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„Wir haben Hoffnung. Wir bleiben skeptisch“ – Zeitenwende in Kurdistan IPPNW – Delegationsreise Türkei / Autonome Region Kurdistan / März 2013
Reiseimpressionen
Diyarbakir Sur
Istanbul
Das Geheimdienstgef채ngnis in Erbil
Halabja-Gedenken
Newroz in Diyarbakir
Diyarbakir Sur
Im Geheimdienstgef채ngnis in Erbil
Inhalt Editorial............................................................................................................................ 4 Chronologie der Reise......................................................................................................... 6 Karten und Geschichtsüberblick........................................................................................... 8 1. Gesprächspartner und Schwerpunkte Istanbul ............................................................................................................................................................... 10 Dohuk.................................................................................................................................................................. 10 Erbil..................................................................................................................................................................... 10 Sulaimaniyya....................................................................................................................................................... 11 Nusaybin.............................................................................................................................................................. 12 Ceylanpinar......................................................................................................................................................... 12 Viranşehir ........................................................................................................................................................... 12 Urfa..................................................................................................................................................................... 13 Diyarbakir............................................................................................................................................................ 13
2. Berichte IPPNW goes Nordirak: Eindrücke im Nordirak 10 Jahre nach dem Krieg ........................................................... 16 A strong Iraq means a strong Turkey: Die Beziehung zwischen der Türkei und der Autonomen Region Kurdistan............................................................................................................................................................. 18 Gedenken an Halabja: 25 Jahre nach der Katastrophe ....................................................................................... 20 Die Anfal-Kampagne in Halabja: Unfassbare Dimensionen von Vernichtung und Zerstörung ........................... 21 Kirkuk Center for Torture Victims: Eindrücke der Kirkuk Behandlungszentren für Folteropfer ......................... 24 Frau und Gesellschaft im Nordirak: Erörterung eines unsichtbaren Kapitels ..................................................... 26 Auf der Reise von der leiblichen zur geistlichen Heimat..................................................................................... 27 Aufnahme kurdischer Flüchtlinge aus Syrien in Nordirak und Ost – Türkei ....................................................... 29 Ceylanpınar (Kreisstadt an der syrischen Grenze)............................................................................................... 31 Frauen in der Osttürkei: Eindrücke vom März 2013............................................................................................ 31 Newroz................................................................................................................................................................ 34 Öcalans historische Erklärung zu Newroz 2013................................................................................................... 35
3. Hintergrundinformationen Wird die kurdische Frage wirklich gelöst?........................................................................................................... 37 Hasankeyf Stopp Ilisu-Staudamm ....................................................................................................................... 41 Brief an das Parlament der Autonomen Region Kurdistan ................................................................................. 44
4. Anhang Glossar................................................................................................................................................................. 45 Reiseimpressionen......................................................................................................................................... (2) 46 Impressum........................................................................................................................................ (Rückseite) 48
DELEGATIONSREISE TÜRKEI-KURDISTAN
Editorial
„Ein junger Mann nimmt den alten Esel der Familie, färbt ihm das Fell und verkauft ihn dem Vater als neues Tier.“ Unsere Reise führte uns diesmal in die einzige Region, die sich zurzeit offiziell Kurdistan nennen darf, in die kurdische Autonomieregion im Nordirak. Unseren kurdischen Mitreisenden ging sichtbar das Herz auf, als sie hinter der Grenze die kurdische Fahne stolz und frei neben der Irakischen im Wind flattern sahen. Wir waren Gäste des kurdischen Parlaments, wurden ab der Grenze in einem roten Bus mit Parlamentsnummer und zwei Fahrern transportiert, von denen mindestens einer mit einer Pistole bewaffnet war. Dass wir auch auf Kosten des Parlaments in teuren Hotels übernachteten, führte zu Diskussionen über eine mögliche Beeinträchtigung unserer Unabhängigkeit in der Reisegruppe. Unsere Begleiter ließen uns zwar nicht aus den Augen, waren darüber hinaus aber ausgesprochen höflich und hilfsbereit und nahmen keinen Einfluss auf unsere Reisepläne und Gesprächswünsche.
Diese alte kurdische Geschichte erzählte uns Altun Tan, der BDPAbgeordnete aus Diyarbakir, als wir ihn nach seiner Einschätzung des Friedensprozesses fragten. Es gäbe zwei Möglichkeiten: Entweder handle der türkische Ministerpräsident Erdogan taktisch mit dem Ziel, die Stimmen der Kurden für seine Verfassungsänderung und seine Kandidatur für die Staatspräsidentschaft mit erweiterter Macht zu gewinnen. Dann würde es nach den Wahlen sein wie immer. Unterdrückung und Krieg würden zurückkehren. Das haben die Kurden immer wieder erlebt. Oder: Erdogan und seine Regierung haben endlich verstanden, dass der Krieg im Inneren sowohl die wirtschaftliche Entwicklung als auch die angestrebte Vorreiterrolle in der Region stört und dass eine Beendigung des kurdischen Widerstands mit militärischen Mitteln auf absehbare Zeit nicht zu erreichen ist. Dann geht es um strategische Überlegungen auf dem Weg zu Frieden und Demokratie. Die Hoffnung ist groß, die Skepsis auch. Vertrauen muss erst wachsen. Bisher gibt es vonseiten der türkischen Regierung über die Verhandlungen und Absichtserklärungen hinaus keine weiteren Zugeständnisse. Die politischen Gefangenen sind weiter hinter Gittern – gewählte Bürgermeister, Anwälte und Journalisten. Das türkische Militär fliegt weiter Angriffe auf die Stellungen der PKK in den Kandilbergen im Irak. In Diyarbakir hört man die Kampfflugzeuge den ganzen Tag, selbst während des Newrozfestes, auf dem die historische Friedenserklärung von Abdullah Öcalan verlesen wurde.
In Erbil wurden wir im Parlament vom Vizepräsidenten Dr. Hasan Sora und dem Staatssekretär Khani Hejar, der auf Englisch übersetzte, sehr freundlich empfangen und in die Geschichte und Geschicke des Landes eingeführt. Demokratie und die Gleichberechtigung der verschiedenen Völker und Religionen sind die Säulen ihrer Verfassung. Man hat sich im Jahr 2003 zur Autonomie innerhalb der Grenzen des Irak entschieden, weil sonst die umstrittenen Gebiete, vor allem Kirkuk, für Kurdistan verloren gegangen wären. Auch jetzt bei den anstehenden Wahlen und bei der Überarbeitung der Verfassung spielt das eine wichtige Rolle. Sorgen bereitet die Entwicklung in Bagdad, wo sich Ministerpräsident Maliki zunehmend zu einem Diktator entwickelt. Die Armeen beider Teilstaaten stehen sich an der Grenze bewaffnet gegenüber.
Die Gefahr, dass Hardliner und Kriegsgewinnler auf beiden Seiten den Friedensprozess durch gezielte Anschläge sabotieren, ist groß. Die heftige öffentlich-mediale Diskussion darüber, dass auf dem zentralen Newrozfest in Diyarbakir keine türkische Fahne aufgehängt wurde, ist sicher nur ein kleiner Vorgeschmack auf die Herkulesaufgabe der Vertrauensbildung.
Zehn Jahre nach dem Krieg sind die Trümmer weggeräumt. Die tiefe Zerstörung des Landes und der Gesellschaft sind überall schmerzhaft zu spüren. Es herrscht hektische Bautätigkeit. Prächtige Einkaufspaläste wachsen wie Pilze aus dem Boden, jede Stadt hat ihren „Happy Park“ mit Riesenrad, die Straßen sind voller neuer weißer Allradkarossen, öffentliche Verkehrsmittel sehen wir nur vereinzelt. Banken 4
BERICHT 2013
Newroz in Diyarbakir
Zurzeit werden sie von den Flüchtlingen aus Syrien vor große Probleme gestellt. Diese kommen aus dem meist von Kurden bewohnten Norden Syriens und haben oft Verwandte auf der türkischen Seite, die sie aufnehmen. Es kommen auch Christen und andere Minderheiten. Die arabischen Flüchtlinge kommen meist in die Provinz Hatay. Sie werden von der türkischen Regierung versorgt, die kurdischen Flüchtlinge bekommen von der Zentralregierung keine Hilfe, das müssen die kurdischen Stadtverwaltungen mit ihren kargen Mitteln allein bewältigen. Dazu kommt die schwierige Situation in Qamishli, der syrischen Schwesterstadt von Nusaybin, in die sich viele Kurden, Christen und andere Minderheiten vor dem Bürgerkrieg gerettet haben. Die Türkei hat die Grenzen hier geschlossen, sodass Hilfslieferungen nicht nach Qamishli gelangen und auch keine weiteren unerwünschten Flüchtlinge ins Land kommen. Nach heftigem Protest der Bevölkerung in Nusaybin, kann die Stadtverwaltung jetzt einmal in der Woche mit Hilfsgütern die Grenze überqueren. Unsere bescheidene Spende wird sofort in Milch und Windeln umgesetzt.
scheint es nicht zu geben, Währung ist der US- Dollar, den wir auf dem Markt und auf der Straße eintauschen. Einen großen Raum nimmt die Erinnerung an die Giftgasangriffe ein. Der Angriff auf Halabja jährt sich zum 25. Mal. Das Erinnern ist wach aber die Hilfe für die Opfer ist zögerlich und nicht ausreichend. Das Gesundheitssystem, das früher zu den besten der Welt zählte, ist durch Embargo und Krieg völlig zusammengebrochen. Die meisten Ärzte haben das Land verlassen. Die Begleitung von Sabir Khoshnaw, dem Vertreter der Giftgasopfer von Balisan, die Gespräche in den Behandlungszentren für Gewaltopfer und der Besuch im ehemaligen Gefängnis der Geheimpolizei von Saddam Hussein machten uns den riesigen Bedarf an Aufarbeitung und Wiedergutmachung deutlich. Einen Einblick in das schwierige Verhältnis zur Türkei bekommen wir beim Besuch der BDP in Erbil. Das offizielle Büro gibt es erst seit kurzer Zeit. Die meisten Exilkurden aus der Türkei leben als rechtlose Flüchtlinge in Kurdistan, weil die kurdische Autonomieregierung Rücksicht auf die Befindlichkeiten der türkischen Handelspartner nimmt.
Das beherrschende Thema in diesem Jahr aber waren die Friedensverhandlungen. Die Sehnsucht nach Frieden ist groß, die Hoffnung auch. Wir begegnen aber auch einer sehr großen Skepsis, der Sorge, dass wieder nur die Kurden den Preis bezahlen könnten, dass es nach einem Scheitern der Verhandlungen wieder schlimmer werden könnte als zuvor.
Nach dem viel zu kurzen Ausflug nach Südkurdistan (Irak) mit vielen naturgemäß nur oberflächlichen Eindrücken ging es weiter in Nordkurdistan (Türkei). Für mich fühlte es sich an, wie nach Hause kommen. Trotz aller Armut und der vielen Probleme ist die Stimmung völlig anders. Die Straßen sind voller Menschen, die miteinander agieren, es gibt überall Lokale, in denen ein einfaches aber köstliches Essen mit viel frischem Salat und Gemüse serviert wird. Auch hier ist die Bautätigkeit enorm, die Straßen werden gepflastert, Kanalisation gebaut, moderne Hochhaussiedlungen wachsen an den Rändern der Städte. Seit die BDP in Städten wir Nusaybin, Viranşehir und Ceylanpınar regiert, haben sie sich „vom Schlammdorf zur Stadt“ entwickelt, wie der Bürgermeister von Ceylanpınar es ausdrückt. Sie werden zwar weiter von der Zentralregierung in Ankara blockiert, haben es aber in den letzten Jahren geschafft, ihre Schulden beim Staat zu bezahlen. Sie sind dadurch jetzt nicht mehr erpressbar und können ihre ehrgeizigen Programme mit eigener Kraft und aktiver Beteiligung der Bürger verwirklichen.
Erwartungen, dass aus Europa Unterstützung kommen könnte, haben wir kaum noch wahrgenommen. Zu lange haben die europäischen Regierungen die Politik der türkischen Regierung mit getragen und die Kurden in ihren Ländern kriminalisiert und benachteiligt. Im folgenden Bericht haben die DelegationsteilnehmerInnen verschiedene Themen bearbeitet und einzelne Aspekte unsrer Gespräche und Eindrücke wiedergegeben. Das können sicher nur Streiflichter sein. Aber vielleicht ergibt sich doch ein Mosaik, das die Leser anregt, sich mit der spannenden Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten weiter zu beschäftigen oder zumindest, die widersprüchlichen Nachrichten besser einzuordnen und den Migranten aus der Region hier bei uns mit mehr Verständnis und offenem Herzen zu begegnen. Dr. Gisela Penteker 5
DELEGATIONSREISE TÜRKEI-KURDISTAN
Chronologie der Reise Datum
Ort
Aktivitäten
Sa, 09.03.
Istanbul
Ankunft
So, 10.03.
Istanbul
» Frauendemo, » Gespräch mit Eddi Ekrem Güzeldere von ESI » Übernachtung
Mo, 11.03.
Mardin
Besichtigung
Hasankeyf
Besichtigung
Oğuz
Besuch Dorf von Hatun (Tuku)
Di, 12.03.
Dohuk (Duhok)
» Besichtigung und Gespräche im Behandlungszentrum für Folteropfer (Hr. Youshia, Hr. Bait, Fr. Ramzi, Fr. Osman) » Besichtigung des syrischen Flüchtlingscamps „Domis Camp“ südl. von Dohuk
Mi, 13.03.
Erbil, Hewlêr
Balisan
» Gespräch mit Dr. Hassan Sora G.P. „Deputy speaker of Kurdistan Parliament“ (Vizepräsident) im Regierungspräsidium » Besichtigung eines öffentlichen Krankenhaus und Gespräch mit Dr. Jihad K. Lak (Director of Rizgary Teaching Hospital) » Besichtigung der Gedenkstätte Balisan, Gespräch mit Sabir Khoshnaw (Giftgasopfer)
Erbil, Hewlêr
Gespräch mit Mehmet Ali Aydin von der BDP (BDP in Kurdistan)
Sulaimaniyya, Silêmanî Sulaimaniyya Silêmanî Halabdja, Helebce
» Gespräch mit Sabir Khoshnaw der Organisation der chemischen Bombardements in Balisan und vor Ort » Gespräch mit Salah Ahmet (General Director for Kerkùk Center for Torture Victims) » Besuch des Gefängnisses Amna Suraka » Besuch der Gedenkveranstaltung 25 Jahre Giftgas-Angriff auf Halabja (Ministry of martyrs and anal affairs) » Besuch des Behandlungszentrum für Folteropfer und Gespräch mit Salah Ahmet (General Director for Kirkuk Center for Torture Victims) Besichtigung Lalish (Zentrale Heiligtum der Glaubensgemeinschaft der Yeziden) und Gespräch mit dortiger Yeziden-Familie
Do, 14.03.
Fr, 15.03. Sa, 16.03.
So, 17.03.
Lalish
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BERICHT 2013
oben: Newroz in Diyarbakir, 21. März 2013 linke Seite: Die Teilnehmer der IPPNW-Delegationsreise im Behandlungszentrum für Folteropfer in Dohuk, 12. März 2013
Datum
Ort
Aktivitäten
Mo, 18.03.
Nusaybin, Nisébín
» Gespräch mit Bürgermeisterin Ayşe Gökkan (BDP) im Rathaus » Besichtigung der Ruinen der angeblich ältesten Universität (300 n.Chr.) » Besichtigung der syrischen Grenze und Spende für syr. Flüchtlinge Gespräch mit Bürgermeister Av. Ismail Arslan (BDP) im Rathaus
Ceylanpınar, Serê Kaniyê Viranşehir, Wêranşar Urfa, Riha
Di, 19.03. Mi, 20.03.
Do, 21.03. Fr, 22.03.
Gespräch mit (stellvertretendem) Bürgermeister Sinan Burun (BDP)
Gespräch mit der Vorsitzenden des Menschenrechtsverein IHD/Urfa Camal Babaoglu sowie Fevzi Melik und Krankenschwester im Hotel Urfa,Riha » Besichtigung Stadt und Markt » Gespräch mit Gülseran Kaplan und Kollegin der Frauenzentrum KAMER Diyarbakir, Amed » Gespräch mit Abdul Selam Incegören und Rehsan Bataray vom IHD Diyarbakir im IHD-Büro » Gespräch mit Tahir Elçi (Vorsitzender) und weiteren von Anwaltskammer » Gespräch mit Hulya Alökmen (Vorsitzende), Ramazan Kaval (Sekretär) und Vorstandsmitglieder Vahat Bingöl, Adnan Vural und Yüksel Zengin und weitere von Gewerkschaft SES Diyarbakir Diyarbakir, Amed Newroz-Fest Diyarbakir, Amed » Besuch des Frauenzentrums Kardelen Kadin Evi und Gespräch mit Dilek Erol (Sozialarbeiterin) und Gülistan Zengin (Soziologiestudentin) » Gespräch mit Altan Tan (BDP-Abgeordneter von Diyarbakir) » Gespräch mit Demir Celik BDP-Abgeordneter, in der Zentrale der DTK, Demokratischer Geselschaftskongress » Gespräch mit der Armenierin Dara 7
DELEGATIONSREISE TÜRKEI-KURDISTAN Autonome Region Kurdistan, 2008 (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Autonome_Region_Kurdistan)
Gebietsansprüche Kurdistan, 2009 (Quelle: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Umgriffe_Kurdistans.png&filetimestamp=20091024161448)
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BERICHT 2013
Geschichtsüberblick Irak-Kurdistan von Dr. Gisela Penteker 1533 – 1918
Osmanisches Reich
1899
Beginn des Baus der Bagdad-Bahn mit deutschem Kapital und Know-how
1915
Eintritt in den 1. Weltkrieg an der Seite Deutschlands
1918 – 1930
Britische Okkupation und Mandatszeit
1920
Volksaufstände (Revolution)
1923
Aufnahme in den Völkerbund
1930 – 1958
Unabhängiges irakisches Königreich unter dem Mandat des Völkerbundes, Mandatsmacht Großbritannien
1958 – 1963
1. Baath-Regime unter General Qassim
1963 – 1968
Regierung der Arif-Brüder
1968 – 1975
2. Baath-Regime
Teilautonomie seit 1970
1975 – 1987
Jahre der massiven Unterdrückung der Kurden
Regierung Saddam Hussein ab 1979
1980 – 1988
Irak – Iran Krieg (1. Golfkrieg)
1987 – 1991
Giftgas, Verwüstung und Genozid
1987
Planung einer „Endlösung“ der Kurdenfrage im Irak durch das Baath-Regime
1988
Das Massaker von Halabja und die „Anfal-Kampagne“
Einigung der kurdischen Widerstandsbewegung in der „Kurdischen Front“ von 1988 - 1990
1990
Embargo des UN-Sicherheitsrats gegen den Irak
Überfall des Irak auf Kuweit (2. Golfkrieg) von 1990 – 1991
Autonomie ab 1991 1991 – 2003
Schutzzonen – Flugverbotszonen
1991
Kurdischer Volksaufstand
1992
Wahlen zum Regionalparlament
1992
Föderaler Teilstaat Kurdistan
1993
Bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen PUK und IMK
1994 – 1997
Kampf zwischen PUK und KDP
1998
Abkommen von Washington (PUK/KDP)
2003 – 2010
Amerikanische Besatzung des Irak (3. Golfkrieg)
2003
Sturz Saddam Husseins
2005
Parlamentswahlen, Irakische Verfassung, föderale Struktur der Autonomen Region Kurdistan in den Grenzen des Irak
2009 Parlamentswahlen
Eröffnung des deutschen Generalkonsulats in Erbil
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DELEGATIONSREISE TÜRKEI-KURDISTAN
Gesprächspartner und Schwerpunkte Istanbul, Dohuk, Erbil
die derzeitige Situation als schwierig wegen der zunehmenden Konflikte mit der irakischen Zentralregierung, die die gemeinsame Verfassung missachtet. Die kurdische Gesellschaft sei multiethnisch, multireligiös und multikulturell. Das spiegle sich auch in der Sitzverteilung im Parlament wieder. Für sehr kleine Minderheiten gebe es keine Sperrminorität. Sie bereiten eine Verfassungsreform vor, in der das noch gefestigt werden soll. In den Schulen könne jeder seine Muttersprache lernen.
Gesprächspartner und Schwerpunkte von Dr. Gisela Penteker
◊ Istanbul Eddi Ekrem Güzeldere Think Tank ESI (European Stability Initiative) Er ist am Vortag aus Südamerika zurückgekommen. Trotzdem kann er über die Entwicklung seit unserem letzten Besuch berichten. Seit der Schulreform wird in den Schulen neben anderen Sprachen Kurdisch in Arbeitsgemeinschaften für zwei Stunden pro Woche unterrichtet. Die BDP kritisiert das, weil Kurdisch mit dieser Regelung wie eine beliebige Fremdsprache behandelt wird. Güzeldere möchte es lieber als einen Einstieg in ein bilinguales Schulsystem sehen, für das erst die Infrastruktur geschaffen und Lehrer ausgebildet werden müssen. Unsere Sorge um den zunehmenden Einfluss der GülenBewegung in den Schulen und die wachsende Islamisierung teilt er eher nicht.
Die Menschen seien oft nicht bereit, eigene Verantwortung zu übernehmen. Sie erwarteten alles von der Regierung. Die gesellschaftliche Entwicklung hinke der wirtschaftlichen hinterher. Dr. Jihad K. Lak Lehrkrankenhaus der Rizgary Universität
◊ Dohuk
Wir sind im größten Krankenhaus der Stadt. In dem stark renovierungsbedürftigen Gebäude von 1984 gibt es alle Abteilungen, auch Rheumatologie und Rehabilitation. Das Gesundheitsministerium zahlt die Löhne für 300 Ärzte, ca. 120 Spezialisten und 1.500 Angestellte. Es kommen 1.500 und mehr Patienten pro Tag. Da es außerhalb der wenigen großen Kliniken kaum Ärzte und viel zu wenig Schwestern gibt, ist die Basisversorgung und Prävention rudimentär. Die Patienten kommen gleich ins Krankenhaus, zumal sie dort nur wenig (2 - 15 US-Dollar) und für die stationäre Behandlung gar nicht zahlen müssen. Krankenversicherung gibt es nicht.
Dr. Youshia, Rospin Nolt Bait, Vaman Ramzi, Jyan Osman Kirkuk Center for Torture Victims Das Zentrum wurde erst im Jahr 2012 eröffnet. Sie sind inzwischen gut bekannt und sie haben von Monat zu Monat wachsende Patientenzahlen. Sie bilden sich regelmäßig fort und haben zweimal pro Woche Supervision. Sie sehen alle Formen der Gewalt und auch viele somatische Krankheiten. Ein mobiles Team zur Versorgung der syrischen Flüchtlinge im Lager ist in Vorbereitung. Im Lager arbeiten viele Organisationen. Der Staat koordiniert die Hilfe.
Ein junger Mediziner studiert sechs Jahre. Dann arbeitet er zwei Jahre im Krankenhaus und ein Jahr auf dem Land, dann nochmal drei Jahre im Krankenhaus bis zur Fach-Arztanerkennung. Vom Krankenhausgehalt kann man nicht standesgemäß leben. Deshalb arbeiten die Ärzte von 8 - 12 Uhr im Krankenhaus, danach in ihrer privaten Praxis, wo die Patienten bezahlen müssen. Die Ärzte sind in Fachgesellschaften organisiert. Es gibt auch sehr aktive Gewerkschaften. Fünf Prozent des Staatshaushalts werden für Gesundheit ausgegeben.
◊ Erbil Dr. Hassan Sora Vizepräsident des kurdischen Parlaments Herr Sora heißt uns willkommen und bedankt sich für unser Interesse. Er gibt uns einen kurzen geschichtlichen Überblick und beschreibt
Um eine Sozialversicherung einführen zu können, fehlen bisher die 10
BERICHT 2013
Gesprächspartner und Schwerpunkte Erbil, Sulaimaniyya
nommen. Alle, die nicht fliehen konnten, sind umgekommen. Die überlebenden Opfer von damals leiden noch immer unter den Folgen, hauptsächlich unter Problemen mit Augen, Haut und Lunge. Die Regierung hat in Balisan für die Opfer 120 Häuser gebaut und weitere Hilfe in Aussicht gestellt. Sein Verein kämpft um Wohnungen, qualifizierte Behandlung und die Anerkennung der Giftgasabwürfe als Genozid. Herr Koshnav hat in Aachen einen Verein mit gegründet und hofft, auch durch die Verbindung mit uns Möglichkeiten zu finden, besonders schwer Erkrankte im Ausland behandeln lassen zu können. Besser wäre es sicher, das örtliche Krankenhaus gut auszustatten. Zurzeit arbeitet dort ein Jungmediziner im jährlichen Wechsel, der natürlich keine speziellen Kenntnisse hat.
