IPPNW forum 134/2013 – Die Zeitschrift der IPPNW

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- Drohnen: Unbemannt und unmenschlich - Kleinwaffenkongress „Zielscheibe Mensch“ - 6 Fragen an Jürgen Grässlin

Atomwaffen – Mit und ohne Einsatz: Verantwortlich für katastrophales humanitäres Leid

© Ben Daure/ Kind in einem Kinderheim in Semei/Kasachstan, nahe des ehemaligen Atomwaffentestgeländes der UdSSR.

ippnw forum

das magazin der ippnw nr134 juli13 3,50€ internationale ärzte für die verhütung des atomkrieges – ärzte in sozialer verantwortung


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Editorial Dr. Barbara Hövener ist Gründungsmitglied der Deutschen Sektion der IPPNW und Mitglied im Vorstand.

Sehen wir un s in Büchel?!

„Die katastrophalen Auswirkungen von Atomwaffen auf unsere Gesundheit, Gesellschaft und Umwelt müssen im Zentrum der Diskussion über nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung stehen“, heißt es in der aktuellen Broschüre der „International Campaign to Abolish Nuclear Weapons“. Im April haben bei der Konferenz der Unterzeichnerstaaten des Atomwaffensperrvertrags in Genf etwa 80 Staaten eine Erklärung über die humanitären Folgen von Atomwaffen unterzeichnet. Sie bekräftigen darin, dass auf die katastrophalen Folgen ihres Einsatzes keine angemessene Reaktion möglich sei. Deshalb müssten sämtliche Anstrengungen unternommen werden, um diese Gefahr zu beseitigen. Die deutsche Bundesregierung hat die Erklärung nicht unterzeichnet. In ihrem Bericht „Von Oslo über Büchel nach Mexiko“ beschreibt IPPNW-Atomwaffenexpertin Xanthe Hall, warum der Bundesregierung dazu der Mut gefehlt hat. Lesen Sie zudem im Bericht von Inga Blum, weshalb auch Deutschland als Nicht-Atomwaffenstaat die Modernisierung von US-Atomwaffen betrifft und uns als Steuerzahler Geld kostet. Finanzielle Mittel, die anderen öffentlichen Bereichen nicht mehr zur Verfügung stehen.

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m August jähren sich zum 68. Mal die Atombombenabwürfe über Japan. Regelmäßig wird in Japan und weltweltweit der Opfer gedacht. Weitgehend in Vergessenheit geraten sind dagegen die Opfer der bis 1989 durchgeführten Atomwaffentests. Sie sind nach Hochrechnungen von Ärzten für etwa 2,4 Millionen Krebstote weltweit verantwortlich. Die Russlanddeutsche Ida Betke lebte in der kasachischen Steppe, unweit des sowjetischen Testgeländes und berichtet in dieser Ausgabe von den „Vergessenen Opfern“. Die IPPNW wird gemeinsam mit anderen Friedensgruppen unserer Forderung nach einem Verbot von Atomwaffen und dem Abzug der US-Atombomben aus Deutschland mit einem Musikhappening am 11. und 12. August in Büchel Nachdruck verleihen. Ich würde mich freuen, viele von Ihnen dort zu sehen!

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u guter Letzt: Vielleicht haben sie sich schon gefragt, wo ihr Forum bleibt? Während wir intensiv mit den Vorbereitungen unseres internationalen Kleinwaffenkongresses beschäftigt waren, erhielten wir die traurige Nachricht, dass unsere bisherige Druckerei – mit der wir über 30 Jahre zusammengearbeitet hatten – Insolvenz anmelden musste. Parallel zu Kongress-Vor- und Nachbereitungen sowie Forum-Redaktion mussten wir eine neue Druckerei finden, die unseren sozialen und ökologischen Maßstäben gerecht wird und gleichzeitig kurzfristig einspringen konnte. Wir hoffen auf Ihr Verständnis für die Verzögerung. Dr. Barbara Hövener 3


inhalt Zielscheibe Mensch: Alle 43 Sekunden stirbt ein Mensch durch Kleinwaffengewalt

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Themen Krebsfälle in Japan – Sicherheitsrisiken in Deutschland..............8 Unbemannt und unmenschlich. ................................................................10 Responsibility to Protect............................................................................... 12 Zeitwende in Kurdistan. .................................................................................14 Eine Stimme für die Opfer von Kleinwaffen......................................16 Aufspielen statt Abschieben....................................................................... 18

Schwerpunkt Atomwaffen: Katastrophales humanitäres Leid mit und ohne Einsatz

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Verwüstete Gene................................................................................................ 20 Die vergessenen Opfer................................................................................... 22 Atomwaffen töten auch ohne Krieg.........................................................24 „Wie die Hölle, über die ich immer gelesen hatte“...................... 26 Was kaufen wir für eine Trillion Dollar?............................................... 28 Von Oslo über Büchel nach Mexiko........................................................ 29

Welt Radeln für eine Welt ohne Waffen.......................................................... 30

Für eine Welt ohne Waffen: IPPNW-Biketour mit TeilnehmerInnen aus aller Welt

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Rubriken Editorial.......................................................................................................................3 Meinung......................................................................................................................5 Nachrichten..............................................................................................................6 Aktion........................................................................................................................31 Gelesen, Gesehen............................................................................................. 32 Gedruckt, Geplant, Termine. ...................................................................... 33 Gefragt..................................................................................................................... 34 Impressum/Bildnachweis.............................................................................. 33


Meinung

Matthias Jochheim ist Arzt für Allgemeinmedizin und Psychotherapeut in Frankfurt und ehemaliger Vorsitzender der IPPNW Deutschland.

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rankfurt am Main ist facettenreich: die Paulskirche als Ort der ersten demokratischen Bundesversammlung 1848, und heute das liberale Beispiel für lebendiges, durchaus geglücktes Zusammenleben unterschiedlicher Nationalitäten und Kulturen in dieser Stadt. Aber Frankfurt ist auch Zentrum der deutschen Finanzwirtschaft und Sitz der Europäischen Zentralbank, die als Teil der gefürchteten „Troika“ aus EZB, Weltwährungsfonds (IWF) und Europäischer Kommission die Krisenpolitik gegen die südeuropäischen EURO-Staaten auf sozial rücksichtslose Weise exekutiert, und dabei die demokratische Willensbildung souverän unterpflügt. Die pleitebedrohten Großbanken wurden aus Steuermitteln aufgepäppelt – Rentner, Lohnabhängige ebenso wie die Gesundheitsversorgung dagegen einem rabiaten Kürzungsprogramm unterworfen, die Ökonomie in den betroffenen Ländern in eine nicht absehbare Abwärtsspirale gezwungen.

Wir müssen uns dringend mit den wachsenden Gefahren beschäftigen, die die Weltwirtschaftskrise für eine demokratische Gesellschaft auch bei uns erkennbar mit sich bringt.

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agegen rührt sich europaweit Widerstand. Blockupy, dem Bündnis aus globalisierungskritischen NGOs, Gewerkschaftern und Basisaktivisten, unterstützt von der hessischen Linkspartei, ist es in diesem Jahr auch hier gelungen, ein deutliches Zeichen gegen den verhängnisvollen Kurs insbesondere der deutschen Bundesregierung zu setzen, mit gewaltlosen Blockadeaktionen und einer lebendigen Großdemonstration, die ich als einer der Demo-Beobachter für das „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ begleitet habe. Es wurde zu einem Lehrstück für Missachtung grundlegender Bürgerrechte wie der Versammlungsfreiheit: Rabiate Polizeitruppen hielten die friedliche Demonstration auf dem vom hessischen Verwaltungsgerichtshof genehmigten Weg nach kurzer Strecke mit vorbereitetem Stacheldrahtverhau und Polizeiketten fest und hinderten sie bis in die Nacht an der Fortsetzung ihres Weges. Die auch presseöffentlich klare Verurteilung dieses offenbar vom hessischen Innenminister Rhein betriebenen Vorgehens war wichtig – wir müssen uns dennoch dringend mit den wachsenden Gefahren beschäftigen, die die Weltwirtschaftskrise für eine demokratische Gesellschaft auch bei uns erkennbar mit sich bringt.

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N achrichten

Klage gegen Atomwaffen abgewiesen

Justiz-Groteske in Bremen

Heckler & Koch-Gewehre für die Bundeswehr

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m April 2010 hatte Elke Koller wegen der Lagerung von US-Atomwaffen im benachbarten NATO-Fliegerhorst in Büchel Klage gegen die Bundesregierung eingereicht. Sie wollte, dass sämtliche Atomwaffen aus dem Bundesgebiet entfernt werden und jeglicher Nuklearen Teilhabe der Bundeswehr ein Ende gesetzt wird. Die Klägerin beruft sich auf das Urteil des Internationalen Gerichtshofs von 1996, wonach jedweder Einsatz von Atomwaffen oder dessen Androhung grundsätzlich völ' kerrechtswidrig ist. Zusätzlich befürchtet sie, dass der Fliegerhorst Ziel eines terroristischen Angriffs werden könnte. Da das Verwaltungsgericht Köln keine „Verletzung der Rechte der Klägerin“ feststellen konnte und ihr Standpunkt nicht repräsentativ für die Meinung der Allgemeinheit sei, wurde die Klage abgewiesen. Elke Koller stellte daraufhin Antrag auf Berufung, welcher aber vom OVG-Münster abgelehnt wurde. In Bezugnahme auf ein Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshof und Urteile des Bundesverfassungsgerichts erklärte das OVG, dass in extremen Notwehrsituationen das Vorhalten von Atomwaffen nicht gegen das Völkerrecht verstoße. Die Einschätzung der derzeitigen Situation liege aber bei der Politik und nicht beim Verwaltungsgericht. Als Nächstes will Elke Koller nun vor das Bundesverfassungsgericht gehen und falls nötig bis vor den Europäischen Gerichtshof. „Aufgeben werden wir auf keinen Fall“, sagen die Friedensaktivistin und ihr Anwalt. Mehr unter: www.kurzlink.de/buechelklage

er Polizeiarzt Igor V. hatte Ende 2004 in Bremen dem mutmaßlichen Drogendealer Laye Alama Condé Brechsirup und literweise Wasser per Schlauch eingeflößt, um verschluckte Kokainkugeln als Beweismittel sicherzustellen. Dabei geriet Wasser in seine Lunge. Obwohl der 35-Jährige bewusstlos wurde, setzte der Arzt die Maßnahme fort. Der Mann starb 11 Tage später, ohne je wieder das Bewusstsein erlangt zu haben. Die IPPNW hat die diskutierte Einstellung des „Brechmittelprozesses“ durch das Landgericht Bremen als verheerendes Signal bezeichnet. „Es liegt im Interesse der Öffentlichkeit, dass ein so grausamer, unmenschlicher Brechmittel-Einsatz unter Zwang, der zum Tod eines Menschen geführt hat, auch gesetzlich verfolgt wird“, erklärte IPPNW-Vorstandsmitglied Dr. med. Sabine Farrouh. Der Deutsche Ärztetag hatte 2002 und 2006 beschlossen, dass die Vergabe von Brechmitteln an verdächtige Drogendealer zum Zwecke der Beweismittelsicher­ ung ohne Zustimmung des Betroffenen ärztlich nicht zu vertreten ist. „Das gewaltsame Einbringen von Brechmitteln mittels einer Magensonde stellt ein nicht unerhebliches gesundheitliches Risiko dar“, heißt es in dem Beschluss. Bereits im Jahr 2006 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte diese Praxis in einem Verfahren gegen Deutschland als unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Mehr unter: www.kurzlink.de/brechmittel 6

ie Affäre um die Aufklärungsdrohne Euro Hawk kann Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière nicht von einem neuen Großauftrag ablenken, schreibt die Wirtschaftswoche. Schließlich wolle die Bundeswehr schon seit mehreren Jahren die alten Maschinengewehre vom Typ MG3 ersetzen. Technisch gesehen gehe das vom Düsseldorfer Rheinmetall-Konzern hergestellte Gewehr aus Sicht von Experten noch weitgehend auf das MG42 aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs zurück. Nun hat sich de Maizière entschieden – für das Modell HK 121 der Waffenschmiede Heckler & Koch, das in der Truppe dann als MG5 geführt werden wird. Das geht aus einem vertraulichen Schreiben von Finanzstaatssekretär Steffen Kampeter an den Haushaltsausschuss des Bundestages hervor. Zwar will das Verteidigungsministerium zunächst noch 65 Musterwaffen testen. Aber wenn diese die erwartete Leistung bringen, will der Bund von 2014 an bis zum Jahr 2017 mindestens 7114 Gewehre des Typs MG5 im Wert von 118 Millionen Euro kaufen. Den Auftrag für das MG5 kann Heckler & Koch gut gebrauchen. Die Waffenschmiede aus Oberndorf gerät immer wieder in die Schlagzeilen. Auch wenn die von Rüstungsgegnern als „Deutschlands tödlichstes Unternehmen“ bezeichnete Firma beschwört, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern, tauchen seine Gewehre immer wieder in Bürgerkriegen wie in Georgien im Jahr 2008, den Unruheprovinzen in Mexiko im Jahr 2010 oder in Libyen auf.


N achrichten

Gefährliche Plutoniumeinsätze stoppen

Kritik an Panzer-Export nach Indonesien

Weitere Fälle von Schilddrüsenkrebs in Fukushima

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ach dem Brand auf dem mit radioaktiven Stoffen beladenen Containerschiff „Atlantic Cartier“ hat die IPPNW den schleswig-holsteinischen Umweltminister Robert Habeck vor dem weiteren MOX-Einsatz im Atomkraftwerk Brokdorf gewarnt. Hintergrund ist die Kritik des MOX-Spezialisten Wolfgang Faber, der bei der E.On Kernkraft GmbH als Leiter für den Einsatz von Brennelementen verantwortlich ist.  Faber hatte am 14. September 2011 auf einem Treffen des US Nuclear Waste Technical Review Board von der Verwendung von MOX-Brennelementen abgeraten. Als Grund nannte er finanzielle Risiken, die Dosisbelastung für das Personal und erhebliche Schwierigkeiten und Risiken beim Einsatz sowie bei der Entsorgung. Der Spezialist wies darauf hin, dass die Wärmeleitfähigkeit geringer und die Kernbrennstofftemperatur, die Reaktivität sowie der Spaltgasdruck höher sind als bei herkömmlichen Uranbrennelementen. Bei einem Leck-Störfall ist laut Faber mit einer stärkeren Beschädigung von Brennstäben zu rechnen. Das Thema MOX beschäftigt die Aufsichtsbehörden und Gutachterorganisationen derzeit sehr stark. So wird in zahlreichen deutschen und europäischen Atomkraftwerken ein Ansteigen des Neutronenflussrauschens beobachtet, ohne dass die Ursache dafür wirklich klar wäre. Fest steht aber offenbar, dass der MOXEinsatz dabei eine Rolle spielt. In einem Fall führte das sogar schon zu einer Reaktorschnellabschaltung.

n den Niederlanden ist der Verkauf gebrauchter Leopard-2-Panzer an Indonesien nach heftigem Protest aus der Bevölkerung durch das Parlament gestoppt worden. Ein wichtiges Argument der Niederlande war die schwierige Menschenrechtslage in Indonesien. „Ein Jahr später liefert Deutschland die Panzer nach dem Motto: Wenn die anderen nicht liefern, liefern wir. Die Bundesregierung unterläuft damit die niederländische Entscheidung. Das ist ein Signal der Bundesregierung in die völlig falsche Richtung“, kommentiert die Sprecherin der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ Christine Hoffmann die am 3. Mai 2013 bekannt gewordene Genehmigung der Lieferung von ca. hundert Leopard-2-Kampfpanzern und fünfzig Schützenpanzern des Typs Marder. Rheinmetall soll angeblich über 60 Leopard-Panzer vor der Auslieferung modernisieren. Am 14. Mai trafen sich in Berlin die Aktionäre dieses größten deutschen Rüstungskonzerns zu ihrer Hauptversammlung. Aus diesem Grund fanden in Düsseldorf, wo sich der Hauptsitz der Firma befindet, sowie in Berlin Protestaktionen statt. Die Protestierenden forderten, dass die Bundesregierung sämtliche Rüstungsexportgenehmigungen an Staaten wie Saudi-Arabien, Katar und Indonesien zurücknimmt, die Aktionäre von Rheinmetall ihre Aktien zurückgeben und der Vorstand von Rheinmetall die Produktion auf zivile Produkte umstellt. Mehr unter: www.aufschrei-waffenhandel.de 7

er Atomunfall von Fukushima hat laut einer UN-Pressemitteilung keine direkten Gesundheitsfolgen. Es werde nicht erwartet, dass als Folge der Strahlenverseuchung in Zukunft mehr Krebsfälle auftauchen. Die Medien verbreiteten diese Meldung Ende Mai unkritisch und unhinterfragt, obwohl die Studie selbst erst im Herbst dieses Jahres vorgelegt wird. Somit ist eine fundierte Analyse der Studie nicht möglich. Dennoch ist davon auszugehen, dass, ähnlich wie schon in der WHO-Publikation von Februar, schöngerechnete Annahmen als Grundlage genommen wurden. Anfang Juni meldeten japanische Medien derweil, dass die Zahl der unter 18-Jährigen in der Präfektur Fukushima mit Schilddrüsenkrebs auf 12 gestiegen ist, 15 weitere Kinder stehen wegen des Verdachts auf Schilddrüsenkrebs unter Beobachtung. Damit stieg die Zahl der Krebsfälle im Vergleich zu einem Bericht vom Februar 2013 deutlich. Damals war nur bei drei minderjährigen Patienten Krebs diagnostiziert worden. Wie immer, wenn es um solche Meldungen geht, ist Vorsicht geboten: Auf der einen Seite würde man einen Anstieg der Schilddrüsenkrebsrate erst in einigen Jahren erwarten, zum anderen ist von einer systematischen Unterschätzung der Krebsfälle durch die Behörden auszugehen. Wie diese beiden Faktoren mit den erschreckend hohen Inzidenzraten in Japan nur zwei Jahre nach Beginn der Katastrophe zusammenpasst bleibt abzuwarten. Mehr unter: www.fukushima-disaster.de


ATOMENERGIE

Krebsfälle in Japan – Sicherheitsrisiken in Deutschland Zwei Jahre nach dem Super-GAU in Japan zeigen sich bereits erste gesundheitliche Folgen

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n Japan sind infolge der Atomkatastrophe in Fukushima viele zehntausend Krebsfälle zu befürchten. Das geht aus dem von Winfrid Eisenberg, Reinhold Thiel und Henrik Paulitz erstellten IPPNW-Report „Gesundheitliche Folgen von Fukushima“ hervor. Da auch in Deutschland ein Super-GAU jederzeit möglich ist und die nachgerüsteten Notfallmaßnahmen nicht funktionieren, ist ein Weiterbetrieb nicht zu verantworten. Doch die Umweltminister aller Parteien bleiben untätig.

