ippnw forum
das magazin der ippnw nr121 märz10 3,50€ internationale ärzte für die verhütung des atomkrieges – ärzte in sozialer verantwortung
- Alles nur gekauft? Medizinische Fortbildungen und Studien - Vergessen: die Opfer des Kaschmir-Konflikts - 6 Fragen an Peter Sawicki
Sicherheitsrisiko Schwarz-Gelb: Laufzeitverlängerung, Atomexporte, Atommüll, erhöhtes Krebsrisiko - wie geht‘s weiter mit der Atompolitik?
I PPNW IPPNW steht für “International Physicians for the Prevention of Nuclear War”. Wir engagieren uns für eine Welt ohne atomare Bedrohung und Krieg, wurden 1985 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet und sind in über 60 Ländern aktiv.
In der IPPNW engagieren sich Ärztinnen und Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie Medizinstudierende für eine menschenwürdige Welt frei von atomarer Bedrohung. Frieden ist unser zentrales Anliegen. Daraus entwickeln wir unser vielfältiges Engagement. Wir setzen uns ein für die Ächtung jeglicher Kriege, für gewaltfreie, zivile Formen der Konfliktbearbeitung, für den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen und die gerechte Verteilung der Ressourcen sowie für ein soziales und humanes Gesundheitswesen. Dabei leiten uns unser ärztliches Berufsethos und unser Verständnis von Medizin als einer sozialen Wissenschaft. Für eine Welt frei von atomarer Bedrohung Für eine Welt frei von Krieg Für eine Medizin in sozialer Verantwortung
Abonnement zum Preis von 20 Euro/Jahr zum Förderpreis von 40 Euro/Jahr
Mitglied werden Ich möchte IPPNWMitglied werden Jahresbeitrag: ÄrztInnen 120 Euro, Fördermitglieder 52 Euro, Studierende 32 Euro.
Freunde werden Bitte senden Sie einen Mitgliedsantrag ein unverbindliches ForumProbeexemplar an:
Name
Straße
IPPNW Deutsche Sektion Körtestraße 10 10967 Berlin
Plz, Ort
Unterschrift
Online finden Sie diese Angebote unter www.ippnw.de/aktiv-werden
EdItOrIAl Angelika Wilmen, Pressesprecherin und Koordinatorin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
S
icherheitsrisiko Schwarz-Gelb. Als wir den Titel für die erste neugestaltete Ausgabe des IPPNW-Forums festlegten, hatten wir die geplanten Laufzeitverlängerungen von alten abgeschriebenen Atomkraftwerken im Blick.
V
or dem hintergrund der Dauerquerelen in der schwarz-gelben Koalition weckt dieser Titel aber noch ganz andere Assoziationen. Unser Gesundheitssystem droht unter Minister Rösler immer weiter in Richtung Zwei-Klassen-Medizin zu driften, der Pharmakritiker Sawicki wird kaltgestellt und damit die Unabhängigkeit der Forschung gefährdet. Westerwelle beschimpft hartz-IV-Empfänger als Sozialschmarotzer und spaltet die Gesellschaft auf gefährliche Art und Weise. Und der deutsche Bundestag schickt ungeachtet des Mehrheitswillens der Bevölkerung mehr Soldaten nach Afghanistan – weitere zivile Opfer und ein Anstieg der Zahl traumatisierter Soldaten sind vorprogrammiert.
H
eute halten Sie, liebe Mitglieder und Spender der IPPNW, unsere erste Mitgliederzeitschrift im modernen Layout mit farbigen Bildern, bunten Initialen und herausgehobenen Textkästen in den händen. Um sowohl Lesekomfort als auch Umweltverträglichkeit gerecht zu werden, haben wir uns außerdem für ein neues Papier entschieden - ein Umweltpapier mit FSC-Zertifizierung. Wir berichten über den Einfluss der Pharmaindustrie, die Vorbereitungen für die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag und lassen den abgesetzten Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen zu Wort kommen. Wenn Sie Mitglied sind, liegt diesem heft neben dem Jahresbericht auch ein interner Teil bei, in dem Sie Wissenswertes aus unseren Arbeitskreisen und Regionalgruppen erfahren. Lesen Sie außerdem, warum die Erlebnisse im Rahmen des Programms „famulieren&engagieren“ für die Studierenden eine Bereicherung waren. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen. Angelika Wilmen
3
inhalt Vergessen Die Opfer des Kashmir-Konflikts
10
Themen Alles nur gekauft? Studien und Fortbildungen......................................8 Vergessen: die Opfer des Kashmir-Konflikts........................................ 10 Ein Strategiewechsel, der keiner ist........................................................... 12 next stop: new york. Vorbereitung auf die NPT 2010.................. 13 Ärzte gegen Krieg - ein Rückblick, Teil 1 ............................................. 30
Schwerpunkt Flauschige Wolken: Fotos von Jürgen Nefzger................................... 14 Sicherheitsrisiko Schwarz-Gelb .................................................................... 16 Der Wettlauf hat begonnen. Interview mit H. Scheer. ................. 18
Schwerpunkt: Sicherheitsrisiko Schwarz-Gelb Wie geht es weiter mit der Atompolitik in Deutschland?
14
In der Verlängerung: Anti-Atom-Protest. ................................................. 20 Risse im Mythos - Wie sicher sind deutsche AKW ?..................... 21 Strahlende Export-Aussichten......................................................................... 22 Das Laufrad und der Reaktor........................................................................... 23 Was bleibt. Endlagersuche in Deutschland.......................................... 24
Welt Sacred Land, Poisened Peoples ................................................................... 26 Bis auf den Grund: Global Response Conference 2010
. .......
27
Rubriken Sacred Land, Poisened Peoples Uranabbau und indigene Völker die Vor-Konferenz zum IPPNW Weltkongress 2010
26
Editorial. ................................................................................................................................3 Meinung.................................................................................................................................5 Nachrichten........................................................................................................................6 Aktion. ................................................................................................................................. 28 Kampagne........................................................................................................................ 29 Gesagt, Gelesen........................................................................................................... 32 Geplant, Termine........................................................................................................ 33 Gefragt................................................................................................................................ 34 Impressum/Bildnachweis..................................................................................... 33
M einung
Angelika Claußen, Vorsitzende der IPPNW Deutschland Auszug der Rede auf der Pressekonferenz zur Londoner AfghanistanKonferenz am 29. Januar 2010; die ganze Rede auf www.ippnw.de/presse
Krieg macht krank. Frieden in Afghanistan kann nur von innen geschaffen werden. Damit Frieden geschaffen werden kann, benötigt die Afghanistanpolitik einen radikalen Politikwechsel: Eine zivile Konfliktbearbeitung muss die gescheiterte militärgestützte Kriegspolitik ablösen.
W
ir als Ärzte und Psychotherapeuten sind äußerst besorgt darüber, in welchem Maße die Politik bei ihren Entscheidungen die physische und psychische Gesundheit sowohl der Zivilbevölkerung als auch der Soldaten systematisch ausblendet. Deshalb sehen wir es als unsere Aufgabe, die gesundheitliche und seelische Situation von afghanischer Bevölkerung und Soldaten darzustellen und zu verdeutlichen, dass hier mehr getan werden muss, dass hier Hilfe fehlt. Hilfe, die für einen Frieden in der Gesellschaft unerlässlich ist. Krieg macht krank. Das scheint ein Allgemeinplatz zu sein. Umso mehr erschreckt uns Ärzte und Psychotherapeuten, dass so viel über die Aufstockung militärischer Mittel gesprochen wird – aber so wenig über medizinische und psychosoziale Hilfe.
W
ir sind uns sicher, dass die afghanische Bevölkerung erst eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse erkennen können muss, und zwar unter Wahrung ihrer Autonomie und ihrer Würde. Erst dann entsteht tatsächlich eine Chance, Frieden Wirklichkeit werden zu lassen. Wir als Mediziner sehen daher eine absolute Notwendigkeit darin, dass die Bundesregierung Entwicklungsprojekte in Afghanistan fördert, die von den regionalen Akteuren des Landes gemeinsam für wichtig und nützlich gehalten werden und die die Lebensbedingungen der Menschen verbessern.
D
er sogenannte Strategiewechsel stellt eine gezielte Täuschung der Öffentlichkeit dar. Verschwiegen wird der Beschluss, wonach 5.000 US-Soldaten und 48 Hubschrauber in die unter deutschem Kommando stehenden Nordprovinzen verlegt werden. Im Klartext bedeutet das die Ausweitung des USamerikanischen Modells der Aufstandsbekämpfung, mehr tote Zivilisten und mehr tote und traumatisierte Soldaten. Die IPPNW ist überzeugt, dass nur eine zivile Bearbeitung des Konflikts Frieden und Entwicklung für Afghanistan bringen kann. Die Bundesregierung soll ein festes, nahe liegendes Datum, bis zu dem die deutschen Truppen aus Afghanistan abgezogen sein werden, nennen. Sie soll erklären, dass Deutschland zivile Hilfe je nach Bedarf bis zu dem Betrag aufstocken wird, der durch den Abzug der Truppen frei würde.
5
N achrichten
Areva: Staatshilfe für BrasilienAtommeiler gebilligt / Uran-Abbau in Jordanien
„Son of Babylon“ ist der Friedensfilm 2010
Ilisu-Staudamm: Druck auf Ankara wird immer größer
D
D
D
er Weg für die umstrittene MilliardenBürgschaft Deutschlands zum Bau eines Kernkraftwerks in Brasilien ist frei. Der Haushaltsausschuss des Bundestages billigte am 27. Januar 2010 mit der Mehrheit von Union und FDP die ExportKreditgarantie des Bundes über rund 1,4 Milliarden Euro. Mit der Förderung soll der Bau des Kernkraftwerks durch den französischen Atomkonzern Areva ermöglicht werden. An Areva ist der deutsche Kraftwerksbauer Siemens beteiligt. Nach Angaben des SPD-Haushaltsexperten Carsten Schneider handelt es sich bei Angra 3 um eine veraltete Technologie in einem Land mit niedrigem Sicherheitsstandard und ohne unabhängige Atomaufsicht. Zudem sei der Standort erdbebengefährdet. Umweltschützer und Atomkraftgegner - darunter auch die IPPNW - haben im Januar vor dem Kanzleramt gegen die Staatshilfe protestiert. Sie warnen vor großen sicherheitstechnischen Risiken.
D
er weltgrößte Atomtechnikkonzern Areva darf in Jordanien 25 Jahre lang Uranvorräte abbauen. Ein entsprechendes Abkommen schloss das Unternehmen nach Konzernangaben im Februar. Vorgesehen ist, dass ein Teil des geförderten Urans dem jordanischen Atomprogramm zugute kommt. Das Land will bis 2040 eine Reihe von Kernreaktoren bauen. Schätzungen der jordanischen Atomenergiekommission zufolge hat das Land rund 130.000 Tonnen Uranvorräte.
er 25. Friedensfilmpreis der Internationalen Filmfestspiele Berlin 2010 ging an „Son Of Babylon“ von Mohamed Al-Daradji. Der Film erzählt die Geschichte eines kurdischen Jungen aus dem Norden Iraks. Es ist das Jahr 2003, wenige Wochen nach den Sturz Saddams und dem Einmarsch der Amerikaner. Tausende Menschen sind auf der Suche nach vermissten Verwandten. So sucht auch der 12-jährige Ahmed zusammen mit seiner Großmutter nach seinem Vater, der nicht aus dem Kuwaitkrieg heimgekehrt ist. Die Reise führt sie über Bagdad nach Nasiriyah zu den Massengräbern aus der Zeit Saddams. Die Geschichte macht deutlich, dass Krieg länger andauert, als die tatsächlichen Gewalthandlungen. „Ein Film über Schuld, Wahrheit, Reue und Vergebung und über die Stärke der Großmütter, die die ganze Welt in ihren Händen halten: Eine lange Reise“, heißt es in der Begründung der Jury. Der Preis wurde am Sonntag, 21. Februar 2010, feierlich in der Akademie der Künste verliehen. Die Laudatio auf den Preisträgerfilm hielt die Autorin und Journalistin Carolin Emcke (s.S. 30). Die IPPNW ist Schirmherrin des Friedensfilmpreises. www.friedensfilm.de
6
ie Abgeordneten des Europäischen Parlaments sind besorgt über die Umsiedlung von Tausenden von Menschen aufgrund der Errichtung der Staudämme in Südanatolien und über die Bedrohung des kulturellen und ökologischen Erbes in der Region, insbesondere der archäologischen Stätten Hasankeyf und Allianoi. Das teilten sie in einer Pressemitteilung am 10.2.2010 mit. Das Europäische Parlament fordert Ankara „eindringlich auf, die Arbeit an dem Ilisu-Staudamm-Projekt einzustellen“, bis die EU-Kommission eine Studie zu den Konsequenzen des SüdostAnatolien-Projekts (GAP) vorgelegt hat.
N
ach Angaben der Kampagane „Stop Ilisu“ ruhen zur Zeit zwar alle Arbeiten, die Türkei sucht aber nach neuen Finanziers. Die türkischen Banken Akbank und Garanti Bank haben trotz grossem politischem Druck noch keine zusätzlichen Gelder garantiert. Ankara hat die Wiederaufnahme der Bauarbeiten für das Frühjahr angekündigt. Dabei sollen die Kulturdenkmäler nun nicht mehr in einen Archäologiepark umgesiedelt, sondern zum Teil „unter Wasser konserviert“ werden, so Umweltminister Eroglu kürzlich.
A
m 12.2.2010 wurde die Enteignung von Land für Neu-Hasankeyf vom Verwaltungsgericht in Diyarbakir für ungültig erklärt. Die Bewohner eines Dorfes gegenüber Hasankeyf hatten geklagt, weil der Staat schnell und ohne auf ihre Forderungen einzugehen enteignet hatte. Jetzt muss neu verhandelt werden. Ein Erfolg, denn ein normaler Enteigungsprozess benötigt meistens ein bis zwei Jahre.