Daten. Die Bevölkerung ist nach dem Krieg wieder sehr gewachsen, die öffentlichen Krankenhäuser sind dafür nicht ausreichend. In den etwa 80 Privatkliniken werden Patienten aus dem ganzen Irak behandelt, weil es in der Autonomen Region mehr Sicherheit gibt. Die vielen Fremdarbeiter aus den Philippinen und anderen asiatischen Ländern werden im Krankenhaus gut und kostenlos behandelt. Sie sehen viele Folgeschäden bei den Giftgasopfern, einen Anstieg der Krebsraten jedes Jahr. Ein Zusammenhang mit dem Giftgas und mit Uranmunition wird vermutet. Bei den Kindern gibt es vor allem Atemwegs- und Magen-Darm-Infekte. Mehmet Aydin BDP-Vertretung in Erbil Die Vertretung der BDP mit fünf festen Ver treten gibt es nach dreijährigem Bemühen seit nun zehn Monaten. Etwa 500 Parteimitglieder der BDP leben als Flüchtlinge in Erbil unter schwierigen Bedingungen. Der Kontakt zur Autonomieregierung ist gut aber eher clandestin. Sie haben meist keine Papiere, können sich deshalb nicht frei bewegen. Sie werden zwar nicht an die Türkei ausgeliefert, finden aber kaum Wohnung und Arbeit. Wer eine Wohnung hat, teilt sie mit vielen anderen.
Salah Ahmet Gründer und Leiter der Kirkuk Centers for Torture Victims
Sabir Khoshnaw Vertreter der Giftgasopfer von Balisan
Salah berichtet von der Erfolgsgeschichte der Zentren seit der Gründung in Kirkuk im Jahr 2005. Es gab viel Unterstützung aus Deutschland, u.a. von der Heinrich-Böll-Stiftung, die vor allem die Ausbildung von MitarbeiterInnen übernommen hat. Die bisherige Förderung der Zentren in Halabja, Suleymania und Erbil durch das deutsche Auswärtige Amt läuft Ende 2013 aus. Ersatz ist nicht in Sicht. Das ist besonders tragisch in Halabja, da dort der Bedarf an teurer Behandlung besonders hoch ist und hauptsächlich Giftgasopfer behandelt werden. Anträge bei der Autonomieregierung sind bisher nicht beantwortet. Obwohl sie so gute Arbeit leisten, einen gut ausgebildeten Mitarbeiterpool haben und niemand den Bedarf bezweifelt, sind sie in großer, existenzieller Sorge und können zurzeit auch keine neuen Zentren zum Beispiel in Balisan und anderen Orten errichten.
Der agile, freundliche Mann gibt uns zunächst einen ausführlichen Überblick über die lange, grausame Geschichte der Kurden mit dem Baath-Regime seit dem Jahr 1960 – eine Geschichte von Enteignung, Zwangsumsiedlung, Verhaftung und Mord, die schließlich in den Giftgasangriffen und Anfal-Operationen endete. Balisan, nördlich von Erbil und weitere 26 Dörfer waren zweimal Ziel von Giftgasangriffen. Nach dem Bombenabwurf haben die Soldaten die Verletzten mitge-
Neben der Therapie sehen sie ihre Aufgabe in einer Änderung der Gesellschaft: Stärkung der Frauen und ihrer Rechte, Schulung von Kindern und Lehrern in gegenseitigem Respekt. Sie werden dafür von Schulen mit Gewaltproblemen angefordert. „Kurdistan als einziges friedliches Land der Region, muss aus den Trümmern wieder aufgebaut werden. Die Entwicklung ist in den Kinderschuhen. Jede Hilfe ist notwendig. Die Region ist ein Modellprojekt. Wenn das Ex-
Zurzeit haben sie offiziellen Besuch aus der Türkei wegen des Gefangenenaustauschs. Großen Raum in unserem Gespräch nimmt die Situation in der Türkei und der Friedensprozess ein, den man auch hier mit skeptischer Hoffnung begleitet. Auf dem Territorium der Autonomieregion gibt es seit dem Jahr 1991 drei türkische Garnisonen mit bis zu 10.000 Soldaten, die allerdings heute nur mit Zustimmung der Autonomieregierung tätig werden dürfen. Auch der türkische Geheimdienst ist im Land aktiv.
◊ Sulaimaniyya
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DELEGATIONSREISE TÜRKEI-KURDISTAN
Gesprächspartner und Schwerpunkte Nusaybin, Ceylanpinar, Viranşehir
periment gelingt, werden viele andere Länder der Region folgen.“
t r a g u n g e n . D azu muss man nachweisen, dass man das Land seit 20 Jahren bearbeitet hat.
◊ Nusaybin Ayşe Gökkan BDP-Bürgermeisterin
Auch hier kommt schnell das Thema der Flüchtlinge aus Syrien zur Sprache, vo n d en en e t w a 8.000 in der Stadt untergekommen sind. In der Schwesterstadt Ra̕ s al-̕Ayn auf der syrischen Seite gibt es keine Zivilbevölkerung mehr. In der Nähe gibt es ein Flüchtlingslager für ca. 21.000 meist arabische Flüchtlinge aus Hatay, die von der türkischen Regierung versorgt werden. Die kurdischen Flüchtlinge in der Stadt erhalten medizinische Versorgung auf einem niedrigen Niveau und gelegentliche Einzelspenden von Geschäftsleuten. Ursprünglich habe es in Syrien keine Konflikte zwischen den verschiedenen Volksgruppen gegeben. Das änderte sich erst ab dem Jahr 1985, als Assad anfing massiv Araber in den kurdischen Gebieten anzusiedeln.
Ayşe Gökkan be grüßt uns herzlich in kurdischer Tracht. Sie muss gleich ihre Newroz-Rede halten. Sie spricht zunächst über die Fr a u e n b e w e g u n g der Kurden in der Türkei, die erst an der Seite der Männer in den Bergen gekämpft und sich nach und nach Respekt und Teilhabe im politisch-öffentlichen Leben erstritten haben. Nusaybin ist eine von 14 kurdischen Quotenstädten, in denen nur eine Frau Bürgermeisterin werden kann. Vier der Bürgermeisterinnen und insgesamt etwa 500 politisch aktive Kurdinnen sind im Rahmen der KCK-Prozesse in Haft.
◊ Viranşehir Sinan Burun stellvertretender BDP-Bürgermeister
Dann kommt Frau Gökkan sehr schnell auf die großen Probleme in der syrischen Nachbarstadt Qamishli zu sprechen. Dort leben zurzeit etwa eine Million Menschen und die Infrastruktur ist völlig zusammengebrochen. Es gibt kaum sauberes Trinkwasser, es fehlt an Müllabfuhr aber vor allem auch an Impfungen der Kinder und genereller medizinischer Versorgung. Ausländische Hilfsorganisationen müssten den Bedarf feststellen und die türkische Regierung veranlassen, Hilfe zuzulassen. Die ca. 2.000 Flüchtlinge in der Stadt Nusaybin werden von der Bevölkerung versorgt.
Der frühere Bürgermeister Emrullah Cin und seine amtierende Kollegin Leyla Güven sind im Rahmen der KCK-Prozesse im Gefängnis. Grund dafür sind ihre Erfolge bei der Entwicklung der Stadt. Für die Stadtverwaltung ist das ein Anreiz, sich noch mehr einzusetzen. Alle Projekte, die sie bei der Zentralregierung beantragen, werden abgelehnt, so zum Beispiel der Antrag, Wasser aus einem der Stauseen beziehen zu dürfen. Am Rathaus hängt das berühmte Bild von der Reihe der verhafteten Bürgermeister in Handschellen. Seit der Verhaftung im Jahr 2009 protestieren die Stadtbediensteten jeden Donnerstag von 11 bis 12 Uhr. Newroz wurde am Vortag friedlich gefeiert. Die Hoffnung auf Frieden ist groß. „Wenn das Kurdenproblem nicht gelöst wird, wird das die Kriegsgefahr im Mittleren Osten erhöhen.“
◊ Ceylanpinar Av. (Rechtsanwalt) Ismail Arslan BDP-Bürgermeister Veranschaulicht durch ein Video berichtet uns Ismail Arslan von der Entwicklung Ceylanpınars vom ‚Schlammdorf zur Stadt‘, seit die BDP die Stadt regiert (2004). Auch hier war der erste Schritt die Entschuldung. Die Regierung habe behauptet, BDP-Bürgermeister könnten nicht regieren. Sie würden das Geld nur in die Berge zu den PKKKämpfern schicken. Jetzt, wo sie für jeden sichtbar etwas schaffen, wird behauptet, das Geld dafür käme aus den Bergen. Ceylanpınar liegt in einem großen Gebiet von Staatseigentum, das vom Landwirtschaftsministerium mit Arbeitern aus der ganzen Republik bewirtschaftet wird. Die Bürger von Ceylanpınar und den 40 Dörfern der Provinz haben keinen Landbesitz. Zurzeit gibt es neue Katasterein12
BERICHT 2013
Gesprächspartner und Schwerpunkte Urfa, Diyarbakir
◊ Urfa
te. Frau Kaplan weist uns auf die KAMERStatistik über die Besuche hin, die in allen 23 Zentren durchgeführt wurden und in den letzten fünf Jahren 80.000 Familien erfassten und Einzelgespräche mit 58.575 Frauen. Die Ergebnisse der Studie kann man bei KAMER nachlesen (www.kamer.org.tr). Ein besonderes Problem entsteht in Urfa durch Wanderarbeiter. Viele arme Familien ziehen den Großteil des Jahres von Erntegebiet zu Erntegebiet. Die Kinder müssen mitarbeiten und gehen nicht zur Schule. Die Einschulungsrate, insbesondere für Mädchen, ist sehr niedrig, die Analphabetenrate weiterhin sehr hoch. Die Schulpflicht wird nicht überprüft und durchgesetzt. Ein EU-Projekt, das die Kinder in den Wintermonaten intensiv beschulen soll, ist wenig effektiv. Viele Eltern halten den Schulbesuch ihrer Kinder weiter für überflüssig. Ein weiteres Problem ist in der konservativen, religiös geprägten Gesellschaft von Urfa die Polygamie, das jetzt durch die syrischen Flüchtlingsfrauen noch verschärft wird. Auch hier gibt es das Gerücht, dass es vom Staat Geld gibt, wenn jemand eine syrische Frau heiratet. Man hat KAMER den Zugang zu den Flüchtlingslagern verwehrt, weil sie im Verdacht stehen, dort Frauen für solche Ehen auszusuchen.
Camal Babaoglu und Feviz Melik Menschenrechtsverein IHD und Gesundheitsgewerkschaft SES Der IHD arbeitet seit 25 Jahren in Urfa. Wir bekommen einen kurzen geschichtlichen Überblick. Anfangs war das Hauptthema das Verschwindenlassen. Zurzeit gibt es große Probleme in den Gefängnissen, wo es für kranke Gefangene keine medizinische Versorgung gibt. Gewerkschafter werden weiterhin verbannt und auf der Arbeit benachteiligt. Die sogenannten gelben Gewerkschaften (die regierungstreuen) bestimmen die Gewerkschaftspolitik. Ähnlich ist es mit den Vereinen. Gemeinnützig sind nur die, die der AKP nahe stehen. Nur sie bekommen Mittel aus EU-Projekten. An den Universitäten werden Andersdenkende diskriminiert und behindert. Sie bekommen kein Bafög und kein Zimmer im Studentenwohnheim. Urfa ist eine rückständige, feudale, multikulturelle Stadt, in der die Religion eine große Rolle spielt. Sorge macht unseren Gesprächspartnern die zunehmende Islamisierung und der Einfluss der Gülenbewegung in Schulen, Verwaltung und bei der Polizei. Der Gülenbewegung nahe steht die kurdische Mensil-Bewegung mit Sitz in Adiyaman.
◊ Diyarbakir Abdul Selam Inceögren und Rehsan Bataray Menschenrechtsverein IHD
Es gibt Männer, die mehrere Frauen religiös heiraten, in letzter Zeit auch gerne Flüchtlingsfrauen aus Syrien. Das Gerücht, dass der Staat den Männern Geld zahlt, wenn sie eine syrische Flüchtlingsfrau heiraten, hält sich hartnäckig.
D er Unter s c hi e d zwischen Newroz 2012 und 2013 ist groß. Sie erwarten morgen ein friedliches, großes Fest in Diyarbakir. Seit Beginn des Friedensprozesses ist die Stimmung gut. Aber di e Kur d e n si n d skeptisch. Sie haben schon öfter solche „Prozesse“ erlebt und hinterher war es schlimmer als vorher. Bisher gibt es keine konkreten Änderungen der Rechtslage und der Menschenrechtssituation. Muharrem Erbey und viele andere sind seit vier Jahren in Haft. Die Haltung der Ankläger ist unverändert hart. Die Erlaubnis zur Verteidigung in der kurdischen Muttersprache wird sehr willkürlich gehandhabt, die Angeklagten müssen die Dolmetscher selbst bezahlen. Verurteilungen bis zu zehn Jahre Haft sind üblich. Es gibt keine Anzeichen, dass
Die Gesundheitsreform hat keine Verbesserungen gebracht. Das Familienarztsystem funktioniert nicht. Es gibt nicht genug Ärzte. Hausbesuche können nicht gemacht werden. Die Basisbehandlung und Prävention werden vernachlässigt. Durch die syrischen Flüchtlinge werden Kinderkrankheiten eingeschleppt, die es eigentlich nicht mehr geben sollte. Dadurch wird offensichtlich, dass es viele Impflücken gibt. Lange gab es großes Misstrauen gegen staatlich verordnete Maßnahmen wie Impfungen oder Schulspeisungen. Die Bevölkerung wächst hier stark, die medizinische Versorgung und Infrastruktur nicht in gleichem Maß. Gülseran Kaplan Frauenzentrum KAMER Die Struktur ist wie in den anderen KAMER-Büros. Sie machen Hausbesuche in den Vierteln, und informieren die Frauen über ihre Rech13
DELEGATIONSREISE TÜRKEI-KURDISTAN
Gesprächspartner und Schwerpunkte Diyarbakir
chungshaft. Die Gefängnisse sind dadurch stark überbelegt. In Diyarbakir gibt es 900 Gefangene auf 500 Plätzen. Pflichtverteidiger gibt es für alle, die ein Strafmaß ab fünf Jahren zu erwarten haben, auch für Kinder und Behinderte. Von den 800 in Diyarbakir zugelassenen Anwälten übernehmen 30 % politische Fälle. Falls jemand nach langer U-Haft freigesprochen wird, kann er eine Entschädigung beantragen.
die KCK-Gefangenen frei kommen und auch die angekündigte Strafgesetzänderung werden sie nicht betreffen. Die kurdische Guerilla soll sich zurückziehen, die türkischen Angriffe auf Stellungen der PKK im Irak gehen aber weiter. Von den Kurden werden Zugeständnisse gefordert, von staatlicher Seite kommt nichts. Vertrauensbildung sieht anders aus. Es gibt bisher keine Abnahme der Menschenrechtsverletzungen. Laut Ärztekammer und Menschenrechtsstiftung sind zurzeit 310 Gefangene so krank, dass sie außerhalb des Gefängnisses behandelt werden müssten. Sie hoffen, dass die ärztlichen Atteste dazu führen, dass wenigstens einige der Kranken freigelassen werden. Auch Kinder werden weiter Opfer von Polizeigewalt und Folter. Die Meldungen, dass bei Gefechten gegen die PKK und die Zivilbevölkerung Giftgas eingesetzt wird, tauchen immer wieder auf. Es gibt Tote ohne Schussverletzungen, mit Verbrennungen und Ersticken. Beweise gibt es bisher nicht. Anzeigen werden von der Staatsanwaltschaft nicht verfolgt.
Hülya Alökmen, Ramazan Kaval, Vahat Bingöl, Adnan Vural und Yüksel Zengin Gesundheitsgewerkschaft SES 60 % der Mitglieder sind Frauen. Das Entspricht dem Anteil der Frauen, die im Gesundheitssektor arbeiten. Überall ist die Privatisierung ein großes Thema. Beim Mesopotamischen Ärztekongress versuchen sie mit Ärzten der Nachbarländer und aus Europa Alternativen zu entwickeln. In der Türkei hat man versucht, das ganze Sozialsystem unter ein Dach zu bringen. Die Krankenhäuser werden von einem Sekretär koordiniert und sollen gewinnbringend arbeiten. Der Sekretär wird von einem Gremium von sieben Staatsbediensteten beraten. Sie müssen erfolgreich sein, sonst werden sie abgelöst. Meist sind sie keine Ärzte. Für das Hausarztsystem gibt es nicht genügend Ärzte. Statt der vorgesehenen 3.000 bis 4.000 Patienten müssen sie bis zu 6.000 Patienten versorgen. Sie mieten die alten Gesundheitszentren, finden keine Schwestern, haben kein Auto, machen keine Hausbesuche, wie es eigentlich vorgesehen ist. Fachärzte müssen zwei Pflichtjahre auf dem Land ableisten, was sich nicht bewährt, da sie dort häufig wenig motiviert sind.
Tahir Elçi Anwaltskammer Die immer wieder zitierte Möglichkeit für die KCK-Gefangenen, sich in ihrer kurdischen Muttersprache zu verteidigen, ist mehr oder weniger eine Farce. Schon früher gab es für Gefangene, die nicht türkisch sprechen die Möglichkeit, einen Dolmetscher hinzuzuziehen. Willkürlich war die Festlegung, wer nicht Türkisch sprechen kann. Angeklagte, die aus politischen Gründen darauf bestehen, kurdisch zu sprechen, müssen den Dolmetscher selbst bezahlen. Der Verein Kurdi-Der vermittelt ehrenamtliche Dolmetscher. Kurdisch ist lediglich bei der Verlesung der Anklageschrift und des Urteils zugelassen, nicht bei der Erstanhörung bei der Polizei.
Die angestrebte Gewerkschaftsreform, die noch nicht in Kraft ist, hat eine Gleichschaltung der Gewerkschaften zum Ziel. Mitglieder der SES sind großem Druck ausgesetzt von Chefs und Verwaltung. Die regierungstreuen Gewerkschaften sind häufig unter Gülen-Einfluss, ebenso wie die vielen Privatschulen.
Inzwischen sind die Verfahren für die im Jahr 2009 Inhaftierten eingeleitet, werden aber sehr in die Länge gezogen. Täglich gibt es weitere Verhaftungen, die alle Mitglieder ziviler Organisationen und Journalisten betreffen können. Die Akten der politischen Gefangenen werden als geheim eingestuft und meist erst nach eineinhalb Jahren für die Anwälte frei gegeben. Eine von den Anwälten lange geforderte Änderung des türkischen Strafgesetzes § 220 (Antiterrorgesetz) ist nicht in Sicht. So wird jeder, der an einer Demonstration teilgenommen hat, auf der Steine gegen die Sicherheitskräfte geflogen sind, als Terrorist zu langen Haftstrafen verurteilt – wie die Kämpfer in den Bergen. Angeklagte, die eine Strafe unter zwei Jahren zu erwarten haben, bleiben seit dem Jahr 2005 in Untersu-
Dilek Erol und Zengin Gülistan Frauenorganisation Kardelen In Diyarbakir gibt es in den verschiedenen Stadtteilen sieben kommunale Frauenzentren. Mit KAMER gibt es keine Zusammenarbeit. Die ideologischen Unterschiede sind zu groß („Die arbeiten mit dem Gouverneur!“). Die Frauenzentren setzen sich mit der Thematik der Frauen auseinander, die unterdrückt sind durch den Staat (System) und die Gesellschaft (Familie). In der immer noch feudalen Gesellschaft gibt es viel Gewalt gegen Frauen, die durch verschiedenen 14
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Gesprächspartner und Schwerpunkte Diyarbakir
wenn irgendwo 70 % Kurden leben, bleiben noch 30 % verschiedene andere Ethnien und Religionen. Wenn es ein Kurdistan gäbe, könnte es nur ein demokratisches, multiethnisches, multikulturelles und multireligiöses Kurdistan sein.
Kurse und Aktionen aus ihrer Isolation gelockt werden sollen. In Frauenhäusern finden Frauen und Kinder Schutz. Kardelen beteiligt sich am politischen Kampf der Kurden. Sie protestieren mit den Samstagsmüt-
Demir Celik und Seydi Firat Kongress für eine demokratische Gesellschaft (DTK) Die DTK ist ein Zusammenschluss aller kurdischen Parteien und zivilen Gruppen im Südosten der Türkei. Die westlichen Gruppen sind in der HDK versammelt. Die HDP ist eine Partei aus beiden Plattformen. Ziel ist es, eine Partei zu haben, in der sich auch nicht kurdische Parteien und Gruppen vertreten fühlen. Die Eigenständigkeit wird nicht beeinträchtigt, aber eine gemeinsame Politik angestrebt.
tern und beteiligen sich an Hungerstreiks. Altan Tan BDP-Abgeordneter von Diyarbakir
Der Paradigmenwechsel der AKP wird auch hier skeptisch betrachtet. Im Dezember 2012 hat Erdogan noch laut darüber nachgedacht, die Todesstrafe an Öcalan zu vollstrecken. Die Türkei muss mit der Entwicklung im Mittleren und Nahen Osten Schritt halten und demokratische Veränderungen zulassen. Die Lösung der Kurdenfrage ist auch international wichtig. Die Rolle Deutschlands wird dabei eher negativ gesehen. Deutschland habe über Jahre einseitig die Kurdenpolitik der Türkei übernommen.
Er war beim zweiten Gespräch der BDP mit Öcalan auf Imrali dabei. Von Beruf ist er Bauingenieur und kommt aus einer feudalen Großfamilie, die ethnisch bunt gemischt ist. Nach einem kurzen geschichtlichen Überblick ab dem ersten Weltkrieg zeigt Herr Tan die vielschichtigen Problemlinien des Kurdenkonflikts auf. Er zitiert Öcalan: „Kurden, Türken, Araber, Lasen – alle müssen zusammen leben. Ein Staat, der auf eine Ethnie gegründet ist, kann nicht funktionieren. Wir müssen eine neue Türkei bauen auf demokratischer Basis, in der sich alle Gruppen frei entfalten können. So muss sich auch der Mittlere Osten entwickeln.“ Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es eine politische, demokratische und philosophische Entwicklung, keine Waffen. Die bange Frage ist, inwieweit Erdogan und seine Regierung es ernst meinen oder nur taktieren um ihre Macht zu festigen. Bis Ende des Jahres sollen die Säulen der neuen Verfassung stehen: Rückzug der PKK; Freilassung der politischen Gefangenen durch Gesetzesänderung und Abschaffung der 10 %-Hürde für das türkische Parlament. AKP und BDP könnten die neue Verfassung ohne CHP und MHP durchsetzen. In der Verfassungskommission sind je drei Personen aus allen vier Parteien. Ob es gelingt, bleibt offen. Öcalans Stimme hat großes Gewicht. Drei Millionen Kurden haben unterschrieben, dass sie ihn als ihren Vertreter ansehen. Darüber kann sich niemand hinwegsetzen.
Im Syrienkonflikt spiele die Türkei eine böse Rolle. Die Regierung habe zuerst versucht, arabischen und kurdischen Widerstand gegeneinander aufzuhetzen. Als das nicht geklappt habe, habe sie die Grenzen für kurdische Flüchtlinge aus Syrien geschlossen, was zu eine sozialen und medizinischen Katastrophe führe.
Dara M.: Wir treffen die junge Armenierin regelmäßig, seit sie von Obermeister Baydemir als junge Wissenschaftlerin angeworben wurde. Sie kann weiterhin nicht wissenschaftlich arbeiten, hat sich aber mit ihrer Arbeit arrangiert und sieht Erfolge, weil sich immer mehr Bewohner von Diyarbakir an ihre armenischen Wurzeln erinnern und eine wachsende Gemeinde entsteht. Dara erzählt die traurige Geschichte ihres Bruders. Der junge Mann arbeitet als LKW-Fahrer. Unterwegs irgendwo in Anatolien wurde ihm der vollbeladene Anhänger gestohlen. Er wurde verhaftet als dieser Anhänger in der Kandilbergen im Irak wieder auftauchte. Wegen Unterstützung der PKK muss er mit einer langen Gefängnisstrafe rechnen, weil ihm der Diebstahl nicht geglaubt wird.
Natürlich besteht auch weiterhin die Möglichkeit, dass sich ein eigenständiges Kurdistan entwickelt. Im Mittleren und Nahen Osten gab es nie so klare Länderzugehörigkeiten wie in Europa. In der Geschichte gab es immer große Städte, in denen alle Völker gemeinsam gelebt haben. Die größte kurdische Stadt ist Istanbul mit drei Millionen Kurden. Ein Staat auf ethnischer Basis ist undenkbar. Selbst 15
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Berichte
Irakische und kurdische Fahne an der Grenze, Foto: Sigrid Ebritsch
IPPNW goes Nordirak: Eindrücke im Nordirak 10 Jahre nach dem Krieg
und sollten im Rahmen der Öcalan-Gespräche im „Jahr der Versöhnung“ (Erdogan 2013) an den IHD, die BDP und die Gewerkschaften übergeben werden. Wir warteten aber vergeblich, die Übergabe fand erst am nächsten Tag an einem anderen Ort (Kandilberge) statt. Irgendwann fanden wir zwei Minibusse, die uns in den nächsten zwei Stunden preiswert über die Grenze brachten. Im Nordirak wurden wir seit drei Stunden von zwei ausgebildeten Bodyguards – unsere künftigen Begleiter – samt Bus erwartet. Peinlich, die Uhren im Irak gehen vor. Trotzdem waren wir alle erleichtert und sahen überall die neue Doppelfahne. Fünf Tage und vier Nächte werden wir Gäste der Autonomen Regierung Kurdistan/Nordirak sein, begleitet von zwei ausgebildeten und bewaffneten Bodyguards mit großem gasbetankten Bus (Geschenk von Südkorea). Ein großes Bild des kurdischen Präsidenten Masud Barzani im Inneren des Busses.
von Friederike Speitling 15 Jahre Delegationsreisen nach Süd-Ost-Anatolien, Türkisch-Kurdistan. Das ist das Grenzland zwischen Irak und Syrien. Bei Reisen in den letzten Jahren in die kurdisch-türkischen Städte Kars und Doğubeyazıt trafen wir an die geschlossenen Grenzen nach Armenien, Berg Karabach und Iran. Die Kurden sind über vier Länder verteilt und wir machten bislang spätestens an den Landesgrenzen halt. Gerade die Teilung hat zu einer unterschiedlichen Entwicklung der vier Hauptdialekte, Kurmanci, Kirmanckí (Zazaki) in der Türkei, Soraní und Gorani in Nordirak und Iran geführt und es entstehen mittlerweile ehebliche Verständigungsprobleme.
