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IPPNW
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Herausgegeben von der IPPNW Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung | Ausgabe 2014 | Spende 1 Euro
ein Magazin von kritischen, jungen Medizinern
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Inhalt
Inhalt 1 2
Editorial Lifestyle Drugs and Nutripills
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Ein Tag in der Heroinambulanz
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Krankheit, Kultur und Macht
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Moderne Medizin
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Angekommen, aber nicht angenommen
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Weiterbildung und Patientensicherheit
Wie die Industrie unser Gesundheitsverhalten beeinflusst Ein Erfahrungsbericht
Ein Einblick in Fragen der Medizinanthropologie Die Entwicklung der geschlechtsspezifischen Medizin Medizinische Versorgung von EU-BürgerInnen aus den neuen EU-Ländern First, do no harm – Aus dem Labyrinth ein guter Arzt zu werden
10 Irrwege im Chaos friedenspolitischer Zusammenhänge? 13 Interessenkonflikte in der Forschung 14 Von Mäusen und Menschen Tierexperimentelle Gedanken zur Forschungsethik
16 Nichts ist gut in Fukushima 18 Ein Dialog zwischen Sternen und Bomben 20 I can, you can, we can – Abolish Nuclear Weapons! Bunt, jung und nicht allzu ernst
21 Hibakusha-Ausstellung 22 Die Kleinwaffenproblematik 25 Von Rapsfeldern und Sturmgewehren
Eine IPPNW-Radtour macht auf die medizinischen Folgen von Waffenexporten aufmerksam
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Famulieren und engagieren im Sommer 2013 Struga: Brücken der Verständigung Global Health Summer 2013: Teilnehmerstimmen ESC in Belgrade Ansprechpartner und Kontaktadressen IPPNW-Lokalgruppen an fast allen Unis
Impressum Redaktion: Ewald Feige (Berlin), Juwita Hübner (Hannover), Antonia Neuberger (Mainz), Svenja Langenberg (Hannover), Katharina Thilke (Köln), Ursula Völker (Tübingen), Thu Huong Vu (Hannover), Beatrice Wichert (Hamburg). Anschrift: der amatom, c/o IPPNW, Körtestraße 10, 10967 Berlin, Tel. 030/698 074-0, Fax 030/6938166. Verleger: Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs/Ärzte in sozialer Verantwortung e. V., Körtestraße 10, 10967 Berlin. Bankverbindung: Bank für Sozialwirtschaft, Kto-Nr. 2222210, BLZ 10020500, IBAN DE39100205000002222210, BIC BFSWDE33BER Gestaltung und Satz: Juwita Hübner, Thu Huong Vu. Druck: Oktober Druck, Berlin, Circle matt White 100% Altpapier Auflage: 6000, erscheint jährlich, für studentische Mitglieder der IPPNW kostenlos. Nachdrucke bedürfen der schriftlichen Genehmigung. V.i.S.d.P.: Ewald Feige
Editorial
Editorial Der Künstler ringt nicht mit seinem Werk, sondern mit dem, was ihn daran hindert. - Waldemar Bonsels Ohne Zweifel – einfach haben sich die letzten Monate des amatom nicht gestaltet. Eher wäre angebracht, den diesjährigen Entstehungsprozess mit der Vorstellung eines recht konfusen Labyrinths zu vergleichen: Vor lauter Irrwegen (auslandsreisenbedingter Autorenschwund, mit PJ und Arbeit ringende Redaktionsmitglieder, von Promotionspflichten erdrückte Unterstützer) war es immer wieder herausfordernd, es sich nicht in einer der Sackgassen unterwegs dauerhaft gemütlich zu machen. Aber vielleicht war es auch genau in diesen sehr unterschiedlichen Ecken, wo die große Bandbreite an Ideen und Artikeln entstanden ist, die sich dieses Jahr im amatom wiederfindet. Über Umwege wandelte sich unser Labyrinth zu einem Abbild der verwundenen, komplexen Medizinwelt. An weit auseinander liegenden Enden medizinisch-moralischer Irrwege kommunizierten wir aus unterschiedlichsten Perspektiven und ließen uns auch von vermeintlichen Endstationen nicht abschrecken. Die Auseinandersetzung mit moralischen Problemen, mit denen sich Ärzte persönlich, aber auch die Ärzteschaft als Ganzes konfrontiert sieht, wurde zu einer Art gemeinsamer Grundlage auf der Suche nach richtigen Wegen. Wir berichten über die Hospitation in einer Heroinambulanz, wo Menschenwürde und Respekt zentraler Bestandteil ärztlichen Handelns sind. Um Würde – nämlich die der Tiere – geht es auch in unserem Artikel über Tierversuche. Wie verantwortungslos medizinische Entscheidungen in der radioaktiv verseuchten Region Fukushima getroffen wurden, sprechen wir in dieser Ausgabe ebenso an wie die Frage nach verantwortungsvollen Entscheidungen, wenn es um medizinische Versorgung von Bürgern aus neuen EU-Ländern geht. Moralisch ist auch, den Menschen im Vordergrund der Medizin zu sehen. Immer wieder kehrt daher das Thema individualisierte Medizin – vom Genderaspekt über Medizinanthropologie bis hin zu Patientensicherheit in ärztlicher Ausbildung. Aber auch auf den zahlreichen IPPNW-Veranstaltungen wurde in diesem Jahr auf fortbestehende moralische Konflikte aufmerksam gemacht. Ein wichtiges Beispiel dafür ist unser Artikel über das Ausmaß der durch Kleinwaffen verursachten Probleme in vielen Teilen der Welt, deren Ursachen unser Artikel über Medical Peace Work näher auf den Grund geht. Irrwege, Umwege und auch Möglichkeiten für hoffnungsvolle Auswege aus moralischen Dilemmata hoffen wir Euch in dieser Ausgabe bieten zu können! Viel Spaß beim Lesen wünscht Dr. Amatom
Der Amatom braucht Hilfe! Dir gefällt der Amatom? Du hast vielleicht eine Idee für einen spannenden Artikel, Spaß am Layouten, Editieren oder einfach Lust mitzuhelfen? Dann schreib eine E-Mail an Amatom [at] ippnw.de und sei beim nächsten Treffen mit dabei! Das Amatom-Team sucht immer Nachwuchs und freut sich über motivierte Neuzugänge – und keine Angst, falls du noch keine Erfahrung hast: dafür sind wir ein Team! Bei einem integrativen Frühlingsfest in Mainz wurden neben Musik und Essen Informationen für bulgarische Mitbürger angeboten
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Arzt und Alltag
Lifestyle Drugs and Nutripills Wie die Industrie unser Gesundheitsverhalten beeinflusst
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äbe es eine Pille, die eine vollwertige, gesunde und ausgeglichene Mahlzeit ersetzt, die satt macht, aber nicht fett und auf individuelle Bedürfnisse zugeschnitten ist – wer würde da nicht zugreifen? Diese Möglichkeit könnte Wirklichkeit werden, zumindest wenn es nach dem Nestlé Institut of Health Science1.) geht. von Antonia Neuberger
Dieses in Lausanne, Schweiz, beheimatete biomedizinische Forschungsinstitut hat es sich zum Ziel gemacht, durch individuell zugeschnittene Ernährungspräparate, unter Einbeziehung des Lebensstils, einen Gesundheitsgewinn und eine verlängerte Lebenserwartung zu erreichen. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf komplexen chronischen Krankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, neurologische Krankheiten wie Alzheimer, aber auch Übergewicht und Altern. Die auf den Forschungsergebnissen des Institutes beruhenden Produkte sollen in der Prävention dieser Erkrankungen eine wichtige Rolle spielen. Dies ist nur ein Beispiel aus einem weiten Bereich von Nahrungsergänzungsmitteln und sogenannten Lifestyle Drugs. Die Fragen, die sich aufdrängen, sind nach den Profiteuren und dem effektivem Nutzen dieser Produkte. Lifestyle Drug ist ein schwer zu fassender Begriff, doch wird im allgemeinen von zwei Definitionen ausgegangen: zum einen werden damit biologisch wirksame Präparate bezeichnet, die keinen unmittelbaren medizinischen Nutzen aufweisen, sondern ihre Wirkung in dem Grenzbereich zwischen medizinischen und sozialen Determinanten von Gesundheit entfalten. In diese Kategorie würden z. B. Pillen gegen HaarausAntonia Neuberger fall oder erektile Dysfunk7. Semester, Mainz tion fallen. Zum anderen können damit Produkte gemeint sein, die gesundheitsschädliches Verhalten beeinflussen wollen, um medizinisch relevante Folgen abzumildern. So sind Medikamente, die die Rauchentwöhnung erleichtern, als Lifestyle Drugs zu klassifizieren.
Nahrungsergänzungsmittel sind in kleiner Dosierung abgepackte, die allgemeine Ernährung ergänzende Zusatzstoffe, die einen ernährungsspezifischen Nutzen aufweisen. Ihre Vermarktung wird durch die EU-Verordnung Nr. 536/2013 („Health Claims“) geregelt, dessen Grundlage die Nachweisbarkeit und wissenschaftliche Evidenz nährwert- und gesundheitsbezogener Aussagen bezüglich eines Produktes ist. Nichtsdestotrotz sind Werbeaussagen kritisch zu hinterfragen, da zur Beweisführung oft nur sogenannte „surrogate parameter“ hinzugezogen werden. Ein surrogate parameter ist ein Messwert, der über einen statistisch signifikanten Zusammenhang zu einem medizinischen Phänomen zur Beurteilung einer therapeutischen Intervention herangezogen werden kann. Dies suggeriert dem Konsumenten Wissenschaftlichkeit, ohne dass jedoch eine klinische Relevanz gegeben sein muss. Das komplexe Zusammenspiel einzelner physiologischer Marker und sogar adverse Effekte durch selektive Veränderung einzelner Parameter wird nicht berücksichtigt. Fast jeder kennt das Beispiel einer bestimmten Margarine als förderlich bei hohen Cholesterolspiegeln. Den Konsumenten wird suggeriert, dass sie sich mit dieser Wahl gesundheitsbewusst verhalten, auch wenn Ernährungsberater das Gegenteil behaupten2.). Auch eine Studie der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit hat herausgefunden, dass nur 20 % der „Health claims“ für Nahrungsergänzungsmittel überhaupt wissenschaftlich fundiert sind3.). Ganz im Gegenteil kann es sogar zu gesundheitlichen Schäden kommen. Eine Studie untersuchte den Zusammenhang zwischen einem Mangel an Vitamin E und der gesteigerten Inzidenz von Prostatakrebs. Eine präventive hochdosierte Gabe von Vitamin E führte in einer gesunden Population zu keinem gesundheitlichen Nutzen und sogar zu einem gesteigerten Risiko für Prostatakrebs, sowie zu einer erhöhten Mortalität in der untersuchten Bevölkerung (SELECT-Studie4.)).
Inwieweit sind soziale Determinanten ein medizinisches Problem? Soziale und biologische Determinanten von Gesundheit sind keine klar abgrenzbaren Einheiten, sondern können fließend ineinander übergehen und unterliegen auch gesellschaftlichen Strömungen. Aus dem von der Gesellschaft akzeptierten Spektrum fallende Konditionen können so ohne eigentlichen Krankheitswert pathologisiert werden und steigern die Nachfrage nach entsprechender Medikation. Die Besorgnis der Menschen bezüglich ihrer eigenen Gesundheit wird gezielt ausgenutzt und vermarktet. Eine weitere Frage stellt sich nach der Berücksichtigung von nicht medizinischen Alternativen bei Vorhandensein einer Pharmakotherapie. Wenn es eine Pille zum Abnehmen gibt, wozu sich bewegen oder gesund ernähren? Dadurch wird die Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen gegenüber seinem Körper vermindert, während sein Konsumverhalten verstärkt wird – ein Patientenbild, das durch pharmazeutische Lobby-Arbeit auch den verschreibenden Ärzten nahegelegt wird. Andererseits werden Nahrungsergänzungsmittel, die laut Werbung einen zusätzlichen medizinischen Nutzen aufweisen, oftmals unreflektiert eingenommen. Dadurch kann die Ernährung einseitiger werden, da Obst und Gemüse durch Vitaminpräparate ersetzt, und gleichzeitig die Kontrolle über die tatsächlichen Bedürfnisse des Körpers vernachlässigt werden. In unserem Kulturkreis wird gesunde Ernährung zunehmend wichtiger, doch steht dieser Bestrebung oft keine konsequente Nachhaltigkeit gegenüber. Verlockend ist der Zugriff auf multifunktionelle Gesundheitspräparate, die neben Ernährung und Geschmack noch Schönheits- und Gesundheitsvorteile mit sich bringen sollen. Die Risikoabschätzung von Nahrungsergänzungsmitteln und Lifestyle Drugs wird dabei oft vernachlässigt. Dies kann so weit gehen, dass am Ende für Nebenwirkungen eigentlich unnötiger Medikamente andere pharmakologische Produkte eingenommen werden müssen5.).
Arzt und Alltag
Wer profitiert vom Gebrauch von Lifestyle Drugs und Nahrungsergänzungsmittel? Während die Kunden „saure Pillen“ schlucken, kann die Industrie mit Champagner anstoßen. Mit einem Umsatz von mehr als 1,3 Milliarden Euro gehören Nahrungsergänzungsmittel in Deutschland zu den am häufigsten verkauften Produkten in Apotheken, Drogerien und Supermärkten6.). Ihr Marketing geht auf. Gerne wird auch mit der Angst der Menschen gespielt, krank zu werden, wenn sie nicht das scheinbar gesündere Produkt kaufen. Je besser der Slogan und die Gesundheitsversprechen, desto besser verkauft sich das Produkt. Durch das Überangebot an Waren entsteht eine Desensibilisierung des Kaufverhaltens, in dem suggestive Gesundheitsversprechungen den entscheidenden Kaufimpuls beeinflussen. Doch nicht nur die „Hard Claims“, womit der wissenschaftliche Effekt, unter dem das Produkt vermarktet wird, gemeint ist, spielen eine Rolle. Eine weitere Beeinflussung liegt in der Wirkung sogenannter „Soft Claims“, welche durch das Vertrauen in eine Marke oder die unbewusste Beeinflussung durch Layout und gezielte Werbung mit prominenten Vorbildern auf den Konsumenten wirken. Insgesamt führt die aktive Vermarktung von Nahrungsergänzungsmittel dazu, dass gesunde Personen auf den Kauf von Zusatzstoffen zurückgreifen, deren Bedarf sie leicht auch durch eine ausgewogene Ernährung abdecken könnten. Auf der anderen Seite sind diese Zusatzpräparate für
chronisch kranke Menschen, die z. B. an einer Stoffwechselerkrankung leiden, nicht ausreichend. Viele gesundheitliche Probleme, wie z. B. Übergewicht und Diabetes, werden nicht allein durch bewusste Ernährung und ausreichende Bewegung lösbar sein. Es ist sicher sinnvoll, eine Ernährungs- und Lebensstilstrategie anzustreben, die den Menschen in seinem Gesundheitsverhalten unterstützt und es ihm ermöglicht, mit wenig Aufwand seine Gesundheit bestmöglich zu erhalten. Trotzdem ist der Einsatz von Nahrungsergänzungsmittel und Lifestyle Drugs kritisch zu hinterfragen und der Nutzen dieser Produkte gegenüber aufwendigeren, aber risikoärmeren Alternativen abzuwägen. Sinnvoller als die Einbeziehung von Nahrungsergänzungsmittel und Lifestyle Drugs in die medizinische Versorgung ist die Aufklärung der Bevölkerung über ernährungswissenschaftliche Strategien und gesundheitsbewusstes Verhalten7.).
Das Frühstück der Zukunft?! Quellen & Literatur: 1.) http://www.nestlehealthscience.com 2.) http://www.canal9.ch/television-valaisanne/emissions/antidote/04-06-2012/aliments-fonctionnels-cesaliments-qui-vous-veulent-du-bien.html 3.) http://www.efsa.europa.eu/de 4.) http://www.cancer.gov/newscenter/qa/2008/ selectqa 5.) http://www.cmaj.ca/content/164/10/1449.full http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/ S0165614704000549 6.) http://www.mdr.de/hauptsache-gesund/nahrungserga enzung118.html 7.) http://www.gutepillen-schlechtepillen.de
Ein Tag in der Heroinambulanz Ein Erfahrungsbericht
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urch die engen Flohmarktstände, behangen mit Kleidung und mit dem Flair eines türkischen Basars behaftet, versuche ich mir einen Gang zu bahnen, auf der Suche nach der Heroinambulanz der MHH. von Svenja Langenberg
Ich finde die Straße – etwas abseits des Trubels, gegenüber von ODEON Erotik. Mir ist mulmig zumute und ich muss an Lou Reed in „Heroin“ denken. „When I put a spike into my vein and I’ll tell ya, things aren’t quite the same“. Wie ist das Gefühl, so eine Substanz im Körper zu haben?
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An mir vorbei ziehen schillernde Figuren des drogeninspirierten Rocks, inklusive John Lennon und Anthony Kidies. Gleichzeitig drängt sich im Hintergrund noch der heruntergekommene, abgemagerte Klischee-Junkie aus Film und Fernsehen mit dunklen Augenringen in meine Erinnerung
und mir wird klar: Das gesellschaftliche Stigma von Drogenabhängigen nistet sich unbewusst ein, und zwar stärker als eigentlich tolerabel. Als ich auf die Klingel drücke, auf der diskret „Modellprojekt MHH“ zu lesen ist, wird mir eines schon jetzt bewusst: Über die Menschen, die in meiner Generation jeden Tag mit ihrer Sucht konfrontiert sind, weiß ich zu wenig. Oben angekommen habe ich Gelegenheit mich umzuschauen: Ein heller, sauberer Raum wie in jeder Praxis. An der Seite entdecke ich neben einer Ansammlung von
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Arzt und Alltag
Urinbechern kleine Fächer mit Namen drauf. Ich frage mich, was für Lebensgeschichten dahinter stehen. Später wird mir erklärt werden, dass in den Fächern die Atemröhrchen für den Alkoholtest sind. Denn: Hier sollte niemand substituiert werden, der gleichzeitig alkoholisiert oder unter Einfluss von Medikamenten (Benzodiazepinen) ist. Nach einer kurzen Einführung, in der ich erfahre, dass es außer in Hannover noch 6 weitere zugehörige Modellprojekte in anderen Städten Deutschlands gibt, Svenja Langenberg kommt der erste Patient: Herr M., um die Vierzig, 9.Semester, Hannover grüßt mit einer lockeren Handbewegung in die Runde. Er trägt Jeans und ein kariertes Hemd und wirkt auch sonst gänzlich unauffällig. Gleichzeitig erfüllt er die Einschlusskriterien für eine GKV-finanzierte Diamorphinsubstitution. Was der erste Blick nicht hergibt: Herr M. ist schwerstabhängig und hat bereits zwei erfolglose Entgiftungsversuche hinter sich, davon einen über einen Zeitraum von sechs Monaten. Routiniert geht er durch die Tür in den Raum zum Spritzen. „Hier geht’s zur Sache“, erklärt er mir und holt an der Anreich-Theke seine Nierenschale mit persönlicher Dosis aufgezogenem Diamorphin, sauberem Spritzbesteck, persönlichem Stauschlauch und seinen Tabletten ab. Herr M. nimmt Tabletten ein, weil er gleichzeitig an Hepatitis C erkrankt ist. Mit der Nierenschale in der Hand macht er einen schwungvollen Bogen um die Krankenschwester, die in der Mitte des Raumes steht und die Einnahme beaufsichtigt. Während er sich an einen der neun Tische mit buntem Stuhl auf eine sterile Unterlage setzt und seine Vene in der Leiste sucht, klingelt im Arztzimmer das Telefon. Herr B., mit 23 Jahren jüngster Patient der Ambulanz, bittet darum, seinen Termin von Abends auf Mittags verlegen zu
lassen. Er habe ein wichtiges Familientreffen heute Abend, an dem er endlich mal wieder seine Mutter und seinen Vater und alle Cousins und Cousinen sehen könne. Obwohl diese Angelegenheit nicht zu den eigentlich erlaubten Begründungen für eine Terminverschiebung (Gerichtstermine oder Arztbesuche) zählt, darf er ausnahmsweise früher kommen. Oben bei uns sucht er den Kontakt zur Ärztin. Sie zu begrüßen ist ihm eindeutig ein wichtiges Anliegen. Ein höflicher Umgang hat hier oberste Priorität. Davon zeugen auch an den Wänden mahnende Schilder mit Ampelsystem: Verbale Gewalt oder Beleidigungen – gelbe Karte. Entwenden von synthetischem Heroin – gelbe Karte. Körperliche Gewalt – rote Karte. Nach roter Karte dürfen sich Patienten erst 3 Monate später wieder neu vorstellen. Zurück im Substitutionsraum treffen wir Herrn F. Er ist hier der einzige Patient ohne festen Wohnsitz. Heute wirkt er erleichtert. Vertraulich erzählt er uns und allen weiteren im Raum vom Diebstahl seines gesamten Besitzes, der nun geahndet wird. Derzeit besitzt Herr F. also nichts – außer Lebenserfahrung. Davon aber eine Menge. Wie die meisten Patienten lässt Herr F. durch seine Behandlung in der Heroinambulanz ein über zehn Jahre dauerndes Kapitel, geprägt von Beschaffungskriminalität, Drogenhandel und Prostitution, hinter sich. Viele können oder wollen nicht über diese Episode sprechen. Vielleicht ist das auch der Grund für die absolut vertraute Atmosphäre – fast alle Patienten hier teilen einen Hintergrund traumatischer Erlebnisse. Herr F. hat inzwischen den Stauschlauch gelockert und spritzt sich langsam das Diamorphin in die Vene. Der Raum hat sich gefüllt, alle Stühle sind besetzt. Links am Fenster sitzt Herr B., die Stirn durch die Hände gestützt, die Augen geschlossen, manchmal wiegt er sich hinund her. Ich merke, dass mir der Anblick solch drogengedämpfter Zustände schwer fällt. Was bewegt einen Menschen dazu, die Kontrolle über sich selbst an eine Substanz abzugeben? An mir vorbei steuert Herr M. kurvenförmig in Richtung Abwurfbehälter. „Achtung, Abwurf!“ – Sein Statement, etwas verwaschen, wird von der Krankenschwester registriert. Wieder eine Regel: Wer fertig ist, desinfiziert seinen Platz und wirft die
benutzte Nadel unter Aufsicht ab. Mit zur Faust erhobener linker Hand balanciert Herr M. mit rechts seine Nierenschale zurück ins Regal und verlässt federnd den Raum. Währenddessen räumt Herr F. schon
wieder seinen Platz auf, völlig routiniert. Als Schwerstabhängiger ist sein Körper so sehr an das Heroin adaptiert, dass die regelmäßige Substitution bei ihm keinen Rausch auslöst, sondern lediglich sein Verlangen mildert. Mir wird klar: Die Menschen in diesem Raum wollen keinen High-Effekt. Sie wollen eine Zeit frei von Suchtgedanken. Und sie wollen möglichst viel Klarheit im Bewusstsein. Das ist auch der Grund, warum die Initiative zur Dosissenkung nicht selten von Patienten ausgeht. Der Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben im Schatten der Abhängigkeit ist das Motiv, welches alle hier teilen. Unterstützt wird ihr Anliegen auch von der Initiative STEP, ein Angebot zur sozialen Betreuung, das die Patienten in den ersten sechs Monaten der Behandlung wahrnehmen müssen und was ihnen Hilfe bei der Suche nach einer Wohnung oder nach Arbeitsmöglichkeiten bietet.