N achrichten
Vom Atomstandort zur Friedensstadt: Ulm und Neu-Ulm
Frankreich nutzte Soldaten als Testobjekte
Gaza Freedom March endete in Kairo
D
F
1.400
ie Bürgermeister von Ulm und NeuUlm, Ivo Gönner und Gerold Noerenberg, sind seit Februar 2010 Bürgermeister für den Frieden. Die beiden Oberbürgermeister treten damit einer weltweiten Bewegung bei. Sie setzt sich für eine atomwaffenfreie Welt ein. Mehr als 350 Rathauschefs aus Deutschland stehen bereits auf der Liste. „Eine Welt ohne Atomwaffen ist kein Hirngespinst sondern ein politisches Ziel, dass sich alle Menschen auf dieser Erde zueigen machen sollten. Der Einsatz von atomaren Waffen wird zuallererst die Menschen in den Städten und großen Ballungszentren treffen. Deswegen müssen wir, die gewählten Repräsentanten der Bürgerschaft aus den Städten, uns am deutlichsten auch für eine Welt ohne Atomwaffen einsetzen. Unser Ziel ist eine Gesellschaft, die den Einsatz von Massenvernichtungsmitteln und Gewalt ächtet und die politischen Voraussetzungen dafür schafft, dass der Einsatz dieser schrecklichen Waffen und dieser friedenszerstörenden Strukturen unmöglich wird“, erklärte der Oberbürgermeister von Ulm, Ivo Gönner, in seiner Grußbotschaft. Reinhold Thiel, Vorstandsmitglied der IPPNW, machte deutlich: „Mit ihrem Beitritt erklären sie auch, dass sie sich dafür einsetzen werden, bis zum Jahr 2020 eine atomwaffenfreie Welt zu erreichen. Gerade an einem ehemaligen Atomwaffen-Standort wie Ulm/Neu-Ulm ist das ein wichtiger symbolischer Akt.“
rankreichs Militärführung hat bei Tests Hunderte Soldaten der Strahlung einer explodierten Atombombe ausgesetzt. Die Zeitung Le Parisien zitiert einen geheimen Bericht, in dem es heißt, bei dem „Gerboise verte“ genannten oberirdischen Atomversuch in Algerien am 25. April 1961 sollten „die physiologischen und psychologischen Wirkungen der Atomwaffe auf den Menschen erkundet [werden], um die nötigen Elemente für die physische Vorbereitung und moralische Ausbildung des modernen Kämpfers zu erhalten“. Einigen Soldaten sei befohlen worden, nach der Explosion bis auf 275 Meter an das Explosionszentrum heranzurücken. Nach dem Versuch folgerten die Militärs, dass „der Kommandeur niemals die verseuchte Zone betreten“ sollte. Etwa 4.800 noch lebende Atomtestteilnehmer sind heute Mitglied der Veteranenvereinigung Aven. 35 Prozent von ihnen haben Krebs, nur zehn Prozent sind gesund. In diesem Jahr will Frankreich erstmals Opfer entschädigen. Verteidigungsminister Hervé Morin sagte nach Angaben des Tagesspiegels, er kenne den Geheimbericht nicht. Die Soldaten hätten aber „nur sehr schwache“ Strahlungsmengen abbekommen. Zu den Atomversuchen sagte Morin: „Das ist ein herrliches Epos, das Symbol der Beständigkeit einer Nation, die die Mittel seiner eigenen Souveränität erringen wollte.“ Er habe gegen eine starke Lobby erreicht, dass Paris in diesem Jahr zehn Millionen Euro für die Opfer zur Verfügung stelle.
7
TeilnehmerInnen aus 43 Ländern beteiligten sich zum Jahreswechsel am Gaza Freedom March – darunter auch einige Mitglieder der IPPNW. Sie alle vereinte das gemeinsame Ziel, eine internationale Öffentlichkeit für die Situation der Bevölkerung in Gaza herzustellen und den Druck auf die israelische Regierung zu erhöhen, die völkerrechtswidrige Blockade zu beenden. Aufgrund des Verbots der ägyptischen Behörden konnte der Marsch nicht, wie ursprünglich geplant, durchgeführt werden. Ägypten genehmigte weder das erste gemeinsame Zusammentreffen aller TeilnehmerInnen in Kairo noch die Durchreise nach Gaza. Diese Rahmenbedingungen zwangen die Veranstalter des „Gaza Freedom March“ dazu, die Aktionen und Proteste gegen die völkerrechtswidrige Blockade Gazas in Kairo durchzuführen. Trotz des Einreiseverbots hat der internationale Protest in Kairo weltweite Aufmerksamkeit gefunden und das Problem wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Die Kairoer Erklärung, die auf einer Initiative der südafrikanischen Delegation basiert und ein Ende der israelischen Apartheid gegenüber Palästina fordert, nahmen mehrere Hundert Delegierte des Gaza Freedom March per Akklamation an. Außerdem forderten die europäischen TeilnehmerInnen die EU-Außenministerin Catherine Ashton auf, Druck auf die israelische Regierung auszuüben und ein Ende der Blockade von Gaza zu fordern.
SOZIAlE VErANtWOrtUNg
D
ie Bundesärztekammer verlangt: „Sponsoring ist transparent zu machen. Der Sponsor darf nach Form und Inhalt Weiterbildung nicht beeinflussen. Die Verbindungen von Referenten zur Industrie müssen offen gelegt werden.“
Alles nur gekauft? Studien und Fortbildungen Der Einfluss der Pharmaindustrie Teil 3
V
zudem ausdrücklich festgehalten, dass Fort- und Weiterbildung frei von wirtschaftlichem Einfluss zu erfolgen haben.
on Fortbildungen über den Wissenschaftsbetrieb bis hin zu Studienpublikationen in Fachzeitschriften - überall lässt sich unschwer die handschrift der Pharmaindustrie erkennen, ihren Selbstverpflichtungserklärungen zum Trotz. Alternative Ansätze gibt es, sind aber nicht die Regel und fordern ein Umdenken.
T
rotz dieses Verbots manipulieren Pharmakonzerne aber Ärzte-Fortbildungen. „Es ist eine Produktwerbung und schlimmer als Werbung, denn sie ist getarnt als Fortbildung“, erklärte Prof. Peter Sawicki, (noch) Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), dazu schon 2007 in der Fernsehsendung Panorama. Mit der gesetzlich geforderten Fortbildung besteht bei den Landesärztekammern neben deren Zertifizierung eigentlich auch die Pflicht, diese auf ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit hin zu überprüfen. In der selben Sendung gezielt befragt, gab Dr. Koch, Präsident der Bayerischen Ärztekammer unumwunden zu, damit personell überfordert zu sein.
Fort- und Weiterbildung Das Institut für Epidemiologie und Sozialforschung hannover hat eine systematische und detaillierte Literaturübersicht zum Sponsoring der Industrie in den vergangenen 10 Jahren erstellt. Darin sind 22 meist englischsprachige, aber auch einige deutsche Studien aufgeführt. Wieder einmal ist es die verzerrte Wahrnehmung, die überrascht: Bei Umfragen unter Radio-Onkologen hielten 66 % Pharmainformationen nützlich für ihre Fortbildung. Dabei sahen lediglich 5 % einen möglichen Einfluss auf ihr eignes Rezeptierverhalten, hielten aber 33 % ihrer Kollegen für beeinflussbar. In einem anderen Fall wurden 487 englische Klinik- und hausärzte befragt. Etwa die hälfte gab an, Zuwendungen durch die Industrie erhalten zu haben. Davon erkannten immerhin 40 % einen Interessenkonflikt, gleichzeitig beanspruchten aber 86 %, immun gegen Beeinflussbarkeit zu sein.
Noch weniger werden zahllose Internetportale kontrolliert, die zumeist von der Pharmaindustrie direkt oder indirekt unterhalten werden. So haben die großen Konzerne eigene Portale, bei denen man allein durch Einloggen mit seiner Arztnummer die begehrten Weiterbildungspunkte erhält. Trotz des aufwändigen Auftritts wird hier niemals Geld verlangt – seltsam? Prof. Müller-Oerlinghausen, langjähriger Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, meint hierzu: „Warum wir Fortbildung umsonst bekommen müssen, warum Akademien für Ärztliche Fortbildung sagen müssen, ohne pharmazeutische Industrie geht es überhaupt gar nicht, hat mir nie eingeleuchtet.“
Die Bundesärztekammer verlangt: „Sponsoring ist transparent zu machen. Der Sponsor darf nach Form und Inhalt Weiterbildung nicht beeinflussen. Die Verbindungen von Referenten zur Industrie müssen offen gelegt werden.“ Mit der gesetzlichen Einführung zur Weiterbildungspflicht 2003 wurde im Sozialgesetzbuch 8
D
Ein erschreckendes Beispiel aus dem letzten Jahr: Oseltamivir, besser bekannt als Tamiflu und angeblich wirksam gegen Schweine- und Vogelgrippe wurde allein in Deutschland nach massivem öffentlichem Druck in einem Umfang von mehreren 100 Millionen Euro eingelagert. Eine Cochrane Gruppe fand heraus, dass von zehn Studien zum Medikament nur 2 vollständig veröffentlicht worden waren. Eine der Studien war von einem Ghostwriter, alle anderen bis auf eine einzige waren von Wissenschaftlern verfasst, die von La Roche bezahlt wurden. Welchen Nutzen haben solche Studien, außer dem für den Hersteller?
as Fazit kann nur lauten: die Ärzteschaft muss für den Umgang mit der Industrie besser sensibilisiert werden. So gibt es industrieunabhängige Angebote, aber schon während des Medizin- und Pharmaziestudiums wird man durch Kursangebote an die Pharmaindustrie herangeführt. Wichtig ist daher ein frühes, gezieltes Gegensteuern gegen die Pharmasozialisation. Solche Vorschläge samt Curricula wurden von der WHO schon vor längerem erarbeitet; in Berlin sollen sie im kommenden Semester erstmalig angeboten werden.
Medizinische Fachliteratur
D
Zu Arzneimitteln existieren unterschiedliche Informationsquelie großen, renommierten Fachzeitschriften haben 2004 len. Zum Zeitpunkt der Zulassung eines neuen Medikaments beschlossen, keine Studien mehr zu publizieren, die liegen grundsätzlich nur dem entsprechenden pharmazeu- nicht zuvor in dem zentralen Register der USA oder GB angetischen Unternehmen sowie den Zulassungsbehörden (z.B. meldet wurden. In den USA ist es seit 2008 Gesetz, klinische EMEA in Europa, FDA in den USA) sämtliche bis zu diesem Studien vor Beginn zu registrieren und die Ergebnisse im InZeitpunkt erhobenen Informationen vor, insbesondere zum ternet zu veröffentlichen. Davon ist Deutschland weit entfernt. Wirksamkeitsnachweis. Diese Informationen, speziell die Roh- Zwar gibt es Ansätze zu einer zentralen Registrierung, und eindaten, sind der Öffentlichkeit nicht in vollem Umfang zugänglich. zelne Fachzeitschriften, u.a. das Deutsche Ärzteblatt, haben Die Fachöffentlichkeit wird durch medisich dieser Forderung angeschlossen. zinische Fachzeitschriften informiert, in Alles basiert aber auf freiwilliger Basis. denen mehr oder weniger unabhängige Forscher aus diesen Daten Studien zu Dennoch scheint die Problematik langeinem neuen Medikament veröffentlisam bei der Ärzteschaft anzukommen. chen. Wissenschaftler der University of So wurde 2009 eine Untersuchung California haben untersucht, inwieweit vorgestellt, mit der die Arzneimitteldiese beiden Informationen qualitativ kommission (AKDÄ) vom Ärztetag beund quantitativ übereinstimmen. Sie auftragt worden war. Deren Übersichtsuntersuchten den Zeitraum 2001 und arbeit für die Zeit von 2002 bis 2008 2002 und fanden, dass die Informabestätigte, dass von der Pharmaindutionen für die Fachöffentlichkeit weitstrie in Auftrag gegebene Studien deutgehend unvollständig und verzerrt lich günstigere Ergebnisse im Sinne on zehn Studien zu Tamiflu sind waren. So wurden längst nicht alle des Herstellers erbringen. Das entnur zwei vollständig veröffentZulassungsstudien veröffentlicht. spricht im wesentlichen den Befunden licht worden. Eine der Studien war von Allerdings: Je positiver der Outcome, im Sonderheft 326 des BMJ. desto eher wurden die Studien auch vereinem Ghostwriter, alle anderen bis auf öffentlicht. 47 % der negativen ErgebVor solch erschreckendem Publikaeine einzige waren von Wissenschaftnisse wurden dagegen nicht publiziert. tions-Bias der Fachliteratur können lern verfasst, die von La Roche bezahlt Vier Studien mit negativem Outcome wir nicht wissentlich unsere Augen werden. Welchen Nutzen haben solche waren sogar als „Positivstudien“ verschließen. Neben einer bereits vom berichtet worden, einfach durch VerIQWiG geforderten europaweit gesetzStudien, außer für den Hersteller? änderung der statistischen Signifilich geregelten Registrierungspflicht kanzwerte. Ein andere Gruppe konnte müssen auch Mittel und Wege gefun2008 aufzeigen, dass von 74 an die FDA eingereichten Studien den werden, medizinische Forschung und insbesondere klinische 31 % nicht veröffentlicht wurdem. Obwohl bei den eingereichten Studien wieder zurück in die öffentliche Verantwortung zu holen. Studien nur 51 % positiv abschnitten, ergaben in der Fachliteratur 94 % aller Studien ein positives Bild. Das hohe Gut der Patientensicherheit und des Verbraucherschutzes steht auf dem Spiel. Enorme Summen an Versicherin neuer Trend macht die Willkür bei der Interpretation der tenbeiträgen können eingespart und besser verwendet werden. Ergebnisse noch deutlicher: Firmen lassen ganze wissen- Alternativen zum heutigen System aufzuzeigen, ist ein weiteres schaftliche Artikel von Ghostwritern verfassen. Bezahlte „Mei- spannendes Thema. nungsführer“, in der Regel bekannte Chefärzte und Professoren, geben dafür dann ihre Namen, eine Win-Win Situation für alle – außer für den Patienten. Laut Aussagen des dänischen Cochrane Centers sollen in bestimmten Medien bis zu drei Viertel aller Publikationen so zustande kommen. Diese Erkenntnisse erscheinen von weitreichender Bedeutung. Da es sich stets um neue, Dr. Joachim Both, patentgeschützte und daher sehr teure Mittel handelt, sogenannIPPNW Berlin te Blockbuster, wird für diese Art der Patientengefährdung auch Interessenkonflikte: keine Rückfragen: jboth@arcor.de noch sehr viel Geld ausgegeben.