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ur zwei Jahre nach dem Super-GAU in Japan zeigen sich bereits erste gesundheitliche Folgen. Ebenso wie nach Tschernobyl kam es neun Monate nach dem Unfall kurzzeitig zu einer erhöhten Säuglingssterblichkeit und einem Geburtenrückgang. In ganz Japan kam es im Dezember 2011, also neun Monate nach den Super-GAUs, statistisch zu 4.360 „fehlenden“ Neugeborenen – eine Abnahme zur Normalverteilung von fast 5 %. In der Präfektur Fukushima war der Effekt mit rund 15 % noch ausgeprägter. Während sicherlich viele Faktoren als mögliche Ursachen diskutiert werden könnten, ist das Auftreten dieses Effekts genau 9 Monate nach der massiven Freisetzung von Radioaktivität ein gewichtiges Indiz auf eine mögliche Kausalität. Dies gilt vor allem deshalb, da Alfred Körblein, der unlängst in den Wissenschaftlichen Beirat der IPPNW berufen wurde, einen sehr ähnlichen Trend auch nach Tschernobyl in zahlreichen Ländern und Regionen feststellen konnte – selbst in Bayern.

Schilddrüsenveränderungen bei Kindern Vor diesem Hintergrund ist es sehr beunruhigend, dass in der Präfektur Fukushima Zeitungsberichten zur Folge bereits 12 gesicherte Fälle von Schilddrüsenkrebs bei Kindern unter 18 Jahren behandelt wer-

den mussten und weitere 15 Fälle einen konkreten Krebsverdacht haben. Ein solch frühes Auftreten von vermehrten Schilddrüsenkrebsfällen wurde aufgrund der Daten von Tschernobyl nicht erwartet und mag mit den besseren Untersuchungsmethoden heutzutage zusammenhängen. Die offizielle Publikation dieser Fälle muss selbstverständlich abgewartet werden, aber die Tatsache, dass allein in der Präfektur Fukushima bei 55.592 von bis heute rund 133.333 untersuchten Kindern Zysten bzw. Knoten in den Schilddrüsen festgestellt wurden, ist unter diesem Aspekt besonders besorgniserregend. Diese pathologischen Befunde haben nämlich bei Kindern eine viel höhere Wahrscheinlichkeit, maligne zu entarten als bei Erwachsenen. Eigentlich ist es die Aufgabe von staatlichen Stellen und der Weltgesundheitsorganisation WHO, die Öffentlichkeit über die zu erwartenden Krebserkrankungen aufzuklären. In ihrem Bericht zwei Jahre nach dem Unfall verharmlost die WHO jedoch die Folgen von Fukushima und beruft sich dabei unter anderem auf fragwürdige Grundannahmen, selektive und inadäquate Stichproben und Expertenmeinungen aus den Reihen der Atomlobby. So basieren die Einschätzungen des Risikos von Kinderleukämie ausschließlich auf den Angaben eines Wissenschaftlers, der jahrzehntelang für die britische Atomindustrie gearbeitet hat.

Berechnungen der IPPNW Die deutsche IPPNW-Sektion hat auf der Grundlage von wissenschaftlichen Berichten über die Verteilung von radioaktivem Cäsium in den Böden Japans wie auch auf der Basis von Ortsdosisleistungsmessungen eigene Abschätzungen der äußeren Strahlenbelastung vorgenommen. Demnach wäre mit rund 19.000 bis 41.000 Krebsfällen zu rechnen, wenn man 8

mit dem laut WHO zu verwendenden Risikofaktor rechnet (0,2/Sv). Dem aktuellen Stand der Wissenschaft zufolge ist aber von einem um den Faktor 2 höheren Risiko auszugehen. Entsprechend wäre von 38.000 bis 83.000 Krebsfällen auszugehen.

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inzu kommt die innere Strahlenbelastung durch den Verzehr kontaminierter Lebensmittel. Dieser Belastungspfad ist auf der Basis der öffentlich zugänglichen Daten wissenschaftlich nur sehr schwer zu erfassen. Das japanische Gesundheitsministerium veröffentlichte zwar Daten zu fast 134.000 Lebensmittelproben, von denen allerdings nur rund 17.000 tatsächlich auswertbare Messwerte waren. Legt man diese relativ unsichere Datenbasis zugrunde und nimmt eine durchschnittlich halb so starke Kontamination der Lebensmittel an, so wären rund 20.000 bis 40.000 Krebserkrankungen zu erwarten. Weiterhin befürchten wir aufgrund der Erfahrungen nach Tschernobyl in Japan zahlreiche schwere Erkrankungsfälle unter den Arbeitern, die in der Anlage eingesetzt wurden.

WHO-Daten zeigen vergleichbares Bild Legt man die Daten und Annahmen des WHO-Berichts „Health Risk Assessment” zugrunde, kommt man übrigens zu vergleichbaren Größenordnungen. Wir errechneten eine kollektive Lebenszeitdosis von 110.201 Personen-Sievert und entsprechend rund 22.000 zu erwartende Krebsfälle. Berechnet man die Lebenszeitdosis wie nach Tschernobyl und verwendet den Risikofaktor nach aktuellem Stand der Erkenntnisse, dann ergeben sich 66.000 zu erwartende Krebserkrankungen. Sowohl aus dem WHO- als auch aus dem IPPNW-Report ergibt sich letztlich übereinstimmend, dass in Japan mit mehreren


zehntausend Krebserkrankungsfällen aufgrund der Atomkatastrophe von Fukushima gerechnet werden muss. Das Spektrum liegt zwischen 20.000 und 120.000 Krebsfällen.

Aufgrund der Radioaktiven belastung von Lebensmitteln sind in Japan rund 20.000 40.000 zusätzliche Krebsfälle zu erwarten

Parlamentsbericht bestätigt IPPNW-Analyse Eine realitätsnahe Aufklärung über die Atomkatastrophe ist generell nicht ganz einfach. Vor einem Jahr veröffentlichte die IPPNW eine ausführliche Unfallanalyse, in der gezeigt wurde, dass der Tsunami nicht der alles überragende Faktor bei der Auslösung des Atomunfalls war. Insbesondere in Block 1 von Fukushima kam es vermutlich aufgrund des Erdbebens zu einem Leck und somit zu einem Kühlmittelverluststörfall. Einige Monate danach bestätigte der offizielle Bericht einer Untersuchungskommission des japanischen Parlaments unsere Sichtweise. Der Parlamentsbericht basiert unter anderem auf Befragungen von Beschäftigten des Atomkraftwerks. Er betont die Wahrscheinlichkeit eines erdbebenbedingten Kühlmittelverlusts in Block 1 sowie andere von der IPPNW diskutierte Probleme, wie etwa die nicht hinlänglich diversitäre, also technisch verschiedenartige Auslegung der Sicherheitssysteme des Atomkraftwerks. Übereinstimmend wird auch die Bedeutung der schweren Nachbeben hervorgehoben.

Kein Interesse an Aufklärung Trotz dieses Parlamentsberichts halten die offiziellen Stellen wie auch die Massenmedien an der Version der Atomindustrie fest, erst der Tsunami hätte den Unfall ausgelöst. In Deutschland weigern sich das Umweltministerium, das Bundesamt für Strahlenschutz, die halbstaatliche Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) und sogar die Parteien, ihre Darstellungen über den Atomunfall zumindest

zu modifizieren und dem aktuellen Stand der Erkenntnisse anzupassen. Ebenso gibt es bei ARD und ZDF keinen Bericht über Fukushima, der nicht mit Bildern von den Wassermassen des Tsunami die Interessen der Atomkonzerne bedienen würde.

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abei wäre es eigentlich die Aufgabe der staatlichen Stellen, diversen Ungereimtheiten genauer nachzugehen. So tauchte beispielsweise im zweiten Bericht der japanischen Regierung an die Internationale Atomenergieorganisation vom September 2011 der Hinweis auf, dass Pumpen und Hilfsanlagen durch einen umgestürzten Kran beschädigt wurden. Warum geht man diesen Dingen im Rahmen des internationalen Informationsaustauschs nicht nach und klärt auf, ob dieser mutmaßlich durch das Erdbeben umgestürzte Kran möglicherweise Nebenkühlwasserpumpen zerstört hat – und eben nicht der Tsunami? In vergleichbarer Weise wird auch die wohl gut begründete These des US-amerikanischen Nuklearingenieurs Arnie Gundersen, wonach es sich bei der Explosion in Block 3 höchstwahrscheinlich nicht um eine Wasserstoff- oder Dampf-, sondern um eine Nuklearexplosion handelte, von offiziellen Stellen beharrlich ignoriert.

Untätige deutsche Energieminister Der Umgang mit solchen Fragen betrifft sehr unmittelbar auch Fragen des Unfallrisikos der in Deutschland noch betriebenen Atomkraftwerke. In Japan hat man gese9

hen, dass die sogenannten Notfallmaßnahmen nicht erfolgreich durchgeführt werden konnten. Und dennoch kümmern sich die Umweltminister in Deutschland nicht darum, dass bei den noch laufenden „neueren“ Druckwasserreaktoren die nachgerüsteten Notfallmaßnahmen bei Leck-Unfällen erwartungsgemäß nicht funktionieren werden.

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ir haben alle deutschen Atombehörden ausdrücklich auf diese Feststellung der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) hingewiesen. Den baden-württembergischen Umweltminister Franz Untersteller haben wir darüber hinaus auch im persönlichen Gespräch gedrängt, sich um dieses Problem zu kümmern. Inzwischen haben wir in Deutschland drei grüne Energieminister, aber auch diese verlangen ebenso wenig wie die für die Atomaufsichten zuständigen Minister anderer Parteien, dass die schwere Sicherheitslücke geschlossen, bzw. die Druckwasserreaktoren umgehend wegen erheblicher Gefährdung der Bevölkerung stillgelegt werden.

Henrik Paulitz ist Referent der IPPNW für Atomenergie und Energie­ wende.


Frieden

Unbemannt und unmenschlich Kampfdrohnen für die Bundeswehr – ein gefährlicher Schritt in die falsche Richtung

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Trotz des ungeheuer teuren EuroHawk-Debakels will die Bundesregierung an der Anschaffung von Aufklärungsdrohnen festhalten. Gleichzeitig gibt es kein Überdenken der geplanten Anschaffung bewaffneter Drohnen.

ach wie vor beharrt Noch-Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière auf Plänen, solche Drohnen zu beschaffen. Der Kanzlerkandidat der SPD – es ist Wahlkampf – sieht dagegen keinen Bedarf für deutsche Kampfdrohnen. Die IPPNW fordert die Ächtung dieser Waffen, die die USA u. a. in mehreren Ländern – und im Falle Somalias wohl mithilfe deutscher US-Stützpunkte – zur gezielten Tötung Terrorverdächtiger einsetzt. Natürlich betont die Bundesregierung, deutsche Drohnen nicht für derartig offensichtliche Menschen- und Völkerrechtsverletzungen einsetzen zu wollen. Dennoch gibt es genug Gründe, die gegen Anschaffung und Einsatz von Kampfdrohnen sprechen. Wenn es möglich ist, einen Kampfeinsatz durchzuführen, ohne dass dabei eigene Soldatinnen und Soldaten direkt involviert sind, sinkt für die politisch Verantwortlichen der Druck, den Waffengang vor der Bevölkerung zu legitimieren. Etwas zugespitzt gesagt: Mit Kampfdrohnen wird es technisch einfacher und politisch bequemer, Kriegshandlungen durchzuführen. Dabei zu unterstellen, die Gegner von Kampfdrohnen würden nicht an das Leben der eigenen Soldatinnen und Soldaten denken, ist zynisch und polemisch. Menschenleben kann man nur schützen, wenn man gar nicht erst Krieg führt. Und der Besitz von Kampfdrohnen kann nur allzu leicht dazu führen, dass die Politik noch stärker auf militärische „Lösungen“ in Konflikten setzt und Konfliktprävention sowie zivile Strategien zur Konfliktbewältigung noch weiter vernachlässigt.

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as passiert, wenn Kampfdrohnen in großem Stil eingesetzt werden, lässt sich zurzeit am Beispiel Pakistan beobachten. In den betroffenen Gebieten im Westen des Landes leidet vor allem die Zivilbevölkerung unter den Drohneneinsätzen; es sind Hunderte von Todesopfern und über tausend Verletzte zu beklagen. Berichte belegen, dass Drohnen nicht selten in kurzen Zeitabständen dasselbe Ziel angreifen. Dabei werden Ersthelfer sowie medizinisches Personal gefährdet. Es besteht die Gefahr, dass sich Helfer nicht mehr in die Nähe eines Angriffsziels wagen und den Betroffenen daher keine oder erst viel zu spät medizinische Hilfe zuteilwird.

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Afghanistan: Die AufklärungsDrohne Heron wird für den Start vorbereitet Foto: Sebastian Wilke/Bundeswehr

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Menschen von Kampfdrohnen angegriffen werden, die Gefahr steigt, dass sich Betroffene radikalen Gruppierungen zuwenden. Der Einsatz von Kampfdrohnen erhöht dadurch auch das Risiko von Terroranschlägen in Ländern Europas. Die altbekannte Tatsache, dass Gewalt Gegengewalt auslöst, gilt auch für Drohneneinsätze. Da dort aber keine Kombattanten vor Ort sind, die für das Kampfgeschehen verantwortlich sind, besteht die ernsthafte Gefahr, dass die Gewalt in das Land getragen wird, das den Einsatz der Kampfmaschinen verantwortet.

m Westen Pakistans leben die Menschen seit Jahren in ständiger Angst und betonen, dass sie sich nirgends mehr sicher fühlen. Dazu kommt das Gefühl einer vollkommenen Hilflosigkeit gegenüber der permanenten und – im wahrsten Sinne des Wortes – unmenschlichen Gefahr, gegen die sich die Betroffenen nicht schützen können. Menschen, die Drohnenangriffe aus nächster Nähe oder gar am eigenen Leib erleiden mussten, entwickeln häufig posttraumatische Belastungsstörungen. Doch auch wer Angriffe nicht persönlich erlebt hat, läuft Gefahr, Angststörungen auszubilden. Pakistanische Ärzte berichten, dass ihre Patienten auf das bloße Geräusch einer Drohne mit panischen Ängsten reagieren. Nicht selten trauen sich die Betroffenen aber gar nicht, ihre Ängste offen zuzugeben, da sie befürchten, dies könne ihnen als Schwäche ausgelegt werden. Oft äußert sich der psychische Druck daher in körperlichen Symptomen, die keine organische Grundlage haben, wie etwa Kopf- und Rückenschmerzen, Erbrechen, Atemnot und Verdauungsstörungen.