Als der letzte Patient die Ambulanz wieder in Richtung Steintor-Basar verlässt, kommen mir meine Gedanken über Lou Reed wieder in den Sinn. Aber ich bin erleichtert, als mir bewusst wird: Hier spielt Mythos keine Rolle mehr, hier geht es vor allem um Eines – um Würde.
Arzt und Alltag
Krankheit, Kultur und Macht Ein Einblick in Fragen der Medizinanthropologie Neurologievorlesung an einer deutschen Fakultät in einem Hörsaal mit 200 Medizinstudierenden. Patientenvorstellung. Auf einem Stuhl sitzt eine Frau in ihren Vierzigern und berichtet von Kopfschmerzen, welche sie schon seit langem plagen. Sie erzählt von ihrem alkoholabhängigen Mann, der sie regelmäßig schlägt und dass sie aufgrund der Pflege ihrer senilen und inkontinenten Mutter seit Jahren kaum noch das Haus verlassen kann. von Alexander Schwickert Ihr Sohn steht kurz davor, von der Schule geworfen zu werden. Trotz einiger Sympathie für ihre Situation von Seiten der Studierende steigt das unruhige Getuschel in den Sitzreihen an. Die klinischen Fragen des Professors scheinen keine schulmedizi-
nung von gesundheits- und krankheitsbezogenen Themen in kulturelle Kontexte und stellen eine einseitige biologistische Sichtweise auf das Leben in Frage. Dabei wird die wissenschaftliche „Biomedizin“ von Anthropologen nicht als DIE, sondern als EINE
Paul Farmer ist einer der weltweit bekanntesten Medizinanthropologen und Ärzte. Der Gründer der Hilfsorganisation „Partners in Health“ forscht unter anderem zu Themen wie struktureller Gewalt und anderen Aspekten kritischer Medizinanthropologie. nische Diagnose aus der Patientin herauskitzeln zu können. Schließlich steht ein Student auf, unterbricht den Neurologen und fragt: „Ist ja alles schön und gut, aber was ist denn nun wirklich die biologische Ursache der Kopfschmerzen?“ Diese Situation haben einige von uns vielleicht schon am eigenen Leibe erfahren: In medizinischen Fakultäten werden Studierende trainiert, Menschen zu untersuchen, Anamnesen zu erheben und Diagnosen zu stellen, die man im ICD-10Katalog findet und nachher als eine Ziffernfolge kodieren kann. Von Patienten erzählte Geschichten und Krankheitsinterpretationen werden häufig als nebensächliche Zusatzinformationen gewertet, die mit der „wahren“ Pathophysiologie einer Erkrankung nicht in direktem Zusammenhang stehen. Für die Einordnung und Behandlung einer Erkrankung scheinen sie uns daher abgesehen von ein wenig beruhigender Konversation nicht weiter bedeutsam. „Sobald die Pneumokokken abgetötet, der Krebs herausgeschnitten oder die Schilddrüsenunterfunktion mit Medikamenten eingestellt ist, wird sich der Patient schon besser fühlen“, ist eine Sichtweise, die vermutlich viele Medizinstudierende und ÄrztInnen teilen. MedizinanthropologInnen sehen dies anders. Sie beschäftigen sich mit der Einord-
Art von Medizin gesehen, welche gleichberechtigt neben anderen Heilungsformen wie der chinesischen Medizin, dem indischen Ayurveda oder anderen medizinischen Traditionen besteht. Die medizinanthropologische Forschung zeigt, dass Körper und Gesundheit längst keine so simplen Themen darstellen, wie sie in einer gewöhnlichen Neurologievorlesung erscheinen. Sie deutet darauf hin, dass der Mensch mehr ist als die Summe seiner mechanischen Einzelteile und fordert, dass ÄrztInnen sich dessen bewusst sein sollten, wenn sie mit PatientInnen umgehen. Nicht jeder Mensch teilt die Überzeugungen welche sich die abendländische Forschungsgemeinschaft in den letzten hundert Jahren angeeignet hat. Eine gute „Compliance“ erfordert eben die verständnisvolle Zusammenarbeit von Arzt UND Patient. Fühlen sich PatientInnen jedoch von ihrem Arzt missverstanden und lediglich in eine kodierfähige Diagnose gepresst, so leidet automatisch die Kooperationsbereitschaft. Grund genug sein naturwissenschaftliches Wissen zu hinterfragen und auf Vollständigkeit zu überprüfen? Grundsätzlich unterscheidet man zwischen interpretativer und kritischer Medizinanthropologie. Erstere analysiert die soziale Dimension von Krankheit und be-
schreibt unterschiedliche Arten wie Menschen Krankheit wahrnehmen und Leid zum Ausdruck bringen. Unterschieden wird beispielsweise zwischen „sickness“, der empirisch beobachtbaren biologischen oder psychologischen Funktionsstörung und „illness“, der kulturell geformten subjektiven Wahrnehmung eines Krankheitsprozesses. Was ist dabei interessant für angehende ÄrztInnen? Beispielsweise das Konzept der „Treatment Management Groups“. Für gewöhnlich denkt man, dass zu einer ArztPatienten Beziehung nur zwei Personen gehören: Arzt und Patient. Wenn sich Patienten nicht an ärztlichen Rat halten, sind sie „uncompliant“, „Simulanten“. Dass aber unabhängig vom kulturellen Kontext eines Patienten in fast jedem menschlichen Genesungsprozess mehrere Menschen beteiligt sind, bedenkt man im Klinikalltag wenig. Den Cousin des Patienten, der Heilpraktiker ist, den Ehemann, der seiner Frau von der Operation abrät, weil er keine Zeit hat auf die Kinder aufzupassen, den Sohn, der Psychologie studiert, bedenkt man bei der Beratung selten und wundert sich, wenn Patienten gutgemeinte Ratschläge missachten oder plötzlich vorzeitig das Krankenhaus verlassen. Dass es hilft, die Menschen aus dem Umfeld der Patienten mit in therapeutische Entscheidungsfindung einzubeziehen, zeigen diverse medizinanthropologische Forschungsergebnisse. Ein weiterer praxisrelevanter Aspekt anthropologischer Forschung sind sogenannte „Idioms of distress“: kulturell unterschiedlich gefärbte Arten Krankheit wahrzunehmen. Alexander Schwickert Dass beispielsweise Sym- PJ, Berlin ptome wie Leukorrhoe nicht nur Resultat von Pilzinfektionen sein können, sondern von hinduistischen Patientinnen auch als Hinweis auf Angst um Macht- oder Kontrollverlust oder das Gefühl eines Mangels an Reinheit berichtet werden, steht in keinem biomedizinischen Lehrbuch. Nicht nur Menschen aus unterschiedlichen Teilen der Welt, selbst in Deutschland aufgewachsene Menschen haben erwiesenermaßen mitunter sehr ver-
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Arzt und Alltag
Was können praktische ÄrztInnen schiedene „explanatory models“ – mit diesem Wissen anfangen? Mend.h. unterschiedliche Vorstellungen, schen sind vielseitige Wesen. Wer wie sie zu ihrer Krankheit kamen. sich als ÄrztIn mit den Menschen Insbesondere bei chronischen Erbeschäftigt, profitiert davon, sich krankungen spielen häufig Gedannicht nur mit ihren biologischen ken wie Schuldgefühle eine große Grundlagen auseinandersetzen, Rolle. Die Menschen ordnen das sondern ebenso zu versuchen, die Auftreten bestimmter Symptome Menschen, welche man behandeln in die Geschichte ihres Lebens ein und heilen möchte auch als soziale und fragen sich „Warum ich?“. Es und bisweilen spirituelle Wesen scheint somit verständlich, dass man im Sinne des Patienten Arthur Kleinman analysiert in seinem Aufsatz aufzufassen. Die Beschäftigung insbesondere bei langwierigen „Concepts and models for the comparison of mit der Medizinanthropologie kann Erkrankungen versuchen sollte, health care systems“ (1978) die unterschied- Ärzten und Ärztinnen helfen, diese die „illness“-Dimension einer Erlichen Teile und Schnittstellen von Gesundheits- Dimensionen des menschlichen krankung zu erfassen und zu besystemen. Der „professionelle Sektor“ scheint Lebens zu verstehen und ihre Rolle handeln. Dass man sich trotzdem dabei nur einen kleinen Teil darzustellen. Da- als Heiler gewissenhaft und ideolohäufig nur auf die aus Röntgenneben stehen die anderen Teile wie Familie, gieunabhängig wahrzunehmen. bildern und Laborberichten abGesellschaft und unterschiedliche WertesysteQuellen: geleitete „sickness“-Komponente men, welche die Gesundheit von Menschen beBaer, Hans and Merrill Singer (1995). beschränkt, ist nach wie vor eine einflussen. Wer wundert sich da noch über so Chapter 10 “The Critical Gaze”. In: Critical Realität in vielen Krankenhäusern. manchmal beklagte „mangelnde Compliance“ Medical Anthropology. Pp. 59-112. New York: Die Disziplin welche sich mit der von Seiten der Patienten? Baywood. Brown, Peter et al. (2010). Medical Analyse individueller KrankheitsAnthropology: An Introduction to the Fields. erlebnisse nicht zufrieden gibt, ist In: Peter Brown and Ron Barrett (eds.) (2010). Understanding Ausschüttung bestimmter Neurotransmitter die kritische Medizinanthropologie. Sie beand Applying Medical Anthropology. Pp. 3-15. Boston im Gehirn die behandlungswürdige Krankschäftigt sich mit einer kritischen Analyse a.o.: MacGraw Hill. Farmer, Paul (1996). On suffering and structural heit, sondern stellt lediglich ein Symptom eider sogenannten Biomedizin: Dabei stellt violence: A view from below. In: Arthur ner viel größeren gesellschaftlichen Kranksie nicht nur westliche Grundannahmen wie Kleinman et al. (eds.). Social Suffering. Pp. 261-284. Berkeley: University of California Press. heit dar. Ähnliches gilt für die unzähligen den cartesianischen Dualismus von Körper Janzen, John (1987). Therapy Management: ConOpfer weltweiter Durchfallerkrankungen. und Geist in Frage, sondern analysiert auch cept, reality, process. In: Medical Anthropology Quarterly, New Series 1(1): 68-84. Aus Sicht der kritischen MedizinanthropoMachtverhältnisse zwischen Biomedizin und Kleinman, Arthur (1988). Chapter 1. The meaning of logie müsste man nicht nur Bakterien beanderen medizinischen Traditionen sowie symptoms and disorders. In: The Illness Narratives. Suffering, Healing and the Human Condition. Pp. 3-30. kämpfen sondern auch die Umstände, die innerhalb des biomedizinischen Systems Basic Books. Menschen dazu bringen sich mit letzteren selbst. Ein immer wieder auftauchender BeNichter, Mark (1981). Idioms of distress. Alternatives in the expression of psychosocial distress. A case zu infizieren. Ferner üben AnthropologInnen griff ist die Medikalisierung. Kritische Medistudy from South India. In: Culture, Medicine and daran Kritik, wer Gesundheitsdiskurse bezinanthropologInnen sehen beispielsweise Psychiatry 5: 379-408. Scheper-Hughes, Nancy and Margaret Lock (1987). herrscht. Denn vor allem in einer globalisierErkrankungen wie Depressionen nicht als The mindful body: A prolegomenon to ten Welt sind es immer mehr einige wenige, Funktionsstörung einzelner menschlicher future work in medical anthropology”. In: Medical Anthropology Quarterly, New Series 1(1): 6-41. die die Macht haben vorherrschende MeiOrganismen sondern versuchen die Pathonungen zu beeinflussen und alternative Heilogien des „Mikrokosmos Mensch“ auf struklungsansätze abzulehnen, die sie sich nicht turelle Erkrankungen des „Makrokosmos in das hegemoniale Wissenschaftssystem Gesellschaft“ zurückzuführen. Für sie ist pressen lassen. nicht die Depression mit einer verminderten
Moderne Medizin Die Entwicklung der geschlechtsspezifischen Medizin
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ender Medicine“ ist ein Fachterminus für ein Gebiet, welches sich auf geschlechtsspezifische Merkmale in der Medizin konzentriert. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der biologischen und physiologischen Unterscheidung zwischen dem weiblichen und männlichen Organismus im Sinne von Krankheitsentstehung, Symptomatik und Therapie. von Katharina Thilke
Eine der wichtigsten Vertreterinnen und Pionierin auf dem Gebiet der Gendermedizin ist Marianne Legato. Bereits 2002 veröffentlichte sie das Buch „Evas Rippe“ im Ullstein Buchverlag, in welchem sie die weibliche Medizin und ihre Bedeutung erläutert. Frauen weisen im Vergleich zu männlichen Patienten ein größeres Bewusstsein für Prävention und ihre Gesundheit auf.1
Arzt und Alltag
Besonders regelmäßige gynäkologische Kontrollen im Rahmen der Krebsvorsorge, sind ein wichtiger Faktor, der das präventive Verhalten positiv beeinflusst. Im besonderen Fokus steht dabei der Brustkrebs als häufigste Krebserkrankung des weiblichen Geschlechtes. Eine dafür erfolgreiche Präventions-Kampagne ist das von den Krankenkassen aktiv beworbene Angebot des zweijährlichen Screenings mittels Mammographie ab dem 50. Lebensjahr.2 Auch die Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs trug durch mediale Präsenz und Öffentlichkeitsarbeit zu einem gewachsenen Bewusstsein für spezifisch gynäkologische Erkrankungen in der Bevölkerung bei. Diese Entwicklung hat hingegen im Bereich der „gemeinen Volkskrankheiten“ in der Gruppe der weiblichen Patientinnen nicht stattgefunden. So gaben im Rahmen einer Forsa-Umfrage 62 % der weiblichen Befragten eine Krebserkrankung als häufigsten Todesgrund bei Frauen an, während nur etwa ein Drittel Herz-Kreislauferkrankungen mit dieser Fragestellung assoziierten.3 Eine der möglichen Ursachen für die verzerrte Wahrnehmung könnte nicht zuletzt in der vernachlässigten Erforschung von geschlechtsspezifischen Unterschieden liegen. Die häufigste Todesursache des weiblichen als auch männlichen Geschlechts sind nach wie vor Herzkreislauferkrankungen. Frauen assoziieren KHK, Angina pectoris und Herzinfarkt jedoch eher mit dem männlichen Geschlecht als „Volkskrankheit des Mannes“. Das Bewusstsein für das persönliche Risiko, so zeigten Studien, ist relativ gering. So schätzte jede zweite Frau aus der Studiengruppe ihr Risiko für eine Erkrankung als gering oder sehr gering ein.3 Im Vergleich zum Mann scheinen die Probandinnen damit auch richtig zu liegen: Das Hormon Östrogen wirkt protektiv auf
Gefäßschäden. Frauen erkranken im Vergleich zu Männern in der Regel zehn Jahre später an Herzkreislauferkrankungen.4 Postmenopausal steigt dann allerdings mit Abfall des Östrogenspiegels die Anzahl der Frauen mit erhöhtem Blutdruck und Cholesterin-Level. Zusätzlich zeigten Studien der letzten zwei Jahrzehnte auch, dass gerade die Rate der Herzinfarkte bei jüngeren Frauen im Alter zwischen 35 und 54 Jahren gestiegen ist.5 Gefährlich ist dabei, dass die jungen Patientinnen sich häufig mit „untypischen“ Beschwerden wie digestive Irritationen, Bauchschmerzen und Übelkeit präsentieren. Es kann auch zu anderen unspezifischen Symptomen wie beispielsweise Kurzatmigkeit, Rückenschmerz oder Schweißausbruch kommen.6 Eine kardiologische Abklärung erfolgt häufig erst zu spät. In der pharmakologischen Forschung sind Frauen in der Vergangenheit unterrepräsentiert. Dies hatte zur Folge, dass unerwünschte Wirkungen männerspezifisch erforscht wurden. Doch die Verstoffwechslung und Elimination von Medikamenten unterscheiden sich geschlechtsspezifisch. So arbeitet etwa die weibliche Niere langsamer als die männliche. Es gilt folglich nicht nur, in der Akutmedizin Symptome richtig zu deuten und abzuklären, sondern auch die daraus unter Umständen resultierende Dauermedikation spezifisch zu gestalten. Am Beispiel der kardiologischen Pharmakologie wird deutlich, wie bedeutend die Unterscheidung zwischen männlichem und weiblichem Organismus ist. Ältere Medikamente wie beispielsweise Digoxin zur Therapie von Herzinsuffizienz wurden geschlechtsunspezifisch erprobt und auf den Markt gebracht. Eine spezifische Studie zeigte, dass die Sterblichkeit der weiblichen Studienteilnehmer höher war als die der männlichen.7 In der Bluthochdrucktherapie werden unter anderem Betablocker eingesetzt. Erst in den letzten Jahren werden sie auf Grund des Nebenwirkungsprofils restriktiver verwendet. Studien belegen, dass Frauen eine geringere Dosis benötigen und es dadurch beim Einsatz von höheren Dosen häufiger zu unerwünschten Wirkungen kommt. Auch können klinische Wirkungen ausbleiben. Eine Metaanalyse zeigte z. B., dass der Nutzen einer ACE-Hemmer Therapie bei Frauen mit einer asymptomatischen linksventrikulären systolischen Dysfunktion im Gegensatz zu männlichen Patienten nicht belegbar ist.8 Aber auch neue Therapiemöglichkeiten können sich ergeben: vereinzelte Studien belegten den Zusam-
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menhang zwischen dem Östrogenlevel im weiblichen Zyklus und der Vulnerabilität des Herzens für Extrasystolen. Am Ende des Zyklus kommt es zu einem Abfall des Östrogenspiegels, welcher paroxysmale Tachykardien begünstigt.9 Hier kann ein Östrogenpflaster im Zeitraum vor dem Einsetzen der Periode therapeutisch genutzt werden. Unsere Medizin wird immer individualisierter und Gendermedizin ist hier ein wichtiger Pfeiler. Um das Bewusstsein der Mediziner zu schärfen fand z. B. im Mai 2012 in Münster eine internationale und interdisziplinäre Konferenz zum Thema Gendermedizin statt. Auch in der Fachzeitschrift GMS (Gesellschaft für Medizinische Ausbildung) wurde zur Problematik ein Artikel mit konkreten Vorschlägen für die Implementierung von Lehrinhalten in das medizinische Curriculum veröffentlicht.10 Und an der Hochschule Münster wurde ein dreimonatiger e-Learning Kurs entwickelt, welcher schon Medizinstudierende für die Geschlechterperspektive als eine wichtige Beurteilungsund Handlungsdimension in der ärztlichen Tätigkeit sensibilisieren soll. Aus der Rolle der Nischenforschung hat sich Gendermedizin heute schon lange emanzipiert. Quellen: 1 http://www.tk.de/tk/themen/medienservice/november11-frauengesundheit/404302,Stand 31.09.2013 2 http://www.dggg.de/mammographie-screening/, Stand 31.08.2013 3 http://www.dgesgm.de/images/Geschlechtsspez_Unterschiede-Herzkreislauferkrankungen.pdf, Stand 7. August 2013 4 http://www.ncbi.nlm.nih.gov/ pubmed/21406440m, Stand 7. August 2013 5 http://www.ncbi.nlm.nih.gov/ pubmed/21406440m, Stand 7. August 2013 6 Vgl. M. Legato, „Evas Rippe“, Ullstein Verlag, 2002, S. 438 ff 7 http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/nejmoa021266, Stand 31.08.2013 8 http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/ S0735109703002626, Stand 31.08.2013 9 http://bmctoday.net/reviewofendo/2009/05/ article.asp?f=review0509_02.php, Stand 31.08.2013 10 http://www.egms.de/static/de/journals/ zma/2012-29/zma000835.shtml, Stand 31.08.2013
Katharina Thilke Assistenzärztin Pädiatrie, Köln
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Arzt und Alltag
Angekommen, aber nicht angenommen Medizinische Versorgung von EU-BürgerInnen aus den neuen EU-Ländern
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illkommen fühle sie sich in Deutschland nicht, zu ausweglos scheint ihr ihre Situation, ohne Arbeit und längerfristige Perspektive. Froh müsse sie sein, ein Dach über dem Kopf zu haben, ein Zimmer zu bewohnen, auch wenn sie es sich mit drei weiteren Personen teilen muss, erzählt Frau S. aus Bulgarien. Sie ist schwanger. von Antonia Neuberger
Was für andere Frauen ein Grund zur Freude ist, bedeutet für sie nur weitere Sorgen, da sie nicht weiß, wie sie ohne Krankenversicherung das Geld für die nötigen Vorsorgeuntersuchungen und die Geburt auftreiben soll. Frau S. ist kein Einzelfall mehr. Immer mehr Menschen kommen aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland, da die wirtschaftliche und soziale Lage in ihren Herkunftsländern schwierig ist. Eine große Gruppe davon setzt sich aus Sinti und Roma zusammen, deren soziale Situation in Bulgarien und Rumänien aufgrund struktureller Benachteiligung besonders desolat ist. All diese Menschen sind nicht illegal in Deutschland, dennoch haben sie erschwerten Zugang zur medizinischen Regelversorgung.