V
E
9
Frieden
Die unsichtbaren Opfer des Kashmir-Konflikts Ein Essay von Bharat Kumar
V
ergeben Sie mir, Herr Doktor.“ sagte Sakina Syed auf Urdu, ihre Hände ineinander klammernd. „Ich weiß dass das, was ich mache, falsch ist, aber mein Leben hier in Kashmir ist einfach unerträglich.“ Sie nahm ein Geschirrhandtuch aus ihrer Tasche und rollte vorsichtig vier verschmutzte Spritzen heraus. Sie stieß die Spritzen augenblicklich mit großem Ekel weg und sagte unter Tränen: „Ich kann diese Abhängigkeit nicht kontrollieren – mein Leben ist in Trümmern.“ Von seinem Tisch aus schaute sich der Psychiater die Spritzen genauer an und fragte ruhig: „Was ist dir passiert, Sakina? Warum bist du so aufgewühlt?“ Sakina atmete tief ein, um ihre Fassung wiederzuerlangen und wischte sich mit ihrem Handrücken einige Tränen weg. Sie berichtete uns, dass sie vor ein paar Monaten mit ihrem 13-jährigen Bruder auf dem Markt war, um Gemüse zu kaufen, als es plötzlich zu einer Demonstration kam. Als sie die Gefahr erkannt hatten, schlängelten sich beide eilig durch die Massen. Doch ihre Flucht wurde von einem lauten Knall gestoppt. Ihr Bruder wurde von einem Querschläger getroffen. Sie erzählte uns mit atemberaubender Genauigkeit, wie sein Körper einknickte und er zu Boden fiel – die Knie zuerst. Sein grün geschecktes T-Shirt und seine blauen Jeans erschienen in einer tiefrötlichen Farbe, als das Blut aus der Eintrittswunde den Bauch und die Beine runterlief. Und dann sprach sie stockend
seine letzten Worte aus – „Gott schütze dich, Sakoo. Pass auf Mama und Papa auf.“ Sakina blieb unversehrt, aber ihre Gefühle wurden tief erschüttert. Von diesem Tage an ist sie die quälenden Bilder wieder und wieder in ihrem Kopf durchgegangen – Tag und Nacht. Sie kann keine Hausaufgaben mehr erledigen, weil sie sich nicht auf die Schule konzentrieren kann. Sie kann keine Hausarbeit machen, weil sie immer nervös ist und mit einem erneuten Schuss rechnet. Sie kann nicht einmal schlafen, weil sie Angst hat, dass sie von Alpträumen heimgesucht wird. Ihre einzige Entspannung ist Fentanyl, das ihr von einem Nachbarn besorgt wurde. „Jetzt bin ich behindert,“ sagt Sakina, „ich kann weder zur Schule noch zuhause bleiben. Ich kann mich nur selbst betäuben.“ An diesem Punkt drehte sich der behandelnde Psychiater zu mir, seinem Studenten, und sagte „Posttraumatisches Stress-Syndrom und Drogenmissbrauch sind sehr verbreitet in Kaschmir. Sie ist eine von Tausenden in diesem seit 20 Jahren andauernden Konflikt.“ Vergessen ist sicherlich das beste Wort, um Sakinas Situation zu beschreiben. In dieser visuellen Welt, dominiert von den Zeitungen, dem Fernsehen und dem Internet, können wir die Opfer von gewaltsamen Konflikten sehen, wenn sie offensichtliche Stigmata wie Einschusswunden oder Infektionen tragen. Weniger sichtbar sind die Millionen wie Sakina, die durch physische Gewalt mindestens genauso in ihrer Psyche betroffen sind. Ihre Verlet10
zungen ertragen sie meist in Isolation, weit weg von Unterstützung von Menschen, die ihnen sonst helfen würden. Die nächsten Worte des Arztes zeigten den beklagenswerten Zustand der psychiatrischen Versorgung in gewalterschütterten Gegenden: „Es tut mir leid, Sakina – aber es gibt wenig, was das Krankenhaus tun kann. Ich kann dir nur empfehlen, dass du über deine Probleme sprichst und allmählich deine Sucht in den Griff bekommst. Eine Gruppe, die gleiches durchmacht, trifft sich zweimal im Monat hier.“ Man konnte die Frustration in den Augen des Arztes und seiner Patientin sehen, aber wahrscheinlich ist das die beste Behandlung, die man in Kaschmir, wie in allen Konfliktregionen, bekommen kann. In der größten psychiatrischen Einrichtung Kaschmirs in Kaathi Darwaza gibt es keine Programme für Drogenentzug, keine finanzielle Unterstützung bei Psychopharmaka oder für Begleituntersuchungen. Der Mangel an Ressourcen macht deutlich, dass das Krankenhaus selbst ein Opfer dieses andauernden Konfliktes ist. Man bekommt ein Gefühl für die Psyche von Kaschmir, wenn man durch die Labyrinthe der schummerigen Korridore des Krankenhauses läuft. Die dicken Wände und engen Gänge zeugen noch von der Zeit, als es unter dem damaligen Maharaja ein Gefängnis für politische Gegner war. Seit der Errichtung 1950 wird das Gefängnis als „Irrenanstalt“ bezeichnet, was die Stig-
D
ie größte Gefahr liegt in dem Einfluss bewaffneter Konflikte auf leicht zu beeindruckende Kinder. Wenn sie in einem Umfeld der Angst aufwachsen, sind sie später im Erwachsenenalter anfälliger für Aggressionen. Dadurch entsteht der lange Schatten des gewaltsamen Konflikts, der noch lange nachdem die Waffen schweigen negativ auf die Bevölkerung einwirkt.
Gewinner-Essay Mit diesem Essay hat der Medizinstudent Bharat Kumar den Aufsatzwettbewerb zur Global Response Konferenz 2010 (s.S. 27) gewonnen. Übersetzung aus dem Englischen von Jens Heinrich.
matisierung von psychischen Störungen im Kaschmir-Tal verdeutlicht. Genau betrachtet zeigt selbst das Krankenhauspersonal Unbehagen, wenn es auf die Besucher schaut – immer scheint die Angst dabei zu sein, einer könnte ein Militanter sein. Aber trotz aller Probleme funktioniert das Krankenhaus außergewöhnlich gut, wenn man bedenkt, dass nur 10 Ärzte hier arbeiten. 300 Menschen kommen täglich und annähernd 100 werden hier beherbergt. Aber selbst diese 400 Patienten sind nur ein winzig kleiner Teil der Tal-Bewohner, die vermutlich unter psychischen Erkrankungen leiden. Die Aufstände in Kaschmir haben zwar die Datenerhebung zu diesem Problem erschwert, doch gibt es eine der zuverlässigsten Statistiken von den „Ärzten ohne Grenzen“ (MSF) von 2005. MSF ist eine von zwei NGOs, denen es erlaubt ist, in Kashmir zu arbeiten. Die Studie fand heraus, dass sich nur die Hälfte der Menschen im Kashmir-Tal gelegentlich oder gar nicht sicher fühlt. Eine(r) von zehn BewohnernInnen des Tals hat mindestens einen Angehörigen verloren und 11.6 % gaben an, Opfer sexueller Gewalt geworden zu sein. Allgemein gab über ein Drittel an, schon an Selbstmord gedacht zu haben. Das ist eine überraschend große Zahl, wenn man den hohen Anteil konservativer Moslems dort bedenkt. Zudem wurde herausgefunden, dass Psychosomatische Erkrankungen weit verbreitet sind: Über 23.5 % haben regelmäßig Kopfschmerzen, 20.5 % haben körperliche Schmerzen und 16.9 % Unterleibsbeschwerden, die nicht mit anderen Ursachen in Zusammenhang stehen. Andere Daten der lokalen NGO „Voluntary Health Association of India“ belegen, dass Kashmir eine der höchsten Drogenmissbrauchs-Raten weltweit hat, in einigen ländlichen Gebieten liegt diese bei 45 %. Diese Entwicklungen stehen im scharfen Widerspruch zu der Situation vor dem Konflikt, als von Krankheiten wie Drogenmissbrauch und posttraumatisches Stress-Syndrom praktisch nichts zu hören war. Noch alarmierender ist die Tatsache, dass das verstärkte Auftreten von nicht behandelten psychischen Erkrankungen den Konflikt noch verlängern könnte. Konfliktforscher betonen bereits seit Längerem die Rolle von gegenseitigen 11
Verdächtigungen, rigidem Denken und Pessimismus bei der Generierung und Eskalation von Gewalt. Die düstere Sicht auf die Welt, die durch psychische Erkrankungen wie Depressionen, posttraumatischem Stress-Syndrom und Drogenmissbrauch gefördert wird, könnte eine Abwärtsspirale in Gang setzen, an deren Ende noch mehr Gewalt und Missbrauch steht. Psychische Erkrankungen untergraben auch die sozio-ökonomischen Voraussetzungen für die Lösung des Konflikts. Sie behindern darüber hinaus die moderaten und pragmatischeren Kräfte, die sich gegen die Extremisten der kriegführenden Parteien zu behaupten versuchen. Auch wird die für Frieden notwendige wirtschaftliche Entwicklung aufgehalten. Auf jeden Fall gilt: wenn der innere Frieden gestört ist, ist auch der Frieden des Landes gestört. Aber wahrscheinlich liegt die größte Gefahr in dem Einfluss bewaffneter Konflikte auf leicht zu beeindruckende Kinder. Wenn sie in einem Umfeld der Angst aufwachsen, sind sie später im Erwachsenenalter anfälliger für Aggressionen. Dadurch entsteht der lange Schatten des gewaltsamen Konflikts, der noch lange nachdem die Waffen schweigen negativ auf die Bevölkerung einwirkt. Sakina war nur eine von hundert Patienten dort, so dass ich während meines Aufenthalts kaum über ihre Geschichte nachdachte. Aber ich wurde an sie erinnert, als ich Kashmir in einem Taxi verlies. Der Taxifahrer und ich fuhren gerade in Richtung der etwas ruhigeren Region Jammu, als wir in eine teilweise abgesperrte Straße einbogen. Männer in Uniform und mit großen Gewehren standen herum an einem Schauplatz blutiger Zusammenstöße zwischen Aufständischen und der Polizei. Die Leichen der Aufständischen wurden von der Polizei nicht verhüllt, um jeden Unterstützer zu entmutigen. Auch die Gesichter der Toten wurden nicht verdeckt, sie wurden den Blicken der Schaulustigen preisgegeben. Als ich in die Gesichter von zwei Fremden blickte, erstarrte ich für einen Moment. Von da an dachte ich an Sakina, die ihren eigenen Bruder so sterben sah, und mir wurde klar, wie schmerzvoll das Leben für diejenigen sein muss, die die Last mentaler Wunden, verursacht durch Konflikte, schultern müssen. Am Ende bleiben sie alleine und vergessen.
F rieden
Ein Strategiewechsel, der keiner ist Susanne Grabenhorst zu Afghanistan
Susanne Grabenhorst ist IPPNW-Mitglied und Sprecherin der Kooperation für den Frieden
A
- Die Korruption wird angeprangert, aber die Schuld dafür wird auf die afghanische Seite geschoben. Kaum genannt werden die Fehler der Nato-Staaten, die friedenspolitische und menschenrechtliche Gesichtspunkte bei der Wahl ihrer Partner und ihrer Methoden wenig beachtet haben.
fghanistan - leider denken wir dabei inzwischen kaum noch an atemberaubend schöne Landschaften, kulturelle Vielfalt und faszinierende Menschen. Der Name lässt in den heutigen Tagen vor allem an Krieg und Not denken. Inzwischen ist überdeutlich, dass die angebliche Friedensmission ein scheiternder Besatzungskrieg geworden ist. Die NATO-Staaten reagieren auf dieses Scheitern mit einem „Strategiewechsel“. Dies ist ein Zugeständnis an die Kriegsunwilligkeit der Deutschen, an die Kritik aus den Reihen der Entwicklungszusammenarbeit und der Kirchen und an das beharrliche Mahnen und Protestieren der Friedensbewegung. Schlimm ist allerdings, dass es sich vor allem um einen Wechsel der Public-Relations-Strategie handelt:
W
as sind Bestandteile einer Strategie, die diesen Namen verdient? Das heißt einer Strategie, die den Interessen der afghanischen Bevölkerung dient und nicht denen der NatoStaaten, ihrer (Rüstungs-)Konzerne und Militärs? - Regionale Waffenstillstände, als ein erster Schritt für Friedensverhandlungen mit dem bewaffneten Widerstand - Keine Truppenaufstockung, sondern Abzugsplanungen (wobei die Militärbasen und die privaten Sicherheitsfirmen nicht ausgeklammert werden dürfen) - Verstärkte Entwicklungszusammenarbeit, verbunden mit einer Stärkung der Ökonomie Afghanistans. Das erfordert auch einen wirtschaftlichen Strategiewechsel: Weg von der Privatisierung von Staatsbetrieben mit Massenentlassungen und den Steuerbefreiungen für westliche Konzerne. Die Überschwemmung der Märkte mit billigen Importen muss z.B. durch Schutzzölle verhindert werden, und es müssen Absatzmärkte für andere Produkte als Drogen geschaffen werden. Denn nicht das Militär schafft Sicherheit für Entwicklung, sondern Entwicklung schafft nachhaltige Sicherheit.
- Es werden Begriffe der KritikerInnen übernommen, von Exitstrategien und Abzugsdaten geredet, doch dies bleibt unverbindlich und unkonkret. Konkret ist dagegen die im selben Atemzug beschlossene Aufstockung der Truppen. - Die verkündete Gesprächsbereitschaft gegenüber dem bewaffneten Widerstandskampf steht im krassen Gegensatz zu militärischen Großoffensiven, gezielten Tötungen und Verhaftungen der potentiellen Verhandlungsführer. Es geht wohl mehr darum, einen militärisch geschwächten Gegner an den Verhandlungstisch zu zwingen. - Die durchaus realistische Einschätzung, dass es sich um einen „bewaffneten Konflikt“ handelt, führt nicht etwa dazu, die Beteiligung an diesem Krieg schnellstens zu beenden, sondern eröffnet mehr Spielräume für die Bundeswehr, ohne Strafverfolgung befürchten zu müssen. - Die Freude über die Aufstockung ziviler Mittel wird geschmälert durch gleichzeitige Aufstockung der militärischen Mittel. - Dazu kommt der Versuch von Entwicklungsminister Niebel, die Entwicklungshilfe möglichst militär-kompatibel zu machen. - Herr Niebel will die „Aktivitäten unserer Hilfsorganisationen“ dort konzentrieren, „wo die Bundeswehr aktiv ist“. Außerdem schlug er einen Oberst als Leiter der Ministeriumsabteilung mit der Zuständigkeit für Afghanistan vor. Es sei klug, dass man die gleiche Sprache spreche wie die für Sicherheit zuständige Bundeswehr.