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in weiterer bedenklicher Aspekt des Themas Kampfdrohnen: Es droht eine neue Rüstungsspirale. So ist etwa China dabei, neue Gattungen von Drohnen zu entwickeln und das nicht nur für das eigene Militär, sondern auch für den Weltmarkt. Wenn Deutschland Kampfdrohnen anschaffen sollte, trägt es dazu bei diese Rüstungsspirale zu befördern. Manche Wissenschaftler befürchten, dass Kampfdrohnen nur am Anfang einer Entwicklung stehen, an deren Ende voll automatisierte Kampfmaschinen die Kriege der Zukunft führen werden. Schon jetzt können Drohnen so viele Daten auf einmal sammeln, dass ein Mensch diese kaum noch in Echtzeit verarbeiten kann. Was liegt da also näher, als ihre Steuerung komplett dem Computer zu überlassen, und den verlangsamenden Faktor Mensch aus dem Spiel zu lassen? Bisher ist das glücklicherweise noch keine Realität; es gilt aber auch hier, den Anfängen zu wehren.

Besonders stark leiden Kinder unter dieser Kriegssituation. Angst ist der ständige Begleiter ihres jungen Lebens; ruhige Nächte ohne das Geräusch von Drohnen über ihren Köpfen kennen diese Kinder kaum. Darüber hinaus besuchen viele junge Menschen in den betroffenen Gebieten Pakistans keine Schule mehr, da der Schulweg ihnen oder ihren Eltern zu gefährlich scheint. Dort wächst also eine Generation heran, die nicht nur traumatisiert ist – auch die Bildungschancen der Kinder und Jugendlichen werden zerstört. Dies ist wohl das Gegenteil dessen, was man sich unter der Stabilisierung einer Region vorstellt. Besonders schlimm an dieser Situation ist außerdem, dass der „Drohnenkrieg“ nun schon seit fast zehn Jahren anhält. Für ein Militär, das Kampfdrohnen verwendet, ist es relativ unerheblich, wie lange der Einsatz dauert. Denn niemand wird zu Hause mit dem Slogan „Bring our boys home“ vor dem Regierungssitz demonstrieren und ein Ende des Einsatzes fordern. Für die Zivilbevölkerung in den betroffenen Regionen ist aber jedes weitere Jahr des Krieges ein verlorenes Jahr.

Johannes Schildknecht hat in Potsdam und Berlin Politikwissenschaften studiert und war Praktikant in der IPPNWGeschäftsstelle in Berlin.

Der Einsatz von Drohnen in Pakistan führt dazu, dass das Land destabilisiert wird. Aus Studien geht hervor, dass dort, wo die 11


Frieden

Responsibility to Protect Gewalt zum Schutz von Menschenrechten – Notwendigkeit eines zeitgemäßen Völkerrechts oder Vorwand für Großmachtinteressen?

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ange wurden mit dem Diktator Muammar al-Gaddafi glänzende Geschäfte gemacht. Die Menschenrechtslage in Libyen war allen Akteuren bewusst. Dann eskalierte der lange schwelende Konflikt im Land – der „Arabische Frühling“ war ein Faktor, der dazu beitrug. Mit Billigung des UNSicherheitsrates griff die NATO, unterstützt von einigen arabischen Staaten, auf Seiten der Opposition gewaltsam in den Konflikt ein. Wenige Tage nach Beginn der Intervention wurde klar, dass das Ziel der Militäraktion der Sturz des libyschen Regimes von Muammar al-Gaddafi war. Im Verlauf wurden – glaubhaften und vorsichtigen Schätzungen zufolge – 50.-60.000 Menschen getötet. Zumeist Zivilisten, deren Schutz der UN-Resolution 1973 zufolge alleiniges Ziel der Intervention hätte sein dürfen. Gleichwohl wurde die Aktion mit dem Sturz des Regimes als Erfolg gefeiert.

nter dem Eindruck des Völkermordes in Ruanda sowie dem humanitären Desaster in Ex-Jugoslawien Mitte der Neunziger Jahre wurde auf Anregung des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan und Initiative der kanadischen Regierung eine Kommission ins Leben gerufen, die Richtlinien für sogenannte „Humanitäre Interventionen“ erarbeiten sollte. Diese „International Commission on Intervention and State Sovereignty“ (ICISS) veröffentlichte 2001 ihren Bericht mit dem Titel „The Responsibility to Protect“, in dem die Verantwortung der Staatengemeinschaft vor, während und nach dem Ausbruch von humanitären Krisen diskutiert wird. Insbesondere geht es dabei um die Bedingungen für humanitär begründete Militärinterventionen unter Verletzung staatlicher Souveränität. In dem Bericht wird eine Verpflichtung der Weltgemeinschaft gefordert, im gegebenen Fall einzugreifen, notfalls auch mit militärischer Gewalt. Sollte die Gemeinschaft der Staaten sich nicht auf ein gemeinsames Handeln einigen können, tritt nach Auffassung der ICISS die Verpflichtung zur Intervention sogar auf Einzelstaaten über.

Die UN-Resolution basierte zwar auf Kapitel VII der UN-Charta, zu ihrer Begründung wurde aber wiederholt eine unter Völkerrechtlern umstrittene Idee angeführt: Die „Responsibility to Protect“, bagatellisierend abgekürzt mit „R2P“, zu Deutsch: Schutzverantwortung.

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iese Verpflichtung könnte natürlich nur für die Staaten gelten, die hierzu auch in der Lage sind. Man stelle sich folgendes Szenario vor: Die Afrikanische Union würde feststellen, dass die in den USA viel häufiger an Afro-Amerikanern als an Weißen vollzogene Todesstrafe und die Ungleichbehandlung dieser durch die Polizei eine massive Menschenrechtsverletzung darstellt und sie beschließt, weil die USA sich Verhandlungen darüber verweigert, dort militärisch zu intervenieren. Die Absurdität des Gedankens ist offensichtlich, obwohl er nach R2P-Maßstäben eigentlich logisch wäre. Es ist also von vornherein eine unbestreitbare Asymmetrie in dem Konzept mit angelegt.

1945 wurden in der Charta der Vereinten Nationen, der zentralen Rechtsquelle des Völkerrechts, zwei wesentliche Prinzipien, auf denen das Zusammenleben der Völker und Staaten basiert, festgeschrieben: das allgemeine Gewaltverbot, das den Mitgliedstaaten die Anwendung militärischer Gewalt grundsätzlich verbietet, und das Prinzip der Souveränität, die den Staaten ihre Unabhängigkeit und Selbstbestimmung garantiert. In Bezug auf seine „Inneren Angelegenheiten“ muss sich demzufolge kein Staat anderen gegenüber rechtfertigen.

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„R2P“ war Thema des UN-Weltgipfels 2005. Kritik an dem Konzept kam zunächst vor allem aus Ländern des Südens, die Interesse-geleiteten Missbrauch durch Großmächte befürchteten. Sie setzten zwei wesentliche Änderungen des Konzepts durch: Zum einen betont das Ergebnisdokument des Weltgipfels die Souveränität der Staaten weit mehr als der ICISS-Report. Zum Anderen wurde auf die Möglichkeit des Übergangs der Verantwortung auf Einzelstaaten verzichtet.

war können Staaten Teile ihrer Souveränität aufgeben, wenn sie supranationalen Verbünden beitreten, etwa der EU. Das aber geschieht freiwillig durch Vertragsschluss aufgrund gemeinsamer Interessen. Demgegenüber geht es hier um die gewaltsame Verletzung der nationalen Souveränität durch eine Intervention von außen mit dem Argument der Beendigung schwerer Menschenrechtsverletzungen. 12


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wichtige Region sind mögliche Gründe für eine Intervention. Oder die Durchsetzung des eigenen politischen Systems – beispielsweise der Demokratie oder des bevorzugten Wirtschaftsmodells – und zu diesem Zweck der Sturz eines Machthabers („Regime Change“). Am Beispiel von Libyen lassen sich einige dieser Motive erkennen; und es gibt Hinweise, dass die Eskalation des Konflikts von westlichen Geheimdiensten gezielt gefördert wurde.

ie Kritiker beruhigt das nicht. Können Menschenrechte mit militärischer Gewalt gewahrt werden? Und: Wer stellt sicher, dass die Verletzung der Menschenrechte und deren vorgeblicher Schutz nicht von derselben Macht ausgehen? Stillschweigend wird vorausgesetzt, dass in den Reihen der westlichen Demokratien die Menschenrechte geachtet werden. Dass in Europa die Zivilgesellschaft weitgehend frei arbeiten kann, darf nicht kleingeredet werden. Aber auch hier werden Menschenrechte missachtet. Man bedenke nur, wie mit Flüchtlingen umgegangen wird. Gravierender noch sind die Auswirkungen deutscher Außen- und Wirtschaftspolitik auf die Menschenrechte häufig genau derjenigen Länder, aus denen die Flüchtlinge stammen. Beispiel Afghanistan: Was zählt uns das Leben eines Afghanen? Der Oberst, der den grausamen Tod von 140 unschuldigen Zivilisten in Kunduz zu verantworten hat, wurde inzwischen zum General befördert. Ein verheerendes Signal – nicht nur für die Menschen in Afghanistan.

Leidtragende der weltweit zunehmenden Kriege, die derart bemäntelt für Konzern- und Großmachtinteressen geführt werden, sind die Menschen, deren Rechte keine Bedeutung haben. Und der Terrorismus gedeiht in dem Maße, wie verzweifelte Verlierer keine Perspektive mehr erkennen. Während aus Politik und Presse fast einhellig das Credo der „Humanitären Intervention“ klingt.

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ür uns, die Friedensbewegung und die IPPNW sind Ablehnung von Krieg und Solidarität mit unterdrückten Völkern kein Widerspruch. Grausame Regime darf man nicht erst bewaffnen und finanzieren wie in Afghanistan gegen die Sowjetunion, um dann Krieg gegen sie zu führen. Und man darf nicht von Menschenrechten reden, wenn man „Regime Change“ meint und Bürgerkriege für Eigeninteressen eskaliert. Anstatt einer gewaltsamen „Responsibility to Protect“ treten wir daher für eine friedliche „Responsibility to Prevent“ ein. Diese Verantwortung haben aber nicht selbstverständlich wir für den Rest der Welt, sondern es muss ein universelles Prinzip sein.

„Die Bundeswehr wandelt sich zu einer global agierenden Einsatzarmee“, ist auf einer ihrer Internetseiten zu lesen. Dies entspricht der im Lissabonvertrag eingegangen Verpflichtung wie auch dem ausdrücklichen Willen der Bundesregierung. Aber was steht dahinter? Bereits auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2004 sagte Angela Merkel: „Um Politik und Handeln anderer Nationen zu beeinflussen“ und um „den Interessen und Werten der eigenen Nation zu dienen“ müssten wir „alle Mittel in Betracht ziehen … von freundlichen Worten bis zu Marschflugkörpern.“ Dies müsse „Maßstab einer europäischen Außen- und Sicherheitspolitik sein“. Darum geht es, und dafür braucht es eine Rechtfertigung, die im Ernstfall die zaudernden Massen mit in den Krieg ziehen lässt.

Einen ausführlichen Text zum Thema finden Sie unter: http://kurzlink.de/r2p Eine Druckversion wird folgen.

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as sind die Interessen, weshalb ein Staat oder ein Bündnis auf dem Territorium eines anderen Staates intervenieren möchte? Neben der – bei R2P unterstellten – Sorge um das Wohlergehen der Menschen sind es unmittelbare wirtschaftliche Interessen: der Zugang zu Rohstoffen und Märkten, die Sicherheit von Handelsrouten oder die Durchsetzung von Urheberrechten. Auch der Zuwachs an Kontrolle bzw. Macht über eine strategisch

Dr. Helmut Lohrer ist International Councillor der deutschen Sektion der IPPNW und Mitglied im Arbeitskreis Süd-Nord. 13


Frieden

Zeitenwende in Kurdistan: „Wir haben Hoffnung. Wir bleiben skeptisch.“ Die diesjährige IPPNW-Delegationsreise in die Türkei und den Nordirak im März 2013

Ein junger Mann nimmt den alten Esel der Familie, färbt ihm das Fell und verkauft ihn dem Vater als neues Tier.“ Diese alte kurdische Geschichte erzählte uns Altun Tan, der BDP Abgeordnete aus Diyarbakir, als wir ihn nach seiner Einschätzung des Friedensprozesses fragten. Es gäbe zwei Möglichkeiten: Entweder handle der türkische Ministerpräsident Erdogan taktisch mit dem Ziel, die Stimmen der Kurden für seine Verfassungsänderung und seine Kandidatur für die Staatspräsidentschaft mit erweiterter Macht zu gewinnen. Dann würde es nach den Wahlen sein wie immer. Unterdrückung und Krieg würden zurückkehren. Das haben die Kurden immer wieder erlebt. Oder: Erdogan und seine Regierung haben endlich verstanden, dass der Krieg im Inneren sowohl die wirtschaftliche Entwicklung als auch die angestrebte Vorreiterrolle in der Region stört und dass eine Beendigung des kurdischen Widerstands mit militärischen Mitteln auf absehbare Zeit nicht zu erreichen ist. Dann geht es um strategische Überlegungen auf dem Weg zu Frieden und Demokratie.

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ie Hoffnung ist groß, die Skepsis auch. Vertrauen muss erst wachsen. Bisher gibt es vonseiten der türkischen Regierung keine weiteren Zugeständnisse über die Verhandlungen und Absichtserklärungen hinaus. Die politischen Gefangenen sind weiter hinter Gittern, gewählte Bürgermeister, Anwälte, Journalisten. Das türkische Militär fliegt weiter Angriffe auf die Stellungen der PKK in den Kandilbergen im Irak. In Diyarbakir hört man die Kampfflugzeuge den ganzen Tag, selbst während des Newrozfestes, auf dem die historische Friedenserklärung von Abdullah Öcalan verlesen wurde.

Die Gefahr, dass Hardliner und Kriegsgewinnler auf beiden Seiten den Friedensprozess durch gezielte Anschläge sabotieren, ist groß. Die heftige Diskussion darüber, dass auf dem zentralen Newroz­ fest in Diyarbakir keine türkische Fahne aufgehängt wurde, ist sicher nur ein kleiner Vorgeschmack auf die Herkulesaufgabe der Vertrauensbildung.

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nsere Reise führte uns diesmal in die einzige Region, die sich zurzeit offiziell Kurdistan nennen darf, in die kurdische Autonomieregion im Nordirak. Unseren kurdischen Mitreisenden ging sichtbar das Herz auf, als sie hinter der Grenze die kurdische Fahne stolz und frei neben der Irakischen im Wind flattern sahen. Wir waren Gäste des kurdischen Parlaments, wurden ab der Grenze in einem roten Bus mit Parlamentsnummer und zwei Fahrern transportiert, von denen mindestens einer mit einer Pistole bewaffnet war. Dass wir auch auf Kosten des Parlaments in teuren Hotels übernachteten, führte zu heftigen Diskussionen in der Reisegruppe. Unsere Begleiter ließen uns zwar nicht aus den Augen, waren darüber hinaus aber ausgesprochen höflich und hilfsbereit und nahmen keinen Einfluss auf unsere Reisepläne und Gesprächswünsche. In Erbil wurden wir im Parlament vom Vizepräsidenten Dr. Hasan Sora und dem Staatssekretär Khani Hejar, der auf Englisch übersetzte, sehr freundlich empfangen und in die Geschichte und Geschicke des Landes eingeführt. Demokratie und die Gleichberechtigung der verschiedenen Völker und Religionen sind die Säulen ihrer Verfassung. Man hat sich 2003 zur Autonomie innerhalb der Grenzen des Irak entschieden, weil sonst die umstrittenen Gebiete, vor allem Kirkuk, für Kurdistan verloren gegangen wären. Auch jetzt bei den anstehenden Wahlen und bei der 14

Überarbeitung der Verfassung spielt das eine wichtige Rolle. Sorgen bereitet die Entwicklung in Bagdad, wo sich Ministerpräsident Maliki zunehmend zu einem Diktator entwickelt. Die Armeen beider Teilstaaten stehen sich an der Grenze bewaffnet gegenüber. 10 Jahre nach dem Krieg sind die Trümmer weggeräumt. Die tiefe Zerstörung des Landes und der Gesellschaft ist überall schmerzhaft zu spüren. Es herrscht hektische Bautätigkeit. Prächtige Einkaufspaläste wachsen wie Pilze aus dem Boden, jede Stadt hat ihr „Happy Fair“ mit Riesenrad, die Straßen sind voller neuer weißer Allradkarossen, öffentliche Verkehrsmittel sehen wir nur vereinzelt. Banken scheint es nicht zu geben, Währung ist der USDollar, den wir auf dem Markt und auf der Straße eintauschen.

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inen großen Raum nimmt die Erinnerung an die Giftgasangriffe ein. Der Angriff auf Halabja jährt sich zum 25. Mal. Das Erinnern ist wach, aber die Hilfe für die Opfer ist zögerlich und nicht ausreichend. Das Gesundheitssystem, das früher zu den besten der Welt zählte, ist durch Embargo und Krieg völlig zusammengebrochen. Die meisten Ärzte haben das Land verlassen. Die Begleitung von Sabir Khoshnaw, dem Vertreter der Giftgasopfer von Balisan, die Gespräche in den Behandlungszentren für Gewaltopfer, der Besuch im ehemaligen Gefängnis der Geheimpolizei von Saddam Hussein machten uns den riesigen Bedarf an Aufarbeitung und Wiedergutmachung deutlich.

