IPPNW forum 135/2013 – Die Zeitschrift der IPPNW

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Foto: Robert Knoth, Balapan-See, Kasachstan: Familie Sultanat lebt in der Region wo 115 Atombombentests durchgeführt wurden.

ippnw forum

das magazin der ippnw nr135 sept13 3,50€ internationale ärzte für die verhütung des atomkrieges – ärzte in sozialer verantwortung

- Syrien: Der Geruch des todes - Atomwaffen: Fliegerhorst Büchel blockiert - 6 Fragen an: Monika hauser

Vom Uranbergbau bis zum Atommüll: Jedes Glied der nuklearen Kette birgt Gefahren für Mensch und Umwelt.


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Editorial Dr. Dörte Siedentopf ist Vorstandsmitglied der deutschen Sektion der IPPNW.

O Keep Out! Danger!

rte der radioaktiven Verseuchung liegen über den gesamten Globus verteilt. Angefangen vom Nevada-Testgelände in den USA über die ehemalige Plutoniumfabrik Hanford bis nach Savannah River in North Carolina, wo Plutonium und Tritium für den Bombenbau produziert wurden.

In Großbritannien und Frankreich finden sich die größten radioaktiven Verseuchungen um die Wiederaufarbeitungsanlagen Sellafield und La Hague. In China, wo die Umweltschäden der Atomwaffenproduktion streng geheim gehalten werden, sind radioaktive Verseuchungen auf dem chinesischen Testgelände in der Region Lop Nur bekannt. In Russland zieht sich das strahlende Erbe von Chelyabinsk im Ural bis zur Wiederaufarbeitungsanlage bei Tomsk in Sibirien und zur unterirdischen Trennanlage von Krasnoyarsk. Dies alles ist nur eine unvollständige Auflistung einer unsichtbaren nuklearen Landkarte, die sich über Hunderttausende von Quadratkilometern erstreckt.

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ie nukleare Kette hinterlässt unauslöschliche Spuren auf unserem Planeten. Diese Ausgabe unserer Mitgliederzeitschrift ist ihr gewidmet. IPPNW-Vorstand Dr. Alex Rosen beschreibt zunächst den langen Weg des Urans von den Bergwerken und Tagebaugruben bis zu den gelben Giftmülltonnen, die in feuchten Bergwerksstollen, schlecht gesicherten Lagerhallen, Wassergräbern oder unterirdischen Bunkern rund um die Welt zu finden sind.

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edes Glied dieser Kette birgt große gesundheitliche Risiken für Mensch und Umwelt. Über die gesundheitlichen Folgen des Uranabbaus für Arbeiter und Bevölkerung schreibt der Arzt für Umweltmedizin Dr. Günther Baitsch. IPPNW-Beiratsmitglied Prof. Inge Schmitz-Feuerhake veranschaulicht auf eindrückliche Weise den Diskussionsstand der Wissenschaft um die Gesundheitsschäden durch Niedrigstrahlung. Unsere Abrüstungsexpertin Xanthe Hall schreibt über die gefährlichen Zwillinge Atomenergie und Atomwaffen. Abschließend berichtet Thomas Dersee über das sogenannte Standortauswahlgesetz, das hierzulande dazu dienen soll, ein Langzeitlager für hoch radioaktiven Müll zu finden. Schließlich haben wir die „Nukleare Kette“ in einer Grafik anschaulich dargestellt, um die verschiedenen Prozesse und Zwischenschritte bei der Verarbeitung von Uran zu verdeutlichen. Eine anregende Lektüre wünscht Ihre Dörte Siedentopf 3


inhalt Atomwaffen in Deutschland: Erfolgreiche Blockade des Fliegerhorsts Büchel

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Themen Annäherung an das wahre Leben................................................................8 Inspiration und geschätzter Begleiter.......................................................9 Abrüstungsinstrumente. .................................................................................10 Der Geruch des Todes.................................................................................... 12 Big Pharma! Good Pharma oder Bad Pharma?. ...............................14 Altersfestsetzung bei jugendlichen Flüchtlingen............................16

Schwerpunkt

Die nukleare Kette: Jedes Glied schädigt Gesundheit und Umwelt

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Unser kostbarstes Gut.................................................................................... 18 Die atomare Kette – Kreislauf oder Sackgasse?............................. 20 Ein anderes Denken. ....................................................................................... 22 Gefährliche Zwillinge........................................................................................24 Gesundheitliche Folgen von Niedrigstrahlung................................. 26 Für die Ewigkeit. ................................................................................................ 27 Grafik: Die nukleare Kette........................................................................... 28

Welt Bittere Zeiten für Friedensaktivisten..................................................... 30

Ägypten: Militärputsch statt Revolution und Demokratie?

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Rubriken

Foto: Mohamed Azazy/Flickr/Creative Commons

Editorial.......................................................................................................................3 Meinung......................................................................................................................5 Nachrichten..............................................................................................................6 Aktion........................................................................................................................31 Gelesen, Gesehen............................................................................................. 32 Gedruckt, Geplant, Termine. ...................................................................... 33 Gefragt..................................................................................................................... 34 Impressum/Bildnachweis.............................................................................. 33


Meinung

Dr. Christine Schweitzer ist Geschäftsführerin beim „Bund für Soziale Verteidigung“ und wissenschaftliche Mitarbeiterin beim „Institut für Friedensarbeit und gewaltfreie Konfliktaustragung“.

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ie behauptet aber auch, dass die Rebellen für dessen Einsatz verantwortlich seien und führt angeblich beschlagnahmte Fässer mit giftigen Substanzen der Presse vor. Auf Facebook soll kurzfristig eine Meldung gepostet worden sein, in der sich Anhänger des Regimes zu dem Angriff mit Giftgas bekannten. Und dass Syrien über Giftgas verfügt und es auch schon eingesetzt hat, wird eigentlich von keinem seriösen Beobachter bestritten. In einer saudischen Zeitung wird behauptet, dass eine syrische Eliteeinheit gegen den Willen ihres Kommandanten Giftgas zum Einsatz gebracht habe.

Die Reaktionen in Syrien auf den Einsatz von Giftgas am 21. August folgten dem traurigen, inzwischen bekannten Ritual der gegenseitigen Beschuldigungen: Rebellenorganisationen sprechen von einem Giftgasangriff durch die Regierung. Die Regierung bestreitet, dass es sich um Giftgas gehandelt habe.

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ndererseits: Wie dumm müsste die Regierung Assad sein, um solch einen Angriff genau zu dem Zeitpunkt zu fliegen, wo UN-Inspektoren zur Überprüfung der Vorwürfe früherer Giftgas­ einsätze im Land waren? Die Rebellen fordern seit Beginn des Bürgerkrieges eine internationale Militärintervention. Der Krieg lief in den letzten Monaten nicht gut für sie, und ein militärischer Sieg scheint in weiter Ferne. Es hat auch in der Vergangenheit schon viele Fälle gegeben, in denen eine Seite einen Angriff auf sich selbst vortäuschte oder Zivilbevölkerung zum Ziel nahm, um einen Grund zu haben, in den Krieg zu ziehen oder Dritte zum Eingreifen zu bewegen. Die bekanntesten Beispiele sind der von Deutschland inszenierte Angriff auf den Sender in Gleiwitz an der polnischen Grenze 1939 und die von den USA vorgetäuschte Attacke auf ein US-Kriegsschiff im Golf von Tonkin vor Vietnam 1964, was den Vorwand lieferte, Nordvietnam anzugreifen. Beispiele für das zweite wurden in den Konflikten in Bosnien-Herzegowina zwischen 1992 und 95 (Beschuss des Marktes in Sarajevo) und im Kosovo (Massaker von Racak) vor dem Eingreifen der NATO 1998–99 zumindest vermutet, wenngleich nicht ohne jeden Zweifel belegt.

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ie man sieht: Spekulationen bezüglich der Urheberschaft des Giftgasangriffes können viele angestellt werden. Was die Wahrheit ist, ist nicht bekannt. Der Einsatz von Giftgas ist ein Kriegsverbrechen, egal, von welcher Seite er erfolgt ist. Aber Kriegsverbrechen mit Krieg zu bekämpfen hat nur eine vorhersehbare Folge: noch mehr Tote, Verletzte, Obdachlose und Flüchtlinge.

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N achrichten

Flagge zeigen für eine atomwaffenfreie Welt

Rock gegen Rüstungsexporte

Medikamente für iranische Giftgasopfer

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Städte zeigten am 8. Juli 2013 Flagge für eine atomwaffenfreie Welt, darunter die Landeshauptstädte Hannover, Kiel, Potsdam, Schwerin und Stuttgart. Die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen sind grundsätzlich völkerrechtswidrig. Das stellte der Internationale Gerichtshof am 8. Juli 1996 in einem Rechtsgutachten im Auftrag der Generalversammlung der Vereinten Nationen fest. Für das Bündnis „Mayors for Peace“, dem allein in Deutschland mehr als 400 Bürgermeister angehören, bot das Datum daher Anlass, vor den Rathäusern eine eigens gestaltete Fahne zu hissen. Die Kampagne „atomwaffenfrei.jetzt“ unterstützte den Flaggentag lokal durch Gruppen der Friedensbewegung. Zudem haben sich unter dem Motto „Flagge zeigen“ im Bundestagswahlkampf mehrere BundestagskandidatInnen der Parteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU und der Fraktion der Linken erneut zur atomaren Abrüstung bekannt. Allerdings hatte die Bundesregierung bereits im Koalitionsvertrag 2009 zugesagt, alles in ihrer Macht stehende zu tun, dass die US-Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden. Und der Deutsche Bundestag forderte die Bundesregierung im Jahr 2010 parteiübergreifend auf, sich für ein völkerrechtliches Verbot aller Atomwaffen einzusetzen. Ob den Worten nach der Bundestagswahl nun Taten folgen, bleibt abzuwarten.

Mehr unter: http://kurzlink.de/meinewahl

ie Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, die sich gegen deutsche Rüstungsexporte wendet, hat mit der Band Silly prominente Unterstützung aus der Musikszene bekommen. Silly hatten sich des Themas auf ihrem aktuellen Album, „Kopf an Kopf“, in ihrem Song „Vaterland“ angenommen. Dort singt Anna Loos angesichts der Beteiligung deutscher Firmen am Geschäft mit dem Tod: „Wie lieb ich so’n Land?“. Auch in ihrem Video zu „Vaterland“, scheut sich die Band nicht vor einer deutlichen (Bild-) Sprache. Im Video, das Personen unter 16 Jahren nicht gezeigt werden sollte, werden reale Kriegsbilder und die Opfer von Kriegswaffeneinsätzen gezeigt. Sillys Botschaft ist unmissverständlich: Waffen werden gebaut zum Töten! Die frühere EKD-Vorsitzende Margot Käßmann kritisierte bei der Uraufführung des Videos in Berlin die Rolle Deutschlands als drittgrößter Waffenexporteur der Welt. Sie sieht Silly in einer Reihe mit Künstler­ Innen wie Joan Baez, die früher ebenfalls in der Antikriegsbewegung mitwirkten. „Es braucht Emotionen, um die Sachkompetenz zu unterstützen.“ Was Silly mit ihrem Song emotional anprangern, sind die mörderischen Folgen des Waffenhandels sowie die Tatsache, dass überhaupt Waffen exportiert werden. „Nur weil es die anderen auch tun? Das sollte man auf jeden Fall infrage stellen.“

Das Musik-Video von Silly: http://vimeo.com/73283689#at=0

ie Finanzsanktionen gegen den Iran führen dazu, dass Medikamente zur Behandlung von Giftgasopfern fehlen. Irakische Truppen setzten das Giftgas im Golfkrieg zwischen 1983 und 1988 ein. Hersteller eines wichtigen Teils der Produktionsanlagen war damals die im hessischen Dreieich ansässige Firma Karl Kolb. Schätzungsweise eine Million Menschen wurde den toxischen Substanzen ausgesetzt, rund 100.000 mussten deshalb behandelt werden. Theoretisch sind Medikamente zwar befreit von westlichen Sanktionen, in der Praxis ist es für pharmazeutische Unternehmen aber extrem schwierig, Zahlungen und Versand zu organisieren. Die deutsche Sektion der IPPNW will das Problem der Medikamentenversorgung für Giftgasopfer in der Öffentlichkeit thematisieren. Gemeinsam mit skandinavischen Sektionen sollen mithilfe des Medikamentenhilfswerks „action medeor“ dringend benötigte Inhalationsmedikamente in den Iran geliefert werden. Der iranische IPPNW-Arzt Dr. Shariar Khateri hatte speziell um die Lieferung von Spiriva Kapseln und Seretide Inhalationspulver gebeten. Das deutsche Außenministerium hat Unterstützung bei der Lösung des problematischen Zahlungstransfers zugesagt. Auch wenn diese Maßnahme zur gemeinsamen Sorge für Kriegsopfer begrenzt ist, soll sie ein politisches Zeichen setzen, um die Fragwürdigkeit des Sanktionsregimes öffentlich zu thematisieren. Der „Guardian“ berichtet: http://kurzlink.de/guardianiran

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N achrichten

Diplomatische Lösung des Syrien-Konflikts gefordert

Willkürliche Festsetzung des Alters in Bayern

Keine Entwarnung in Fukushima

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ie IPPNW lehnt eine Militärintervention in Syrien ab. Aus Sicht der Ärzteorganisation kann es nur eine diplomatische Lösung des Konflikts geben. Die IPPNW-Vorsitzende Susanne Grabenhorst hat Angela Merkel aufgefordert, jedwede Beteiligung Deutschlands an einem Krieg gegen Syrien öffentlich auszuschließen und keine weiteren Waffen mehr in benachbarte Länder zu liefern. Zwar vermittelt die Bundesregierung den Eindruck, als würde sie sich aus dem Syrienkonflikt militärisch heraushalten. Doch die Realität ist eine andere: Im Süden der Türkei sind deutsche Patriot-Raketen stationiert. Das deutsche Spionageboot Oker sammelt von der syrischen Mittelmeerküste aus Informationen, die für Angriffe auf Syrien dienen könnten. Gleichzeitig sieht sich die Bundesregierung vertraglich dazu verpflichtet, im Fall eines Angriffs auf Syrien, den USA die Luftwaffenstützpunkte in Deutschland für den Transport von Rüstungsnachschub zur Verfügung zu stellen. Österreich dagegen hat den USA im Falle eines völkerrechtswidrigen Angriffs jegliche Überflugsrechte verweigert. „Bei dem Konflikt in Syrien handelt es sich um einen blutigen Bürgerkrieg, der von politischen, sozialen und religiösen Differenzen überlagert wird. Gleichzeitig findet hier ein Stellvertreterkrieg statt, an dem sich neben den Regionalmächten Türkei, Saudi Arabien und Iran seit langem auch Russland und der Westen aktiv beteiligen“, so Alex Rosen (IPPNW).

inige Hundert minderjährige Flüchtlinge kommen jährlich ohne Eltern nach Deutschland, um Asyl zu beantragen. Die zuständigen Behörden entscheiden darüber, in welche Altersklasse sie eingeordnet werden: Flüchtlinge unter 18 Jahren kommen in Jugendhilfeeinrichtungen, erhalten einen Vormund und Schulbildung. Ihr Verhalten sowie ihre soziale und geistige Entwicklung werden in sogenannten „Clearingeinrichtungen“ analysiert. Über 18-Jährige werden in Erwachsenenlagern untergebracht, oder es droht die Abschiebehaft. Eine Gruppe von sieben Ärztinnen und Ärzten, darunter auch IPPNW-Mitglieder, hat nach ihrer Besichtigung der Erstaufnahmeeinrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Bayernkaserne Mitte Juni festgestellt, dass Minderjährige bei der Erstaufnahme bewusst älter gemacht werden. „Wir halten diese offensichtlich übliche Art der Problemlösung, bei der unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach einer kurzen Inaugenscheinnahme von Amts wegen für volljährig erklärt werden, für eine unglaubliche und untragbare Behördenwillkür“, erklärte der Kinder- und Jugendarzt Dr. Thomas Nowotny (IPPNW) aus Stephanskirchen. Die Ärzteorganisation IPPNW fordert die Zuständigkeit der Jugendhilfe zu übertragen und auf Altersfestsetzungen durch Behörden zu verzichten.