Auswanderung als Alternative?
Die Aufnahme politisch und gesellschaftlich instabiler Staaten wie Bulgarien und Rumänien in die EU begünstigt eine verstärkte Zuwanderung aus diesen Ländern, insbesondere von Minderheiten, die in ihren Herkunftsländern massiv diskriminiert werden und in großer Armut leben. Viele Antonia Neuberger von ihnen gehören der tür7. Semester, Mainz kischsprachigen Minderheit in Bulgarien an oder sind Roma, wobei es in diesem Zusammenhang keine verlässlichen Zahlen gibt. Viele Roma verschleiern ihre ethnische Herkunft aus Angst vor Diskriminierung. Sie alle suchen in Deutschland oft auch langfristig eine Perspektive, um den unwürdigen
Lebensumständen in ihren Heimatländern zu entgehen.
Deutschland – Ausweg aus der Armut?
Bulgarien und Rumänien sind seit 2007 Mitglieder der EU und waren bis zur Aufnahme Kroatiens in diesem Jahr die neuesten Mitgliedsländer. Noch bis zum 01.01.2014 genießen bulgarische und rumänische ZuwandererInnen nicht die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit, was bedeutet, dass die Arbeitssuche für diese Personengruppe durch bürokratische Hindernisse wie die Vorrangprüfung erschwert wird. Doch ohne geregeltes Einkommen finden sie nur schwer eine Wohnung, wohnen daher oft zu mehreren Personen in beengten Räumen, teilweise ohne Mietvertrag und offizielle Meldung, und sind der Willkür der Vermieter hilflos ausgeliefert. Es entwickelt sich ein Teufelskreis aus Jobsuche, schwieriger Wohnsituation und finanzieller Not. Da sie als Arbeitssuchende gelten, deren Aufenthalt in Deutschland zeitlich begrenzt ist, sind sie von Sozialleistung nach Sozialgesetzbuch II ausgenommen und haben allein Anspruch auf Kinder- und Elterngeld. Die zur Beantragung nötigen Behördengänge können sie aufgrund der Sprachbarriere und fehlender Dolmetscher bzw. ungenügender Aufklärung in ihrer Landessprache zu oft nicht durchführen. Migrationsberatungsstellen helfen zwar bei der Lösung dieser Probleme, doch wird diese Arbeit zum großen Teil durch ehrenamtliche MitarbeiterInnen von Hilfsorganisationen gestemmt, welche die steigende Nachfrage nicht abdecken können.
European Health Insurance Card (EHIC) – eine Lösung nur auf dem Papier?
Die Zuwanderung an EU-BürgerInnen führt nicht nur zu Überlastung der MitarbeiterInnen in der Migrations- und Sozialberatung, sondern ist auch unter ÄrztInnen und Mitgliedern des Gesundheitswesens zu spüren. Viele dieser Menschen sind nicht krankenversichert. Einmal, weil sie es sich finanziell nicht leisten können, sich privat oder gesetzlich in Deutschland zu versichern (oder die Krankenkasse ihnen die Aufnahme verweigert), zum anderen weil sie in ihrem jeweiligen Herkunftsland nicht versichert sind. Daher haben sie keinen Anspruch auf die European Health Insurane Card (EHIC), durch welche notwendige medizinische Behandlungen auch im EUAusland durch die Krankenversicherung des Heimatlandes abgedeckt sind. Doch selbst wenn sie über diesen Versicherungsschutz verfügen, können sie ihn praktisch nur schwer in Anspruch nehmen. Viele ÄrztInnen sind darüber nur ungenügend informiert und weisen PatientInnen ohne Krankenversicherung, aber im Besitz einer EHIC oft ab, obwohl diese nur ein Formular ausfüllen müssten, auf dem sie unter anderem die zeitliche Begrenzung ihres Aufenthaltes in Deutschland angeben und bestätigen, nicht zum Zwecke der Behandlung eingereist zu sein. Dieses Formular wird dann bei einer deutschen Krankenkasse eingereicht, die sich zwecks Kostenerstattung über die kassenärztliche Vereinigung an die Krankenkasse des Patienten/der Patientin im Herkunftsland wendet. Doch aufgrund der mangelnden Aufklärung in diesem Bereich kennen viele ÄrztInnen dieses Formular nicht oder haben es nicht in ihren Praxen ausliegen. Weitere Unklarheiten bestehen im Falle einer Schwangerschaft, die Frage, wann Entbindung und Vorsorge über die EHIC abgerechnet werden können, ist strittig. So haben wir in Deutschland die Situation, dass nichtversicherte Kinder von Bulgaren und Rumänen nicht geimpft werden, dass Schwangere keine Vorsorge erhalten und dass Erkrankte nicht behandelt werden. Das Menschenrecht auf medizinische Versorgung im Krankheitsfall gilt in Deutschland für diese Personengruppe nicht und sollte dringend durch gesetzliche Neuregelungen verwirklicht werden.
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Weiterbildung und Patientensicherheit First, do no harm – Aus dem Labyrinth ein guter Arzt zu werden
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eulich fiel mir am Bahnhof wiederholt die Kampagne „Ihre-Aerzte.de – wir arbeiten für Ihr Leben gern“ auf. Ja, das tue ich auch, dachte ich mir. Weiter konnte man lesen „Ich bin Facharzt – ich werde Ihnen fehlen.“ Mmmh, dass wir einen zunehmenden Facharztmangel haben, hört man an jeder Ecke, aber was dagegen tun? Eine Lösung wird hier nicht präsentiert. von Frauke Gundlach
Auch bei weiterer Recherche auf der Homepage lese ich nur von notwendiger Imageaufwertung des Arztberufes, Landärzte unterstützen, Bürokratie abbauen und es gibt auch einen Unterpunkt: Aus- und Fortbildung. Interessant! Dies ist sicher die Rubrik mit konstruktiven Lösungsansätzen, wie wir dem Ärztemangel begegnen können. Leider werde ich enttäuscht – es bleibt oberflächlich. Die Kampagne wirft beim ersten Betrachten einige Fragen auf und gibt kaum Antworten. Als Patientin fühle ich mich verunsichert – wer soll mich in Zukunft versorgen? Als Assistenzärztin vermisse ich die Ursachenklärung und konkrete Lösungsvorschläge, wie man dem Ärztemangel begegnen will. Eines wird dem Leser und der Leserin allerdings klar: Der Weg, ein guter Arzt zu werden, ist lang und endet nie. Es braucht ein langes Studium, eine teils noch längere Weiterbildung und auch danach ist der Entwicklungsprozess nicht abgeschlossen. „Wir lernen ein Leben lang für Ihr Leben gerne.“ Stimmt – denke ich und hier liegt zugleich ein Knackpunkt. Um lebenslang zu lernen, bedarf es eines Raums zum Lernen und eines regen Erfahrungsaustausches zwischen Lernenden und Lehrenden. Gutes ärztliches Handeln setzt nicht nur Wissen und praktische Fähigkeiten voraus. Es bedarf vor allem auch viel Erfahrung. Wie das Wort schon sagt, kann man sich Erfahrung nicht anlesen oder einüben. Es reicht nicht aus, den HEROLD rückwärts herunterbeten zu können. Dieses praktische Wissen muss von Generation zu Generation weitergegeben werden und wird fehlen, wenn die kommenden Ärzte nicht entsprechend ausgebildet werden. Sicherlich muss ein jeder und eine jede seine/ihre eigenen Erfahrungen sammeln
und ein Gespür für Krankheitsverläufe entwickeln. Dieses sollte aber nicht nach dem Prinzip „Trial and Error“, sondern „First, do no harm“ erfolgen. Das Nichtschadensgebot kann im Lernprozess nur unter der Supervision eines erfahrenen Facharztes gewahrt werden, der die Weiterbildung betreut. Wir wollen zum Wohle unserer Patienten lernen und nicht auf ihre Kosten. Der Schlüssel hierzu ist eine gute Aus- und Weiterbildung. Die alltägliche Situation junge, unerfahrene Ärzte und die ihnen anvertrauten Patienten im Nachtdienst, auf Station oder in der Rettungsstelle auf Gedeih und Verderb sich selbst zu überlassen, halte ich im höchsten Maße für fahrlässig. Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ist unsere Arbeitsgrundlage, die wir durch solche Systematiken selber untergraben. Dies führt zu Verunsicherungen der kommenden Ärztegeneration als auch unserer Patienten. Ein jeder Kranker hat ein Recht auf eine gute und fundierte medizinische Betreuung und Therapie. Nicht umsonst gibt es den Begriff Facharztstandard, um eine Behandlungsqualität zu gewährleisten. Ein autodidaktisches Lernen am Versuchsobjekt Patient ist zwar eine Möglichkeit, doch wie vielen Patienten muss ein junger Arzt in diesem Kontext schaden, bis er genug klinische Fähigkeiten gesammelt hat, um dem ersten zu helfen? Wie mir neulich zu Ohren kam, wird von so manchem älteren Kollegen dieser Missstand auch zynisch mit „Jugend forscht“ betitelt. Primum non nocere – das steht schon im Eid des Hippokrates und weiter ist von einem Generationenvertrag zu lesen, der zwischen allen Ärztinnen und Ärzten besteht. Was mir gelehrt wurde, gebe ich an die nächste Generation weiter.
Wer lernt, macht Fehler. Hier bedarf es ausgebildeter Ärzte, die Assistenzärzte in der Behandlung ihrer Patienten begleiten – zum Wohle des Patienten als auch des lernenden Arztes. Nur im ständigen Austausch miteinander ist es möglich Behandlungskompetenz zu erlangen. Der junge Arzt muss seine eigenen Einschätzungen mit denen des älteren Kollegen abgleichen können. Der anleitende Arzt kann bei einer therapeutischen Fehlentscheidung seines Schutzbefohlenen nur intervenieren, wenn er nahe an seinem jungen Kollegen und dessen Patienten arbeitet und so Schaden eingrenzt und besser noch vorbeugt, bevor er entsteht. Oft außer Acht gelassen wird, dass es im Schadensfall nicht nur ein sondern zwei Opfer gibt. Der Behandelnde leidet ebenso wie der geschädigte Patient. Um genau diesem Problem vorzubeugen, seelischen und physischen Schaden von Ärzten und Patienten abzuwenden und das Wesentliche an unserem Beruf hervorzuheben, gibt es einige Kliniken in Ostfriesland und im Westerwald, die bereits das erfolgreiche Konzept des ärztlichen Doppelteams aus einem Fach- und Assistenzarzt zum permanenten Kenntnistransfer und zur praktischen Anleitung durchführen. Last but not least soll hier die Finanzierung bedacht werden. Eine gute Ausbildung verur sacht Kosten. Unser Studium wird zum Großteil über Steuergelder durch die Allgemeinheit bezahlt. Die Finanzierung der ärztlichen Weiterbildung ist jedoch weitestgehend ungeklärt sowie in den DRG und damit in den Gesundheitskosten nicht abgebilFrauke Gundlach, det. Hier bedarf es einer Assistenzärztin, Berlin Klärung. Denkbar wären allgemeine staatliche Zuschüsse, wie in England oder Schweden, welche von den Landesärztekammern verwaltet und an Ausbildungskrankenhäuser weitergeleitet werden. Des Weiteren besteht bereits in einer soliden ärztlichen Ausbildung an sich ein ökonomischer Anreiz. Nichts zahlt sich langfristig gesamtgesellschaftlich mehr aus, als handlungsfähige Ärzte
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mit fundiertem Praxiswissen und Weitblick in der Behandlung ihrer Patienten – also uns allen. Darüber hinaus könnte eine Reduktion von zusätzlichen Krankheitskosten durch Vermeidung von Behandlungsfehlern, entstanden durch eine schlechte ärztliche Weiterbildung, erreicht werden. Die Mehrinvestition, in Form von Lern- und Lehrzeit (sowie ausreichend fachärztliches Personal zur Supervision), würden sich so langfristig in mehrfacher Hinsicht auszahlen. Von einer guten Aus- und Weiterbildung profitieren langfristig alle Akteure des Systems. Was wäre also eine bessere ImageKampagne, als eine neue Generation gut ausgebildeter, vernetzter Ärzte und gelebte Patientensicherheit?
Können wir leider nur bedingt – unserer Ausbildung mangelt es an entsprechenden Rahmenbedingungen
Irrwege im Chaos friedenspolitischer Zusammenhänge?
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as Modul 4 der Medical Peacework e-learning Plattform bietet einen Exkurs über „Strukturelle Gewalt und zugrunde liegende Mechanismen von Bürgerkrieg“. von Svenja Langenberg
Seit 2005 kursiert der aus 7 Modulen zu medizinischer Friedensarbeit bestehende Kurs bei Summer Schools, nationalen und internationalen IPPNW-Studententreffen. Er findet Anklang bei persönlichen Begegnungen und sorgt für Diskussionsbedarf bei interkulturellen Austauschen. Den alltäglichen, oft intuitiven Denkmustern über politische Zusammenhänge wird eine differenzierte theoretische Analyse entgegengesetzt. Allerdings sind die Kurse keine bequeme Bettlektüre. Auf bereitwillig gelieferte Antworten und eindeutige Sichtweisen haben die Autoren bewusst verzichtet. Vielmehr werden Svenja Langenberg Fragen aufgeworfen, 9.Semester, Hannover Ambivalenzen aufgezeigt, Widersprüche deutlich
gemacht. Die realistische Botschaft lautet: Mehrdeutigkeit. Allein gelassen wird der Leser auf seinem Weg durch die Unübersichtlichkeit friedenspolitischer Beziehungen aber trotzdem nicht. Ausgestattet mit einer Vielzahl von statistischen Messgrößen und Konzepten bietet sich ihm eine geeignete Grundlage, um aktuelle und vergangene Konflikte an entscheidenden Punkten zu hinterfragen und gedanklich zu strukturieren. Was für Mechanismen werden unter dem Begriff „strukturelle Gewalt“ zusammengefasst? Teilen wir eigentlich alle dieselbe Vorstellung, wenn wir das Wort „Entwicklungsarbeit“ gebrauchen? Inwiefern sind die beiden Phänomene daran beteiligt, Rahmenbedingungen für den Ausbruch eines Bürgerkrieges zu schaffen? Und was für einen Einfluss üben Faktoren wie Ethnien, politisches System und Geschichte eines Landes aus?
Vor allem aber: Lassen sich gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche Stellschrauben identifizieren, mit deren Hilfe sich das Risiko für potenzielle Konflikte verringern ließe? Diese Fragen versucht Kurs 4 der Plattform zu diskutieren. Als Basis dient Galtung’s Konzept struktureller Gewalt als unnötige Verletzung von Grundbedürfnissen, die durch politische oder sozioökonomische Strukturen hervorgerufen wird. Drei gesellschaftliche Brennpunkte offenbaren sich als essentielle Bestandteile: Armut, Ungleichheit und medizinische Versorgung. Einige Fakten genügen, um ein Bild von dem zu erzeugen, was mit struktureller Gewalt gemeint ist. Der Fakt, dass die durchschnittliche Lebenserwartung in Afrika um 30 Jahre unter derer unserer Bevölkerung liegt, ist Ungleichheit in Höchstausprägung. Auch die health-adjusted life expectancy, die Anzahl gesund erlebter Jahre, schwankt zwischen 78 Jahren in Japan und 27 Jahren in Sierra Leone. Währenddessen bleibt 800 Millionen Menschen der Zugang zu medizinischer Grundversorgung komplett verwehrt. Vielleicht noch subtiler manifestiert sich strukturelle Gewalt, wenn gesellschaftliche Randgruppen betroffen sind. Die wenigsten wissen, dass Migranten häufiger
Ethik in der Medizin
eines der Anliegen der Autoren. Also korrigiert der Kurs das zu einfache, ursprüngliche Verständnis von Ethnien als deutlich definierte und identifizierbare Gruppierungen, deren Identität primär durch Rasse und Religion charakterisiert ist. Wahr ist: Ethnizität scheint oft stark im Selbstbild von Bevölkerungsgruppen verwurzelt. Häufig werden geschichtliche Verläufe allerdings schlicht umgeschrieben oder ethnische Identität im Vorfeld von Kriegen als Propagandamittel verschärfend hervorgehoben. Serbischer Nationalismus entfachte sich vor allem in den 1990er Jahren mit Rückblick auf mittelalterliche Auseinandersetzungen, die jahrhundertelang keine Rolle mehr gespielt hatHerausforderungen in dieser Hinsicht ten. Der südafrikanische Staat in der Ära der werden schnell deutlich. Schon der scheinApartheit konstruierte und streute bewusst bar simple Versuch, den Zustand von Armut Identitäten unterschiedlicher Stämme, um zu definieren, wirft Fragen auf, sobald konmit der Aufsplitterung der nicht weißen Bekrete Grenzen gesetzt werden müssen: 2,5 völkerung von Protesten gegen das Regime Billionen Menschen müssen mit weniger als abzulenken. Und selbst in Ruanda, wo ein 2 Dollar pro Tag als Existenzgrundlage ausUnterschied zwischen Tutsi und Hutu als kommen. Diese ohne Zweifel schockierend hohe Zahl von Menschen dürfte laut Doch wo im komplexen Zusammen- zentraler Konfliktpunkt Thema diverser Weltbank-Definition von Armut (unter 1,25 spiel aller Mechanismen ist ein historischer, biologischer oder kultureller Untersuchungen ist, zeigt sich: Der Begriff Dollar mögliche Ausgaben pro Tag) aber Eingreifen konstruktiv, wo trägt „Hutu“ entstand im Verlauf des 16.–19. nicht einmal als arm bezeichnet werden. Wie arm muss ein Mensch also sein, Veränderung zur Linderung des Jahrhunderts als kollektive Bezeichnung für alle Gruppen, die sich in von Tutsi um sich „arm“ nennen zu dürfen? Konfliktpotenzials bei? kontrolliertem Land niederließen. Über Die Praxis, einen finanziellen Betrag die Jahrhunderte vermischten sich beide festzusetzen, der sich an der Erfüllung Bevölkerungsanteile unvermeidlich, wähFührers kann in solchen Situationen ausminimaler körperlicher Bedürfnisse orienrend politische Identifi kation hauptsächlich reichen, um generalisierte, gewalttätige tiert, stößt an moralische Grenzen. Das durch Familie und Region erfolgte. Erst in Auseinandersetzungen zu entfachen. EntEntwicklungsprogramm der Vereinten Natiden 1860er Jahren schürte König Rwabugsprechend sind Staaten mit multiethnischer onen schlägt deshalb in seinem „capability iri nach seiner Machübernahme ein Klima (und im Kräfteverhältnis unausgeglichener) approach“ ein humaneres Verständnis von ethnischer Feindlichkeit, indem er wohlhaZusammensetzung vor allem mit der GeArmut vor: Armut als Barriere zu einem bende Familien und besser gestellte Viehfahr legitimierter Ausschlusspolitik in Form wertvollen und gleichzeitig wertgeschätzten besitzer als Tutsi deklarierte und Hutu, die konstitutionell verankerter Benachteiligung Leben. Der dazugehörige „Human Deveals günstige Arbeitskräfte eingestellt wurkonfrontiert. Hier sorgt bewaffneter Widerlopment Index“ (HDI) bezieht dementspreden, systematisch diskriminierte. stand unterdrückter Gruppen und rapide, chend auch Parameter wie LebenserwarAll diese Beispiele zeigen eindrücklich, drastische Umordnung der Kräfteverhälttung, Lesefähigkeit und Zugang zu Bildung wie der Ethnizitätsbegriff von Regierungen nisse schnell für totale Instabilität und postmit ein. Die Tatsache, dass Länder mit sehr instrumentalisiert und genutzt wird, um revolutionäre Dauerzustände. Nicht selten unterschiedlichem Bruttoinlandsprodukt Bevölkerungsgruppen für ihre Ziele zu mokommt es im Rahmen dieser Umstürze zu ähnliche HDIs erreichen können, widerlegt bilisieren. Ethnizität kann also einen bedeuFormen ethnischer Säuberung und Migratidie gemeingültige Vorstellung von Wachstenden Beitrag leisten bei der Entstehung onswellen. tum als unmittelbarem Schlüssel zu Lebensvon Bürgerkriegen, primärer Anlass ist sie Zugegeben: Erstaunen lösen diese Moqualität. Vietnam beispielsweise hat ein halb aber nicht zwangsläufi g. delle beim Leser vielleicht nicht unbedingt so großes BIP wie Guatemala, weist aber aus. Dennoch erleichtern sie, einmal nacheinen höheren HDI vor. Ein überzeugender Was außerdem völlig aus dem Blickfeld vollzogen, das Einordnen gewaltsamer Beleg für den großen Einfluss politischen gerät: Die meisten Gesellschaften enthalten Konfl ikte in den politischen GesamtzusamHandlungswillens. eine Vielzahl von friedlich und durchmischt menhang. nebeneinander lebenden Ethnien. StatiLeider wurde das konstruktive politische stische Modelle weisen sogar darauf hin, Auch duldet der Medical Peace Work Gestaltungspotenzial bisher praktisch ins dass die Friedenswahrscheinlichkeit mit Kurs keine allgemein verbreiteten DenkGegenteil gekehrt. Regierungen provoder ethnischen Diversität in Gesellschaften schemata, sondern grenzt Begriffe wie zierten durch ihr Handeln den Ausbruch steigt – solange die Kräfteverhältnisse rela„Ethnie“ klar ein. Sicherzustellen, dass bei von Bürgerkrieg – durch das Initiieren der tiv balanciert sind. Eine Erkenntnis, die das Gesprächen über Frieden dieselbe TerminoMassentötungen wie in Ruanda 1994, oder logie eine verlässliche Grundlage bietet, ist durch übersteigert brutale Antworten auf an Schizophrenie erkranken oder dass die Tuberkulose-Rate unter russischen Gefängnisinsassen höher ist, als in der restlichen Bevölkerung. Und warum wundert sich niemand mehr über die überproportional hohe Rate an AIDS-kranken Frauen in Afrika? Genau das ist aber die Gefahr im Umgang mit struktureller Gewalt. All dies sind Zustände, die nach Aufmerksamkeit schreien. Sie als natürliche und gegebene geschichtliche Nebeneffekte zu akzeptieren, ist eine fatale Missinterpretation. Dringend muss die Suche nach ihren Ursachen intensiviert und professionell gestaltet werden.