D
ie Friedensbewegung und die IPPNW als Teil von ihr haben bereits viel an Analysen, Lösungsvorschlägen und Protestaktivitäten geleistet, zuletzt am 20.2.10 in Berlin. Auch in der Zukunft sollten wir weiter an der Koordinierung und Synchronisierung dieser Aktivitäten arbeiten, sowie an der Öffnung in Richtung weiterer Kreise (z.B. Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit) mit besonderem Augenmerk auf jüngere Menschen. Es ist nicht die Regel, dass sich die Friedensbewegung in Übereinstimmung mit der Mehrheitsmeinung in Deutschland befindet, aber in der Ablehnung des Afghanistankrieges ist dies der Fall. Dies gilt es im öffentlichen Protest sichtbar zu machen.
12
Atomwaffen
next stop: new york Xanthe Hall zur NPT-Konferenz im Mai 2010
Xanthe Hall ist Koordinatorin der politischstrategischen Arbeit der IPPNW
V
or zweieinhalb Jahren begann die deutsche Kampa- die den Abzug der US-Atomwaffen in Europa verlangen würden. gne „unsere zukunft – atomwaffenfrei“. Das Ziel war, Während Russland und die USA noch über weitere Reduzieeine öffentliche Erklärung der deutschen Regierung bei rungen ihrer strategischen Atomwaffen verhandeln, geht es der Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrver- gleichzeitig auch um die taktischen Atomwaffen. Auch wenn trags in New York im Mai 2010 zu erwirken, dass Deutschland Russland (vermutlich) eine viel größere Zahl an taktischen Atomwaffen besitzt, die Frage der konventionellen atomwaffenfrei wird. Dabei ging es uns nicht Was wir machen: Überlegenheit der USA über Russland kommt vorrangig um den Abzug der US-Atomwaffen damit auf den Tisch. aus Deutschland, sondern um eine öffentIm Vorfeld der New Yorker Konferenz: liche Debatte über Atomwaffen in und um - Appell: Es ist an der Zeit über gemeinsame SicherDeutschland. „Für eine Welt ohne Atomwaffen“ - Speakers Tour heit zu sprechen, aber eine gemeinsame Si- Radtouren cherheit schließt eine Sicherheit basierend Vor dem Start der Kampagne waren Atom- Kongress Friedenskultur 2010 auf nuklearer Drohung aus. Letztere ist „kolwaffen kein Thema. Durch das Fokussieren - Osteraktion lektive Verteidigung“. Gemeinsame Sicherheit auf die übrig gebliebenen Atomwaffen in der heißt: nicht drohen, sondern Vertrauen bilden. Eifel gelang es uns aber, nicht nur die PoIn New York: - Friedenskonferenz und Demo litik, sondern auch die Öffentlichkeit wieder - Jugenddelegation und Aktion Zudem bleibt das große Bangen um den Iran. darauf aufmerksam zu machen. Der große - Planspiel Schon seit einer Weile ist die IAEO im Besitz Meilenstein war die schwarz-gelbe Koalitieines Papiers, das angeblich beweist, dass der onsvereinbarung im Oktober 2009, in der die Alle Infos auf: www.atomwaffenfrei.de Iran an einer Atombombe arbeiten könnte. Ob Formulierung steht: „In diesem Zusammendas Papier authentisch oder eine Fälschung ist, hang sowie im Zuge der Ausarbeitung eines strategischen Konzeptes der NATO werden wir uns im Bündnis ist auch intern umstritten. Mit seinem Bericht vom 18. Februar sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten dafür ein- 2010 hat der neue Leiter Yukiya Amano jedoch die Medien von setzen, dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen ab- der Existenz dieses Papiers in Kenntnis gesetzt. Ob die Informagezogen werden.“ Seitdem läuft die Debatte über das Für und tion stimmt oder nicht, die Nachricht ist ein gefundenes Fressen Wider eines Abzugs der US-Atomwaffen nicht nur im Bundestag, für Medien wie die BILD: „Lieber 8000 amerikanische Bomben sondern auch in der FAZ, Zeit, International Herald Tribune, auf als eine einzige iranische.“ der Münchener Sicherheitskonferenz, bei der NATO und in öffentlichen Veranstaltungen weltweit. Die Deutschen haben eine eben diesen Themen geht es bei der Überprüfungskonferenz Vorreiterrolle übernommen. in New York auch um Fragen wie z.B. die Weiterverbreitung von Atomwaffen durch eine „Renaissance“ der Atomenergie, die uch die deutschen „Elder Statesmen“ (Bahr, Genscher, Raketenabwehr in Europa, eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Schmidt, Weizsäcker) haben sich in ihren Statements das Osten, die Beendigung der Herstellung von spaltbaren MateriThema zu Eigen gemacht. Am 19. Februar 2010 erklärte darauf- alien für Waffenzwecke und – wie immer – das Inkrafttreten des hin auch eine Gruppe von vier ehemaligen Staatsmännern aus Atomteststoppvertrags von 1996. Eine steile Vorlage, aber die Belgien: „Wir rufen unsere Regierung auf, dem Beispiel Deutsch- DiplomatInnen sind zuversichtlicher als 2005, als die Regierung lands Folge zu leisten und im Rahmen der NATO-Strukturen den George W. Bushs alle Hoffnungen zerschmetterte. Obama ist schnellstmöglichen Abzug der Kernwaffen zu fordern“. Am glei- zwar kein Allheilmittel, aber 2010 gibt es Raum für Optimismus: chen Tag kursierte der Bericht, dass es eine neue Allianz zwischen Deutschland, Belgien, Holland, Norwegen und Luxemburg gebe, In New York kann (irgend)eine Einigung erreicht werden.
N
A
13
Sicherheitsrisiko Schwarz-Gelb
A
uf den Fotos aus der Serie „Fluffy Clouds“ von Jürgen Nefzger sind idyllische Ansichten aus ganz Europa zu sehen: Golfer im Sonnenschein, Wanderer bei der Pause, ein einsamer Angler am Flussufer ...
14
Jürgen Nefzger, „Fluffy Clouds“, 73 farbige Abbildungen, Hatje Cantz Verlag, 35 Euro
Flauschige Wolken Die trügerische Romantik von Kühltürmen
D
och den Hintergrund dieser Motive bilden Kühltürme und Kernreaktoren. Nefzger beruft sich beim Aufbau seiner Bilder ganz bewusst auf die Ideale der Romantik. Die Schönheit der Natur wird mit klassischen Mitteln dargestellt und gleichzeitig durch die offensichtliche Brutalität der menschlichen Eingriffe konterkariert. Er präsentiert scheinbar die heile Welt der Kernkraftnutzung und doch ist dem Betrachter augenblicklich bewusst, wie fragil diese behauptete Sicherheit ist. Die Harmlosigkeit, die Idylle ist trügerisch. Jürgen Nefzger wurde 1968 in Fürth geboren und lebt seit 1990 in Frankreich. 1994 schloss er sein Studium an der École Nationale Supérieure de la Photographie d’Arles ab. Er lebt und arbeitet heute in Paris und Nizza. Für die Bebilderung des Schwerpunkts hat er uns einige seiner Bilder zur Verfügung gestellt. Weitere Informationen unter: www.juergennefzger.com
15
J
eder Tag AKW-Betrieb bringt den Konzernen viel Geld, produziert neuen Atom-Müll, ist eine Gefahr für Kleinkinder, an Krebs und Leukämie zu erkranken und birgt die Gefahr einer erneuten Atomkatastrophe.
Sicherheitsrisiko Schwarz-Gelb Wie die CDU den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke als Ausstieg inszeniert
A
m 9. Mai 2010 wird in Nordrhein-Westfalen gewählt. Verliert Schwarz-Gelb die Wahl, droht die bequeme Abstimmungs-Mehrheit im Bundesrat verloren zu gehen. Wahlkampftaktik der CDU ist daher, einen angeblichen „Atomausstieg“ zu inszenieren, der zu nichts verpflichtet. Dabei wird die Tatsache unterschlagen, dass in NRW ein Drittel aller jährlichen CO2 Emissionen entstehen (ca. 300 Mio Tonnen CO2). Verantwortlich sind die vielen Kohle- und Braunkohlekraftwerke von RWE und Eon. Ein ambitionierter Klimaschutzplan seitens Schwarz-Gelb fehlt. Rot-Grün hatte es der CDU vorgemacht. Ein langjährig garantierter Weiterbetrieb der Atomkraftwerke erhielt das Etikett „Atomausstieg“. Mit diesem Begriff wurden in der Bevölkerung Hoffnungen geschürt. Die Aussicht auf eine „kleine“ Stilllegung verzichtbarer Anlagen (wie z.B. bisher Obrigheim und Stade) erweckte den Anschein einer „Ausstiegs-Realität“. Der Verlust dieser beiden Mini-Atomkraftwerke richtete bei der Atomindustrie keinen allzu großen ökonomischen Schaden an.
E
ntscheidend im Wahlkampf ist die Kommunikationsstrategie. Es gibt auf der einen Seite den „guten“ Umweltminister Norbert Röttgen, der für die „überraschende“ Aufregung und die Aussicht auf einen früheren „Ausstieg“ sorgt (und damit im Lager der atomenergie-kritischen Wähler die Stimmen fangen soll). Es gibt auf der anderen Seite die „entrüstet aufschreienden“ Landesfürsten und gelben Spitzenpolitiker, die für die Stimmen der atomenergie-gläubigen Wähler „gerade stehen“. Über dem Ganzen schwebt eine „starke, aber auch bedächtig abwägende“ Kanzlerin Angela Merkel (denn eine starke Führungsperson
Angelika Claußen Vorsitzende der IPPNW Reinhold Thiel, AK Atomenergie und Vorstandsmitglied der IPPNW 16
Angesichts der Erfolge der Proteste gegen neue Kohlekraftwerke – immerhin sagten die Energiekonzerne in den letzten 12 Monaten sieben Großprojekte in Deutschland ab – redet die industrie-abhängige Deutsche Energieagentur flankierend wieder von einer drohenden Stromlücke. Die CDU will den Bau der Kohlekraftwerke in Datteln und Herne, beide Nordrheinwestfalen, mit allen Mitteln durchboxen. Ihre Argumentation: Atomausstieg und Ausstieg aus der Kohlekraft könnten nicht gleichzeitig durchgesetzt werden.
Lassen wir uns nicht täuschen, die harten Fakten der Atomenergienutzung bleiben: Jeder neue Tag AKW-Betrieb bringt den Konzernen viel Geld. Es geht dabei um rund 1 Million Euro Gewinn pro Anlage und Tag. Jeder neue Tag AKW-Betrieb produziert neuen Atom-Müll in Deutschland. Es geht dabei um rund 70 Kilo Brennelemente-Müll pro Anlage und Tag, den wir unseren nachkommenden Generationen aufbürden. Das sind mit 17 deutschen AKW-Blöcken über 1.100 Kilo pro Tag und über 400.000 Kilo pro Jahr. Jeder neue Tag AKW-Betrieb verlängert die Gefahr für Kleinkinder, an Krebs und Leukämie zu erkranken. Jeder neue Tag AKW-Betrieb bedeutet neues Pannenrisiko für die Alt-Meiler. Es geht dabei um die Lebensgrundlagen und die Gesundheit unzähliger Menschen, die bei einer Reaktor-Katastrophe betroffen sind.
E
W
wünscht sich ja jede(r) Wähler(in)). Damit gelingt die scheinbare Quadratur des Kreises: Die Aussicht auf reale Laufzeitverlängerung, die Hoffnung auf „Atomausstieg“ und die bedächtig abwägende Führung birgt die Chance eines NRW-Wahlsieges.
s geht im Stromsektor im Grunde um eine Auseinandersetzung zwischen den Stromproduzenten aus fossiler Energie und Erneuerbaren Energien: Erreicht beispielsweise die naturgemäß schwankende Einspeisung von Ökostrom ins Netz ein bestimmtes Niveau, braucht das Versorgungssystem zur Stabilisierung Kraftwerke, die Extreme von Starkwinden oder Flauten bei der Windkraft abfedern können. Die gigantischen Atom- und Kohlemeiler sind dazu nicht in der Lage. Sie müssen aus Sicherheitsgründen oder wegen der Wirtschaftlichkeit stets nahe der Volllast fahren. Spätestens wenn die Marke von 30 Prozent Erneuerbare im Netz überschritten wird, gibt es ein gravierendes systemisches Problem mit den alten Großkraftwerken. Eon und RWE haben dies bei einer Anhörung in Großbritannien selbst zugegeben.
as können wir aktuell tun? Wir rufen dazu auf, noch vor der NRW-Wahl an den ProtestAktionen der Anti-Atom-Bewegung im Norden und Süden der Bundesrepublik teilzunehmen. Im Norden der Republik ist am 24. April 2010 eine große Aktions- und Menschenkette geplant. Zwischen den Atomkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel und quer durch Hamburg soll auf ca. 120 Kilometern mit einem breiten Bündnis ein starkes Zeichen für das Ende der Atomkraft und eine Energiewende gesetzt werden. Weiterhin soll am 21. April 2010 am AKW Neckarwestheim und am 24. April 2010 am Zwischenlager Ahaus demonstriert werden. Das AKW Biblis soll mit einer Menschenkette umzingelt werden.
17
Dr. Hermann Scheer im Gespräch mit Henrik Paulitz
Der Wettlauf hat begonnen Interview mit EUROSOLAR-Präsident Dr. Hermann Scheer
forum: Solarstrom soll schon bald billiger werden – stimmt das? Dr. Hermann Scheer: Die so genannte Netzparität kann schon im Jahr 2012 erreicht sein. Das heißt, der Solarstrom vom eigenen Dach kostet dann nicht mehr als der bezogene Strom aus der Steckdose. forum: Gibt es einen Wettlauf zwischen Bürgern und Kommunen auf der einen Seite und Energiekonzernen auf der anderen Seite um den Zugriff auf die Erneuerbaren Energien? Scheer: Der Wettlauf hat begonnen, die Stromkonzerne steigen jetzt ein, auch weil sie eine angefahrene Entwicklung nur noch dann bremsen können, wenn sie selbst drin sitzen. Außerdem wollen sie verhindern, dass ihnen die Felle wegschwimmen. Sie wollen Ausmaß und Art der Wende zu Erneuerbaren Energien kontrollieren und möglichst mit ihren Strukturen in Vereinbarung bringen. Deswegen reden sie von Off-Shore-Projekten, obwohl On-Shore, also die Windenergienutzung an Land, immer kostengünstiger sein wird. Deswegen liebäugeln sie mit dem Desertec-Projekt, in der Hoffnung, damit ihr Anbietermonopol aufrecht erhalten zu können.
forum: Wer wird den Wettlauf gewinnen? Scheer: Gewinnen wird die dezentrale Option. Für diese gibt es viel mehr Investoren, die keine Rücksicht nehmen müssen auf Monopolstrukturen und auf die Abschreibung von Kohle- oder Atomkraftwerken. Außerdem ist die dezentrale Lösung die für die Gesellschaft attraktivere, die marktwirtschaftlichere und letztlich auch die kostengünstigere. forum: Sind die Energiekonzerne in der Defensive oder können sie ihre Marktmacht mit Hilfe der Politik weitgehend retten? Scheer: Das versuchen sie dauernd und das werden sie weiter versuchen. Aber sie sind schon in der Defensive, was die Leitidee anbetrifft. Deswegen stellen sich jetzt alle als Befürworter erneuerbarer Energien dar, obwohl sie immer noch Projekte verhindern wollen, die sie nicht selbst in der Hand haben und die strukturwidrig zu Großkraftwerken sind. forum: Führt Energie-Autonomie zu mehr Souveränität der Völker, zu mehr Unabhängigkeit von global dominierenden Konzernen und Staaten?
