten zu innovativen Medika­

genommen hätte.

menten sichergestellt werden. Zusammengefasst kann gesagt werden, dass der Bundesrat mit dem Masterplan

Positiv zu werten ist, dass bei den Verfahren in den Ethik­

die Notwendigkeit zur Revitalisierung des Forschungs-

kommissionen neu das Leadprinzip gilt, im Gesetz eine

und Pharmastandorts Schweiz erkannt hat.

Limite von 60 Tagen gesetzt wurde und Swissmedic ihre Aufgaben effizient ausführt. In die richtige Richtung geht der Masterplan bezüglich einer besseren Qualität der Aus­ bildung für die Ärzteschaft an den Universitäten und Kli­ niken. Positiv zu vermerken sind die Ansätze, ein regula­

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GESUNDHEIT UND WIRTSCHAFTSWACHSTUM

Die Pharmaindustrie ihrerseits ist gewillt, weiterhin auf den

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Weiter sind für die Branche auch eine hohe Qualität der

Standort Schweiz zu setzen und in Forschung und Ent­

Ausbildung in Schulen, in der Berufsbildung und an Uni­

wicklung zu investieren. Sie sieht den Masterplan als Be­

versitäten und der Zugang zu hoch qualifizierten Fachkräf­

kenntnis zum weiteren Dialog und zur Notwendigkeit eines

ten aus dem In- und Ausland ein wichtiger Wettbewerbs­

stärkeren Austausches zwischen Anspruchsgruppen.

faktor.

Weshalb die Transparenz nicht absolut sein kann Die Aidsforschung in den Neunzigerjahren ist eine Erfolgs­

2. Die Integrität der regulatorischen Systeme. Die

geschichte der Medizin. Ermöglicht wurde sie durch die

Verantwortung über die Zulassung neuer Medikamente

transparente Zusammenarbeit der forschenden Firmen.

liegt bei den staatlichen Arzneimittelbehörden und nicht

Sie stellten sich gegenseitig ihre in Entwicklung befindli­

bei den Firmen oder Netzwerken von Wissenschaftlern.

chen Moleküle zur Verfügung, um so rascher wirksame

Angesichts des Konkurrenzkampfes unter den Forschern

Medikamentenkombinationen zu finden. Aus HIV/Aids

und der um sich greifenden Tendenz nach rascher Publi­

wurde dadurch eine zwar nicht heilbare, aber chronisch

zität und fetten Schlagzeilen überwiegen die Nachteile

behandelbare Krankheit. Die Sterberate konnte massiv

einer schrankenlosen Offenlegung der Rohdaten von kli­

gesenkt werden.

nischen Studien.

Was damals neu und eine Ausnahme war, gehört heute

3. Der Schutz «vertraulicher kommerzieller Daten».

zur gängigen Praxis. Um zu aussagekräftigen Daten zu

Wer über eine Milliarde Franken in die Entwicklung eines

kommen, braucht es grosse Patientenzahlen, die nur über

neuen Medikaments investiert, hat Anspruch auf den Un­

Kollaborationen gewonnen werden können. Die «perso­

terlagenschutz. Damit soll verhindert werden, dass Tritt­

nalisierte Medizin» machte die Öffnung notwendig. Sie

brettfahrer in den Besitz von Daten kommen und davon

arbeitet mit Biomarkern, die zeigen, welche Patienten­

profitieren.

gruppen auf ein bestimmtes Medikament ansprechen, und benötigt deshalb möglichst viele Daten.

Der Lernprozess bei der Aidsforschung hat aber zur Ein­ sicht geführt, dass die Industrie offener über klinische

Trotz dieser Erfolge einer schrittweisen Öffnung schiesst

Studien informieren muss. Entsprechende gemeinsame

der Ruf nach absoluter Transparenz übers Ziel hinaus. Aus

Grundsätze sind von den Dachorganisationen der

drei Gründen:

forschenden Pharmafirmen in den USA und Europa im letzten Jahr verabschiedet worden. Der breitere Zugang

1. Die Problematik des Datenschutzes. Gerade bei

zu Daten, kombiniert mit dem technologischen Fortschritt

hochinnovativen Medikamenten besteht das Risiko, dass

und der «personalisierten Medizin», kann zu neuen The­

Patienten «re-identifiziert» werden können, beispielsweise

rapieansätzen führen. Und dies ist im Interesse von uns

durch die Verlinkung mit den in den sozialen Medien zu­

allen, den Patienten, der Medizin und den forschenden

gänglichen Daten.

Firmen.

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INTERVIEW

Dr. Müller, wie beurteilen Sie den

unsere Kinder – schützt und sicherstellt, dass sie in der

Stand der klinischen Forschung

Forschung berücksichtigt werden. Um im internationalen

in der Schweiz?