Mehr unter: http://kurzlink.de/altersfestsetzung

ie Strahlenbelastung am Katastrophenreaktor von Fukushima ist viel höher als Tepco bisher zugegeben hat. Die Belastung an drei Tanks beläuft sich nach Angaben des Unternehmens auf 2.200 Millisievert pro Stunde. Wenn ein Mensch dieser Strahlung etwa vier Stunden lang ausgesetzt ist, wirkt sie tödlich. Auch die besorgniserregende Zahl der Schilddrüsenkrebsfälle bei Kindern in der Präfektur Fukushima bestärkt die IPPNW in ihrer Auffassung, dass es im Hinblick auf die gesundheitlichen Folgen der atomaren Katastrophe keinen Grund zur Entwarnung gibt. Im Gegenteil: Zweieinhalb Jahre nach Beginn der Atomkatastrophe ist die Zahl der Schilddrüsenkrebsfälle auf 18 gestiegen. 25 weitere Kinder haben vermutlich ebenfalls Schilddrüsenkrebs, wurden jedoch noch nicht operiert. Bisher wurden in der Präfektur Fukushima insgesamt 192.886 Kinder auf Schilddrüsenkrebs untersucht. Inzwischen wurde zudem bekannt, dass die belgischen Delegierten bei UNSCEAR sehr ungehalten über den Bericht über die Folgen der Reaktorkatastrophe waren, der auf der letzten Sitzung des Gremiums im Mai vorgelegt wurde. Der Journalist Marc Molitor zitierte die belgische Delegation mit dem Resümee: „Alles erscheint hergerichtet und redigiert, um die Folgen der Katastrophe von Fukushima klein zu reden. Man geht sogar noch hinter die Lehren aus Tschernobyl und anderen Studien zurück.“

Mehr: http://kurzlink.de/keineentwarnung

Mehr unter: http://kurzlink.de/keineintervention 7


ATOMENERGIE

Annäherung an das wahre Leben Swetlana Alexijewitsch erhält Friedenspreis des deutschen Buchhandels

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an kann die Bücher von Swetlana Alexijewitsch nur in kleinen Portionen lesen, weil sie das Leid der Menschen so konzentriert darstellt. Mit der Frage konfrontiert, warum sie dies tue, antwortete die Schriftschriftstellerin: „Dostojewski hat gesagt, dass erst das Leid den Menschen zum Menschen macht.“ Der Autorin des Buches „Tschernobyl – eine Chronik der Zukunft“ wird anlässlich der Frankfurter Buchmesse am 13. Oktober 2013 der Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen. In der Begründung der Jury heißt es: „Der Börsenverein ehrt mit dem Friedenspreis die weißrussische Schriftstellerin, die die Lebenswelten ihrer Mitmenschen aus Weißrussland, Russland und der Ukraine nachzeichnet und in Demut und Großzügigkeit deren Leid und deren Leidenschaften Ausdruck verleiht. Mit den Berichten über Tschernobyl, über den sowjetischen Afghanistankrieg und über die unerfüllten Hoffnungen auf ein freiheitliches Land nach dem Auseinanderbrechen des Sowjetimperiums lässt sie in der tragischen Chronik der Menschen einen Grundstrom existentieller Enttäuschungen spürbar werden.“

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lexijewitsch wurde 1948 in der Ukraine geboren als Tochter einer Ukrainerin und eines weißrussischen Soldaten. Nach der Militärzeit kehrten die Eltern in ein weißrussisches Dorf zurück und arbeiteten als Lehrer. Die Tochter beendete 1972 ein Journalistikstudium an der Staatsuniversität in Minsk. Als Korrespondentin beim Literaturmagazin „Neman“ schrieb sie Kurzgeschichten, Essays, Reportagen und entwickelte ihre literarische Methode einer „kollektiven Novelle“, die „eine größtmögliche Annäherung an das wahre Leben“ erlaubt. Nachdem 1994 der jetzige Präsident von Belarus, Alexander Lukaschenko, an die Macht kam, wurden ihre Bücher nicht mehr verlegt und aus dem Schullehrplan entfernt. Die russische Version des Tschernobyl-Buches führte sie heimlich nach Weißrussland ein. Im Jahr 2000 zog sie für einige Jahre nach Italien und Pa-

983 vollendete Alexijewitsch das Buch „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“. Sieben Jahre lang hatte sie mehr als 400 „Beichten“ von Rotarmistinnen aufgezeichnet, und daraus ein Buch vom 2. Weltkrieg entworfen, wie er wirklich war. Denn „wir sind mit Mythen groß geworden. Die Gesellschaft wurde mit Idealen terrorisiert. Man muss die künstliche Haut vom wirklichen Leben abziehen.“ Die Frauen erzählten, wie sie zum Töten kamen, aber auch, wie sie sich nach dem Krieg im zivilen Leben nicht mehr zurechtfanden. Die Männer waren zu Helden geworden, die Soldatinnen mussten verheimlichen, dass sie von der Front kamen.

Das Buch „Tschernobyl – eine Chronik der Zukunft“ kann für 9,90 Euro in der IPPNWGeschäftsstelle bestellt werden. ris, erhielt Stipendienaufenthalte in Stockholm und Berlin und kehrte 2011 zurück. „Ich muss an dem Ort sein, über den ich schreibe“, erklärte sie in einem Interview, das am 20. Juni 2013 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht wurde. Sie verstehe sich als Angehörige der russischen Kultur und halte die belarussische Sprache für bäuerlich und literarisch unausgereift, soll sie in dem Interview gesagt haben. Dieser Satz habe bei den weißrussischen Kulturschaffenden Aggression und Ablehnung hervorgerufen, schreibt Iryna Herasimovic in den „Belarus Perspektiven“ 59 des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerks. Sie bemerkt weiter: „Die klischeehafte und oberflächliche Diskussion darüber hat gezeigt, dass mein Land kein weißer, sondern ein sorgfältig kleinkarierter Fleck auf der europäischen Landkarte ist. In dem ganzen Wirrwarr ging nämlich unter, was Swetlana Alexijewitsch mit ihren Büchern für den postsowjetischen Raum eigentlich erreicht hat: Eine andere als die offizielle Erinnerungskultur präsent zu machen, die die großen Katastrophen der Sowjetzeit einzig und allein vom Menschen ausgehend zeigt – mit all seinen Gefühlen, Wünschen, Träumen und Enttäuschungen.“

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Für das Buch „Zinkjungen. Afghanistan und die Folgen“ hat sie mit 500 Veteranen und Müttern von gefallenen Soldaten gesprochen, deren Leichen in Zinksärgen überführt wurden. Wegen dieses Buches stand sie wiederholt in Minsk vor Gericht, weil Mütter sie bezichtigten etwas geschrieben zu haben, was diese nicht gesagt hätten. Es kam glücklicher Weise zu keiner Verurteilung. Ihre Bücher sind in 35 Sprachen übersetzt, im September erscheint „Secondhand-Zeit, Leben auf den Trümmern des Sozialismus“.

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ie IPPNW verbindet mit der Preisträgerin eine lange Geschichte. Sie hat auf Kongressen gelesen, ihre Texte wurden bei vielen Veranstaltungen vorgetragen, zuletzt 2011 in Berlin beim Tschernobyl-Kongress. Wir danken ihr, dass sie den Opfern von Kriegen und von Menschen gemachten Katastrophen eine Stimme gegeben hat und wünschen ihr für ihre geplanten Bücher viel Erfolg. Die hohe Auszeichnung für Swetlana Alexijewitsch haben wir mit großer Freude zur Kenntnis genommen. Wir gratulieren ganz herzlich.

Dr. Dörte Siedentopf ist Vorstandsmitglied der IPPNW Deutschland.


Frieden

Inspiration und geschätzter Begleiter Friedensforscher und IPPNW-Beiratsmitglied Prof. Andreas Buro zum 85. Geburtstag

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m 15. August feierte Andreas Buro, emeritierter Professor für internationale Politik an der Frankfurter Universität, seinen 85. Geburtstag. Er ist seit etwa einem halben Jahrhundert in wichtigen Funktionen Inspirator und Organisator der deutschen Friedensbewegung mit zahlreichen internationalen Verbindungen, und – last not least – wissenschaftlicher Beirat unserer IPPNW. Wir gratulieren sehr herzlich unserem guten Freund und klugen Ratgeber, und wünschen dem Jubilar noch viele Jahre der „vita activa“, und uns weiterhin seine inspirierenden Hinweise.

unsere Diskussionskultur besonders wichtige Norm zitiert werden soll: „Richte den Kampf gegen die Sache, nicht gegen die Person! Du sollst, wenn es überhaupt möglich ist, vermeiden, den Gegner mit deinem Satyagraha-Kampf zu treffen, sondern den Kampf in einer solchen Weise gegen den Übelstand richten, den der Gegner dir verursacht hat, dass der Gegner ihn als einen Kampf gegen eine Sache und nicht gegen seine Person auffassen kann. Nutze nicht die Schwäche des Gegners aus! Du sollst aus der schwierigen Lage des Gegners kei-

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r bleibt auch in den ganz praktischen Planungen der Friedensbewegung ein zentraler Mitstreiter – als Autor der Fallstudien des „Monitoring“-Projekts, zuletzt zu Mali; als friedenspolitischer Sprecher des „Komitee für Grundrechte und Demokratie“, als regelmäßiger und gewichtiger Redner und Diskutant bei den Strategiekonferenzen der Kooperation für den Frieden, und nicht zuletzt auch als Wortkünstler, der auf das umstrittene Gedicht von Günther Grass zu Israel eine gereimte Antwort fand, die nicht nur nach meinem

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ch erinnere mich, wie wir kurz nach dem 11. September 2001, schockiert von den Anschlägen von New York und Washington, auf Initiative von HorstEberhard Richter in einer kleinen Runde Vorstandsmitglieder, MitarbeiterInnen und andere besonders aktive IPPNWler zusammenkamen, und über Zukunftserwartungen und unsere Handlungsoptionen in dieser Lage berieten. Andreas Buro, Bergrun und Horst-Eberhard Richter waren durch jahrzehntelange Freundschaft verbunden. Buros ruhige, analytische Einordnung der schlimmen Krise, und seine Erwägungen zu unseren Handlungsoptionen als Kriegsgegner und Humanisten gaben uns wesentliche Orientierung in der dann folgenden schrecklichen Epoche des „Krieges gegen den Terror“, des „Kreuzzugs gegen die Schurkenstaaten“, der ja bis heute nicht beendet wurde. Andreas ist nicht nur ein nüchterner, illusionsloser Analytiker, der eine Welt ohne Krieg für ein wesentliches Menschheitsziel hält, ohne an dessen rasche Realisierbarkeit zu glauben – er ist auch die Verkörperung der Möglichkeit, Friedfertigkeit nicht nur in den internationalen Beziehungen, sondern auch im persönlichen Umgang ernsthaft anzustreben und, wie unvollkommen auch immer, Wirklichkeit werden zu lassen.

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chon in den 50er Jahren ließ er sich inspirieren von Mahatma Gandhis Satyagraha („Kraft durch Wahrheit und Liebe“), aus der an dieser Stelle eine für

Bei der Verleihung des Göttinger Friedenspreises 2013 an Andreas Buro: (von links nach rechts) Susanne Grabenhorst, Andreas Buro, Ulrich Gottstein und Matthias Jochheim.

ne Vorteile ziehen, wenn die Lagen Ursachen haben, die außerhalb des Konfliktes liegen, sondern lasse den Gegner fühlen, dass der Druck, dem er sich ausgesetzt hat, nur eine Folge des Unrechts ist das er deiner Gruppe verursacht hat. Provoziere den Gegner nicht! Du sollst Handlungen vermeiden, die dadurch eine Ausdehnung des ursprünglichen Konfliktstoffes zur Folge haben, dass der Gegner in Situationen gebracht wird, in denen er voraussichtlich besonders herabwürdigende Handlungen begehen wird. Sondern du sollst so handeln, dass die Situationen, in die du den Gegner bringst, direkte Folgen der ursprünglichen Konfliktlage und der AhimsaNorm sind.“ Ich meine, Andreas Buro verkörpert bei aller notwendigen Klarheit der Debatte viel von diesem Geist des Respekts auch gegenüber dem Kontrahenten, auch hierin ist er ein wichtiger Lehrer für uns. 9

Geschmack in der sprachlichen Qualität stärker zu überzeugen vermochte als der Grass’sche Anstoß.

Biographie Andreas Buro: Gewaltlos gegen Krieg – Lebenserinnerungen eines streitbaren Pazifisten, 2011

Matthias Jochheim ist ehemaliger Vorsitzender der deutschen Sektion der IPPNW.


Frieden

Abrüstungsinstrumente Atomwaffenstandort Büchel 24 Stunden lang musikalisch blockiert

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üchel, der entlegene kleine Ort in malerischer Umgebung in der Eifel, war erneut Kulisse einer kreativen, bunten und lautstarken Protestaktion der Friedensbewegung. Unter dem Motto „Abrüstungsinstrumente – Rhythm beats Bombs“ spielten und sangen zahlreiche Musikgruppen, darunter Klaus der Geiger, Guaia Guaia, Wareika und Rob Longstaff am einzigen deutschen Atomwaffenstandort – dem Fliegerhorst Büchel. Bis zu 750 Friedensaktivistinnen und -aktivisten aus der ganzen Bundesrepublik, den Niederlanden, Belgien und aus den USA blockierten erstmalig 24 Stunden lang alle Zufahrten zu dem Gelände. Etwa 200 Blockierende verbrachten die Nacht vor den Toren des Fliegerhorstes mit Schlafsäcken und auf Strohballen. Dabei lagen Jugendliche neben RentnerInnen; BikerInnen und UmweltaktivistInnen beteiligten sich ebenso an der Aktion wie kirchlich Engagierte oder Ärztinnen und Ärzte der IPPNW.

desregierung den politischen Willen des Bundestags nicht umgesetzt hat, haben wir mit unserer Blockade das Mittel des zivilen Ungehorsams gewählt“, erklärte Xanthe Hall für die Kampagne „atomwaffenfrei.jetzt“.

In Büchel lagern ca. 20 Atombomben mit einer Sprengkraft von 600 Hiroshima-Bomben. Die Bundeswehr übt den Abwurf der Waffen im Rahmen der nuklearen Teilhabe der NATO. Bereits im Koalitionsvertrag hatte die Bundesregierung 2009 den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland vereinbart. Und am 26. März 2010 forderte der Bundestag die Bundesregierung fraktionsübergreifend auf, sich für den Abzug dieser Relikte des Kalten Krieges einzusetzen. Passiert ist allerdings nichts. Im Gegenteil: Die Atomwaffen sollen modernisiert werden. „Nachdem die Bun-

An Tor 1, dem Frauentor, blockierten bis zu 40 Frauen und sangen Lieder. Zeitzeuginnen aus dem Hunsrück, aus Greenham Common und Mutlangen erzählten von damals. Prominenter Gast war die Bundesvorsitzende der Grünen, Claudia Roth, die hier im Rahmen ihrer Wahlkampftour Station machte. Am Interreligiösen Tor (Tor 2) hielten rund 35 Quäker, katholische, evangelische und buddhistische FriedensaktivistInnen unter einem Baldachin Andachten. „Bombenrisiko Atomkraft“ war das Motto von Tor 3, an dem etwa 50 AktivistInnen und ÄrztInnen der IPPNW bei Musik

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u Beginn der Protestaktionen in Büchel spielte die Musikund Aktionsgruppe Lebenslaute, die klassische Musik mit politischem Protest verbindet. Anschließend rief die Schauspielerin Barbara Rütting in Anspielung auf die Proteste in Mutlangen in den 80er Jahren dem Publikum unter lautem Jubel zu: „Unser Mut wird langen, nicht nur in Mutlangen, sondern auch in Büchel“. Anschließend machten sich die FriedensaktivistInnen in einem großen Zug entlang des Militärzauns auf den Weg zu den anderen Zufahrtstoren, wo sie sich für die Blockade aufteilten. Bereits am Vortag hatten sie im Friedenscamp ein Training in gewaltfreier Aktion absolviert.

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Foto: Jens Volle

Mehr Fotos unter: www.flickr.com/photos/ippnw und www.flickr.com/photos/atomwaffenfrei-jetzt

und bester Stimmung ausharrten. Die Ärzteorganisation zeigte zudem die Ausstellung „Hibakusha Worldwide“ über die weltweiten Opfer der Nuklearindustrie.

haben die Bundeswehrsoldaten gewaltfrei gezwungen, ihren Einsatzort durch die Hintertür zu betreten“, betonte Roland Blach, Koordinator der Kampagne „atomwaffenfrei.jetzt“.