18
Scheer: Das ist natürlich so. Von den grossen „global playern“ ist jeder zweite ein Ressourcen-Unternehmen. forum: Kann uns das energieautarke Haus mit Photovoltaik auf Dach und Fassaden ein Stück weit vor dem Weg in den Überwachungsstaat bewahren? Scheer: Es ist in jedem Fall ein Schritt zu mehr Freiheit der Menschen und überwindet den sonst häufig gegebenen Widerspruch zwischen individueller Freiheit und Gemeinwohlverhalten. forum: Wie werden sich Selbstbewusstsein, ökonomische Entwicklung und Einfluss der Bürger und der Kommunen entwickeln? Welchen Einfluss können „Kraftwerke in Bürgerhand“ auf die weitere Entwicklung der Demokratie haben? Scheer: Für die Entwicklung einer emanzipatorischen Demokratie und einer demokratischen Kultur ist die Solartechnologie ein praktischer Schlüssel. forum: Ist zu befürchten, dass irgendwann die Photovoltaikindustrie das Sagen hat und die Demokratie gefährdet? Müssen hier mit Hilfe des Kartellrechts rechtzeitig neue Oligopole verhindert werden?
S icherheitsrisiko Schwarz-Gelb
„Das energieautarke Haus mit Photovoltaik ist ein Schritt zu mehr Freiheit der Menschen. Es überwindet den sonst häufig gegebenen Widerspruch zwischen individueller Freiheit und Gemeinwohlverhalten.“
Scheer: Egal um welchen Bereich es geht: Monopole müssen immer verhindert werden. forum: Kommen wir zur globalen Perspektive: Wie können sich Entwicklungsländer den Aufbau einer eigenen Industrie im Bereich der Erneuerbaren Energien leisten oder sollen die ärmsten Länder auf Dauer Anlagen importieren müssen? Scheer: Wünschbar ist generell, dass die Räume der Produktion mit den Räumen der Nachfrage wieder viel mehr zusammengeführt werden. Auch wenn heute noch die Produktion überwiegend in Industrieländern stattfindet und in Entwicklungsländern die Technologie importiert werden muss, ist es für diese Länder schon ein großer Schritt zur Überwindung ihrer Abhängigkeiten. Denn heute müssen sie weit überwiegend die Primärenergie importieren wie auch die Energietechnik. Die Finanzierungsfrage stellt sich für Entwicklungsländer ebenso, wenn sie herkömmliche Energietechnik importieren. Es sind Folgeprobleme einer durchgehenden Importabhängigkeit. Die Frage ist also, wie kommen sie überhaupt dorthin, Energieinvestitionen zu tätigen. Hier schlage ich als wichtigsten Schritt vor, dass die Entwicklungsbanken für alle Erneuerbare Energieinvestitionen in Entwicklungsländern Null-Zins-Kredite vergeben. Dann muss nur noch die reale Investition abgeschrieben werden und sie kann abgeschrieben werden durch die dadurch vermiedenen Primärenergiekosten. forum: Welche Auswirkungen kann die Energie-Autonomie auf die Verschuldung von Staaten haben? Scheer: Die Verschuldung von Staaten, nicht zuletzt in der Dritten Welt, nimmt in dem Maße ab, wie sie von Energieimporten, die sie eigentlich gar nicht bezahlen können, zu heimischen Energien wechseln. forum: Wirken energie-autonome Staaten und Regionen der globalen Konzentration von Vermögen wirksam entgegen? Scheer: Ja natürlich. forum: Was ist vordringlich zu tun? Scheer: Was zwingend notwendig ist, ist die Revitalisierung von Regionalökonomien. Der wichtigste Schritt dazu ist ihre Energieautonomie mit erneuerbaren Energien. 19
forum: Die Abhängigkeit von Energieimporten nimmt in der EU dramatisch zu. Zudem liefern immer weniger Länder und Konzerne die konventionelle Energie. Was ist die Folge? Scheer: Die Folge ist eine drastische Verschiebung der Schwergewichte in der Weltwirtschaft. Wenn wir die energiewirtschaftlichen Entwicklungsphasen betrachten, so begann das mit einer Ausbeutung der Rohstoffförderländer, indem man auf ihre Quellen zugegriffen hat. Die zweite Phase war, dass diese Länder darin Erfolg hatten, vor allem mit der von ihnen gegründeten OPEC, die Einnahmen aus der Förderung in die eigenen Kassen zu lenken. Heute stehen wir in der dritten Phase, in der die Öl- und Gasförderländer so viel Förder- und Liefereinnahmen haben, dass sie zunehmend mehr Teile der Unternehmen in den Industrieländern aufkaufen können. Dies ist die logische Konsequenz der Abhängigkeit von den wenigen Ländern, in denen Öl, Erdgas, Kohle- und Uranvorkommen sind. Die einzige Chance, diesem Prozess zu entkommen, ist die massive Umorientierung auf die überall gegebenen heimischen Energiepotenziale der erneuerbaren Energien. forum: Unter welchen Bedingungen führt Handel zu Frieden, wann zu Krieg? Gibt es so etwas wie eine Quote der Autonomie, die souveräne Staaten nicht unterschreiten sollten? Scheer: Die Quote der Autonomie, die kein Staat unterschreiten sollte, besteht darin, elementare wirtschaftliche Grundbedürfnisse nicht in die Hand anderer Länder oder transnationaler Unternehmen zu geben. Das bezieht sich auf die Faktoren, ohne die keine Wirtschaft möglich ist: Energie, Wasser und so weit wie möglich Rohstoffe, was aber nur durch das möglich wird, was ich „solare Rohstoffe“ nenne, also nachwachsende Rohstoffe. forum: Gäbe es einen Krieg in Irak und in Afghanistan, wenn der Westen beim Umstieg auf Erneuerbare Energien schon sehr viel weiter wäre? Scheer: Dann hätte es beide Kriege nicht gegeben. forum: Führt Energieautonomie zu einer friedlicheren Welt? Scheer: Uneingeschränkt ja. Die künftigen Kriege sind direkt oder indirekt Ressourcenkriege.
In der Verlängerung Geplante Laufzeitverlängerungen und der Widerstand der Anti-Atom-Bewegung
5
E
0.000 Menschen haben am 5. September 2009 in Berlin gegen Atomenergie demonstriert. Das war die größte Anti-AKW-Demo seit dem Tschernobyl-Jahr 1986. Und die Botschaft der 50.000 zwei Wochen vor der Bundestagswahl war klar: Sollte nach der Wahl eine neue Bundesregierung die Atomkraftwerke weiter am Netz halten wollen, dann war dieser 5. September nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommt. Dann geht der Protest und Widerstand erst richtig los. Nun gibt es seit der Bundestagswahl eine schwarzgelbe Bundesregierung, die nicht wegen, sondern trotz ihrer atompolitischen Positionen gewählt wurde. Und im Koalitionsvertrag werden Laufzeitverlängerungen für die Atomkraftwerke angekündigt. Also gilt es nun, die Botschaft vom 5. September umzusetzen und den Protest zu organisieren. Das ist auch gar nicht so schwer, denn angesichts der atompolitischen Situation gibt es überall Menschen, die sich gegen den Weiterbetrieb der AKW engagieren wollen.
ntscheidend in der aktuellen Auseinandersetzung um die Atomenergie ist am Ende nicht die Frage, ob die Laufzeiten nur wenige Jahre, wie Röttgen es derzeit propagiert, oder viele Jahre, wie es viele andere in den Regierungsparteien wollen, verlängert werden. Denn auch eine kurze Verlängerung kann in wenigen Jahren wieder neu verlängert werden – die klassische Salami-Taktik. Deshalb kommt es derzeit einzig und alleine darauf an, wie viele Reaktoren stillgelegt werden. Genau hier setzen die geplanten Proteste der Anti-AKW-Bewegung an: In Norddeutschland stehen die Atomkraftwerke in Brunsbüttel und Krümmel seit zweieinhalb Jahren still. Betreiber Vattenfall will sie im Sommer wieder ans Netz bringen. Das darf nicht gelingen. In Süddeutschland haben die Atomkraftwerke Biblis und Neckarwestheim die im weiter gültigen rot-grünen Atomgesetz festgelegten „Reststrommengen“ fast erreicht und müssen dann stillgelegt werden. Betreiber RWE und EnBW und die Landesregierungen in Wiesbaden und Stuttgart wollen dies verhindern.
Z
war versucht sich der neue Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) mit einer ganzen Serie von Interviews ein atomkritisches Image aufzubauen, aber so lange er gleichzeitig davon spricht, die Laufzeiten der Reaktoren um acht Jahre verlängern zu wollen, sind alle wohlfeilen Worte nicht viel wert. Das Handelsblatt hatte schon kurz nach Röttgens Ernennung zum Minister geschrieben: „Der Umweltminister wird dafür sorgen, dass die CDU ihr Image als Pro-Kernkraft-Partei verliert, obwohl sie die Laufzeiten verlängert.“ Seither arbeitet er intensiv daran. Spiegel Online nennt ihn inzwischen „Anti-Atom-Minister“ und viele Zeitungen schreiben, er wolle einen schnelleren Ausstieg, als bisher vereinbart. Dabei hat Röttgen einfach nur bei seinen Amtsvorgängern abgeschaut, dass sich der Streit um die Atomenergie eindämmen lässt, wenn man den Weiterbetrieb der AKW einfach „Atomausstieg“ nennt.
D
eshalb organisiert die Anti-AKW-Bewegung jetzt vornehmlich an diesen Standorten große Proteste, meint damit aber immer die anderen Reaktoren mit. Konkrete Termine und Aktionen: Am 21. März wird in Neckarwestheim demonstriert. Am 21. April startet in Gorleben ein Anti-Atom-Treck, der am 24. April am AKW Krümmel ankommen wird. Am 24. April gibt es bundesweit drei Großaktionen: In Biblis wird das AKW umzingelt. In Ahaus wird zum Atommüll-Lager demonstriert. Die AKW Brunsbüttel und Krümmel werden mit einer 120 km langen Aktions- und Menschenkette miteinander verbunden. Informationen zu diesen und anderen Protesten im Internet unter www.ausgestrahlt.de
Nichtsdestotrotz: Röttgens Ausstiegs-Rhetorik zeigt ja auch, wie viel Rücksicht einer inzwischen nehmen muss, der vor Jahresfrist noch behauptete, „das Beharren auf dem isolierten nationalen Ausstieg“ sei „ebenso ignorant wie gefährlich.“ Die Bundesregierung spürt den gesellschaftlichen Druck und reagiert entsprechend. Selbst die Hälfte der Unions-AnhängerInnen ist der Atomenergie gegenüber kritisch eingestellt.
Jochen Stay ist bei .ausgestrahlt aktiv und Berater bei der Bewegungsstiftung 20
S icherheitsrisiko Schwarz-Gelb
D
ie Bundesregierung hat angekündigt, die Laufzeiten für Atomkraftwerke zu verlängern. Das gelte nicht für „unsichere“ Atomkraftwerke. Was aber sind sichere, was unsichere Atomkraftwerke?
Risse im Mythos Wie sicher sind die deutschen Atomkraftwerke wirklich?
D
an. Tschernobyl war in den Augen der Gutachter ein „sicheres“ Atomkraftwerk - bis es schließlich 1986 zur Katastrophe kam.
ie von manchen Politikern der neuen Bundesregierung herbeigesehnte Einteilung in „sichere“ Kernkraftwerke auf der einen Seite und in „unsichere“ auf der anderen Seite ist eine Illusion. Alle Fachleute wissen, dass es bei Atomkraftwerken nur mehr oder weniger Sicherheit gibt. Es ist zwar eine Tatsache, dass es glücklicherweise nicht jährlich zu einem Atomunfall kommt. Allerdings kam es schon häufiger zu Kernschmelzunfällen als gemeinhin bekannt: 1969 im schweizerischen Versuchsreaktor Lucens, 1977 im slowakischen Atomkraftwerk Bohunice A1, 1979 im US-Atomkraftwerk Three Mile Island bei Harrisburg, 1980 im französischen Atommeiler Saint-Laurent A1 und schließlich 1986 im ukrainischen Tschernobyl. Der Totalschaden von Block A des Atomkraftwerks Gundremmingen im Jahr 1977 zeigt, dass man diese Technik auch in Deutschland keinesfalls sicher im Griff hat.
Ein internationaler Vergleich der OECD führte auf der Grundlage von Risikostudien zu dem Ergebnis, dass die deutsche ReferenzAnlage Biblis B hinsichtlich der „Kernschmelzfestigkeit“ katastrophal schlecht abschneidet. Die Untersuchung belegt, dass in Deutschland nicht unbedingt die sichersten Atomkraftwerke der Welt betrieben werden. Eine neuere Untersuchung der GRS offenbarte auch für die Siedewasserreaktoren Philippsburg-1, Isar-1 und Brunsbüttel eine völlig unzureichende Kernschmelzfestigkeit.
F
Ausgesprochen gefährliche Ereignisse wie etwa 1987 in Biblis A, 1995 in Biblis B, 2001 in Maanshan (Taiwan), 2006 in Forsmark (Schweden) oder 2007 in Krümmel machen deutlich, dass es trotz der jahrzehntelangen Betriebserfahrung auch heute jederzeit wieder zur Atomkatastrophe kommen kann. In Forsmark stand man 2006 laut Aussage des ehemaligen Konstruktionsleiters des Kraftwerks, Lars-Olov Höglund, kurz vor einem Kernschmelzunfall.