Forschungswettbewerb mitzuhalten, muss auch das

Die klinische Forschung in der

Umfeld stimmen: Forschungsgruppen müssen Zugang

Schweiz befindet sich im Auf­

zu Spezialisten haben, aber auch zu Forschungseinrich­

wärtstrend. Vor dem Hinter­

tungen mit Core Facilities und topmodernen Geräten.

grund einer über Jahrzehnte

Weltklasseforschung lässt keine Barrieren innerhalb der

hinweg eher schwachen klini­

Schweiz zu. International dürfen wir den Zugang für Ta­

schen Forschung haben der

lente aus dem Ausland nicht behindern. Dienstleister in

Bundesrat, der Schweizeri­

der Klinik, klinische Forscher und Grundlagenforscher

sche Nationalfonds, die Rekto­

müssen sich vernetzen und auf Augenhöhe zusammen­

renkonferenz der Schweizer Universitäten (CRUS) sowie

arbeiten. Ebenso darf die «Dreifaltigkeit» der klinischen

Hochschulen und Institute Massnahmen ergriffen, um

Forscher als Dienstleister, Lehrer und Wissenschaftler

die medizinische Forschung zu stärken. Ein Beispiel sind

nicht zu einem Interessenkonflikt führen. Und schliesslich

Netzwerke wie die Clinical Trial Units: Klinische Studien

müssen wir unsere Nachwuchsforscher fördern.

Dr. med. Conrad E. Müller CEO Universitäts­Kinderspital beider Basel (UKBB)

in der Kindermedizin werden neu in einem schweizweiten Swiss PedNet zusammengeführt. Damit können u.a. kli­ nische Multicenterstudien mit hohem Qualitätsstandard in allen kindermedizinischen Disziplinen durchgeführt werden. Es besteht aber nach wie vor ein Mangel an

«Die Schweizer Forschung braucht eine Gesetzgebung, die qualitativ hochstehende und ethische Forschung garantiert.»

klinischen Forscherinnen und Forschern, die mit Erkennt­

Welchen Stellenwert hat dabei die Zusammenarbeit mit der

nissen aus der Biomedizin und der Epidemiologie eben­

pharmazeutischen Industrie?

so vertraut sind wie mit klinischen Krankheitsbildern.

Einen sehr wichtigen Stellenwert. In Basel haben wir ei­ nen hervorragenden Cluster von Pharmafirmen, und wir

Wie hat sich die Forschung in den letzten Jahren verän-

sollten uns gegenseitig unterstützen. Forschung soll un­

dert?

abhängig sein, aber man soll auch durch gemeinsame

Mit der exponentiell ansteigenden technologischen Ent­

Forschungsprojekte Synergien zum Wohl des Patienten

wicklung können immer grössere Datensätze und Para­

nutzen. Spitäler wie das UKBB können helfen, die Lücke

meter erfasst werden. Forschung kann deshalb heute, im

zwischen der akademischen Gemeinschaft und den Ex­

Gegensatz zu früher, nicht mehr von Einzelnen erfolg­

perten aus der Wirtschaft zu schliessen. Nicht nur in der

reich durchgeführt werden. Forscherteams aus klini­

Produktentwicklung, aber beispielsweise auch bei der

schen Forschern, Genetikern, Pharmakologen, Biostatis­

Nutzung von für den öffentlichen Sektor beinahe uner­

tikern und Bioinformatikern können dagegen komplexere

schwinglicher Infrastruktur.

Forschungsfragen bearbeiten, als dies noch vor Jahren möglich gewesen wäre. Dabei gibt es einen Trend zur

Als Vorsitzender der Geschäftsleitung des Universitäts-

translationalen Forschung, d.h. zum Transfer von Grund­

Kinderspitals beider Basel stehen bei Ihrer Arbeit die kleins-

lagenwissen in die medizinische Anwendung.

ten Patienten im Zentrum. Wo liegen in diesem Bereich die Forschungsschwerpunkte?

Wo liegt aus Ihrer Sicht die grösste Herausforderung, damit

Wenn wir nicht für unsere kleinen Patienten forschen, wer

die Schweiz bei der klinischen Forschung nicht weiter ins

tut es dann? Deshalb haben wir die Verpflichtung, ein erst­

Hintertreffen gerät?

klassiges Forschungsportfolio aufzubauen, das mit den

Eine Grundvoraussetzung sind angemessene Rahmen­

Zielen der Universität einhergeht, das aber auch dort

bedingungen. Schweizer Forscher müssen freien Zu­

forscht, wo in der Versorgung der Kinder Lücken beste­

gang zu internationalen Forschungs­Grants haben und

hen. Hier arbeiten wir oft mit Stiftungen zusammen. Dank

uneingeschränkt global und vernetzt Forschung auf­

der Eckenstein­Geigy­Stiftung konnten wir beispielsweise

bauen können. Die Schweizer Forschung braucht eine

ein Zentrum für pädiatrische Pharmakologie aufbauen –

Gesetzgebung, die qualitativ hochstehende und ethische

aktuell sind nur 11% der Pharmazeutika für die Behand­

Forschung garantiert – ohne die Forschungstätigkeit zu

lung von Neugeborenen registriert. Weitere Forschungs­

stark einzuschränken. Sie braucht ein Arzneimittelge­

schwerpunkte am UKBB sind Entwicklungspädiatrie und

setz, welches Investitionen in die Forschung für die In­

Pneumologie, Hämatologie und Onkologie, Immunologie

dustrie lohnend macht und gleichzeitig Minoritäten – wie

und Infektiologie sowie die Kinderorthopädie.