Am Tor 4 wurden Zitate und Texte gegen Rüstung, gegen Militär und für gewaltfreien Widerstand verlesen. Und am sogenannten Lutzerather Tor spielte und sang die Musikgruppe Lebenslaute, die mit etwa 80 MusikerInnen und UnterstützerInnen die stärkste Gruppe stellte. Hier wurden zwei Militärfahrzeuge an der Einfahrt zum Atomwaffenstützpunkt gehindert und mussten umdrehen. An den nächsten, dicht nebeneinanderliegenden Toren 5 und 6 unter dem Motto „Bikes beat Bombs“ versammelte sich eine kleine Gruppe der „Motorradfahrer/innen ohne Grenzen“. Es gab Musik und es wurde gegrillt.

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m sechs Minuten vor Zwölf am 12. August 2013 endete diese größte Blockade gegen Atomwaffen in Deutschland seit den 80ern. Bei der bewegenden Abschlussveranstaltung berichteten die AktivistInnen von den einzelnen Toren und sangen gemeinsam. Mit der gewaltfreien Aktion hat die Friedensbewegung vor der Bundestagswahl den Druck auf die PolitikerInnen verstärkt, die letzten Atombomben aus Deutschland endlich abzuziehen. Nachdem bereits 2005 die Atomwaffen aus Ramstein abgezogen wurden, ist Büchel der einzige noch verbliebene Standort, der einer atomwaffenfreien Bundesrepublik im Wege steht. „Wir werden unseren gewaltfreien Protest fortsetzen, bis die letzten Atomwaffen aus Büchel abgezogen sind“, kündigte Xanthe Hall, IPPNW-Abrüstungsexpertin und Sprecherin der Kampagne „atomwaffenfrei.jetzt“, an.

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ie Nacht verlief überall ruhig, bis sich plötzlich am Fußgängertor 6 auffallend viele Polizisten versammelten. Um 6:30 Uhr sperrte die Polizei die Durchgangsstraße zum Tor ab, umstellte die Blockierenden, und geleitete die mit vier Reisebussen angereisten etwa 200 Soldaten durch den schmalen Fußgängerdurchgang auf das Gelände. „Das ging schneller, als wir realisieren konnten, was da passiert“, berichtete eine Motorradfahrerin auf der Abschlussveranstaltung. Aus Solidarität mit den überrumpelten BikerInnen machte sich eine Gruppe vom Tor der Lebenslaute auf, um sie während der restlichen Blockadestunden zu unterstützen. Trotz dieses Vorfalls zogen die Veranstalter ein positives Resümee. „Wir

Angelika Wilmen ist Pressesprecherin der deutschen Sektion der IPPNW. 11


Frieden

Der Geruch des Todes Die syrische Ärztin Mouna Ghanem über den Krieg in Syrien und die Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung

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ber zwei Jahre sind seit dem Beginn der Unruhen in Syrien vergangen und mit jedem neuen Sonnenaufgang wächst die Zerstörung, die das Leben des syrischen Volkes immer schwerer macht. Der bewaffnete Konflikt zerstört nicht nur die syrische Infrastruktur, sondern auch das menschliche Wohlergehen. Er lässt bedürftige Menschen zurück, denen mehr als nur das Notwendigste fehlt; ihnen fehlen Unterkünfte, Lebensmittel, Kleidung, Pflege und die Möglichkeit zur Eigenständigkeit. Die Krise konzentriert sich nicht nur auf syrischen Boden, sie breitet sich über Grenzen hinweg aus und erreicht Nachbarländer, die Hunderttausende von syrischen Flüchtlingen aufgenommen haben, die den verheerenden Schlachtfeldern entkommen konnten.

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esundheitswesen und Medizinversorgung haben sehr gelitten, und das wird für Regierung, Völkergemeinschaft und Individuen ein Problem sein, das noch lange über den Zeitpunkt des Waffenstillstandes hinaus andauern wird. Der Zusammenbruch des Gesundheitssystems wird die Zukunft des Landes treffen. Einrichtungen wie Krankenhäuser, Kliniken und Gesundheitszentren sind durch den lang anhaltenden Beschuss, Ignoranz und die mangelhafte Versorgung mit Material und Geräten teilweise zerstört und in schlechtem Zustand. Zwar variiert die Situation von Gebiet zu Gebiet, aber Berichten von internationalen Organisationen wie der WHO zufolge, ist ein großer Teil der Krankenhäuser bereits außer Betrieb.

© Jodi Hilton/IRIN

Im Domiz-Flüchtlings­lager Im kurdischen Teil des Irak. Inzwischen sind laut Vereinten Nationen zwei Millionen Menschen aus Syrien in die Nachbarländer geflohen, rund eine Million davon Kinder.

Der bewaffnete Konflikt hat viele Fachkräfte und Mediziner zur Flucht aus dem Land gedrängt. Durch die schwierige Situation innerhalb des eigenen Landes und die besseren Bedingungen im Ausland wurden Fachkräfte dazu ermutigt, das Land zu verlassen und somit eine einfache Überlebensstrategie zu wählen. Viele Nationen haben strikte Regelungen gegen syrische Immigranten, die allerdings nicht für bestimmte Berufe wie Ingenieure, Ärzte und Dozenten gelten. Wenn Gesundheitseinrichtungen zerstört oder geschlossen wurden, haben Ärzte und Fachkräfte in den betroffenen Gebieten behelfsmäßig Feldlazarette eingerichtet, um Notfälle zu behandeln. Diese Feldlazarette und Kliniken sind jedoch schlecht besetzt und zudem mangelhaft ausgestattet, was negative Auswirkungen auf die medizinische Versorgung hat. Todesfälle, schlecht durchgeführte Operationen und Nebenwirkungen sind einige der Folgen. Viele Verletzungen werden nicht fachgerecht behandelt 12


und lassen schlimmstenfalls Tote und Behinderte zurück. Der Mangel an professionellen Chirurgen sowie chirurgischen Einrichtungen bietet Semi-Professionellen, Studenten und Freiwilligen die Gelegenheit sich in Medizin zu üben – und in der „Kunst“, Behinderungen zu schaffen.

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n den betroffenen Gebieten sind Menschen, die nicht fliehen konnten, mit der Schwierigkeit konfrontiert, Zugang zu Grundnahrungsmitteln, Wasser und Sanitäreinrichtungen zu erhalten. Die Krise zerstört nicht nur die Infrastruktur, sondern gefährdet alle Strukturen menschlichen Lebens. In vielen Teilen des Landes ist die Bevölkerung in ihren Dörfern und Städten ohne Strom, Wasser und Essen gefangen. Das ist das Ergebnis einer Bestrafung beider Seiten durch die konkurrierenden Konfliktparteien in diesen Gebieten. Es ist offensichtlich, dass es in Konfliktsituationen keinen Platz mehr für menschliche Moral gibt. Alle Waffen und Arsenale wurden im Land eingesetzt, einschließlich Massenvernichtungswaffen. Regierungstruppen, Milizen, Oppositionelle, Banden und die israelische Regierung haben bewiesen, dass sie vor keiner Waffe zurückschrecken. Am Morgen des 21. August wurden wir Zeugen der Eskalation des Konfliktes durch den Einsatz chemischer Waffen in der Region um Damaskus, hauptsächlich in Ost-Ghouta. Über 1.000 Menschen kamen dabei um, mehrheitlich Frauen und Kinder. Es ist offensichtlich, dass es sich um Chemiewaffen handelte, aber keine der Konfliktparteien will dafür verantwortlich sein. Das Land ist nun bedroht von einer interntionalen Militärintervention unter Führung der USA. Die Kriegstrommeln hallen in den Ohren der gesamten Region,

aber für die Bevölkerung in Syrien künden sie ohrenbetäubend von noch mehr Zerstörung und Leid. Die schlechte Wirtschaftssituation hat einen weiteren Einfluss auf das Land: Unternehmen sind mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert, die großen Wirtschaftszweige verlieren das Wohl der aufstrebenden syrischen Wirtschaft aus den Augen. Da mehr als 50 % der Bevölkerung entweder Flüchtlinge oder Vertriebene sind, leidet nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Bevölkerung unter fehlenden Einnahmequellen und dem Verlust der Kaufkraft. Schätzungen besagen, dass mehr als fünf Millionen Syrer unter der Armutsgrenze leben, 10 % davon sind zukünftig jedes Jahr mit tödlichen Krankheiten oder Hunger konfrontiert. Syrien deckte 90 % seines Bedarfes an Medizin und Arzneimitteln aus eigener Herstellung. Doch viele der Produktionsstätten sind aufgrund der Sicherheitslage und des Mangels an Rohmaterialien außer Betrieb. Die über das Land verhängten Sanktionen beeinträchtigen Einfuhr und Investitionen, so dass Produktionsprozesse zum Erliegen kamen, was einen Mangel an medizinischen Produkten, einen Anstieg der Preise inländischer Erzeugnisse und der Importe zur Folge hat.

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m ein Gesamtbild der Situation des syrischen Gesundheitswesen zu erhalten, müssten detailliertere Informationen direkt vor Ort abgefragt werden. Dazu fehlen zurzeit aber die Kapazitäten. Es ist nicht die Zeit für Forschung und Entwicklung, es geht um Entlastung und dringend benötigte Hilfe. Viele internationale Organe und einzelne Länder versuchen, einen Beitrag zu lei13

sten, um die Katastrophe zu stoppen und ihre Auswirkungen abzumildern. Allerdings gibt es immer noch einige internationale Parteien, die den Konflikt anheizen und zur Massenvernichtung des syrischen Volkes beitragen. Die internationale Völkergemeinschaft hat es nicht geschafft, einen Konsens über die Beendigung von Brutalität und Härte zu erzielen. Darüber hinaus wird ersichtlich, dass auf syrischem Boden ein Dritter Weltkrieg tobt, mit der Tendenz, dort eigene Probleme auf dem Rücken der syrischen Bevölkerung auszutragen.

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s wird immer deutlicher, dass der Tod in Syrien gegenwärtig ist und bleibt, unabhängig von den Ergebnissen und Fortschritten, die gemacht werden. Die Völkergemeinschaft hat bewusst ihren Teil zu diesem grausamen Schauspiel beigetragen und ist dringend aufgefordert, endlich Abhilfe zu leisten. Es ist offensichtlich: Wenn die internationale Gemeinschaft keine einvernehmlichen Antworten findet, wird der Völkermord weiter angeheizt.

Übersetzung: Hanna Punken/IPPNW

Mouna Ghanem ist Ärztin, Vizepräsidentin der politischen syrischen Bewegung „Building the Syrian State“ und Koordinatorin des syrischen Frauenforums für Frieden.


SOzIALE VErANtWOrtUNG

Big Pharma! Good Pharma oder Bad Pharma? Nützt die Pharma-Industrie mehr als sie schadet?

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eue Wege in der Diagnostik und Therapie sowie neue Krankheitsbilder führen in den letzten Jahrzehnten zu einem Wandel in der ärztlichen Tätigkeit. Darüber hinaus werden in jüngster Zeit marktwirtschaftliche Ansätze im Gesundheitssektor eingeführt, mit der Idee die medizinische Versorgung einzelner Patienten und die Gesundheitsversorgung insgesamt zu verbessern. Im Rahmen dieser Entwicklungen nehmen PatientInnen und ÄrztInnen die Pharmaindustrie zunehmend als die Medizinpraxis dominierend und die Unabhängigkeit der MedizinerInnen bedrohend wahr. Die Pharmaindustrie scheint unser Verständnis von menschlicher Gesundheit systematisch zu verändern, während sie gleichzeitig einen zerstörerischen finanziellen Druck aufbaut, unter dem kein solidarisch finanziertes Gesundheitssystem überleben kann. Wir sind heute an einem Wendepunkt angelangt. Führende transnationale Pharmaunternehmen widmen ihre Hauptenergie eher

KUNStINStALLAtION „BLOcKBUStEr“ VON cOUrtNEy MAtthEWS, DIE DEN zUSAMMENhANG VON PhArMAINDUStrIE UND öKONOMISchEN INtErESSEN DArStELLt. 14


dem Marketing von Lifestyleprodukten oder funktionalen Lebensmitteln, als dass sie in die Forschung von relevanten Medikamenten investieren, um echten medizinischen Herausforderungen zu begegnen.

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s ist an der Zeit zu fragen, ob die heutigen Auswüchse der Pharmaindustrie unserem solidarischen Gesundheits­system mehr schaden, als dass ihre Produkte einzelnen PatientInnen nützen? Heute haben die führenden Pharmaunternehmen maßgeblichen Einfluss auf Lifestyle-, Wohlfühl- und Gesundheitsprodukte. Privatwirtschaftliche Interessen und Investitionen beeinflussen das Wesen der Medizinversorgung sowie die Art und Verfügbarkeit von medikamentöser Behandlung weltweit. Eine für die gesamtgesellschaftliche Gesundheit wichtige Industrie orientiert sich nahezu ausschließlich an privatwirtschaftlicher Profitmaximierung. Damit einhergehendes intensives Marketing initiiert überzogenen Konsum von Medikamenten, während die Innovationsund Versorgungsfähigkeit der Industrie rückläufig ist. Gleichzeitig scheint die Lebensfähigkeit von Big Pharma zunehmend von der systematischen Übertreibung von Medikamentenvorzügen, Verheimlichung von Beweisen für Risiken und Schäden, intransparenten oder selbst gefälschten Daten, Geheimhaltung, Bestechung, tiefen Interessenkonflikten und selbst Betrug abhängig zu sein. In den letzten Jahren befinden sich fast alle großen Pharmaunternehmen in Rechtsstreitigkeiten in den USA oder mussten bereits viele Milliarden USDollar an Strafen und Entschädigungen zahlen. Der gesamte Industriezweig gibt Milliarden für erfolgreiche Lobbyarbeit aus, um Politiker, und so neue Gesetze, in ihrem Interesse zu beeinflussen.

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nstelle von transparenter und unabhängiger medizinischer Forschung betreibt die Pharmaindustrie PR bei Öffentlichkeit und MedizinerInnen, um so Erwartungen und Bedürfnisse zu generieren. Das Ergebnis ist ein Medizinversorgungssystem, das nationale Gesundheitssysteme in den finanziellen Ruin treibt und zu einem globalen Mangel an Gesundheitsversorgung führt.

Die schöne neue Welt der Zukunft ist eine Welt, in der wirtschaftliche Zwänge gesundheitliche Notwendigkeiten übertrumpfen. Sie ist eine Welt, in der Pharmaunternehmen und die davon Profitierenden, unser Verständnis und unsere Erfahrung verändern ein gesunder Mensch zu sein. Sie ist eine Welt, in der unabhängige klinisch-ärztliche Tätigkeit geschwächt ist, in der eine riesige Anzahl von Medikamenten produziert wird, von denen die meisten nicht nötig sind. Sie ist eine Welt, in der alles das angeblich zu unserem Besten passiert.

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as Ergebnis sind enttäuschte und misstrauische PatientInnen, frustrierte ÄrztInnen und ein zerstörerischer Druck, dem sich kein solidarisch finanziertes Gesundheitssystem widersetzen kann. Gleichzeitig leiden und sterben Menschen außerhalb der gewinnträchtigen großen Pharmaziemärkte, weil dringend benötigte essenzielle Medikamente aufgrund fehlender relevanter Innovationen nicht existieren, unbezahlbar sind oder wegen Handelsbarrieren unzugänglich sind. Einerseits gibt es zu wenige Medikamente in armen Gesellschaften andererseits zu viele Medikamente in reicheren Gesellschaften – zwei Seiten der selben Medaille.