Kurdistan Irak
Doch dieses Jahr sind wir auf die Autonome Region Kurdistan im Nordirak neugierig geworden. Mit türkischem Einreisestempel dürften wir ins Land. Im Vorfeld der Reise gab es Briefwechsel mit dem Parlament über unser Anliegen und wir wurden offiziell von der autonomen Regierung Kurdistans eingeladen: Bustransporte, Hotel und Bodyguards wurden gestellt. Die Regierung bestand auf unsere Begleitung, mit der wir uns letztlich im Verlauf der Reise gut arrangierten.
Allahu Akbar „Gott ist (unvergleichlich) groß.“ Steht auf der irakischen Interimsfahne. Auf den Weg in das Landesinnere sahen wir neue Polizei- und Militäruniformen mit kurdischer Kennung und wurden häufig, aber freundlich kontrolliert. Die gute Straße wurde von Autodörfern flankiert, eine lange Warteschlange leerer LKWs stand in Richtung Türkei. Durch die grünen Berge kamen wir schnell voran in weizenbestelltes Hügelland. Es gab nur wenige Schaf- und Ziegenherden. Die Grenzstadt Dohuk ist eine Neubau-Kleinstadt. Der Stil erinnert mich an Disneyland. Gebaut wird überall in fröhlichsten Farben. Die besondere Architektur wird durch die großen teuren Neuwagen – überwiegend asiatische Pick-ups – getoppt. Öffentlichen Nahverkehr gibt es kaum. Es gibt nur sehr wenige Banken, bzw. Geldautomaten. Wir tauschen mit Schwierigkeiten auf der Straße Euro in Dinar – die
Am 11.03.2013 erfolgte bei Silopi der Grenzübertritt – linke Spur kilometerlange LKW-Schlangen mit Baumaterial für Kurdistan, rechte Spur stoppt der PKW-Verkehr. Eine Ansammlung von Journalisten und Fernsehkameras wartete auf eine Gefangenenübergabe von acht Personen durch die PKK. Sechs Soldaten, ein Polizist und ein Landrat waren sechs bis zwölf Monate PKK-Gefangene im Nordirak 16
BERICHT 2013
Landeswährung. Der Petrodollar ist die eigentliche Währung im Land. Ein Dollar entspricht tausend Dinar. Hundert Euro entsprechen hundertsechzigtausend Dinar. Es fehlen die Telekom- und Versicherungstürme im Stadtbild. Reichlich Tankstellen – ein Liter Benzin kostet höchstens fünfzig Cent. Es gibt aber auch noch billigeres Deputat-Benzin – 30 Liter umsonst. Deshalb warten an speziellen Tankstellen lange Schlangen älterer Automodelle.
Vor dem Parlamentsgebäude der Autonome Region Kurdistan Foto: Mehmet Bayval
In Erbil, der Hauptstadt Kurdistans, treffen wir den Vizepräsidenten der Autonomen Region Kurdistan, Dr. Hassan Sora. Das Parlament – großzügig und gut ausgestattet – beeindruckt mich ebenso wie die Einladung hierher. Dr. Sora nimmt sich eine Stunde Zeit für unsere Gruppe. Er spricht druckreif und wird professionell in Englisch übersetzt von Staatssekretär Khani Hejar: „Während in Kirkuk und im Rest des Irak täglich fünf bis sechs Bombenexplosionen stattfinden ist der Nordirak relativ sicher.“ Bei Kirkuk steht die irakische Armee nur zwanzig Kilometer von der Hauptstraße entfernt, in Sichtweite sozusagen. Es gibt dreihundertfünfzigtausend kurdische Soldaten. Die Autonome Region Kurdistan hat sich für ein neoliberales Marktwirtschaftssystem entschieden. Aus den Einnahmen des „kurdischen Erdöls“ gehen 80 % an die Zentralregierung. Nur 17 % gelangen nach
Bei Dohuk gibt es ein Camp für 70.000 syrische Flüchtlinge. „Erst waren wir Flüchtlinge, jetzt kommen Flüchtlinge zu uns und wir können sie aufnehmen.“ Täglich kommen 1.000 Syrer – zum Teil in Taxis. Sie werden registriert und erhalten Papiere. Sie dürfen das Lager jederzeit verlassen, allerdings gibt es keine Transporte. Wasser, Strom, Essen und medizinische Versorgung sind frei, geschlafen wird in Zelten. Neben UNHCR sind viele Organisationen im Camp. Auch ein mobiles Team aus Psychotherapeuten für Trauma- und Folteropfer soll dort eingesetzt werden. Wir sehen im Camp eine fröhliche Hochzeit. Wer Arbeit findet verlässt das Camp – bei diesem Bauboom im Land kann ich mir das ganz gut vorstellen. Im Hotel in Sulaimaniyya arbeiten Bangladeschi als Gastarbeiter. Frauen sehen wir nicht im Einsatz. Überhaupt sehen wir wenige Frauen, außer in einer Theatergruppe und beim Studentenprotest in Halabja. Leider haben wir aus Zeitgründen keine Möglichkeit mit Frauengruppen zu sprechen. Und auch mit der Opposition kommt wegen der zeitlichen Enge kein Termin zustande. Eine Begegnung mit „BDP-Flüchtlingen“ aus türkisch-Kurdistan weist deutlich auf innerkurdische Konflikte hin. Aus Rücksicht auf den Handelspartner Türkei werden die BDP-Vertreter nicht als Exilpolitiker anerkannt (Bericht zu den türkisch-irakischen Beziehungen von Fiene Wolf, S. 18). Wegen der Dollarisierung ist das Leben in der Autonomen Region Kurdistan teuer: Essen, Miete und Transporte. Allerdings werden von der autonomen Regierung keine Steuern erhoben. Bei Dohuk liegen in den Bergen die Heiligtümer der Jesiden (Bericht zu Lalisch von Hatun Tuku, S. 27), so zum Beispiel das Kloster Lalish. Hier gibt es auch ein jesidisches Dorf. Die Jesiden wurden wegen ihrer Religion und ihres Kurdentums doppelt verfolgt
IPPNW-Delegationsgruppe nach dem Gespräch mit Vizepräsident Hassan Sora G.P. (Deputy speaker of Kurdistan Parlament) im Regierungssitz in Erbil am 13.03.2013.
Unsere Bodyguard-Freunde bringen uns zu einem schnellen Grenzübergang – außerhalb der Autoschlangen. Hier wird verhandelt. Drei Taxen brauchen wir und dreimal sechzig US-Dollar. Da unsere Koffer aber unverschämter Weise zum Schmuggeln von mindestens 15 Stangen Zigaretten missbraucht wurden, haben wir nach wieder drei Stunden Grenzerfahrung mit starkem Regen und reißendem TigrisGrenzfluss noch hitzige Diskussionen um den Fahrpreis. Zurück in der Türkei erwartet uns Cihan, unser treuer Busfahrer.
Kurdistan“. Der Vizepräsident Hassan Sora betont den Reichtum des Landes an Wasser, Mineralien, Ackerland, Erdgas und Erdöl. Die Regierung zahlt Bauern auf der Flucht einmalig zwanzigtausend USDollar, wenn sie in ihre „Dörfer“ zurückkehren und Landwirtschaft und Viehzucht betreiben. Hierfür wird eine moderne Infrastruktur gewährleistet. Tausende fremde Geschäftsleute sind im Land. Auch Russland, China und Korea. Außerdem auch die Ölkonzerne Exxon, Chevron und Tota. In Erbil gibt es sechsundzwanzig Konsulate. Das Erdgas des Nordirak würde dreißig Prozent des EU-Bedarfs decken. Täglich werden zweihunderttausend Barrel Öl gefördert. Bis zum Jahr 2020 könnte die Förderung mit neuen Anlagen auf zwei Million Barrel gesteigert werden; soweit Hassan Sora.
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Berichte
A strong Iraq means a strong Turkey: Die Beziehung zwischen der Türkei und der Autonomen Region Kurdistan
PKK in der Türkei gewertet werden – nicht jedoch als ernsthafter Versuch, die PKK militärisch zu zerstören. Dafür achten die Türkei und die Autonome Region Kurdistan zu sehr die gegenseitige Souveränität über das eigene Gebiet. Heute, so der Sprecher des kurdischen Parlaments, gäbe es zwar noch türkisches Militär im Nordirak – offiziell 5.000 Soldaten, inoffizielle Schätzungen gehen von einer höheren Zahl aus. Entgegen seines ursprünglichen Auftrags jedoch, Autonomiebestrebungen der Kurden zu überwachen und zu unterbinden, dürfe es sich mittlerweile nur noch mit Erlaubnis der Regionalregierung bewegen. Es scheint keine Spannungen zwischen türkischem und kurdisch-irakischem Militär zu geben (so auch unsere Beobachtungen bei den zahlreichen Straßenkontrollen auf unserer Reise), im Gegenteil sei die Präsenz der türkischen Soldaten von der Regionalregierung sogar erwünscht, und mittlerweile eher der Regierung in Bagdad ein Dorn im Auge, weil sie die autonome Republik stärken. Auch der türkische Geheimdienst agiere mit Erlaubnis der Regionalregierung in Erbil und drei weiteren Städten der Autonomen Region.
von Fiene Wolf Vor dem Hintergrund des seit Jahrzehnten andauernden Konfliktes zwischen den in der Türkei lebenden Kurden und der türkischen Regierung, drängt sich die Frage auf, wie sich eigentlich die Türkei und das angrenzende „Klein-Kurdistan“ im Norden Iraks gegenüber stehen. Zum einen bietet der Norden Iraks mit seinen Kandil-Bergen Rückzugsgebiet und damit ein sicheres Zuhause für die in der Türkei verbotene Arbeiterpartei PKK; was – so könnte man meinen – der Türkei ein Dorn im Auge ist. Zum anderen findet auf wirtschaftlicher Ebene seit Jahren eine aktive Zusammenarbeit statt, von der die Türkei sowie die Autonome Region Kurdistan gleichermaßen profitieren.
Im Jahr 2011 eröffnete der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdoğan zusammen mit dem kurdischen Präsident Masoud Barzani den Flughafen in Erbil (siehe Foto). Es war das erste Mal, dass ein türkischer Premier die Autonome Region Kurdistan besuchte. Dass der Anlass die Eröffnung eines Flughafens war, verdeutlicht, dass der Schulterschluss vor allem auf gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen beruht: „A strong Turkey means a strong Iraq and a strong Iraq means a strong Turkey. Our investments in this region show how our hearts are united“, so Premier Erdoğan bei der Eröffnungsrede (Todays Zaman, 31.03.2011). Der Vizepräsident des kurdischen Parlaments in Erbil berichtete uns, dass die Türkei ihren politischen Druck auf die Autonome Region verringert habe, und „dialogue“ und „peace“ das gegenseitige Verhältnis prägen würden. Ein Zustand, aus dem es kein Zurück mehr gäbe („there is no go back“).
In der an Rohstoffen reichen, aber an Endprodukten armen Autonomen Region Kurdistan stellen Güter aus der Türkei bis zu 50 % der gesamten Importware dar. In den nächsten drei Jahren könnte sich die Autonome Region sogar zum wichtigsten Auslandsmarkt entwickeln und damit Deutschland als bisheriges Hauptexportland für die Türkei ablösen – so die Einschätzung einer kürzlich veröffentlichten Studie der Bahçeşehir Universität Istanbul. Auch umgekehrt hat die kurdische Regionalregierung in der Türkei einen wichtigen Absatzmarkt gefunden, vor allem für die Rohstoffe Gas und Erdöl. Eine sich im Bau befindende Pipeline soll ab dem Jahr 2014 Rohöl aus der irakisch-kurdischen Hauptstadt Erbil in die Türkei pumpen. Das ermöglicht der Autonomen Region nicht nur eine massive Ausweitung ihres Erdölexports, sondern auch Unabhängigkeit von der vom Irak kontrollierten Pipeline (welche aufgrund eines Streits um die Höhe der Nutzgebühren auf Anordnung Bagdads im vergangenen Jahr stillgelegt wurde). Die irakische Regierung erhebt Anspruch auf Mitbestimmung bei der Verwendung des in der Autonomen Region gelegenen Erdöls und leitet einen Teil der Gewinne für sich ab. Es ist daher wenig verwunderlich, dass die irakische Regierung die wachsenden eigenständigen Handelsbeziehungen zwischen der Türkei und der Autonomen Region mit Unmut beobachtet. 1
Dank des ,schwarzen Goldes‘ hat sich die Autonome Region Kurdistan zu einem wirtschaftlich boomenden Land entwickelt. Wir waren bei unserer 5-Tages-Reise durch die Städte Dohuk, Erbil und Sulaimaniyya von dem ins Auge springenden Wohlstand und dem wirtschaftlichen Wachstum beeindruckt – auch wenn der einzelne Mensch und seine tatsächliche Lebensqualität zwischen den zahlreichen Großbauprojekten, den mehrspurigen vollbefahrenen Straßen, den vielen mit Achterbahn und Riesenrad ausgestatteten „Happy Parks“ und den blinkenden Lichtern hilflos unterzugehen scheint (Bericht zu den Eindrücken im Nordirak von Friederike Speitling, S. 16).
Zugunsten dieser engen wirtschaftlichen Verbindungen bemühen sich die türkische und kurdische Regierung um ein gutes politisches Klima. Der letzte große Angriff der Türkei auf Stationen der PKK im Nordirak liegt weit zurück im Jahr 1997. Die späteren kleineren Angriffe der türkischen Luftwaffe auf Stellungen der PKK in den KandilBergen können als Vergeltungsschläge von Bombenattentaten der
Diesen wirtschaftlichen Aufschwung haben die Kurden im Nordirak mit einer ausgefeilten Sicherheitspolitik verbinden können, auf einem ansonsten politisch unruhigen Fleck der Landkarte. Trotz der Bedrohungen durch die instabilen politischen Verhältnisse im angrenzenden Irak, Iran und Syrien sowie dem Südosten der Türkei, ist es der Autonomen Region Kurdistan gelungen, sichere Verhältnisse zu schaffen. Das letzte Bombenattentat wurde im Jahr 2005 in Erbil
1 Der Streit um den Anspruch auf Erdöl ist seit Jahren Anlass für Unruhen und Anschläge, besonders in der mit zahlreichen Ölfeldern „gesegneten“ Stadt Kirkuk im umstrittenen Grenzgebiet zwischen Irak und der Autonomen Region Kurdistan. 18
BERICHT 2013
Präsident Barzani und Premierminister Erdoğan bei der Eröffnung des Flughafens am 29.03.2011 Foto: Regionalregierung Kurdistan
verübt – acht Jahre anschlagsfrei ist im Vergleich zu der Lage im Irak bemerkenswert. Somit ist die Autonome Region Kurdistan mittlerweile Zielland für Flüchtlinge aus dem Irak selbst und den benachbarten Ländern geworden (siehe Bericht zu kurdischen Flüchtlingen aus Syrien, S. 29). „Before our people came as refugees, now we accept refugees from other countries“, erklärte uns der Vizepräsident des kurdischen Parlaments und nennt als Beispiel verfolgte Christen aus dem Irak, die in der Autonomen Region Kurdistan Schutz finden und für die sogar Kirchen gebaut würden.
Dass gerade kurdische Flüchtlinge in dem einzigen Stück Kurdistan, das es geschafft hat Autonomie zu erlangen, zwar Sicherheit, aber keine vollwertige Aufnahme in die Gesellschaft erhalten, bedrückte uns sehr. Zugunsten der viel beschworenen guten wirtschaftlichen Verbindungen mit der Türkei, werden politische Reibungspunkte vermieden, und damit auch die klare Solidarisierung mit den um Anerkennung und Autonomie kämpfenden Kurden in der Türkei. Die abschließenden Worte, die uns unsere Gesprächspartner mit auf den Weg gaben, klangen fast so, als ob sie uns trösten wollten: „Trotz dieser vielen Probleme und der dramatischen Situation sind wir im Kopf und im Herzen frei.“
Eine andere Seite der Flüchtlingspolitik bekamen wir ausgerechnet von kurdischen Flüchtlingen bei einem Gespräch mit der türkischkurdischen Partei BDP in Erbil aufgezeigt. Die in der Türkei politisch verfolgten Mitglieder der BDP, die Zuflucht in der Autonomen Region Kurdistan gefunden hatten, begannen vor drei Jahren einen Sitz in Erbil aufzubauen, um damit aus dem Exil heraus politisch agieren zu können. Nachdem die Regionalregierung dem Vorhaben aus Angst vor zu viel Einfluss aus der Türkei zunächst skeptisch entgegen stand, hat die Partei nun vor zehn Monaten die Erlaubnis zur Aufnahme ihrer Aktivitäten bekommen und steht insgesamt in einem guten Kontakt zur Regionalregierung. Die Mitglieder der BDP mit denen wir sprachen, berichteten uns von den schwierigen Lebensbedingungen, denen sie ausgesetzt sind. Sie werden zwar geduldet (es wurde noch niemand von ihnen in die Türkei abgeschoben), erhalten aber meist nur vorübergehend einen stabilen Aufenthaltsstatus von drei Monaten bis zu einem Jahr und keine Arbeitserlaubnis. Durch diese Aufenthaltsprobleme können sie oft keine Wohnung mieten. Da das Leben im Nordirak ohnehin sehr teuer ist, sind sie damit auf Unterstützung von Freunden und Bekannten angewiesen. Ihre Familienmitglieder, die häufig in der Türkei zurückgeblieben sind (darunter auch viele Kinder der geflüchteten Frauen und Männer), bekämen keine Besuchserlaubnis, so dass ganze Familienstrukturen zerrissen würden. Unsere Gesprächspartner schreiben diesen Zustand dem Einfluss der Türkei auf die Regionalregierung zu. Politische Flüchtlinge aus der Türkei würden in der Autonomen Region Kurdistan mehr Restriktionen unterliegen als sogenannte „Wirtschaftsflüchtlinge“.
Quellen »» Gespräch mit Vizepräsident Hassan Sora G.P. (Deputy speaker of Kurdistan Parlament), 13.03.2013. »» Gespräch mit Mitgliedern der BDP in Erbil, 14.03.2013. »» Deutsches Türkisches Journal – Online: Türkei baut Ölpipeline für Erbil. 18.04.2013. http://dtj-online.de/news/detail/2094/turkei_ baut_olpipeline_fur_arbil.html (Zit. 07.05.2013). »» Deutsches Türkisches Journal – Online: Exportland Türkei – Nordirak hängt Deutschland ab. 30.03.2013. http://dtj-online.de/news/ detail/1986/exportland_turkei.html (Zit. 07.05.2013). »» Todays Zaman: Erbil visit harbinger of deeper cooperation with Iraqi Kurds. 31.11.2011. http://www.todayszaman.com/news239702-Erbil-visit-harbinger-of-deeper-cooperation-with-iraqikurds.html (Zit. 07.05.2013). »» Bild oben: www.krg.org/a/d.aspx?s=02010100&l=12&r=223&a=3 9389&s=010000, 07.05.2013)
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Foto: Julia Neuhof
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Halabja Gedenktag
Gedenken an Halabja: 25 Jahre nach der Katastrophe von Eva Klippenstein
teten Marsch an ihnen vorbeigeführt, ein Theater von weißbemäntelten Menschen mit Aktenkoffern (Ärzte?) wird aufgeführt und traurige Musik erklingt; die Sonne brennt – aber die Helfer haben uns weiße Mützen und Schirme gereicht, zum Schutz gegen die Sonne; diese Fürsorge macht uns alle ein bisschen gleicher.
Morgen wird ein warmer Frühlingstag sein und wir werden nach Halabja fahren, in jene Stadt, deren Bewohner vor 25 Jahren von Saddam Hussein mit Giftgas aus Flugzeugen ermordet wurden. Damals war auch Frühling, die Menschen waren im Freien, viele konnten nicht mehr fliehen, die Überlebenden leiden noch heute …
Wir passieren das Genozid-Mahnmal; von der Stadt selbst ist nichts zu sehen, zu groß ist der Zug der Menschen, die jetzt auf ein großes, ein riesengroßes Zelt zusteuern. Taschenkontrolle am Einlass, Gedränge und Trubel, aus dem uns die Ordner sammeln und ins Zelt führen zu einer Sitzreihe, die für uns reserviert ist. Der Anblick des
Trauerfeier oder doch mehr Demo? Wir mustern die mitgebrachten Kleidungsstücke und nach kurzer Beratung im Dreibettzimmer fällt die Entscheidung in Richtung konventionelles Jackett. Dann beginnt die Reise von Süleymaniya nach Halabja. Man erkennt den besonderen Tag nicht nur an den vielen Gästen in dunklen Anzügen sondern auch an den feierlichen Gesichtern und bald sehen wir die ersten festlich dekorierten Angestellten des Hotels: rotweißgrüne Schärpen aus Papier, an der Hüfte mit knallroter Rosette, später bei den Polizisten, die wie weiland bei uns die Vopos auf der Interzonenstrecke im 100 bis 200m Abstand die Strecke säumen. Alle sind gerüstet für den Festtag. Der Genozid vom 16. März 1988 – was war da bei mir, die Konfirmation der Tochter? Hier tobte der Krieg mit dem Iran, die Iraner hatten im Verein mit den kurdischen Peschmerga das Städtchen Halabja zurückerobert, die Rache des Regimes an den Verrätern war geplant und wurde sofort vollzogen. Vom qualvollen Tod der Opfer zeugen eindringliche Bilder, deren Betrachtung Scham und Schmerzen verursacht. Wir werden in einem langen, von vielen Menschen beglei-
Proteste beim Halabja Gedenktag, Foto: Mehmet Bayval vollbesetzten Zelts mit der farbig dekorierten Bühne ist überwältigend und es schleicht sich der Gedanke ein, woher wohl diese vielen edlen Stühle kommen und warum es weiter hinten nur einfache 20
Foto: Mehmet Bayval
BERICHT 2013
Halabja Gedenktag
Die Anfal-Kampagne in Halabja: Unfass bare Dimensionen von Vernichtung und Zerstörung
Klappstühle gibt. In der Sitzreihe hinter uns asiatische Besucher, kurzes Lächeln zur Begrüßung: da ist sie, die Erinnerung an die farbenfrohe Choreografie der Nordkoreaner, die im Stadion bunte Blumenmuster bilden auf den Fotos von Andreas Gursky … . Die Zeremonie der Ansprachen, unterbrochen von Musik und wechselnder Beleuchtung, ist lang und ermüdend. Jemand reicht uns Wasserflaschen. Wie angenehm, warum gerade uns? Leiden nicht alle, die hier versammelt sind, erst recht jene, die keinen Sitzplatz haben und so dichtgedrängt am Rande stehen, dass sich kaum jemand bewegen kann, nicht ebenso unter der Hitze hier im Zelt? Gibt es Rettungskräfte? Was für eine Frage. Aber plötzlich kommt Bewegung in die Versammlung: Stimmen und junge Menschen drängen nach vorne. Was rufen sie, warum protestieren sie? Gleich nachdem die Manifestation, die offenbar nur widerwillig geduldet wird, endet, nimmt die Veranstaltung ihren Fortgang. Ich bin neugierig und zwänge mich zwischen den Sitzreihen hindurch ins Freie, finde die draußen stehenden Leute und bitte sie um ihre Manifeste. Dort kann ich lesen, warum sie protestieren: uneingelöste Versprechen der Stadtverwaltung für eine Verbesserung der baulichen und gewerblichen Infrastruktur, unzureichende gesundheitliche Ausstattung, keine Jobs und deutliche Kritik an mangelnder Unterstützung durch die Regionalregierung sowie gegen die herrschende Korruption. Ein Flugblatt ist unterschrieben von der kurdischen Studentenorganisation „unit of sharazur“, das andere mit „Halwest Organization“.
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von Christa Blum Wir wussten von Halabja. Wie andere schreckliche Ereignisse der Weltgeschichte hatten wir davon gehört und sie als einen Akt der Barbarei im Zusammenhang eines Krieges gegen die Kurden und als Teil des furchtbaren Krieges Irak-Iran wahrgenommen. Aber bei der 25-Jahre-Gedenkveranstaltung an dem Ort Geschehens rückte es näher heran. Nach dem Besuch im kurdischen Parlament kamen wir mit Sabir Khoshnaw, einem Überlebenden eines Giftgasangriffes, in Kontakt. Er hat eine Organisation gegründet, um über die Giftgas-Bombardements in seinem Heimatort Balisan und der Umgebung des Ortes zu berichten. Auf seine Anregung hin fuhren wir nach Balisan – durch die Berge nach Nordosten in die Nähe der iranischen Grenze. Schon ein Jahr vor dem Giftgasangriff auf Halabja am 16. April 1987 waren dort nach Berichten von Überlebenden Flugzeuge aufgetaucht, die Kanister mit gelbem Staub ausspien – Senfgas. Die meisten Menschen verstanden nicht was passiert war, bis Stunden später die ersten Symptome auftraten. Viele die nicht schnell starben, erblindeten und erkrankten chronisch an der Haut, an den Atemwegen, an den Augen und am Verdauungstrakt. Das seelische kollektive Trauma hält weiter an. Heute erinnern Grabsteine an 233 getötete Menschen, deren Überreste oft nicht mehr zu identifizieren und zu unterscheiden waren.