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inen Einblick in das schwierige Verhältnis zur Türkei bekommen wir beim Besuch der BDP in Erbil. Das offizielle Büro gibt es erst seit kurzer Zeit. Die mei-


ein Junge in der Altstadt von Diyarbakir.

Foto: Sigrid Ebritsch

sten Exilkurden aus der Türkei leben als rechtlose Flüchtlinge in Kurdistan, weil die kurdische Autonomieregierung Rücksicht auf die Befindlichkeiten der türkischen Handelspartner nimmt. Nach dem viel zu kurzen Ausflug nach Südkurdistan (Irak) mit vielen naturgemäß nur oberflächlichen Eindrücken ging es weiter in Nordkurdistan (Türkei). Für mich fühlte es sich an, wie nach Hause kommen. Trotz aller Armut und der vielen Probleme ist die Stimmung völlig anders. Die Straßen sind voller Menschen, die miteinander agieren, es gibt überall Lokale, in denen ein einfaches, aber köstliches Essen mit viel frischem Salat und Gemüse serviert wird. Auch hier ist die Bautätigkeit enorm, die Straßen werden gepflastert, Kanalisation gebaut, moderne Hochhaussiedlungen wachsen an den Rändern der Städte. Seit die BDP in Städten wir Nuseybin, Viransehir und Ceylanpinar regiert, haben sie sich „vom Schlammdorf zur Stadt“ entwickelt, wie der Bürgermeister von Ceylanpinar es ausdrückt. Sie werden zwar weiter von der Zentralregierung in Ankara blockiert, haben es aber in den letzten Jahren geschafft, ihre Schulden beim Staat zu bezahlen. Sie sind dadurch jetzt nicht mehr erpressbar und können ihre ehrgeizigen Programme mit eigener Kraft und aktiver Beteiligung der Bürger verwirklichen.

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urzeit werden sie von den Flüchtlingen aus Syrien vor große Probleme gestellt. Diese kommen aus dem meist von Kurden bewohnten Norden Syriens, haben oft Verwandte auf der türkischen Seite, die sie aufnehmen. Es kommen auch Christen und andere Minderheiten. Die arabischen Flüchtlinge kommen meist in die Provinz Hatay. Sie werden von der türkischen Regierung versorgt, die kurdischen Flüchtlinge bekommen von der Zentralregierung keine Hilfe, das müssen die kurdischen Stadtverwaltungen mit ihren kargen Mitteln allein bewältigen. Dazu kommt die schwierige Situation in Qamishli, der syrischen Schwesterstadt von Nuseybin, in die sich viele Kurden, Christen und andere Minderheiten vor dem Bürgerkrieg gerettet haben. Die Türkei hat die Grenzen hier geschlossen, sodass Hilfslieferungen nicht nach Qamishli gelangen und auch keine weiteren unerwünschten Flüchtlinge ins Land kommen. Nach heftigem Protest der Bevölkerung in Nuseybin, kann die Stadtverwaltung jetzt einmal in der Woche mit Hilfsgütern die Grenze überqueren. Unsere bescheidene Spende wird sofort in Milch und Windeln umgesetzt.

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as beherrschende Thema in diesem Jahr aber waren die Friedensverhandlungen. Die Sehnsucht nach Frieden ist groß, die Hoffnung auch. Wir begegnen 15

aber auch einer sehr großen Skepsis, der Sorge, dass wieder nur die Kurden den Preis bezahlen könnten, dass es nach einem Scheitern der Verhandlungen wieder schlimmer werden könnte als zuvor. Erwartungen, dass aus Europa Unterstützung kommen könnte, haben wir kaum noch wahrgenommen. Zu lange haben die europäischen Regierungen die Politik der türkischen Regierung mit getragen und die Kurden in ihren Ländern kriminalisiert und benachteiligt. Der ausführliche Reisebericht wird demnächst bei der IPPNW erhältlich sein. Fotos der Reise finden Sie auf Flickr unter: http://kurzlink.de/deltuerk2013

Dr. Gisela Penteker organisiert seit vielen Jahren die jährlichen IPPNWDelegationsreisen in die Türkei.


Frieden

Eine Stimme für die Opfer von Kleinwaffen Vom 30. Mai - 2. Juni 2013 fand der Internationale IPPNW-Kongress „Zielscheibe Mensch“ statt

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Einen bleibenden Eindruck hinterließ der Oberbürgermeister der Stadt Rupert Kubon, der die Besucher in seiner Stadt herzlich Willkommen hieß und sich aktiv mit Diskussionsbeiträgen am Kongress beteiligte.

n dieses Ereignis wird man sich in Villingen-Schwenningen noch lange erinnern: Aus aller Welt strömten über 300 Teilnehmer zum Kongress „Zielscheibe Mensch“, der vom 30. Mai bis 2. Juni in der Neuen Tonhalle stattfand. Aus Indien und Pakistan, Sambia und Kongo, von den Philippinen, aus Australien, El Salvador, den USA und aus Europa waren Experten und Aktivisten gekommen, um sich über die sozialen und gesundheitlichen Folgen des globalen Kleinwaffenhandels auszutauschen.

Zwischen den Plenarsitzungen konnten in Workshops einzelne Themen vertieft werden. Spannend war die Begegnung zwischen Jürgen Grässlin und Andrew Feinstein, die in jüngster Zeit jeweils ein Buch zum Thema veröffentlicht hatten: Feinstein zum globalen, Grässlin speziell über den deutschen Waffenhandel. In einem gemeinsamen Workshop stellten sie ihre Erkenntnisse gegenüber und kamen dabei zum gemeinsamen Schluss: Es gibt keine Grenze zwischen dem sogenannten legalen und dem illegalen Waffenhandel, Korruption und persönliche Bereicherung sind eine wesentliche Triebkraft im Geschäft mit dem Tod.

Eingeladen hatte die deutsche Sektion IPPNW, an der inhaltlichen Organisation war „Aiming for Prevention“, die internationale Kleinwaffen-Kampagne der IPPNW ebenso beteiligt wie das deutsche Kampagnen-Netzwerk „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“. Die Stadt Villingen-Schwenningen war offizieller Mitveranstalter und trug wesentlich zur logistischen Vorbereitung bei.

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in umstrittenes Thema auf dem Kongress war das im April 2013 von der UN-Vollversammlung verabschiedete Abkommen zur weltweiten Regulierung des Handels mit konventionellen Waffen (Arms Trade Treaty, ATT). Während die einen es als historischen Fortschritt sehen, bezweifeln andere seine Wirksamkeit in der Eindämmung des Waffenhandels. Beide Seiten waren vertreten, einige der Teilnehmer hatten selbst an den UN-Verhandlungen teilgenommen. Im Rahmen eines Workshops konnten die Standpunkte ausgetauscht werden. Am Ende bestand Einigkeit darüber, dass der nun zur Ratifizierung anstehende Vertrag deutliche Schwächen aufweist, deren Beseitigung ein lohnendes Ziel unserer weiteren Kampagnenarbeit ist.

Im Vorfeld machten 30 internationale Teilnehmer mit einer „Fahrradtour gegen Kleinwaffenhandel“ von Ulm nach Villingen auf das Thema aufmerksam, während in Villingen der internationale Vorstand der IPPNW seine jährliche Sitzung abhielt.

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ndrew Feinstein, einer der international renommiertesten Experten zum Thema, vermittelte in einem aufrüttelnden Vortrag einen Einblick in die Zusammenhänge des internationalen Waffenhandels. Referentinnen und Referenten aus Kenia, Nigeria, Indien, Iran und El Salvador berichteten aus erster Hand über die verheerenden Folgen der seuchenhaften Verbreitung von Kleinwaffen, dem „Massenvernichtungsmittel Nr. 1 des 21. Jahrhunderts“, wie die UNO sie bezeichnet. Expertinnen und Experten der WHO und anderer internationaler Organisationen stellten ihre Erkenntnisse dar, Politologen und Soziologen referierten über die ökonomischen und politischen Hintergründe. Der Bundestagsabgeordnete Paul Schäfer (Die Linke), Christine Schäfer vom Bund für Soziale Verteidigung und Nicolas Marsh vom Friedensforschungsinstitut Oslo sprachen mit Theodor Ziegler über Rüstungskonversion und alternative Sicherheitskonzepte. Jasmine Galace von den Philippinen und Philip Alpers aus Australien diskutierten zum Schluss mit Christine Hoffmann von pax christi und Mathias John von amnesty international und allen Kongressteilnehmern über Lösungsansätze und Perspektiven für die weitere Kampagnenarbeit.

Umrahmt wurde der Kongress von Kultur. Zum Auftakt spielte das Jugend-Gitarrenensemble der Stadt Villingen-Schwenningen, am Ende die 4. Klasse einer Sprachheilschule eine Bach-Sonate auf Xylofonen und Geige. Am Freitagabend war zum Konzert auf der berühmten Silbermann-Orgel in die Benediktinerkirche geladen, am Samstag dann der kulturelle Höhepunkt: Eine Mundharmonika-Gruppe aus der Region, eine Band kongolesischer Flüchtlinge und eine Trommel- und Tanztruppe aus Burundi und Ruanda gestalteten, moderiert von Frank Golischewski, einem bekannten Musiker und Kabarettisten, einen furiosen Abend. Der gesamte Kongress war auf den Beinen und in der Ausgelassenheit spiegelte sich die Anspannung eines intensiven Kongresses. Die Kongressdokumentation mit Vorträgen und Videos finden Sie unter www.zielscheibe-mensch.org/dokumentation

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er Samstagvormittag war für einen Besuch bei Heckler & Koch reserviert, dem größten Hersteller von Kleinwaffen in Europa. Nach einem Vortrag von Jürgen Grässlin über „das tödlichste Unternehmen Europas“ fuhren nahezu alle Kongress­ teilnehmer nach Oberndorf, wo vor den Toren der Waffenfabrik im strömenden Regen ein Konzert stattfand. 40 Sänger aus fünf Chören sangen Friedenslieder, dazwischen wurde die bewegende Geschichte eines 17-Jährigen Kongolesen vorgetragen, dem ein Schuss aus einem Sturmgewehr den Kieferknochen zertrümmert hatte.

Dr. Helmut Lohrer ist Vorstandsmitglied der IPPNW und Kongresspräsident des Internationalen Kleinwaffenkongresses „Zielscheibe Mensch“. 16


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Soziale Verantwortung

Aufspielen statt abschieben Solidarische Aktion der Musikgruppe Lebenslaute

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ie Flüchtlingsorganisation „Karawane“ veranstaltete vom 13. bis 16. Juni 2013 in Berlin ein internationales Tribunal gegen die Bundesrepublik Deutschland. Dort erhoben die Flüchtlinge Anklage gegen die deutsche Beteiligung bei der Abschottung Europas, gegen den alltäglichen Rassismus, dem sie ausgesetzt sind, gegen staatlich verordnete Schikanen wie Lagerunterbringung und Residenzpflicht sowie gegen Abschiebungen. Auch die Verbrechen der Kolonialzeit mit ihren Folgen und der heutige Wirtschaftskolonialismus wurden thematisiert. Die Musik- und Aktionsgruppe Lebenslaute hat sich mit den Flüchtlingen solidarisiert und den Tribunal-Forderungen mit einem Blockadekonzert am 17. Juni im Regierungsviertel Nachdruck verliehen.

Deutsche Kolonien Werfen wir einen Blick zurück in die Kolonialzeit. Ende 1884 lud der Reichskanzler Bismarck 14 Kolonialmächte zur „KongoKonferenz“ ein, um Afrika aufzuteilen. So entstanden jene willkürlich mit dem Lineal gezogenen Grenzen der afrikanischen Länder, die auf Sprache, Ethnie, geografische Gegebenheiten keinerlei Rücksicht nahmen. Das Deutsche Reich nahm Südwestafrika (heute Namibia), Ostafrika (heute Tansania, Ruanda und Burundi) sowie Kamerun und Togo in Westafrika in Besitz. Die deutschen Kolonialherren übten ihre Herrschaft hart und grausam aus. Wer die immer weiter ansteigenden Hütten- und Kopfsteuern nicht bezahlen konnte, wurde brutal bestraft. Die Plantagen der deutschen Siedler vergrößerten sich von Jahr

LEBENSLAUTE ist eine offene Musik- und Aktionsgruppe, die klassische Musik mit politischem Protest und zivilem Ungehorsam verbindet. 2013 gibt es zwei große Aktionen: Außer dem antirassistischen Konzert in Berlin wird im August der Atombombenstandort Büchel musikalisch blockiert. www.lebenslaute.net

zu Jahr. Die ihrer angestammten Felder beraubten Bauern mussten Zwangsarbeit auf den Pflanzungen verrichten. Auch Wucherzinsen der Kaufleute, Misshandlungen, Vergewaltigungen ließen die Wut der Unterdrückten allmählich ansteigen. Zuvor verfeindete ethnische Gruppen schlossen sich zusammen und begannen, sich zu wehren. Die deutschen „Schutztruppen“ schlugen den Herero-Aufstand 1904 nieder. Gefangen genommene Anführer wurden öffentlich hingerichtet, Dörfer und Ernten verbrannt, Brunnen zerstört. Die überlebenden Hereros und ihre Familien trieb man in die wasserlose Wüste, sodass der Tatbestand eines Völkermords gegeben ist. Von 80.000 Hereros überlebten nicht mehr als 15.000.

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er Maji-Maji-Aufstand im Süden Tanganyikas wurde im August 1905 entscheidend geschwächt, zog sich aber bis 1907 hin. Grausame Strafen, Hinrichtungen vor den Augen von Schulkindern, verbrannte Dörfer und Felder waren auch in Ostafrika an der Tagesordnung. Der Maji-Maji-Krieg forderte mehr als 100.000 Todesopfer. Bis heute hat keine deutsche Regierung die Kolonialverbrechen des Deutschen Reiches als Völkermord anerkannt oder gar Wiedergutmachung erwogen.

Neokolonialismus Offiziell gibt es heute keine Kolonien mehr. Die meisten Länder Afrikas werden aber nach wie vor ausgebeutet. Im Rahmen der „neoliberalen Globalisierung“ spielen die Wirtschafts- und Finanzorganisationen Weltbank, IWF und WTO eine verhängnis-

volle Rolle. Der Schweizer Soziologe Jean Ziegler nennt sie „die Reiter der Apokalypse des organisierten Hungers“. Diese Organisationen führen die Wünsche der großen transnationalen Konzerne aus. Die Darlehen, die sie armen Ländern gewähren, sind immer mit der Bedingung von „Strukturanpassungsprogrammen“ verknüpft. Der IWF stellt u. a. folgende Forderungen: strenge Haushaltsdisziplin, Abwertung der Währung, Liberalisierung des Handels, Privatisierung. Unter diesen Zwängen verlieren die betroffenen Nationen ihre wirtschaftliche Souveränität und die Kontrolle über die Steuer- und Geldpolitik. Länder, die sich gegen die Auflagen wehren, geraten auf schwarze Listen – sie bekommen keine Kredite mehr. Die Länder, die nach den Maßstäben des IWF und der Weltbank eine „gute Regierungsführung“ an den Tag legen, können das nur mit einem starken inneren Sicherheitsapparat und allgegenwärtigem Militär. Die Volkswirtschaften der Schuldnerländer werden zerstört, die Bevölkerungen verarmen, Kleinbauern und Handwerker können subventionierten und zu Dumpingpreisen auf den Markt geworfenen Importwaren nichts entgegensetzen. Neue Darlehen sind erforderlich, nur um die Zinsen für die alten zu bezahlen. So geraten die Schuldnerländer in eine immer schneller drehende Schuldenspirale und damit in die totale Abhängigkeit der Finanzorganisationen.

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iele Menschen werden dadurch ihrer Existenzgrundlage beraubt. Sie werden zu Flüchtlingen vor Not und Tod im eigenen Land. Doch die Flucht nach Europa ist lebensgefährlich. Fliehende aus


afrikanischen Ländern müssen zuerst die Sahara durchqueren. An Landesgrenzen werden sie oft zurückgeschickt, schlimmstenfalls mitten in der Wüste ausgesetzt. Haben sie aber nordafrikanische Länder erreicht und einen Platz auf einem der überfüllten, oft nicht seetauglichen Boote gefunden, wird es erst recht lebensgefährlich. Auf dem Mittelmeer zwischen Nordafrika und Italien, Malta oder Spanien fährt der Tod immer mit. Boote kentern, kommen von der Route ab, haben zu wenig Trinkwasser an Bord oder werden von Frontex aufgebracht.