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owohl wegen, als auch trotz all des Nutzens von guter Medizin, scheint es heute immanent wichtig zu prüfen, ob wir alle, gemeinschaftlich den Blick und den Sinn für menschliche Gesundheit verlieren. Wenn Arzneimittel ausreichend wären, die den grundlegenden gesundheitlichen Notwendigkeiten entsprechen, und ihre Versprechungen einhalten würden, hätten wir eine gesellschaftlich relevante Pharmaindustrie. Tatsächlich scheint die Pharmaindustrie angesichts dieses riesigen Mankos panisch zu agieren, und dieses so zu kompensieren zu versuchen. Das gegenwärtige System ist aber nicht einfach nur das Produkt von Böswilligkeit, sondern auch Ausdruck eines zutiefst fehlerhaften Systems, das durch Eigeninteresse angetrieben wird, unter dem Vorwand sich im Wettbewerb behaupten zu können. Staatliche Organisationen versagen, 15

die die Aufgabe haben den Pharmasektor zu regulieren, das heißt sicher zu stellen, dass Forschung, Entwicklung und Produktion den wahren Gesundheitsbedürfnissen dienen. Dabei hat sich die Ärzteschaft in Eintracht mit der Industrie teilweise mitschuldig gemacht. ÄrztInnen und medizinische Gesellschaften müssen ihre Unabhängigkeit und Integrität wieder herstellen. Ohne strukturelle Veränderungen – vergleichbar denen, die für die internationalen Finanzmärkte gefordert werden – werden wir es nicht schaffen, dringende gesundheitliche Herausforderungen in unserer heutigen globalisierten Welt sinnvoll und effektiv zu bekämpfen.

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it unserer Global Health Konferenz „Big Pharma: Good Pharma – Bad Pharma?“ stellten sich die Deutsche Sektion der IPPNW zusammen mit dem Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité Universitätsmedizin Berlin und Health Action International diesen Fragen. Mit der Konferenz wollten wir eine Debatte zwischen PatientInnen, ÄrztInnen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und einer breiten Öffentlichkeit starten. Es wurden die wichtigsten Themen präsentiert, Analysen vorgestellt, Antworten gefunden und vorgestellt, die einige der Probleme lösen könnten. Die zentralen Beiträge der Konferenz finden Sie unter: www.health-and-globalisation.org Siehe zum Thema auch: www.haiweb.org/indexPharmageddon.html

Dr. Peter Tinneman ist Arzt und Gesundheitswissenschaftler an der Charité Universitätsmedizin Berlin.


Soziale Verantwortung

Altersfestsetzung bei jugendlichen Flüchtlingen Röntgenaufnahmen zur Altersschätzung ohne medizinische Indikation

„Altersfeststellung“ oder „Altersbestimmung“ ist nicht möglich. Diese oft verwendeten Begriffe täuschen vor, man könne, mit welchen Methoden auch immer, das nicht bekannte oder strittige Alter eines jungen Menschen exakt bestimmen. Ärztinnen und Ärzte müssen vielmehr ganz bescheiden von „Altersschätzung“ oder allenfalls von „Altersfestsetzung“ sprechen.

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ichtmediziner, z. B. Mitarbeiter von Bundes-, Landesund kommunalen Behörden, Polizeibeamte und Richter nehmen immer wieder an, Ärzte könnten bei entsprechendem Auftrag das Alter eines jungen Menschen genau definieren. Besonders wird dabei an die Feststellung des „Knochenalters“ mit Röntgenaufnahmen der Hand und der Brustbein-Schlüsselbeingelenke sowie des „Zahnalters“ mit Hilfe des Orthopantomogramms („Panorama-Aufnahme“ des Gebisses) gedacht. Leider gibt es Mediziner, vorwiegend in den Instituten für Rechtsmedizin, die derartige Auftrags-Untersuchungen vornehmen und damit bei Nichtmedizinern den Glauben an die Genauigkeit dieser Methoden bestärken.

Schwankungsbreite erheblich unter- oder überschritten wird, kann eine Behandlung eingeleitet werden, um entweder das Wachstum zu steigern oder, bei krankhaftem Hochwuchs, die Endgröße zu vermindern. In diesen Situationen besteht demnach zum Wohl der betroffenen Kinder und Jugendlichen eine medizinische Indikation für die Röntgenaufnahme. Nach der Röntgenverordnung (§ 23,1) dürfen Röntgenstrahlen „nur nach rechtfertigender ärztlicher Indikation“ angewandt werden. Ohne solche Indikation angeordnete Röntgenuntersuchungen sind als Körperverletzung zu werten, denn Röntgenstrahlen wirken ionisierend, sie können lebende Zellen schädigen. Wenn auch die Strahlenbelastung durch eine Handaufnahme nicht sehr groß ist (ca. 0,1 µSv), besteht in der Wissenschaft Einigkeit darüber, dass es keinen Grenzwert gibt, unterhalb dessen ionisierende Strahlen unbedenklich wären (LNT = Linear-No-Threshold-Modell für die Dosis-Wirkungs-Beziehung). Bei einem Orthopantomogramm muss mit einer effektiven Strahlenbelastung von ca. 0,4 µSv gerechnet werden (Looe et al., 2008), während die computertomografische Untersuchung der Brustbein-Schlüsselbein-Gelenke eine viel höhere Belastung von 600-800 µSv verursacht (Vieth et al., 2010).

Die genannten Untersuchungsmethoden, vorrangig die Handaufnahmen und ihre standardisierte Auswertung, haben ihren Platz in der pädiatrischen Endokrinologie. Zu diesem Spezialfach innerhalb der Kinderheilkunde gehört auch die Abklärung und, falls möglich, Behandlung krankhafter Wachstumsstörungen. Sowohl der pathologische Kleinwuchs als auch übermäßiger Hochwuchs bedeuten für die Betroffenen und ihre Familien eine erhebliche Belastung.

Für Röntgenaufnahmen zur Altersschätzung gibt es keine medizinische Indikation. Schon deshalb ist diese Untersuchung unzulässig. Dazu kommt, dass Röntgen zur Klärung des strittigen Alters gar nichts beiträgt. Das Knochenalter kann nämlich vom chronologischen Alter um zwei bis drei Jahre nach unten und nach oben abweichen. Ein junger Mensch, bei dem beispielsweise ein Hand-

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ei diesen Patienten ist der Geburtstag bekannt. Die Feststellung des Knochenalters, in der Regel mittels einer Röntgenaufnahme der linken Hand, ermöglicht den Vergleich mit dem chronologischen Alter und die Prognose der Endgröße. Wenn sich dabei ergibt, dass die normale Körperlänge mit ihrer großen 16


Das Knochenalter kann vom chronologischen Alter um zwei bis drei Jahre abweichen. Ein junger Mensch, bei dem beispielsweise ein Hand-Knochenalter von 18 Jahren bescheinigt wird, kann demnach zwischen 16 und 20 Jahre alt sein, im Extremfall sogar zwischen 15 und 21.

Gutachtenaufträge an sich. Sie verhalten sich so, als hätten sie allein die Kompetenz für diese Fragestellungen. Üblicherweise zitieren sie sich wechselseitig und lassen Arbeiten aus Skandinavien, Großbritannien, Australien und anderen Teilen der Welt unbeachtet. Ähnlich ungenau wie die Röntgenuntersuchungen von Skelettteilen und Zähnen ist die Beurteilung der sekundären Geschlechtsmerkmale. Die dafür verwendeten Standards beruhen auf den Arbeiten von Tanner, der 1962 die Pubertätsstadien bei britischen Jugendlichen beschrieb. Für Jugendliche mit anderem ethnischen Hintergrund gelten diese Durchschnittswerte nur bedingt, zudem ist die individuelle Schwankungsbreite innerhalb aller Ethnien noch größer als beim Knochenalter. Die von Jugendlichen in der Regel als entwürdigend und missachtend empfundene eingehende körperliche Untersuchung zum Zweck der Altersfestsetzung hilft also auch nicht weiter und sollte deshalb unterlassen werden. Die Untersuchung der Genitalien von Jugendlichen ist nur dann ärztlich indiziert, wenn in dem Bereich Beschwerden angegeben werden oder wenn aufgrund einer nicht auf Anhieb lokalisierbaren Erkrankung eine gründliche Allgemeinuntersuchung erforderlich ist.

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Knochenalter von 18 Jahren bescheinigt wird, kann demnach zwischen 16 und 20 Jahre alt sein, im Extremfall sogar zwischen 15 und 21. Nur bei 25 % der Untersuchten stimmen Knochen- und tatsächliches Alter überein. Mit den Gebiss-Röntgenaufnahmen, mit denen man nach den 3. Molaren, den „Weisheitszähnen“ fahndet und gleichzeitig den Mineralisationsgrad der Zähne festzustellen versucht, gewinnt man auch nicht mehr Sicherheit. Die Weisheitszähne können im Alter von 16 bis 25 Jahren ausreifen, die Mineralisation zeigt ebenfalls eine große Schwankungsbreite. Der strahlenintensiven CT-Untersuchung der Schlüsselbeingelenke wird neuerdings, besonders seitens der Rechtsmediziner, die größte Bedeutung zugemessen. Aber auch diese Untersuchung mit vorgeblich klaren Stadieneinteilungen (Kellinghaus et al., 2009), die aber anhand zu kleiner Referenzkollektive definiert wurden und von „fließenden Übergängen“ gekennzeichnet sind, ist untauglich für eine exakte Altersschätzung. Die Mitglieder der „Arbeitsgemeinschaft für Forensische Altersdiagnostik“ (AGFAD) der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin werden in Strafverfahren seitens der Gerichte oft herangezogen, um das Alter eines jungen Straftäters zu schätzen. Dabei geht es um die Frage, ob der Betreffende noch nach dem Jugendstrafrecht zu behandeln ist.

m weitesten kommt man mit der Altersschätzung, wenn erfahrene Kinder- und Jugendärzte oder Jugend-Psychologen Gelegenheit haben, eine gründliche Anamnese zu erheben, die Jugendliche oder den Jugendlichen dabei zu beobachten, sich ein Bild zu machen von der Persönlichkeit, vom Verhalten, den vorhandenen oder fehlenden Emotionen und von der sozialen und geistigen Entwicklung. Mit den „Clearingeinrichtungen“, in denen solche Beobachtung über mehrere Wochen möglich ist, hat man einen Schritt in die richtige Richtung getan. Wichtiger als die möglichst genaue Altersfestsetzung ist letztlich ohnehin die Beurteilung, ob ein junger Mensch Hilfe und Betreuung braucht, was nicht nur vom chronologischen Alter abhängig ist. Wenn trotz aller Klärungsbemühungen Ungewissheit über das Alter bestehen bleibt, gilt juristisch übrigens das im Verwaltungsverfahrensgesetz festgelegte Prinzip des umfassenden Schutzes Minderjähriger; danach ist von dem späteren Geburtsdatum auszugehen.

Dr. Winfrid Eisenberg ist Arzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin und engagiert sich im AK Flüchtlinge & Asyl der IPPNW.

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ei Jugendlichen jedoch, denen gar nichts vorgeworfen wird, außer dass sie nach Deutschland eingereist sind, kann nicht die Gerichtsmedizin für die Altersdiagnostik zuständig sein. Trotzdem ziehen die AGFAD-Forensiker die meisten diesbezüglichen 17


Die Nukleare Kette

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ngst um die Gesundheit ihrer Kinder ist für Menschen aus der Region Fukushima zum ständigen Begleiter geworden. Doch nicht nur dort: Von radioaktiv verseuchten Bergbaugebieten und strahlenden Flüssen über Lecks in Plutoniumfabriken bis hin zu atomaren Mülldeponien – die Orte, an denen Menschen durch die Hinterlassenschaften der Atomindustrie dauerhaft um ihre Gesundheit und ihr Leben und das ihrer Angehörigen bangen, erstrecken sich über den gesamten Globus.

Fukushima Stadt, Japan

Foto: Robert Knoth


Unser kostbarstes Gut Wo die Atomindustrie ihre Spuren hinterlässt, sind Gesundheit und Umwelt in ständiger Gefahr

Semei, Kasachstan

Tomsk, Russland 19

Fotos: Robert Knoth

Bagdad, Irak

Foto: Naomi Toyoda

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n der Nähe der geschlossenen Stadt Tomsk-7, deren Atomfabriken durch Unfälle und Entsorgung radioaktiver Abfälle die ganze Region verseucht haben, leben Lubow und Lidia (unten rechts). Lubow sollte an der Schilddrüse operiert werden. Auch Lidia wurde empfohlen, sich die Schilddrüse entfernen zu lassen. Schilddrüsenkrebs ist eine häufige Erkrankung in radioaktiv kontaminierten Gebieten, so wie auch Leukämie – v. a. bei Kindern und Jugendlichen, die um ein Vielfaches strahlensensibler sind als Erwachsene. Yulia, die in Semei lebt (unten mitte, links), einer Stadt in Kasachstan nahe des ehemaligen Atomwaffentestgeländes der UdSSR, ist von Leukämie betroffen. Die Zahl der Krebserkrankungen in der Region ist 25–30 Mal höher als im restlichen Kasachstan. Auch im Irak, wo während der Golfkriege 1991 und 2003 Uranmunition eingesetzt wurde, findet man in betroffenen Regionen einen massiven Anstieg der Raten von Fehlbildungen bei Kindern und Krebserkrankungen. Für jedes Glied der nuklearen Kette zahlen Menschen einen hohen Preis. Atomenergie ist keine „günstige“ Energie: Sie kostet uns das Kostbarste was wir haben – unsere Gesundheit und die nachfolgender Generationen.


Fotos: Robert Knoth

Die Nukleare Kette

Die atomare Kette Kreislauf oder Sackgasse?

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ft werden wir als IPPNW gefragt, weshalb wir uns gegen Atom­energie einsetzen und was dieses Engagement mit unserem ursprünglichen Ziel, der Verhütung des Atomkriegs zu tun hat. Tatsächlich gab es zwischen der Abrüstungs- und der Anti-AKW-Bewegung lange Zeit wenige Schnittstellen. In dieser Ausgabe des IPPNW Forums möchten wir darstellen, dass die zivile Nutzung der Atomenergie und die Schrecken der Atombombe beide Teil einer globalen Atomindustrie sind. Die Vertreter derselben sprechen euphemistisch von einem „Atomaren Kreislauf“ und wollen damit suggerieren, dass man in der Lage sei, ohne Rohstoffverbrauch oder Abfallprodukte quasi grenzenlos Energie (und Bomben) zu produzieren – die Verwirklichung des alten Menschheitstraums vom Perpetuum mobile. Die Realität straft dieses attraktive Werbeversprechen Lügen. Tatsächlich wäre die Metapher einer „Atomaren Sackgasse“ wohl treffender:

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einen Anfang nimmt der Weg des Urans in Bergwerken und Tagebaugruben, wo Uranerz unter meist menschenverachtenden Bedingungen aus der Erde geschürft, gesprengt oder geätzt wird. Der Raubbau des Urans in den Urwäldern Australiens, Afrikas und Indiens oder den Bergketten Zentralasiens und Nordamerikas hinterlässt stets atomare Wüsten-Landschaften, die von atomaren Abraumhalden durchzogen werden, von denen in der Trockenzeit radioaktiver Staub ins Land weht und in der Regenzeit verseuchtes Wasser die Flüsse und Grundwasserleiter flutet. Oft in den Gebieten indigener Völker gelegen, stellen die Uranabbaugebiete den Ausgangspunkt einer ungesunden und die Umwelt schwer belastenden Industrie dar, die sich ungeachtet der katastrophalen Folgen des Uranabbaus in den Verbraucherländern mit ihrer vermeintlichen Umweltfreundlichkeit zu brüsten versucht. Die erhöhten Krebsraten und Missbildungen 20

in den umliegenden Dörfern zeigen die wenig bekannte Schattenseite der Atomwirtschaft.

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on den verseuchten Abbaugebieten führt der Weg des Urans über holprige Landstraßen zu qualmenden Uranmühlen, deren radioaktive Abfallprodukte meist völlig wahllos in umliegende Flüsse oder Stauseen geleitet werden. Auf Lastschiffen überquert dann das aufbereitete Uranpulver in Form von „Yellow Cake“ die Ozeane – das Kilo für 57 Euro auf den einschlägigen Uranbörsen der westlichen Welt zu haben. Der Transport von jährlich mehreren Zehntausend Tonnen Uran und Plutonium kreuz und quer über den Globus stellt eine nicht zu vernachlässigende Gefahr für Umwelt und Gesundheit dar und ist nicht zuletzt ein enormes Proliferationsrisiko. Denn schon mit einigen Kilo Plutonium ließe sich eine sogenannte „dreckige“ Atombombe bauen (als gäbe es „saubere“ Varianten). Ziel der Transporte sind die Atomfabriken, die Brennstoffe für


Rechts: Kiev, Ukraine (2005) – Galina Miroschnitschenko (34) hat Schilddrüsenkrebs. Seit der Katastrophe von Tschernobyl 1986 stieg die Zahl der Schilddrüsenkrebsfälle in den betroffenen Regionen um ein Vielfaches.