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Berichte
Friedhof der Betroffen des Giftgasangriffes 1987 in Balisan
Zur Zeit des Angriffs war der Krieg zwischen Irak und Iran im siebten Jahr. In Balisan und dem Nachbarort Sheikh Wassan waren die Giftgasangriffe der Beginn einer von der irakischen Regierung ausgehenden breiten mörderischen Kampagne gegen die kurdische Bevölkerung, die sogenannte „Anfal“-Kampagne (Anfal = Beute). Im Verlauf des Krieges wurden die kurdischen Widerstandskämpfer vom Iran unterstützt; die kurdische Widerstandsbewegung kontrollierte einige ‚befreite Gebiete‘ in Irakisch-Kurdistan mit Hilfe von 12 - 15.000 Peshmerga. Das irakische Baath-Regime kämpfte gegen den Iran und gegen die Kurden. In dieser Situation entschied sich der irakische Generalstab den kurdischen Widerstand und die sie unterstützende Zivilbevölkerung ein für alle Male zu vernichten. Die Anfal-Kampagne umfasste acht militärische Operationen: 1. Die erste Operation (23. Februar bis 19. März 1988) war durch massive Luftangriffe in der Provinz Sulaimaniyya gekennzeichnet (verschiedene Orte darunter auch das PUK-Hauptquartier). Nach dem Einsatz von chemischen Waffen der irakischen Luftwaffe durchbrachen die irakischen Truppen die Stellungen der kurdischen Widerstandsbewegung, eroberten die Dörfer und machten sie dem Erdboden gleich. 2. Bei der zweiten Anfal-Kampagne (22. März bis 1. April 1988) waren weitere Orte durch sieben Luftangriffe mit chemischen Waffen in der Provinz Soulemanyia betroffen: „Als die ersten Giftgasbomben fielen, feierten die Bewohner des Dorfes Quere Dagh zusammen mit den Widerstandskämpfern gerade Newroz. Über 80 Menschen wurden dabei umgebracht. Nach den Luftangriffen griffen die Truppen
Foto: Sigrid Ebritsch
des Regimes vom Süden her an und durchkämmten die kurdischen Dörfer. Hunderte von kurdischen Familien flohen in Richtung Sulemaniya, um sich in Sicherheit zu bringen. Am Fuße der Berge wurden sie jedoch von irakischen Truppen überrascht. Tausende von ihnen wurden festgenommen. Viele Familien ergaben sich den Truppen und gingen dabei verloren. Ihr Schicksal wurde nie aufgeklärt. Laut Amnesty international sollen 400 Verletzte, die versucht haben ihre Verletzungen medizinisch behandeln zu lassen, festgenommen und in ein Militärgefängnis gebracht worden sein. Sie wurden erschossen, um die Spuren der Giftgasangriffe zu beseitigen“ (Sali 2004). 3. Die dritte Anfal-Operation (7. - 20. April 1988) richtete sich gegen die Bewohner von Germiyan in der Provinz Kirkuk. Von acht Seiten rückten gigantische Truppen in das Gebiet ein, niemand sollte entkommen. Flüchtende wurden mit Hubschraubern verfolgt. Die Mehrheit der Bewohner der zerstörten Dörfer – Männer, Frauen, Kinder und Babys – verschwanden spurlos. 4. Die nächsten Ziele waren im Rahmen der vierten Anfal-Operation Dörfer südlich des Duncalsees, die mit chemischen Waffen angegriffen wurden. „Im Dorf Goktepe starben über 200 Menschen an den Folgen des Giftgases. Die Truppen des Regimes öffneten den Staudamm und versperrten damit den nächtlich fliehenden Dorfbewohnern den Fluchtweg. Hunderte Familien, die sich in Höhlen versteckten, wurden festgenommen, kamen in Sammellager und anschließend in das Gefängnis der Geheimpolizei in Kirkuk. Die meisten von ihnen verschwanden für immer“ (Sali 2004).
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res Großvaters oder im Arm ihrer Mutter. Über 5.000 Bürger der Stadt wurden grausam getötet, ungefähr 7.000 wurden verwundet – viele von ihnen wurden dauerhaft geschädigt und leiden noch heute an den Langzeitfolgen wie Nervenlähmungen, Augenerkrankungen, Hautkrankheiten, Tumore, Lungenschäden und Fehlgeburten. Nach dem Angriff versuchten tausende der Einwohner in Richtung der iranischen Grenze zu fliehen. Viele von ihnen, darunter auch Kinder, starben auf der Flucht. Einige Gruppen flohen auch in die Berge – trotz der Gefahr von Landminen. Von denjenigen, die es über die Grenze geschafft hatten, wurden die am stärksten Betroffenen in die Krankenhäuser von Teheran, Kermanshah und Paveh eingeliefert. Der Giftgasangriff gegen die Kurden in Halabja war der größte Angriff mit chemischen Waffen seit dem ersten Weltkrieg. Es war der brutale Versuch, ein Volk zu zerstören, das sich einem totalitären Staat widersetzte. Neben den Kurden trafen die Anschläge auch Yesiden, assyro-chaldäische Christen und andere Minderheiten.
5. - 7. Die fünfte, sechste und siebte Anfal-Operationen (15. Mai - 26. August 1988) betrafen viele Dörfer in der Provinz Arbil – auch die Dörfer des Balisan-Tales, die bereits im Mai 1987 Ziel von Giftgasangriffen waren. Auch eine große Zahl dort fliehender Kurdinnen und Kurden verschwand für immer. 8. Die achte Anfal-Operation (28. August bis 6. September 1988) betraf die Provinz Dohuk. Dieses Gebiet ist besonders geeignet für den Guerillakampf. Um den Nachschub für die Peschmerga zu unterbinden wurden schon im Jahr 1987 ca. 50 Dörfer zerstört. Nun wurden 49 Dörfer aus der Luft mit Giftgas angegriffen. Irakische Kampfflugzeuge flogen weitere Angriffe über Dörfer entlang der türkischen Grenze, auch das Hauptquartier der KDP wurde zerstört. 1.500 Menschen – vor allem Kinder – starben sofort oder in den folgenden Tagen und Wochen. Etwa 80.000 Menschen gelang die Flucht in die Nachbarländer Türkei oder Iran.
Aber die Staatengemeinschaft nahm dieses Verbrechen ziemlich gelassen hin. In einer Debatte des UN-Sicherheitsrates kurz danach wurde das irakische Baath-Regime hinsichtlich dieses Verbrechens nicht verurteilt – aufgrund der Gegenstimme der USA und den Enthaltungen von Großbritannien, Frankreich, Australien und Dänemark. Durch diese schwache Reaktion der Weltöffentlichkeit konnte das irakische Baath-Regime seine Vernichtungskampagne im Rahmen der Anfal-Kampagnen gegen das kurdische Volk unvermindert
Kurdischen Quellen zufolge ließ das irakische Baath-Regime während der Anfal-Kampagne schätzungsweise 182.000 kurdische Männer, Frauen und Kinder für immer verschwinden. In der Provinz Arbil wurden 735 Dörfer zerstört und 35.976 Familien deportiert, in der Provinz Soulemanyia wurden 1.519 Dörfer zerstört und 126.088 Familien deportiert und in der Provinz Dohuk wurden 638 Dörfer zerstört und 20.129 Familien deportiert. Hinzu kommen die zerstörten Dörfer und deren deportierte Familien in den Provinzen Kirkuk, Diyala, Mosul und Tikrit. Durch diesen Feldzug wurde die gesamte bäuerliche Zivilisation vom irakischen Kurdistan zerstört (Salid 2004). Zurück zu Halabja, einer Stadt nahe der Grenze zum Iran. Durch die Ansiedlung vertriebener kurdischer Familien war die Bevölkerung im März 1988 von 40.000 auf mehr als 60.000 angestiegen. Aufgrund der offenen Proteste gegen die Dorfzerstörungen, die Zwangsumsiedlung und die Vertreibung der Bevölkerung hatten Bulldozer bzw. Soldaten der irakischen Armee bereits im Mai 1987 zwei Stadtteile von Halabja völlig zerstört. Halabja war aufgrund der Nähe zum Darbandikhan – Staudamm, der einen großen Teil der Wasserversorgung nach Bagdad kontrollierte, von wichtigem strategischen Interesse für die irakische Regierung. Ende Februar 1988 startete die irakische Armee eine Großoffensive im Jafeti Tal und Sergelu und setzte dabei auch chemische Waffen ein. In einem gemeinsamen Gegenangriff der kurdischen Widerstandsbewegung mit Unterstützung Irans in der Region von Sharazur wurden am 14. und 15. März die Städte Khurmal sowie Halabja durch kurdische Peschmerga von der irakischen Armee befreit. Der Iran erklärte offiziell, dass iranische Truppen und kurdische Widerstandskämpfer gemeinsam die Stadt Halabja erobert hätten.
Amna Suraka Museum, jeder Spiegelteil erinnert an die einzelnen AnfalBetroffenen Foto: Mehmet Bayval fortsetzen. Die USA lieferte auch nach den Angriffen Waffen an den Irak und das Pentagon beschuldigte den Iran für den Giftgasangriff. Großbritannien sagte dem Irak unmittelbar nach dem achtjährigen Krieg neue Kredite zu. Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland erklärte noch am 8. November 1990, es habe keine ausreichenden Hinweise gegeben, dass die Kurden wegen ihrer Volkszugehörigkeit politisch verfolgt würden, und leugnete somit ihre physische Vernichtung.
Am 16. März 1988 wurde die Stadt Halabja von der irakischen Luftwaffe mit Giftgas (Senfgas, Sarin und Tabun) bombardiert. Die ersten Fotos, die von iranischen Berichterstattern am 18. März gemacht wurden, zeigen grausame Bilder von in den Straßen und auf den Feldern liegenden meist verstümmelten toten Frauen, Männern und Kindern jeglichen Alters, manche unter den schützenden Armen ih23
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„Die deutsche Nichtregierungsorganisation ‚Gesellschaft für bedrohte Völker‘ machte nach den Angriffen die hessischen Unternehmen Karl Kolb GmbH und Pilot Plant und über 40 weitere deutsche und europäische Unternehmen mitverantwortlich, weil sie bei dem Bau von Giftgaseinrichtungen im Irak mitgewirkt hatten“ (Youkhana 2013).
Kirkuk Center for Torture Victims: Eindrücke der Kirkuk Behandlungszentren für Folteropfer von Julia Neuhof
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) warf schon sehr früh den hessischen Firmen Karl Kolb und Pilot Plant vor, eine führende Rolle beim Aufbau der irakischen Giftgasindustrie gespielt zu haben. Infolge dessen wurde der GfbV vom Bonner Landgericht im Jahr 1987 bei Androhung von zweimal 500.000 DM Bußgeld untersagt, diese Beschuldigung zu wiederholen. Später jedoch wurden beiden Firmen wegen Beteiligung beim Aufbau der Giftgasanlagen vor Gericht für schuldig befunden, wegen Verjährung ihrer Delikte aber freigelassen. Mehr als 40 andere deutsche und europäische Firmen hatten nach Recherchen der GfbV ebenfalls Anteil an den Vernichtungen, unter ihnen die Firma Messerschmidt Bölkow-Blohm, mit deren Kampfhubschraubern in den Jahren 1987/88 die Giftgasangriffe ausgeführt wurden. „Ali Hasan al-Madschid wurde im Januar 2010 in einem Tribunal zum Tode verurteilt, nachdem er für seine Rolle beim Massaker für schuldig befunden wurde. Saddam Hussein wurde für andere Verbrechen schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Jedoch verwiesen Dokumente, die während des Tribunals herangezogen wurden, darauf, dass kein Angriff ausgeführt werden konnte, ohne ihn zuvor darüber in Kenntnis zu setzen. Auch private Personen, die nicht Teil des irakischen Regimes waren, wurden verurteilt. Im Jahre 2005 etwa wurde Frans von Arnaat, ein niederländischer Geschäftsmann, der Chemikalien auf dem Weltmarkt gekauft und sie an die irakische Regierung verkauft hatte, von einem niederländischen Gericht zu 15 Jahren Haft verurteilt“ (Youkhana 2013).
Ein Lichtblick auf unserer Reise durch den Nordirak waren die Besuche in zwei dem Kirkuk Center angehörenden Behandlungszentren. Dort werden die Wunden aus 40 Jahren Unterdrückung, Trauma und Terror wahrgenommen, versorgt und behutsam integriert – denn verschwinden werden sie niemals. Das Kirkuk Behandlungszentrum für Folteropfer wurde 2005 als erstes Rehabilitationszentrum für Folteropfer im Irak eröffnet. Seitdem entstanden fünf weitere Zentren und zahlreiche mobile Teams, die eine Versorgung der Menschen vor Ort ermöglichen (siehe Karte). Insgesamt konnte so schon mehr als 8.000 traumatisierten Männern, Frauen und Kindern geholfen werden. Die Mehrheit der Klienten sind Kurden, gefolgt von Arabern, Turkmenen und Assyrern.
Bereits auf früheren IPPNW-Reisen in die Osttürkei wurde uns zum Beispiel in Hakkari immer wieder berichtet, dass das türkische Militär in den Bergen Giftgas einsetzen würde. Die Vernichtung durch Giftgas ist ein kollektives Trauma und Teil der kurdischen Identität. Quellen »» Salih, Azad, 2004: Freies Kurdistan. Die Schutzzone der Kurden in Irakisch-Kurdistan. Dissertation, Freie Universität Berlin. www.diss. f u - berlin.de/dis s/receive/FUDIS S _thesis _ 0 0 0 0 0 0 0 01392 (25.06.02013). »» Youkhana, Atran, 2013: Der Giftgasangriff auf Halabdscha. Unveröffentlichter Aufsatz, erhältlich auf Anfrage per Email: aziatic84(at) hotmail.com.
Zentren und Stationen der mobile Teams der Kirkuk Behandlungszentren (Quelle: Kirkuk Center for Torture Victims, Annual Report 2011). Das Team ist jung, multilingual und arbeitet unserem Eindruck nach hochprofessionell. Es setzt sich zusammen aus Ärzten, Psychotherapeuten und Sozialarbeitern. Des Weiteren kommen Pädagogen, Anwälte, Wissenschaftler und Projektmanager hinzu. Alles in allem sind es ca. 120 angestellte Frauen und Männer, mit Salah Ahmad als charismatischem Leiter an der Spitze. Er ist kurdischer Iraker, studierte in Deutschland Psychologie und hat das Behandlungszentrum für 24
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Behandlungszentrum Dohuk Foto Mehmet Bayval Kontakt zu iranischen Opfern der Giftgasangriffe.
Folteropfer in Berlin entscheidend mit aufgebaut. Seine wertschätzende und bildhafte Sprache brachte uns seine Anliegen auf besondere Weise nahe und erschuf ein lebhaftes Bild der Probleme der irakischen Gesellschaft. Überhaupt empfanden wir bei beiden Besuchen, sowohl in Dohuk als auch in Sulaimaniyya, die Atmosphäre angenehm, vertrauensstiftend und die Mitarbeiter wirkten ehrlich engagiert. Wie wir von Herrn Ahmad erfuhren verpflichten sich die Therapeuten bei Neuanstellung auch, die aufwändige Therapieausbildung zu Ende zu führen und dem Zentrum erhalten zu bleiben. So stellt das Zentrum sicher, dass die Möglichkeit der kostenlosen Ausbildung mit wöchentlichen Supervisionen und regelmäßigen Fortbildungen sowohl für die Therapeuten als auch für das Zentrum nachhaltig gestaltet ist. Um die Patientinnen vor Retraumatisierung zu schützen verlangt Salah Ahmad von seinen angestellten Männern keinen Bart zu tragen – die Gefahr der potentiellen Erinnerung an frühere Peiniger ist zu groß.
Auch 25 Jahre nach den Angriffen leiden die Patienten körperlich noch an zahlreichen gesundheitlichen Einschränkungen und häufig kann die Behandlung die Symptome nur lindern, aber nicht heilen. Im Jahr 2011 gaben 60 % der Patienten an, Probleme mit den Atemwegen zu haben, gefolgt von eingeschränktem Sehvermögen und Blindheit bei 46 % und Hauterkrankungen bei 25 %. Ungefähr 60 % brauchten Hilfe wegen psychischer Probleme (Kirkuk Center for Torture Victims, Annual Report 2011). Irakische Frauen leiden vor allem durch die patriarchalen Gesellschaftsstrukturen und sind häufig Opfer von häuslicher Gewalt und Unterdrückung. Obwohl es schon einige positive Entwicklungen in der Gesetzgebung und in der öffentlichen Meinung zu Frauenrechten gibt, fehlt weiterhin gravierend ein effektives und professionelles Schutzsystem. Bei Vergewaltigung durch Fremde trauen die Frauen sich zum Beispiel nicht von ihrem Schicksal oder ihrer Angst zu berichten, da sie von der Familie verstoßen werden könnten oder sogar um ihr eigenes Leben fürchten müssen.
Auf vier Programme legen die Zentren ihre Schwerpunkte: Versorgung von Folteropfern, von Überlebenden der Giftgasangriffe, von Frauen und von Kindern und Jugendlichen. Außerdem wurde das Dohuk Zentrum für Gewaltopfer explizit zum Schutz der in dieser Region lebenden religiösen Minderheiten gegründet. Allen gleich ist die kostenlose medizinische Versorgung und das Angebot von psychotherapeutischen Sitzungen, jeweils zugeschnitten auf den individuellen Bedarf, wobei insbesondere auch das familiäre Umfeld in die Therapie mit einbezogen wird. Als große Herausforderung erleben die Ärzte und Therapeuten das weltweit geringe Fachwissen um evidenzbasierte Diagnostik und Behandlung von Folgen des Einsatzes chemischer Waffen. In den Kirkuk Zentren wird mittlerweile durch standardisierte Anamnesebögen und ein EDV-Dokumentationssystem die Erfassung von Patientendaten unterstützt und damit werden erste Schritte hin zu eigener Forschung auf dem Gebiet unternommen. Salah Ahmad erklärte, dass sie derzeit die weltweit führenden Spezialisten auf dem Gebiet der psychotherapeutischen Versorgung von Opfern chemischer Waffen seien. Sie haben allerdings keinen
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Der Platz vor der Zitadelle ist voll von Menschenmengen, kaum Frauen sind in diesem schönen Ort zu sehen. Foto: Sigrid Ebritsch ren wir mit Schrecken, dass, obwohl die Genitalverstümmelung an Frauen und Mädchen seit knapp zwei Jahren gesetzlich verboten ist, diese archaische und blutige Praxis und ebenso die häusliche Gewalt weiterhin weit verbreitet sind. In einem Gespräch mit WADI (Verband für Krisenhilfe und solidarische Entwicklungszusammenarbeit), einer deutsch-irakischen NGO, wollten wir uns über den aktuellen Sachstand informieren. Da ein solches Gespräch wegen Terminkollision nicht zustande kam, folgt hier ein kurzer Literaturbericht.
An dieser Stelle möchte ich auf den ausführlichen Jahresbericht von 2011 in englischer Sprache hinweisen, der die weiteren Programme thematisiert und besonders eindrücklich auch Fallbeispiele schildert. Dieser ist auf der Website des Kirkuk Centers zu finden: www.kirkuk-center.org. Eine große Sorge bereitet den Zentren die langfristige Finanzierung, die bisher vor allem von internationalen Körperschaften und NichtRegierungsorganisationen getragen wird. Unserer Ansicht nach könnte an dieser Stelle den Worten des Vizeparlamentspräsidenten, der uns gegenüber vom unermesslichen Leid des kurdischen Volkes sprach, noch mehr Taten seitens der autonomen Regierung folgen.
Genitalverstümmelung Erstmals im Jahr 2004 erfuhren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von WADI von der Verbreitung dieser blutigen Tradition im Nordirak. Mobile Teams besuchten Dörfer, betrieben Aufklärung und führten zwischen September 2007 und Mai 2008 Interviews durch, deren Ergebnisse im Jahr 2010 veröffentlicht wurden. Demnach betrug das Ausmaß der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM) in mehr oder weniger invasiver Form 78 % in Sulaimaniyya bzw. 63 % in Arbil und in den drei autonomen kurdischen Provinzen insgesamt 72 %. Bis dahin war der Umfang dieser ritualisierten und ohne Betäubung durchgeführten Verletzung nicht bekannt, da die Regierung keine Untersuchung zum Thema durchgeführt hatte.
Frau und Gesellschaft im Nordirak: Erörterung eines unsichtbaren Kapitels von Eva Klippenstein Es klang paradox: einerseits die Rede von der selbstbewussten Stellung der kurdischen Frauen und ihrem Beitrag zum Aufbau einer friedlichen Gesellschaft bei unseren Gesprächen mit Politikern und Amtsträgern, andererseits die fast vollkommene Abwesenheit von Frauen im öffentlichen Raum. Wo sich sonst das Leben abspielt – auf der Straße, im Hotel oder im Bazar – trafen wir vor allem auf Männer. Auch waren es regelmäßig ältere Herren, die uns mit Tee bewirteten, während dies traditionsgemäß Aufgabe der Frauen ist.
Als dieses Ergebnis öffentlich wurde, neigten die Mitglieder von Parlament und Regierung zunächst dazu, das Problem zu leugnen oder kleinzureden. Schließlich veröffentlichte das Gesundheitsministerium eigene Untersuchungsergebnisse, denen zufolge die FGM-Rate 41 % betragen sollte. Im Sommer 2011 jedoch sollte die jahrelange Kampagnenarbeit von WADI, Human Rights Watch und anderen NGO’s endlich Früchte tragen: das Parlament verabschiedete ein Gesetz gegen häusliche Gewalt, das erstmals auch weibliche Genitalverstümmelung unter Strafe stellt.
Die Selbstbestimmung der Frau, ein rhetorisches Konstrukt für den Wandel der Gesellschaft, wird mit der weiblichen Repräsentanz von acht Prozent im kurdischen Parlament begründet. Gleichzeitig erfah26
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Dieses Gesetz hat allerdings einen Haken: Obwohl eingeräumt wurde, dass die Genitalverstümmelung nicht islamisch begründet, sondern vorislamischen Ursprungs sei, hat der einflussreiche religiöse Führer Mullah Ismael Sosaae öffentlich von Präsident Barsani verlangt, das Gesetz nicht zu unterzeichnen. Barsani hat nicht unterzeichnet, jedoch zugelassen, dass es im Amtsblatt veröffentlicht und in Kraft gesetzt wurde. Außerdem wurden keine Implementierungsoder Sanktionsmaßnahmen getroffen. Kritikerinnen und Kritiker meinen, dass Barsani mit diesem Trick, das Gesetz in Kraft zu setzen und zugleich zu signalisieren, dass man es unterlaufen könne, eine Konfrontation mit der religiösen Führung vermeiden wollte. Im Ergebnis fürchten nun sogar die Parlamentsmitglieder, dass wegen der Untätigkeit der Regierung alles wie bisher weiterlaufen wird.
sonderen auch die kurdischen Regionen: eine Scheidung wird als sozial inakzeptabel gewertet; der Ruf der betroffenen Frau ist beschädigt, sie wird als „second hand good“ gesehen.4 Die ohnehin vorhandene wirtschaftliche Diskriminierung von Frauen wirkt sich besonders bei geschiedenen Frauen aus. Häusliche Gewalt ist weit verbreitet. Selbstverbrennungen haben in den letzten Jahren dramatisch zugenommen, wie auch die Anzahl der Ehrenmorde. Die Behörden in der autonomen Region gehen davon aus, dass im Jahr 2008 117 Frauen Opfer von Ehrenmorden wurden, im Jahr 2009 sollen es 528 gewesen sein. Andere Quellen und Beobachter der Zivilgesellschaft gehen von höheren Zahlen aus.5
Auf der Reise von der leiblichen zur geistlichen Heimat
Daran, dass das Gesetz bis jetzt nur ein symbolischer Akt geblieben ist, sind nicht die weiblichen Parlamentsmitglieder schuld. Denn auch wenn das moderne kurdische Gesellschaftssystem Frauen ermutigt, in allen Bereichen der Administration tätig zu werden, ist ihr Einfluss denkbar gering. Dies ist kein Widerspruch, da in der kurdischen Kultur noch immer die alte Haremstradition, also die Trennung von Männer- und Frauenwelt fortbesteht, die den Frauen praktisch keinen Anteil an den öffentlichen Angelegenheiten zuweist. Diese traditionellen Wertvorstellungen des Patriarchats sind nicht nur manifest, sondern erweisen sich auch unter den Bedingungen des sozialen Wandels – der Zunahme der Frauenerwerbsarbeit, der Entwicklung der Kleinfamilie usw. – als stabil. Im Gegenteil verschärfen sich die bestehenden Probleme für Frauen.2
von Hatun Tuku Seit sechsundzwanzig Jahren war ich nicht mehr in meiner (leiblichen) Heimat, dem Dorf Schimseh (türkisch: Oğuz) in Ost-Anatolien, einem gottverlassenen Nest, in dem ich geboren bin. Nie habe ich mich dort richtig wohl gefühlt, das heißt, ich habe mich in der dörflichen Enge nicht frei gefühlt. Es war im Wesentlichen eine geistige Enge: die Bildungsmöglichkeiten fehlten. Dann kam ich nach Deutschland – aber dort traf ich wieder auf die heimatlich-beengten Dorf-Verhältnisse und lebte dann fünfzehn Jahre in einer kurdischen Parallelwelt. Erst als ich über den Laufsport den westlichen Lebensstil und einheimische kluge und gebildete Menschen kennenlernte, begann ich mich frei und damit auch wohl zu fühlen. In Celle hatte ich mich der Laufgruppe eines örtlichen Sportvereins angeschlossen und fühlte mich bald stark genug, an Wettkämpfen (bis hin zum Marathonlauf), sowohl in Deutschland als auch im Ausland, teilzunehmen.6
Die Konsequenzen aus dem Gesetz, über die Human Rights Watch mit zahlreichen Autoritätspersonen in den Dörfern gesprochen hat, waren nur teilweise positiv, während zahlreiche Amtsträger erklärten, dass sie an ihrem bisherigen Vorgehen festhalten wollten (allerdings gegebenenfalls heimlich). Gewaltverbrechen in der Familie Anders als in den meisten muslimischen Ländern, in denen zivilrechtliche Angelegenheiten wie Heirat, Sorgerecht, Erbschaft usw. gemäß dem islamischen Scharia-Recht geregelt werden, galt das im Irak 1959 eingeführte „Personal Statute Law“ als liberal bezüglich der Rechte von Frauen. Kinder- und Zwangsheirat wurden verboten, Polygamie eingeschränkt, die Rechte von Frauen bei einer Scheidung wurden erweitert und die Möglichkeiten bei Erbschaften verbessert.3
Deutschland war jetzt meine (neue) Heimat und das alte Leben lag weit hinter mir. Doch plötzlich und unerwartet überfiel mich der Wunsch, die alte Heimat (noch einmal) wiederzusehen. Dieser Wunsch ist nach dem eben Gesagten wohl schwer verständlich, denn mein Elternhaus liegt in Trümmern, die Grabstätte meines Vaters ist verlassen und verwahrlost, die Geister der Ahnen irren heimatlos über windgepeitschte Ebenen und öde Berge. Was sollte ich da?