ür die Klage zur Stilllegung von Biblis B dokumentierte die IPPNW mehr als 200 schwerwiegende Sicherheitsmängel – basierend auf offiziellen Bewertungen. Das Problem ist aber nicht auf Uraltanlagen wie Biblis beschränkt. Auch die „moderneren“ Konvoianlagen weisen neueren Analysen der GRS zufolge viele gefährliche Sicherheitsmängel auf. Beispielsweise verfügen diese Atomkraftwerke über nur relativ wenige FrischdampfSicherheitsventile, es fehlt eine zusätzliche Ultraschallsonde zur Füllstandsüberwachung und ausgerechnet bei der Beherrschung der relativ häufigen Ereignisse „Notstromfall“ und „kleines Leck“ gibt es jeweils mehrere gefährliche Schwachstellen.
D
W
ie 1989 veröffentlichte „Deutsche Risikostudie Kernkraftwerke - Phase B“ kam zum Ergebnis, dass im deutschen Referenz-Atomkraftwerk Biblis B mit einem schweren Kernschmelzunfall mit frühen und massiven Freisetzungen von Radioaktivität zu rechnen ist. Eine weitere Risikostudie der „Gesellschaft für Reaktorsicherheit“ (GRS) aus dem Jahr 2001 kam zu dem Schluss, dass es auch in den zuletzt in Deutschland errichteten „Konvoianlagen“, also Isar-2, Emsland und Neckarwestheim-2 zum Super-GAU kommen kann (Titel der Untersuchung: „Bewertung des Unfallrisikos fortschrittlicher Druckwasserreaktoren in Deutschland“).
ie real das Risiko ist, zeigt die Häufung von Rissen und Leckagen, insbesondere in den Druckwasserreaktoren der 2. Generation. Im Jahr 2008 sowie in den ersten 9 Monaten des Jahres 2009 gab es drei förmliche „Meldungen“ über Risse bzw. Leckagen im Atomkraftwerk Neckarwestheim-1, vier in Biblis A, sechs in Biblis B und sieben in Unterweser. In den alternden Anlagen kann es jederzeit in Folge eines Risses zur Atomkatastrophe kommen.
Gutachterorganisationen wie die GRS oder auch die TÜVs halten einen Atomunfall zwar für unwahrscheinlich. Diese Gutachterorganisationen sahen jedoch auch im Vorfeld von Harrisburg und Tschernobyl einen Atomunfall als „praktisch ausgeschlossen“
Henrik Paulitz ist Atomexperte der IPPNW 21
Strahlende Export-Aussichten Hermesbürgschaften für Atomexporte
E
beschloss der zuständige Interministerielle Ausschuss (IMA) aus Wirtschafts-, Finanz-, Entwicklungsministerium und Auswärtigem Amt im Dezember, die Hermes-Umweltleitlinien abzuschaffen.
nde Januar 2010 hat die Bundesregierung eine Milliardenbürgschaft für das umstrittene brasilianische Atomkraftwerk Angra 3 durchgewinkt und ermöglicht damit wieder Hermesbürgschaften für Atomexporte. Das sei „die neue Politik der neuen Regierung.“ Hermesbürgschaften vergibt die Regierung für Exporte in riskante Märkte wie Entwicklungs- und Schwellenländer: wenn der Käufer nicht zahlt, springt der Staat ein. So sollen die Exporte deutscher Firmen gefördert werden. Die Bürgschaften erlauben aber auch die Finanzierung von Geschäften, deren Realisierung sonst fraglich wäre, weil sie für Banken und Exporteure zu riskant sind.
Probleme bei Angra Der IMA prüfte den Antrag für Angra 3 und fand ihn förderungswürdig. Probleme wie die fehlende unabhängige Atomaufsicht in Brasilien und die Tatsache, dass das Land nicht das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet hat, beeindruckten den IMA nicht. Dieses Zusatzprotokoll würde der internationalen Atombehörde IAEA auch unangekündigte Besuche in sämtlichen atomaren Einrichtungen des Landes gestatten, um den Missbrauch ziviler Atomprogramme für militärische Zwecke zu verhindern. Für ebenso problemlos hält der IMA offensichtlich, dass ein Druckwasserreaktor der zweiten Generation gebaut werden soll, der vor Baubeginn bereits veraltet ist, oder die Frage der ungelösten Müllentsorgung. Zurzeit lagert der radioaktive Müll der Atomreaktoren Angra 1 und 2 unter Wasser in so genannten „blauen Schwimmbecken“. Selbst der brasilianische Umweltminister Minc kritisiert diese Lagerung als völlig unzureichend und fordert endlich eine Langzeitlösung für die Abfälle. Hermesbürgschaften für den bereits fertig gestellten Meiler Angra 2 bescherten Brasilien Schulden in Höhe von 1,4 Milliarden Euro. Da diese jedoch schon abbezahlt sind, war auch das kein Hinderungsgrund für eine neue Bürgschaft. Weil der Bund bei dem neuen Geschäft mit insgesamt 2,5 Milliarden Euro haften soll, musste der Haushaltsausschuss des Bundestages informiert werden. Dort wurde hitzig diskutiert und die offenen Probleme zur Sprache gebracht, der Antrag letztendlich jedoch mit den Stimmen der Regierungskoalition durchgewinkt. Die Botschaft ist klar: alles geht wieder bei Atomexporten.
Traditionsunterstützung Bis 2001 gab es in Deutschland eine lange Tradition der Exportförderung für Atomreaktoren: so waren die Kernkraftwerke Atucha in Argentinien, Angra 2 in Brasilien, Bushehr im Iran, Mochovce in der Slowakei und Lianyungang in China alle durch Hermesbürgschaften gefördert worden. Im März 2000 sorgte jedoch eine Liste mit 14 Atomprojekten, für die Hermesbürgschaften vergeben werden sollten, für Wirbel in der Öffentlichkeit und für Knatsch in der rot-grünen Koalition. Als Reaktion auf die Forderungen von über 100 Umwelt- und Entwicklungsorganisationen führte die rot-grüne Bundesregierung daraufhin 2001 Umweltleitlinien für die Vergabe von Hermesbürgschaften ein. Die brachen mit der Atomexport-Tradition der Vergangenheit und legten fest: „Ausgeschlossen von der Exportförderung sind Nukleartechnologien zum Neubau bzw. zur Umrüstung von Atomanlagen.“
Zurück auf Los Neue Regierung, neues Glück – für Siemens. Bereits im Koalitionsvertrag steht, dass bei Hermesbürgschaften zukünftig nur noch die OECD-Umweltleitlinien angewandt werden sollen, nicht mehr die Hermes-Umweltleitlinien. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden: die OECD-Umweltleitlinien haben kein Atomexport-Ausschlußkriterium. Um den Koalitionsvertrag schnell in die Realität umzusetzen, stellte Areva NP (34% Siemens) schon kurz nach der Wahl einen Bürgschaftsantrag für das brasilianische Atomkraftwerk Angra 3. Dementsprechend
Ideen zum Widerstand mit der Kampagne „Strahlende Exporte – nicht mit uns!“ auf www.urgewald.de Regine Richter ist Campaignerin bei urgewald regine@urgewald.de 22
S icherheitsrisiko Schwarz-Gelb
Das Laufrad und der Reaktor Kinderkrebs um Atomkraftwerke
E
D
in faszinierendes Foto von Annette Feindt, Elterninitiative Geesthacht: Das verwaiste Laufrad eines Kleinkindes in der Elbmarsch, am Südufer der Elbe, und auf der anderen Seite des Flusses der kalte, fensterlose, kompakte Kasten des AKW Krümmel mit dem dünnen, hohen Schornstein, im Jargon der Kraftwerksbetreiber und der Aufsichtsbehörden „Abluftkamin“ genannt. Was da an radioaktiven Emissionen heraus kommt, geht, je nach Windrichtung, auch auf die Elbmarschdörfer nieder. Wo ist das Kind, dem das Rad gehört? Der Betrachter denkt unwillkürlich an das weltweit einmalige Leukämie-Cluster rund um Krümmel, an die KiKK-Studie, an die Verleugnung der doch so offenkundigen Kausalität zwischen Radioaktivität und Leukämie, an die verweigerten politischen Konsequenzen.
ieser ominöse Faktor 1000 schützt jetzt noch den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke. Er schmilzt jedoch dahin wie Schnee im Tauwetter, wenn man bedenkt, dass Kinder, je jünger um so mehr, extrem strahlensensibel sind, als hypothetisches Objekt für Grenzwerte und Strahlenschutzstandards jedoch ein gesunder junger Mann dient, der „Reference Man“. Da das jüngste Kind, der Embryo, erwiesenermaßen am stärksten durch Strahlung gefährdet ist, fordern wir, den „Reference Man“ durch den „Reference Embryo“ zu ersetzen. Weitere überzeugende Entkräftungen jenes Faktors 1000 ergeben sich aus den veralteten, nicht zutreffenden Berechnungsmodellen z. B. für die Inkorporation, also die Aufnahme radioaktiver Stoffe in den Körper, für die „innere Bestrahlung“ durch inkorporierte Radionuklide, für Äquivaur der ominöse Faktor 1000 lenzdosen (die fragwürdige Gewichtung verschiedener Strahlenarten, bezogen auf schützt noch den WeiterDie weltweit aufwändigste, methodisch Röntgenstrahlen), und schließlich für die betrieb der Atomkraftwerke. überzeugende und international anerDosis-Wirkungsbeziehung, d.h. für die kannte „Epidemiologische Studie zu KinAbschätzung des Schadens, den radioakderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken“ hat das hoch tive Strahlung im Körper verursacht. All das wird berechnet und signifikante Ergebnis erbracht, dass Kinder unter fünf Jahren geschätzt, nicht gemessen. ein um so höheres Krebsrisiko haben, je näher sie an einem der 16 Atomkraftwerksstandorte wohnen. Für den Wohnabstand bis nd schließlich sind da noch die Spitzenemissionen zu fünf Kilometer wurde ein um 60 % erhöhtes Risiko für alle KrebsZeiten des An- und Herunterfahrens der Reaktoren und arten nachgewiesen, für Leukämie allein war das Risiko sogar um ganz besonders in den Phasen des Brennelementwechsels, 120 % erhöht. wenn schwerer Wasserstoff H3, Kohlenstoff 14 und viele andere strahlende Isotope in ungewöhnlichen Mengen in die Umwelt as Ergebnis der KiKK-Studie ist unstrittig; die Autoren, das gelangen. Die Betreiber geben den Aufsichtsbehörden aber nur Bundesamt für Strahlenschutz, das zuständige Bundesmini- quartalsweise gemittelte Messwerte weiter, so dass die „Spikes“ sterium, die Strahlenschutzkommission und natürlich die Betrei- verwischt werden. Wenn ein Embryo in seiner sensibelsten Phaber der Atomkraftwerke behaupten, die radioaktiven Emissionen se nur zwei Tage lang über die Mutter mit solchen Spitzenemisüber die Abluft und über das Abwasser seien mindestens um sionen belastet wird, genügt das wahrscheinlich, um den Grundden Faktor 1000 zu gering, um den gefundenen Effekt erklären stein für eine spätere Leukämie-Erkrankung zu legen. Aufgrund zu können. Was die zusätzlichen Krebserkrankungen verursacht, des Ergebnisses der KiKK-Studie hätten eigentlich alle AKW umwissen sie nicht. Hilflos werden die absurdesten „Erklärungen“ gehend abgeschaltet werden müssen. Stattdessen wird versucht, an den Haaren herbeigezogen, wie z.B. der Dampf aus den Kühl- die verbindlich festgelegten Restlaufzeiten sogar noch zu verlängern. Das verlangt entschiedenen Widerstand. türmen sei ein besonderer Nährboden für Bakterien und Pilze.
N
U
D
Winfrid Eisenberg und Reinhold Thiel haben u.a. das IPPNWaktuell „Kinderkrebs um Atomkraftwerke“ verfasst und die StrahlenschutzPetition initiiert.
Canupis Seit 2008 wird in der Schweiz an einer ähnlichen Studie (CANUPIS = Childhood Cancer and Nuclear Power Plants in Switzerland) gearbeitet, deren Ergebnis 2011 erwartet wird. Wegen zu kleiner Zahlen haben Schweizer IPPNW-Kollegen die statistische Nachweiskraft der Studie in Zweifel gezogen. Auf dem IPPNW-Weltkongress in Basel wird es einen Workshop „Kinderkrebs um AKW weltweit“ geben.
23
Sicherheitsrisiko Schwarz-GElb
Was bleibt Atommüll-Endlagerung: Zurück auf Null
J
ahrelang wurden die Warnungen von Bürgerinitiativen und Wissenschaftlern ignoriert, bis Laugenzuflüsse in der Kaligrube Asse II bei Wolfenbüttel für Schlagzeilen sorgten. Anfang Januar legte das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) nach der Übernahme der illegalen Atommülldeponie von der Helmholtz-Gesellschaft einen Optionenvergleich vor: Der Müll soll raus, bevor die Deponie zusammenbricht. 1965 kaufte die Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF), die Vorläuferin des heutigen Betreibers, des Helmholtz-Zentrums, im Auftrag des Bundes das Kalibergwerk für 800.000 DM. Von April 1967 bis Ende 1978 wurden 124.494 Fässer mit schwachradioaktiven Abfällen gestapelt oder verstürzt. Aus der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe kamen 1.293 Fässer mit mittelradioaktivem Abfall hinzu. Lecke und korrodierte Fässer wurden angeliefert, flüssige Abfälle eingelagert. Auf ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren verzichtete die GSF, eine Bergung der Fässer war nie vorgesehen. Von Anfang an wussten die Betreiber von der Gefahr eines Wasserzuflusses. Doch Gefälligkeitsgutachter deckelten das riskante Unternehmen. Seit 1988 wurden 12 Kubikmeter Wasser aufgefangen und abgepumpt. Die Lauge umspült zumindest eine Einlagerungskammer. Bei einer Evakuierung der Abfälle müssen die Kammern geöffnet werden, der Müll muss in Augenschein genommen und konditioniert werden. Der Zeittakt einer
ferngesteuerten Evakuierung ist eng veranschlagt, denn das Bergwerk kann auch instabil werden. Bei einem Notfall bliebe nur die Flutung. 3,7 Mrd. Euro sind nach Angaben des Bundesumweltministers Norbert Röttgen für die Auslagerung veranschlagt. Die Probleme bleiben: Wohin mit dem Müll, wenn er geborgen wird? Schon heißt es, der Müll solle in den Schacht Konrad, ein ausgedientes Erzbergwerk bei Salzgitter, das ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren durchlaufen hat. Es ist „gerichtsfest“, weil die Gegner mit Klagen scheiterten. Aber ist es sicher? Das Erzbergwerk ist eben auch schon vorher genutzt worden, ist also verritzt. Auch hier fand kein vergleichendes Verfahren statt. Um Akzeptanz zu schaffen, wurde im Planfeststellungsbeschluss die Müllmenge von 650.000 auf ein Abfallvolumen von 303.000 Kubikmeter reduziert. Allein aus der Asse II würden aber rd. 200.000 Kubikmeter kommen.