Frontex Frontex kommt aus dem Französischen: Frontières extérieures, Außengrenzen. „Die Verbesserung der Koordinierung der operativen Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten im Bereich des Schutzes der Außengrenzen“ ist offiziell die Hauptaufgabe der Agentur. Laut Pro Asyl betreibt Frontex jedoch „aggressive europäische Abschottung gegen Flüchtlinge und Migranten“. Frontex stehen 27 Helikopter, 28 Flugzeuge und 114 Schiffe zur Verfügung. Drohnen zum Aufspüren von Flüchtlingsbooten sollen dazukommen. Deutschland ist personell und finanziell in erheblichem Maß beteiligt. Zurückdrängen von Flüchtlingsbooten, Versperren von Hafeneinfahrten, Missachtung des Rechtes von Fliehenden, in Europa wenigstens einen Asylantrag stellen zu können und ähnliche von Frontex begangene Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung.

Flüchtlinge in Deutschland Wer es trotz aller Hindernisse geschafft hat, lebend in Deutschland anzukommen, muss sich einer komplizierten, abschreckenden Prozedur unterziehen. Schon bei der Erstanhörung im „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ erleben die erschöpften Menschen, dass man ihnen ihre Fluchtgeschichte nicht glaubt. Oft entgehen den BeamtInnen die bei 40 % der Flüchtlinge vorhandenen Traumatisierungs-Symptome. Solche Patienten, die z. B. schwer misshandelt, gefoltert, vergewaltigt wurden, können darüber meistens erst nach vielen Monaten oder Jahren

sprechen. Was aber bei der Erstanhörung nicht berichtet wird, gilt im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht. Die dringlich erforderliche ärztliche oder psychologische Behandlung traumatisierter Flüchtlinge unterbleibt; im Verlauf der nachfolgenden diskriminierenden Maßnahmen der zuständigen Behörden entstehen zunehmend gefährliche Retraumatisierungen. Da ist zunächst die Verhinderung menschenwürdigen Wohnens. Für die ersten zwei bis drei Monate müssen die Zuflucht suchenden Menschen in „Erstaufnahmeeinrichtungen“ leben, danach werden sie nach festgelegten Quoten auf die Bundesländer und Kommunen verteilt. Einige fortschrittliche Kommunen bringen Flüchtlinge in Wohnungen unter, üblich ist jedoch die Einquartierung in Asylbewerberheimen oder Flüchtlingslagern. Diese befinden sich oft in erbärmlichem Zustand. In den Lagern ist eine Privatsphäre nicht vorhanden.

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ie kargen Beträge aus dem Asylbewerberleistungsgesetz werden in einigen Bundesländern nicht in bar ausgezahlt, sondern in Gutscheinen oder in Form von Lebensmittelpaketen. Für die Betroffenen ist das in hohem Maß entwürdigend. Auch die Residenzpflicht stellt eine Menschenrechtsverletzung dar. Sich nur in einem bestimmten Landkreis, Regierungsbezirk oder Bundesland bewegen zu dürfen, ist eine Form von Freiheitsberaubung. Die medizinische Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bedeutet, dass eine Behandlung nur bei akuten Erkrankungen oder Schmerzzuständen bezahlt wird. Vorsorgeuntersuchungen, Impfungen bei Kindern, Diagnostik und Therapie ernster, aber nicht akuter Krankheiten werden nicht gewährt. Im ersten Jahr erhalten Asyl suchende und „Geduldete“ grundsätzlich keine Arbeitserlaubnis. Danach ist die Arbeitserlaubnis nachrangig, d. h., ein „Geduldeter“ darf eine Arbeitsstelle nur bekommen, wenn kein Deutscher, kein EU-Bürger und kein anerkannter Flüchtling dafür zu finden sind. Das bedeutet faktisch den langfristigen 19

Ausschluss vom legalen Arbeitsmarkt. Alle diese staatlichen Menschenrechtsverletzungen entspringen einem latenten Rassismus, den es nicht nur am politisch rechten Rand gibt, sondern der in die Mitte der Bevölkerung, auch in Behörden, Polizei, Geheimdienste und Justiz hineinreicht.

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as Schlimmste für nicht anerkannte Asylsuchende ist aber die ständig in der Luft liegende Androhung der Abschiebung. „Duldung“ bedeutet ja nichts anderes als „Aussetzung der Abschiebung“. Wenn jemand in sein Herkunftsland oder in das EU-Land, in dem er zuerst Europa betreten hat, abgeschoben bzw. „überstellt“ werden soll, wird er in Abschiebehaft genommen. Zur Begründung dient die Behauptung, es bestehe die Gefahr des Untertauchens oder der Flucht. Dabei werden oft Familien getrennt. Die „Schüblinge“, wie Ausländerbehörden die Abzuschiebenden respektlos und verächtlich nennen, werden im Abschiebegefängnis wie Strafgefangene behandelt, aber Flucht ist doch kein Verbrechen.

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hnlich menschenverachtend ist auch das Asylschnellverfahren im Flughafenbereich, das ankommende Flüchtlinge nach einem unzureichend geprüften Asylantrag erst gar nicht einreisen lässt, ihnen nur eine Frist von drei Tagen für den Widerspruch einräumt und sie umgehend zurückschiebt. Dieses Verfahren ist am Frankfurter Flughafen Routine. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dieses Schnellverfahren missbilligt, Pro Asyl fordert seit vielen Jahren seine Abschaffung. Eine ausführlichere Version dieses Artikels finden Sie unter: http://kurzlink.de/statt-abschieben

Dr. Winfrid Eisenberg engagiert sich in der IPPNW und ist aktiv in der LebenslauteGruppe.


Katastrophales Humanitäres Leid

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eben mit dem Erbe der Atomtests: Lautlos und unsichtbar lauert die Bedrohung im Staub, in Nahrungsmitteln, in Wasser und in den Genen gegenwärtiger und künftiger Generationen. Wo einst Atomwaffen getestet wurden – meist ohne Aufklärung und Schutz für die Zivilbevölkerung – leiden die Menschen noch heute unter den Folgen.

Im Kinderheim „Semey Baby HOME“ in der kasachischen Stadt Semei (früher Semipalatinsk), Nahe des ehemaligen AtomwaffentestGeländes der UDSSR. Eines von zwanzig Kindern wird hier mit Missbildungen und Behinderungen geboren.


Die Fotos des Schwerpunktes stammen von Ben Daure. Er fotografierte im Kinderheim „Semey Baby Home“ in Semei, Kasachstan als sie dort einen Film für die kasachische Organisation „The Atom Project“ drehten. „The Atom Project“ setzt sich dafür ein, dass der „Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen“ (CTBT) endlich in Kraft tritt. Noch immer haben viele Staaten ihn nicht unterzeichnet oder ratifiziert. Mehr darüber: www.theatomproject.org/en Weitere Fotos aus Semei: www.kurzlink.de/bendaure

Verwüstete Gene Atomwaffentests haben die Welt mit ihrem Fallout überzogen und wüten noch heute in den Genen der Menschen

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eit 1945 wurden weltweit wurden über 2.000 Atomwaffentests durchgeführt. Radioaktiver Staub breitete sich über die gesamte Erde aus. Jeder Mensch trägt heutzutage das Erbe der Atomtests in sich. Radioaktive Partikel, die in die Atmosphäre geschleudert wurden, als Fallout niedergingen und über Nahrung, Wasser und Atemluft in den menschlichen Körper, in Gewebe und Knochen aufgenommen werden. Plutonium hält sich dort jahrzehntelang. Die IPPNW schätzt, dass durch die zusätzliche Strahlenbelastung weltweit mit bis zu 3 Millionen Krebstoten zu rechnen ist. Meist wurden die Tests in Kolonien oder auf dem Gebiet nationaler Minderheiten durchgeführt. Die Gefahr für die Betroffenen wurde heruntergespielt, ohne Schutz und Aufklärung wurden sie den Tests und deren Folgen ausgeliefert. Fehl- und Todgeburten, Missbildungen, Behinderungen, Tumore, Leukämien – die Liste der Leiden und des Leids in diesen Regionen ist viel zu lang. Und sie werden auch noch kommende Generationen treffen: Heute weiß man, dass durch Strahlung verursachte genetische Schäden sich in den Nachfolgegenerationen potenzieren.

Valikhan leidet an der „Glasknochenkrankheit“. Er ist 11 jahre alt, aber Sein Körper entspricht dem eines 3-Jährigen.

Rustam kam mit Hydranencephalie zur Welt, einer schweren Fehlbildung des Gehirns. Er kann sich nicht selbstständig bewegen.

Auch Dina leidet an Hydranencephalie. Ihr Kopf ist so schwer, dass sie nur liegen kann. 21


Katastrophales Humanitäres Leid

Die vergessenen Opfer Auf dem Gebiet des heutigen Kasachstan wurden 40 Jahre lang Atombombentests durchgeführt

Die Russlanddeutsche Ida Betke lebte von 1957 - 1975 in der kasachischen Steppe, unweit des Atomwaffentestgeländes der Sowjetunion. Etwa 50.000 Russlanddeutsche aus der Gegend von Semipalatinsk leben heute in Bundesrepublik. Zusammen mit anderen Leidensgenossen hat Ida Betke den Verein „Strahlenfolgen atomarer Waffentests in Semipalatinsk“ (SAWTS) e. V. gegründet, der das Thema an die Öffentlichkeit bringen will und sich für die Opfer der Atomtests einsetzt.

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mipalatinsker Atompolygon beträgt 18.000 km2, aber die radioaktiv verseuchte Fläche beträgt mindestens 304.000 km2.

ls die Sowjetunion sich 1947 für den Bau des Atomwaffentestgeländes („Polygon“) entschieden hat, wussten die Entscheidungsträger, dass die Gegend besiedelt ist. In der Nähe sind mehrere Dörfer und Städte. Die Stadt Semipalatinsk (315.000 Einwohner) liegt nur 130 km entfernt. Unter den Tests zu leiden hatte v. a. die kasachische Bevölkerung und zehntausenden Russlanddeutsche, die als Folge des Zweiten Weltkrieges in diese Sowjetrepublik verschleppt worden waren und in den Dörfern um das Polygongelände lebten.

Die Gesundheit fast aller Menschen, die in der Nähe des Polygons gewohnt haben, wurde irreparabel geschädigt. Die radioaktive Belastung hat zur dramatischen Schwächung des Immunsystems geführt. In der Region findet sich eine Steigerung der Zahl und Arten von verschiedenen onkologischen Erkrankungen, Erkrankungen des Blutes und der Atmwege, des endokrinen Systems, Immundefiziten und auch psychischen Erkrankungen. Verläufe und Dauer der Erkrankungen sind erschreckend. Missbildungen bei Menschen und Tieren waren häufig, die Zahl mit körperlichen und geistigen Behinderungen geborener Kinder hoch.

Als wir im Jahr 1957 nach Semipalatinsk umgezogen sind, haben auf dem Semipalatinsker Atomversuchsgelände oberirdische Atombombentests statt gefunden. Von der Schädlichkeit dieser Atomtests wussten wir nichts. Wir sind nach draußen gegangen, um den aufsteigenden Pilz zu bewundern, oder sind in der Wohnung geblieben um die Schränke festzuhalten, damit das Geschirr nicht heraus fiel. Gemüse und Obst haben wir selbst angepflanzt und gegessen. Auch Fisch aus dem „Atomsee“ – einem See, der durch einen Atomtest entstanden ist – haben wir gegessen. Ein Nachbar ist oft mit einem großen Tankwagen voller Fische vom Atomsee gekommen und hat den Fisch auf der Straße verkauft – man hat ihn gerne gekauft, er war sehr groß.

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on den Atomversuchen in Kasachstan sind mehr als 1,5 Millionen Menschen betroffen, heute leben von den damals geschädigten nur noch ca. 300.000 Menschen. Der männliche Teil dieses Kontingents ist auf ein Drittel geschrumpft, was fast zu einer nationalen Tragödie wurde, weil man bei so einem Unterschied zwischen der Zahl der männlichen und weiblichen Bevölkerung, nicht von einer gesunden demographischen Entwicklung sprechen kann. Das zweite Problem betrifft junge Männer im Wehrdienstalter: Wegen körperlicher Probleme bestehen 7580 % dieser jungen Männer die Einberufungskommission nicht. Wer aber nicht beim Militär war kriegt keine Arbeit.

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n den 40 Jahren von 1949 – 1989 wurden hier 458 Atomtests durchgeführt. Bis Ende 1962 haben oberirdische Tests stattgefunden. Nach 1962 wurden die Tests unterirdisch durchgeführt.

Kasachische und japanische Ärzte haben im Jahr 2008 in Untersuchungen nachgewiesen, dass die Bevölkerung der Stadt Semipalatinsk und der anliegenden Rayons im Schnitt 500 Millisievert Strahlung abgebekommen hat. Die Zahl der Krebserkrankungen ist 25-30 Mal höher als im restlichen Kasachstan. Die Ärzte der beiden Staaten haben ähnliche Symptome dauerhafter psychischer Folgen bei den Opfern des Semipalatinsker Polygons und den Opfern von Hiroshima und Nagasaki festgestellt: nächtliche Alpträume, Depressionen, Gereiztheit und Nervosität. Enorm hoch ist die Selbstmord­rate in Gebieten in der Nähe des

Nach dem Zerfall der Sowjetunion erklärte sich das Land 1991 als Republik Kasachstan unabhängig. Mit Erlass vom 29. August 1991 wurde das Semipalatinsker Atombombentestgelände geschlossen. Die Republik Kasachstan hat sich für eine Atomwaffenfreie Zone entschieden. Seit 2007 heißt die Stadt Semipalatinsk „Semei“. Trotz der Schließung des Polygons haben die anliegende Gebiete noch immer mit den Folgen zu kämpfen. Das Territorium des Se22


Foto: Taha Dar / CC BY-NC-SA 2.0

Der Schöne Schein Trügt: Der Balapan oder auch Chagan-See („Atomsee“) entstand 1965 durch den Chagan-Atomtest.

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Atomtestsgeländes (1,8 – 2,5-fach höher als in der gesamten Republik Kasachstan). Eine Expertenkommission von Psychiatern aus Alma-Ata, Moskau und Semipalatinsk stellte schon 1988 eine wesentliche Zunahme von psychischen Erkrankungen bei den Einwohnern des Gebietes Semipalatinsk fest: von 1970 bis 1988 um 48,4 %. Die Anzahl an Menschen mit geistiger Behinderung lag hier um fünfmal höher als in anderen Teilen der damaligen UdSSR.

as ehemalige Atomwaffentestgelände ist heute noch Sperrgebiet, jedoch ist es praktisch für jedermann zugänglich. Teilweise wird das Gebiet heute auch zur Viehhaltung und Weidewirtschaft genutzt. Außerdem liegen dort noch viel Schrott und Kabel mit Buntmetallen herum. Der Schrott ist auch nach 23 Jahren noch radioaktiv verseucht. Die Menschen sammeln den Schrott, bringen ihn nach Hause oder in ihre Scheunen, um ihn später zu verkaufen. Beim Ausbuddeln von Schrott und Kabeln werden Radionuklide freigesetzt, die sich mit Wind verbreiten und eingeatmet werden. Aber aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage, nutzt die einheimische Bevölkerung dennoch jede Möglichkeit, um etwas zu verdienen.

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ie medizinische Versorgung in der Region ist relativ schlecht. In Semei gibt es ein Diagnostisches Zentrum. Wenn man eine Polygonbescheinigung und eine Überweisung vom Hausarzt hat, kann man sich dort einmal im Jahr untersuchen und behandeln lassen. Nicht alle wissen, dass es diese Einrichtung gibt und es ist sehr schwer einen Behandlungstermin zu kriegen. Die medizinische Versorgung in den Dörfern um das Polygongelände ist noch schlechter. Die Menschen müssen 25-40 km fahren, um in ein Krankenhaus zu kommen.

Derzeit wird überlegt, das Atomwaffentestgelände Semipalatinsk wieder abzuriegeln oder wenigstens die gefährlichen Zonen für die Bevölkerung zu sperren. Eine späte Schutzmaßnahme, die das Leid der unzähligen Atomtestopfer kaum mehr lindern wird.

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s wird viel über Tschernobyl gesprochen, aber nur wenige Menschen kennen die traurige Geschichte von Semipalatinsk. Tschernobyl war ein einmaliges Unglück – in Semipalatinsk wurden 40 Jahre lang Atombomben getestet. Die Menschen leiden darunter bis heute.

Am 18. Dezember 1992 hat die Republik Kasachstan ein Gesetz erlassen zur Unterstützung der Bürger, die durch die Atomtests geschädigt wurden. Wegen der Wirtschaftskrise in den 90er Jahren, wurde die Umsetzung dieses Gesetzes teilweise ausgesetzt. Obwohl die wirtschaftliche Entwicklung in Kasachstan in den letzten Jahre ein enormes Wachstum zu verzeichnen hat, ist das Gesetz noch immer nicht voll umgesetzt.

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ach dem Zerfall der Sowjetunion war in Kasachstan die Wirtschaft zusammengebrochen. Fast alle Betriebe in Semipalatinsk schlossen. Zurzeit kommt die Wirtschaft langsam wieder in Gang. In der Stadt gibt es sehr viele Geschäfte und Märkte. Wenn es keine Arbeit gibt, versuchen die Menschen mit Handel zu überleben. Viele Einwohner haben kleine private Geschäfte gegründet. Es gibt viele Schrottsammler und manche Einwohner verkaufen Obst und Gemüse aus ihren Gärten und Datschen.