Seit dem Sturz des Baath-Regimes nimmt das Bestreben religiöser Führer zu, zivile Angelegenheiten vor religiösen Gerichten zu verhandeln und die Rechte der Frauen einzuschränken. Dies betrifft im Be-
4 Kurdish Aspect, 2011: Domestic Violence in Kurdistan. www.kurdishaspect.com/doc072411RM.html 5 UNHCR, 2011: 2010 Country Reports on Human Rights Practices – Iraq. www.unhcr.org/refworld/docid/4da56dbcc.html 6 Weiteres zu meiner Biographie findet sich in meinem Buch von 2009: Zwischen zwei Welten. Die Geschichte einer Jesidin in Deutschland. Berlin: Pro Business.
2 Al-Khayyat, Sana, 1991: Ehre und Schande. Frauen im Irak. München: Kunstmann, S. 218 f. 3 Bericht der Heinrich-Böll-Stiftung: Iraqi Women and the National Personal Status Law. www.boell-meo.org/web/52-263.html 27
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Delegationsgruppe in Lalish Foto: Julia Neuhof Jesiden. Es ist von mehreren Hügeln umgeben, und um das Grab sind im Lauf der Zeit mehrere Stein- und Lehmhäuser gebaut worden. Am Taleingang liegt die „Brücke der Begrüßung“ (pira selav): wenn ein Jeside sie erreicht, entledigt er sich der Schuhe und Strümpfe und geht barfuß weiter, da er heiligen Boden betritt. Auch wir beugten uns, trotz Regen, dem ehrwürdigen Brauch.
Mit einigen Freunden der Reisegruppe fuhren wir mit dem Bus von Hasankeyf in Richtung Oğuz los. Ich war sehr aufgeregt und mir durchaus nicht sicher, ob ich das Dorf überhaupt noch wiedererkennen würde. Doch schon in beträchtlicher Entfernung vor dem Dorf erkannte ich die Wasserquelle wieder, wo wir einst das Xidir-EliasFest gefeiert und das klare Wasser geschlürft haben, um den Durst zu stillen, der zuerst beim rituellen Fasten und dann nach dem Salzgebäckkauen entstanden war.
Archäologen stießen Anfang des vorigen Jahrhunderts auf eine Tontafel in chaldäischer Schrift, aus der hervorgeht, dass Lalisch vor der Zeit Scheich Adis eine christliche Kirche oder ein Kloster war, wofür auch die nestorianische Architektur der Gebäude spricht. An den Mauern sind jedoch Symbole zu erkennen, die vermuten lassen, dass Lalisch vorher Stätte eines heidnischen Kultes (vielleicht des Mithra) war. Der Ort steht unter dem Schutz des Parlaments im kurdischen Autonomiegebiet und wird von ihm unterhalten.
Im Dorf selbst fand ich natürlich leicht den Dorfbrunnen, der sich ganz in der Nähe meines Elternhauses befindet. Eigentlich ist es nur eine ummauerte Pfütze, die von einem Bach aus den Bergen gespeist wird. Für die Dorfjugend war es ein beliebter Treffpunkt, bei dem wir unsere Spiele und kleinen Kämpfe austrugen. Der Besuch des Friedhofs weckte wehmütige Gefühle. Nach meinem Glauben sind die Gestorbenen nicht wirklich tot. Jedes Jahr soll man sie einmal auf dem Friedhof besuchen und ihnen Nahrung für ihre Existenz in der Unterwelt reichen. Und was haben wir: meine Mutter, mein Bruder, meine Schwestern und ich gemacht? Wir haben die Gräber der Vorfahren verlassen und uns nach dem Westen aufgemacht um der Entfaltungsmöglichkeiten und der besser bezahlten Arbeit willen. Als wir nach einer Stunde vom Dorf wieder wegfuhren, habe ich bitterlich geweint.
In Mithras-Kult spielt die Schlange eine symbolische Rolle für Kosmos und Tierkreis. Sie ist ein Weg, über den Sonne und Mond fahren. Auch die Sonne und der Mond markieren ein Ziel in ihren Fahrten. Daher ist der Tierkreis ein Symbol der Zeit. Bei den Jesiden ist die Schlange (besonders die schwarze) ein heiliges Tier; sie ist zugleich das Totemtier einer Kaste. Die Mitglieder der Kaste ScheichMend sind die Naturheiler der Jesiden. Sollte ein Jeside von einer Schlange gebissen worden sein, konnte er nur durch das Gebet eines Mitgliedes dieser Kaste und dessen Speichel auf der Wunde geheilt werden. Die Ikone der Schlange steht seit sehr weit zurückliegender Zeit am Ausgang des Scheich-Adi-Tempels in Lalisch.
Mein Vater war nicht streng religiös, sondern eher liberal gesonnen. Zwar stammte sein Jenseitsbruder aus Lalisch, doch von einer Pilgerreise dahin hielt er nicht allzu viel. Er meinte, um ein guter Jeside zu sein, sei es wichtiger, das Geld den Armen zu geben.
Die Gemeinschaft der Jesiden ist in einer streng hierarchisierten und erblichen Sozialstruktur organisiert. Ihre Stämme gehören zu zwei großen Kasten, zwischen denen niemals ein Wechsel oder Aufstieg möglich ist: Laien (kurdisch: Mirid) und geistliche Würdenträger (kurdisch: Ruchan). Unter den letzteren werden weitere fünf Gruppen
Lalisch, meine geistliche Heimat, liegt im heutigen Irak, etwa 60 km nördlich von Dohuk in einem Tal (auf 930 Meter ü. d. M.). Hier befindet sich mit der Grabstätte Scheich Adis das zentrale Heiligtum der 28
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unterschieden: Mir, Pir, Fakir und Kaual. Jeder Mirid ist einem Scheich- und Pirverbund, einem Lehrer (Hosta), einem Erzieher (Mirebbi) sowie einem Jenseitsbruder beziehungsweise einer Jenseitsschwester zugeordnet. Unter den Kasten dürfen keine Heiraten stattfinden. Als Jeside wird man geboren, eine Konversion ist unmöglich.
Gottes drei Runden um ein Feuer kreisen. Anschließend wird wieder Simat gereicht. Die bei dieser Aufführung auftretenden sieben Engel werden von den Würdenträgern gespielt. Nach einigen jesidischen Mythen hat Gott die Engel (kurd.: melek = Engel) aus Lichtsubstanz erschaffen, nach anderen sind sie zusammen mit ihm aus dem Welten-Ei hervorgetreten. Daher glauben die Jesiden, dass Tausi-Melek Vertreter Gottes auf Erden sei, der einmal im Jahr zu den Menschen herabsteigt, und zwar am ersten Mittwoch im Monat April. Er, nicht der Schöpfergott Chodeh (Xwedê), ist die Zentralfigur.
Bei allen Feierlichkeiten und religiösen Anlässen in Lalisch sind Kauals (als Erzähler religiöser Gedichte, Mythen und Sagen) anwesend und nehmen eine wichtige Funktion ein. Dabei verfahren sie wie folgt: Vor Sonnenaufgang wird das religiöse Lied Beyta Jindi (Beyta Cindî) in Begleitung des Def und Schibab gespielt. Sie fordern die Jesiden auf aufzuwachen und rufen zum Gebet auf. Mit Sonnenaufgang singen die Kauals das Morgengebet (Di‛a Sibê). Anschließend wird ein religiöser Marsch gespielt. Bevor das Simat (religiöses Essen aus Getreide), das in der Küche Scheich Adi’s gefertigt wurde, im Hof gegessen wird, spielt ein Kaual mit der Schibab eine kurze Melodie. Vor Sonnenuntergang wird das Abendgebet (Beyta Êvarê) verrichtet. Es kommt auch vor, dass andere heilige Texte gesungen werden.
Aufnahme kurdischer Flüchtlinge aus Syrien in Nordirak und Ost – Türkei von Sigrid Ebritsch
Am Abend, wenn die Jesiden sich sammeln, beginnt der Begê Sinceqan mit dem Mischabet. Danach wird das religiöse Theaterstück Sema mit der musikalischen Begleitung der Kauals aufgeführt. Bei dieser religiösen Zeremonie sind die bedeutendsten religiösen Würdenträger anwesend, wie der Baba-Scheich und der Peschimam. Sieben dieser Würdenträger spielen die Rolle der Engel, die zu Ehren
Eigentlich stand das Thema ‚kurdisch-syrische Flüchtlinge‘ nicht unbedingt auf dem Plan der diesjährigen Reise. Aber wenn man wie wir in diesem Jahr in die Autonome Region Kurdistan in den Nordirak fährt und außerdem türkisch-syrische Grenzstädte wie Nusaybin und Ceylanpinar besucht, wird man mit dem Flüchtlingselend, das der Bürgerkrieg in Syrien verursacht, ständig konfrontiert.
Am Schlangentor Foto: Sigrid Ebrischt
Flüchtlingscamp „Domis Camp“ So führte uns unser Weg im Nordirak zu dem großen Flüchtlingscamp „Domis Camp“ südlich von Dohuk. Ein riesiges Areal von UNHCR-Zelten, mit blauem Plastik überspannt, erwartete uns. Leider war unser spontaner Besuch nicht angemeldet, so dass uns vor Ort keine Gesprächspartner erwarteten. Trotz unseres Überraschungsbesuchs gaben uns einige Männer von der Lagerleitung bereitwillig Auskunft. Seit acht Monaten (August 2012) werden hier in der irakisch-kurdischen Schutzzone hauptsächlich kurdische Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Täglich kommen ca. 1.000 neue Flüchtlinge, teils mit ihrer Habe in eigenen Kraftfahrzeugen oder mit Taxen aus dem ca. 100 km entfernten Kriegsgebiet der kurdischen Regionen in Syrien. 70.000 Flüchtlinge waren es bei unserem Besuch, ein großer Anteil von ihnen Kinder. Die Verwaltung liegt bei der Stadt Dohuk. Alle Flüchtlinge werden registriert und können so an allen Leistungen, die im Lager angeboten werden, teilhaben (Verpflegung, Gesundheitsversorgung, rechtlicher Beistand). Für Kinder und Jugendliche sind zwei Lagerschulen eingerichtet. Demnächst soll auch ein mobiles Team von Psychotherapeuten für Trauma– und Folteropfer aus dem nahen Dohuk seine Arbeit aufnehmen (Bericht über das Kirkuk Behandlungszentren für Folteropfer von Julia Neuhof, S. 24). Die Flüchtlinge dürfen – anders als aus vielen türkischen Flüchtlingscamps für syrische Flüchtlinge bekannt – das Lager jederzeit verlassen, um zum Beispiel Arbeitsmöglichkeiten wahrzunehmen oder eine Weiterreise zu organisieren. Mitarbeiter des UNHCR sind vor29
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Domis Camp für kurdische Flüchtlinge aus Syrien Foto: Mehmet Bayval
mittags im Lager präsent, aber über ihre Arbeit und ein eventuell bestehendes Aufenthaltssystem konnten wir nichts erfahren. Uns beeindruckte bei unserem Kurzbesuch, wie selbstverständlich und ohne Klagen über die mit Sicherheit großen Schwierigkeiten, die die Aufnahme einer so großen Zahl von Flüchtlingen mit sich bringt, dieses Lager geführt wird. Allerdings ist bei einem weiteren Zustrom von (kurdischen) Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien ein weiteres Flüchtlingscamp in der Nähe von Erbil geplant.
wandten. Die Stadtverwaltung versorgt sie so gut es geht. Hilfe aus Ankara gibt es keine. Unsere bescheidene Spende mit der überwiegend Babyartikel gekauft werden, wird dankbar angenommen. Flüchtlinge in Ceylanpınar In der Stadt Ceylanpınar (46.000 Einwohner), die auf der syrischen Seite Ra‛s al Ain heißt und durch die ehemalige Bagdad-Bahn getrennt wird, erwartet uns Bürgermeister İsmail Arslan (BDP). Er berichtet, dass zurzeit 8.000 kurdische Flüchtlinge in der Stadt ohne staatliche und internationale Hilfe von der Stadtverwaltung Ceylanpınar und von türkischen/kurdischen Verwandten versorgt werden. In der syrischen Stadthälfte Ra‛s al Ain sind die 35.000 Einwohner geflohen, so dass dort nur noch militärische Einheiten vorhanden sind. Als es im Oktober 2012 zu einem Bombardement an der Grenze kam, flohen viele Araber und Kurden auf die türkische Seite. Inzwischen wird die Grenze zu Syrien, genau wie in Nusaybin, vom Gouverneur kontrolliert und ist in der Regel geschlossen. In der Nähe von Akçakale Provinz Urfa zwölf Kilometer westlich von Ceylanpınar, hat der türkische Staat ein Flüchtlingscamp für 3.000 syrisch-arabische Flüchtlinge eingerichtet. Kurdische Flüchtlinge werden dort nicht aufgenommen. Aus diesem Grund fordert die BDP für Ceylanpınar ein Flüchtlingslager mit staatlicher Hilfe für kurdische Flüchtlinge aus Syrien.
Flüchtlinge in Nusaybin In der Türkei führt uns unsere Fahrt in die Grenzstadt Nusaybin (50.000 Einwohner). Die Bürgermeisterin Frau Ayşa Gökkan (BDP) empfängt uns und berichtet von der dramatischen Situation der kurdsichen Zivilbevölkerung in Syrien auf der anderen Seite der Grenze. Der Grenzstadt Qamishli – mit ihren 500.000 Einwohnern die größte Stadt in den kurdischen Gebieten Syriens – droht eine soziale und medizinische menschliche Katastrophe. Da die Grenze Nusaybin – Qamishli vom türkischen Staat geschlossen wurde, können keine regelmäßigen Hilfsgüter ins kurdisch-syrische Gebiet gebracht werden. Der Stadtverwaltung Nusaybin wurde erst nach heftigen Protesten gegenüber dem Staat erlaubt, einmal pro Woche 10 - 15 Lastwagen mit Hilfsgütern nach Qamishli zu bringen. Dies ist angesichts der dramatischen Situation auf syrischer Seite ein Tropfen auf den heißen Stein. Es drohen Seuchen wie Cholera und Typhus auszubrechen, und es besteht die Gefahr einer Wasserverseuchung. Am 12. April 2013 appellierte die Gesellschaft für bedrohte Völker (Göttingen) an die Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass die benötigten medizinischen Güter in die Türkei geflogen werden und dort nach Qamishli transportiert würden, sonst drohe ca. 5.000 Dialysepatienten ohne Medikamente ein langsames Sterben.7 In der Stadt Nusaybin leben ca. 10.000 kurdische Flüchtlinge, z.T. bei ihren Ver-
Während mehrere 10.000 syrisch-arabische Flüchtlinge in der Türkei in verschiedenen Flüchtlingscamps Aufnahme, Verpflegung und medizinische Versorgung finden, bleibt es für syrisch-kurdische Flüchtlinge unmöglich, staatliche Hilfen zu bekommen, so dass die kurdischen Stadtverwaltungen mit ihren gering zur Verfügung stehenden Mitteln die kurdische Flüchtlinge versorgen und sie zum Teil bei Verwandten oder Stadtbewohnern unterbringen müssen. Dies ist oft nur möglich, weil die Grenze zwischen der Ost–Türkei und Syrien mitten durch die kurdischen Siedlungsgebiete geht und fast alle Familien Verwandte auf der jeweils anderen Seite haben. Unsere Gesprächspartner machten deutlich, dass eine offizielle Aufnahme von
7 GfbV, 2013: Hilferuf aus Qamishli/Syrien. Medizinischer Versorgungsengpass in Syrien – Dialyse-Patienten droht langsames Sterben. www.gfbv.de/pressemit.php?id=3488 30
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Berichte
kurdischen Flüchtlingen aus Syrien in den überwiegend von Kurden besiedelten Süd–Osten der Türkei vom Staat unterbunden werden soll.
bei der es zahlreiche Tote und Verletzte gab und die in kurzer Zeit zur Flucht fast aller zivilen Bewohner aus dem benachbarten Ras al-Ayn führte. Etwa 8.000 Menschen kamen bei Verwandten in Ceylanpinar unter, weitere 20.000 mussten außerhalb der Stadt in einem Flüchtlingslager versorgt werden. Die türkische Regierung leiste nur niederschwellige Hilfe, erklärte der Bürgermeister, und dies nur auf gesundheitlichem Gebiet bzw. durch Spenden der Hilfsorganisation Roten Halbmond. Aber durch das neue Auftreten syrisch-kurdischer Milizen9 in der Region sei seit dem letzten Herbst eine erhöhte türkische Militärpräsenz im Grenzgebiet zu beobachten.
Ceylanpınar (Kreisstadt an der syrischen Grenze) von Eva Klippenstein
Eröffnet die kurdische Partei PYD eine dritte Front im syrischen Krieg? Die Orientierung der syrischen Kurden in dem seit Anfang 2011 herrschenden Aufstand bleibt undurchsichtig; einerseits bilden sie die stärkste Gruppe unter den nicht-arabischen Minderheiten, andererseits waren sie jahrzehntelang systematischen Diskriminierungen gegenüber Arabern in Form von Zwangsumsiedlungen und Enteignungen sowie Ausbürgerungen ausgesetzt10, aber dessen ungeachtet gebärden sie sich quasi loyal gegenüber dem Assad-Regime. Liegt das an ihrer Abhängigkeit von der PKK oder an der politischen Zerstrittenheit der PYD mit den anderen Kurdenparteien?
Nachmittag des 18. März: Von Nusaybin geht die Fahrt durch ebenes grünes Land entlang der türkisch-syrischen Grenze. Die Gegend ist fast menschenleer, die kaum bewachten Grenzbefestigungen lassen vergessen, dass hier Krieg ist. Da sich im Rathaus beim BDP-Bürgermeister İsmail Arslan die ausländischen Delegationen buchstäblich die Klinke in die Hand geben, wird die Instruktion anhand einer Video-Schau zügig abgewickelt: Als ehemals zur Staatsdomäne erklärtes „Sultansland“ befand sich die fruchtbare Gegend seit dem 17. Jahrhundert in der Hand des Fiskus, letzter Besitzer war Ibrahim Paşa. Im Jahr 1982 hatte dann der Putschgeneral Kenan Evren auf der Domäne afghanische Flüchtlinge angesiedelt. Diesen wurde – im Unterschied zur ansässigen Bevölkerung –auch Land rechtmäßig überschrieben, während den kurdischen Bewohnern aufgrund eines Gesetzes aus dem Jahr 2007 erst nach 20-jähriger Bearbeitung mit einer grundbuchmäßigen Überschreibung rechnen können. Die Stadt, die ehemals Serikâni hieß, wurde nach dem ersten Weltkrieg in Ceylanpınar und Ras al-Ayn zweigeteilt8; noch immer bestehen intensive familiäre Beziehungen zwischen den Bewohnern diesseits und jenseits der Landesgrenze. In der Kreisstadt Ceylanpınar leben überwiegend Kurden.
Frauen in der Osttürkei: Eindrücke vom März 2013 von Christa Blum Gleich zu Beginn der Reise nahmen wir anlässlich des Internationalen Frauentags in Istanbul im Stadtteil Kadiköy an einer riesigen Frauendemonstration teil. Die sehr verschiedenen Frauengruppen, die sich an der Demonstration beteiligten, ergaben ein lautes und buntes Bild. Wir hörten selbstbewusste Parolen („Wir wollen nicht 2,3,4 Kinder – wir wollen Arbeit!“) oder sahen Banner, die sich gegen Gewalt an Frauen richteten („Fass meinen Körper nicht an!“).
Die syrischen Kurden haben sich bis Ende 2012 nicht am Aufstand beteiligt, nach Kenntnis von Eingeweihten aufgrund bestehender alter Bande zwischen der PKK, ihrem Führer Öcalan und dem syrischen Regime. Es soll sogar eine Übereinkunft bestanden haben zwischen Assad und der PKK sowie ihrem syrischen Ableger der PYD (Partiya Yeketiya Demokrat), das Militär aus den kurdischen Zonen im Nordosten zurückzuziehen, um eine zweite Front mit den Kurden zu vermeiden.
Im Südosten der Türkei besuchten wir die Zentren zweier Frauenorganisationen: Frauenzentrum KAMER in Urfa
Im Oktober 2012 war es entgegen dieser geheimen Absprachen aber zu Kämpfen kurdischer Milizen in der Region gekommen, allerdings nicht gegen syrisches Militär, sondern gegen die islamistischen Kämpfer der Freien Syrischen Armee, die aus der Türkei kommend in Syrien eingedrungen waren. Drei Monate dauerte die Belagerung,
Bei der Organisation KAMER11 in Urfa sprachen wir mit Gülseran Kaplan, die seit drei Jahren für die Zweigstelle in Urfa verantwortlich 9 Ein Drittel davon sind Araber, hauptsächlich syrische Mahalmi. 10 Als adschanib (registrierte) bzw. maktumin (unregistrierte) Staatenlose konnten sie weder Grundstücke noch berufliche Zertifikate erwerben, erben oder vererben, sondern galten als „illegale Eindringlinge“ (KurdWatch 2010: Staatenlose Kurden in Syrien. Illegale Eindringlinge oder Opfer nationaler Politik?). 11 Der Name KAMER ergibt sich aus dem türkischen Wort für Frauenzentrum: Kadin Merkezi.
8 Im Vertrag von Lausanne wurde die Grenze zwischen Syrien und der Türkei entlang der Eisenbahnstraße der Bagdadbahn zwischen Karkarmış (Dscharablus) und Nusaybin festgelegt, wobei der Türkei das Streckengleis zufiel, während die Bahngebäude an Syrien gingen (http://de.wikipedia.org/wiki/Bagdadbahn). 31
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Frauendemo anlässlich des Internationalen Frauentags in Istanbul Foto: Julia Neuhof
einige als Andenken) und bei der sie ihre Erfahrungen austauschen können. Demnächst wird es ein Projekt zum Erlernen des Backens von dünnem Brot geben.
ist. Die Arbeit von KAMER kannten wir bereits aus anderen Städten aus den früheren Jahren. Die Mitarbeiterinnen suchen Frauen in ihren Häusern auf und fragen dort nach häuslicher Gewalt in der Familie und nach Behinderten, um sie bezüglich ihrer Rechte zu informieren. Die Projekte laufen jeweils über fünf Jahre.
Ein großes Problem sei, dass die Frauen ihre Rechte nicht kennen und als „Gewalt“ nur „grobe Gewalt“ verstehen würden. Ein Rechtsanwalt berät, wenn eine Frau sich scheiden lassen will. Ein aktuelles Problem ist die Zunahme der Mehrehen durch den Krieg in Syrien. Viele Männer suchen sich als Zweitfrau eine Flüchtlingsfrau aus Syrien. Die syrischen Flüchtlinge dürfen zwar arbeiten, aber „wenn wir in die Viertel gehen, wo sie wohnen, haben fast alle keine Arbeit.“ Wir fragten nach den Möglichkeiten eines Schwangerschaftsabbruches. Dies ist bei KAMER kein Thema und Gülseran Kaplan zeigte sich verunsichert über die Rechtslage. Wir erfuhren später, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht verboten sind.