D
as zweite havarierte Endlager – Morsleben – wird zu Unrecht viel seltener erwähnt. Morsleben war das erste genehmigte Endlager in Deutschland. Zur Zeit wird es eilig geschlossen und teilweise mit Beton verfüllt, um das Einstürzen zu verhindern. 1970 hatten die Atomkraftbetreiber der DDR die Salzgrube erworben. Schon ein Jahr später begann der Betrieb. Wie im Westen lagen keine Sicherheitsnachweise vor, die Einlagerung des Atommülls erfolgte bis 1981 unter dem Titel „Einlagerungsversuchsphase“. Wissenschaftler des Deutschen Brennstoffinstituts 24
in Freiberg merkten schon 1969 an: „Die Grube ist trotz gegenwärtig geringer Zuflüsse einer großen hydrologischen Gefährdung ausgesetzt.“
D
ie Asse galt lange als Pilotprojekt für Gorleben. Die Einlagerung von wärmeentwickelnden radioaktiven Abfällen wurde dort simuliert. Wärmequellen sollten Aufschluss geben, wie sich das Salzgestein verhält. Nach über 30 Jahren belegen nun Akten: Gorleben ist in den 70er Jahren nicht wegen seiner geologischen Qualitäten als Endlagerstandort benannt worden. Gesucht war damals ein Areal zur Errichtung eines Nuklearen Entsorgungszentrums mit Wiederaufarbeitungsanlage, Brennelementfabrik, oberirdische Pufferläger und einer Anlage zur Behandlung und Verpackung von Atommüll auf rund 12 Quadratkilometern. Irgendwie darunter sollte auch das Endlager für die hochradioaktiven Abfälle als Bergwerk aufgefahren werden. Kabinettsprotokolle der damaligen Regierung Albrecht (CDU) sowie Unterlagen einer interministeriellen Arbeitsgruppe zeigen, wie aus 140 niedersächsischen Salzstöcken der angeblich geeignetste für eine Atommülldeponie auswählt wurde. Mit Hilfe einer Punktetabelle wurde der Standort festgelegt, der in erster Linie auf die Wiederaufarbeitungsanlage zugeschnitten war: „Nur maximal 32 von 266 erreichbaren Punkten entfielen auf die Geologie des Salzstocks“, schreibt die taz. Mithilfe der Punktebewertung identifizierten die Beamten sieben mögliche Standorte. Ironie der Suchgeschichte: Bis auf Gor-
S
tück für Stück setzt sich jetzt die historische Wahrheit durch. Von neun im Bundestag angehörten Experten sprachen sich fünf für einen Abbruch der Erkundung in Gorleben aus geologischen Gründen aus.
leben fanden laut den Dokumenten alle Standorte die Zustimmung des Bundes. Ernst Albrecht bestand aber im Clinch mit der SPD-geführten Bundesregierung am Ende auf Gorleben. Parallelen zwischen der Asse und Gorleben liegen auf der Hand: Wasserkontakt, Gefälligkeitsgutachten, die Anwendung des Berg- statt des Atomrechts, was die Öffentlichkeit bei der „Erkundung“ faktisch ausschließt. Die Befürworter Gorlebens sollten in den Unterlagen des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1984 blättern. Der „Bericht der Bundesregierung zur Entsorgung der Kernkraftwerke und anderer kerntechnischen Einrichtungen“ dokumentiert, dass sich von neun angehörten Experten fünf für einen Abbruch der Erkundung in Gorleben aus geologischen Gründen aussprachen. Das Gorleben-Moratorium des Jahres 2000 war Ergebnis eines politischen Kompromisses. Zustande gekommen ist es nur, weil Geologen an der Eignung Gorlebens zweifelten. Auf 300 Seiten legte Prof. Dr. Klaus Duphorn bereits 1982 fundiert dar, welche Risiken der Salzstock Gorleben als Folge der geologischen Struktur und der Wasserkontakte für die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle birgt. Auftraggeber war die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), die Vorgängerbehörde des BfS. Im Mai 1983 sprach der Amtsleiter Professor Helmut Röthemeyer nach einer „internen Gesamtbewertung“ die Empfehlung aus, „das Erkundungs risiko breiter zu streuen.“ Ziel war es, auch 25
andere Salzstöcke zu erkunden. Erst zwei Jahre später erfuhr die Presse, dass die Bundesregierung der PTB untersagt hatte, derartige Überlegungen anzustellen.
S
tück für Stück setzt sich jetzt die historische Wahrheit durch. Nach den Enthüllungen des vergangenen Jahres, dass die Befunde von Tiefbohrungen im Salzstock Gorleben auf Weisung der KohlRegierung 1983 geschönt worden waren, um den Bau der unterirdischen Deponie starten zu können, und dass Gorleben in Teilen bereits als Atommülldeponie ausgelegt worden war, schlagen jetzt die zweifelhaften Auswahlkriterien auf die GorlebenBefürworter zurück. Wie unberührt von diesen Vorgängen plädieren die Unionsparteien und die FDP für die weitere Nutzung der Atomkraft, die Laufzeitverlängerung und die Wiederaufnahme der Bauarbeiten in Gorleben. Doch der Wind dreht sich. Argumente zählen und die Schönung der GorlebenAkten wird ein parlamentarisches Nachspiel haben. Es ist eine gute Zeit für Weichenstellungen.
Lesen Sie die lange Version des Artikels auf www.ippnw.de/presse/ippnw-forum
Wolfgang Ehmke, Initiative Umweltschutz LüchowDannenberg
W elt
D
ie deutsche Sektion der IPPNW ist Mitveranstalter der Konferenz „Uranabbau, Gesundheit und Indigene Völker“ am 26. August 2010 im Vorfeld des IPPNW-Weltkongresses.
Sacred Land, Poisoned Peoples Vorkongress zum Weltkongress in Basel 2010
M
treten und Kontakte zu PolitikerInnen und Nichtregierungsorganisationen als auch untereinander enger zu knüpfen. Um den verschiedenen indigenen Kulturen Rechnung zu tragen, wird die Struktur der Konferenz einer Weltreise entsprechen: Ein „Talking Stick“ wird um die Welt gereicht: Deutschland (Wismut) – Kanada (North-West Territorries) – USA (New Mexico, South Dakota) – Australien – Indien – Afrika (Niger, Namibia) – Südamerika – Russland – Deutschland. Ergänzt wird die Weltreise durch eine Zusammenfassung neuer wissenschaftlicher Studien zu dem Themenkomplex Uran – Strahlung – Gesundheit.
itte Februar berichtete „Le Parisien“ aus einem Geheimbericht über die französischen oberirdischen Atombombenversuche in Algerien im April 1961. Soldaten wurden vorsätzlich der radioaktiven Strahlung ausgesetzt, um die Reaktion von Truppen in einem Atomkrieg zu untersuchen. Mit verheerenden Folgen: 35 % der heute noch lebenden Atomtestteilnehmer haben Krebs; nur 10 % sind gesund. Über die Bewohner der Sahara und ihre Opfer kein Wort. Diese Sichtweise hat Methode, nicht nur bei den Auswirkungen der oberirdischen Atomtests, sondern auch in Bezug auf die Folgen des Abbaus von Uran, des Stoffes, ohne den Atomwaffen und Atomkraftwerke nicht auskommen. Die Folgen des Uranabbaus für die indigenen Völker werden verschwiegen, geleugnet, bagatellisiert.
A
ls SprecherInnen indigener Gruppen und als ReferentInnen sind angefragt: Michael Beleites zu Uranbergbau in Ostdeutschland (Wismut), Gordon Edwards und Robert Del Tredici aus Kanada, Manuel Pino (Acoma Pueblo, New Mexico) und Charmaine White Face (Lakota Nation, South Dakota) aus den USA, Rebecca Wingfield-Bear (Kupa Pita Kungka Tjuta, South Australia) und Yvonne Margarula (Kakadu Nation, Northern Australia), für Afrika, Kasachstan und Indien stehen noch keine Namen fest. Veranstaltet wird die Konferenz von der IPPNW Schweiz, dem Nuclear Free Future Award und IPPNW Deutschland in Zusammenarbeit mit der AG uranium-network, den Gesellschaften für bedrohte Völker der Schweiz und Deutschlands, Incomindios Schweiz und der Heinrich Böll Stiftung. Der Kongress richtet sich an die interessierte Öffentlichkeit, an Verantwortliche aus Politik und Wirtschaft, an Aktive aus der Umwelt-, Menschenrechts-, Friedens- und entwicklungspolitischen Zusammenarbeit, an Schülerinnen und Schüler, Studierende, WissenschaftlerInnen, interessierte BürgerInnen und an MedienvertreterInnen. Weitere Informationen auf: www.ippnw2010.org und www.uranrisiko.de
Gut dreiviertel des Urans weltweit wird bis heute auf den Territorien indigener Völker abgebaut. Die größten Reserven liegen in Kanada und Australien; weitere wichtige Uranproduzenten sind Kasachstan, Niger, Russland, Namibia und Usbekistan. Die Exploration setzt sich in der Amazonasregion Brasiliens, in Tansania und in Mali fort.
D
ie Identität der indigenen Völker ist aufs Engste mit ihrer Umwelt verknüpft. Uranbergbau zerstört ihre Lebensgrundlagen und ihre Kultur, ihre heiligen Stätten und auf viele Generationen hinaus ihre Gesundheit. Der Bergbau kontaminiert das Grundwasser, und in den anfallenden Abraumhalden bleiben 80 % der ursprünglichen radioaktiven Strahlung erhalten. Häufigste Folgekrankheit ist Lungenkrebs. Als Ursache wird das alphastrahlende Edelgas Radon angesehen, das als Folgeprodukt von Uran in den Stollen vorhanden ist und eingeatmet wird. Weitere nachgewiesene Erkrankungen außerhalb des Atemtrakts sind andere Karzinomerkrankungen wie Leukämie, Magen-, Leber-, Darm-, Nieren- und Hautkrebs, ebenso psychische Störungen und Missbildungen. Dieser Tatbestand der Menschenrechtsverletzung wird von den Medien vernachlässigt und von den Verantwortlichen unterschlagen.
Frank Uhe ist Geschäftsstellenleiter der deutschen IPPNW und einer der Organisatoren des Vorkongresses
Die Konferenz wird SprecherInnen bedrohter indigener Völker Gelegenheit geben, sowohl an die europäische Öffentlichkeit zu 26
W elt
Caecilie Buhmann
Bis auf den Grund Die Global Response Konferenz in Kopenhagen, 22. – 25.1.2010
B
esonders auf Kopenhagener Terrain scheinen sein kann. Allgemein gesprochen haben Konflikte jedweder NaKonferenzen ohne normative Ergebnisse eine zu ak- tur Einfluss auf die Gesundheit der involvierten Menschen. Das zeptierende Tatsache zu sein. Doch die Qualität der ist jedoch so lange keine praxisfähige Aussage, wie sie missach„Global Response 2010: Conference on violent con- tet, dass Regionen auch schon vor einem Konflikt unterversorgt flict and health“ lag auch vielmehr in der Tiefe der aufgeworfenen sein können. Oder lebensbedrohliche Umstände von der Wissenschaft nicht gesehen werden, weil kein Fragen, als in Antworten. Ergebnisoffen „Konflikt“ im eigentlichen Sinne vorliegt. sollte der Prozess sein, mit dem man sich ie Politik muss anfangen, Auch die Installation funktionierender an die Fragen annähert, die seit langer Zeit sich an wissenschaftlichen öffentlicher Gesundheits- und Bildungsauf Beantwortung warten. Erkenntnissen und menschsysteme kann einem Konflikt nur begrenzt vorbeugen, wenn z.B. transnationale EinAn erster Stelle standen die sogenannten lichen Grundbedürfnissen zu flüsse durch Akteure unterschiedlicher „root causes of conflicts“, Entstehungsorientieren. Wissen, nachhaltige Machtgrade vorliegen und derartige Instifaktoren für die verschiedenen Arten von Technologien und Gesundheit, tutionen politisch nicht gewollt sind oder Konflikten. Sie bleiben oft unerkannt oder sauberes Trinkwasser und Nahmit anderen Interessen konkurrieren. so individuell, dass keine „globale Antrung müssen verbreitet werden. wort“ wirklich überzeugt. Common-sense Antworten, wie z.B. ökonomische UngeWissenschaftler dokumentieren, Nur dann können Kriege und rechtigkeiten, Ressourcenverteilung, MiliPolitiker intervenieren Konflikte obsolet werden. tärbudgets bieten nur teilweise suffiziente Dem allen auf den Grund zu gehen, konnErklärungen. Ein wissenschaftlicher Blick te die Kopenhagener Konferenz nicht leivon außen, noch so zuverlässig, unabhängig und überprüfbar, sten. Warum sie trotzdem stattfinden musste, ist jedoch klar: die kann ebenfalls irren, wenn er Symptome eines Konflikts zu Ursa- wirtschaftspolitische Situation der Welt steht ein ums andere Mal chen macht oder nur lokale Faktoren einschließt, wenn interna- auf dem Prüfstand. Das Ergebnis: die Lage ist ernst. Die Lösung: tionale Politik mitspielt. reale demokratische Elemente müssen in die Politik zurückkehren, Korruption muss auch in Industrienationen bekämpft werden. Die Politik muss anfangen, sich an wissenschaftlichen Ist „zu nah dran“ manchmal „sehr weit weg“ ? Als zweiter Schritt sollten die vielfältigen Probleme in bereits be- Erkenntnissen und menschlichen Grundbedürfnissen zu orienstehenden Konflikten geklärt werden. So sind die Anforderungen tieren. Wissen, nachhaltige Technologien und Gesundheit, sauan humanitäre Hilfe unklar, ihre Koordination, Dokumentation beres Trinkwasser und Nahrung müssen verbreitet werden, nicht und Diskussion oft unzulänglich. Die Rolle von medizinischem nur in Konfliktregionen. Nur dann können Kriege und Konflikte Personal kann diffus sein. Indikatoren für Konfliktprävention obsolet werden. bleiben unverbindlich. Finanzierung, Sinn oder Materialverteilung im Interventionsfall sind bei der hohen Zahl der involvierten Konferenzdokumentation auf Organisationen und Akteure unübersichtlich. Hilfe kann Kulturen www.globalelaeger.dk missachten, Ökonomien zerstören.