eher moderate Aufstände wie im Kosovo. Und selbst in Nigeria, Sri Lanka, Kroatien oder Bosnien, wo der Ausbruch des Bürgerkrieges von Autonomiebewegungen ausging, haben Regierungen mit ihrer Toleranz bzw. Organisation von Pogromen im Vorfeld fruchtbaren Boden für Gewalt geschaffen. Ist also eine schwache, fehlagierende Regierung die eigentliche Ursache für den Ausbruch gewalttätiger Konflikte? Nicht nur. Holsti schließt in seiner Arbeit über „Political causes of humanitarian emergencies“ auf zusätzliche Risikofaktoren. So ist jede Staatsform, abhängig von ihren jeweiligen Rahmenbedingungen, vulnerabel für bestimmte Arten von Ausschlusspolitik und plötzlichen Ereignissen, die den Konflikt eskalieren lassen. In neuen, noch nicht etablierten Staaten muss mit Wahlfälschungen im Sinne illegitimer Ausschlusspolitik gerechnet werden. Der Tod oder Mord eines politischen
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Bestreben nach gegenseitiger, friedlicher Verständigung bestärkt. Doch wo im komplexen Zusammenspiel aller Mechanismen ist ein Eingreifen konstruktiv, wo trägt Veränderung zur Linderung des Konfliktpotenzials bei? Dafür endet der Medical Peace Work Kurs mit einer Vielzahl von Impulsen. Neben Eigeninitiative der nationalen Regierungen ist auch die internationale Staatengemeinschaft gefordert, endlich unterstützende Maßnahmen zu ergreifen und von etablierten, auf eigene Vorteile bedachten Handlungsmustern abzuweichen. Dazu zählt vor allem, die seit Jahren in der WTO anhaltenden Verhandlungen zu Handlungsbarrieren abzubauen und die Märkte für Güter aus ärmeren Ländern zu öffnen. (Agrar-)subventionen, mit denen günstige Produkte aus Industrienationen die Märkte in Entwicklungsländern fluten, zerstören weiterhin die Existenzgrundlagen lokaler Produzenten. Handelsbeziehungen mit direkten Konsequenzen auf den Gesundheitssektor wie das TRIPS-Abkommen (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) müssen dringend überdacht und dürfen auf keinen Fall – wie momentan der Trend – ausgeweitet werden. Auch die blühende Waffenindustrie schafft eine kontinuierlich zunehmende Grundlage für generalisierte bewaffnete Konflikte. Zwei Drittel der Exporte aus reichen Nationen werden in Entwicklungsländer geliefert. Eine besondere Bedrohung ist der Handel mit Kleinwaffen: Günstig und leicht verfügbar ist die Zahl der Kleinwaffen inzwischen im Bereich von 640 Millionen angelangt, deren Gebrauch jährlich eine halbe Million Opfer fordert. Aber auch Handel, dessen Erlös dank undurchschaubarer Strukturen direkter Finanzierung von Krieg und militärischen Auseinandersetzungen dient (vor allem natürliche
Ressourcen und Rohstoffe wie Öl, Kaffee oder Diamanten) sollte besserer Kontrolle unterstellt werden. Teure, undurchsichtig gestaltete Finanztransaktionen und unfaire Vertragsbedingungen bei der Kreditvergabe sind außerdem ein großes Hindernis ökonomischen Wachstums in Entwicklungsländern. Sie müssen überdacht und neu gestaltet werden. Funktionierende Indikatoren für Kreditwürdigkeit sind dafür ebenso nötig wie parlamentarische bzw. zivilgesellschaftliche Kontrolle über Geldgeschäfte nationaler Regierungen.
Direkte finanzielle Hilfe spielt eine große Rolle bei der Unterstützung von ärmeren Ländern, die in Entwicklung investieren wollen. Die Aufteilung in unterschiedliche Kostenträger ist sinnvoll und sollte beibehalten werden: Sowohl von internationalen Institutionen (z. B. Weltbank, europäische Kommission), als auch von nationalen Behörden (z. B. Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit) und Nichtregierungsorganisationen (z. B. Oxfam). Die eigentlich in politischer Praxis fest verankerten Budgets zur Entwicklungshilfe sind seit der Finanzkrise 2008 aufgeweicht worden und sollten wieder auf ihren ur-
sprünglichen Stand zurück geführt werden. Die Wirksamkeit finanzieller Hilfe ist belegt, muss aber hinsichtlich ihrer Effizienz besser überprüft werden. Viele Hilfsprogramme sind durch ineffektive Konzepte und Korruption in entsprechenden Empfängerländern fehleingesetzt worden. Offensichtliches Problem ist auch die Tendenz der Geber, mit Eigeninteressen behaftete Länder bevorzugt zu unterstützen. Trotz allem – statt resignativer Aufgabe finanzieller Unterstützung sollte der Fokus in diesem Bereich auf Reformen liegen. Diese letzte Betrachtung zeigt noch einmal deutlich, wie unausgeglichen Macht und Einflussnahme zwischen Industrienationen und Entwicklungsländern sich in der Gegenwart gestalten. Auch hier, im übergeordneten Zusammenhang, sind Reformen nötig, die das System globaler Regierungen fairer und weniger konfliktprovozierend gestalten und damit Mechanismen struktureller Gewalt so drastisch wie möglich reduzieren. Was aber ist abschließend zu sagen? Das Konzept von Medical Peace Work bietet eine gelungene und nachvollziehbare Einführung in die Komplexität friedenspolitischer Zusammenhänge. Es eröffnet neue, konstruktive Vorstellungen von medizinischer Verantwortung, strukturiert und vertieft bisheriges Wissen und bietet konkrete Ansatzpunkte für zukünftiges Handeln im Sinne medizinischer Friedensarbeit. Eine – frei zugängliche, kostenlose, fast unverzichtbare – Hilfe bei der Suche nach sinnvollem, durchdachtem Engagement und Auswegen aus tief verwurzelten, subtilen Mechanismen struktureller Gewalt. www.medicalpeacework.org
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Interessenkonflikte in der Forschung
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tudien spielen eine wichtige Rolle, wenn es um die Markteinführung von Medikamenten und das Verschreibungsverhalten von Ärzten geht. Die in solchen Studien generierte Evidenz ist die Basis vieler Entscheidungen in der Medizin und Grundlage der sogenannten evidenzbasierten Medizin. von Juwita Hübner
Oft dienen diese Studien jedoch nicht mehr vornehmlich der wissenschaftlichen Evidenz, sondern schlichtweg dem Marketing zum besseren Verkauf der Medikamente. So kann z. B. die Finanzierungsquelle einer Studie die Ergebnisse zugunsten des Geldgebers beeinflussen – dies wird als „funding effect“ bezeichnet. Eine weitere Beeinflussungsmethode sind die Geschenke von Probepackungen bestimmter, besonders neuerer, Medikamente der Pharmavertreter an Ärzte. Diese wiederum verschreiben das besagte Medikament im Anschluss häufiger. Psychologen zeigten nämlich, dass Geschenke – selbst kleine – beim Beschenkten das Gefühl auslösen, dies erwidern zu müssen. Derartige und andere Interessenkonflikte müssten prinzipiell in veröffentlichten, wissenschaftlichen Artikeln deklariert werden. Welchen Effekt dies auf den Leser hat, blieb allerdings lange unerforscht.
Wie wirken sich Industrie-gesponserte Medikamentenstudien auf das Verschreibungsverhalten von Ärzten aus? In einem 2012 im New England Journal of Medecine publizierten Artikel wurde untersucht, wie sich deklarierte Interessenkonflikte bezüglich der Projektfinanzierung auf Ärzte auswirken. Die Finanzierung stammte dabei von der Pharmaindustrie, dem NIH (National Institute of Health = nationales US-Gesundheitsinstitut) oder Projekt-intern ohne externe Finanzierung. Interessanterweise führte das Offenlegen der Finanzierung durch ein pharmazeutisches Unternehmen im Vergleich zu keiner externen Finanzierung tatsächlich zu einer reduzierten Bereitschaft das Medikament zu verschreiben. Auch beim Vergleich Industrie vs. NIH wurden die Industrie-gesponserten Medikamente nur halb so häufig verschrieben. In anderen Studien wurde allerdings paradoxerweise gezeigt, dass die Be-
kanntmachung von Interessenkonflikten die Vertrauenswürdigkeit der Autoren sogar erhöhen kann. Letztendlich sollte allerdings die methodische Genauigkeit und nicht die Offenlegung der Finanzierung die primäre Determinante der Glaubwürdigkeit der Studie sein, sodass exzessiver Skeptizismus auch schädlich sein kann. Dennoch könnte ein größerer Anteil an öffentlich finanzierten Geldern in Studien die Skepsis der Ärzte möglicherweise reduzieren und zu valideren, unabhängigeren Ergebnissen führen. Dennoch sollte man wohl allen klinischen Studien, unabhängig von der Finanzierung, Aufmerksamkeit schenken – allein aus moralischen Gründen den darin freiwillig involvierten Patienten gegenüber.
Gibt es Anlass zur Sorge, wenn Sponsoring durch Pharmafirmen zu finanziellen Interessenkonflikten führt? Spielmanns und Parry analysierten 2009 hunderte interne Dokumente von Pharmafirmen, die im Zuge von Gerichtsverfahren offengelegt wurden. Diese decken erschreckende Praktiken der Pharmaindustrie auf. So werden negative Ergebnisse, die z. B. die Wirksamkeit eines neuen Medikaments nicht bestätigen, unter Umständen nicht publiziert, um die Vermarktung nicht zu beeinträchtigen (hier besteht auch keine Verpflichtung vonseiten der Pharmafirmen, wenn z. B. die Studien, bei sich bereits abzeichnenden, unerwünschten Ergebnissen, noch rechtzeitig abgebrochen werden). Oder es kommt zu Verzerrungen indem positive Ergebnisse hervorgehoben und die negativen unter den Tisch fallen gelassen werden. Oft praktiziert ist auch das „data fishing“, bei dem erst nach Erheben der Daten nach positiven Zusammenhängen gesucht wird, die eine Wirksamkeit des Medikaments bestätigen könnten, obwohl sie im vorher festgelegten Studienprotokoll nicht auftauchten.
Pharmafirmen müssen die Daten ihrer klinischen Studien für die Zulassung in den USA bei der Food and Drug Administration (FDA) einreichen. 97 % der Studien, bei denen auch die FDA ein positives Ergebnis sah, wurden publiziert, im Gegensatz zu nur 50 % bei Studien, deren Ergebnis laut FDAUrteil fragwürdig war. Auch Wissenschaftler werden von Pharmafirmen beeinflusst. Wenn ein eigentlich unabhängiger Wissenschaftler dem Paper quasi seinen Namen leiht, um den Bezug zur Pharmabranche zu verschleiern, nennt man dies „ghostwriting“. Das Manuskript wird jedoch von einer Pharmafirma erstellt. Diejenigen, die als Autor erscheinen, sehen die vorformulierte Version, schreiben jedoch selbst wenig und haben kaum Zugriff auf die Rohdaten. Ein weiteres Phänomen ist „disease mongering“. Es bedeutet die üblichen Definitionsgrenzen einer Krankheit auszudehnen, d. h. auch subklinische oder sogar normale Symptome miteinzuschließen, um ein Medikament breiter verkaufen und vermarkten zu können. Auch Ärzte selbst sind direkt vom Marketing der Pharmafirmen betroffen. Sie sortieren die Ärzte in Charakter-Kategorien wie „high flyer“ oder „rule bound“. So können die Werbestrategien gezielt angepasst werden. Ein „high flyer“ z. B. versucht sich immer auf dem aktuellsten Stand zu halten und verschreibt eher neue Medikamente. Um Objektivität zu gewährleisten sollen Peer-reviewed Zeitschriften mögliche Ungereimtheiten aufdecken, doch dieses System ist nicht ausreichend. Schließlich haben auch die Journals einen Nutzen davon, wenn ein Aufsehen erregender Artikel vielfach heruntergeladen oder gedruckt wird. Für eine kri- Juwita Hübner 7. Semester, Hannover tische Lektüre dieser Artikel haben jedoch gerade die später verschreibenden, niedergelassenen Ärzte nur unzureichend Zeit und Zugang zu diesen teuren Publikationen. Oft muss sich – wenn überhaupt – mit einem Abstract begnügt werden. Bedenken sollten aber zum Beispiel geweckt werden, wenn die Studiendauer nur wenige Monate beträgt, weil so Langzeitnebenwirkungen gar nicht beurteilt werden können.
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Im schlimmsten Fall werden Interessenkonflikte gar nicht offengelegt: Beispiel DSM-5 Besonders in der Psychiatrie wurden viele Fälle von problematischen Interessenkonflikten öffentlich, u. a. bezüglich des DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders). So wurde in Frage gestellt, ob die Neuaufnahme von Krankheiten in den Katalog durch unlauteren Einfluss der Industrie zustande kam. Die-
dererseits führt die verpflichtende Bekanntmachung von Interessenkonflikten nicht zu deren Verringerung und auch nicht zur Minimierung der Voreingenommenheit der Studie, sondern möglicherweise dazu, dass jede (auch bisherige) Verbindung (z. B. auch zu Bundesanstalten) aufgelistet wird. Dies kann so weit gehen, dass das Problem des „Signal-Rausch-Verhältnis“ auftritt: Wirklich problematische finanzielle Beziehungen zur Industrie würden durch die Masse an Verbindungen quasi verschleiert. Wirkliche Abhilfe würde nur geschaffen, wenn alle Ausschussmitglieder wirklich frei von finanziellen Interessenkonflikten wären.
Die nächsten Handlungsschritte?
se Bedenken sind begründet, da der DSM einen großen Einfluss auf viele Bereiche hat – von Versicherungs- zu Rechtsansprüchen. Im DSM-IV gab es gar keine Offenlegung von Interessenkonflikten von Seiten der Ausschussmitglieder, zumindest dies wurde im DSM-5 nun verpflichtend eingerichtet. Interessanterweise findet man die meisten Interessenkonflikte in Ausschüssen zu Krankheiten, bei denen die pharmakologische Therapie der Goldstandard ist. An-
Interessenkonflikte wird es auf absehbare Zeit geben, da auch die medizinische Wissenschaft heutzutage immer mehr von der Wirtschaft abhängig ist. Allerdings sollte der Zugang zu den Rohdaten erleichtert werden, damit die Daten in publizierten klinischen Studien mit dem ursprünglichen Protokoll und den Ergebnissen verglichen werden können (natürlich vorausgesetzt, dass hier ehrlich und wissenschaftlich korrekt alle Daten eingegeben wurden). Wichtig wäre hierbei auch eine Dokumentation der abgebrochenen Studien. Vielleicht sollten Journals die Studien auch gar nicht mehr selbst veröffentlichen, sondern eher ihre Validität in Artikeln diskutieren.
Quellen: Spielmans GI, Parry PI: From evidence-based medicine to marketing-based medicine: evidence from internal industry documents. J Bioeth Inq 2009; 7: 13–29. Cosgrove L, Krimsky S: A Comparison of DSM-IV and DSM-5 Panel Members‘ Financial Associations with Industry: A Pernicious Problem Persists. PLoS Med 2012; 9(3): e1001190. doi:10.1371/journal. pmed.1001190 Kesselheim AS, Robertson CT, Myers JA: A randomized study of how physicians interpret research funding disclosures. N Engl J Me. 2012; 367(12):1119-27 Lacasse JR, Leo J: Ghostwriting at Elite Academic Medical Centers in the United States. PLoS Med 2010; 7(2): e1000230. doi:10.1371/journal. pmed.1000230
All Trials Registered – All Results Reported Die AllTrials Kampagne ist eine Initiative verschiedener Organisationen (u. a. BMJ, Cochrane Collaboration, PLOS und Dartmouth’s Geisel School of Medicine), die im Januar 2013 gestartet wurde. Das Ziel ist die uneingeschränkte Veröffentlichung vergangener und aktueller klinischer Studien und ihrer Ergebnisse. Ein Aktionsplan wurde erarbeitet. Die Umsetzung kann von Einzelpersonen mit Hilfe von Unterschriften für die Petition und durch Spenden gefördert werden unter: www.alltrials.net.
Von Mäusen und Menschen Tierexperimentelle Gedanken zur Forschungsethik
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ua! Die Maus hatte sich an meinem Finger festgebissen. Ich unterdrückte den Reflex, das Tier abzuschütteln und löste es vorsichtig von meiner Hand. Zurück in ihrem Käfig, lief die Maus aufgebracht hin und her. von Thu Huong Vu
Eigentlich ka nn ich es ihr nicht verübeln, dass sie sich wehrt. Denn in einem Labor erwartet das Versuchstier kein angenehmes Schicksal: Lebenslange Krankheit durch ein ausgeknocktes Gen, invasive Eingriffe und falls es Glück hat, wird seine Leidenszeit durch einen frühen Tod zwecks Organentnahme beendet. „Sacrifice it“ heißt es dann im Fachenglisch, das Tier „opfern“ – im Dienste der Wissenschaft. Für Fortschritte in der Forschung, neue Therapien, sichere Medikamente werden jährlichen Schät-
zungen zufolge etwa 100 Millionen Tiere weltweit genutzt und getötet. Dabei gibt es grob drei Nutzungsbereiche: 1. die Experimente am Tier als lebendes biologisches System für die Grundlagenwissenschaft 2. die Produktion biologischer Substanzen, wie Impfstoffe und bestimmte Medikamente 3. die Testung von Medikamenten und medizinischen Produkten auf ihre Sicherheit.
Angesichts der Grausamkeit wissenschaftlicher Tierversuche werden Forderungen nach Tierschutz laut und es stellen sich zwei grundsätzliche Fragen: • „Sind Tierexperimente der Grundlagenforschung überhaupt von Nutzen für den Menschen?“ und • „Ist es moralisch gerechtfertigt, Tieren für einen potentiellen Nutzen für die Menschheit Leid und Schmerz auszusetzen?“ Tierversuche sind nur dann für den Menschen von Nutzen, wenn deren Ergebnisse valide und auf den Menschen übertragbar sind. Ein Großteil der aktuellen Forschung stützt sich auf die Annahme, dass gewisse Erkenntnisse über den tierischen Organis-
Ethik in der Medizin
mus auch auf den Menschen übertragbar seien. Fakt ist, dass wichtige naturwissenschaftliche Erkenntnisse und medizinische Erfolge durch Tierversuche erlangt wurden. Beispielsweise waren es Versuche an Hunden, die zur Entdeckung der Rolle des Pankreas bei Diabetes und damit maßgeblich zur Entwicklung der lebensrettenden Insulintherapie beigetragen hatten. Andererseits können speziesspezifische Unterschiede zu falschen Schlussfolgerungen führen. Medikamente, die in vorangegangenen Tierexperimenten an Affen mit Schlaganfall eine Regeneration geschädigter Hirnmasse bewirken konnten, zeigten im Menschen keinen positiven Effekt. Auch Medikamente, wie Thalidomid, zeigten fatalerweise erst im Menschen schwerwiegende Nebenwirkungen. Diese Beispiele zeigen weder, dass Tierversuche für wissenschaftlichen Fortschritt unentbehrlich, noch, dass sie völlig unnütz sind.
Der Utilitarismus Der utilitaristische Ansatz vertritt die Meinung, dass Tierversuche nur ethisch vertretbar sind, wenn der daraus entstehende Nutzen für die Menschheit gegenüber dem den Versuchstieren zugefügten Schaden überwiegt. In die ethische Gleichung fließen somit sowohl Nutzen- als auch Kostenaspekte ein:
Die Gleichung stellt sich allerdings als unlösbar heraus, denn während der Schaden, den das Versuchstier bei einer Versuchsdurchführung erleidet, sicher ist, ist der Nutzen daraus nicht vorhersagbar, geschweige denn garantiert. Auch kann der moralische Wert eines Lebewesens, sei es Mensch oder Tier, nicht gemessen werden. Woraus ergibt sich überhaupt der moralische Status?