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Impressum Herausgeber: Thomas B. Cueni, Sara Käch Redaktion: Interpharma Layout: Continue AG, Basel Fotos: Barbara Jung, istock

Interpharma Postfach, 4009 Basel Telefon 061 264 34 00 Telefax 061 264 34 01 info@interpharma.ch www.interpharma.ch

Pharma:ch ist der Newsletter von Interpharma, dem Verband der ­forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz, Actelion, Novartis, Roche, AbbVie, Alcon, Amgen, Bayer, Biogen Idec, Boehringer Ingelheim, Bristol-Myers Squibb, Gilead, Janssen, Merck Serono, Pfizer, Sanofi, UCB und Vifor. Diese Plattform will durch differenzierte Information Verständnis für die medizinisch-pharmazeutische Forschung und Entwicklung in der Schweiz schaffen. www.interpharma.ch

Was der Forschungsstandort Schweiz braucht Nur in wenigen Wirtschaftsbereichen ist die Schweiz globale Spitze. Sicher trifft dies auf die Pharma­ industrie zu. Sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Qualität unseres Gesundheitswesens und erzielt eine sehr hohe Wertschöpfung. Soll das so bleiben, müssen die Rahmenbedingungen optimiert werden. von selbst in Schwung. Voraussetzungen sind zunächst das Nebeneinander von forschenden Pharmaunterneh­ men, Hochschulen und Spitzenmedizin. Dann braucht es genügend Wissenschaftler. Es muss auch künftig möglich sein, Fachkräfte unbürokratisch zu rekrutieren, unabhängig von ihrer Nationalität. Letzteres ist mit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative infrage gestellt. Denn sie schafft Unsicherheit und wirft Fragen auf zur Berechenbar­ Thomas B. Cueni, Generalsekretär Interpharma

keit der politischen Stabilität, eine wichtige Rahmenbedin­ gung für Unternehmen, die in der Schweiz investieren wol­

Die Schweiz gehört zu den Ländern mit dem höchsten Le­

len. Die bilateralen Verträge I und II und das Freihandelsab­

bensstandard. Das ist bemerkenswert für ein Land fast

kommen mit der EU sind angesichts der vielfältigen Han­

ohne Rohstoffe. Unser wichtigster Rohstoff ist das Wissen,

delsbeziehungen der Schweiz von enormer Bedeutung für

denn der Schlüssel zu unserem Wohlstand ist die Innova­

die Schweizer Wirtschaft.

tion. Wir sind darauf angewiesen, Produkte und Dienstleis­ tungen zu erschaffen, die weltweit gefragt sind, weil sie

Andere Staaten haben ihre Rahmenbedingungen für inno­

qualitativ hochwertig und in weit überdurchschnittlichem

vative Industriezweige laufend verbessert und buhlen um die

Mass nützlich sind. Das ist anspruchsvoll, die Schweiz hat

Gunst der Investoren. In der Schweiz hat der Bundesrat erst

aber immer wieder gezeigt, dass sie dazu in der Lage ist.

kürzlich den «Masterplan biomedizinische Forschung und

Sie profitiert dabei vom hohen Bildungsniveau, von der glo­

Technologie» verabschiedet. Dieser Ansatz einer proaktiven

balen Vernetzung und von der Präsenz multinationaler Un­

Industriepolitik kann zweifellos Verbesserungen bringen, in­

ternehmen.

dem administrative Verfahren beschleunigt und effizienter werden sollen. Auch die Bemühungen, die Schweiz in der

Die forschende Pharmaindustrie ist ein Paradebeispiel für

klinischen Forschung, wo sie in den vergangenen Jahren viel

Wirtschaftsleistungen «à la Suisse». Und sie forscht nicht

und entscheidendes Terrain verloren hat, wieder attraktiver

zuletzt in der Schweiz. Mehr als sechs Milliarden Franken

zu machen, sind positiv. Indessen tut sich die Schweiz etwa

geben die Mitgliedfirmen von Interpharma hier jährlich für

schwer damit, neue Forschungsanreize zu schaffen. Ein gu­

Forschung und Entwicklung aus. Das Ergebnis sind immer

tes Beispiel sind die seltenen Krankheiten, wo die USA und

wieder neue Medikamente, die Krankheiten heilen, die Le­

die EU mit gesetzlichen und administrativen Massnahmen

bensqualität von Kranken verbessern und Leiden lindern.

die Forschungstätigkeit im Interesse der Patienten ankurbeln

Anderseits bringen solche Produkte jene Erträge ein, wel­

konnten. Viele Jahre später ist die Schweiz erst oder nach

che die Unternehmen brauchen, um immer wieder in Inno­

wie vor in der Phase der Diskussion. Das ist unverständlich,

vation investieren zu können. Dieser Kreislauf ist indes alles

wenn Innovation die Triebfeder für das wirtschaftliche Fort­

andere als selbstverständlich. Und er hält sich nicht einfach

kommen des Landes sein soll.

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