In den letzten fünf Jahren hat KAMER in 23 Bezirken, vorwiegend in sogenannten ‚Problemvierteln‘, 80.000 Familien besucht und über 50.000 Einzelgespräche geführt. Sie erfassten Daten von ca. 2.500 Frauen und stellten diese auch dem Sozialministerium zur Verfügung. Unter anderem lieferte die Befragung folgende Ergebnisse: »» 20 % der Mädchen sind bei der Heirat unter 15 Jahre, 29 % Mädchen sind zwischen 16 - 17 Jahre, 68 % der Hochzeiten werden durch die Eltern arrangiert, 87 % sind Verwandtschaftsehen und 4,3 % Tauschehen. »» In 6,4 % der Familien leben Behinderte, davon bekommen 45 % keine Hilfen. »» 8.961 Frauen haben sich bei KAMER wegen Gewalt oder Bedrohung gemeldet, davon waren 63 % durch Gewalt in der Familie betroffen und 1,8 % befürchteten „Ehrenmorde“. »» Ein Drittel der Frauen konnte nicht lesen und schreiben, 12,5 % haben ohne Schule lesen und schreiben gelernt, 29 % haben die Grundschule besucht, 3 % haben einen Universitätsabschluss. »» 7 % haben Eigentum auf ihren eigenen Namen (2002 waren es 0 %). »» 87,5 % haben keine Arbeit und kein eigenes Einkommen. »» 6 % haben kein eigenes Geld, 28 % weniger als 500 Lira (ca. 250 Euro) und 41 % mehr als 1000 Lira (ca. 500 Euro) für die Familie zur Verfügung.
Besonders große Probleme seien in Familien vorhanden, die von Saisonarbeit leben, zum Beispiel von Baumwoll- oder zur Haselnussernte, und dafür den Heimatort verlassen müssen. Circa neun Monate pro Jahr leben sie unter ärmlichen Bedingungen fern ihrer Heimat an der Arbeitsstelle. Die Kinder (oft schon 7-Jährige) werden als volle Arbeitskraft eingesetzt, unter ihnen sind besonders viele Analphabeten. In manchen Fällen bleiben die Söhne der arbeitsmigrierenden Familien alleine oder mit einem Bruder zu Hause zurück und gehen in die Schule. Viele Eltern finden es nicht so wichtig, wenn die Mädchen ohne Ausbildung bleiben. KAMER hat ein Projekt begonnen, bei dem die Kinder in den übrigbleibenden drei Monaten 1:1 unterrichtet werden (Etip Projekt). Frauenzentrum Kardelen in Diyarbakir
Aufgrund der feudalen Strukturen können die Frauen meist keiner geregelten Arbeit nachgehen. Außerhalb der aufsuchenden Arbeit macht KAMER daher auch Gruppenarbeit mit Frauen, bei der sie zum Beispiel Handarbeiten herstellen, die verkauft werden (wir kauften
In Diyarbakir sprachen wir mit der Sozialarbeiterin Dilek Erol von der Frauenorganisation Kardelen. Sie spricht deutsch und war fünf Monate in Berlin. Außerdem beteiligte sich ihre Kollegin Gülistan Zengin (Soziologiestudentin) an dem Gespräch. 32
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Berichte
Zum Thema Schwangerschaftsabbruch erklärte uns Dilek Erol, dass die Gesellschaft denke, Schwangerschaftsabbruch sei verboten. Dies sei zwar nicht so, aber die Frau benötige die Zustimmung des Ehemannes. Die Mitarbeiterinnen haben sich kürzlich juristisch zu dem Thema beraten lassen. Die Gesellschaft lehne Schwangerschaftsabbrüche weitgehend ab, auch nach Vergewaltigungen, und die Regierung bezeichnete den Abbruch als Sünde.
Die verschiedenen Stadtteil-Frauenzentren von Kardelen verstehen ihre Arbeit in Zusammenhang mit anderen Stadtteilinitiativen, die das Ziel haben, eine demokratische Transformation der Gesellschaft zu erreichen. Es geht nicht nur um direkte Hilfe der Frauen, sondern um eine Änderung der Gesellschaft wie Förderung von ökologischen Aspekten und das Angehen gegen faschistische Strukturen. Sie empfinden ihre Arbeit als weitaus politischer als die von KAMER. Ihrer Arbeit unterliegen folgende Grundannahmen: Die Frauen werden durch den Staat, die feudalen Strukturen und die Familie benachteiligt. In der Männergesellschaft gibt es nicht genug Schutz für Frauen. Politiker und staatliche Sicherheitsbeamte erkennen die Gefahr von Frauen nicht wirklich an. Die Polizei schickt die Frauen, die Hilfe erhoffen, oft nach Hause.
Besuch bei der Bürgermeisterin von Nusaybin Außerdem besuchten wir die Bürgermeisterin von Nusaybin Ayşe Gökkan. Diese freute sich, dass unsere Delegation aus so vielen Frauen besteht. Sie berichtete uns, dass die BDP als größte Partei der Kurden beschlossen habe, dass in allen BDP-regierten Städten der Frauenanteil bei öffentlichen Ämtern mindestens 40 % betragen soll. Elf der kurdischen Abgeordneten in Ankara sind Frauen, unter den kurdischen Bürgermeistern gibt es 14 Frauen – vier davon sind derzeit in Haft. Insgesamt sind derzeit 500 Frauen in führenden Positionen verhaftet.
Kardelen ist in Diyarbakir in zwei Gebäuden tätig – in einem „Frauenhaus“ und in einem „Frauenzentrum“. Das Frauenhaus hat vor sechs Monaten eröffnet und ist Anlaufpunkt für Frauen mit Gewalterfahrung (sexuelle, physische und psychische Gewalt, wirtschaftliche Not) oder für Frauen, die um ihr Leben fürchten. Aufnahme und Beratung geschieht durch eine Psychologin. Jungen werden bis zu einem Alter von zwölf Jahren aufgenommen, bei Mädchen in Begleitung der Mutter gibt es keine Altersbeschränkung. Es gibt folgende Mitarbeiter: ein Fahrer, eine Soziologin, eine Sozialarbeiterin, eine Köchin und für die Nacht ein Sicherheitsmann. Zweimal pro Woche kommt eine Erziehungsberaterin und führt Gespräche zum Thema Vermeidung von Gewalt an Kindern. Es wird auch juristische Beratung angeboten und Vermittlung gesundheitlicher Versorgung, da die Frauen oft verletzt sind. Außerdem gibt es Beratungen zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft (Evaluierung der individuellen Bedrohung). Für die Kinder gibt es Unterricht, um sie vor der Gefahr der Entführung vor dem Schulgebäude zu schützen. Insgesamt gibt es in Diyarbakir drei Frauenhäuser mit jeweils zwölf Plätzen, die Kinder mit einbezogen.
Ayşe Gökkan erläutert uns die Wurzeln der weiblichen Emanzipation der Kurden: Durch die lange Zeit der Unterdrückung durch den Staat entstand auch bei den Frauen das Bedürfnis, sich zu wehren und sie schlossen sich dem militärischen Kampf der PKK an. Dies ging einher mit dem generellen Wunsch nach Emanzipation von Männern, von denen sie sich in einer unterdrückten Position gehalten fühlten. Die Männer haben diese Entwicklung mitgetragen, weil sie erkannten, dass die schwache Position einer Frau auch ihnen als Gesellschaft in ihrem Kampf gegen Unterdrückung schadet. So hat man ihnen zum Beispiel in Verhören gedroht, ihren Frauen und Töchtern Gewalt anzutun, wenn sie nicht reden. Als die Frauen sich nach dem Militärputsch im Jahr 1980 dem bewaffneten Kampf anschlossen, konnten solche Drohungen nicht mehr so stark greifen. „Die Männer mussten sich verändern und sie haben sich verändert“… ein schönes Schlusswort.
Das Frauenzentrum bietet eine offene Beratungsstelle, Seminare und Kurse an. So zum Beispiel Näh- und Handarbeitskurse oder in einem anderen Zentrum Kurse mit Musikinstrumenten und zur Stimmbildung. Es werden Seminare zu den Themen Sexualität, Gesundheit, Rolle der Frau, Kindererziehung (Vorbeugung der Gewalt an Kindern) oder politische Bildung durchgeführt und es gibt Folkloregruppen. In anderen Stadtteilen gibt es auch Sportangebote für Frauen. Die Frauen können in Gruppen lernen die gesellschaftliche Akzeptanz der Gewalt in Frage zu stellen. Neben rechtlicher Beratung wird auch versucht mit Öffentlichkeitsarbeit und Druckausübung auf die Regierung die juristische Verfolgung von Ehrenmorden zu erreichen – zum Beispiel durch Verabschiedung schärferer Gesetze. Vor drei Jahren wurde der Arbeitskreis „Wir stoppen die Ehrenmorde“ eingerichtet. Das Frauenzentrum beteiligt sich jährlich an Veranstaltungen am 25. November – dem Tag des Protestes gegen Gewalt an Frauen – und sie beteiligen sich an den Treffen der Samstagsmütter.
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Newroz Am 19.3.2013 waren wir in Urfa beim Newrozfest dabei. Der Festplatz war eingezäunt und engmaschig von der Polizei umstellt und bewacht. Alle Festplatzbesucher mussten, nach Geschlecht getrennt, eine Sicherheitsschleuse passieren. Hier wurden etliche Pässe kontrolliert und fotografiert und auch Personenfotos angefertigt. Insgesamt war ein enormes Polizeiaufgebot vor Ort. Menschen strömten in Scharen fröhlich und ausgelassen zum Festplatz, die Frauen zum Teil in farbenfrohen und glitzernden Kleidern, überall waren die kurdischen Farben zu sehen, auf Tüchern, Schärpen und Ansteckern. Wir und anderer ausländische Gäste wurden überall freudig begrüßt und willkommen geheißen. Jung und Alt wollten gemeinsam mit uns fotografiert werden. Eine warmherzige Freude beherrschte die Stimmung. Auch zu uns sprangen die Funken der Freude und Fröhlichkeit herüber und die Traurigkeit und Bedrückung über die vielen Repressalien und Inhaftierungen konnte vorübergehend überdeckt werden. Unsere Anwesenheit wurde sehr freudig begrüßt und als Anteilnahme anerkannt. Bei diesem politischen Volksfest zeigte sich der entschlossene Wunsch nach Frieden und Freiheit.
Fotos: Sigrid Ebritsch, Gisela Penteker und Julia Neuhof
Da bekannt war, dass eine politische Botschaft von Öcalan auf dem Newrozfest in Diyarbakir am 21.3.2013 verlesen werden sollte, wurde in der Türkei dazu aufgerufen, in möglichst großer Zahl auch dorthin zu kommen. Und tatsächlich: Die Menschen strömten in Scharen. Überfüllte Busse und Autos kamen, z.T. von weit her, die Linienbusse fuhren pausenlos und kostenlos, auch wir drängten uns hinein. Polizei war kaum zu sehen und es gab auch keine Kontrollen. Bei strahlendem Sonnenschein hörten Jung und Alt den Rednern zu, machten Picknick und feierten. Mit Spannung wurde die ÖcalanBotschaft erwartet; nach der Verlesung waren viel Zuspruch, Freude, Hoffnung, aber auch verhaltene Skepsis zu spüren. Die Kurden wollen und können nicht mehr enttäuscht werden. 34
BERICHT 2013
Öcalans historische Erklärung
Heute wachen wir in einer neuen Türkei, einem neuen Mittleren Osten auf und sehen in eine neue Zukunft. Jugend, die meinem Ruf folgen will; Frauen, die meine Botschaft in ihr Herz lassen; Freunde, die meine Worte respektieren; Menschen, die mich anhören wollen: Heute beginnt einen neue Ära. Eine Tür öffnet sich von der Phase des bewaffneten Widerstands zur Phase der demokratischen Politik.
Öcalans historische Erklärung zu Newroz 2013 Ich gratuliere zum Newrozfest der Freiheit der Unterdrückten. Ich grüße die Völker des Mittleren Ostens und Zentralasiens, die Newroz, den Tag des Erwachens und des neuen Lebens, gemeinsam und in großer Zahl feiern. Gegrüßt seien die Geschwistervölker, die Newroz, das Licht und den Beginn einer neuen Ära, mit Begeisterung und in demokratischer Toleranz feiern. Gegrüßt seien alle, denen demokratische Rechte, Freiheit und Gleichheit auf ihrer langen Reise den Weg weisen. Euch grüßen von den Hängen von Zagros und Taurus, aus den Tälern von Euphrat und Tigris die Kurden, eines der ältesten der antiken Völker, das in Anatolien und Mesopotamien die Landwirtschaft, die dörfliche und die städtische Zivilisation hervorgebracht hat.
Es beginnt eine Ära, die sich vorwiegend um Politik, Soziales und Wirtschaft dreht; es entwickelt sich ein Denken, das auf demokratischen Rechten, Freiheit und Gleichheit beruht. Wir haben Jahrzehnte unseres Lebens für dieses Volk geopfert und einen großen Preis gezahlt. Keines dieser Opfer, keiner dieser Kämpfe war umsonst. Die Kurden haben zu sich selbst zurückgefunden und ihre Identität zurückgewonnen. Wir sind an dem Punkt zu sagen: Die Waffen sollen endlich schweigen, Gedanken und Politik sollen sprechen. Das Paradigma der Moderne von Ignoranz, Verleugnung und Ausgrenzung ist zerschlagen. Ob Türken, Kurden, Lasen oder Tscherkessen – die Menschen bluten und mit ihnen blutet das Land.
Die Kurden haben mit Angehörigen anderer Völker, Religionen und Konfessionen Tausende von Jahren freundschaftlich und geschwisterlich zusammen in diesen Zivilisationen gelebt und sie gestaltet. Für sie sind die Flüsse Euphrat und Tigris die Geschwister von Sakarya und Mariza, die Berge Ararat und Dschudi sind die Freunde von Pontus und Erciyes. Die Tänze Halay und Delilo sind die Verwandten von Horon und Zeybek.
Vor Millionen von Zeugen, die diesen Aufruf hören, sage ich: Endlich beginnt eine neue Ära, nicht die Waffen, sondern die demokratische Politik wird im Vordergrund stehen. Die Zeit ist gekommen, unsere bewaffneten Kräfte hinter die Grenze zurückzuziehen. Ich bin der Überzeugung, dass alle, die an unsere Sache glauben und mir vertrauen, in höchstem Maße auf den sensiblen Charakter dieses Prozesses Rücksicht nehmen werden.
Diese großen Zivilisationen, diese verschwisterten Gemeinschaften wurden durch politischen Druck, Interventionen von außen und Partikularinteressen gegeneinander ausgespielt. Ordnungen wurden errichtet, die nicht auf Recht und Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit aufgebaut waren. Die Eroberungskriege der letzten 200 Jahre, die imperialistischen Interventionen des Westens und repressives und ignorantes Denken hatten zum Ziel, arabische, türkische, persische und kurdische Gemeinschaften durch Mikro-Nationalstaaten, künstliche Grenzen und künstliche Probleme zu ersticken.
Dies ist kein Ende, sondern ein Neubeginn. Der Kampf ist nicht zu Ende, sondern ein neuer, anderer Kampf beginnt. Ethnisch reine und mono-nationale Gebiete zu schaffen, ist eine unmenschliche Praxis der Moderne, die unseren Wurzeln und unserer Identität widerspricht. Um ein Land zu schaffen, das der Geschichte Kurdistans und Anatoliens würdig ist und das allen Völkern einschließlich der Kurden Gleichheit, Freiheit und Demokratie bietet, kommt allen eine große Verantwortung zu. Ich rufe anlässlich dieses Newrozfestes genauso wie die Kurden auch die Armenier, Türkmenen, Aramäer, Araber und alle anderen Völker dazu auf, das Licht der Freiheit und Gleichheit, das aus den heute angezündeten Feuern leuchtet, auch als ihr eigenes Licht der Freiheit und Gleichheit zu betrachten.
Die Zeit der Kolonialregime, des repressiven und ignoranten Denkens ist abgelaufen. Die Völker des Mittleren Ostens und Zentralasiens wachen endlich auf. Sie wenden sich einander und ihren Wurzeln zu. Sie wollen nicht mehr verblendet und in Kriegen aufeinander gehetzt werden. Die Menschen, vom Feuer von Newroz ergriffen, füllen zu Hunderttausenden und Millionen die Plätze und wollen endlich Frieden, Geschwisterlichkeit und eine Lösung.
Verehrtes Volk der Türkei, das türkische Volk, das in der Türkei, dem antiken Anatolien, lebt, soll wissen, dass das beinahe tausendjährige Zusammenleben mit den Türken unter der Flagge des Islam auf dem Gesetz von Geschwisterlichkeit und Solidarität beruht. In diesem Gesetz der Geschwisterlichkeit in seiner wahren Bedeutung ist kein Platz und darf kein Platz sein für Eroberung, Verleugnung, Zurückweisung, Zwangsassimilation und Vernichtung.
Durch diesen Kampf, der mit meinem individuellen Aufstand gegen die Ausweglosigkeit, in die ich geboren wurde, gegen Ignoranz und Knechtschaft begann, wollte ich ein Bewusstsein, ein Denken, einen Geist gegen jede Art von Zwang schaffen. Heute sehe ich, wie weit dieser Aufschrei geführt hat. Unser Kampf war niemals gegen ein Volk, eine Religion, eine Konfession oder Gruppe gerichtet, das könnte niemals der Fall sein. Unser Kampf richtete sich gegen Unterdrückung, Unwissen, Ungerechtigkeit und erzwungene Rückständigkeit, gegen alle Formen von Repression und Knechtschaft.
Die Politik des letzten Jahrhunderts basierte auf Repression, Vernichtung und Assimilation und stützte sich auf die kapitalistische Moderne. Sie stellte das Bestreben einer kleinen Machtelite dar, welche die Geschichte und das Gesetz der Geschwisterlichkeit in ihrer Gänze leugnete, aber nicht den Willen des Volkes repräsentierte. 35
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Öcalans historische Erklärung
Heute ist offensichtlich, dass dieses Joch der Tyrannei der Geschichte und der Geschwisterlichkeit widerspricht. Um es gemeinsam abzuwerfen rufe ich uns alle als die beiden grundlegenden strategischen Mächte des Mittleren Ostens dazu auf, die demokratische Moderne in einer Weise aufzubauen, die unseren Kulturen und Zivilisationen gerecht wird.
Begriff des „Wir“ seine frühere Seele und Praxis zu verleihen. Wir werden uns zusammenschließen gegen diejenigen, die uns spalten und aufeinander hetzen wollen. Wir werden uns vereinen gegen diejenigen, die uns teilen wollen. Wer die Zeichen der Zeit nicht erkennt, wandert auf den Müllhaufen der Geschichte. Wer sich gegen den Strom des Wassers stellt, wird auf den Abgrund zugetrieben.
Die Zeit des Streits, der Konflikte und der gegenseitigen Verachtung ist vorbei, die Zeit ist reif für Einheit, Gemeinsamkeit, Umarmung und Vergebung. Türken und Kurden sind gemeinsam bei Çanakkale gefallen, sie haben den Befreiungskrieg zusammen geführt, 1920 das Parlament gemeinsam eröffnet. Die Tatsache unserer gemeinsamen Vergangenheit legt uns nahe, auch unsere gemeinsame Zukunft zusammen aufzubauen. Der Gründungsgeist der Nationalversammlung der Türkei erleuchtet auch die neue Ära, die heute beginnt.
Die Völker der Region werden Zeugen einer neuen Morgendämmerung. Die Völker des Mittleren Ostens sind der Kriege, der Konflikte und der Spaltungen müde und wollen endlich auf ihren eigenen Wurzeln neu erblühen, Schulter an Schulter aufstehen. Dieses Newroz ist für uns alle eine frohe Botschaft. Die Wahrheiten in den Botschaften von Moses, Jesus und Mohammed werden heute mit neuen frohen Botschaften lebendig. Die Menschen versuchen, das Verlorene zurückzugewinnen.
Ich rufe alle Vertreter der unterdrückten Völker, Klassen und Kulturen, die Frauen als älteste Kolonie und unterdrückte Klasse, die Angehörigen unterdrückter Konfessionen, Glaubensrichtungen und anderer kulturellen Gruppen, die Repräsentanten der Arbeiterklasse und alle vom System Ausgegrenzten auf: Das System der Demokratischen Moderne ist die neue Option des Wegs aus der Unterdrückung. Nehmt Euren Platz darin ein und eignet Euch seine Mentalität und Form an.
Wir leugnen nicht komplett die gegenwärtigen zivilisatorischen Werte des Westens. Wir nehmen ihre Werte von Aufklärung, Freiheit, Gleichheit und Demokratie und führen sie in eine lebendige Synthese mit unseren eigenen Werten und universellen Formen des Lebens. Die Basis des neuen Kampfes sind Gedanken, Ideologie, demokratische Politik und der Beginn einer großen demokratischen Offensive.
Der Mittlere Osten und Zentralasien sind auf der Suche einer zeitgemäßen Moderne und einem demokratischen Konzept, das ihrer eigenen Geschichte entspricht. Die Suche nach einem Modell, welches das freie und geschwisterliche Zusammenleben aller zulässt, ist zu einem so dringlichen Bedürfnis wie Brot und Wasser geworden.
Gegrüßt seien alle, die diesen Prozess und eine demokratische und friedliche Lösung unterstützen! Gegrüßt seien alle, die Verantwortung übernehmen für Gleichheit, die Geschwisterlichkeit der Völker und demokratische Freiheit! Es lebe Newroz, es lebe die Geschwisterlichkeit der Völker!“
Es ist unvermeidlich, dass wieder Anatolien und Mesopotamien, die dortige Kultur und Zeit, Vorreiter bei seinem Aufbau sein werden. Es ist, als erlebten wir eine aktualisierte, kompliziertere und verschärfte Version des Befreiungskrieges, der sich in der jüngeren Geschichte im Rahmen des Nationalpaktes [1920] unter Führung der Türken und Kurden entwickelte. Wir arbeiten daran, ein neues Modell aufzubauen, welches trotz aller Fehler und Defizite der letzten neunzig Jahre von Neuem alle Betroffenen, alle Völker die schlimmes Leid erlitten haben, alle Klassen und Kulturen einbezieht. Ich rufe alle diese Gruppen dazu auf, sich auf egalitäre, freie und demokratische Weise zu organisieren.
Gefängnis Imrali, 21. März 2013 Abdullah Öcalan [Übersetzung aus dem Türkischen: Internationale Initiative „Freiheit für Abdullah Öcalan – Frieden in Kurdistan“] Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V. www.civaka-azad.org | info@civaka-azad.org Bornheimer Landstraße 48, 60316 Frankfurt, Tel.: 069/84772084
Kurden, Turkmenen, Aramäer und Araber, die in Verletzung des Nationalpaktes geteilt wurden und heute in Syrien und der Arabischen Republik Irak schweren Konflikten und Problemen ausgesetzt sind, rufe ich auf, gemeinsam auf einer „Nationalen Solidaritäts- und Friedenskonferenz“ ihre Situation zu diskutieren, ein Bewusstsein zu schaffen und Beschlüsse zu fassen. In der Geschichte dieser Gegend der Welt spielt der Begriff „Wir“ eine wichtige Rolle. Dieser breite und umfassende Begriff wurde von elitären Machtcliquen auf ein „Einzig“ reduziert. Die Zeit ist reif, dem 36
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Hintergrundinformationen
Westen umgesiedelt werden sollten. Der Plan schlug insbesondere vor, Frauen und Mädchen dringend Türkisch zu lehren und zielte auf Vernichtung aller Elemente des Kurdentums ab. Im Rahmen des Plans sollten die Kurden isoliert werden. Die ihrer Heimat beraubten und in den Westen vertriebenen Kurden durften demnach keine auch noch so kleine staatlichen Aufgaben erhalten. Die Beamten und Soldaten, die in kurdische Gebiete geschickt wurden, sollten nur von der Zentralregierung ausgewählt werden. In den Regierungsbehörden und Stadtverwaltungen in den kurdischen Provinzen, von denen behauptet wurde, dass sie türkisch seien, sollten diejenigen, die in der Öffentlichkeit und auf den Ämtern Kurdisch sprachen, bestraft werden. In den Gebieten, in denen Arabisch oder Kurdisch gesprochen wurde, sollte durch die Gründung von türkischen Zentren, Schulen und Internate – insbesondere auch für Mädchen – das Kurdentum und die Kurdisierung verhindert werden.
Wird die kurdische Frage wirklich gelöst? von Mehmet Desde Bevor die Türken nach Anatolien kamen, lebten die Kurden in Mesopotamien. Kurdistan wurde durch den Vertrag von Qasr-e Schirin im Jahre 1639 zweigeteilt und kam unter die Vorherrschaft des Osmanischen und des Persischen Reiches. Zu dieser Zeit war noch keine Rede von einer Nationenbildung. Die Kurden haben zu Beginn der Nationenbildung als Moslems in dem „türkischen Befreiungskrieg“ gegen die Besetzung durch die Sieger des ersten Weltkriegs zusammen mit den Türken gekämpft und eine wichtige Rolle bei der Entstehung des türkischen Staates gespielt. In der Landkarte des Nahen Ostens, die nach dem Ersten Weltkrieg gezeichnet wurde, wurde „Kurdistan“ in vier Teile gespalten. Am Beginn der Phase, in der die kurdische Nation zu einer Nation hätte werden können, wurde sie in vier Teile gespalten. Die Aufteilung von Kurdistan wurde mit dem Vertrag von Lausanne vom 24. Juli 1923 offiziell. Das Land Kurdistan befand sich nun in den Grenzen von vier verschiedenen von den Siegermächten willkürlich geschaffenen Staaten.