Der moralische Wert eines Lebewesens Dazu existieren bereits drei verschiedene Positionen: a) Tiere haben keinen moralischen Status. Erkenntnistheorien, wie die von René Descartes (1596 – 1650), zufolge unterscheide sich der Mensch vom Tier durch seine „geistige Substanz“, die res cogita. Nur der Mensch habe also ein Bewusstsein, Tiere dagegen empfänden weder Freude noch Schmerz. Auch Immanuel Kant (1724 – 1804) vertrat die anthropozentrische Ansicht, der Mensch habe einen Sonderstatus, da nur er zu Selbstverpflichtung und einem am Sittengesetz ausgerichteten Leben fähig sei. Wenn also nur der Mensch einen besonderen moralischen Status innehabe, gebe es keine Verpflichtungen Tieren gegenüber. Ein Verbot von Tiermisshandlung resultiere nicht aus Unrecht gegenüber dem Tier, sondern weil der Tierquäler sich durch sein Handeln in der moralischen Fähigkeit selbst schwäche. Unfähigkeit zu Empathie und Rücksichtslosigkeit beispielsweise würden damit das Zusammenleben mit seinen Mitmenschen gefährden. Nichtsdestotrotz würde auf Grundlage dieser Ansichten der Tierschutz vermutlich gering ausfallen, da dem Tier kein Eigenwert zugeschrieben wird. Anders verhält es sich mit der nächsten ethischen Überlegung. b) Tiere haben einen äquivalenten moralischen Status wie Menschen. Diese Auffassung kann wiederum anhand zweier unterschiedlicher Theoriemodelle begründet werden: auf Tierinteressen bzw. Tierrechte. Tierinteressen In diesem Modell nach Peter Singer (*1946) und Jeremy Bentham (1748 – 1832) wird der moralische Status von der Interessen- und Leidensfähigkeit eines Lebewesens abhängig gemacht. So hieße die Frage nicht „Can they think?“, sondern „Can they suffer?“. Experimente an Tieren seien also diskriminierend, weil auch Tiere leiden können und ein Interesse an Schmerzfreiheit und Leben haben. Daraus resultiert theoretisch eine Aufwertung von
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interessefähigen Tieren bei gleichzeitiger Abwertung von nicht interessefähigen Menschen. Konkret würde dies bedeuten, dass schmerzhafte Versuche an Tieren, jedoch nicht an menschlichen Embryonen verwerflich wären, da diese noch keine Interessen haben können. Desweiteren kann man dieses Modell auch aus der utilitaristischen Perspektive betrachten: Die Versuche sind gerechtfertigt, da der Nutzen bezogen auf das Kollektiv der profitierenden Menschen größer ist als das Leid weniger Tiere. Übertragen auf die oben aufgestellte Gleichung, würde der Nutzen willkürlich größer als der Schaden gesetzt werden. Allerdings kann diese Aussage auch als Argument gegen Tierversuche eingesetzt werden. Denn nach Bonnie Steinbock und Heike Baranzke beruhe die Gleichheit der Menschen nicht auf empirischen Eigenschaften, sondern werde von vornherein festgelegt. Wenn der moralische Wert eines Menschen aber nicht von seinen Eigenschaften abhänge, könne es auch keine Kriterien geben, die ein Tier erfüllen müsste, um moralisch wie ein Mensch zu gelten. Die These, Tiere seien moralisch weniger wert, hätte dadurch keine Begründung. Tierrechte Wenn das Prinzip der Menschenrechte auf Tiere ausgeweitet wird, also alle Lebewesen allein schon durch das Vorhandensein von individuellem Wohlergehen Träger von Rechten – mit Eigenwert sind, sind Tierversuche in jedem Fall ausgeschlossen. Ebenso wäre aber auch der Fleischverzehr untersagt. Hier greift also das „Argument der Grenzfälle“, welches unter anderem bei geistig behinderten Menschen oder menschlichen Feten seine Anwendung findet: Selbst wenn ein Lebewesen nicht zu wechselseitiger Anerkennung und Einsicht in der Lage ist, so besitzt es dennoch Rechte, die zu schützen sind. Es geht also mehr um Gerechtigkeit als um die Barmherzigkeit gegenüber anderen Lebewesen. Thu Huong Vu
c) Tiere haben einen 7. Semester, Hannover nachgeordneten moralischen Status. Diese Meinung wird auch mit dem Begriff der „Doppelstandardtheorie“ zusammengefasst. Danach gebe es Pflichten sowohl gegenüber Mensch als auch Tier, jedoch seien diese
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Ethik in der Medizin
unterschiedlich. Tiere seien zwar schützenswert, ihre Interessen aber seien in Konkurrenz mit denen der Menschen nachrangig. Differenzierter sieht es der Philosoph Jürgen Habermas (*1929). Er koppelt den ethischen Status eines Tieres mit dem Grad der sozialen Interaktion mit dem Menschen. Dies zeigt sich vor allem in unserem Umgang mit hoch entwickelten Säugetieren, wie Pferden oder Delphinen, zu denen wir häufig eine stärkere moralische Bindung aufbauen als z. B. zu Würmern und Insekten. Auf dieser Grundlage ist auch das deutsche Tierschutzgesetz konzipiert, welches Tierversuche erlaubt, allerdings Einschränkungen zum Schutz vor allem von Säugetieren und höher entwickelten Wirbeltieren vorsieht.
algetika untersucht werden kann. Auch die Traumaforschung, bei der den Tieren systematisch bestimmte Körperverletzungen zugefügt werden, gehört zu den Bereichen, in denen eine technische Verfeinerung nur schwer realisierbar ist. Reduction Hierbei soll die Anzahl der verbrauchten Versuchstiere möglichst klein gehalten werden, ohne dass die statistische Signifikanz
Die drei Rs
der Ergebnisse beeinträchtigt wird. Zu diesem Aspekt gehört also die Konsultierung eines Statistikers, der nicht nur die minimale Anzahl benötigter Tiere ermittelt, sondern eventuell auch die statistische Analyse der Daten optimiert. Außerdem können Kooperationen von Forschungsgruppen verhindern, dass es zu Duplikationen von Experimenten kommt, und Techniken verbessert werden, durch die weniger Tiere an Fehlversuchen sterben müssen (dropouts). Replacement In erster Linie wird dies durch den Ersatz von hoch entwickelten Tieren, wie Säugetieren, gegen möglichst „niedere“ Tierarten, wie Würmer, umgesetzt. „Replacement“ bedeutet auch der vollständige Verzicht auf Versuche mit lebenden Tieren (in vivo) zugunsten anderer Methoden. Organisationen, wie z. B. NEAVS (New England Anti-Vivisection Society) und CAAT (Center for Alternatives for Animal
Zudem liegt auch vielen anderen Tierschutzgesetzen das Prinzip der drei Rs zugrunde: reduction, replacement, refinement. Refinement Die Techniken, die bei Tierversuchen angewandt werden, werden soweit verbessert, dass Schmerzen und Leiden der Tiere auf ein Minimum reduziert sind. Dafür können z. B. operative Eingriffe weniger invasiv gestaltet, Schmerzen medikamentös behandelt, die Lebensumstände verbessert oder die Zeit in Krankheit durch frühe Endpunkte möglichst kurz gehalten werden. Einige Aspekte sind in der Wissenschaft manchmal schwer umzusetzen, da bestimmte Tiermodelle und Forschungsziele, wie die zu Schmerz- und psychiatrischen Erkrankungen, das Leiden von Tieren sogar erfordern. In solchen Fällen müssen die Tiere also Angst oder Schmerz empfinden, damit die Wirkung von Psychopharmaka oder An-
Und jetzt?
Nichts ist gut in Fukushima
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ange Zeit war das Thema Fukushima aus der öffentlichen Diskussion unter dem Motto „Noch mal Glück gehabt!” verschwunden. Dabei war von Anfang an klar, dass eine Kernschmelze nicht einfach zu löschen ist und dass es in der Folge zu massiven Gesundheitsproblemen kommen wird. von Ewald Feige
Nun kommt die Betreiberfirma Tepco zunehmend in die Schlagzeilen, weil die Gefährdung der Bevölkerung offensichtlich nicht annähernd ernst genommen wird.
Testing), setzen sich in diesem Rahmen für die Entwicklung solcher Methoden, wie Zellkultur- (in vitro) und Computermodelle (in silico) ein. Außerdem gäbe es die Option, Versuche an sich freiwillig zur Verfügung stellenden Menschen durchzuführen oder auf epidemiologische Studien zurückzugreifen, aber auch dies stellt für viele Fragestellungen der Wissenschaft keine Lösung dar.
Da werden Messgeräte manipuliert, indem sie ummantelt werden, oder nur max. 100 Millisievert (mSv) anzeigen können, die Belastung also max. diesen Wert erreichen
Die Maus hinterließ schließlich nur zwei kleine Flecken an meinem Finger, der Handschuh hatte mich geschützt. Und mir wird klar, dass diese kleine Maus mir letztendlich völlig ausgeliefert ist. Egal, wie sehr sie sich wehrt. Allein deswegen schon fühle ich eine gewisse Verpflichtung diesem Lebewesen gegenüber. Was kann man also als Experimentator machen, um das Leben des Versuchstieres zu respektieren und gleichzeitig dem wissenschaftlichen Standard zu entsprechen? Was zählt, ist die Herangehensweise und moralische Einstellung zum Experiment. Mit der ethischen Debatte im Hinterkopf und den drei Rs als Handlungsgrundlage könnte zumindest verhindert werden, das Versuchstier zum bloßen Versuchsobjekt zu degradieren. Quellen: „Forschungsethik – Eine Einführung“; Michael Fuchs u.a.; Juli 2010; Verlag J.B. Metzler, Stuttgart, Weimar; S. 82 – 93 http://en.wikipedia.org/wiki/Animal_testing http://www.nobelprize.org/educational/medicine/ insulin/discovery-insulin.html http://or.ucsf.edu/larc/16362-DSY/version/default/ part/AttachmentData/data/SSRN-id2197860.pdf http://www.bbc.co.uk/ethics/animals/using/experiments_1.shtml http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/ thumb/f/f2/Lab_mouse_mg_3263.jpg/1024px-Lab_ mouse_mg_3263.jpg
kann. Wassertanks und Abdeckplanen werden undicht, weil minderwertiges Material verwendet wird um Geld zu sparen. Verstrahlte Trümmerteile werden im ganzen Land in normalen Müllverbrennungsanlagen ohne spezielle Filterung verbrannt und so die radioaktiven Nuklide in die Atmosphäre verteilt. Stückchenweise werden die lange Zeit dementierten Probleme zugegeben, die den Verantwortlichen offenbar zum großen Teil von Anfang an bekannt waren. Seit Mitte Juli 2013 ist bekannt, dass kontaminiertes Wasser aus dem Untergrund des Kraftwerks Fukushima Daiichi eine
Vorsicht, Strahlung!
unterirdische Sperre aus glasverstärktem Beton überwunden hat und in das angrenzende Hafenbecken und von dort weiter in den Pazifik fließt. Es könne sich nach Angabe von Tepco um eine Menge von etwa 400.000 Liter täglich handeln. Wann die Ausflüsse begonnen haben, sei unklar. Rechne man ab Mai 2011, also 2 Monate nach dem Reaktorunfall, könnten allein dadurch bisher 20 bis 40 Milliarden Becquerel radioaktives Tritium in den Ozean gelangt sein. Lecks werden scheinbar auch eher zufällig entdeckt, so am 19.8.2013 an einem der etwa 350 Tanks für verbrauchtes Kühlwasser. Dabei sind etwa 300 Tonnen davon ausgelaufen. Die Arbeiter, die durch die Pfützen stapften, waren einer Strahlenbelastung von bis zu 100 mSv pro Stunde ausgesetzt. Dieser Wert ist eine Million mal höher, als normal. Nachdem der Störfall zunächst der Stufe 1 zugeordnet wurde, hat die japanische Regierung am 28.8.2013 auf Störstufe 3 korrigiert. Die Fische im Hafenbecken vor dem havarierten Kraftwerk spiegeln die Belastung des Meerwassers wieder. Von 68 Proben, die von Tepco im Zeitraum vom 18. – 31. Mai 2013 gefangen und auf Cäsiumgehalt untersucht wurden, wies eine Probe eine Gesamtcäsiumbelastung von 320.000 Becquerel pro Kilogramm (Bq/kg) Rohgewicht auf. Über 200.000 Bq/kg Gesamtcäsiumaktivität fand sich in 4 Proben. 15 Proben zeigten Werte von Cäsium-135 und -137 zwischen 100.000 und 200.000 Bq/kg. Am anderen Ende der Skala lag eine einzige Probe mit 98 Bq/kg, gerade noch unterhalb des geltenden japanischen Grenzwertes für Lebensmittel (100 Bq/kg). 3 Proben zeigten Belastungen zwischen 100 und 200 Bq/kg, 18 Proben waren mit 200 bis 1.000 Bq/kg Gesamtcäsiumaktivität belastet. Die restlichen Proben lagen zwischen 1.000 und 100.000, oft bei mehreren zehntausend Bq/kg Cäsium-134 und Cäsium-137.
Im Hinblick auf die gesundheitlichen Folgen gibt es keinen Grund zur Entwarnung. Im Gegenteil: Die erschreckende Zunahme der Fälle von Schilddrüsenkrebs bei Kindern unter 18 Jahren in der Präfektur Fukushima bestärkt die Befürchtung, dass in den kommenden Jahren eine außerordentliche Zahl
weiterer Krebsfälle zu erwarten ist. Zweieinhalb Jahre nach Beginn der Atomkatastrophe ist die Zahl der Schilddrüsenkrebsfälle auf 18 gestiegen. 25 weitere Kinder unter 18 Jahren haben vermutlich ebenfalls Schilddrüsenkrebs, wurden jedoch bislang noch nicht operiert. Einen Überblick über die tatsächliche Anzahl von Schilddrüsenkrebsfällen in Fukushima gibt es immer noch nicht. Bisher wurden in der Präfektur Fukushima insgesamt 192.886 Kindern auf Schilddrüsenkrebs untersucht. Bei ungefähr 44 % fanden die Mediziner im Ultraschall Auffälligkeiten. Mehr als 100.000 Kinder aus weiter entfernten Ortschaften in Fukushima warten immer noch auf ihre Erstuntersuchung. 1.280 Kinder mit auffälligen Befunden wurden für Zweituntersuchungen wieder einbestellt, aber 655 von diesen Kindern wurden bislang noch nicht nachuntersucht. Besonders besorgniserregend ist dabei die Situation in der Stadt Koriyama: Hier wurden 442 Kinder bei auffälligen Befunden in der Erstuntersuchung für eine Zweituntersuchung einbestellt. Lediglich 5 dieser Kinder haben die Zweituntersuchung jedoch bislang erhalten. Bei 2 dieser Kinder wurde allerdings schon bösartiger Schilddrüsenkrebs festgestellt. Japanischer Wissenschaftler verweisen nun auf den sogenannten „Screening effekt“ der für die hohe Rate an Schilddrüsenkrebs in Fukushima verantwortlich sei. Von einem solchen Effekt spricht man, wenn durch eine Reihenuntersuchung eine höhere Rate an Erkrankungen festgestellt wird, als in der Normalbevölkerung durch Symptome normalerweise
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auffallen. Dagegen spricht, dass Schilddrüsenkrebs bei Kindern extrem selten auftritt, die meisten Kinderärzte haben bisher solch einen Fall in ihrem Berufsleben glücklicherweise nie feststellen müssen. Unstrittig ist, dass die Kinder mit Radioaktivität in Kontakt gekommen sind und dass die Regierung keine Jodtabletten verteilt hat, die vor dieser Erkrankung schützen können. Nach japanischen Statistiken, die sich auf die Jahre 2000 bis 2007 beziehen, tritt Schilddrüsenkrebs auf 100.000 Kinder bezogen in 0,35 Fällen auf. Auf 190.000 umgerechnet wäre das weniger als ein Fall – nun gibt es aber schon 18 Fälle. Dies zeigt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass ähnlich wie nach dem Super-GAU von Tschernobyl, die Schilddrüsenkrebsraten über viele Jahre kontinuierlich ansteigen werden. Aber Schilddrüsenkrebs ist nicht die einzige gesundheitliche Folge von Strahlenexposition. Er ist lediglich die am schnellsten erkennbare Krebsart, insbesondere bei Kindern, deren Zellteilung wesentlich schneller als bei Erwachsenen stattfindet. Aber auch mit Leukämien, soliden Tumore und anderen Formen von Krebs, einer Schwächung des Immunsystems, Schwangerschaftskomplikationen, angeborenen Fehlbildungen und Fehlgeburten muss in Fukushima gerechnet werden. Die Untersuchungen in Japan müssen daher dringend auch auf andere Bevölkerungsgruppen und weitere mögliche Erkrankungen ausgeweitet werden. Das alles zeigt, dass selbst in einem hochtechnisiertes Land wie Japan die gefährliche Nukleartechnologie nicht ohne Risiko für die Gesundheit der Bevölkerung betrieben werden kann. Ein Ewald Feige, weiteres trauriges Fazit: Ge- IPPNW-Geschäftsstelle winnorientierte Unternehmen agieren selbst im Katastrophenfall mehr in ihrem eigenen Sinne, als an das Wohl der Menschen und der Umwelt zu denken. Schon lange ist die logische Schlussforderung deshalb: Weltweit abschalten!
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Vorsicht, Strahlung!
Ein Dialog zwischen Sternen und Bomben
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zene: Eifel. Nacht. Eine Lichtung in einem kleinen Eichenwäldchen, angrenzend an den US-Luftwaffenstützpunkt. Auf einer Seite ein etwa 2 m hohes Stahltor, verstärkt mit einigen Rollen NATO-Draht, auf der anderen Seite ein schmaler Waldweg. Im Gras liegen etwa 40 Aktivistinnen in Schlafsäcke gehüllt. Darüber sternklarer Himmel. Aus dem off klingen sporadisch Gitarrenlaute. von Inga Blum
Inga: Schau mal, noch eine Sternschnuppe ... heut Nacht sind es wirklich viele. Alex: Schön, hier draußen – man sieht so viel mehr Sterne als in der Stadt. I Ja, schwer vorstellbar, dass ein paar Meter weiter Atombomben lagern ... A Sag mal, schaut der Typ auf dem Ausguck immer noch hier rüber? I Ja, man hat den Eindruck, wir sind das Spannendste was hier das ganze Jahr passiert. Die haben sogar das Tor nochmal mit NATO-Draht verstärkt, aus Angst wir könnten heut Nacht über den Zaun klettern. A Ich komm nicht drüber weg. Das ist so ein schöner, friedlicher Ort und mittendrin ein Luftwaffenstützpunkt. I Und deutsche Piloten, die Jahr für Jahr den Abwurf von Atombomben über Russland üben. Als steckten wir immer noch im Kalten Krieg ... A Was für ein schrecklicher Gedanke. Erinnerst du dich noch, als wir auf dem Studietreffen in St. Petersburg waren und es mitten im April so irre viel geschneit hat? I Ach, das ist ja Ewigkeiten her – da waren wir beide noch Studies ... Aber ja, schwer vorstellbar, dass eine solche Stadt mit ein paar Bomben hier aus Büchel ausgelöscht werden könnte. A Man fragt sich wirklich, was es für einen Grund geben könnte, heute im Jahr 2013 noch Atomwaffen hier in Deutschland zu stationieren. Gegen was sollen die uns schützen? Wir sind doch umgeben von Freunden und der Kalte Krieg lange vorbei. I Die reden zwar alle immer über Terroristen, aber gerade die werden ja durch Atomwaffen am wenigsten abgeschreckt. A Und für die wäre das hier doch der perfekte Ort für einen Anschlag oder Cyberangriff. I Gruselige Vorstellung. A Ich weiß ... Stille. I Alex? A Ja? I Ich fand cool, dass richtig viele junge Leute hier sind und nicht nur Dr. Inga Blum, die alten Friedensmärschler.
Asisstenzärztin, Hamburg, IPPNW-Vorstand
A Ja, es waren echt alle Generationen der Friedensbewegung vertreten – und ziemlich coole Typen waren auch dabei heute. Hast du den amerikanischen Kerl von nukewatch.com gesehen? Der saß für seine Blockaden gegen US-Atomwaffen sogar im Knast. I Gut, dass die Polizei hier so entspannt ist bei dem ganzen Trubel. A Ja, in Wirklichkeit sind die ja auch der Meinung, dass die Atombomben hier in Deutschland nichts zu suchen haben – haben sie ja vorhin sehr deutlich anklingen lassen. Die machen halt ihren Job – drücken aber schon ein Auge zu – sonst könnten wir ja kaum hier vor dem Tor eines Atomwaffenstützpunkts in unseren Schlafsäcken liegen und uns die Sternschnuppen anschauen. I Und die Musik war echt gut. Ne Band wie Guaia Guaia müssten wir auch mal auf einem unserer Kongresse haben – die würden richtig Stimmung machen. A Hast du vorhin die Burger im Protestcamp probiert? Super, was diese VoküLeute so alles auf die Beine gestellt haben ... I Alex – das waren keine Burger, das waren Tofubrötchen! A Nein. I Doch. A Krass. I Oh, eine Telefonkonferenz mit den anderen Toren, lass uns mal zuhören: Verdammt, sie haben anscheinend Tor 6 geräumt! Da waren nur ein paar von den Motorradfahrern für den Frieden und haben gemütlich gegrillt. Die dachten wohl, an dem Tor passiert eh nichts, ist nur ein ganz kleines Tor, wo man nur zu Fuß durchkommt. Anscheinend hat ein Bus plötzlich ’ne Vollbremsung vor dem Tor gemacht, 150 Soldaten sind raus gesprungen und an den Bikern vorbei durch die Hecke. A Ganz schön ausgefuchst von denen, sich so hinten rum reinzuschleichen. I Aber auch irgendwie peinlich. A Stimmt eigentlich. I Hey! Das Suppenmobil ist wieder da. Hast du Hunger? A Nee, danke. Diese Tofudinger haben mich satt gemacht. Hey – schau mal: eine Riesen-Sternschnuppe ...