Links: Präfektur Fukushima, Japan – Kenta Sato musste sein bisheriges Leben für immer hinter sich lassen. Er stammt aus der Gemeinde Iitate, auf die am 15. März 2011 eine Wolke radioaktiven Fallouts aus dem havarierten Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi niederging. Erst Ende Mai 2011 wurde der Ort vollständig evakuiert. Ob er gesundheitliche Schäden davonträgt, wird die Zeit zeigen. In Japan zeigen sich schon jetzt erste Fälle von Schilddrüsenkrebs bei Kindern.

Atomkraftwerke oder Sprengkörper für Atombomben herstellen. Die gemeinsame Infrastruktur der militärischen und zivilen Atomindustrie ist, 68 Jahre nach Zündung der ersten Atombombe, effizient aufeinander abgestimmt. Hunderte von kleineren und größeren Unfällen, Lecks, Bränden und Explosionen in diesen Atomfabriken haben immer wieder zu großflächiger radioaktiver Verseuchung und Verstrahlung geführt. Orte wie Majak, Tomsk, Tokaimura, Hanford, La Hague und Sellafield führen gemeinsam mit Tschernobyl und Fukushima die Liste der schwersten Umweltkatastrophen der Menschheitsgeschichte an.

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eiter wandert das nun angereicherte Uran in Atomkraftwerke oder Waffensilos, lagert in Abklingbecken, kreuzt in U-Booten über die Weltmeere oder wartet darauf, in einer B61-Bombe über Wohngebieten einer fremden Großstadt abgeworfen zu werden. Mehr als 2.000 Atomwaffen wurden in den vergangenen Jahrzehnten detoniert und haben die weltweite Hintergrundstrahlung messbar erhöht. Kein Ort auf der Welt blieb vom radioaktiven Fallout verschont. Mehr als

3 Millionen zusätzliche Krebsfälle weltweit gehen auf das Konto der Atomwaffentests.

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enn es nicht als radioaktiver Niederschlag einer Atomexplosion endet, findet das Uran sein unausweichliches Ende in den gelben Giftmülltonnen, die zu Zehntausenden in feuchten Bergwerksstollen, schlecht gesicherten Lagerhallen und unterirdischen Bunkern rund um die Welt zu finden sind, oder wird der Einfachheit halber gleich in Sickergruben oder den Ozean abgelassen. Der Atommüll ist das schmutzige Ende der atomaren Sackgasse. Egal ob es sich um radioaktiven Staub von Abraumhalden handelt, um Lecks aus Atomfabriken, Transportunfälle, radioaktiven Niederschlag oder undichte Atommüllsilos – die Folge ist stets eine Verseuchung der Umwelt mit radioaktiven Isotopen. Diese können dann mit Lebensmitteln, Trinkwasser oder der Atemluft von Menschen aufgenommen und im Körper eingebaut werden, wo sie über viele Jahre das umliegende Gewebe schädigen. Die Folgen sind Mutationen der DNA, Zelltod und Krebserkrankungen. Leukämie-Cluster und ein Anstieg der Schilddrüsenkrebsrate sind zwei der offensichtlichsten 21

Zeichen chronischer Strahlenexposition; Fehlgeburten, Missbildungen und genetische Erkrankungen fallen statistisch oft erst auf, wenn man gezielt nach ihnen sucht. Epidemiologische Studien sind jedoch selten, da die Regierungen meist kein großes Interesse haben, die Atomindustrie durch wissenschaftliche Studien zu beschädigen. Die KiKK-Studie, die signifikant erhöhte Kinderkrebsinzidenzen rund um deutsche Atomkraftwerke aufzeigte, bildet hier eine löbliche Ausnahme.

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ie Namen Tschernobyl und Fuku­ shima sind zu Synonymen für die Schrecken der Atomtechnologie und die weiträumige radioaktive Verseuchung geworden. Für uns als Ärztinnen und Ärzte ist jedoch wichtig festzuhalten, dass jedes Glied der atomaren Kette große Gefahr für Umwelt und Gesundheit birgt.

Dr. Alex Rosen ist stellvertretender Vorsitzender der deutschen IPPNW und Kinderarzt in Berlin.


Foto: Susanne Bohner

Ein anderes Denken Der Uranbergbau – gesundheitliche Auswirkung auf Arbeiter und Bevölkerung

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nlässlich des Weltkongresses der IPPNW 2010 in Basel haben Indigene aus allen fünf Kontinenten über Krankheiten berichtet, die im direkten Zusammenhang mit dem Uranbergbau stehen. Unser klassisches Denken geht vom Ursache-Wirkung-Prinzip aus: hier die Noxe, dort die Krankheit. Wir sprechen von hohen Dosen.

Uran als Schwermetall Uran wirkt ähnlich wie andere Schwermetalle. Es wird entweder als Gas eingeatmet oder im Trinkwasser aufgenommen und zu 85 % ausgeschieden. Ca. 15 % verbinden sich zu festen Komplexen mit bestimmten Eiweißen im Körper. Im Bergwerk selbst wird das Schwermetall in geringen Dosen mit Staub eingeatmet, zusammen mit anderen Schwermetallen. Es dürfte nur bei sehr langer Expositionszeit eine Rolle spielen.

Beim Zerkleinern des Gesteins kann Uranhexafluorid, bei der Anreicherung Aranylfluorid aufgenommen werden, wenn undichte Stellen im Verarbeitungsprozess existieren. Die Uran-Eiweißkomplexe lagern sich in der Niere, aber auch im Hirn und anderen Organen ein. Bei längerer Zufuhr kommt es zur Akkumulation.

den und Totgeburten, seltenere Schwangerschaften, Fertilitätsprobleme, erhöhter Blutdruck, schnelleres Altern. Bei Kindern: verminderte Intelligenz, Lernschwierigkeiten, Infektanfälligkeit, Störung der Muskelkoordination, Nerven- und Nierenkrankheiten. Kinder mit Geburtsschäden aus belasteten Gebieten sterben früher.

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Uran und seine radioaktiven Zerfallprodukte

a die Verstoffwechselung und Ausscheidung dieser Uran-Eiweißverbindungen nur langsam vorangeht, kommt es zur Störung der Nierenfunktion bis zum Nierenversagen, zu neurotoxischen und gentoxischen Wirkungen. Auch DNABrüche werden beobachtet. Schädigung am Oocyt, der unreifen Eizelle, sind im Mäuseexperiment nachgewiesen. Weitere beschriebene Folgen dieser Uran-Schwermetallbelastung sind: Niereninsuffizienz, Encephalopathien, Nervenschädigungen sog. Neuropathien, häufige Erkrankung von Schwangeren, häufigere Geburtsschä22

Im deutschen Uranbergbau-Konsortium Wismut sind bis 2011 knapp 9.000 Arbeiter an Lungenkrebs erkrankt und anerkannt. Wahrscheinlich sind es viel mehr, 3.000 sind bis 2003 gestorben. Neben Lungenkarzinomen sind auch andere Karzinome aufgetreten, z. B. im Nasen-Rachenraum – 3.355 Fälle alleine in Wismut. Leukämie, Sarkome und Mastoid-Zell-Karziome werden mit einer längerdauernden Radium-Exposition begründet.


Die Nukleare Kette Falea, Mali (2012). Direkt neben dem Dorf nimmt die Firma Rockgate Probebohrungen zur Erkundung eines Uran-Silber-Kupfer-Vorkommens vor. Für die Bohrungen wird Wasser in großen Mengen benötigt, dass danach – radioaktiv kontaminiert – einfach in die Umgebung abgelassen wird. Nach Beginn der Bohrungen ist die außerdem die Quelle des Dorfes versiegt.

Das Problem bei allen Belastungen mit Uran-Isotopen ist die lange Latenzzeit zwischen Exposition und dem Auftreten der Krankheit (15–25 Jahre). Dies macht eine Verfolgung extrem schwierig, insbesondere wenn Wanderarbeiter eingesetzt werden. Die Urankonzentration in Wasserläufen in Gebieten, wo noch kein Uran gefördert wird, kann auch als Indikator genommen werden, ob es irgendwo Uran gibt. Diese Tatsache macht epidemiologische Studien u. U. schwierig, wenn später dort Uran abgebaut wird.

Gesundheitsfolgen Uran, als Schwermetall über längere Zeit aufgenommen mit dem Trinkwasser (z. B. durch Verseuchung des Grundwassers, der Flüsse, undichte Abraumhalden) oder mit Staub aufgenommen, führt als Monosubstanz zu hohen Belastungen, die vom menschlichen Organismus nicht ausreichend entgiftet werden kann. Die Uran-Eiweißverbindung lagert sich in den Nieren, dem Hirn und andern Organen ab und führt dosisabhängig zu eindeutigen neuro-, nephro- und gentoxischen Veränderungen. Uran und seine radioaktiven Zerfallsprodukte, insbesondere Radon und Polonium, führen bei längerer Exposition zu Lungenkrebs und Krebserkrankungen im Nasen-Rachen-Raum. Die durch Staub bedingte Lungensilikose ist die häufigste, aber nicht uranspezifische Erkrankung.

Niedrigdosisbereich Im Niedrigdosisbereich besteht keine eindeutige Korrelation zwischen Dosis und Krankheit – weder mit der Schwermetallwirkung alleine noch mit der Strahlenwirkung. Zu den beschriebenen gesundheitlichen Problemen zählen: HerzKreislauferkrankungen, Magen-Karzinom, schnelles Altern, Depressionen, kindlicher Diabetes, Entwicklungsstörungen, Intelli-

genzschwäche, Knochentumoren, Leukämien und Erbschäden.

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ie Tatsache jedoch, dass von den Indigenen aus allen fünf Kontinenten diese Veränderungen beschrieben werden, muss nachdenklich stimmen. Ich war 20 Jahre im Fach Umweltmedizin tätig und in Gremien aktiv. Hier musste ich lernen, dass Umweltkrankheiten bedingt sind durch Kombinationswirkungen – durch synergistische Eingriffe an der Zelle und dem Immunsystem – auch wenn die einzelnen Risiken innerhalb der nach dem ALARAPrinzip (As Low As Reasonable Acceptable) festgelegten Grenzwerte liegen. Die Toxikologie hat sich dieses Problems kaum oder nicht angenommen. Für dieses Fach gilt immer noch: Wenn der einzelne Stoff keine Veränderung macht, so ist auch durch das Zusammenwirken mit andern Stoffen nicht mit Veränderungen zu rechnen.

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nders die Pharmakologen: Sie mussten lernen, dass Medikamente sich gegenseitig erheblich beeinflussen können. Die Wirkung gleichzeitig eingenommener Medikamente kann verstärkt oder abgeschwächt werden, völlig andere Wirkungen können auftreten bis hin zum Versagen eines Organes, das primär überhaupt nicht in der Behandlungsintention stand. Alter, Nieren und Leberfunktion werden mitberücksichtigt. Zu diesen Faktoren zählen z. B. genetische Prädispositionen der Einzelperson, Unteroder Fehlernährung, Rauchen, Alkohol und Staubexposition, Quecksilberbelastung (Schwermetalle und Strahlung haben teilweise dieselben Angriffspunkte an der DNA), Lösungsmittel, Säuren, Laugen aus dem Abraum (Lösungsmittel bzw. lipophile Substanzen können die Gefäßwände durchlässiger machen), die Kombination von sehr kurz wirkender und lang wirkender Alpha-, Beta-, Gamma-Strahlung 23

(bisher wenig untersucht), hohe Strahlensensibilität im wachsenden Organismus, verminderte Immunität im Alter oder Infektionskrankheiten. Die Tatsache, dass Erbgut, Alter, Hunger, Infektionskrankheiten, chemische und physikalische Noxen auch in geringer Dosierung zu Mutationen führen und mehrere Mutationen nötig sind, bis eine Krebserkrankung oder eine andere degenerative Erkrankung entsteht, machen verständlich, dass eine Vielzahl von Erkrankungen, wie sie die Indigenen berichten, auftreten können ohne dass eine Korrelation zu einer einzelnen Noxe, z. B. dem Uran, nachweisbar ist. Ein Zusammenhang der Erkrankungen mit dem Uranbergbau besteht mit hoher Wahrscheinlichkeit, auch wenn eine klare Kausalität auf Grund mangelnder epidemiologischen Studien oft nicht bewiesen werden kann.

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ir sollten nicht ausschließlich nach Strahlenmessungen gehen. Fragen wir auch nach anderen Belastungen, insbesondere durch Schwermetalle, Lösungsmittel und dem persönlichen Belastungsprofil. Die Wissenschaft – besonders Toxikologen und Epidemiologen – muss sich von der strengen Dosis-Wirkungskurve verabschieden. Diese gilt ausschließlich für hohe, toxische Dosen. Wir brauchen ein anderes Denken – und damit Handeln.

Dr. Günther Baitsch ist Arzt für innere Medizin, Herz- und Gefäßkrankheiten sowie Umweltmedizin.


Fotos: Robert Knoth

Die Nukleare Kette

Gefährliche Zwillinge Militärische und zivile Nutzung der Atomenergie

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ede Geschichte hat einen wahren Kern. Die atomare Geschichte hat auch einen: die radioaktive Strahlung, die der gesamten atomaren Kette vom Herstellen der Spaltmaterialien bis zum vermeintlichen Endlager als zentrales Risiko eigen ist. Am Anfang ihrer Geschichte diente die junge Atomenergie militärischen Zwecken – es entstanden die ersten Atombomben. Erst danach forcierte die Wissenschaft das Konzept, mit Atom­ energie auch Strom zu erzeugen. So ist es kein Zufall, dass die militärische und die zivile Nutzung der Atomenergie auf vielen Ebenen Überschneidungen aufweisen. Deswegen sagen wir: Atomenergie und die Bombe sind zwei Seiten derselben Medaille.

Gomel, Weissrussland (2005) im Gebiet des TschernobylFallout: Darja Sachantschuk hat ein Herzleiden. Seit der Katastrophe im Atomkraftwerk Tschernobyl hat sich – neben den Krebsfällen – auch die Anzahl erblich bedingter Krankheiten, insbesondere von Herzkrankheiten, vervierfacht.

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achdem das Erdbeben und der Tsunami Fukushima trafen, stellten viele Menschen sich die Frage, warum ausgerechnet Japan dermaßen in Atomenergie zur Stromerzeugung investierte, nachdem es durch die Atombomben so gelitten hatte? Es mag überraschen, dass die japanische Regierung in den 1960er Jahren jegliche Vorsicht vor der Atomenergie aufgab und begann, Atomkraftwerke in großem Stil zu bauen. Doch diese Spaltung im Kopf zwischen dem „friedlichen“ und dem „zerstörer­ ischen militärischen“ Atom ist nicht nur eine japanische Eigenheit. Auf dem diplomatischen Parkett in New York, Genf 24

oder Wien wird seit Jahrzehnten die These vertreten, dass die Atomenergie in Form von Waffen „böse“ ist, aber ganz toll zum Wasserkochen sei. Der Atomwaffensperrvertrag von 1970 hat diesen Glaubenssatz in seinem Artikel IV festgeschrieben. Jedes Land, das auf Atomwaffen verzichtet, hat das Recht auf Atomkraft. Die „Atoms for Peace“-Propaganda der 1950er Jahre wurde zur Grundlage für die Internationale Atomenergie Organisation (IAEO), die noch immer die Förderung der weltweiten zivilen Nutzung von Atomenergie mit voller Kraft verfolgt. Deshalb sind alle Aussagen der IAEO über die Sicherheit der Atomtechnologie mit Vorsicht zu genießen.