Der letzte kurdische Aufstand Die Aufstände der Kurden, die sich gegen die Politik der Türkisierung wandten, wurden blutig unterdrückt. Allen Massakern und der Assimilationspolitik zum Trotz haben die Kurden ihre Existenz behauptet. Seit dem 15. August 1984, dem Tag der Aufnahme des bewaffneten Kampfes durch die PKK, findet zwischen der PKK und dem türkischen Staat ein Krieg statt. In dem seit 29 Jahren andauernden Krieg wurden 50.000 Kurden getötet. 17.500 Kurden fielen unerkannten (eigentlich bekannten) Tätern zum Opfer. 4.000 Dörfer wurden verbrannt, Tausende von Kurden wurden vertrieben. Die Gefängnisse sind mit kurdischen Gefangenen überfüllt. Auch auf türkischer Seite starben Tausende Soldaten und Zivilisten. Die Menschen in der Türkei haben einen hohen Preis gezahlt.
An der Konferenz in Lausanne, auf der das Abkommen vorbereitet wurde, nahmen die Türkei, Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan, Griechenland, Rumänien und die serbo-kroatischen und slowenischen Staaten direkt teil. Russland und Bulgarien nahmen nur an den Gesprächen teil, die sie direkt betrafen. Den Vereinigten Staaten von Amerika wurde bei dem Abkommen ein Beobachterstatus zuerkannt. Da neben der Regierung der Großen Nationalversammlung auch die Regierung von Istanbul zur Konferenz geladen wurde, beschloss Ankara am 1. November 1922 das Sultanat aufzuheben und damit rechtlich das Ende des Osmanischen Reiches zu verkünden. Mit einer Delegation unter Leitung des türkischen Außenministers İsmet İnönü begannen die Gespräche am 21. November 1922. Auf der Konferenz sagte İsmet İnönü, dass er als Vertreter der Türken und Kurden teilnehme. Diese Behauptung von İsmet İnönü, entsprach nicht den Tatsachen.
Seit den 1990er Jahren finden zwischen dem türkischen Staat und der PKK Gespräche über verschiedene Mittelsmänner statt. Es war eine Zeit, in der der Krieg härter wurde und Tote auf beiden Seiten zunahmen. Fast täglich kamen Nachrichten von Gefechten und Toten. In dieser Lage hat die PKK am 20. März 1993 einen ersten einseitigen Waffenstillstand ausgerufen, der durch Vermittlung des türkischen Staatspräsidenten Turgut Özal zustande kam. Kurz darauf verlor Turgut Özal sein Leben. Viele politische Kräfte, auch die Familie von Turgut Özal behaupten, dass Özal ermordet wurde. 40 Tage nach dem Tod von Turgut Özal wurde durch die Ermordung von 33 Soldaten auf der Strecke von Elazığ nach Bingöl der erste ernsthafte Waffenstillstand beendet.
Assimilation und Massaker Nachdem der türkische Staat seine Herrschaft abgesichert hatte, begann er ab 1925 eine bewusste Politik der Türkisierung der Kurden und aller nicht türkischen Nationalitäten. Schon während des Befreiungskrieges vollzog die türkische Bourgeoisie das erste Massaker an den Kurden bei Koçgiri. Die unter dem Motto „Glücklich sei, wer sich Türke nennt!“ gegründete rassistische Republik Türkei hat ab dem Jahr 1925 systematische und geplante Massaker an den Kurden begangen. Der „Reformplan für den Osten“ vom 24. September 1925 enthielt Maßnahmen, die gegen die Kurden ergriffen werden sollten. Der Plan, ein Programm der Türkisierung und Vernichtung, war mit der Absicht erstellt worden, den nationalen Willen der Kurden zu brechen. Er sah die Einrichtung von quasi Besatzungsregimes und Kriegsrecht vor, wonach widerspenstige kurdische Familien in den
Nach weiteren zwei Jahren mit vielen bewaffneten Auseinandersetzungen rief die PKK am 15. Dezember 1995 erneut einen Waffenstillstand aus. Der türkische Staat reagierte mit einer Operation in Südkurdistan, genannt „Offensive Stahl". Damit war auch der zweite Waffenstillstand ergebnislos verlaufen. Abdullah Öcalan wurde aufgrund eines internationalen Komplotts am 15. Februar 1999 in Kenia aufgegriffen und an die Türkei ausgeliefert. Als Öcalan in die Türkei gebracht wurde, dachte der türkische Staat, dass er die kurdische Frage gelöst, bzw. beendet habe. Der auf der Insel İmralı angeklagte 37
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Öcalan wurde zum Tode verurteilt; später wurde mit der Aufhebung der Todesstrafe, die Strafe in lebenslange Haft umgewandelt. Am 1. September 1999 forderte Öcalan die kurdische Guerilla auf, die Türkei zu verlassen. Beim Rückzug der Guerilla führte der türkische Staat militärische Operationen durch und tötete 500 Kämpfer. Den Aufruf von Öcalan folgend kamen zwei Friedensgruppen in die Türkei – eine aus den Kandilbergen und eine aus Europa. Die Friedensgruppen wurden angeklagt, gefoltert und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Trotzdem dauerte die am 1. September 1999 verkündete Phase des Friedens fünf Jahre.
(Millî İstihbarat Teşkilâtı) an den Gesprächen beteiligt. Wie Öcalan seinen Anwälten mitteilte, hatten Verhandlungen begonnen und dem Staat waren Protokolle übergeben worden. Die AKP-Regierung und Staatspräsident Abdullah Gül bestätigten die Gespräche auf İmralı. Obwohl Öcalan erklärte, dass eine Intensivierung des Krieges nicht notwendig sei, kamen bei einem Gefecht in Silvan am 14. Juli 2011 13 Soldaten ums Leben. Am gleichen Tag verkündete der Kongress der Demokratischen Gesellschaft eine „demokratische Autonomie“. Nach dem 14. Juli intensivierten beide Seiten den Krieg. Dem Staat zufolge hatte die PKK die Äußerungen von Öcalan missachtet und den Angriff in Silvan durchgeführt. Vom 27. Juli 2011 an wurde es den Anwälten von Öcalan nicht mehr erlaubt zur Insel İmralı zu fahren. Die Isolation von Öcalan begann.
Am 1. Juni 2004 begannen die Auseinandersetzungen erneut. Im Mai 2009 verkündete die PKK noch einmal eine Waffenruhe. Die Frist dafür wurde auch verlängert. Die AKP-Regierung beschleunigte unter der „kurdischen Öffnung“ und dem „Projekt der nationalen Bruderschaft“ die Aktivitäten zur Ausschaltung der PKK. Während die Diskussionen zur Öffnung anhielten, kamen am 19. Oktober 2009 aufgrund eines Aufrufs von Abdullah Öcalan aus dem Lager Mahmur im Nordirak 26 Personen (darunter vier Kinder) und aus dem Lager in den Kandilbergen acht Guerilla über den Grenzposten Habur in die Türkei. Nach einer Befragung wurden die Angekommenen vorerst frei gelassen. Die Ankömmlinge wurden von hunderttausenden von Menschen begrüßt. Die Begrüßungsfeste und die Tatsache, dass die Angekommenen frei kamen, führten zu Unmut bei oppositionellen Parteien. Nachdem sich auch der Generalstab negativ geäußert hatte änderte die AKP ihre Taktik. Gegen die Angekommenen wurden Verfahren eröffnet. Die 5. Strafkammer in Diyarbakır verurteilte die aus Kandil und Mahmur gekommenen Kurdinnen wegen Reden bei der Begrüßungsfeier und Aktionen in den kurdischen Provinzen zu Strafen zwischen sieben und zehn Jahren Haft. Die von der PKK am 13. August 2010 begonnene Phase der Aktionslosigkeit wurde durch eine Erklärung vom 28. Februar 2011 beendet. Grund waren die andauernden Operationen gegen kurdische Politiker, die Behinderung der Verteidigung in kurdischer Sprache in den KCK-Verfahren1, die Tatsache, dass niemand aus der Haft entlassen wurde und es keine Verbesserung der Haftbedingungen von Öcalan gab und die Weigerung, eine Kommission für Gerechtigkeit und Wahrheit zu gründen sowie die Wahlhürde von 10 % zu senken.
Am 13. September 2011 wurden die Tonaufnahmen der Gespräche von Oslo veröffentlicht. Der Presse wurde mitgeteilt, dass es zwischen Vertretern der KCK und Bediensteten des türkischen Staates Gespräche gegeben hatte. Es wurde behauptet, dass der jetzige MITStaatssekretär Hakan Fidan sowohl mit dem PKK-Führer Abdullah Öcalan als auch Vertretern der PKK im Auftrag des Premierministers Recep Tayyip Erdoğan und als sein Sondervertreter gesprochen hatte. Nachdem die Gespräche von Oslo in der Presse erschienen, blieb die erwartete scharfe Reaktion der Öffentlichkeit aus. Ein großer Teil der Gesellschaft wollte, dass das Blutvergießen ein Ende habe. Mit dem Angriff von Silvan waren die Gespräche ins Stocken geraten. Aber der Ministerpräsident der Türkei erklärte, dass Gespräche stattfinden könnten, wenn der Staat es als notwendig erachte. 2012 wurde ein Jahr, in dem beide Seiten den Krieg intensivierten. Gefangene der PKK und PAJK (Partei Freies Leben Kurdistan) begannen am 12. September einen Hungerstreik, der unter der Forderung geführt wurde, die Isolation des PKK Führers Abdullah Öcalan zu beenden und ihm gesunde, sichere und freiheitliche Bedingungen zu gewähren. Unter der Beteiligung von hunderten Gefangenen wurde dieser als unbefristeter Hungerstreik mit der weiteren Forderung nach Ausbildung und Verteidigung vor Gericht in der Muttersprache fortgeführt. Abdullah Öcalans Bruder Mehmet Öcalan besuchte seinen Bruder am 17. November 2012 auf der Insel İmralı. Über seinen Bruder rief Abdullah Öcalan dazu auf, den Hungerstreik in den Gefängnissen einzustellen, woraufhin dieser am 67. Tag beendet wurden. Somit war demonstriert, dass Abdullah Öcalan uneingeschränkten Einfluss auf die kurdische Bewegung hatte – er ist der „Gesprächspartner“, um einen Frieden zu erzielen. AKP begann dementsprechende Schritte einzuleiten.
Gespräche in Oslo und auf İmralı Das Jahr 2011 sollte als ein Jahr in die Annalen eingehen, in dem auf İmralı und in Oslo Gespräche mit der PKK stattfanden. Vor dem Überfall auf Silvan erklärte Öcalan, dass das wichtigste Abkommen der kurdischen Geschichte bevorstünde und es nicht mehr notwendig sei, den Krieg zu intensivieren. Mit dem Staat sei eine dreifache Einigung erzielt worden: 1. die Gründung eines Friedensrats, 2. die Sicherheit der sich zurückziehenden Guerilla in den Bergen, 3. eine neuen Verfassung. Es ist bekannt, dass es mit Öcalan auf İmralı schon früher Gespräche gegeben hatte. In den letzten Jahren war anstelle des Militärs ein Staatssekretär des Geheimdienstes MIT 1
In den ersten Tagen des Jahres 2013 erschienen in den Medien Meldungen, dass es zwischen MİT und dem inzwischen seit 15 Jahre auf İmralı inhaftierten Abdullah Öcalan Gespräche gab. Den Nachrichten zufolge hatte der MIT-Staatssekretär Hakan Fidan gegen Ende 2012 zwei Tage auf der Insel verbracht und es vorgezogen, bis zum Abschluss der Verhandlungen auf der Insel zu bleiben. Am Ende einigte man sich mit Öcalan an dem Punkt, wie die PKK die Waffen niederlegen werde. Nach der Veröffentlichung der Nachrichten ließ die
KCK – Union der Gemeinschaften Kurdistans 38
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und die Öffentlichkeit abgegeben, die wir Ihnen jetzt mitteilen wollen. Er grüßt zunächst die türkische Gesellschaft und die Angehörigen der Presse mit Respekt.“ Demirtaş verlas daraufhin die Notiz von Öcalan: „Der bestehende Prozess der Lösung geht in positivem Sinne voran und dauert an. Unser Ziel ist die Demokratisierung der Türkei. Dem gelten unsere Anstrengungen. Um diesem Ziel zu dienen, führe ich Vorbereitungen für einen Aufruf, der bei den Newroz-Feiern zum 21. März gemacht werden soll. Die von mir vorbereitete Mitteilung wird ein Aufruf von historischer Qualität sein. Dieser Aufruf wird Informationen enthalten, die für alle Stützpfeiler der Lösung, militärisch und politisch, befriedigend sein wird. Ich möchte das Problem der Waffen schnell und ohne Zeit zu verlieren, ohne dass auch nur ein Leben verloren geht, lösen. Damit all dieses in die Praxis umgesetzt wird, halte ich die Unterstützung des Parlaments und der politischen Parteien für sehr wertvoll. Ich hoffe, dass der Rückzug der Kämpfer schnell vollzogen wird und der Frieden dauerhaft sein wird, so dass das Parlament mit der gleichen Geschwindigkeit seine ihm zukommende historische Mission vollbringen kann. Im Verlauf des Prozesses hoffe ich, die Öffentlichkeit noch detaillierter zu informieren und entbiete erneut meine Grüße und Zuwendung.“
AKP-Regierung verlauten, dass man hinter den Gesprächen zwischen MIT und İmralı stehe. Danach wurden Ahmet Türk und Ayla Akat am 3. Januar nach İmralı gebracht. Nach der Rückkehr von İmralı erklärte Ahmet Türk gegenüber der Presse, dass die Forderungen von Öcalan keine Forderungen seien, „die den Staat stören könnten“. Die Botschaft, die Öcalan bei diesem Gespräch gab, war sein fester Entschluss auf „Frieden". Am 23. Februar 2013 traf eine zweite Delegation der BDP auf İmralı mit Öcalan zusammen. An der zweiten Delegation waren die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der BDP Pervin Buldan, die BDPAbgeordneten von İstanbul Sırrı Süreyya Önder und von Diyarbakır Altan Tan, beteiligt. Buldan verlas bei der Rückkehr eine Erklärung von Öcalan. Buldan erklärte, dass Öcalan von einem historischen Schritt gesprochen habe. Alle Parteien müssten in dieser Phase sehr vorsichtig und sensibel sein. Gefangene gebe es auf Seiten des Staates und der PKK. Die PKK solle die Gefangenen gut behandeln und er hoffe, dass sie bald wieder nach Hause kämen. Das Protokoll des Gespräches vom 28. Februar 2013, das Abdullah Öcalan auf der Insel Imrali mit Abgeordneten der BDP führte und bei dem auch ein Offizieller von MIT anwesend war, wurde in der Tageszeitung Milliyet veröffentlicht. Öcalan, erklärte, dass er einen Brief nach Kandil, einen an die BDP und einen nach Europa geschrieben habe und sich mit Vertretern von MIT in intensiver Diskussion befinde. Er wolle zwei Wochen auf die Antwort auf seine Briefe abwarten und zu Newroz einen historischen Aufruf starten.
Die Öcalan-Rede auf dem Newroz-Fest Noch im letzten Jahr hatte der türkische Staat die Newroz-Feiern in Diyarbakır verboten und unter Anwendung unverhältnismäßiger Gewalt die Demonstranten angegriffen. Im Jahre 2013 verkündete die BDP nach den Gesprächen auf İmralı, dass die Feiern außerhalb von Diyarbakır vor dem 21. März stattfinden und mit einer zentralen Newroz-Feier am 21. März in Diyarbakir abgeschlossen werden sollen. Der türkische Staat griff die Newroz-Feierlichkeiten vor dem 21. März nicht an. Das Newroz-Fest wurde in friedlicher Atmosphäre begangen. Mit Rücksicht auf den historischen Aufruf, den Öcalan machen würde, waren alle Augen auf das zentrale Newroz-Fest in Diyarbakır gerichtet. Am 21. März kamen nach Diyarbakır Menschen aus zahlreichen Provinzen von Nordkurdistan zusammen und füllten zu Tausenden in den frühen Morgenstunden die Plätze. Der Platz im Stadtteil Bağlar war schon Tage zuvor für die Newroz-Feierlichkeiten vorbereitet worden. Auf dem Platz wurden kurdische Lieder gespielt, während er sich mit Menschen füllte. Es verbreitete sich die Atmosphäre einer fröhlichen Feier. Aus dem Ausland war eine nicht zu verachtende Zahl von Delegationen gekommen. Für die „besonders“ eingeladenen Journalisten, internationale Delegationen und bekannte Personen war eine Protokoll-Tribüne eingerichtet worden. Das Polizeidirektorat von Diyarbakır hatte alle Straßen zum Platz in einer Entfernung von drei Kilometer für Fahrzeuge gesperrt. Die Stadtbusse transportierten die Besucher unentgeltlich. Polizeihubschrauber kontrollierten den Newroz Platz aus der Luft. Kriegsflugzeuge stiegen nacheinander auf, so als ob sie die Versammelten einschüchtern wollten. Ansonsten aber hielten sich Polizei und Armee zurück.
Buldan flog nach Brüssel, um den Brief an den Kurdischen Nationalkongress zu übergeben, eine Delegation von DTK und BDP ging nach Südkurdistan. Die Ko-Vorsitzenden der BDP Gültan Kışanak und Selahattin Demitaş, die BDP-Abgeordneten Önder und Altan Tan zusammen mit den Ko-Vorsitzenden der DTK Aysel Tuğluk und Ahmet Türk gingen am 2. März 2013 in die Kandilberge. Die Delegation traf hier mit dem Mitglied des Exekutivrats der KCK Murat Karayılan zusammen. Nach dem Gespräch kehrte die BDP-DTK Delegation in die Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan Arbil zurück und hielt dort im BDP-Büro eine Pressekonferenz ab. Kışanak sagte, dass sie ihren ersten Besuch wegen des Bombardements durch türkische Kriegsflugzeuge abbrechen mussten, aber einen Tag darauf den Besuch verwirklichen konnten. Am 12./13. März wurden acht türkische Gefangene der PKK freigelassen und von einer Delegation von BDP, der Menschenrechtsorganisation IHD (İnsan Hakları Derneği) und Mazlum über den Grenzübergang Harbur in die Türkei zurück gebracht. Die PKK erklärte, dass es keine weiteren Gefangenen gebe. Am 18. März 2013 ging eine dritte BDP-Delegation nach İmralı. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der BDP Buldan, der Abgeordnete von Istanbul Önder und Selahattin Demirtaş gaben nach der Rückkehr von der Insel İmralı folgende Erklärung ab: „Heute haben wir auf der Insel İmralı eine weitere wichtige Zusammenkunft mit dem geehrten Herrn Öcalan verwirklicht. Wir wünschen von ganzem Herzen, dass unsere Versammlung Anlass für positive Entwicklungen gibt. Der geehrte Herr Öcalan hat eine kurze Botschaft an die Presse
Die Botschaft von Abdullah Öcalan wurde in Kurdisch von Buldan und in Türkisch von Önder verlesen (Übersetzung der Rede auf S. 35) und stieß auf eine positive Reaktion bei der AKP-Regierung. Der tür39
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verwaltung (die allerdings nicht als Autonomie bezeichnet wird) hinaus.
kische Premierminister Erdoğan kritisierte, dass es bei der NewrozFeier keine türkischen Fahnen gegeben hatte, was zu einer Diskussion um die Flagge führte. Jetzt wird diskutiert, wann die PKK-Guerilla Nordkurdistan verlassen wird und wie der Rückzug ablaufen soll. Die BDP möchte, dass das Parlament ein Gesetz verabschiedet, damit der Rückzug eine gesetzliche Grundlage hat. Die AKP-Regierung sieht die Zusicherung der Regierung als ausreichend an. Einige meinen, dass der Rückzug bis Ende 2013 dauern wird, andere denken, dass der Rückzug bis August vollendet sein wird. Mittlerweile hat die PKK nach der Erklärung von Öcalan einen Waffenstillstand ausgerufen.
Am 4. April 2013 hat die türkische Regierung beschlossen für jeden der sieben Verwaltungsbezirke in Nordkurdistan/ Türkei jeweils neun Ombudsmenschen (also insgesamt 63) zu bestimmen. Das geht auf eine Forderung Öcalans zurück, „Wahrheitskommissionen“ mit „akil adamlar“ (gesellschaftlich anerkannten Menschen) wie in Südafrika zu gründen. Die AKP hat diese Forderung insoweit aufgegriffen, als dass sie aus zivil-gesellschaftlichen Zusammenhängen, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Vertreter der verschiedenen Nationalitäten und gesellschaftlicher Bereiche ausgesucht und zu Ombudsmännern/-frauen berufen hat. Ihre Aufgabe ist es in den Verwaltungsbezirken mit Repräsentanten der Zivil-Gesellschaft, mit NGOs und allen möglichen gesellschaftlichen Vereinen und Institutionen Gespräche zu führen, den Friedensprozess zu erläutern und Vorschläge für den weiteren Verlauf zu sammeln. Gleichzeitig wurde die Gründung einer Kommission „für die Beobachtung des Friedensprozesses“ innerhalb des Parlamentes in Angriff genommen.
Meiner Meinung nach gibt Öcalan eine Erklärung ab, die nicht realisiert werden kann. Wir leben in einer Welt, in der Ausbeutung vorherrscht. Die „Ausbeutungsregime“ existieren weiterhin. Öcalan behauptet, eine neue Phase habe begonnen. Gegen die kapitalistische Wirklichkeit kann die Demokratie nicht mit einigen Sprüchen verwirklicht werden. Es wird von einem Modell gesprochen, in dem alle frei sind und brüderlich miteinander leben. Dieser Wunsch klingt gut und ist eine korrekte Forderung. Leider aber erscheint es in der Situation, in der das Ausbeutungssystem vorherrscht, schwer vorstellbar, dass diese Forderung verwirklicht wird.
Resultate
Quo Vadis?
Bis jetzt fanden Gespräche zwischen dem türkischen Staat, der PKK und A. Öcalan statt. Nachdem die Gespräche von Oslo in der Presse erschienen, kamen die Gespräche zu einem Stillstand und beide Seiten intensivierten den Krieg. Es ist ein Zeichen dafür, dass die Sache nun etwas ernster genommen wird, dass die Gespräche nun öffentlich geführt werden. Auf der erreichten Stufe stimmen die Forderungen, auf die sich die PKK auf einer minimalen Ebene beschränkt, mit dem Programm der AKP, die Kurdenfrage zu „lösen“, überein. Die AKP-Regierung möchte den Krieg zwischen der PKK und dem Staat irgendwie beenden. Die Führung der AKP steht offen hinter den Gesprächen zwischen Öcalan und dem Staat, besser zwischen dem Geheimdienst und Apo. Die AKP-Regierung sagt, dass sie dies nicht als politische Partei oder Regierung sondern als Staat macht, sie aber die politische Verantwortung übernimmt. Im Rahmen der bisherigen Gespräche ist die Botschaft nach außen, dass beide Seiten entschlossen sind Frieden zu erarbeiten. Der AKP stehen drei wichtige Wahlen bevor. Bei diesen wichtigen Wahlen muss sie auf der einen Seite die Empfindlichkeiten des türkischen Nationalismus berücksichtigen, auf der anderen Seite muss sie eine Politik verfolgen, mit der sie von den Kurden Unterstützung erhält. Um bei den Wahlen zum Staatspräsidenten schon im ersten Wahlgang zu gewinnen, braucht sie die Stimmen sowohl der Türken als auch der Kurden. Ein Kalkül der AKP ist, im Parlament eine politische Gruppe oder Partei zu finden, mit der sie sich auf einen Minimalkonsens einigen und die neue Verfassung zu einem Referendum bringen kann. Ein Kalkül ist, die Abstimmung über die neue Verfassung zwischen eine der drei Wahlen zu schieben oder sie mit einer Wahl zu verbinden. Wenn die Konditionen dafür nicht geschaffen werden können, dann wird die neue Verfassung zu einem der wichtigsten Punkte bei den allgemeinen Wahlen werden. Die AKP wird sagen: „Wir haben für eine neue Verfassung alles getan. Aber niemand hat uns unterstützt. Dann gebt uns eine Mehr-
Bei der Gründung hatte sich die PKK ein „Unabhängiges Vereintes Kurdistan“ zum Ziel gesetzt. Im Laufe der Zeit machte sie immer mehr Abstriche an diesem Ziel und konzentrierte sich auf das Erreichen einiger kultureller und demokratischer Rechte. Zweifelsohne wird die Anerkennung der kurdischen Identität und ihre Verankerung im Grundgesetz im Vergleich zur jetzigen Situation einen gewissen Fortschritt darstellen. Jedoch ist das nicht die tatsächliche Lösung der nationalen Frage der kurdischen Nation. Die kurdische Nation unterliegt einer besonderen nationalen Unterdrückung. Ihr Land wurde getrennt, gespalten und kolonialisiert. Bestehende „Unionen“ sind keine freiwilligen staatlichen Einheiten, sondern erzwungene. Um von „gleichen und freien staatlichen Zusammenschlüssen der kurdischen Nation“ – zum Beispiel in der Türkei, im Iran, in Syrien und im Irak – sprechen zu können, müssen die erzwungenen staatlichen Grenzen aufgehoben, die nationale Unterdrückung beendet und Bedingungen geschaffen werden, in denen die kurdische Nation ihr Schicksal selber bestimmen kann. Das Recht auf Lostrennung muss der kurdischen Nation in allen vier Staaten gewährt werden. Nur dann wird die nationale Unterdrückung in jedem dieser Länder ein Ende finden und können Bedingungen für eine völlige Gleichberechtigung zwischen der herrschenden und der unterdrückten Nation (die das Recht auf Lostrennung für die kurdische einschließt) geschaffen werden. Die jetzt von der PKK, ihrem Führer A. Öcalan, dem türkischen Staat und der AKP-Regierung eingeleitete so genannte „Friedensphase“, enthält nicht die Schaffung von Bedingungen, in denen die Kurdische Nation in Nordkurdistan ihr Schicksal selbst bestimmen kann. Die maximalen Zugeständnisse gehen nicht über die Gewährung einiger grundlegender demokratischer Rechte, wie muttersprachlichem Unterricht sowie föderaler und regionaler Selbst40
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heit, mit der wir die Verfassung zwar nicht alleine ändern, sie aber einem Referendum zuführen können!“ Mit dieser Propaganda wird die AKP vor das Volk treten und um Stimmen werben. Der türkische Staat sieht, dass er das Kurdenproblem mit militärischen Mitteln, mit Morden und der Inhaftierung von Kurden nicht lösen kann. Natürlich möchte die AKP/ Erdoğan den Krieg beenden – sie sehen den Schaden, den der Krieg angerichtet hat. Das Ziel der AKP-Regierung ist es, die PKK zu entwaffnen und ihre Kapitulation zu erreichen. Die kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Kurden kostet die Türkei Kraft und Geld. Sie sind ein Hindernis beim Beitritt zur EU. Sie stehen den imperialen Ambitionen der
Wie in jedem Krieg gibt es auch in diesem Krieg zwei Parteien: auf der einen Seite der Staat der türkischen Republik, der über alle Möglichkeiten verfügt, und auf der anderen Seiten die kurdische nationale Bewegung und das kurdische Volk, dass jeder Art von Unterdrückung und Angriffen ausgesetzt war und ist. Eigentlich ist die Zeit des Krieges abgelaufen. Denn mit dem Krieg, den die PKK vor 29 Jahre begann, als niemand sie ernst nahm und sie für eine Handvoll Spinner gehalten wurden, hat sie zum jetzigen Zeitpunkt der Existenz der kurdischen Nation und ihrer Organisation zur Anerkennung verholfen. Der Staat der Türkischen Republik ist an einem Punkt angelangt, wo er sich mit der als Terrororganisation betrachteten PKK und deren Führer Abdullah Öcalan an einen
geforderten Frieden zu gefährden. So wie es in der herrschenden Klasse der Türken „Falken“ gibt, die vom Krieg profitieren, so gibt es auch in der kurdischen Bewegung solche Elemente. In der Türkei herrscht momentan ein „Klima des Friedens“ vor. Es ist der Wunsch, den seit 29 Jahren andauernden Krieg zu beenden. Die AKP-Regierung hat die Forderungen von Öcalan auf einer weit zurück geschraubten Ebene akzeptiert. Wenn dieser Prozess nicht sabotiert wird, kommt das Blutvergießen zu einem Ende. Und das ist für diejenigen, die Schaden durch den Krieg erlitten haben, gut. Aber diese Lösung ist von den schlechten Lösungen lediglich die weniger schlechte.