Vorsicht, Strahlung!
Autoren/Dialog
Dr. Inga Blum ist Ärztin in der Facharztausbildung Neurologie in Hamburg. Sie ist Vorstandsmitglied der Deutschen IPPNW und aktiv in den Kampagnen ICAN und atomwaffenfrei.jetzt. Als Studierende hat sie das „Nuclear Weapons Inheritance Project“ koordiniert, um in der jüngeren Generation ein neues Bewusstsein über Atomwaffen zu schaffen. Als Ärztin will sie über die humanitären Folgen von Atomwaffen aufklären und ist daran interessiert, die psychologischen Ursachen für das Fortbestehen der Nuklearen Bedrohung besser zu verstehen.
Dr. Alex Rosen ist Kinderarzt in Berlin und seit seinem ersten Studienjahr Mitglied der IPPNW. Als Internationaler Studierendensprecher hat er 2006 das weltweite Studierendenprojekt Target X gegründet und organisiert seit mehr als 7 Jahren Anti-Atom-Fahrradtouren. Er hat sich an Blockaden von Atomwaffenstützpunkten in Deutschland und Großbritannien beteiligt und arbeitet aktuell als Mitglied des deutschen IPPNW Vorstands an der Ausstellung Hibakusha Weltweit, die den Opfern der zivilen und militärischen Atomindustrie gewidmet ist.
DeBüchel/Fliegerhorst
• einziger verbleibender Standort mit US-Atomwaffen in Deutschland. • Die Bundeswehr bildet hier deutsche Jagdbomberpiloten für den Einsatz von Massenvernichtungswaffen aus. • Hier lagern ca. 20 Wasserstoffbomben des Typs B61 mit einer Sprengkraft von je bis zu 340 Kilotonnen TNT (ca. dem 26-fachen der Hiroshimabombe). • Bis 2019 wird das Atomarsenal für mehr als 10 Milliarden US-Dollar modernisiert und in Europa stationiert.
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I can, you can, we can – Abolish Nuclear Weapons! Bunt, jung und nicht allzu ernst
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as ist das Prinzip der International Campaign for the Abolition of Nuclear Weapons, kurz ICAN, um neue Lösungen für ein ziemlich altes und ziemlich ernstes Problem zu finden: Der auch nach Ende des Kalten Krieges unveränderten existentiellen Bedrohung der Menschheit durch Atomwaffen. von Inga Blum
Heute ist es die Angst vor atomaren Erstschlägen in regionalen Konflikten zwischen Nord- und Südkorea oder Indien und Pakistan, internationale Drohgebärden gegen und vom Iran, die instabile Situation im Nahen Osten. Millionen von Menschen leben tagtäglich im bedrohlichen und tödlichen Schatten der Atomsprengköpfe. Seit der IPPNW Weltkongress in Helsinki 2006 beschlossen hat, ICAN zur Chefsache machen, ist die Kampagne rasant gewachsen: Mit inzwischen 300 Partnerorganisationen in 70 Ländern, Büros in Australien, Norwegen, Genf und dem Nahen Osten, prominenten Unterstützer wie Herbie Hancock, Yoko Ono, Desmond Tutu und dem Dalai Lama ist ICAN längst von einem ambitionierten IPPNW-Projekt zur gemeinsamen Stimme vieler, vorher oft unkoordiniert nebeneinanderher arbeitenden, Abrüstungsinitiativen geworden.
Die zentrale Forderung ICANs ist die Aufnahme von Verhandlungen über einen Atomwaffenverbotsvertrag, einer sogenannten Nuklearwaffenkonvention. Denn nur mit einem Vertrag, der die Elemente Verifikation, Universalität, rechtliche Verbindlichkeit und zeitliche Limits enthält, kann der Teufelskreis aus Misstrauen und Resignation durchbrochen werden, der die internationalen Abrüstungsverhandlungen seit Jahrzehnten blockiert. Während die Idee der Nuklearwaffenkonvention 2005, auf der wichtigsten Internationalen Atomwaffen-Abrüstungskonferenz, noch als verrückte Idee der eingefleischten Atomwaffengegner betrachtet wurde, wurde sie, nicht zuletzt aufgrund unermüdlicher Lobbyarbeit, auf der Folgekonferenz 2010 bereits im Abschlussdokument erwähnt und von UN Generalsekretär Ban Ki Moon öffentlich unterstützt. Inzwischen befürworten
151 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen die Forderung nach einem Atomwaffenverbotsvertrag, 22 sind unentschlossen und nur 22 dagegen. Diese Entwicklung stimmt positiv und gilt es weiter voranzutreiben, insbesondere auch durch Mobilisierung und Information der Bevölkerung. Daher ist es ein weiteres Hauptziel von ICAN, das Thema wieder ins öffentliche Bewusstsein zu holen; zu zeigen, dass Atomwaffen noch immer eine reale Bedrohung sind und nicht nur auf den traurigen, schwarz-weiß Flyern eine Rolle spielen, die am Hiroshima-Tag von unermüdlichen Mahnern verteilt werden. Dafür werden gezielt neue Medien eingesetzt wie Kurzfilme, soziale Netzwerke, Internationale Aktionstage, Target X-Flashmobs etc. Dabei wird durchaus klargestellt, wie ernst die Bedrohung ist, die Betonung liegt jedoch immer auf den Lösungsmöglichkeiten und der Tatsache, dass die Zahl der Menschen, die sich weltweit gegen Atomwaffen engagieren stetig wächst! Wer auch dabei sein möchte ist herzlich willkommen im neu gegründeten Arbeitskreis ICAN der Deutschen IPPNW. www.icanw.org
Target X Studentenaktion: Für viele Fußgänger unvorstellbar – dies könnte das Ziel einer der vielen, unterschiedlich ausgerichteten Atomwaffen sein.
Hibakusha weltweit
Vorsicht, Strahlung!
Eine Poster-Ausstellung der IPPNW 50 Orte an denen die Atomwirtschaft ihre Spuren hinterlassen hat – 50 Poster die von den schrecklichen Folgen für Menschen und Umwelt berichten – plus eine große Übersichts-Weltkarte zum Mitmachen. Demnächst kostenlos ausleihbar bei der IPPNW-Geschäftsstelle in Berlin.
Hibakusha – so nennt man in Japan die Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki. Aber auch anderorts gibt es Menschen, deren Leben durch die Atomindustrie zerstört wurden: Vom Atomwaffentestareal in Nevada bis zum Super-GAU von Fukushima, von der Atomkatastrophe von Majak bis zu den Folgen des Uranbergbaus in Australien – diese Ausstellung ist ihnen gewidmet – den Hibakusha in aller Welt. Weitere Informationen und Ausleihmöglichkeit unter: www.ippnw.de/hibakusha-weltweit
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IPPNW aktiv
Die Kleinwaffenproblematik
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affengewalt schließt Schulen, leert Märkte, belastet das Gesundheitswesen, zerstört Familien, schwächt Rechtsstaatlichkeit und verhindert, dass humanitäre Hilfe bedürftige Menschen erreicht. Bewaffnete Gewalt tötet – direkt und indirekt – Hunderttausende Menschen jedes Jahr und verletzt unzählige mehr, häufig mit lebenslangen Konsequenzen. Sie ist eine permanente Bedrohung für den Respekt der Menschenrechte.“ (aus der Genfer Erklärung über bewaffnete Gewalt und Entwicklung)
von Judith Achenbach und Carlotta Conrad Kleinwaffen – eines der großen Themen der IPPNW im Jahr 2013. Wir hatten beide selbst kaum Vorwissen und uns mit der Thematik vorher nicht viel befasst. Mit der Organisation der Biketour „Biking against Small Arms“ bekamen wir aber einen wunderbaren Einstieg. Vor dem Kongress „Zielscheibe Mensch“ in Villingen-Schwenningen haben wir mit 30 FriedensaktivistInnen von Ulm aus unsere Radtour gestartet, um auf unserem Weg zum Kongress mit PolitikerInnen und den Menschen in den Städten über Kleinwaffen ins Gespräch zu kommen. Der Hauptinput kam aber aus der Gruppe selbst, mit Teilnehmenden aus Nigeria und Kenia, Nepal und Indien sowie Kanada und Europa brachte jedeR von uns einen anderen Hintergrund und andere Geschichten mit.
Zu den Fakten: Unter die Bezeichnung Kleinwaffen fallen alle Waffen, die von einem Menschen allein getragen und abgefeuert werden können. Dazu gehören unter anderem Pistolen, Maschinenpistolen und Sturmgewehre. Sie sind die sogenannten „Massenvernichtungswaffen des 21. Jahrhunderts“. Die am weitesten verbreitete ist die AK 47, ein russisches Schnellfeuergewehr, das seit 1947 nach deutschem Vorbild produziert wird. Durch die einfache Konstruktion ist sie extrem „zuverlässig“ und kann von quasi jedem bedient werden. Die zweithäufigste Kleinwaffe ist das G3 Gewehr, ursprünglich eine Bundeswehrkonstruktion, von Heckler & Koch aus Deutschland. Deutschland ist der drittWaffenexporteur Judith Achenbach größte 9. Semester, Leipzig der Welt. Damit betrifft auch
uns die Tatsache, dass Waffen und Kriegsgerät, welches bei uns in den Ländern des globalen Nordens hergestellt wird, weltweit auf Konfliktschauplätzen zu finden ist und soziale, politische und medizinische Entwicklung hemmt. Diese Waffen tauchen unabhängig von Handelsvereinbarungen, Waffenembargos und zum Beispiel dem deutschen Kriegswaffenkontrollgesetz auf, die Wege sind schlicht nicht zu kontrollieren. Laut Andrew Feinstein trägt der Waffenhandel zu rund 40 % der Korruption innerhalb des gesamten Welthandels bei (Feinstein ist ehemaliger Abgeordneter des ANC – African National Congress – und Autor des Buches „Waffenhandel. Das globale Geschäft mit dem Tod“). Mehr als 875 Millionen Kleinwaffen sind weltweit im Umlauf, erschreckenderweise sind davon 74 % in Besitz von zivilen Personen, 23 % beim Militär, 3 % bei der Polizei und 1 % bei Gangs und anderen bewaffneten Gruppen (Small Arms Survey).
Gesundheit: Obwohl die Anzahl bewaffneter Konflikte in den letzten Jahren abgenommen hat, ist die Zahl der Todesopfer durch Kleinwaffen nicht gesunken. Jedes Jahr sterben ca. 526.000 Menschen durch Waffengewalt, davon drei Viertel in „non-conflict settings“. Im häuslichen Umfeld und auch bei Vergewaltigungen dienen Kleinwaffen oft eher männlichen Tätern als Mittel der Gewaltausübung. Neben der hohen Zahl der Todesopfer sind die unzähligen Verletzungen ein großes Problem und schaffen gigantisch hohe Kosten. Zu den Ausgaben für Krankenhausaufenthalte und aufwändige Operationen kommen gesellschaftliche Probleme wie die Rehabilitation und Pflege der Opfer, die
(oftmals mangelnde) Versorgung langwährender Traumata, Arbeitsausfälle und geschlechterspezifische Ungleichheiten dazu. Florian Hugenberg, Arzt und Mitglied der IPPNW hat seine Promotion über dieses Thema geschrieben: „In unserer 2006 am Kenyatta National Hospital Nairobi über 6 Monate durchgeführten Studie zählten Walter Odhiambo von der IPPNW Kenia und ich 120 Patienten mit Schusswaffenverletzungen. In einer Folgestudie zählte Walter Odhiambo sogar über 700 Fälle in zwei Jahren. In unserer Studie betrug der privat zu tragende Teil der Klinikrechnung im Mittel fast das Dreifache dessen, was die Familie des Patienten normalerweise pro Monat zum Leben hat. Eine finanzielle oder logistische Unterstützung nach Krankenhausentlassung fehlt gänzlich.“ Auch im Public Health Bereich wird mittlerweile, je nach Quelle von „a public health emergency“, „an epidemic“, „a disease“ und „a scourge“ gesprochen.
Kongress „Zielscheibe Mensch“
Vom 30. Mai bis zum 2. Juni 2013 fand in Villingen-Schwenningen der internationale Kongress „Zielscheibe Mensch“ zu den sozialen und gesundheitlichen Auswirkungen des globalen Kleinwaffenhandels statt. Organisiert von der IPPNW in Zusammenarbeit mit der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, tauschten sich hier ExpertInnen, AktivistInnen und Interessierte aus vielen Ländern über die Auswirkungen der Herstellung, des Handels und des Einsatzes dieser Waffen aus. Der Titel „Zielscheibe Mensch“ sollte die Verbindung zwischen der Waffe und dem Menschen, ihrem häufigsten Ziel, herstellen, um deutlich zu machen, wie viel Leid Kleinwaffen jeden Tag verursachen. Diese Waffen sind tödlich. Thematisiert wurden in Vorträgen, Workshops und Gesprächen sowohl die sozialen und medizinischen Folgen als auch ethische und wirtschaftliche Dimensionen des globalen Kleinwaffenhandels. Es gab außerdem eine angeregte Diskussion zu möglichen Alternativen zur Rüstungsproduktion, der
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sogenannten Rüstungskonversion, und Lösungsansätzen auf lokaler wie internationaler Ebene. Bereits auf der Biketour hatten wir uns sehr intensiv und persönlich mit der Problematik der Kleinwaffen und ihren Folgen auseinandergesetzt, sodass nun alle Radelnden sehr gespannt auf den Kongress selbst waren. 300 Teilnehmende aus 25 Ländern, eine Vielzahl an Themen, Sichtweisen und Informationen: Sehr schnell hatte uns der Kongress mitgerissen. Unweit von Villingen, in Oberndorf am Neckar, liegt das Firmengelände von Heckler und Koch, die als einer der führenden Kleinwaffenhersteller Europas „Europas tödlichstes Unternehmen“ (Jürgen Grässlin, Schwarzbuch Waffenhandel) sind. Bewusst wurde die Nähe des Kongressortes gewählt,
um ganz unmittelbar unseren Protest überbringen zu können. Der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ wurde eben dieser Name gegeben, um die Stimme gegen den Export von Terror und Gewalt made in Germany zu erheben, der hier seinen Ursprung findet. Aufschreien und Unrecht benennen - gerade auch in der Schwarzwaldregion, wo jedeR jemanden kennt, der oder die in den dort zahlreich angesiedelten Rüstungsunternehmen arbeitet, wo daher das Schweigen groß ist und Proteste nicht an der Tagesordnung stehen. „Never whisper in the presence of a wrong“ ist ein berühmt gewordener Auspruch von Bernhard Lown, einem der Gründerväter der IPPNW, der auch hier sehr passend ist. So fand im Rahmen des Kongresses auch
ein Protestbesuch vor der Zentrale von Heckler und Koch statt, mit Friedensliedern und Transparenten, bewegenden Redebeiträgen und einer trotz strömenden Regens ansehnlichen Zahl TeilnehmerInnen. Wir trafen im Laufe des Kongresses immer wieder auf Ärztinnen und Ärzte aus Ländern des globalen Südens, die auf dem Kongress Raum fanden, von ihren überwältigenden Erfahrungen zu berichten. ÄrztInnen, die in den Ländern leben, wo die hier bei uns hergestellten Waffen benutzt werden, die tagtäglich PatientInnen mit Schussverletzungen behandeln – und denen diese Zeit fehlt, um sich anderen PatientInnen zu widmen. Denen diese Zeit auch dafür fehlt, Lösungen für weitaus dringlichere Probleme zu finden. Die verzweifeln, ob der Anzahl Kugeln in einem einzigen Menschen. Aber sie alle sind auch Personen, die sich aktiv gegen diese menschengemachte Krankheit engagieren und die Geschichten ihrer PatientInnen in die Welt hinaustragen. Sie bekommen durch den Kontakt mit den Betroffenen die sozialen und gesundheitlichen Auswirkungen der Kleinwaffen direkt mit. Und machen sich daher für Veränderung stark. Wie versucht Deutschland seine restriktive Flüchtlingspolitik zu rechtfertigen – im Hinblick auf Kriege, die wir mit befeuern und an denen deutsche Rüstungsunternehmen sich eine goldene Nase verdienen? Wie können wir der zunehmenden Militarisierung Deutschlands begegnen, wo heute schon die Jugendoffiziere der Bundeswehr Zugang zur zivilen Ausbildung erhalten? Wie sieht die ärztliche Versorgung von Schussverletzungen aus und wie die der langanhaltenden Traumata, unter welchen die Betroffenen leiden?
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Diese und viele weitere Fragen wurden in den Workshops von den angereisten ExpertInnen und den Teilnehmenden diskutiert. Deutschland hat im Jahr 2012 seinen Kleinwaffenexport verdoppelt. An deutschen Universitäten wird für die Rüstungsindustrie geforscht. Ohne die Beteiligung von Wissenschaftler Innen könnte die derzeitige Rüstungsproduktion nicht stattfinden. Die Zivilklausel als Selbstverpflichtung wissenschaftlicher Einrichtungen, ausschließlich für zivile und friedliche Zwecke zu forschen, stellt ein mögliches Instrument dar, um Rüstungsforschung an Universitäten zu verhindern. Die Universitäten Bremen, Tübingen und TU Berlin haben neben anderen bereits eine Zivilklausel eingeführt. Auch über Konversion wurde gemeinsam nachgedacht: Was kann ein Rüstungsunternehmen anderes produzieren als Waffen? Als Beispiel hierfür wurden Nähmaschinen und Fahrräder (für weitere Radtouren für den Frieden) genannt. In vielen Vorträgen wurde außerdem die erschreckend enge Verbindung der Rüstungsindustrie zur Politik aufgezeigt. Eine häufig genannte Forderung ist, diesen sogenannten „Military Industrial Complex“ aufzubrechen und somit die Waffenindustrie wie jeden anderen Wirtschaftszweig zu behandeln, transparent und ohne besondere Subventionszahlungen. Auch zwei der informiertesten und bekanntesten Kenner der Rüstungsindustrie waren auf dem Kongress zu finden: Jürgen Grässlin und Andrew Feinstein. Feinstein arbeitet international, Grässlin konzentriert sich auf den Export der deutschen Rüstungsindustrie. Feinstein ist ehemaliger Abgeordneter der südafrikanischen Nationalversammlung und Autor des Buches „Waffenhandel. Das globale Geschäft mit dem Tod“, in dem er Korruptionsfälle im Waffenhandel aufdeckt. Er berichtete, ihm sei in seinen letzten 13 Jahren Tätigkeit als Waffenexperte nicht ein einziger Waffendeal untergekommen, der kein Element der Illegalität enthalten habe. „Korruption, die Zahlung von Schmiergeldern oder die Beteiligung krimineller Zwischenhändler sind notwendige Komponenten Carlotta Conrad jedes Rüstungsexports“. 11. Semester, Dresden
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Jährlich würden 20 Milliarden Dollar für die Korruption im Waffenhandel aufgewendet. Feinstein ist ein leidenschaftlicher und beeindruckender Redner; einer, der vor lauter Beispielen und Zahlen nur so sprudelt. So verdeutlichte er am Beispiel Indiens, dass die Ausgaben eines Landes für Waffen zwangsläufig an anderer Stelle fehlten. Indien, als weltweit größter Waffenimporteur, investiere verglichen mit den anderen BRICStaaten (Vereinigung von aufstrebenden Volkswirtschaften) am wenigsten in die Gesundheit seines Landes – nur 1 % seines Bruttoinlandsprodukts. Auch Jürgen Grässlin ist ein sehr engagierter Aktivist, der sich seit Jahren gegen jede Art von Waffenhandel einsetzt. In seinen Veranstaltungen sprach er unter anderem über die Problematik der mangelnden Einhaltung der Endverbleibserklärungen. Diese sollen – in der Theorie – den Verbleib der Waffen im jeweiligen Empfängerland sicherstellen, beziehungsweise dafür Sorge tragen, dass ein Weiterverkauf an andere Staaten nur unter Zustimmung der Bundesregierung stattfindet. Diese Erklärungen werden in der Regel vom deutschen Hersteller der Rüstungsgüter beschafft und beim Bundesamt für Ausfuhrkontrolle eingereicht. Jenseits dieser Formalitäten ist es jedoch beinahe unmöglich, den weiteren Verbleib zu kontrollieren und die Bundesregierung strengt hierzu auch wenige bis gar keine Bemühungen an. Panzer werden abgezogen – Kleinwaffen dagegen können vergraben und versteckt werden, ihr Verbleib ist schwer zu kontrollieren.
Letzten Endes sind wir mit meist mehr Fragen als vorher im Kopf aus den Veranstaltungen gegangen. Impulse zum Weiterdenken. Diese wenigen Tage haben uns sehr bewegt – wir waren erschüttert und berührt von den gehörten Geschichten, um viele Informationen reicher und um viele Illusionen ärmer. Der Einsatz von Schusswaffen verletzt Menschenrechte. Zusätzlich verschlingt der hohe Bedarf an finanziellen Mitteln und Arbeitskräften in der Herstellung, dem Handel und dem Gebrauch der Waffen Ressourcen, die anderswo dringend benötigt würden. Die Korruption, die so eng mit jedem Waffenhandelsabkommen verwoben ist, erschüttert jede Demokratie. Jede Minute stirbt ein Mensch an den Folgen einer Gewehrkugel, einer Handgranate oder einer Landmine. Das muss enden. Die verschiedenen Redebeiträge der Plenarsitzungen sind weiterhin online zu finden: www.zielscheibe-mensch.org/dokumentation
Projekte und Kampagnen: Die „One Bullet Stories“ (www.ippnw-students.org/OBS/) wurden von der IPPNW als Projekt ins Leben gerufen, um die Kampagne „Aiming for Prevention“ zu unterstützen. An Hand von persönlichen Geschichten und den Auswirkungen und vor allem Kosten einer einzelnen Kugel wird die Dramatik und Schwere des Problems greifbar. Die Geschichten lassen sich nutzen um die Öffentlichkeit anzusprechen und Unterstützung zu gewinnen. Noch gibt es nur einige wenige One Bullet Stories, das internationale
„Students Movement“ der IPPNW ist aber dabei, weitere Geschichten zu sammeln und aufzuschreiben, im Moment geschieht dies konkret in Indien.