Ida Betke ist Mitbegründerin des Vereins SAWTS e. V., der sich für die Opfer der Atomtests einsetzt. 23


Katastrophales Humanitäres Leid rechte Seite: Was Wäre wenn? – Simulation einer Atom­ waffenexplosion über Seoul und Pjöngjang.

Atomwaffen töten auch ohne Krieg Ein Interview mit dem europäischen Vizepräsidenten der IPPNW, Dr. Lars Pohlmeier

epd: Die Weltgesundheitsorganisation WHO beschreibt Atomwaffen als die größte Gefahr für menschliches Leben. Welche Auswirkungen sehen Sie? Pohlmeier: Eine heute gängige Atomwaffe tötet Millionen Menschen durch Verbrennung, Druckwelle und Strahlung. Atomwaffen töten aber auch ohne Krieg. Das beginnt beim Uranbergbau mit seinen schwerwiegenden Gesundheitsfolgen. Die immensen Mittel, die für diese menschenfeindliche Technologie aufgewendet werden müssen, fehlen in anderen Bereichen. Viele der klügsten Köpfe weltweit beschäftigen sich lebenslang mit der Frage, wie Atomwaffen noch perfekter und die Zerstörung noch größer werden können, anstatt ihren Intellekt dazu zu benützen, um wirklich wichtigen Problemen wie dem Klimawandel zu begegnen. Das ist eine irrsinnige Vergeudung von Ressourcen. Atomwaffenarsenale verhindern wichtige soziale, gesundheitliche und gesellschaftliche Fortschritte. epd: Wie könnte die atomare Abrüstung vorankommen? Pohlmeier: In Deutschland müssen wir als Nicht-Atomwaffenstaat das sicherheitspolitische Signal setzen, alle US-amerikanischen Atomwaffen umgehend abziehen zu lassen. Außerdem gibt es ja heute schon eine völkerrechtliche Verpflichtung aller Teilnehmerstaaten des Atomwaffensperrvertrages, ihre Waffen abzuschaffen. Darüber wird aber keine entschiedene Debatte geführt. Eine unserer Forderungen, die mittlerweile auch UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon unterstützt, ist dazu ein ergänzender Vertrag, in dem die Abschaffung aller Atomwaffen überprüfbar und zeitlich festgeschrieben geregelt wird.

epd: Herr Pohlmeier, beschäftigt die Menschen angesichts der Krise auf der koreanischen Halbinsel die Frage der atomaren Bedrohung? Lars Pohlmeier: Vielen erscheint die atomare Hochrüstung als abstraktes Thema. Sich die unglaublichen Verwüstungen und globalen Folgen im Falle von Atomwaffeneinsätzen vorzustellen, ist emotional kaum zu erfassen. Und doch ist die Bedrohung auch für uns weiter konkret, wie die Korea-Krise zeigt. Atomwaffen sind kein Nischen- oder Experten-Thema. Wir brauchen dringend eine breite öffentliche Debatte. Das wollen wir mit anstoßen.

(epd Niedersachsen-Bremen/11.04.13, Gespräch: Dieter Sell) 24


Abwurf einer 10kt-Atombombe* Seoul, Südkorea Bevölkerungsdichte Innenstadt: 17.219 Einwohner je km²

Die Gesamtzahl der Toten binnen vier Monaten betrüge bis zu 143.000 Menschen.

13.000 Tote 38.000 Tote 32.000 Tote 20.000 Tote 20.000 - 40.000 Tote

1km

Zusätzlich würden Tausende Menschen in den Folgejahren an strahleninduzierten Erkrankungen sterben. *Medizinische Folgen und Todeszahlen berechnet auf Basis der Daten, die in Hiroshima nach dem Abwurf der Atombombe beobachtet wurden. Quelle Bevölkerungsdichte Seoul: OECD 2009, siehe: www.hani.co.kr/arti/ english_edition/e_international/393438.html. 5km

Zone 1 0 – 0,5 km 0,8 km2

Am Einschlagsort verschwindet nahezu alles Leben und alle Infrastruktur in einer Millisekunde. Menschen verwandeln sich in Asche und bleiben an Zementwänden oder dem Erdboden als „atomare Schatten“ zurück.

Einwohner Seoul: 13.000 Einwohner Pjöngjang: 1.000

Zone 2 0,5 – 1 km 2,5 km2

Die Hitze des riesigen Feuerballs führt zu schweren Verbrennungen. Aufgrund der Druckwelle wird ein Großteil der Gebäude zerstört.

Einwohner Seoul: 43.000 Einwohner Pjöngjang: 3.200

Zone 3 1 – 1,5 km 4,0 km2

In einer Entfernung von 1 bis 1,5 km vom Einschlagsort beträgt die Strahlendosis 5 Sievert. Die betroffenen Menschen werden akut strahlenkrank. 20 % sterben binnen Stunden, 46 % binnen Tagen, Wochen oder Monaten.

Einwohner Seoul: 69.000 Einwohner Pjöngjang: 5.200

Zone 4 1,5 – 2 km 5,5 km2

Die Druckwelle (3-4 psi) zerstört viele Gebäude, durch umherfliegende Trümmer und Glas gibt es eine hohe Zahl von Schwerverletzten. Die Menschen erleiden Brandwunden ersten und zweiten Grades.

Einwohner Seoul: 94.000 Einwohner Pjöngjang: 7.100

Zone 5 2 – 5 km 66,0 km2

In einer Entfernung von 2 bis 5 Kilometern fällt die Sterberate unter 4 %.

Einwohner Seoul: über 1.000.000 Einwohner Pjöngjang: 85.600

Pjöngjang, Nordkorea Bevölkerungsdichte Innenstadt: 1.297 Einwohner je km²

Die Gesamtzahl der Toten binnen vier Monaten betrüge bis zu 11.200 Menschen.

1.000 Tote 2.800 Tote 2.400 Tote 1.600 Tote 3.400 Tote

1km

Zusätzlich würden Tausende Menschen in den Folgejahren an strahleninduzierten Erkrankungen sterben. *Medizinische Folgen und Todeszahlen berechnet auf Basis der Daten, die in Hiroshima nach dem Abwurf der Atombombe beobachtet wurden. Quelle Bevölkerungsdichte Pjöngjang: Regierung Nordkorea. 5km


Katastrophales Humanitäres Leid

„Wie die Hölle, über die ich gelesen hatte“ Überlebende der Hiroshimabombe erzählen

IPPNW-Mitglied und Professor für Psychiatrie Robert Jay Lifton war der Erste, der eine umfassende Untersuchung über die psychologischen Auswirkungen der Atombombe in Hiroshima durchführte. In den Jahren 1960-1962 interviewte er hierzu in Japan zahlreiche Hibakusha (Überlebende). Sein Buch „Death in Life“, in dem er die Ergebnisse zusammenfasst, erschien 1969. Aus diesem Buch stammen die folgenden Interview-Ausschnitte von Überlebenden der Hiroshima-Atombombe. Wolkenpilz

Unkenntlich

Ein blendender … Blitz zerschnitt scharf den Himmel …. Reflexartig warf ich mich auf den Boden … Im selben Moment spürte ich eine brennende Hitze auf der Haut … Ein Aussetzer in der Zeit. Totenstille. Wahrscheinlich ein paar Sekunden lang. Und dann ein großer Knall, wie fernes Donnergrollen. Gleichzeitig presste ein gewaltiger Luftstoß meinen gesamten Körper herunter. Wieder ein Moment gar nichts. Dann eine komplexe Serie von Zersplitterungsgeräuschen. Ich hob meinen Kopf in Richtung Westen, des Zentrums von Hiroshima. Eine enorme Wolkenmasse breitete sich aus und stieg rasant in den Himmel. Dann brach ihr Gipfel auf und hing horizontal über. Sie nahm Form eines riesigen Pilzes an, mit dem unteren Teil als sein Stil … Darunter brachen mehr und mehr kochende Wolken auf und entfalteten sich seitwärts. Die Form, die Farbe, das Licht änderten sich unaufhörlich …

Meine Mutter und ich wurden auf eine Insel in der Nähe gebracht. Ich konnte nichts sehen und nicht sprechen – das ist, was ich später hörte. Meine Augen waren nicht verletzt. Ich glaube, ich hatte die Augen geschlossen, als die Bombe fiel. Mein Gesicht war so entstellt und verändert, das die Leute mich nicht erkannten. Nach einer Weile konnte ich Namen anderer rufen, aber sie erkannten mich nicht. Wir wurden als die schwersten Fälle betrachtet … von den 35 Menschen, die auf diese Insel gebracht worden waren, überlebten nur zwei. (Mädchen, 14 Jahre)

(Ein Geschichtsprofessor, in einem Vorort über 4 km vom Hypozentrum)

Feuersturm … Aber meine Mutter war sehr schwach, kollabierte und fiel auf die Seite. Ich half ihr hoch und versuchte sie mitzuschleifen. Aber die Straße war überhäuft mit Trümmern und ich konnte sie überhaupt nicht bewegen … Das Feuer war überall um uns herum und ich dachte, ich sollte mich beeilen … Ich erstickte fast von dem Rauch und dachte, wenn wir so blieben, würden wir beide sterben. Ich dachte, wenn ich eine größere Straße erreichte, könnte ich Hilfe holen, also ließ ich meine Mutter zurück … Ich fand einen Nachbarn … er ging zurück wegen ihr … aber nach einer Weile tauchte er wieder auf und sagte, er könne zu dem Platz nicht mehr durchdringen … (Ein 13-Jähriger, 1,4 km vom Hypozentrum)

Laufende Geister Die Erscheinung der Menschen war … sie hatten alle Haut schwarz von Verbrennungen. Sie hatten keine Haare, weil ihr Haar verbrannt war und auf den ersten Blick konnte man nicht sagen, ob man sie von vorne oder von hinten sah. Sie hielten ihre Arme gebeugt … und ihre Haut – nicht nur an ihren Händen, sondern auch in ihren Gesichtern und an ihrem Körper – hing herab … Wenn es nur ein oder zwei solcher Menschen gegeben hätte … hätte sich mir dieser Eindruck vielleicht nicht so eingeprägt … Aber egal wohin ich ging, traf ich diese Menschen. Viele von ihnen starben am Straßenrand – ich sehe es noch genau vor mir – wie laufende Geister … Sie sahen nicht aus wie Menschen von dieser Welt … Sie hatten eine ganz bestimmte Art zu gehen – sehr langsam … Ich selbst war einer von ihnen. Die ganze Situation war außergewöhnlich … und so war auch meine geistige Verfassung … da waren diese Menschen, die neben mir lagen … Heute würde die Person neben mir sterben, den Tag danach würde eine andere Person in meiner Nähe sterben … Einer von ihnen würde mit mir 26

sprechen, und wenn ich ihn nur ein paar Minuten später rufen würde, wäre er tot. (Ein Lebensmittelhändler)

Wie die Hölle Alles, was ich sah, hinterließ einen tiefen Eindruck – ein Park in der Nähe bedeckt mit Leichen, die darauf warteten, verbrannt zu werden … Schwerverletzte, die in meine Richtung evakuiert wurden … Den tiefsten Eindruck aber hinterließen einige Mädchen, sehr junge Mädchen, deren Kleidung nicht nur zerrissen, sondern deren Haut auch heruntergeschält worden war … Mein erster Gedanke war, dass dies so war, wie die Hölle, über die ich immer gelesen hatte … (Ein junger Soziologe, 2,5 km vom Hypozentrum)

Augenblicke Ich war auf dem Weg um meine Familie zu finden. Irgendwie wurde ich eine erbarmungslose Person, denn wenn ich Mitleid gehabt hätte, wäre ich nicht in der Lage gewesen durch die Stadt zu laufen, über die Körper der Toten. Am beeindruckendsten war der Ausdruck in den Augen der Menschen – schwer verletzte Körper, die ganz schwarz waren – ihre Augen suchend nach jemandem, der kommen würde, um ihnen zu helfen … Ich suchte meine Familie und musste jeden den ich traf genau anschauen, um zu sehen, ob er oder sie ein Familienmitglied war – aber die Augen – die Leere – der hilflose Ausdruck – waren etwas, dass ich niemals vergessen werde. (Ein Geschichtsprofessor)

Entkommen Sein Kopf war mit Blut bedeckt, und als er uns sah, rief er uns … „Bitte nehmt mein Kind mit euch. Bitte nehmt ihn mit in das Krankenhaus dort drüben.“ … Das Kind schien seine Arme nicht bewegen


ser Menschen das Kind mitnehmen würde – denn ich musste zu meiner Einheit zurück. (Ein Unteroffizier)

Scham … und dann Hunderte Menschen, meist Frauen und Kinder, ohne Kleidung, auf dem Asphalt liegend, nach Hilfe bettelnd … Ein Mädchen, vielleicht 18 oder 19 Jahre alt, hatte keine Kleidung an ihrem Körper außer ihrer halben Strumpfhose, die sie nicht bedeckte … Sie ging ein paar Schritte auf mich zu, aber sie war zu beschämt über ihre Situation ... hockte sich auf den Boden und bat um meine Hilfe – ihre Hände in Gebetsposition. Und dann sah ich ihre Hände und sah, dass die Haut abgebrannt war und sie Handschuhe trug. … (Ein Techniker aus einem Vorort) Bild: Standish Backus

zu können … das herannahende Feuer sehend, hatte ich Angst, dass wir selber nicht überleben würden … Ich dachte wir müssten uns abhärten gegen Mitleid, um zu entkommen. Aber seine Schreie, als wir weitergingen, „Yano-san, bitte“, gingen mir nicht mehr aus dem Kopf … Später erfuhr ich, dass er überlebt hatte … aber das Kind war gestorben. (Ein Arbeiter)

Hilflos Ich hörte unzählige Stimmen nach Hilfe rufen, Stimmen, die nach ihren Vätern riefen, Stimmen von Frauen und Kindern … Noch heute frage ich mich, was aus diesen Menschen geworden ist … Ich konnte meinen Körper nicht gut bewegen, und mein Sohn musste sich neben mir auch noch um seine sechs Kinder kümmern, also haben wir anderen einfach nicht geholfen … Ich fühlte, dass es falsch war, nicht zu helfen, aber wir waren so beschäftigt damit selber zu entkommen, dass wir sie zurückließen … Noch heute höre ich ihre Stimmen … (Eine ältere Witwe)

Verlassenheit und Angst Ich versuchte ein paar Sachen aus dem Haus zu holen, aber alles war begraben … und so nahm ich nur Windeln mit … und ich selber nur in einer Strumpfhose und einem Slip, wir drei – eine Mutter mit zwei Kindern – was sollten wir tun? In welche Richtung sollten wir flüchten? Ich hatte kein klares Ziel vor Augen, aber das Gefühl, dass wir fliehen müssten … Die Achtjährige begann zu jammern, dass ihr Bauch sich heiß anfühlte – und dann

brach sie – eine dunkle Flüssigkeit wie Kohleteer … und dann begann auch das Baby … Ich wollte über eine Brücke in der Nähe gehen, aber sie stand in Flammen … Mir wurde gesagt, ich solle nach Itsukaichi (ein Vorort) gehen, aber ich wusste mit meinen Verletzungen und meinen zwei Kindern, hätte ich nicht die Kraft dorthin zu gehen … Das Gefühl von Verlassenheit und Angst … das Gefühl kein zu Hause und keine Familie zu haben, war sogar noch stärker, als meine Gedanken über Leben und Tod. (Eine Mutter mit 8-Jähriger Tochter und 1-Jährigem Sohn)

Später Ich dachte, dass andere natürlich vor mir behandelt werden sollten, weil ihre Fälle schwerer waren, als meiner … bis mein Bein von Maden befallen war … Ich zeigte ihnen, wie schlimm es geworden war, aber alles, was sie sagten war: „Ich komme später zurück um mich um sie zu kümmern“ … (eine Frau mit schwerer Beinverletzung, 1,8 km vom Hypocenter)

Das Kind Ich kam in die Stadt … lief am Flussufer entlang … Ich sah die Leichen einer Mutter und ihres Kindes … Oder, ich dachte ich sähe Leichen, aber das Kind lebte noch – es atmete, mit Schwierigkeiten … Ich füllte den Deckel meiner Lunchbox mit Wasser und gab es dem Kind, aber es war so schwach, dass es nicht trinken konnte … Ich wusste, dass hier häufig Menschen vorbeikamen … und hoffte, dass einer die27

Überleben und doch Sterben (Meine Tochter) hatte ... nur geringfügige äußere Verletzungen, also nahm ich sie mit in mein Landhaus. Sie war zunächst ganz in Ordnung, aber am 4. September wurde sie plötzlich krank … Ihre Symptome waren anders, als bei normalen Krankheiten: Sie hatte Punkte überall auf ihrem Körper … Ihr Haar fiel aus … Sie erbrach häufig kleine Blutklumpen. Dann fing sie an, im ganzen Mund zu bluten. Zu dieser Zeit war ihr Fieber sehr hoch. Ich fühlte, dass dies eine sehr seltsame, schreckliche Krankheit war … Wir wussten nicht, was es war. Ich dachte eine Art von Seuche – etwas wie Cholera. Also sagte ich dem Rest der Familie sie nicht zu berühren und alle Utensilien und alles, was sie benutze zu desinfizieren … Wir hatten alle Angst davor und selbst der Arzt wusste nicht, worum es sich handelte … Nach zehn Tagen Agonie und Tortur starb sie … (Ein Stiftfabrikant)

Kein Heilmittel Wir hörten das neue Wort „A-BombenKrankheit“. Die Angst in uns wurde stark, besonders, wenn wir bestimmte Dinge mit eigenen Augen sahen: Ein Mann, der kerngesund schien, während er eines Morgens auf einem Fahrrad vorbeifuhr, spuckte plötzlich Blut und starb dann ... Sehr bald machten wir uns alle große Sorgen über unsere Gesundheit, unsere eigenen Körper – ob wir leben oder sterben würden. Und wir hörten, dass es, wenn jemand krank wurde, keine Behandlung gab, die half. Wir konnten uns auf nichts verlassen, nichts konnte uns helfen ... (Ein buddhistischer Priester)


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Was kaufen wir für eine Trillion Dollar? Atomwaffen und die Fehlverteilung öffentlicher Mittel

Land, in dem 20 % der Bevölkerung in extremer Armut leben, arbeitet zurzeit mit Hochdruck daran, sein Atomwaffenarsenal zu verdoppeln und heizt damit das nukleare Wettrüsten in ganz Asien an.