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tomenergie ist an sich weder „gut“ noch „schlecht“. Unsere Arroganz und Ignoranz – zu denken, dass wir diese massive und potenziell zerstörerische Kraft beherrschen können – ist meines Erachtens zu verurteilen. Zudem ist es kriminell, die Risiken dieser Technologie zu verharmlosen. Tschernobyl hat gezeigt, welche Konsequenzen menschliches Versagen haben kann. Fukushima zeigt uns, wie wenig wir tatsächlich die Technologie beherrschen und wie klein wir sind, wenn die Natur unser Schicksal entscheidet. Das Naturdesaster in Japan war schlimm genug; wir haben es mit dem Bau von AKWs in Erdbebengebieten noch verschlimmert. Könnte es überheblicher und dümmer gehen? Die Dummheit beginnt zu Beginn der nuklearen Kette mit dem Uranabbau. Uran ist im Gestein eingeschlossen. Indi-


Chelyabinsk, Russland (2005): Emil (13) und Camil (5) haben schwere gesundheitliche Probleme: Emil hat eine verdrehte Wirbelsäule und hatte schon zwei mal einen Tumor im Nacken. Camil leidet an Hydrocephalus und Teile seiner Gedärme mussten entfernt werden. Ihre Heimat liegt in der Nähe der Atomananlage Majak, wo Plutonium für das sowjetische Atomwaffenprogramm hergestellt wurde. Sie kontaminierte durch Unfälle und Lecks ein Gebiet von mehr als 15.000 km 2.

gene Völker – die seit Generationen auf uranhaltigem Boden leben – sagen in ihrer Weisheit, dass das Uran in der Erde bleiben muss. Wenn man es abbaut, wird es gefährlich. Heute weiß man: Radioaktive und toxische Partikel werden freigesetzt, die Krebs auslösen können.

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as Uran wird zum weiteren Einsatz angereichert. Die Unterschiede in der Technologie für die jeweilige Endnutzung sind minimal. Für die Atomkraft wird Uran auf rund 3-5 % angereichert, für medizinische Isotopen auf 20 %, für Atombomben auf bis zu 85-90 %. Manche atombetriebene U-Boote oder Forschungsreaktoren (z. B. der FRM II in der Nähe von München) verwenden sogar hochangereichertes (eben waffenfähiges) Uran für zivile Zwecke. Wenn ein Land erstmal anreichern kann, ist das Spaltmaterial für die Waffenoption gesichert. Es gibt eine weitere militärische Nutzung als Nebenprodukt der Anreicherung: Munition mit abgereichertem Uran. Diese kann durch die hohe Dichte des Urans Panzer und Beton durchbrechen. Wenn nach Treffern Uranpartikel freigesetzt werden, hat das radioaktive Schwermetall verheerende Folgen für Mensch und Umwelt. Und am Ende der Kette fällt, wie bei jeder Produktherstellung, Müll an. Was sollen wir mit den Bergen an Atommüll tun? Manche Länder, wie u. a. Frankreich, Russland, die USA, Indien und Japan, bevorzugen

die Wiederaufarbeitung. Durch das Verbrennen des Urans in einem Reaktor wird Plutonium erzeugt, das durch eine Wiederaufarbeitung abgetrennt werden kann. Es kann Mischoxid (MOX) als Brennstoff hergestellt werden, der in einem MOX-Reaktor wiederum Strom erzeugen kann. Oder das Plutonium wird für Atomwaffen verwendet und ergibt sogar „bessere“ Bomben als einfache Uranbomben. So haben japanische Politiker oft daran erinnert, dass sie aus dem „zivilen“ Bereich genug Plutonium angehäuft hätten, um bei Bedarf ein großes Atomarsenal bauen zu können.

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enn man im „Westen“ über den Iran redet, dann steht dessen ziviles Atomprogramm stets in der Kritik. Dabei stellt der Konflikt mit dem Iran eine der Säulen des Atomwaffensperrvertrags infrage: das Recht auf die friedliche Nutzung der Atomenergie. Diese Säule bröckelte in den 1990er Jahren, als das hinter einem „friedlichen“ Programm versteckte militärische Atomprogramm im Irak aufgedeckt wurde. Diesem Weckruf folgte auf dem Fuße die Aufdeckung des illegalen Schmuggelnetzes des pakistanischen Wissenschaftlers A. Q. Khan. Spätestens da wurde klar, dass sich hinter zivilen Programmen oft militärische Intentionen verstecken. Es gibt keine „friedliche“ Atomenergie. Erstens, weil die ihr innewohnende zerstörerische Kraft immer vorhanden ist und zweitens, weil sie immer auch die militä25

rische Option beinhaltet. Die IAEO kann kontrollieren, Proben entnehmen und Fragen stellen, doch kann der Verdacht der militärischen Nutzung nie völlig ausgeräumt werden.

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ie Ansichten über die Kernspaltung sind gespalten. Wir sollten dabei jedoch die unauflösliche Verbindung zwischen allen Aspekten der nuklearen Kette erkennen: Uranabbau, Anreicherung, Atomkraft, Wiederaufarbeitung, Atomwaffen, Atommüll und Fallout. Es ist die für Mensch und Umwelt gefährliche ionisierende Strahlung, die wir bei jedem dieser Kettenglieder zusätzlich erzeugen. Wenn wir über ein Kettenglied diskutieren, können wir die anderen nicht außer Acht lassen – gerade auch wenn es um CO2-Emissionen geht. Sie alle addieren sich zum hässlichen, radioaktiven und toxischen Kern dieser Technologie, voller Risiken und drohender Verseuchung. Daher plädiere ich für den Ausstieg aus der Atomenergie insgesamt, nicht nur aus einem ihrer Teile.

Xanthe Hall ist Abrüstungsreferentin der IPPNW Deutschland.


Die Nukleare Kette

Gesundheitliche Folgen von Niedrigstrahlung Die offiziellen Lügen über die Folgen von Tschernobyl und Fukushima erfordern eine neue Bestandsaufnahme

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rin Alice Stewart über die Verursachung kindlicher Krebserkrankungen durch diagnostisches Röntgen bei Schwangeren wurde mittlerweile offiziell bestätigt. Ferner ist Konsens, dass beruflich strahlenexponierte Kohorten auch innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte signifikant erhöhte Spätschäden zeigen.

Die deutsche Sektion der IPPNW fordert die Auflösung eines Kooperationsvertrags von 1959 zwischen der Internationalen Organisation zur Förderung der Atomenergie IAEA und der Weltge-

Das normgebende Gremium für die deutsche Strahlenschutzgesetzgebung ist die Internationale Strahlenschutzkommission ICRP. Ihr Schadensmaß, die Dosiseinheit Sievert (Sv), geht aus von einer absorbierten Energie im Gewebe in Joule/kg. Teilkörperdosen werden in eine „effektive“ Dosis umgerechnet. Die natürliche Exposition beträgt bei uns etwa 1 mSv/Jahr ohne Radon (1 Sv = 1000 mSv). Die nach wie vor erheblichen Defizite bei der Beurteilung des Strahlenrisikos durch die ICRP sind in der Tabelle schematisch aufgelistet.

nter einer niedrigen Dosis durch ionisierende Strahlung verstehen wir Expositionen in Höhe der natürlichen Umgebungsstrahlung, des diagnostischen Röntgens und der Grenzwerte für berufliche Strahlenbelastung. Lange Zeit wurde von offizieller Seite behauptet, in diesem Dosisbereich seien die Effekte so gering, das sie statistisch nicht nachgewiesen werden könnten. Daher seien die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte Garantie für eine optimale Vorsorge. Dies wurde seit Jahrzehnten in der Antiatombewegung als Verharmlosung gebrandmarkt und es wurde eine Revision der Folgenabschätzung gefordert.

Gesundheitsschäden durch Niederdosisexposition einer Bevölkerung nach ICRP im Vergleich zu Befunden in der wissenschaftlichen Literatur (Dosisangabe für Krebs ist die effektive Dosis, für genetische Erkrankungen die Gonadendosis, für Effekte in utero die Uterusdosis.) Krebsmortalität

Genetische Erkrankungen bei Nachkommen

Effekte nach Exposition in utero

Somatische Erkrankungen außer Krebs

Risiko nach ICRP 2007 und 2012

5,5 % pro Sv

0,2 % pro Sv

kein Effekt unter 100 mSv

kein Effekt unter 500 mSv

Kritik

Unterschätzung um Faktor 2 nach BfS u. a.; bzw. um etwa Faktor 10 gemäß neuen Auswertungen am japanischen Atombombenkollektiv und aus strahlenbiologischen Gründen

Bewertung ist nach Ansicht von Genetikern eine Unterschätzung; zahlreiche Effekte in der 1. Generation durch Tschernobylfallout

Nicht berücksichtigt: Krebs, Fehlbildungen, Geistige Behinderung, psychische Krankheiten, Down-Syndrom, Totgeburten, Säuglingssterblichkeit, spontane Aborte, geringes Geburtsgewicht

Entgegen Befunden bei Atombombenüberlebenden, beruflich Exponierten und Tschernobyl: Kreislauf, Lunge, Magen/ Darm, Nerven, Benigne Tumore, Katarakte u. a.

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sundheitsorganisation WHO, beides Einrichtungen der Vereinten Nationen. Danach kann die IAEA verlangen, dass Forschungsergebnisse, die für ihre Ziele nachteilig sind, von der WHO nicht öffentlich gemacht werden. Darin zeigt sich der bis dato ungebrochene Einfluss der Atomlobby auf die offizielle Einschätzung von Strahlenfolgen. Auch die WHO verkündet z. B. minimale Schadensfälle durch den Tschernobylfallout im Widerspruch zu den Ergebnissen zahlreicher Wissenschaftler (vergl. Pflugbeil et al.: Gesundheitliche Folgen von Tschernobyl, IPPNW 2011).

ür Krebs und Erbschäden wird der Effekt proportional zur Dosis angesetzt, es gibt also keinen unschädlichen Dosisbereich (Schwellendosis). Das Krebsrisiko nach ICRP bedeutet, dass 5,5 % der Personen in einer Bevölkerung zusätzlich an Krebs sterben, wenn sie eine mittlere Dosis von 1 Sv erhalten. Für die groteske Unterschätzung des genetischen Risikos und die hohen Schwellenwerte für Entwicklungsstörungen und nichtkarzinogene Erkrankungen dienen ausschließlich die Atombombenüberlebenden von Hiroshima und Nagasaki als Referenz. Kreislauferkrankungen durch niedrige Dosen werden inzwischen jedoch von tonangebenden Strahlenforschern als gleich häufig angesehen wie Krebserkrankungen. Es bleibt viel zu tun.

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edoch hat sich inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, dass auch sehr niedrige Strahlendosen messbare Todesfälle in einer Bevölkerung erzeugen. WHO und offizielle Strahlenschutzgremien halten es nunmehr für gesichert, dass die Lungenkrebsrate durch die normalen Pegel des radioaktiven Gases Radon in der Atemluft von Wohnhäusern erhöht wird. Radon ist ein Folgeprodukt des natürlich vorkommenden Radiums. Das Bundesamt für Strahlenschutz (www.bfs.de) gibt an, dass etwa 5 % aller Lungenkrebserkrankungen in der BRD auf Radon zurückzuführen sind. Der jahrzehntelang bestrittene Befund der englischen Medizine-

Prof. Dr. Inge SchmitzFeuerhake ist Physikerin und Mathematikerin und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der IPPNW. 26


Deutschland, Atommülllager Asse: Für Millionen Jahre gedacht, heute schon nicht mehr sicher – Lauge dringt ein. © ddp images/Jochen Luebke

Für die Ewigkeit? Die Risiken im Umgang mit Atommüll sollen verborgen bleiben

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ie Deutschland in einer Million Jahren aussieht, soll nun festgelegt werden. Zu diesem Zweck und weil in einigen Jahren alle Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet und abgerissen werden, ist am 27. Juli 2013 ein neues Gesetz in Kraft gesetzt worden. Es trägt den Namen Standortauswahlgesetz (StandAG) und soll dazu dienen, ein Endlager für hochradioaktiven Müll zu finden. Eine Million Jahre lang soll es dem Gesetz zufolge standhalten. Im Konsens haben das alle im Bundestag vertretenen Parteien außer den Linken kurzfristig beschlossen.

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unächst soll eine Kommission bis Ende 2015 Kriterien für eine Endlagersuche erarbeiten und diese dem Gesetzgeber empfehlen. Sie sollen eine Arbeit wiederholen, die vor mehr als 10 Jahren schon einmal von einer vom damaligen Bundesumweltminister eingesetzten Wissenschaftler-Kommission „Arbeitskreis Aus­wahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd)“ erledigt worden war. Dieser Arbeitskreis hatte allerdings zum Abschluss seiner Beratungen im Jahr 2002 empfohlen, „vor der Suche nach einem Endlager einen gesellschaftlichen Diskurs durchzuführen, in dem die relevanten Interessengruppierungen und die allgemeine Öffentlichkeit einen Konsens über den Weg zur Auswahl eines Endlagerstandortes erarbeiten.“ Diese Empfehlung verhallte ungehört und davon ist auch jetzt nicht die Rede. Im Gegenteil: Je mehr von Bürgerbeteiligung gesprochen wird, desto weniger will irgendjemand aus dem politischen Berlin den Bürgern tatsächliche Mitentscheidungsrechte zubilligen. Alle Rufe danach, die zukünftigen Standortge-

meinden per Volksabstimmung mitbestimmen zu lassen, stießen auf verschlossene Ohren. Stattdessen strafft das Gesetz die Entscheidungswege, ermöglicht Enteignungen und minimiert die juristischen Einspruchsmöglichkeiten der Bürger, indem behördliche Entscheidungen durch Parlamentsbeschlüsse ersetzt werden. Der Bundestag entscheidet. Lediglich einmal wird nach der unterirdischen Erkundung die Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Das Standortauswahlgesetz lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit allein auf ein „Endlager“, wobei in der Öffentlichkeit bislang der Eindruck erzeugt wird, das sei eine Lagerstätte für alle Ewigkeit, um die man sich nach der Einlagerung des Atommülls nicht mehr zu kümmern brauche. Dass es so etwas geben soll und das auch möglich ist, war einst Voraussetzung für die Genehmigungen und den Betrieb der Atomkraftwerke. Deshalb wird diese Fabel weiterhin gepflegt und gefördert. Das Beharren auf Gorleben als möglichem Standort für ein Endlager und die politisch und wirtschaftlich motivierte Anpassung von Eignungskriterien an die dort vorhandenen geologischen Gegebenheiten sind ein Beispiel dafür, wie die Grundlagen für künftige Katastrophen geschaffen werden.

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on der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, haben wir es mit der Freigabepraxis der weitaus größten Mengen des Atommülls bereits jetzt zu tun. Unterhalb bestimmter Aktivitätskonzentrationen und ohne Mengenbegrenzung wird der Abraum aus dem Abriss der Atomkraftwerke aus der Überwachung entlassen, als nicht mehr radioaktiv deklariert und 27

zum Ablagern auf normalen Deponien, für den Straßenbau und zum Recycling freigegeben. Dabei enthält er weiterhin Radionuklide, die mit den Sickerwässern in die Umgebung und in das Grundwasser gelangen. Das Aufdecken der Schäden wird erschwert bis unmöglich, wenn es schließlich keine unbelasteten Vergleichsgebiete mehr gibt. Die damalige rot-grüne Bundesregierung erwies sich einst als beratungsresistent und hatte das entgegen eindringlicher Warnungen bereits im Jahr 2001 mit ihrer Neufassung der Strahlenschutzverordnung so geregelt.

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er deshalb gegen unliebsame Überraschungen beim Umgang mit Atommüll gewappnet sein und sich in dem zu behandelnden Themenspektrum nicht einschränken lassen will, muss nun selbst aktiv werden, der Politik die Initiative aus der Hand nehmen, eigene Kompetenzen dokumentieren und der Politik Vorgaben machen. Die Probleme umfassen tatsächlich die gesamte Kette von der Freigabepraxis und weiträumigen Freisetzung von Atommüll in die Umwelt bis zu dessen Lagerung sowie die bekannten und zu erwartenden Folgen für Menschen und Umwelt. Zu entscheiden ist, welche gesundheitlichen und Umweltbeeinträchtigungen sowie Änderungen der Lebensart langfristig akzeptiert werden sollen.

Thomas Dersee ist Herausgeber der Zeitschrift „Strahlentelex“.