Aktion Aufschrei – stoppt den Waffenhandel:
„Gegen den Export von Terror und Gewalt made in Germany!“ Sprecher der Kampagne ist Jürgen Grässlin, der wohl bekannteste deutsche Rüstungskritiker und Autor des Buches „Schwarzbuch Waffenhandel“. Getragen von vielen großen Organisationen wie IPPNW, IALANA, Misereor und Terre des Hommes verfolgt die Kampagne das Ziel, den Waffenexport aus Deutschland generell zu verbieten und dies im Grundgesetz zu verankern. Rüstungsexporte unterliegen offiziell bereits sehr strengen Auflagen, es darf etwa nicht in Staaten und Länder exportiert werden, die Menschenrechte verletzende Handlungen praktizieren. Tatsächlich werden Kriegswaffen aber doch an Staaten außerhalb des atlantischen Bündnisses, in Spannungsgebiete sowie in Länder des Globalen Südens »grenzenlos« geliefert. Andere Forderungen der Kampagne sind zum Beispiel die Abschaffung des Bundessicherheitsrates und eine vollständige Transparenz bei Waffengeschäften.
ATT – Arms Trade Treaty: Besonders die internationale IPPNW hat sich auf UN-Ebene sehr in den Verhandlungen für die Verabschiedung eines Waffenhandelskontrollvertrag (Arms Trade Treaty – ATT) eingesetzt. Der Vertrag soll den internationalen Handel mit konventionellen Waffen regeln und der Verletzung von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht durch Waffen vorbeugen. Am 2. April 2013 wurde das Abkommen verabschiedet, die Ratifizierung steht aber noch aus. Die Gefahr des ATT ist leider, dass Staaten dessen Regeln zu locker auslegen und der Handel mit Waffen weiterlaufen kann wie bisher. Es geht nun also darum dafür zu sorgen, dass der Vertrag streng ausgelegt wird und keine rhetorische Hülse bleibt.
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Von Rapsfeldern und Sturmgewehren Eine IPPNW-Radtour macht auf die medizinischen Folgen von Waffenexporten aufmerksam
„E
ine deutsche Erfolgsgeschichte“, die ihre Produkte „in fast alle Länder der Welt“ verkauft, deren „außerordentliche Qualität sich millionenfach bewährt hat“. von Alex Rosen
Mit diesen schillernden Worten preist sich in diesem Fall nicht ein Hersteller von Waschmaschinen oder Schlagbohrern an und auch nicht einer der großen Autobauer in diesem Land. Nein – diese Phrasen stammen von der Homepage der Carl Walther GmbH, einem der größten deutschen Waffenproduzenten. Die „legendäre P38“, wie es auf der Internetseite des Unternehmens heißt, war die Standard-Militärpistole der Wehrmacht im Dritten Reich und hunderttausendfaches Mordinstrument während der Schoah. Auf der Höhe seines Erfolges in den Jahren 1943-1945 schufteten für das „Traditionsund Familienunternehmen“ Walther unzählige Sklavenarbeiter im Konzentrationslager Neuengamme um immer neue Waffen für Hitlers Endkrieg zu fertigen. Die selbe Firma begann kurz nach dem Krieg erneut mit der Produktion von Kleinwaffen: Ihre „P1“ wurde zur gängigen Ordonnanzwaffe der Bundeswehr. Bald wurde auch der Export in Kriegs- und Krisenregionen als ertragreicher Geschäftszweig entdeckt und ausgebaut. Vor allem Armeen mit Kindersoldaten schätzen die leichte Handhabung und den geringen Rückstoß der Walther-Waffen. Jährlich liefern Deutsche Waffenproduzenten wie Heckler & Koch oder Walther Feuerwaffen im Wert von 1417 Millionen Euro in Drittstaaten außerhalb der EU wie etwa Bahrain, Indonesien, Irak, Israel, Katar, Kosovo, Libanon, Mexiko, die Philippinen, Saudi-Arabien, Thailand und weitere in kriegerische Konflikte verstrickte oder autokratische Staaten. Deutsche Waffen helfen Diktatoren bei der Niederschlagung friedlicher Demonstrationen, werden gegen regimekritische Demokratie- und Autonomiebewegungen eingesetzt oder finden Verwendung bei ethnischen Säuberungen. Vielfach werden mit deutschen Waffen Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen, ohne dass sich hierzulande eine Welle der Empörung über die Konzerne ergießt, die sich mit dem Leiden der Menschen in fernen Ländern eine goldene Nase verdienen. Gemeinsam mit ihren Lobby isten und den von ihnen gekauften Politikern geben sie vor, strenge Regeln für ihre Waffenexporte einzuhalten, können jedoch
praktisch nie für den Endverbleib der von ihnen gelieferten Waffen garantieren, die über die internationalen Grau- und Schwarzmärkte zielgenau ihren Weg in Krisenregionen finden. Helen Barsosio ist Ärztin aus Kenia. Um an der IPPNW Konferenz „Zielscheibe Mensch“ teilzunehmen, ist sie diesen Sommer nach Deutschland gekommen. In ihrer Heimat sieht sie täglich im Krankenhaus die Folgen der Waffen Made in Germany: „Kleinwaffen sind wie eine Epidemie und verseuchen in Afrika ganze Landstriche. Wir Ärzte sind hilflos gegen die große Mengen von Waffen, die jedes Jahr in unserem Land abgesetzt werden. Die Verantwortung tragen auch Staaten wie Deutschland.“ Wie ihre Kollegin aus Nigeria, Ohize Hamdallah, die ebenfalls für die Konferenz angereist ist, muss sie hilflos zusehen, wie wichtige Ressourcen in ihrer Heimat für die Folgen von Kleinwaffengewalt verbraucht werden, die in Bereichen wie Bildung, Gesundheit und Wirtschaftsförderung bitter fehlen. Die beiden mutigen jungen Frauen engagieren sich zu Hause gegen Kleinwaffengewalt, klären auf und versorgen in ihren Kliniken Schusswaffenopfer. Mit ihrer Reise nach Deutschland wollten sie der Bevölkerung hier die Geschichten ihrer Patienten nahe bringen – die Schicksale der Opfer deutscher Kleinwaffen. Gemeinsam mit über dreißig weiteren Medizinstudierenden und junge ÄrztInnen aus aller Welt radelten sie zu diesem Zweck ein Wochenende durch Süddeutschland – von der Walther Waffenfabrik in Ulm bis zum Hauptquartier von Heckler & Koch in Oberndorf ging ihre Reise die sie durch wunderschöne Landschaften mit barocken Kirchen führte, vorbei an solarbedachten Bauernhäusern und wogenden Rapsfeldern, immer entlang der Donau. „Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass aus dieser Region die Waffen kommen, die bei uns zu Hause so viel Leid verursachen“, sagt Ohize Hamdallah. Während die AktivistInnen mit ihren Bannern, Flugblättern und Bildern von Schusswaffenopfern vor den Werkstoren der Carl Walther GmbH im Industriegebiet von Ulm standen, öffnet sich einige Meter entfernt ein Tor und ein großer LKW ver-
lässt unter Polizeischutz die Fabrik. Helen Barsosio schaut ihm noch lange nach: „Es schmerzt so sehr, daran zu denken, dass in diesem Wagen vermutlich Pistolen sind, die nun nach Afrika geliefert werden könnten.“ Ob die Fahrradtour tatsächlich langfristig etwas ändern kann, darauf haben die beiden Ärztinnen keine Antwort. Während einer Pause in einem mittelalterlichen Kloster am Rande des Schwarzwaldes stehen sie neben ihren geparkten Fahrrädern und fragen sich, ob die Zeitungs- und Radioberichte über diese Tour, die vielen Interviews und die persönlichen Gespräche mit den Menschen, die sie auf dem Weg treffen, etwas bewirken werden. „Ich war schockiert, als ich merkte, dass viele Menschen gar nicht wissen, dass ihre Region eine der größten Waffenproduzenten der Welt ist“, sagt Ohize Hamdallah. „Sie leben hier und fahren Sonntags auf dem Weg zum Familienpicknick an den Waffenfabriken vorbei. Und keiner fragt sich, womit die Fabrik ihr Geld verdient, was mit all den Waffen geschieht ...“ In ViIlingen wurden die radelnden Mediziner von einem Blasorchester, dem internationalen IPPNW-Vorstand und dem Bürgermeister der Stadt empfangen. Alle sind sich einig, dass es ein wichtiges Zeichen war, dass diese Radtour gesetzt hat – den einfachen Menschen die Konsequenzen der deutschen Waffenexportpolitik plastisch vor Augen zu führen. Aber auch für die TeilnehmerInnen war es eine unvergessliche Erfahrung – und eine gehörige Spritze Motivation für ihr zukünftiges Engagement bei sich zu Hause in Indien, Nepal, Nigeria oder Kenia. Auch Helen Barsosio ist sichtlich bewegt, als sich die TeilnehmerInnen der Radtour nach eine Woche voller gemeinsamer Erfahrungen von einander verabschieden: „Vor allem das gemeinsame Singen mit dem Friedens Dr. Alex Rosen (Mitglied des chor vor den Toren von Deutschen IPPNW-Vorstands) Heckler & Koch hat mich radelte gemeinsam mit Helen sehr bewegt. Das hatte und Ohize von Ulm nach so viel Würde. Warum Villingen hat es Deutschland nötig, diese Waffen zu produzieren? Es gibt so viele bessere Arten, Geld zu verdienen. Kriegswaffen für Kindersoldaten sind für ein Land wie Deutschland unwürdig.“
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Famulieren und engagieren im Sommer 2013
„f
amulieren & engagieren“ ist ein Programm von Studierenden der IPPNW für alle Medizinstudierenden. Zusätzlich zu einer Auslandsfamulatur werden inhaltliche und praktische Erfahrungen in Sozialprojekten jenseits der klassischen Medizinwelt durch die IPPNW vermittelt. Dabei stehen die Auswirkungen politischer, sozialer und ökologischer Bedingungen auf die Gesundheit von Menschen im Mittelpunkt.
Friederike Glaser, Israel: Israel. Man mag viele Adjektive finden um dieses Land und seine Leute zu beschreiben. Aber für mich war es während meiner Zeit dort oft nicht in Worte zu fassen. Versuchen möchte ich es trotzdem ... Vermutlich wurde an dieser Stelle schon des Öfteren über die Ärztin berichtet, die es den f&e’lern, die nach Israel reisen, ermöglicht, einen unglaublichen Aufenthalt zu haben. Nichtsdestotrotz möchte ich noch einmal versuchen zu beschreiben, was Dr. Ilana Abramovici geschafft hat, mir während meiner Famulatur in der Geronto-Psychiatrie zu vermitteln. Es ist nicht ihre ungeheure Herzlichkeit, ihr prüfender Blick bei den Gesprächen, ihr Nachhaken, nicht ihr Talent etliche, für mich nicht mehr zählbare, Sprachen zu beherrschen. All das war auf jeden Fall auch beeindruckend. Es ist aber vielmehr ihre Leidenschaft, sich mit ihren Patienten und deren Leben, deren Problemen und Sorgen auseinanderzusetzen. Ich glaube, ich habe (bisher) in Deutschland selten eine Ärztin oder einen Arzt gesehen, die/der sich mit wahrhaftiger Hingebung älteren Patienten gewidmet haben, die doch im Klinikalltag oft als „textbook of medicine“ und infolgedessen eher als Belastung erscheinen. Als ich sie fragte, warum sie sich für die Geronto-Psychiatrie entschieden hat, antwortete sie mir, dass es ein hoffnungsvollere Aufgabe als in der Kinderpsychiatrie sei. Oft hätten die Patienten ein gutes Leben gehabt und sie wolle ihnen helfen, auch den letzten Lebensabschnitt, der sich nun schwieriger zu gestalten scheint, zu genießen. Das war für mich ein neuer Betrachtungsansatz, da man Kinder eigentlich grundsätzlich mit Hoffnung gleichsetzt. Doch er hat mir geholfen zu verstehen, was die Arbeit im Shalvata Mental Health Center für sie bedeutet. Dadurch hat sich auch mein Blickwinkel auf die Geriatrie verändert. Auch ihre Betreuung von Shoa-Überlebenden, ihr aufrichtiges Zuhören bei den grausamen Geschichten, die diesen
Menschen widerfahren sind, ihre unermüdliche Suche nach der richtigen Medikation, der richtigen Dosis, den wenigsten Nebenwirkungen und der besten Therapie, werden mir im Gedächtnis bleiben. Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bei Dr. Abramovici bedanken und ihr für ihren (wohlverdienten) Ruhestand alles alles Gute wünschen. Es war für mich eine wunderbare Zeit in diesem unglaublichen Land.
Svenja Langenberg, Türkei: Bei einer Bergwanderung inmitten florierender türkischer Vegetation, akustisch berauscht von betörendem Grillengezirpe, Bachgeplätscher und dem hier mal von fern, mal nah erklingendem Gesang von Mitmenschen, lerne ich Hale kennen. Wir kommen ins Gespräch, wegen der an uns vorbeischwimmenden Armada von Plastikflaschen und Styroporinseln. Es gibt Momente, da vereint auch der gemeinsame Anlass sich aufzuregen. Dass wir Verantwortung tragen für unsere Umgebung, hat Hale verinnerlicht. Und zwar trotz des Widerstands in ihrer Familie, der ihre engagierten Vorhaben regelmäßig in zähe Durchsetzungskämpfe verwandelt. Maximal untürkisch reden wir schon ganz am Anfang unseres Gesprächs darüber, was wir studieren: Nachdem Hale Ingenieurwesen in Istanbul begonnen hat, schon relativ untypisch für Frauen in der Türkei, hat sie sich das Recht genommen, nochmal zu wechseln. Hale möchte in den Energiesektor gehen, denn ihre Leidenschaft sind regenerative Energien – und dass in einem Land, in dem kurzfristige Lösungen den Wunsch der Menschen nach schneller Veränderung wiederspiegeln, in dem der Gedanke von Nachhaltigkeit keine Rolle spielt. Dass ich über sie berichte, würde sie als übertrieben bezeichnen. Aber genau darum geht es: Hale ist keine weise Alleskönnerin. Aber die Ernsthaftigkeit und Konsequenz, mit der sie Entscheidungen zugunsten ihrer Vision der umwelt- und
menschenfreundlichen Zukunft trifft und dafür entgegen gesellschaftlicher Erwartungen einsteht, fand ich bemerkenswert.
Lisa Bergmann, Mazedonien: In meiner letzten Woche habe ich Erol kennengelernt, der Präsident einer kleinen NGO ist, die sich für Menschenrechte verschiedener Bevölkerungsgruppen einsetzt. Diese Arbeit macht er ehrenamtlich neben seinem Job für die Kommune im Rathaus der kleinen Stadt. Er ist zuständig für die ethnischen Minderheiten und tagtäglich konfrontiert mit Menschen ohne Versicherung, Familien ohne Geld zum Leben, Erwachsenen, die nur ihre Unterschrift schreiben können, Studenten ohne Dokumente ... Es hat mich beeindruckt, mit wie viel Respekt er jedem dieser Menschen, die oft am Rande der Gesellschaft stehen, entgegen getreten ist und wie sehr er sich dafür eingesetzt hat, jedes Problem in kurzer Zeit zu lösen. Bei all dem Leid hat er nie seine gute Laune verloren und stattdessen auch andere damit angesteckt. Mit gerade einmal 29 setzt er sich seit 15 Jahren ehrenamtlich für andere Menschen ein. Er ist einer der wenigen Menschen hier, die nicht ein einziges Mal eine andere Bevölkerungsgruppe kritisiert haben. Die Herkunft ist für ihn unwesentlich. Meine Frage nach seiner Motivation schien ihn zu verwundern, als sei es selbstverständlich und als hätte er nie darüber nachgedacht, neue Motivation für seine Arbeit zu brauchen. Schließlich sagt er nur: „Die Menschen“.
Anna Maria Lehner, Bosnien: Ich bin Medizinstudentin ohne Schreiberfahrung. Wie soll ich da einer Ärztin in einem Artikel gerecht werden, die für 600,-€ im Monat oft drei Tage ohne Schlaf durcharbeitet, weil sie sich für ihre Patienten verantwortlich fühlt? Oder einem Arzt, der inmitten eines Bürgerkrieges, nachdem alle seine Kollegen geflohen sind, 10 Medizinstudenten zu Chirurgen ausbildet, um die Kinderchirurgie weiterhin im Chaos am Laufen zu halten? Oder einer Ärztin, die sich seit 20 Jahren um die traumatisierten Witwen von Srebrenica kümmert, ihnen Arbeit verschafft, ihre Geschichten wieder und wieder anhört? Wie kann ich einer Ärztin, die nach ihrer unterbezahlten Arbeit im Krankenhaus noch in die Flüchtlingslager fährt, um Medikamente zu
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verteilen, genug Anerkennung aussprechen in ein paar Zeilen? Während meiner Famulatur in BosnienHerzegowina hab ich solche Mediziner getroffen. Ärzte, die sich trotz ihres geringen Lohns noch ehrenamtlich engagieren. Jedem einzelnen von ihnen würde ich gerne eine ganze Seite widmen, weil sie in einem armen und leider oft korrupten Land ein beeindruckendes Berufsethos beweisen. Sie alle haben mir gesagt, dass ihr Wissen ihren Landsleuten zugute kommen soll. Dabei machen sie im immer noch tief gespaltenen Balkan keinen Unterschied zwischen Serben, Kroaten oder Bosniern. Sie fragen nicht nach der Religion, sondern helfen jedem Menschen. Ich würde jedem einzelnen dieser vier Beispiele, die ich getroffen habe, ein Buch widmen, einen Preis verleihen oder wenigstens hier im Amatom einen Artikel widmen; und trotzdem hätte ich das Gefühl, ihre Leistung nicht genug anzuerkennen. Aber ich konnte sie bei meiner Famulatur im f&e-Programm treffen und mit ihnen arbeiten, was ein großartiges Erlebnis war. Durch die Famulatur in Bosnien-Herzegowina habe ich viele einzigartige Menschen kennen gelernt, die mich durch ihr Engagement immens beeindruckt haben. Es war eine großartige Chance, auch über mein eigenes Bild eines Arztes nachzudenken und über seine Rolle in der Gesellschaft. Nutzt die Chance des f&eProgramms, um großartige Ärzte kennen zu lernen und gleichzeitig ein anderes Land zu entdecken!
Marin Claudius Schlee, Serbien: Belgrad. Eine Stadt voller Diversität und unglaublich herzlichen und inspirierenden Bekanntschaften. Eine Begegnung hat mich besonders inspiriert: Domitille. Sie arbeitet bei „Migreurop’s Network“ und versucht über Interviews mit NGOs, Behörden und den betroffenen Menschen die in Belgrad leben, herauszufinden wie die Lebenssituation der Migranten ist. Sie recherchiert über Migration im Balkan und den Einfluss der EU auf Migration im Allgemeinen. Als studierte Sprachwissenschaftlerin mit soziologischen Background bloggt sie regelmäßig darüber. Doch sie möchte aktiv an Veränderungen mitarbeiten. Gemeinsam mit dem „Regional Center of Minorities“ besucht sie das Roma-Settlement, einem Slum gleichend, um die dortigen Bewohner über deren Rechte aufzuklären, deren Selbstorganisa-
tion und -kompetenz zu stärken. Die Veränderungen können erheblichen Einfluss auf die „Social Determinants of Health“ (WHO) nehmen und somit übernimmt sie eigentlich eine wichtige, aber leider oft vernachlässigte politische Aufgabe der Ärzte. Höre ich Domitille zu, schwingt, zwischen den Zeilen des Englisch mit sympathisch, deutsch-französischem Akzent, eine mitreißende Welle der Energie, des Tatendranges und Optimismus mit. Ihr Arbeitgeber hat vor einer Woche entschieden ihren Auftrag nicht mehr zu verlängern. Sie will und wird bleiben. Finanzierung? „Ich kann Jonglieren ...“, beantwortet sie grinsend meine Frage. Ich grinse zurück, weiß aber, dass es kein Scherz war. Ihr geht es um die Sache, auch wenn sie sich so einen Idealismus nie eingestehen würde.