Hasankeyf – Stopp Ilisu-Staudamm
Hasankeyf von der Festung aus aufgenommen Foto: Mehmet Bayval 2010
von Mehmet Bayval
Türkei im Nahen und Mittleren Osten im Weg. Es geht der Türkei um maximalen Einfluss und maximalen Profit. Dafür muss der Krieg im Inneren beendet werden. Dazu kommt, dass die Kurden ihre ursprünglichen Forderungen so weit zurück geschraubt haben, dass sie von der türkischen Bourgoisie leicht erfüllt werden können. Da die AKP die kurdischen Stimmen für die Änderung der Verfassung und die Einführung des Präsidialsystems braucht, spielt sie die Karte des Friedens. Die AKP möchte die Stimmen, die sie in Nordkurdistan verloren hat wieder gewinnen und bis zum Jahr 2023 an der Macht bleiben. Das sind ihre Ziele.
Tisch setzen muss, um das Problem zu lösen und dies öffentlich tut, zusammen mit den in Nordkurdistan gewählten Vertretern der BDP, soweit sie nicht im Gefängnis sind. Das kurdische Volk und dessen leitende Kräfte wollen Frieden. Der Frieden, den sich das kurdische Volk wünscht und der Frieden, den sich die AKP wünscht, sind nicht ein und derselbe. Die Errungenschaften des kurdischen Volkes sind das Ergebnis des geführten Kampfes, der seinen Preis gefordert hat. Aber wir sollten nicht vergessen, dass in der PKK und der kurdischen Bewegung ausreichend Elemente vorhanden sind, die zu Provokationen neigen, um den auch von Öcalan 41
Die IPPNW-Delegationsgruppe, die seit 15 Jahren jedes Jahr auf ihren Reisen durch die kurdischen Gebiete traditionell die Stadtfestung Hasankeyf besuchte, ist seitdem Zeuge, Begleiter und Teilnehmerin der Protestbewegung gegen das geplante Ilisu-Staud ammprojekt geworden. Die Protestbewegung hat mittlerweile zahlreiche Verbände, Prominente, Delegationsgruppen, Parteien, Bewohner der Region und Menschen in der ganzen Welt – unabhängig von der politischen Ausrichtung und der Nationalität – geeinigt. Gemeinsam lehnen sie sich gegen den stark umstrittenen Bau des Ilisu-Staudamms und damit gegen die Überflutung der antiken Stadt Hasankeyf auf; zum Beispiel durch das traditionelle Pflanzen von Bäumen nach dem im März stattfindenden Newroz-Fest (Neujahrsfest). Von dem Tigris-Ufer aus wirken die einzelnen Bauwerke, die Höhlen-Wohnungen und das antike Stadtbild beachtlich schön. Seit etwa zwei Jahren ist ein Großteil von Hasankeyf für Besucher gesperrt, angeblich wegen Renovierungsarbeiten.
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Überblick über die Historie von Hasankeyf Hasankeyf ist eine kleine Kreisstadt zwischen Midyat und Batman im Osten der Türkei. Hasankeyf liegt in 635 m Höhe am rechten Ufer des Tigris, etwa 35 km von Batman und 80 km von Diyarbakir entfernt. Genauere Angaben über die Gründung der Stadt sind zwar nicht bekannt, aber die historische und kulturelle Bedeutung der Stadt Hasankeyf geht auf vor- und frühgeschichtliche Phasen zurück. In Hasankeyf konnte die erste Besiedlung zur neolithischen Revolution mit der Bildung von sesshaften und vom Ackerbau lebenden Gemeinschaften nachgewiesen werden. Diese Phase der Menschheitsgeschichte spielte sich hier vor mehr als 10.000 Jahren ab. Die einzigen Zeugen einer ins erste Jahrtausend datierenden Besiedlung sind die in die Felsen des Ufers gehauenen Kanäle, mit denen Wasser zu Ölmühlen geleitet wurde. Die weiteren frühen historischen Epochen sind weitgehend im Dunkeln, welche Völker im Laufe der Jahrtausende in Hasankeyf gelebt haben, ist nicht abschließend geklärt. Es steht aber zweifelsfrei fest, dass diese Stadt eines der wichtigsten Zentren für die Völker, die in Mesopotamien gelebt haben, gewesen ist (vgl. Väth&Kühn 1992).2 Nach der Geburt Christi wurde die Stadt nacheinander von Sasaniden und Byzanz erobert. Im Jahr 630 wurde sie, wie auch die übrigen Teile Kurdistans, von den Moslems ohne große Gegenwehr durch den zweiten Kalif des Islams Hazreti Ömer eingenommen. Die Geschichte von HISNA KEYFA – wie der Name der Stadt damals geschrieben wurde – wurde seit der Eroberung durch die Artukiden aufgezeichnet. Während der Herrschaft der Artukiden über Hasankeyf fanden auch viele Kämpfe gegen die Kreuzfahrer statt. Im Jahr 1232 eroberten die Eyyubidin Hasankeyf und machten es zur Hauptstadt. Die Eyyubiden verbrachten die ersten hundert Jahre mit Kämpfen gegen Mongolen, wobei auch die Stadt durch eine Invasion der Mongolen zerstört wurde. Die Eyyubiden
2 Väth, Gerhard, Rüdiger Kühn, 1992: Hasankeyf am Tigris. Stiller Untergang einer Stadt in Kurdistan. Würzburg: Königshausen&Neumann.
bauten die Stadt im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts wieder auf. Viele der Bauwerke, wie die historisch bedeutende Brücke über den Tigris, der Palast am rechten Ufer, die Ulu Mosche und der kleine Palast stammen aus dieser Zeit (vgl. Väth&Kühn 1992). Im Verlauf des 15. Jahrhunderts wurde Hasankeyf eine bedeutende und schöne Stadt der Eyybiden. Um sich der Bedrohung durch die Safewiden (Persisches Reich) erwehren zu können, akzeptierten die Eyyubiden schließlich im Jahr 1515 die Souveränität der Osmanen und im Jahre 1524 wurde die Stadt den Osmanen übergeben. Dies war der Beginn der Herrschaft der Osmanen über Kurdistan. Schließlich wurde Kurdistan erstmals zwischen dem osmanischen und dem safawidischen-persischen Reich zweigeteilt; die heutige Grenze zwischen Iran und Türkei geht auf dieses Datum zurück. Die Herrschaft der Ayyubiden endete im Jahr 1524 und die Osmanen teilten Hasankeyf der Provinz Diyarbakir zu (vgl. Väth&Kühn 1992, http://de.wikipedia.org/wiki/Hasankeyf). Während die Stadt in den 1960er Jahren eine intakte kleine Kreisstadt war, in der über 7.000 Menschen wohnten, hat die Einwohnzahl in den letzten 30 Jahren rapide abgenommen. Laut staatlicher Statistikbehörde wurde die Einwohnzahl im Jahr 2008 mit 3.251 Personen angegeben, weil die Menschen seit Jahrzehnten vom angekündigten Staudamm mit Überflutung der Stadt bedroht sind. Der Ilisu-Staudamm Als einen Teil des Südostanatolien-Projektes GAP (Güneydoğu Anadolu Projesi) ist der Ilisu-Staudamm zurzeit das größte Wasserkraftprojekt der Türkei. GAP wurde in den 1980er Jahren offiziell als wirtschaftliche „Aufschwungsinvestition“ deklariert. Unter anderem sollen 22 Staudämme und 19 Wasserkraftwerke an den grenzüberschreitenden Flüssen Euphrat und Tigris gebaut werden. Ein großer Anteil wurde schon gebaut. Der Planung nach soll jährlich 27 Mio. kWh Strom durch ein Wasserkraftwerk mit einer Kapazität von 1.200 MW und einer Leistung von 3.833 Gigawattstunden erzeugt werden. 42
Der Tigris soll mit einem 1.820 m breiten und 135 m hohen Erddamm gestaut werden. Dadurch würde ein mehr als 300 km² großer Stausee mit einem Volumen von 10.400 Millionen Kubikmetern entstehen. Die Bauzeit des Staudammes soll insgesamt sieben bis acht Jahre betragen und die Baukosten werden auf rund 1,2 Milliarden Euro veranschlagt. Nach der Fertigstellung soll die Stadt Hasankeyf in seinen Fluten untergehen. Am 03. August 2006 wurde mit dem Bau des Ilisu-Staudammes begonnen, damals noch mit tatkräftiger Unterstützung Deutschlands, Österreichs und der Schweiz. Nach drei Jahren öffentlicher Proteste in Europa und der Türkei und fortlaufender Missachtung internationaler Standards kündigten die drei Länder im Juli 2009 ihre Verträge mit der Türkei und es kam im Sommer 2009 zu einem Baustopp. Die internationalen Proteste zeigten Wirkung und die Rücknahme der Hermeskreditbürgschaft wurde damit begründet, dass die türkische Regierung Auflagen zum Schutz der Umwelt, zur verbesserten Umsiedlung und zum Kulturgüterschutz nicht erfüllte. Dennoch hält die türkische Regierung weiterhin an dem Projekt fest und hat nun im Frühjahr 2010 die Bauarbeiten wieder aufgenommen. Die wirtschaftlich erstarkte Türkei versucht das Projekt aus eigener Kraft zu finanzieren und gegen den Willen der lokalen Bevölkerung durchzusetzen. Weiterhin sind der österreichische Anlagenbauer Andritz, die Schweizer Büros Colenco, Maggia und Stucky sowie europäische Rückversicherer unter der Federführung von AXA dabei (vgl. Broschüre Save Hasankeyf Kampagne und Save Hasankeyf Ausstellung). Hasankeyf rückte in den letzten zehn Jahren zunehmend in den Blick der Umwelt- und Kulturverbände, der Medien und der Gesellschaft, wo sich über die politischen und geographischen Grenzen hinaus aus allen Bevölkerungsschichten eine medienwirksame Protestwelle gebildet hat. Leider ignoriert und missachtet die amtierende Regierung unter Ministerpräsident Erdoğan die fatalen Folgen eines Ilisu-Staudammes. Selbst das höchste Verwaltungsgericht hat den Stopp
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Protestaktion gegen Ilisu-Staudamm, Foto: Mehmet Bayval 2010 des Staudammes angeordnet: „Das türkische Oberverwaltungsgericht hatte am 7. Januar für das Ilisu-Projekt einen sofortigen Baustopp angeordnet, da der Bau den Umweltgesetzen widerspreche. Doch die türkische Regierung löste das Problem auf ihre Weise: sie baute weiter. Am 5. April erließ Umweltminister Veysel Eroglu eine rechtliche Ausnahmeklausel und setzte die Umweltgesetze für das Ilisu-Projekt außer Kraft. Jetzt haben zahlreiche türkische Umweltorganisationen Klage gegen den Umweltminister eingereicht“ (http://riverwatch.eu/ilisu/ ilisu-turkei-baut-weiter-ngos-klagen-aktuelle-fotos-von-der-baustelle). Demnach hätte der Ilisu-Staudammschwerwiegende Auswirkungen auf die Region: »» Auf ca. 400 km Länge würden der Tigris und seine Nebenflüsse durch Aufstau sowie tägliche Abflussschwankungen massiv beeinträchtigt werden. Wasserqualität, Sauerstoffgehalt, Temperatur und das intakte Fluss-Ökosystem mit Inseln, Buchten und Sandbänken würden dramatisch verändert werden. Arten wie Euphrat-Weichschildkröte, Graufischer usw. oder rund die Hälfte der derzeit bekannten 40 Fischarten könnten nicht überleben.
»» Über 200 bekannte archäologische Fundstätten würden vernichtet werden, darunter die berühmte antike Stadt Hasankeyf, in deren Umfeld sich 23 Kulturen verewigt haben, nicht zu reden von vermuteten, aber noch unbekannten Stätten aus 10 000 Jahren Menschheitsgeschichte. »» Durch die Talsperre würden 70-80.000 Menschen, überwiegend Kurdinnen und Kurden, ganz oder teilweise ihre Existenzgrundlage verlieren. Andere Staudammbauten zeigen, dass die Bevölkerung in der Region oft am wenigsten davon profitiert. Die Energie fließt vor allem in andere Gebiete. Eine Förderung des Tourismus und alternativer Energieprojekte hätte einen langfristigen Nutzen für die Region. Umfragen ergaben, dass 80 Prozent der betroffenen Bevölkerung das Projekt ablehnen. »» Der Plan stünde zudem im Widerspruch zu internationalen Abkommen, da die Nachbarstaaten Syrien und der Irak nicht konsultiert wurden. Das Wasser könnte als Druckmittel gegen unmittelbare Nachbarn eingesetzt werden (Quellen: Ilisu-Kampagne Texte).
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Weiterführende Informationen Über folgende Webseiten können alle aktuellen Informationen in verschiedenen Sprachen entnommen und die Stop Ilisu-Kampagne unterstütz werden. Darüber hinaus sind zahlreiche Videos bei dem Video-Internetportal YouTube zu finden: »» www.gegenstroemung.org/drupal/de/ node; www.eca-watch.at/ilisu/index.html »» www.stopilisu.com; www.dogadernegi. org; www.hasankeyfgirisimi.com »» www.evb.ch/p14211.html; www.ippnw. de; www.medico.de »» www.nadir.org/nadir/initiativ/isku/; http://de.yxk-online.de/ Spendenkonto: Gegenströmung, Kontoinhaber: infoe e. V. Kontonummer: 292 703 601, BLZ: 500 100 60
DELEGATIONSREISE TÜRKEI-KURDISTAN
Brief an das Parlament der Autonomen Region Kurdistan
rung in Bagdad machen und bessere Unterstützung z.B. für die Giftgasopfer ermöglichen würden?
Sehr geehrter Herr Dr. Sora, lieber Herr Khani, im Namen der DelegationsteilnehmerInnen und der IPPNW Deutschland bedanken wir uns nochmals sehr herzlich für die großzügige Gastfreundschaft des Parlaments der Kurdischen Autonomieregion im Irak. Wir bedanken uns sehr für das freundliche und informative Gespräch mit Ihnen im Parlament. Ihre organisatorische Unterstützung mit der professionellen Begleitung hat unsere erste Reise durch Südkurdistan erst möglich gemacht und uns einen ersten Eindruck und viele Informationen ermöglicht. Natürlich war die Zeit viel zu kurz für einen tiefen Einblick und viele Fragen sind offen geblieben.
Wir haben in der Umgebung von Kirkuk die Feuer der Ölfelder gesehen und gerochen. Sicher gibt es im Sommer große SmogProbleme. Die Ärzte berichten von einem Anstieg der Lungenerkrankungen. Gibt es Programme zum Umweltschutz und eine zivile Umweltbewegung? Wie wir gesehen haben, erfordert die relative Sicherheit in der Autonomieregion viel Militär und Polizei. Gibt es eine allgemeine Wehrpflicht? Und wenn ja, gibt es die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung und bekommen Wehrpflichtige ein Gehalt?
Es war sehr erschreckend und offensichtlich, wie tiefgreifend die Zerstörung des Landes durch Saddam Hussein und den Krieg waren. Der Aufbau geht schnell voran, es geht den Menschen offensichtlich gut, aber man hat den Eindruck, dass die gesellschaftliche Entwicklung auf der Strecke bleibt. Sie selbst haben in Ihren Ausführungen darauf hingewiesen, dass die Menschen sich viel zu sehr auf den Staat verlassen und ihre eigene Rolle und Verantwortung nicht kennen.
Ein weiteres Gebiet, in das wir in der kurzen Zeit keinen Einblick bekommen haben, ist das Bildungssystem. Sie haben uns erzählt, dass Sie sich am schwedischen System orientieren, das einen guten Ruf hat. Gibt es eine allgemeine Schulpflicht für Jungen und Mädchen gleichermaßen und wie lange? Sie haben berichtet, dass die Kinder früh die Möglichkeit haben, ihre jeweilige Muttersprache zu lernen und auch früh mit dem Englischunterricht begonnen wird. Wie tragen Sie der Tatsache Rechnung, dass die Kurden in den vier Ländern unterschiedliche Sprachen und Schriften benutzen? Gibt es Bestrebungen für eine gemeinsame Schrift und Hochsprache?
Die Bautätigkeit ist beeindruckend, die vielen großen, weißen PKWs auf den Straßen, die Einkaufs-paläste… Alles ist auf Konsum ausgerichtet. Im Land selbst wird bisher wenig produziert. Das führt zu großen Abhängigkeiten von den Nachbarn sowohl wirtschaftlich als auch politisch.
Im Parlament legen Sie Wert darauf, dass Frauen beteiligt werden. Auf der Straße im öffentlichen Raum haben wir kaum Frauen gesehen. Gibt es zivile Gruppen, die sich um Frauenrechte kümmern, die wohl in der Verfassung verankert sind? Gibt es Frauenschutzhäuser? Wir haben Berichte über weibliche Genitalverstümmelung gelesen, die auch im Autonomiegebiet vorkommen soll. Gibt es hier gesetzliche Regelungen?
Die meisten Menschen, die wir getroffen haben, waren zuversichtlich über die weitere positive Entwicklung der Autonomen Region. Wir haben aber auch kritische und enttäuschte Leute getroffen, nicht zuletzt Herrn Sabir Khoshnaw, der sich mehr konkrete Hilfe und Anerkennung für die Giftgasopfer wünscht. Auch auf der Gedenkfeier in Halabja war eine Gruppe junger Protestierer, die dem Ministerpräsidenten gegenüber ihre Unzufriedenheit deutlich machte. Es war für uns erfreulich zu sehen, dass man sie eine ganze Weile gewähren ließ und schließlich ohne Gewalt aus dem Festzelt schickte.
Wir setzen uns seit vielen Jahren für die Rechte der Kurden bei uns in Europa und in ihren Herkunftsländern ein. Wir wünschen Ihnen von Herzen viel Erfolg beim nachhaltigen Aufbau des Landes. Ihr Land hat ein großes Potential, sich weiter gut zu entwickeln und eine offene und demokratische Gesellschaft aufzubauen. Die vielen Bürger, die aus dem Exil aus allen Teilen der Welt zurückgekommen sind, bereichern die Gesellschaft und können ihre Erfahrungen beim Aufbau des Landes einbringen.
Sie haben uns den Kontakt zu einer der großen Kliniken in Arbil vermittelt. Der junge Chefarzt berichtete uns, dass das irakische Gesundheitswesen vor dem Krieg eines der besten der Welt war, dass es aber durch die Sanktionen und den Krieg und die Abwanderung vieler Ärzte jetzt sehr schwierig sei. Sein Haus sei zwar technisch gut ausgestattet aber baulich sehr heruntergekommen. Die Ärzte verdienen nicht genug und müssen deshalb private Praxen neben der Krankenhausarbeit betreiben. In kleineren Häusern gäbe es sowohl personelle als auch technische Engpässe. Wenn wir das richtig verstanden haben, gibt es keine Krankenversicherung und keinen sicheren Zugang zu qualitativ hochwertigen Arzneimitteln.
Wir werden die Entwicklung weiter aufmerksam verfolgen und jetzt sicher ein wenig besser verstehen. Wir wünschen Ihnen einen fairen Wahlkampf, friedliche Wahlen und eine gute Regierungsbildung. Und wir hoffen, dass wir wieder nach Südkurdistan kommen können. Mit bestem Dank und freundlichen Grüßen Dr. Gisela Pentker
Wie sind Ihre Pläne für eine Sozialversicherung und Besteuerung der Bürger, die die Regierung unabhängiger von der Zentralregie-
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Mehmet Bayval
BERICHT 2013
Glossar Glossar AKP
Adalet ve Kalkinma Partisi, Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung
BDP
Barış ve Demokrasi Partisi, Partei für Frieden und Demokratie
CHP
Cumhuriyet Halk Partisi ( Republikanische Volkspartei)
DOHA
Türkische Umweltorganisation
DTK
Kongress für eine demokratische Gesellschaft
DTP
Demokratik Toplum Partisi, Partei der demokratischen Gesellschaft
Ergenakon
Begriff aus der türkischen Mythologie, Bezeichnung für eine Verschwörung des
„Tiefen Staates“ gegen die Regierung Erdogan 2003
ESI
European Stability Initiative
IHD
Insan Haklari Dernegi, Menschenrechtsverein
KaMer Kadin Merkezi Frauenzentrum KCK
Koma Civaken Kurdistan, Union der Gemeinschaften Kurdistans
KDP
Kurdistan Democratic Party
KESK
Gewerkschaft für den Öffentlichen Dienst ~Verdi
MHP
Milliyetci Hareket Partisi, Partei der Nationalistischen Bewegung
Newroz
Der neue Tag, Kurdisches Neujahrsfest
NGO
Nongovernmental Organisation, Nichtregierungsorganisation
PKK
Partiya Karkeren Kurdistan, Arbeiterpartei Kurdistan
PUK
Patriotische Union Kurdistan
SES
Gesundheitsgewerkschaft
TIHV
Türk Insan Haklari Vakfi, Türkische Menschenrechtsstiftung
Tur Abdin
Berg der Knechte Gottes, Kernland der Syrisch-Orthodoxen Kirche in der Türkei
UNHCR
United Nations High Commissioner for Refugees
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BERICHT 2013
Reiseimpressionen
Das kurdische Parlament in Erbil
Urfa, Abrahams Park
Urfa, Abrahams Park
Newroz in Diyarbakir
Newroz in Diyarbakir
Markt in Erbil
Newroz in Urfa
Delegationsreise Türkei und Autonome Region Kurdistan – März 2013 © IPPNW e.V. / August 2013
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Zur Delegationsleitung: Dr. Gisela Penteker ist Allgemeinärztin in Otterndorf an der Nordsee und seit 1983 Mitglied der IPPNW. Seit Jahren führt sie Delegationsreisen in die Türkei/Kurdistan durch. Teilnehmer/innen der Reise und AutorInnen des Berichts: Mehmet Bayval, Dr. Christa Blum, Mehmet Desde, Sigrid Ebritsch, Ulrike und Albert Freyer, Eva Klippenstein, Julia Neuhof, Dr. Gisela Penteker, Dr. Friederike Speitling, Hatun Tuku, Fiene Wolf Endredaktion: Mehmet Bayval, Dr. Gisela Penteker, Fiene Wolf Layout: IPPNW e.V. / Pia Heuer / Samantha Staudte Titelfoto: Sigrid Ebritsch/ Junge in Diyarbakir
Online -Version unter: www.issuu.com/ippnw
© IPPNW e.V., August 2013 Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur mit Genehmigung möglich Bestellmöglichkeit unter shop.ippnw.de oder in der IPPNW-Geschäftsstelle: IPPNW – Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. Körtestr. 10 | 10967 Berlin Tel.: +49/ (0) 30 - 69 80 74 - 0 Fax: +49/ (0) 30 - 683 81 66 ippnw@ippnw.de | www.ippnw.de