Die Nukleare Kette

Atomwaffen

Die verschiedenen Prozesse und Zwischenschritte bei der Verarbeitung von Uran werden von Atombefürwortern oft als „Atomarer Kreislauf“ bezeichnet. Dabei handelt es sich mitnichten um einen Kreislauf, sondern vielmehr um eine Sackgasse, die beim Rohstoff Uran beginnt und beim Atommüll endet. Wir sprechen daher lieber von der „Atomaren Kette“. Jedes Glied dieser Kette, vom Uranbergbau über den Transport von „Yellow Cake“, die zivile Nutzung der Atomenergie, die militärische Nutzung von Atomwaffen, die Wiederaufarbeitung ausgebrannter Brennstäbe bis hin zur Lagerung von Atommüll, fügt Umwelt und menschlicher Gesundheit irreparable Schäden zu. Millionen Menschen leiden weltweit unter den Folgen der zivilen und der militärischen Atomindustrie, die sich im Rahmen der atomaren Kette als zwei Seiten einer Medaille darstellen.

Heute gibt es noch immer ca. 17.000 Atomwaffen weltweit. Mit ihrer Sprengkraft können sie unseren Planeten 20-mal vernichten. Sie benötigen große Mengen an hochangereichertem Uran oder Plutonium. Die Produktion, Lagerung, Sicherung und Instandhaltung dieser Waffen verschlingt Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln, die in anderen Bereichen, wie dem Gesundheitswesen, Bildung und der Armutsbekämpfung fehlen. Atomwaffentests haben unsere Erde mit radioaktivem Fallout überzogen. Die Angriffe auf Hiroshima und Nagasaki töteten Hunderttausende Menschen. Bis heute erkranken und sterben Menschen an Krebs infolge der Verstrahlung durch Atomwaffendetonationen.

Abgereichertes Uran

Hochangereichertes Uran

Weiterverarbeitung & Urananreicherung Natürliches Uran besteht zu 0,7 % aus dem spaltbaren Uranisotop Uran-235. Für die Verwendung als Kernbrennstoff oder in Atomwaffen ist aber eine höhere Konzentration erforderlich. Anreicherungsanlagen trennen das Uran daher in eine angereicherte Fraktion und eine abgereicherte Fraktion auf. Niedrig angereichert (3–5 %) wird es für die Kernbrennstäbe verwendet, hoch angereichert (bis zu 90 %) für Atomwaffen. Abgereichertes Uran ist ein Abfallprodukt dieses Prozesses.

Uranabbau & Uranmühle Uranerz wird in Minen abgebaut und zu Uranmühlen transportiert. Durch physikalische und chemische Verfahren wird reines Uran aus dem Gestein gelöst und zum Urankonzentrat „Yellow Cake“ aufbereitet – dem Rohstoff für Atomwaffen und Atomkraftwerke.

Uran („Yellow Cake“)

Niedrigangereichertes Uran

Atomkraftwerk (AKW) Radioaktiver Abraum Die Rückstände der Uranaufbereitung müssen in speziellen Becken und Halden für viele Jahrhunderte gelagert werden. Sie enthalten noch den größten Teil der Radioaktivität des ursprünglichen Uranerzes in Form von Zerfallsprodukten wie z. B. Radium. Je nach Art der Lagerstätte, Gewinnungsmethode und Lagerung können die Abraumhalden und -becken Trinkwasserreservoirs kontaminieren oder durch Staubverbreitung ganze Gebiete radioaktiv verseuchen.

In AKWs wird durch Atomspaltung Wasser zu Dampf erhitzt und so Strom produziert. Wie anfällig diese Technologie ist zeigt eine lange Liste von Unfällen, von regelmäßigen Lecks und Radioaktivitätsaustritten bis hin zum Super-GAU von Tschernobyl oder Fukushima, bei denen so viel radioaktives Material austrat, dass ganze Regionen langfristig unbewohnbar wurden. Doch schon der Normalbetrieb birgt gesundheitliche Gefahren: Studien zufolge ist die Leukämierate bei Kindern im Umfeld von AKWs höher. Darüber hinaus werden jährlich Tonnen von Atommüll produziert, für dessen Lagerung es keine sichere Lösung gibt.


Radioaktive Partikel

Radioaktiver Fall-Out

Plutonium Dies ist ein hochgiftiges Schwermetall, das schon in Mikrogrammdosen Krebs auslösen kann. In der Natur kommt es praktisch nicht vor. Es entsteht in Atomreaktoren als Abfallprodukt der Kernspaltung. In Wiederaufarbeitungsanlagen wird es aus den abgebrannten Brennstäben extrahiert und kann für den Bau von Plutoniumbomben verwendet werden. Produktion, Handel und Transport von Plutonium stellen daher ein enormes Weiterverbreitungsrisiko dar.

Seit 1945 wurden weltweit über 2.000 Atomwaffentests durchgeführt. Radioaktive Partikel wurden in die Atmosphäre geschleudert, gingen als Fallout nieder und gelangten über Nahrung, Wasser und Atemluft in den menschlichen Körper. Stoffe wir Strontium oder Plutonium können ein Leben lang im Körper verbleiben und dort Schäden verursachen. Die IPPNW schätzt, dass durch die zusätzliche Strahlenbelastung durch Atomwaffentests weltweit mit bis zu 3 Millionen Krebstoten zu rechnen ist.

Uranmunition Abgereichtes Uran wird aufgrund seiner enormen Dichte in panzerbrechender Munition verwendet. Beim Einsatz entsteht ein chemo- und radiotoxisches Uranoxid-Aerosol, das sich mit dem Wind weiträumig verteilt und mit Staub immer wieder aufgewirbelt wird. Über Atemluft, Wasser und die Nahrungskette gelangt es in den Körper. Drohende Langzeitschäden sind genetische Defekte bei Säuglingen, Krebserkrankungen und Nierenschädigungen.

Mischoxid (MOX) Diese Art von Brennelementen wird aus dem, bei der Wiederaufarbeitung anfallenden, Plutonium und Uran hergestellt. Mit ihrer Nutzung sind besondere Risiken verbunden: Sie müssen von den WAAs zu den AKWs transportiert und dort gelagert werden, was die Unfall- und Weiterverbreitungsgefahr erhöht. Die Regelung eines mit MOX betriebenen AKW ist zudem komplexer. Außerdem enthalten sie viel langlebigere radioaktive Stoffe und benötigen bei der Endlagerung mehr Platz.

Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) Hier werden benutzte Brennelemente in wiederverwertbare und nicht wiederverwertbare Anteile getrennt und Plutonium extrahiert. Neben Atommüll fallen dabei auch Abgase und Abwässer an, die in die Umgebung abgeleitet werden. Diese enthalten radioaktive Bestandteile und belasten die Umwelt. Mehrere Studien haben eine erhöhte Inzidenz von Leukämie bei Kindern im Umkreis von Wiederaufarbeitungsanlagen gezeigt. Auch kommt es regelmäßig zu Lecks und Unfällen in diesen Fabriken.

Radioaktiver Abfall

Wiederverwertbare Brennstäbe Atommüll Ausgebrannte Brennstäbe Nicht wiederverwertbare Brennstäbe

Grafik: Samantha Staudte/IPPNW Creative Commons (CC)

Rund 300.000 Tonnen hoch radioaktiven Abfall hat die Atomindustrie bereits produziert, 12.000 Tonnen kommen jedes Jahr dazu, schwach- und mittelradioAtommüll aktive Abfälle noch nicht eingerechnet. Bis heute gibt es keine Lösung für die Endlagerung. Der hoch radioaktive Müll muss für bis zu einer Million Jahre endgelagert werden: Bei Cäsium beträgt die Halbwertszeit 30 Jahre, beim extrem giftigen Plutonium 24.000 und beim Uran bis zu 4,5 Milliarden Jahre.


Kairo: Mursi-Unterstützer helfen einem Verletzten der ZusammenstöSSe vom 27. Juli 2013.

Bittere Zeiten für Friedensaktivisten Dr. Ahmed Saada, IPPNW Vizepräsident für den Nahen Osten, berichtet aus Ägypten

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ine Einschätzung über die Situation hier bei uns in Ägypten zu geben ist nicht so einfach. Alles ändert sich ständig, täglich wird die Situation schlimmer. Hunderte von friedlichen Menschen sind in den vergangenen Wochen getötet worden, Tausende verletzt. Ich war selbst vor Ort, da meine Freunde und ich ein Feldlazarett aufbauten um Menschen zu behandeln und Leben zu retten. Meiner Meinung nach ist es den Muslimbrüdern nicht gelungen, die Situation seit der Revolution unter Kontrolle zu bringen. Ich glaube, dass sie viele schreckliche Fehler gemacht haben, aber sie sind keine Verräter. Sie hatten das Wohl des Landes im Sinn, aber auch ihren eigenen Vorteil. Was jetzt passiert ist, ist ein Militärputsch und zwar ein blutiger.

W

ir Aktivisten haben viele Male friedliche Lösungsvorschläge an beide Seiten herangetragen, vor und nach dem 30. Juni, selbst vor und nach dem Putsch, aber niemand interessierte sich dafür. Die Regierung der Muslimbrüder war nicht klug genug, auch anderen Gehör zu schenken. Ich weiß sogar, dass sie nicht einmal auf Ratschläge aus der eigenen Organisation eingegangen sind. Die Situation ist wirklich kompliziert, nicht nur bei den Muslimbrüdern. Es findet eine Rückentwicklung zum Polizeistaat statt, mit allen schlechten Aspekten aus der Zeit vor der Revolution. Die Polizeiabteilungen, die für die Beobachtung politischer, religiöser und Nicht-Regierungsorganisationen zuständig waren, wurden wiederhergestellt, wie der Minister für interne Angelegenheiten kürzlich be-

kannt gab. Das bedeutet in etwa so viel wie: keine Freiheit und keine Demokratie. Die Menschen auf dem Rabaa-Platz, egal ob „Pro-Mursi“ oder auch „Pro-Demokratie“, sind anfangs friedlich gewesen. Das Massaker vom 27. Juli war ein großes Verbrechen, ein schrecklicher Vorfall – mehr als 200 Menschen starben, mehr als 4.000 wurden verletzt.

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s gibt eine enge Kooperation zwischen Geschäftsleuten des alten Regimes, der Polizei und Kriminellen, die ihre Angriffe unter dem Schutz der Polizei oder der Armee durchführen. Außerdem erleben wir eine große Welle des Hasses und der Gewalt gegen Ägypter, die sichtbare Merkmale ihrer Religion tragen, wie zum Beispiel die traditionelle Hijab-Kopfbedeckungen oder Bärte. Ich glaube, dass die Lage vertrakt ist und wir uns auf die Aufklärung der Menschen konzentrieren sollten, um die tickende Zeitbombe zu entschärfen, die die gesamte Gesellschaft bedroht. Hunderte von Menschen sind bereits gestorben und ich befürchte, dass – Allah bewahre – noch Tausende sterben werden.

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ch gehe zu verschiedenen Plätzen, um mir ein möglichst umfassendes Bild zu machen. Nicht jede Position der Muslimbrüder ist richtig, aber leider sind sie der letzte Widerstand gegen den Militärputsch, der im Grunde gegen die Revolution ging. Die Militärs werden damit fortfahren, das alte Regime wiederherzustellen. Ich habe versucht, die Situation tiefergehend zu analysieren: Viele der extremistischen Gruppen in der muslimischen Welt, nicht nur in Ägypten, werden die 30

Geschehnisse als einen Beweis dafür nehmen, dass Demokratie etwas Schlechtes ist. Die Muslimbrüderschaft versucht ihnen seit 90 Jahren zu sagen, dass Demokratie der einzige Weg zum Wandel und dass Gewalt das falsche Mittel ist.

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etzt und nach dem wahrscheinlichen Sieg des Militärs über die Muslimbrüder befürchte ich, dass die Jugend der Muslimbrüderschaft ihren Glauben an die Demokratie verlieren wird und sich alternativ dem Extremismus zuwendet oder sich nur noch für das eigene Leben interessiert. Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, dass Scharfschützen auf Zivilisten, auf unbewaffnete Menschen geschossen haben und einer meiner Freunde (er ist Ingenieur, der für verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen arbeitet) hat ein Auge verloren. Außerdem ist am 27. Juli ein Freund von mir gestorben. Er hatte als viertbester an einer japanischen Universität promoviert. Am selben Tag haben wir Ärzte einen unserer Kollegen verloren, als er versuchte, einen der Verletzten zu retten. Dies ist ein kritischer Moment in der Geschichte Ägyptens und es sind bittere Zeiten für uns Friedensaktivisten.

Dr. Ahmed Saada ist Ägypter und IPPNW Vizepräsident für den Nahen Osten.

© Saeed Shahat/IRIN

Welt


aktion

IPPNW-Blockade An Tor 3

Bezugsgruppen-besprechung

Abzug jetzt! 24-Stunden Musikblockade in Büchel Erstmalig haben ca. 750 FriedensaktivistInnen aus der ganzen Bundesrepublik, den Niederlanden, Belgien und selbst den USA 24 Stunden lang alle Zufahrten zum letzten deutschen Atomwaffenstützpunkt in Büchel blockiert. Damit sollte vor der Bundestagswahl der Druck auf die Politik verstärkt werden, die letzten Atombomben aus Deutschland endlich abzuziehen. Unter der bunten Mischung aus TeilnehmerInnen – von jugendlichen UmweltaktivistInnen bis zu RentnerInnen, von kirchlich Engagierten bis zu BikernInnen – waren auch zahlreiche IPPNW-Mitglieder, Mitglieder des Vorstandes und Mitarbeiter der Geschäftsstelle, die gemeinsam das Tor 3 unter dem Motto: „Bombenrisiko Atomkraft“ blockierten. Bis Mitternacht spielten Bands an den Toren. Es gab Workshops, Lesungen, Filmvorführungen und Andachten. Die IPPNW zeigte die Ausstellung „Hibakusha weltweit“.

Rege IPPNW-Beteiligung: Viele Mitglieder kamen nach Büchel

Auftakt Der Blockade-Aktion am Haupttor 31


gelesen

gesehen

Tödlicher Export

The Yellow Oscar goes to …

Das „Schwarzbuch Waffenhandel – Wie Deutschland am Krieg verdient“ gibt Unterstützern und Profiteuren von Rüstungsexporten Name und Gesicht.

Das Uranium Filmfest zeichnet Filme aus, die sich mit den Gefahren von Radioaktivität und Atomkraft befassen.

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om 26. bis 29. September 2013 findet in München das weltweit einzige Festival statt, das sich dem gesam­ten Themenspektrum der atomaren Kette widmet: vom Uranbergbau bis zum Atommüll; von Hiroshima über Fallujah bis zu Fukushima. Das Uranium Filmfestival beschränkt sich dabei nicht auf das klassische Dokumentarfilmformat, sondern präsentiert auch Spielfilme, Trickfilme oder Experimentalfilme, die sich mit den Themen der atomaren Kette auseinandersetzen. Vom 30. September bis 1. Oktober 2013 wird das Festival dann in Bamberg und vom 3. bis 7. Oktober 2013 in Berlin sein.

ürgen Grässlin ist uns seit vielen Jahren als Freund und Mitstreiter für eine friedliche Welt eng verbunden. Jetzt hat er nach jahrelanger gründlicher Recherche das Buch „Schwarzbuch Waffenhandel – Wie Deutschland am Krieg verdient“ geschrieben. Hierin beschreibt er, wie sich Politiker für die deutsche Rüstungsindustrie einsetzen und davon profitieren. So betitelt er Angela Merkel als die „Marketenderin der Todeswaffen“, Frank-Walter Steinmeier nennt er einen „Rekordhalter bei Kleinwaffenexporten“ und der Heckler-Koch-Hauptinvestor Andreas Heeschen ist für ihn der „Manager der Mortalität“.

Insgesamt wurden für das diesjährige Festival in München 44 Filme aus 14 Ländern ausgewählt. Darunter werden deutsche Erstaufführungen sein, wie z. B. der Film „High Power“ des indischen Regisseurs Pradeep Indulkar, der mit seinem Film von den Folgen des Baus des ersten indischen Atomkraftwerks in den 60er Jahren erzählt oder der Film „Women of Fukushima“, der sechs japanische Frauen zeigt, die ungeschönt über Vertuschungen berichten und darüber wie der Reaktorunfall ihr Leben verändert hat. Auch der in Rio mit dem „Yellow Oscar“ ausgezeichnete Spielfilm „Atomic Ivan“ wird zu sehen sein, eine surrealistische Komödie im Stile von Federico Fellini, die wichtige, wissenschaftliche Informationen über Atomkraft und Radioaktivität transportiert. Oder der wunderbar gezeichnete Animationsfilm „Abita – Die Kinder von Fukushima“ der die Auswirkungen eines atomaren GAU bei einem Kind zum Thema hat.