Martina Rehm, Indien: Eigentlich wollte ich nicht über jemanden berichten, der schon Rang und Namen hat, aber Prof. Dr. Krishna Kamble hat mehr als das. Obwohl er schon längst im Ruhestand ist, leitet er weiterhin das Department für Strahlentherapie und Onkologie am GMC, Nagpur. An einem privaten Krankenhaus könnte er bei vollem Gehalt weiterarbeiten, hier bekommt er nur 25 % davon. Warum er sich für das staatliche Krankenhaus entschieden hat? Um für die Menschen da zu sein, die wirklich Hilfe brauchen. Im GMC ist die Behandlung für alle, die unter der Armutsgrenze, die bei ca. 250 Euro/Jahr liegt, kostenlos. Wirklich arm sind also diejenigen, die von dieser staatlichen Fürsorge nicht profitieren können. Nach dem Namen seiner Mutter „Compassion – Mitgefühl“, hat Prof. Kamble seine NGO benannt, die krebskranken Frauen ohne finanzielle Mittel eine Therapie zukommen lässt. Er finanziert das aus eigener Tasche. „See, I have one Chapati, but I am old, I don’t need it, why shouldn’t I share it?“
Benedict Delf, Kenia: Ich möchte euch kurz meine Bekanntschaft mit der IPPNW Ärztin Dr. Hellen Barsosio vorstellen, die mich hier an meinem ersten Tag mit der typischen kenianischen Warmherzigkeit empfangen hat und mich wunderbar eingeführt hat in eine bei uns leider viel zu selten praktizierten Kultur des Willkommenheißens in die Gemeinschaft. Dr. Hellen hatte ebenfalls vor einigen Jahren am IPPNW Austausch
mit Deutschland teilgenommen. Laut Hellen schafft man es nur so aus dem Mikrokosmus, in dem man über Jahre aufgewachsen ist (in ihrem Fall ein sehr konservatives christliches Umfeld) herauszukommen und über Jahre als selbstverständlich Wahrgenommenes in Frage zu stellen. Gerade unter Medizinstudenten ist das hier eine nicht alltägliche Situation, weil diese mehr als eingespannt und mit Verantwortung regelrecht überhäuft sind. Umso wichtiger ist es Bestrebungen gesellschaftlicher Partizipation, wie von Seiten Dr. Hellens, die seit 2012 der International Councilor der IPPNW Kenias ist, zu unterstützen und wertzuschätzen. Seit 2007 organisiert sie zusammen mit anderen Studierenden regelmäßige Treffen und Aktivitäten zum Thema Medical Peace Work und SALW (small arms and light weapons campaign). Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die IPPNW-Students Fraktion zu restrukturieren, hat bereits einige neue Mitglieder geworben (mittlerweile sind es 30 aktive Studierende) und einige ambitionierte Projekte ins Leben gerufen. Eines davon beschäftigt sich mit der Einrichtung von sogenannten „free clinics“ für nicht versicherte, vom System vernachlässigte und besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen. Des Weiteren wird versucht das Gesundheitssystem mit Programmen wie: „ advanced trauma and life support training for health workers“ und „education and advocacy around violence prevention“, zu unterstützen. Dr. Hellen hat es sich als persönliches Anliegen erklärt, den IPPNW Austausch zwischen Kenia und Deutschland zu betreuen. Ich möchte gerne mit einem Zitat ihrerseits enden: „Students are the future doctors and nurturing them to care about the world they live in, starts at this impressionable age. I have been nurtured by others and I am who I am because of the people who taught me along the way.“ Haben die Berichte deine Neugierde geweckt? Wenn Du Dich für diese Kombination von sozialem Engagement und einer Famulatur im Ausland interessierst, schaue auf http://studis.ippnw.de/famulieren-engagieren.html nach.
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IPPNW international
Struga: Brücken der Verständigung
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ie friedenspolitische Ärzteorganisation IPPNW hat viele Facetten. Sie ist für ihre groß angelegten, öffentlichkeitswirksamen Kampagnen oder viel zitierte Pressemitteilungen in der deutschen Medienlandschaft bekannt. Die Friedensarbeit in den Staaten des westlichen Balkans verläuft stiller, manchmal beinahe unbemerkt. von Ursula Völker
Über die letzten Jahrzehnte hinweg wächst, ausdauernd begleitet von Ärzten und Studierenden der IPPNW, in der von Krieg und Korruption zermürbten Region ein neues Verständnis ärztlicher Verantwortung heran. Der Wunsch, sich mit medizinischem Fachwissen und gesundem Menschenverstand für Versöhnung und Beziehungsaufbau einzusetzen, widersetzt sich den vorherrschenden Zukunftsängsten und kennt keine Grenzen. Vom 24. bis 26. Juni treffen sich in diesem Sinne 37 Medizinstudenten, junge Ärzte und Professoren aus Mazedonien, Serbien, Kosovo, Kroatien, Slowenien, BosnienHerzegowina und Deutschland, um im mazedonischen Struga ein Wochenende lang Brücken der Verständigung zu bauen. Das gleichnamige, in Würzburg beheimatete Projekt besteht seit dem Jahr 1996. Jedes Jahr kommt dort eine Handvoll Medizinstudierender aus den Balkanstaaten zusammen, um gemeinsam zu famulieren, in einer Wohngemeinschaft zu leben und mehr über Möglichkeiten des sozialen Engagements sowie die Ideen der IPPNW zu erfahren. Die ehemaligen und zukünftigen Teilnehmer haben während der jährlich an wechselnden Orten stattfindenden Wochenenden die Chance, sich wiederzusehen und auszutauschen. Mit der Zeit entwickeln sich Freundschaften und das Vertrauen, verschiedene Standpunkte einnehmen zu dürfen, ohne dass Streit einen vernichtenden Charakter annimmt. Beim Abendessen am Freitagabend wird deutlich, welche
Ursula Völker, Assistenzärztin Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen
Mühen die jungen Mediziner auf sich genommen haben, um nach Struga zu kommen. Tagelange Reisen mit Auto oder Bus, abgesagte Wochenenddienste und damit verbundene finanzielle Einbußen. Viele von ihnen sind zum ersten Mal am Ohridsee und mit den mazedonischen Traditionen genauso wenig vertraut wie die zehn deutschen Studierenden und Ärzte, was auf deren Seite für Verwunderung sorgt. Balkan ist eben nicht gleich Balkan. Die Neugier auf den Verlauf der nächsten Tage wirkt verbindend. In den Präsentationen und Diskussionen am Samstag fällt auf, dass sich das Selbstverständnis der Teilnehmer im Vergleich zu den Treffen in Prishtina 2011 und Mostar 2012 gewandelt hat. Es ist, als sei das Prinzip der medizinischen Friedensarbeit über die vergangenen Monate hinweg lebendig geworden, als habe dieser Gedanke Gestalt angenommen, etwa in Form des IPPNWStudierendentreffens in Belgrad im April. Der Onlinekurs „Medical Peace Work“ wird zunehmend interessiert aufgenommen. Es besteht Einigkeit darüber, dass diese Plattform ein geeignetes Instrument ist, eine gemeinsame friedenspolitische Sprache zu lernen: Kostenlos, weltweit verfügbar, die Inhalte theoretisch und anwendungsbezogen zugleich. Dragan Veljkovic aus Belgrad hält einen Vortrag zu den gesundheitlichen Risiken, die der Einsatz von „depleted uranium“, kurz DU, birgt. Noch immer stellen die entsprechenden Überreste aus den Balkankriegen eine unzumutbare Gefährdung dar. Die Dekontamination ist aufwendig und kostspielig und schreitet nur langsam voran. Die Studierenden diskutieren, welche Möglichkeiten bestünden, durch DU verursachte Krankheitsfälle zu registrieren. Erst ganz zum Schluss kommt zur Sprache, wer den Einsatz von DU auf dem
Balkan zu verantworten hat: Die NATO. Ein beklemmendes Gefühl für die deutschen Teilnehmer. Die Suche nach Parallelen und geteilten Problemen ist ein wichtiges Thema. Bei der Registrierung als offizielle Nichtregierungsorganisation oder der Mitgliederwerbung werden den einzelnen Aktiven immer wieder Steine in den Weg gelegt, die an anderer Stelle bereits aus dem Weg geräumt worden sind. Studierende als gleichwertige Partner innerhalb der Ärzteorganisation anzuerkennen, mag in Deutschland längst üblich und erwünscht sein, für die Mediziner in den Balkanstaaten wirkt es ungewohnt. Warum also nicht gegenseitig von den verschiedenen Erfahrungen profitieren, anstatt das Rad immer wieder neu zu erfinden? Das Treffen endet mit der gemeinsamen Rückfahrt nach Skopje und der Erkenntnis, das prestigeträchtige Großprojekte nicht nur in Deutschland die Interessen und Proteste der Zivilgesellschaft missachten. In Mazedonien zeigt sich der Gigantismus an den wie Pilze aus dem Boden schießenden, riesigen Marmorstatuen, die der Hauptstadt das Flair eines grotesken Vergnügungsparks verleihen. Die Balkanstaaten setzen viele Hoffnungen auf Europa. Immer wieder wird geäußert, Differenzen zwischen den einzelnen Nationalitäten könnten im Rahmen der europäischen Zusammengehörigkeit überwunden werden. In Struga kommt aber auch das Gefühl auf, Europa könnte andersherum von der Ernsthaftigkeit und dem Mut der Menschen auf dem Balkan profitieren. In einer dermaßen verunsicherten Nachkriegsgesellschaft so offen und interessiert zu bleiben, verdient größten Respekt. Medizinische Friedensarbeit in den Balkanstaaten bedeutet nicht, Kampagnen zu planen oder Entwicklungen durch übermotivierten Aktivismus zu beschleunigen. Im Gegenteil, derzeit besteht dort die größte Kunst darin, sich zurückzunehmen und erst einmal sehr aufmerksam zuzuhören. Brücken der Verständigung werden nicht über Nacht erbaut.
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Global Health Summer 2013: Teilnehmerstimmen In diesem Jahr fand zum dritten Mal die Global Health Summer School der IPPNW in Zusammenarbeit mit dem Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité und Health Action International (HAI) statt. 30 TeilnehmerInnen aus aller Welt diskutierten und arbeiteten gemeinsam zum Thema „Big Pharma: Good Pharma – Bad Pharma“. „I really enjoyed being part of such a diverse group. The combination of expertise provided extremely interesting discussion. The students and each of the speakers passed on valuable knowledge. It is very important to look at the pharmaceutical industry in a critical way, and the summer school provided a great opportunity to do this. There were many experts on the topics available to answer and discuss all questions and queries.“
This Global health Summer School gave me the opportunity to gain deeper insight into the Pharmaceutical Industry and its complex system. Therefore I developed a more objective and critical view about this industry and its influence on our society. Meanwhile I could improve my campaigning skills for my work at UAEM and increase my network of people working in the Global Health field.“ Alain, Switzerland
„I will be more critical about Big Pharma and their strategies. I also had interesting conversations with other participants on the subjects explored during the Summer School and on the work they are doing back home. I found the session on trade and access to medicines really useful to understand the strategies used by multinationals and western powers. I felt that sometimes the session didn’t offer enough solutions to the problems explored since I was already aware of the majority of the topics. I wanted to go to the next step for action.“ Maxime, Canada
„Pharmaceutical industry is not bad, nor good. It is something that is in society, made by society. A society that should be able to know what the pharmaceutical companies are doing. But, the pharmaceutical companies will not change themselves. Therefore we have to work with them together to increase access to medicines. Due to the global health course, I don’t believe I am the person to start a movement against pharmaceutical companies. Nevertheless, I believe I can play a role, not in activism, not with demonstrations, and not with lobbying against pharmaceutical companies, but with collaboration. I believe collaboration is the answer, collaboration in the so called ‘grey’ area, and bring together the two worlds.“ Timo, The Netherlands
Cathy, Ireland Die Dokumentation, Fotos und weitere Infos findet Ihr unter: www.health-and-globalisation.org
„The feeling that I basically know nothing, but that there are many possibilities out there to inform yourself and to become active. I gained so much knowledge that I was thankful for all the nice, motivated and critical people I met – to explore the topics thoroughly and to learn from their experience. The topics we dealt with were harsh, so I was thankful that those people gave me the feeling that I was not alone, that there are more people who want to change things or are already actively changing them.“ Antonia, Germany
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ESC in Belgrade
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he Union of Medical Students, originally Studentska Unija Medicinara-SUMC (www.sumc.org.rs), is an association of biomedical students from Belgrade, Serbia. After years of collaboration with IPPNW on the project „Bridges of understanding“ in Würzburg, Germany, SUMC decided to deepen the relationship with other IPPNW student affiliates by having the honor of organizing the 23rd European Students’ Conference of IPPNW. by Jasminka Adzic Lukovic
Although SUMC has existed for more than fifteen years and its members have gained experience in more than a few projects concerning human rights, education and health promotion, the organization of a conference was an unknown responsibility. However, with great help from other students’ groups of IPPNW, SUMC was able to organize a four-day conference in the period from April 4-7. Due to its recent history still insecurely balancing between the East and the West, Belgrade, today an ultimate party city that never sleeps, seemed the right place for the main topic of our conference: “Media in the service of activism”. The gathering was designed to help young medical professionals to evaluate the real power and role of media in formulating public and individual opinion and to investigate how different types of media could be used in activism. Does a tweet or a click on the LIKE button on Facebook count for anything? Could it even be a start of something, or was John Lennon right when he said: “If everybody demanded peace instead of another television set, then there’d be peace“? Thirty international participants from 5 countries and twenty from Serbia, organizers and volunteers, tried to answer these queJasminka Adzic Lukovic, stions from the first day on. MD, Serbia former president of SUMC The screening of the movie “The weight of chains” (http://weightofchains. com/) opened a two-hour long discussion concluding that the media is often a powerful weapon in wars and in pus-
hing political agenda. The movie was created by a Serbian emigrant and a number of international political experts and it offered, at least for the international participants, a fresh perspective on the events in the exYugoslavian history of the 90s. The second day started with presentations from Dr. Dragan Veljkovic and Nikola Ilic, IPPNW Serbia, about the history, present and future of SUMC. Afterwards the student members of IPPNW Germany showed us what they are currently working on. Erik Wareborn talked about the use of nuclear weapons. The day also included two workshops concerning advocacy campaign and lobbying and a Serbian case of social network activism. The workshops gave the participants a chance to talk about their experience, to exchange ideas and to give feedback on the stories and ideas of other participants and lecturers. Time was also reserved for Veran Matić, a chief editor of the controversial private television channel B92, who talked about a humanitarian role for the media. The schedule of the last day included a workshop on communication skills by Daniela Varano, ICAN Campaign Communications Coordinator, and a series of lectures and workshops on health effects of the use of depleted uranium, mainly focusing on the NATO bombing of Serbia in 1999, but also on the health effects of nuclear weapons in general. Lectures and workshops were held by professionals from the nuclear facilities of Serbia and Military Medical Academy. Additionally, Red Cross volunteers and Snežana Elez, official from the Ministry of Internal Affairs, addressed what turned out to be a “taboo” topic – all forms of human trafficking. During the workshops, some
participants were surprised to hear about examples of human trafficking in their country. The last lecture was held by Slobodan Savić, professor of forensic medicine, who talked about public media pressure on medical professionals in decision making and their responsibility between social criticism, legislative policy and medical ethics. An important part of the day also included a street action in the pedestrian zone in the centre of Belgrade with the aim of exploring how much people in Serbia knew about nuclear weapons through a questionnaire. Although some of the people that where asked to participate and to answer the questions didn’t know English really well, everyone tried to help and some answers were quite astonishing. The results show that most of the people are aware of the existence and outspread of nuclear weapons, many of them were not able to imagine the numbers of nuclear weapons and trials, and all of them were for the ban against nuclear weapons. The results were elaborated at the plenary session on the last day. Last, but not least, cultural exchange culminated with the “National Night”. Each country shared their national food and drinks. The ethno-dancing society of the School of Medicine in Belgrade presented national clothing and the Serbian dance “kolo”, which was then tried out by all the participants to the sound of a trumpet orchestra. It was SUMC’s first conference and hopefully one of many to come. On April 7, the young medical professionals departed with some new knowledge that will hopefully help them in their pursuit of making this world a better, peaceful place. Author: Jasminka Adzic Lukovic, MD, intern at the Clinical Center of Serbia and former president of SUMC Contact person in Belgrade: Antonije Veličković, 6th year medical student, University of Belgrade, member of SUMC
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Kontakte
Ansprechpartner und Kontaktadressen IPPNW-Lokalgruppen an fast allen Unis
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n vielen Unis gibt es lokale IPPNW-Studierendengruppen. Wenn du Interesse hast, wende dich einfach an die Geschäftsstelle oder direkt an die entsprechenden Ansprechpartner. Auch die Arbeitskreise der IPPNW freuen sich immer über studentische Mitarbeit.
Körtestr. 10, 10967 Berlin Tel: 030-698074-0 | Fax: 030-6938166 E-Mail: ippnw [at] ippnw.de | www.ippnw.de Ansprechpartner für Studierende in der Geschäftsstelle ist Ewald Feige Programm ist Ulla
Studierende im Vorstand der IPPNW Der Vorstand der IPPNW wird alle zwei Jahre vom höchsten Organ unseres Vereins, der Mitgliederversammlung, gewählt. Ihm gehören acht Personen sowie der International Councillor an. Als StudentIn im Vorstand vertritt man/frau die Interessen der Studierenden, setzt sich ein für Studierendenarbeit und informiert die Studierenden in der IPPNW über das, was sich im Verein so alles bewegt. Diese Aufgabe übernimmt derzeit Carlotta Conrad. StudierendensprecherInnen der IPPNW Jedes Jahr werden im Wintersemester beim bundesweiten Studierendentreffen zwei Studierende gewählt, die die Funktion der SprecherInnen übernehmen. Zur Zeit sind es Carlotta Conrad und Judith Achenbach.
Berlin Katharina Kramer Bonn Greta Große Dresden Carlotta Conrad Erlangen Anna Maria Lehner Frankfurt/Main Marie-Sophie Keßner
Die internationale IPPNW-Studierendenhomepage: www.ippnw-students.org Aktuelle Kontakte auch unter studis.ippnw. de/studierendengruppen.html oder über die Geschäftsstelle.
Mainz Christina Everts München Dominik Symank Münster Annamika Gogia
Regensburg Julia Neuhof www.fsmed-regensburg.de/ippnw
Freiburg Anna Hasenmaile
Rostock Laura Förster
Gießen Thomas Volckmann
Witten-Herdecke Max Walter
Göttingen Clara Dunkel
Würzburg Nora Isberner
Halle Harriet Heuer
Arbeitskreise
Hamburg Beatrice Wichert Hannover Svenja Langenberg
Studierendengruppen
Leipzig Judith Achenbach Lübeck Marius Schawaller
IPPNW-Geschäftsstelle
Zuständig für das famulieren&engagieren Gorges
Jena Robert Klunker
Heidelberg/Mannheim Christine Schneider Homburg / Saar Sebastian Symank
AK Atomenergie Henrik Paulitz AK Flüchtlinge & Asyl Frank Uhe AK ICAN Dr. Inga Blum AK Medical Peace Work Dr. Eva-Maria Schwienhorst AK Medizin & Gewissen Dr. Caroline Wolf AK Süd-Nord Dr. Barbara Bodechtel
IPPNW: Frieden durch Gesundheit
Medizinstudierende für Gerechtigkeit und Frieden in einer Welt ohne atomare Bedrohung Was ist die IPPNW? IPPNW steht für Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges. In Deutschland heißt die IPPNW zudem „Ärzte in Sozialer Verantwortung“. Die IPPNW wurde 1980 zur Zeit des Kalten Krieges gegründet. Heute arbeitet die IPPNW in 80 Ländern für eine menschliche Medizin und Gerechtigkeit in einer Welt ohne atomare Bedrohung.
Nur Atomkrieg und sonst nichts?
Was macht die IPPNW?
Nur was für Ärzte?
Die IPPNW • forscht: z.B. in internationalen Studien über die Gesundheitsfolgen von Atomwaffentests • setzt sich für Benachteiligte ein: z.B. bei direkten Gesprächen mit politischen Entscheidungsträgern für eine gute Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen in Deutschland • klärt auf: z.B. mit Info-Ständen und Publikationen über die Risiken und Chancen der Gentechnik.
Im Gegenteil! In Deutschland allein gibt es 1000 studentische Vollmitglieder. Studierende arbeiten oft lokal in Studierendengruppen. Jedes Jahr finden ein bundesweites und ein europäisches Studierendentreffen statt. Mit dem IPPNW-Programm famulieren & engagieren können Studierende weltweit in Partnerprojekten Erfahrungen sammeln und sich einbringen.
Anmeldung
Nein, längst arbeitet die IPPNW zu vielen Themen wie Ethik in der Medizin, Flüchtlingsfragen, Kurdistan, Atomenergie, Umgang mit Behinderten oder Studienreform. Die IPPNW hat mehrere bundesweite Arbeitskreise und veranstaltet Kongresse.
Ist die IPPNW eine Hilfsorganisation?
Nein, aber …! Die IPPNW arbeitet vor allem präventiv. So sollen Konflikte gar nicht erst entstehen. Durch die internationalen Kontakte der IPPNW entstehen aber oft konkrete Hilfsaktionen, wie Kinderhilfe im Irak, Bücherhilfe für Ex-Jugoslawien, medizinische Hilfe in den ehemaligen GUS-Staaten.
Was kann ich machen? Alle Aktivitäten sind offen für Interessierte. Das Besondere: Die IPPNW gibt lokalen Gruppen sehr viele Freiheiten und volle Unterstützung bei den Aktivitäten.
Mehr Informationen? www.ippnw.de
bitte ausschneiden und einsenden oder faxen an die IPPNW 030–6938166 Für Studierende kostet das im Jahr 32 Euro | Für Ärzte und Ärztinnen 120 Euro
Ja, ich werde Mitglied und unterstütze die Ziele der IPPNW. Studierende Mitglieder erhalten die Zeitschrift „IPPNWforum“ und den „amatom“ kostenlos.
Einzugsermächtigung Name
Bank
Adresse
Kontonummmer
Telefon/Fax
Bankleitzahl
Ich ermächtige die IPPNW zum Einzug von jährlich Euro
Unterschrift
Unterschrift
„3D §87 Deutschlandbilder“ – ein Kunstprojekt von Boran Burchhardt Krank und ohne Papiere? – www.medibueros.org
Fotografiert in Hamburg von Beatrice Wichert