Es quält mich außerordentlich, dass die Nuklearmächte ihre Abrüstungsverpflichtungen nicht erfüllen und stattdessen weiterhin Milliarden in diese furchtbaren Waffen investieren. Das ist ein himmelschreiender Diebstahl von öffentlichen Mitteln – in einer Zeit, in der Menschen hungern, in der Kinder sterben, weil sie kein sauberes Wasser haben und in der sich Krankheiten ungezügelt ausbreiten. In einer Zeit, in der wir die Mittel haben, um all diese furchtbaren Plagen zu beenden“, schreibt Desmond Tutu in seinem Vorwort zum ICAN-Report „Don’t bank on the bomb“.

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ber auch Deutschland als Nicht-Atomwaffenstaat wird von der Modernisierungswelle erfasst. Die von den USA beschlossene Modernisierung der im rheinland-pfälzischen Büchel gelagerten US/NATO-Atomwaffen ist nicht nur ein katastrophales Signal und schwächt die deutsche Position in Abrüstungsverhandlungen, sondern bedeutet auch, dass zu den 900 Millionen Euro, die Deutschland zurzeit für die Lebensdauerverlängerung der Deutschen Trägerflugzeuge ausgibt (diese wurde beschlossen, da sonst die Stationierung der Atomwaffen in Deutschland obsolet würde) weitere Kosten für die Anpassung der Flugzeuge an die modernisierten Atomwaffen kommen.

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achdem er sein Leben der Überwindung von Armut, Rassismus und anderen Formen der Unterdrückung gewidmet hat, ist der südafrikanische Bischof und Friedensnobelpreisträger zu einem aktiven Unterstützer der Internationalen Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen (ICAN) geworden.

Die neue Modernisierungswelle wird nach konservativen Schätzungen in den nächsten 10 Jahren zu weltweiten Ausgaben für Atomwaffen von über einer Trillion Dollar führen. Für dieses Geld bekommen wir dann:

2011 wurden weltweit ca. 105 Milliarden US-Dollar für Atomwaffen ausgegeben, nach einer Prognose der Weltbank würde jährlich etwa die Hälfte davon ausreichen, um die MillenniumEntwicklungsziele, einschließlich der Halbierung der Armut zu erreichen. Trotz des neuen START-Vertrags, in dem die USA und Russland sich zu einer Reduktion der Anzahl ihrer Atomwaffen verpflichtet haben, wollen die USA bis 2020 ihr Atomwaffenbudget um 21 % aufstocken. Der Großteil davon ist für die Modernisierung alternder Atomwaffen, Produktionsstätten, für Raketen, U-Boote und Kampfflugzeuge vorgesehen.

»» neue Waffen, die nie eingesetzt werden sollen, »» Waffen, die moderner und oft gefährlicher sind als ihre Vor- gänger, »» Waffen, die noch für viele Jahrzehnte halten (und solange be- steht auch das Risiko ihres Einsatzes), »» eine exponentielle Zunahme des Proliferationsrisikos, »» Umwelt- und Gesundheitsschäden durch die Verarbeitung von hochangereichertem Plutonium und Uran.

Um nicht ins Hintertreffen zu geraten, plant auch Russland in den nächsten 10 Jahren Investitionen in Höhe von rund 580 Milliarden Euro und zeigt sich bereit, fatale Fehler der Sowjetunion zu wiederholen.

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ie Atomwaffenbefürworter sagen, dass wir uns mit den Atomwaffen Sicherheit und Stabilität kaufen. Wir müssen uns entscheiden: Wollen wir eine Zukunft, in der sich alle gegenseitig mit Vernichtung drohen und es nur eine Frage der Zeit ist, bis etwas passiert? Oder glauben wir daran, dass Sicherheit entsteht, wenn jeder genug bekommt und keiner Angst haben muss?

E

s ist zu befürchten, dass die anderen Atomwaffenstaaten diesem Beispiel folgen werden. So hat Großbritannien bereits angekündigt, seine Atom-U-Boote für 100 Milliarden Pfund zu ersetzen. Für diese Summe könnte England für einen Zeitraum von 30 Jahren 150.000 zusätzliche Krankenschwestern und Lehrer beschäftigen, wie die Britische Campaign for Nuclear Disarmament berechnet hat.

Dr. Inga Blum ist Assistenzärztin in der Neurologie und seit 2013 Vorstandsmitglied der IPPNW Deutschland.

Neben Nordkorea ist Pakistan ein weiteres besonders dramatisches Beispiel für die Fehlverteilung öffentlicher Mittel: Das 28


Von Oslo über Büchel nach Mexiko Auf dem Weg zum Atomwaffenverbotsvertrag?

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Büchel-Aufruf unterzeichnen

chauspieler Martin Sheen sitzt auf einem Sofa und hört Reverend John Dear zu, wie er einst in einem Kanu versuchte, ein Trident U-Boot zu blockieren. 450 „Campaigner“ aus aller Welt – darunter viele IPPNWÄrztInnen und Medizinstudierende – und etwa 300 weitere Zuschauer hören lustigen Geschichten von Sheen und Dear über zivilen Ungehorsam gegen Atomwaffen in den USA zu.

Mehr Infos zur Aktion in Büchel und zum Aufruf: w w w. at o mw af f enfr ei.d e / bu e ch el

Staaten sich bewegen, ihre Einigung über die Unzumutbarkeit von Atomwaffen in einen echten Verbotsvertrag umzuwandeln? Im April in Genf bei der Konferenz der Unterzeichnerstaaten des Atomwaffensperrvertrags (NPT) haben rund 80 Staaten eine weitere Erklärung über die humanitären Folgen von Atomwaffen unterzeichnet. „Auf die katastrophalen Folgen einer Atomwaffenexplosion (...) ist keine angemessene Reaktion möglich. Es müssen sämtliche Anstrengungen unternommen werden, um diese Gefahr zu beseitigen. Es gibt nur einen Weg, sicherzustellen, dass Atomwaffen niemals wieder eingesetzt werden: Sie vollständig abzuschaffen.“

Diese Show war Teil des „ICAN Civil Society Forum“ im März 2013 in Oslo. Die Internationale Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen (ICAN) stellte dort ihre neue Strategie vor: Wie Landminen und Streumunition gilt es, Atomwaffen als unakzeptabel zu brandmarken. Dazu soll der Fokus auf die katastrophalen humanitären Folgen eines Einsatzes gelenkt werden. Die Staaten sollen begreifen, dass das Verbot von Atomwaffen der einzig mögliche Weg ist, ihre Bevölkerungen effektiv zu schützen. Der logische nächste Schritt wäre die Aufnahme eines Verhandlungsprozesses, der zu einem Verbotsvertrag führt. Die Staaten ohne Atomwaffen sollen ermutigt werden eine federführende Rolle zu übernehmen. Sollten sie mit Verhandlungen beginnen, wären auch die Atomwaffenstaaten unter Druck, sich an dem Prozess zu beteiligen.

Deutschland unterstützt die Erklärung nicht. Die Ausrede: Als NATO-Mitglied könne man keine Formulierung unterstützen, die die nukleare Abschreckung infrage stellt. Unter den Unterstützerländern sind jedoch vier NATO-Mitglieder: Dänemark, Island, Luxemburg und Norwegen. Unsere Arbeit vor Mexiko ist damit vorprogrammiert. Wir müssen Deutschland und die restlichen NATO-Mitglieder überzeugen.

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er erste Schritt wurde gleich nach dem Civil Society Forum bei einer Staatskonferenz vollzogen. 127 Staaten trafen sich auf Einladung Norwegens, um über die humanitären Folgen zu sprechen. IPPNW, das Rote Kreuz und andere Hilfsorganisationen, Mitarbeiter der Innenministerien, Atombombenüberlebende und Mitglieder von ICAN präsentierten Daten und Fakten. Das Fazit: Atomwaffen haben so schreckliche Folgen, dass es keine adäquate Planung für effektive Hilfe geben kann. Auch bei einer einzigen Detonation wären die Rettungskräfte außerstande, die Masse von Schwerstverletzten zu versorgen. Natürlich muss es diese Planung trotzdem geben. Aber man sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass die Hilfe viel bringen würde.

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m Wahljahr ist es schwierig, das Thema auf die Tagesordnung zu bringen – es ist nicht wahlentscheidend. Daher hat die Kampagne „atomwaffenfrei.jetzt“ für August zu einer großen Protestaktion am Atomwaffenstandort Büchel in der Eifel aufgerufen, wo die letzten 20 US-Atombomben in Deutschland stationiert sind. Viele Menschen haben bereits einen Aufruf zur Sitzblockade am 11. und 12. August unterschrieben. Wir wollen damit vor der Wahl ein Zeichen setzen: Es reicht, die Atombomben müssen gehen!

Ein Staat nach dem anderen erklärte: Eine solche Katastrophe muss verhindert werden. Es wurde nicht mehr über Abschreckung geredet, alle begriffen, dass die Waffe kein Schutz, sondern selbst die Bedrohung ist und sie waren sich einig: Die Atomwaffen müssen weg! Selbst die Staaten, die als NATO-Mitglieder „erweiterte Abschreckung“ als Sicherheitspolitik beschlossen haben. Xanthe Hall ist Abrüstungsreferentin der IPPNW Deutschland.

Am Konferenzende bot Mexiko an, eine Folgekonferenz auszurichten. Könnte das bedeuten, dass 2014 endlich ein neuer Verhandlungsprozess ins Rollen kommt? Lassen diese rund 130 29


Welt

Der Blog zur Biketour: ippnwbiketour.wordpress.com Fotos unter: kurzlink.de/biketour2013

Radeln für eine Welt ohne Waffen 34 IPPNW-AktivistInnen aus 10 Ländern radelten zum Internationalen Kongress „Zielscheibe Mensch“

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nde Mai sind 34 IPPNW-AktivistInnen aus 10 verschiedenen Ländern und drei Kontinenten in drei Tagen von Ulm nach Villingen-Schwenningen geradelt. Im Vorfeld des internationalen Kongress „Human Target“ in Villingen zum Thema Kleinwaffen und Kleinwaffenhandel wollten wir die Menschen in Deutschland und weltweit darauf aufmerksam machen, was Waffengewalt anrichtet: Alle 43 Sekunden stirbt ein Mensch durch Kleinwaffen, allein etwa eine halbe Million Tote zählt das Rote Kreuz Jahr für Jahr, ganz zu schweigen von den Verwundeten.

wichtige Ressourcen für die Folgen von Kleinwaffengewalt verbraucht werden, die in Bereichen wie Bildung, Gesundheit und Wirtschaftsförderung bitter fehlen. Unsere ärztlichen KollegInnen aus diesen Ländern müssen die Opfer behandeln, Arbeitszeit und Material fehlt dann in anderen Bereichen. Am Nachmittag starteten wir unsere Aktion auf dem Ulmer Münsterplatz, „bewaffnet“ mit pistolenförmigen Keksen und Transparenten. Alle 43 Sekunden wurde eine Metallkugel in eine Blechschüssel fallen gelassen, um zu verdeutlichen, dass auf der Welt wieder ein Opfer von Kleinwaffengewalt gestorben ist.

Vielen Menschen ist das Problem nicht bewusst, da sich die meisten Konflikte nicht bei uns in Deutschland oder der nördlichen Hemisphäre abspielen, sondern in den Ländern der Südhalbkugel. Viele wissen auch nicht, dass die dort eingesetzten Waffen bei uns, in den Ländern der Nordhalbkugel hergestellt werden, u. a. in Deutschland, dem drittgrößten Waffenexporteur der Welt, dessen Waffen weltweit auf Konfliktschauplätzen auftauchen und soziale, politische und medizinische Entwicklung hemmen. Das wollten wir ändern; mit Aktionen, Interviews mit Medien und Gesprächen mit Politikern der Region wollten wir das Thema in die Öffentlichkeit bringen und die Menschen so dazu bewegen, Position zu beziehen.

Am Montag ging es mit dem Rad los. Am ersten Tag machten wir unsere Mittagspause in Ehingen, wo wir mit EinwohnerInnen auf dem Wochenmarkt über unser Anliegen sprachen und Unterschriften zur Stärkung des verwässerten Verbots von Waffenexporten im Grundgesetz sammelten. Der zweite Tag brachte Regen, und den längsten Streckenabschnitt nach Möhringen. Mittags haben wir in Sigmaringen Station gemacht und ein Fernsehinterview gegeben. Am letzten Tag wurden wir ab Neudingen durch die Mitglieder der lokalen Friedensvereinigung gestärkt, die uns nach Villingen führten. Dort wurden wir festlich empfangen, und waren gespannt auf den Kongress, um mit KollegInnen, ExpertInnen und Mitgliedern vieler Organisationen aus der ganzen Welt über ihre Erfahrungen zu diskutieren und unser Wissen zu dieser Problematik zu vertiefen. Vielleicht konnten wir mit unserer Tour und dem Kongress ein Stück dazu beizutragen, dass irgendwann in der Zukunft die Epidemie der Kleinwaffen nur eine ferne böse Erinnerung bleibt. Im Gegensatz zu anderen Epidemien ist sie menschengemacht: Es kann uns also gelingen!

U

nsere große Stärke war unsere Vielfalt, wir hatten MedizinerInnen aus Nigeria, Kenia, Indien, Nepal, den USA, Kanada, Großbritannien, Belgien, Estland und Deutschland dabei. Einige von uns, vor allem die EuropäerInnen, hatten selber kaum unmittelbaren Kontakt mit den Auswirkungen von Waffengewalt, einige dagegen kamen mit eindrücklichen Erfahrungen aus ihrem Berufs­alltag und auch ihrem persönlichen Leben, die sie mit uns teilten. Am Sonntagvormittag fand eine Protestaktion vor der Ulmer Waffenfabrik der Carl Walther GmbH statt, einer von Deutschlands wichtigsten Produzenten von Kleinwaffen, mit denen in Krisengebieten rund um den Globus Menschenrechtsverletzungen begangen und Zivilisten verwundet und getötet werden. Wie wir an diesem Tag aus den Medien erfuhren, haben sich die deutschen Kleinwaffenexporte im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Eine traurige Entwicklung für eine Welt, in der Kleinwaffen viele Landstriche regelrecht überschwemmen und jedes Jahr

Dominik Symank war Teilnehmer der IPPNWBiketour für eine Welt ohne Waffen. 30


aktion

Hildesheim

Bad salzuflen

Den Ernstfall proben Fukushima-Jahrestag Anlässlich des Jahrestages der Atomkatastrophe von Fukushima fanden am 9. März 2013 bundesweit Demonstrationen und Mahnwachen für den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie statt – vielerorts mit IPPNW-Beteiligung. Rund um das AKW Grohnde hatten sich die Regionalgruppen etwas Besonderes einfallen lassen. In Hannover, Hildesheim und Bad Salzuflen simulierten sie den Ernstfall. In IPPNW-Dekontaminationszelten konnten Bürger und Bürgerinnen erleben, was eine Evakuierung aus den „kontaminierten“ Gebieten nach einem Super-GAU bedeuten würde. Nach der Strahlenmessung wurden sie im Zelt dekontaminiert. IPPNW-Ärzte und Ärztinnen klärten dabei auf über die Folgen von Strahlung und den unzureichenden Katastrophenschutz in Deutschland im Falle eines Atomunfalls.