Während Politiker den Frieden beschwören, führen sie trotzdem Krieg. Deutschland ist der drittgrößte Waffenexporteur der Welt und schreckt nicht vor Lieferungen an menschenrechtsverletzende Regime und Diktatoren zurück: „Es wird geliefert, wo gezahlt wird, nicht nach Ethik und Menschenrechtsverletzungen“, so Grässlin. Er will das alles nicht hinnehmen. Er prangert an, wie die Produktion von Gewehren, Panzern und Kleinwaffen und ihr Export wieder gesellschaftsfähig geworden ist und wie bisher alle Versuche, den Waffenhandel zu begrenzen, scheiterten. Dabei bezieht er sich auf Rüstungsexportberichte der Bundesregierung oder auf Untersuchungen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI. Er widerlegt Behauptungen, die den Waffenexport mit dem Interesse von Wirtschaft und Arbeitsplätzen entschuldigen wollen. Denn der Rüstungsexport mache nur 0,12 % der deutschen Ausfuhren aus. Obwohl die Rüstungsbranche Umsatzsteigerungen verzeichnet, hat sie die Zahl ihrer Angestellten seit den 1980er Jahren um ein Viertel verringert.

Das Uranium Film Festival gilt als die international wichtigste Plattform für Filmemacher, die sich mit den schwierigen Themen rund um Atomkraft und nukleare Gefahren befassen. Viele Filmschaffende kritisieren den Mangel an Interesse und Unterstützung für ihre Produktionen und erlangen durch das Festival endlich die verdiente Aufmerksamkeit.

Erst ein breites Bündnis der Zivilgesellschaft kann den notwendigen Druck zum Stopp aller Waffenexporte erzeugen. Die IPPNW ist eine der Trägerorganisationen in der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“.

Für uns ist es eine einzigartige Gelegenheit viele interessante, kreative und bewegende Filme zu sehen, die es in vielen Fällen weder in den deutschen Kinos noch auf DVD zu sehen gibt. Verpassen Sie es nicht!

Sabine Farrouh Jürgen Grässlin: Schwarzbuch Waffenhandel: Wie Deutschland am Krieg verdient. Heyne Verlag 2013, Taschenbuch, 624 Seiten, 14,99 €, ISBN-13: 978-3453602373

Samantha Staudte Informationen und Programm: www.uraniumfilmfestival.org 32


GEDrUcKt

tErMINE

Energie-Faltblatt 2013

SEPtEMBEr

Was ist sicher, preiswert und fördert den Frieden? Das faktenreiche 8-seitige Faltblatt mit dem Titel „Was ist sicher, preiswert und fördert den Frieden?“ beschreibt die positive Überwindung eines gesellschaftlichen Konflikts durch das wirksame Handeln von Bürgern, Kommunen und Unternehmen. Die Gewinnung erneuerbarer Energien mit „Bürgerkraftwerken“ und dezentralen Energiespeichern ersetzt ein veraltetes Energiesystem, welches atomare Risiken, überhöhte Energiepreise sowie Konflikte und Kriege um die Energieressourcen anderer Völker nach sich zieht. Das neue Energiesystem mit seinen dezentralen Techniken begünstigt gesellschaftliche Zielsetzungen wie Gesundheit, Sicherheit, Demokratie, Teilhabe, Wohlstand und Frieden. Erhältlich in der Berliner IPPNWGeschäftsstelle oder im Internet unter: shop.ippnw.de

GEPLANt

Arabische Welt: Zwischen Aufbruch und Abgrund Der Redaktionsschluss für die Ausgabe 136/Dezember 2013 ist der 31. Oktober 2013. Das Forum lebt von Ihren Ideen und Beiträgen. Schreiben Sie uns: staudte@ippnw.de

Herausgeber: Internationale Ärzte für die Verhü-

Redaktion oder des Herausgebers. Nachdrucke

tung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verant-

bedürfen der schriftlichen Genehmigung.

wortung e.V. (IPPNW) Sektion Deutschland

Redaktionsschluss

Redaktion: Sabine Farrouh (V.i.S.d.P.), Angelika

31. Oktober 2013

Wilmen, Samantha Staudte

Gestaltungskonzept: www.buerobock.de, Layout:

Freie Mitarbeit: Hanna Punken

Samantha Staudte; Druck: Oktoberdruck Berlin;

Anschrift der Redaktion: IPPNWforum, Körtestra-

Papier: Recystar Polar, Recycling & FSC. Bild-

ße 10, 10967 Berlin, Telefon: 030 / 69 80 74 0,

nachweise: S. 6 Mitte: © Silly; S. 7 Mitte: Baye-

Fax 030 / 693 81 66, E-Mail: ippnw@ippnw.de,

rischer Rundfunk; S. 7 rechts: Ian Thomas Ash

www.ippnw.de, Bankverbindung: Bank für Sozial-

(documentingian.com); S. 8 © Margarita Kabako-

wirtschaft, Konto 22 22 210, BLZ 100 205 00

va; S. 14: Foto: Kraemer Family Library/Flickr/

Das Forum erscheint vier Mal im Jahr. Der Be-

Creative Commons; nicht gekennzeichnete: privat

zugspreis für Mitglieder ist im Mitgliedsbeitrag

oder IPPNW.

enthalten. Sämtliche namentlich gezeichnete Artikel entsprechen nicht unbedingt der Meinung der

33

30.9.–1.10. Uranium Filmfestival, Bamberg, uraniumfilmfestival.org

OKtOBEr 1.–6.10. Konferenz „Uranabbau: Folgen für Gesundheit und Umwelt“, Tansania 3.–7.10. Uranium Filmfestival, Berlin, uraniumfilmfestival.org 11.–13.10. Internationale Afghanistankonferenz, „Afghanistan 2014 – Herausforderungen für Frieden und Entwicklung“, Straßburg www.afghanistanprotest.eu

Informationen und Kontaktdaten: www.ippnw.de/aktiv-werden/termine

Erratum

IMPrESSUM UND BILDNAchWEIS

das

28.9. Matinee zum Thema „Krieg und Uranmunition“ anschließend Podiumsdiskussion mit Dr. Winfrid Eisenberg, München

19.10. „We shall overcome!“ – Gewaltfrei aktiv für die Vision einer Welt ohne Gewalt und Unrecht, Tagung, Gammertingen, www.lebenshaus-alb.de

Das nächste Heft erscheint im Dezember 2013. Im Schwerpunkt geht es um

für

26.–29.9. Uranium Filmfestival, München, uraniumfilmfestival.org

nächste

Heft:

Im letzten Forum (Nr. 134) berichteten wir auf Seite 28 über Atomwaffen und die Fehlverteilung öffentlicher Mittel. Dabei ist uns bei der Übersetzung aus dem US-Amerikanischen ein Fehler unterlaufen. Im amerikanischen Englisch steht „Trillion“ für eine (deutsche) Billion. Richtig hätte es also heißen müssen „Was kaufen wir für eine Billion Dollar?“ und „Die neue Modernisierungswelle wird nach konservativen Schätzungen in den nächsten 10 Jahren zu weltweiten Ausgaben für Atomwaffen von über einer Billion Dollar führen.“ Wir bitten diesen Irrtum zu entschuldigen.


gefragt

6 Fragen an … Monika Hauser © Elissa Bogos/medica mondiale

Gründerin der Frauenrechtsorganisation „medica mondiale“ und Trägerin des Alternativen Nobelpreises

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medica mondiale setzt sich für Frauen ein, die sexualisierte Gewalt erfahren mussten. Können Sie uns die Bandbreite dieser Übergriffe skizzieren? Im Krieg und Nachkrieg erfahren Frauen verschiedene Formen sexualisierter Gewalt. Dazu zählen Vergewaltigung, sexuelle Folter, Verschleppung, Versklavung, Zwangsprostitution und Zwangsverheiratung. Ich habe schon früh begriffen: Sexualisierte Gewalt wirkt sich zerstörerisch auf die Identität der Betroffenen aus. Die Frauen leiden jahre- bis jahrzehntelang an Posttrauma-Symp­ tomen wie Panikattacken oder chronischen Schmerzzuständen und werden im Leben nicht mehr heimisch. Hinzu kommen physische Folgen wie Unfruchtbarkeit, Inkontinenz und Karzinom­ erkrankungen.

Mit welchen Ansätzen wird sich mit den Tätern – oder evtl. auch den Täterinnen – beschäftigt? Wir haben ganz bewusst entschieden, ausschließlich Frauen und Mädchen zu unterstützen, die sexualisierte Gewalt überlebt haben. Bei Sensibilisierungsmaßnahmen in Gemeinden, beispielsweise in Liberia, beziehen wir Männer, also Nachbarn oder lokale Autoritäten, in unsere Aktivitäten ein. Medica mondiale Liberia bietet ebenfalls Trainings für Richter, Lehrer und medizinisches Personal an.

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Wie wird die Problematik international, z. B. von UN-Organisationen, gesehen? Welche Programme gibt es, wie steht medica mondiale dazu? Mit der UN-Resolution 1325 aus dem Jahr 2000 und der 2008 folgenden Resolution 1820 hat die internationale Gemeinschaft sexualisierte Gewalt in Kriegen endlich als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit geächtet. Präventionsmaßnahmen, die Partizipation von Frauen in Friedensprozessen sowie die Ahndung und Verurteilung der Täter sind beispielsweise dort festgeschrieben. Wir können uns also in der Lobbyarbeit auf die Beschlüsse berufen. Gleichzeitig kritisieren wir immer wieder, dass die UN-Resolutionen nicht konsequent eingehalten und umgesetzt werden. Bislang fehlte dazu einfach der politischer Wille.

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In welchen Ländern ist das Vorkommen sexualisierter Gewalt besonders hoch? Was sind die Ursachen und Bedingungen? Übergriffe gegen Frauen und Mädchen in Kriegen und Konflikten ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Sexualisierte Gewalt passiert jeden Tag, überall auf der Welt. Allein im Bosnien-Krieg wurden von 1992 bis 1995 zwischen 20.000 und 50.000 Frauen vergewaltigt, gefoltert und in Lagern gefangen gehalten. So demonstrieren Militärs, Milizen und Polizisten, aber auch Zivilisten, ihre Macht. Aktuell kann man in Syrien beobachten, wie mit Vergewaltigungen gezielt Frauen im Widerstand eingeschüchtert werden. Sexualisierte Kriegsgewalt ist Teil der strukturellen Gewalt gegen Frauen weltweit.

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Was ist die langfristige Perspektive, wie der Nährboden für sexualisierte Gewalt ausgetrocknet werden könnte? Ohne wirklichen Wandel in den Geschlechterrollen wird sich an der weltweiten Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen nichts ändern. Männer sind auch von sexualisierter Gewalt betroffen – das wissen wir nicht erst seit den Ereignissen im Bagdader Gefängnis Abu Ghraib. Sie würden von einem ernst gemeinten Gender­verständnis profitieren und müssten nicht mehr stereotypen Männlichkeitszuschreibungen gerecht werden. Ein weiterer zentraler Punkt ist für mich die Vision einer weltweiten Geschlechtergerechtigkeit. Dabei geht es nicht nur um Gerechtigkeit für Frauen, sondern um einen Weg hin zu mehr nachhaltiger Entwicklung und Good Governance, zu weniger Gewalt und Zerstörung in dieser Welt und zu mehr innerer und äußerer Friedlichkeit für alle.

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Wie versucht medica mondiale den Betroffenen in den unterschiedlichen Kulturkreisen zu helfen? Das Unterstützungsangebot in den Projekten von medica mondiale reicht von medizinischer und juristischer Beratung über psychosoziale Angebote wie Gesprächsgruppen oder traumatherapeutische Therapiesitzungen bis hin zu Einkommen schaffenden Maßnahmen. Unsere Konzepte entwickeln wir grundsätzlich gemeinsam mit einheimischen Fachfrauen. Außerdem klären wir mit politischer Frauen- und Menschenrechtsarbeit über das Thema sexualisierte Gewalt auf. So wirken wir der Stigmatisierung entgegen und sorgen dafür, dass Frauen sich gleichberechtigt an der Gestaltung ihrer Gesellschaften beteiligen können.

Interview: Dr. Jens-Peter Steffen/IPPNW 34


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Aussichten

Der IPPNW-Kunstkalender 2014 mit Werken von Béla Faragó Clemens Heinl Hubertus Hess Udo Kaller Tobias Loemke Gerhard Rießbeck Format 49 x 49 cm Preis 25,– Euro zzgl. Porto Einzelbestellungen über den webshop der IPPNW www.ippnw.de Sammelbestellung (ab 10 Exemplare) bei Dr. med. Helmut Rießbeck www.psychotherapie-riessbeck.de Die Regionalgruppe Nürnberg-Fürth-Erlangen der IPPNW hat

Die Nürnberg-Fürth-ErlanbereitsRegionalgruppe zahlreiche Kulturprojekte realisiert. Die Verbindung von politischer hatzahlreiche also bereits Tradi tion. genKunst der und IPPNW hatAussage bereits KulSechs national renommierte fränkische Künstler konnten turprojekte realisiert. Die Verbindung von für das Projekt gewonnen werden. Sie erklärten sich bereit, Kunst und politischer Aussage hat Honorierung also beden IPPNW-Kalender ohne jegliche finanzielle zu unterstützen, undSechs stellten national jeweils zwei Kunstwerke zur reits Tradition. renommierte fränkische Künstler konnten für das Projekt gewonnen werden. Sie erklärten sich bereit, den IPPNW-Kalender ohne jegliche IPPNW-Postkarte_210x129mm.indd 1 finanzielle Honorierung zu unterstützen, und stellten jeweils zwei Kunstwerke zur

Verfügung. Mehr noch, einzelne Künstler arbeiteten sich in le Risiko des Projekts wird ausschließlich von Sponsoren aus Risiko des Projekts wird von Verfügung. Mehr noch, politische Anliegen der IPPNW ein einzelne und setzten Künstler diese künst- der Regionalgruppe getragen. Die ausschließlich entstehenden Überschüslerisch um. Der sich größereinTeilpolitische der Werke nimmt Bezug aufder die se kommen demaus Hilfsprojekt »Famulieren und Engagieren« Sponsoren der Regionalgruppe getraarbeiteten Anliegen Anliegen der IPPNW. Auf den Kalenderblättern finden sich in der IPPNW in voller Höhe zugute. Mit seinem quadratischen IPPNW ein und setzten diese künstlerisch gen. Die entstehenden Überschüsse komkurzen Sätzen Hinweise auf Arbeitsfelder der IPPNW sowie Format, der brillanten Druckqualität und der hochwertigen men demwirdIPPNW-Programm um. Der größere Teildieder nimmt Be- Verarbeitung entsprechende Weblinks, eineWerke tiefere Auseinandersetder Kalender nicht nur in»Famulieren Arztpraxen und zung jeweiligen Themen ermöglichen. ein besonderer Blickfangin sein. und Engagieren« der IPPNW voller Höhe zug mit aufdendie Anliegen der IPPNW. Das Auffinanzielden Krankenhäusern

Kalenderblättern finden sich in kurzen Sätzen Hinweise auf Arbeitsfelder der IPPNW sowie entsprechende Weblinks, die eine tiefere Auseinandersetzung mit den jeweiligen Themen ermöglichen. Das finanzielle

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09:07


Hibakusha weltweit

Eine Poster-Ausstellung der IPPNW 50 Orte an denen die Atomwirtschaft ihre Spuren hinterlassen hat – 50 Poster die von den schrecklichen Folgen für Menschen und Umwelt berichten – plus eine große Übersichts-Weltkarte zum Mitmachen. Demnächst kostenlos ausleihbar bei der IPPNW-Geschäftsstelle in Berlin.

Hibakusha – so nennt man in Japan die Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki. Aber auch anderorts gibt es Menschen, deren Leben durch die Atomindustrie zerstört wurden: Vom Atomwaffentestareal in Nevada bis zum Super-GAU von Fukushima, von der Atomkatastrophe von Majak bis zu den Folgen des Uranbergbaus in Australien – diese Ausstellung ist ihnen gewidmet – den Hibakusha in aller Welt. Weitere Informationen und Ausleihmöglichkeit unter: www.ippnw.de/hibakusha-weltweit


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