Hannover

Hannover 31


gelesen

Bescheidene Helden

Gut mit der Welt umgehen

Für „Bescheidene Helden“ porträtierte Katharina Mouratidi 40 Trägerinnen und Träger des „Alternativen Nobelpreises“ (Right Livelihood Award).

Der FUTURZWEI-Zukunftsalmanach zeigt, dass Gegenentwürfe zur derzeitigen Leitkultur des Konsums Spaß machen können.

ngie Zelter hält den Bau und die Stationierung von Atomwaffen für unmoralisch, verantwortungslos und illegal. So auch Großbritanniens Nuklearwaffensystem Trident. Jeder der 48 Trident-Sprengköpfe verfügt über die 8-fache Zerstörungskraft der Hiroshimabombe. Im Rahmen der Kampagne „Trident Ploughshares“ hat sich Angie Zelter zum Ziel gesetzt, mit Hilfe von gewaltfreien Protesten und zivilem Ungehorsam Trident abzuschaffen. Angie Zelter wurde für ihren Einsatz für ein atomwaffenfreies Großbritannien über 100-mal verhaftet und hat 16 Haftstrafen verbüßt.

ie Nachhaltigkeits- und Klimaschutzbewegung zeichnet Katastrophenszenarios. Sie spricht von drohenden Desastern, Dürren, Extremwetterereignissen und Überschwemmungen, die die Existenz der Menschheit bedrohen. Der Soziologe Harald Welzer hält das für „falsch und ideologisch“. „Veränderung geschieht nicht vor dem Hintergrund von Katastrophenszenarien; sie benötigt ein positives Ziel, und zwar eines, das mit der eigenen Identität und mit der Person, die man sein möchte, in Verbindung gebracht werden kann. Niemand rettet etwas abstrakt, sondern immer nur konkret: Es muss benennbar und erfahrbar sein, wofür man sich einzusetzen bereit ist“, schreibt er in dem Vorwort zum Futurzwei Zukunftsalmanach.

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Sie ist eine von 40 TrägerInnen des Alternativen Nobelpreises (Right Livelihood Award), denen die Fotografin Katharina Mouratidi in ihrer Ausstellung und dem gleichnamigen Buch „Bescheidene Helden/Backstage Hereos“ ein Denkmal gesetzt hat. Allen porträtierten Männern und Frauen ist gemeinsam, dass sie auf ihre ganz besondere Weise Möglichkeiten gefunden haben, die Herausforderungen unserer Zeit aufzuspüren und uns Lösungen anzubieten. Ihr Mut, ihre Entschlossenheit, ihre Kreativität sind wegweisend. Ihr Handeln ist beispielhaft. Ihre Geschichte ermutigt jeden und jede von uns dazu, sich für die eigenen Überzeugungen tatkräftig einzusetzen. Sie sagen uns: Es gibt Alternativen. Wir haben die Wahl.

Eine künftige Lebens- und Überlebenskunst könne nur darin bestehen, das erreichte zivilisatorische Niveau in Sachen Bildung, Gesundheit, Sicherheit, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit zu halten, gleichzeitig aber den Ressourcenverbrauch radikal abzusenken. Sein Plädoyer heißt Kultivierung, nicht Wachstum. Wenn man die Fehlentwicklungen zurücknehmen wolle, die mit der kapitalistischen Kultur und der Wachstumswirtschaft einhergehen, müsse man eine andere Utopie denken. „Eine zukunftsfähige Welt wird weniger, nicht mehr Produkte bieten; weniger, nicht mehr Mobilität bereitstellen; sie wird keine Kultur der chronischen Verfügbarkeit von allem sein“, so Welzer.

Zusammengenommen verkörpern diese Persönlichkeiten die Hoffnung, die wir benötigen, um die Veränderungen voranzutreiben, die notwendig sind, um den globalen Bedrohungen zu widerstehen und an einem friedlichen und gerechten Zusammenleben zu arbeiten.

In 72 Geschichten präsentiert der Futurzwei Zukunftsalmanach Vorbilder für den guten Umgang mit der Welt, angefangen mit den Schönauer Stromrebellen über die Plusenergiehäuser von Rolf Disch bis hin zu zur zockerfreien Zone der GLS-Bank. Ute Scheub beschreibt in einer der Geschichten, wie sich zwei junge Berliner von Kubas Gemeinschaftsgärten inspirieren ließen und den Kreuzberger Prinzessinnengarten aufgebaut haben.

Bescheidene Helden ist ein Kompendium von herausragenden Persönlichkeiten aus allen Schichten der Bevölkerung. Manche von ihnen sind ÄrztInnen, ArchitektInnen, BäuerInnen oder Hausfrauen. Sie kommen aus Ost und West, Nord und Süd. Katharina Mouratidi legt nach „die andere Globalisierung“ eine weitere großartige Dokumentation von VertreterInnen des Right Livelihood vor, die ich nur empfehlen kann.

Der Zukunftsalmanach macht Lust auf weniger Konsum, auf Reparatur statt Kauf, aufs Selbermachen, auf Gemeinschaftseigentum und eine Ökonomie, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist. Angelika Wilmen

Eine ansteckende Lektüre wünscht, Frank Uhe Harald Welzer & Stephan Rammler: Der FUTURZWEI-Zukunftsalmanach 2013. Geschichten vom guten Umgang mit der Welt. Taschenbuch, 16,99 €, ISBN: 978-3-596-19420-9

Katharina Mouratidi: Bescheidene Helden. Kehrer 2012, Festeinband, 112 Seiten, Deutsch/Englisch, 29,90 €, ISBN 978-3-86828-352-5 32


gedruckt

Termine

Für eine menschlichere Welt

August

Horst-Eberhard Richter hat in Deutschland mehrere Generationen beeinflusst. Ein halbes Jahrhundert lang war Richter als Psychiater und Psychoanalytiker, als viel gelesener Sozialphilosoph und Friedensdenker wichtig für Diskurse unseres Landes und hat in vielen Debatten bleibende Spuren hinterlassen. Die IPPNW hat deshalb zu seinem 90. Geburtstag diese Sammlung vorgelegt. Fünf Reden zwischen 1981 und 2011: »»Psychosoziale Medizin und Prävention von Militarisierungsbereitschaft (1981) »»Erinnerungsarbeit und Zukunftser- wartung der Deutschen (1992) »»Medizin und Gewissen: Eröffnungsvor- trag zum gleichnamigen IPPNW- Kongress (1996) »»Ist eine andere Welt möglich? Psycho­- analyse und Politik (2002) »»Atomgefahr und Menschlichkeit (2011)

Erhältlich für 5 € in der Berliner IPPNW-Geschäftsstelle oder im Internet unter: shop.ippnw.de

geplant

6.8. Gedenkveranstaltungen für die Opfer der Atombombenabwürfe auf Hiroshima & Nagasaki, bundesweit 22.8. „Bericht über eine Israel-Palästina-Reise“, Vortrag und Diskussion, Braunschweig

September 17.9. „Wie ist es in Europa um die Menschenrechte bestellt?“ Vorveranstaltung zum Benefizkonzert, Berlin 18.9. IPPNW-Benefizkonzert zugunsten von Human Rights Watch (HRW), Berlin 21.9. Global Health Konferenz: „Big Pharma: Good Pharma – Bad Pharma?“, Berlin Informationen und Kontaktdaten: www.ippnw.de/aktiv-werden/termine

Sehen wir uns in Büchel?!

Das nächste Heft erscheint im September 2013. Im Schwerpunkt geht es um

Die nukleare Kette: Vom Uranabbau bis zum Atommüll

August Aktionscamp gegen Büchel als Atomwaffenstandort

Der Redaktionsschluss für die Ausgabe 135/September 2013 ist der 31. Juli 2013.

5.8. Start der gewaltfreien Aktionen der Kampagne „atomwaffenfrei. jetzt“

Impressum und Bildnachweis Herausgeber: Internationale Ärzte für die Verhü-

Redaktion oder des Herausgebers. Nachdrucke

tung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verant-

bedürfen der schriftlichen Genehmigung.

wortung e.V. (IPPNW) Sektion Deutschland

Redaktionsschluss

Redaktion: Sabine Farrouh (V.i.S.d.P.), Angelika

31. Juli 2013

Wilmen, Samantha Staudte

Gestaltungskonzept: www.buerobock.de, Layout:

Freie Mitarbeit: Johannes Schildknecht, Jakob

Samantha Staudte; Druck: Oktoberdruck Berlin;

Hinrichsen

Papier: Recystar Polar, Recycling & FSC. Bild-

Anschrift der Redaktion: IPPNWforum, Körtestra-

nachweise: S. 6 links: © Herbert Sauerwein; S.

ße 10, 10967 Berlin, Telefon: 030 / 69 80 74 0,

6 Mitte: yorksranter/Flickr.de (CC BY-NC-SA 2.0);

Fax 030 / 693 81 66, E-Mail: ippnw@ippnw.de,

S. 7 links: Michaele Mügge/PubliXviewinG (CC);

www.ippnw.de, Bankverbindung: Bank für Sozial­

S. 7 rechts: © Ian Thomas Ash (documentingian.

wirtschaft, Konto 22 22 210, BLZ 100 205 00

com); Rückseite: 1. und 2. oben links, 2. unten

Das Forum erscheint vier Mal im Jahr. Der Be-

links: © Herbert Sauerwein; nicht gekennzeichne-

zugspreis für Mitglieder ist im Mitgliedsbeitrag

te: privat oder IPPNW.

für

2.-4.8. Öffentliches Fasten gegen Atomwaffen vor dem Bundeskanzleramt, Berlin

das

nächste

Heft:

5.-12.8. Aktionscamp, Informieren der Bevölkerung rund um Büchel, Sternradfahrt, Mitmachen oder Unterstützen der Fastenaktion gegen Atomwaffen 9.-11.8. Infos für BlockiererInnen und Trainings in gewaltfreier Aktion im Camp 11.-12.8. 24-Stunden-Blockade mit Musik (u. a. Lebenslaute), Aktionen und Redebeiträgen Mehr unter:

atomwaffenfrei.de/buechel

enthalten. Sämtliche namentlich gezeichnete Artikel entsprechen nicht unbedingt der Meinung der 33


gefragt

6 Fragen an ... Jürgen Grässlin

Rüstungsgegner, Autor des Buches „Schwarzbuch Waffenhandel“ und Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“

1

Herr Grässlin, haben Sie Ihren Wehrdienst abgeleistet? Ja, ich war bei der Bundeswehr, wenn auch nur vier Monate lang. Als ich zur Bundeswehr kam, lernte ich erst mal das G3Gewehr kennen: auseinanderbauen, zusammenbauen, auseinanderbauen, zusammenbauen. Dann gingen wir auf den Schießplatz und haben auf Metallfiguren geschossen, in deren Köpfen Zielscheiben mit Fadenkreuzen befestigt waren. Wenn man sie abgenommen hat, kam das zerschossene Gesicht eines Chinesen zum Vorschein. Ich habe mich entschieden: Ich schieße nicht auf Chinesen, überhaupt auf keinen Menschen. Bei der Bundeswehr wurde ich zum Pazifisten.

beispielsweise von Kleinwaffen von Heckler & Koch, werden streng überwacht. Doch aus Deutschland zu exportieren, ist dank des Außenwirtschaftsgesetzes vergleichsweise leicht. Bisher schreibt das Grundgesetz vor, dass die Bundesregierung den Waffenhandel kontrolliert. In Zukunft sollte der Export von Rüstungsgütern und Kriegswaffen verboten werden, das fordern wir in der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“.

5

In Deutschland funktioniert die Lobbypolitik offenbar gut. Gleichwohl sprechen sich unsere Politiker immer vehement gegen Kriegseinsätze aus. Wie heuchlerisch. Denn die Regierungspolitik ermöglichte es immer, dass Deutschland Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete liefert. Heuchlerisch auch deshalb, weil Frau Merkel und Herr Westerwelle in Länder des Arabischen Frühlings flogen und den Menschen dort Mut zusprachen, sich gegen ihre Repressoren gewaltfrei zu wehren. Bei solchen Reisen wurden Merkel und Westerwelle wiederholt von Vertretern der Rüstungsindustrie begleitet. Zeitgleich wurden mit eben diesen repressiven Regimes Verträge über neue Waffenlieferungen geschlossen.

2

Wenn sich Deutschland aus dem Rüstungsgeschäft zurückzieht, übernimmt es dann nicht jemand anderes? Eines der haltlosen Scheinargumente der Rüstungsbefürworter: Wenn wir nicht liefern, liefern die anderen. Gerade im Kleinwaffenbereich gibt es ein aufschlussreiches Beispiel: Die Firma Heckler & Koch wollte 63.000 G36-Gewehre an das Bürgerkriegsland Nepal liefern. Sie hat Testwaffen gesendet, die von der Bundesregierung genehmigt waren. Diese kamen in Nepal bei der Königsfamilie an und Kronprinz Dipendra hat mit diesen Waffen unter anderem seinen Vater erschossen. In der Folge hat die Bundesregierung den Export nicht genehmigt. Dann passierte das, was ich mir für andere Rüstungsgeschäfte wünsche: Weder die Russen noch die Amerikaner, die Chinesen oder Franzosen lieferten Gewehre.

6

Welche Unternehmen, neben Heckler & Koch, profitieren am meisten? Es gibt Unternehmen wie die Daimler AG, ein langjähriger Anteilseigner des Rüstungsriesen EADS, die heutzutage vor allem mit Militärfahrzeuglieferungen an menschenrechtsverletzende Staaten und Diktaturen auffallen. Mercedes Military lieferte Sattelzugmaschinen an das Regime Gaddafi, die im Libyen-Krieg zum Panzertransport eingesetzt wurden. Der Stahlkonzern ThyssenKrupp ist einer der führenden militärischen U-Boot-Bauer weltweit und liefert diese oft an verfeindete Staaten. Die Firma Diehl BGT in Überlingen sowie Tognum-MTU in Friedrichshafen zählen zu den führenden Unternehmen in ihrem Bereich. In Seedorf nahe Schramberg sitzt mit Junghans Microtec ein Hersteller von Zündern. Dann wären da noch die Waffenschmieden Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann zu nennen, die vor allem im militärischen Fahrzeug- und Panzerbau sehr stark sind.

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Fehlt also meistens nur der Mut, ein Exempel zu statuieren? Ja, denn es ist doch genau umgekehrt: Wenn die anderen nicht liefern, liefert Deutschland. Zum Beispiel hat das holländische Parlament vor wenigen Wochen entschieden, aufgrund der dortigen Sicherheits- und Menschrechtslage keine LeopardII-Kampfpanzer nach Indonesien zu exportieren. Aber der Bundessicherheitsrat hat in geheimer Sitzung entschieden, dass jetzt Deutschland die Panzer liefert.

4

Deutschland ist beim Waffenexport die Nummer drei der Welt. Sind die Gesetze zu lasch oder zu leicht zu umgehen? Beides. Zwar ist das Kriegswaffenkontrollgesetz sehr strikt. Die Lieferungen bis Bremerhaven oder zum Frankfurter Flughafen,

Mit freundlicher Genehmigung von Katrin Pribyl, Südkurier www.suedkurier.de/6089236 (ausführliches Interview) 34


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musikfest berlin 2013

IPPNW-Benefizkonzert zugunsten des Ungarischen Büros von Human Rights Watch (HRW) 18. September 2013, 19 Uhr im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie BegrüSSung: Wenzel Michalski (Direktor von HRW Deutschland) Béla Bartók: Suite für Klavier Op. 14 Antal Doráti: Die Stimmen für Bass und Klavier. Texte von Rainer Maria Rilke Leos Janáçek: Auf verwachsenem Pfaden 15 Miniaturen für Klavier, 1. Reihe, 1-10 Modest Mussorgsky: Lieder und Tänze des Todes, Liederzyklus für Gesang und Klavier András Schiff, Klavier Hanno Müller-Brachmann, Bassbariton

www.ippnw-concerts.de

Menschenrechte in Europa: Vorveranstaltung zum Konzert Die Veranstaltung von Human Rights Watch und IPPNW wird der Frage nachgehen, wie es in Europa um die Menschenrechte bestellt ist. Sie wird dabei den Fokus auf Ungarn, die südlichen und östlichen Außengrenzen der EU und die aktuelle Entwicklung legen. 17. September 2013, 15 - 18 Uhr im Hermann-Wolff-Saal der Berliner Philharmonie

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Mit: András Schiff, Pianist Wenzel Michalski, Direktor Human Rights Watch Deutschland Barbara Lochbihler, MdEP, Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Europäischen Parlament Moderation: Dr. Helge Grünewald Eintritt zur Vorveranstaltung frei. Voranmeldung erbeten: ippnw@ippnw.de

21.02.13 17:05 Seite 1

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B端chel

Atomwaffenstandort 11. - 12. August 2013

24 Stunden Happening, Musik, Blockade, kreativer Protest f端r eine atomwaffenfreie Welt: Sei dabei! B端chel!

Wir sehen uns in

Alle Infos unter: uechel b / n e d r e w iv t k a nfrei.de/ www.atomwaffe


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