D
„first do no harm“ All dies sind Risikofaktoren, die drohen, die allgemeine Leitlinie der humanitären Hilfe („first do no harm“ – vor allem: nicht schaden) zu unterwandern, wenngleich Intervention sehr gut gemeint
Malte Andre ist Vorstandsmitglied der deutschen IPPNW und war in Kopenhagen dabei 27
A ktion
Und Action, bitte Aktionen im Januar und Februar
A
uch der Dauerschnee in Berlin konnte die Aktiven der IPPNW nicht davon abhalten, zu Beginn des neuen Jahres gleich zwei Mal auf die Strasse zu gehen:
I
m Januar schloss sich die IPPNW der Aktion „Tanz des Todes“ von Campact an und demonstrierte gegen die Hermesbürgschaften für Angra 3. Während im Kanzleramt der Besuch der AKW-Betreiber vorbereitet wurde, verdeutlichten wir: Wer mit den Atombossen verhandelt, spielt mit dem Tod! Überraschungsgast Sigmar Gabriel forderte die Atomgegner auf, gerade jetzt verstärkt zu protestieren.
A
m 20. Februar inszenierten IPPNWMitglieder im Rahmen einer bundesweiten Afghanistan-Demo ein Die-In vor dem Brandenburger Tor - mit der klaren Botschaft: Krieg kann keinen Frieden schaffen.
! e t r e W e neu
Spargeld er Zinsen fürs W . lle fa um ns der Ko Als ethischance: Raus aus ageprodukte. nl A Die Krise als Ch re se un lt ntwortlich issen will, wäh eld sozial vera G r Ih mit gutem Gew ir w n re stie irektbank inve t. ökologische D r Sie transparen fü en le Anlag und machen al
ch t je tz t wa nn we nn ni
w w w.e th ik ba
nk .d e
91 -8 62 34 Te le fo n 03 66
5
EthikBank
IN DER KRISE LIEGT DIE CHANCE
SEHSTERN
Wegwerfgesell s c h a f f t
K ampagne
BeHandeln statt Verwalten Die Geschichte von Frau X
F
Flüchtlinge gibt es bisher keinen echten Zugang zu medizinischer Versorgung; es fehlt insbesondere für die Folter- und Gewaltopfer an Behandlungsangeboten, und die Kostenübernahme ist unzureichend. Hinzu kommt, dass eine sinnvolle Behandlung für diese Menschen interdisziplinär erfolgen muss und weitaus mehr umfasst als die ausschließliche Durchführung einer Psychotherapie. Sowohl für die Therapie selbst als auch für flankierende psychosoziale Hilfsmaßnahmen sind in aller Regel Dolmetscher notwendig. Die Kapazität der psychosozialen Zentren ist bei weitem nicht ausreichend, von einer flächendeckenden Versorgung sind wir weit entfernt. Zudem tragen sich die meisten Zentren über eine prekäre Mischfinanzierung aus kommunalen, Landes- und EU-Zuwendungen, Geldern verschiedener Stiftungen sowie der Kirchen und verschiedener Wohlfahrtsverbände. Die Anfälligkeit einer derartigen Finanzierung ist offensichtlich und wird sich nach Rückzug der EU aus der Förderung im Jahre 2010 existenziell zuspitzen. Die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen ist aufgrund der bestehenden EU-Vorgaben langfristig eine für die Bundesrepublik Deutschland zwingend umzusetzende Aufgabe. Dieses Ziel wird jedoch nicht ohne politischen Druck erreicht, sondern muss von den Betroffenen und ihren Verbündeten aktiv eingefordert werden.
rau X kommt aus einem westafrikanischen Land. Sie war wegen der politischen Aktivitäten ihres Bruders mehrere Monate im Gefängnis. Dort wurde sie häufig von verschiedenen Männern vergewaltigt. In dieser Zeit wurde sie schwanger. Nach der Freilassung organisierte die Familie die Ausreise. Die Frau stellte in München ihren Asylantrag und blieb einige Wochen in der Erstaufnahmeeinrichtung (EAE). In der Zeit hatte sie keinen Kontakt, keine Unterstützung. Sie wurde in einen kleinen Ort in Niederbayern umverteilt. Dort wurde ihre Tochter geboren. Die Verständigung mit dem einmal wöchentlich anreisenden Sozialdienst und Ärzten in der Kreisstadt war schwierig. Schließlich war sie psychisch extrem auffällig und wurde im Beratungs- und Behandlungszentrum für Flüchtlinge und Folteropfer Refugio München angemeldet. Nach längeren Verhandlungen erteilte das zuständige Ausländeramt eine Reisegenehmigung zu Refugio, da die sich zuspitzende Gesundheitssituation der Frau vor Ort nicht behandelt werden konnte. Eine erfahrene Psychotherapeutin diagnostizierte eine schwere Posttraumatische Belastungsstörung und dringenden psychotherapeutischen Behandlungsbedarf. Da die Frau nicht in der Lage war, die lange Bahnfahrt zu bewältigen, wurde eine Umverteilung nach München in die Wege geleitet. Als Frau X endlich in München in einer Gemeinschaftsunterkunft wohnte, wurden – wegen akuter Suizidgefahr- primär Kriseninterventionen und später stabilisierende Maßnahmen eingeleitet. Frau X ist eine von vielen, für die die Hilfe viel zu spät ansetzt. Dadurch kommt es nicht selten zu Chronifizierung oder „Verfestigung“ einer bereits bestehenden traumatischen Belastung, die vermieden werden kann. Nicht selten sind die Leidtragenden die Kinder oder ganze Familien. Hier kann eine gezielte Hilfe effektive und nachhaltige Wirkung zeigen. Frau X gehört zur Gruppe der besonders vulnerablen Flüchtlinge.
Z
ur Sicherstellung der medizinischen Versorgung hat die Politik folgende Forderungen einzulösen: Gewährleistung der Früherkennung der körperlichen und seelischen Erkrankungen, der gesicherte und barrierefreie Zugang zu qualifizierter Behandlung, eine interdisziplinäre Beratung und Begleitung einschließlich der Einbeziehung von Dolmetschern, Unterstützung beim Asylverfahren, Finanzierung von psychosozialer Betreuung und spezialisierter psychotherapeutischer Behandlung – das alles unabhängig vom Aufenthaltsstatus der Flüchtlinge. Wer bei der Kampagne mitmachen möchte, ist herzlich eingeladen an dem nächsten Kampagnentreffen am Sonntag, den 9. Mai in Kassel teilzunehmen.
D
ieser Gruppe widmet sich die neue IPPNW Kampagne „BeHandeln statt verwalten“. Ziel der Kampagne ist es, eine menschenwürdige Grundversorgung von besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen zu gewährleisten. Getragen wird diese Kampagne von der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für psychosoziale Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAFF), der Bundesärztekammer und der IPPNW. Eine EU-Richtlinie garantiert Flüchtlingen mit besonderer Schutzbedürftigkeit seit 2004 den subsidiären Schutzstatus. In Deutschland wird diese Richtlinie bisher jedoch nur äußerst unzulänglich umgesetzt. Für besonders schutzbedürftige
www.behandeln-statt-verwalten.de
Frank Uhe ist Geschäftsstellenleiter der deutschen IPPNW und aktiv im AK Flüchtlinge und Asyl 29
Geschichte
Ärzte gegen den Krieg
I
Ein Blick in die Geschichte von Christian Jenssen, Teil 1
m Dezember dieses Jahres können wir gleich zwei Jubiläen feiern: 30 Jahre IPPNW und 25 Jahre Friedensnobelpreis. Aus diesem Anlass möchten wir einen Blick zurückwerfen und fragen: In was für einer Geschichte stehen wir eigentlich?
Z
wischen 1792 und 1815 erschütterte eine nahezu ununterbrochene Abfolge von Kriegen Europa und Nordamerika. Die Sanitätsdienste der Armeen waren den mit der rasanten Entwicklung von Waffentechnologie und Kriegsführung einhergehenden sanitären Verlusten nicht gewachsen, zumal die Versorgung der Verwundeten nicht durch Völkerrecht, sondern lediglich durch bilaterale Abkommen oder temporäre Übereinkünfte der Kriegsparteien geregelt war. So waren an der dreitägigen Schlacht um Leipzig (1813) 180.000 Soldaten beteiligt, 100.000 fielen oder wurden verwundet. Von den 34.000 Verwundeten, die nach Leipzig gebracht wurden, starben 11.000 aufgrund der schlechten sanitären und medizinischen Bedingungen.
Humanisierung oder Abschaffung des Krieges Dieses katastrophale Missverhältnis der Effizienz von moderner Kriegsführung und sanitärer Hilfe hatte zwei unterschiedliche Entwicklungen zu Folge. Einerseits wurde der Weg der „Humanisierung“ des Krieges beschritten. Die Gründung freiwilliger Hilfsvereine für die Verwundeten ist vor allem mit dem Namen Florence Nightingale verbunden, die Entwicklung des „humanitären Völkerrechts“ und internationaler Hilfsorganisationen mit dem des Schweizer Bankiers Henry Dunant. Parallel dazu wurde das Militärsanitätswesen entwickelt und – vor allem in Deutschland – das zivile Gesundheitswesen militarisiert. Damit führte die „Humanisierung des Krieges“ in letzter
Konsequenz zur militärischen Instrumentalisierung der Heilkunde, wenngleich die überwiegende Zahl der Ärzte es als „schöne Aufgabe“ reflektierte, „inmitten der barbarischen Gräuel des Krieges die edle Gesittung der modernen Welt zu vertreten“.
den Krieg ist nur zu verstehen im Lichte dieses ethischen Dilemmas zwischen der grundsätzlichen Ablehnung des Krieges als Ursache vermeidbaren menschlichen Leidens einerseits und der von vielen Ärzten empfundenen Verpflichtung, auch im Kriege ihrer hippokratischen Aufgabe gerecht zu werden.
Auf der anderen Seite stand die Idee einer Prävention des Krieges. Die frühen pazi- Ärzte als Pioniere der Europäifistischen Utopien von der Überwindung schen Friedensbewegung des Krieges, einer freien Konföderation Die vier Internationalen Friedenskonfreier Nationen und eines „goldenen Zeit- gresse von 1848 bis 1851 brachten die alters“ friedlicher Ideen des Friezwischenstaatdens und der licher BezieVölkerverständihungen fanden gung einer breiin den liberalen teren Öffentlichund republikakeit nahe und nischen Bewestimulierten die gungen erstmals Gründung von in der GeschichFriedensgesellte eine soziale schaften in zahlBasis. Zwischen reichen Ländern. Florence Nightingale (1820 - 1910), Henry Dunant (1828 - 1910) 1814 und 1815 Auch einige wurden die erÄrzte standen an sten Friedensgesellschaften in Nordame- der Wiege der Europäischen Friedensrika gegründet, 1816 die London Peace bewegung. Robert Motherby nahm als Society und 1830 die Genfer Friedensge- Delegierter der Freien Protestantischen sellschaft. Kirche Königsberg am Frankfurter Internationalen Friedenskongress 1850 teil. Im ie ersten medizinischen Stellung- gleichen Jahr gründete er den Königsbernahmen über Krieg und Frieden rei- ger Friedensverein, der allerdings bereits chen bis zum Beginn des 19. Jahrhun- im Mai 1851 polizeilich aufgelöst wurde. derts zurück. 1805 forderte der Leibarzt Ein anderer friedensbewegter Arzt aus des Grafen von Schaumburg-Lippe eine Königsberg war der linksliberale Johann Konvention zum Schutz der Verwun- Jacoby. Er war 1867 deutsches Gründeten, verurteilte aber gleichzeitig den dungsmitglied der Ligue Internationale de Krieg als ein „Übel der Menschheit“. Die la Paix et de la Liberté (Genf). Als einer der Geschichte ärztlichen Eintretens gegen wenigen standhaften Gegner der Kriege
D
30
zwischen Preußen und Österreich (1867) und zwischen dem Norddeutschem Bund und Frankreich (1870/71) stand er im Mittelpunkt internationaler Kontakte von Kriegsgegnern. Zwei der Begründer der Sozialmedizin in Deutschland, Georg Varrentrapp und Gustav-Adolf Spiess, waren Mitglieder des lokalen Organisationskomitees des Frankfurter Friedenskongresses 1850. Varrentrapp war Mitglied in zahlreichen internationalen Gesellschaften, z.B. auch im Exekutivausschuss der Ligue Internationale et Permanente de la Paix. Aber er nutzte seine Kontakte nicht, um die Idee des Friedens in Deutschland durch eine spezifisch medizinische oder sozialwissenschaftliche Argumentation zu befördern. Aus jener frühen Zeit ist nur ein Beispiel für eine medizinische Argumentation gegen den Krieg überliefert: Als 3. Band der Bibliotheque de la Paix erschien 1868 eine Geschichte der Seuchen, die Metz in Folge von Kriegen heimgesucht hatten.
Rudolf Virchow: „Abrüsten oder Untergehen“ Der herausragendste Arzt, der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der zunehmenden Militarisierung des öffentlichen Lebens in Deutschland entgegenstellte, war zweifelsohne Rudolf Virchow. In den Auseinandersetzungen der Revolution von 1848 war sein Konzept entstanden, dass Medizin Teil des politischen und sozialen Lebens werden und umgekehrt Politik sich als eine „Medizin im Großen“ verstehen müsse. Schon damals hatte er sich die zentralen Forderungen des ersten Internationalen Friedenskongresses zu eigen gemacht und den „bewaffneten Frieden“ als eine „Missgeburt der Gleichgewichtspolitik“ bezeichnet. Erst 20 Jahre später griff Virchow diese Ideen wieder auf und versuchte ihnen nun als international anerkannter Mediziner wie auch als Politiker der Demokratischen Volkspartei Geltung zu verschaffen. Den Ärzten wies er 1869 auf der Innsbrucker Naturforscherversammlung die Aufgabe zu, als „Apostel des Friedens und der Versöhnung“ Einfluss auf die Politik zu nehmen und deren Einsatz für eine öffentliche Gesundheitspflege zu fordern. In den Jah-
ren von 1867 bis 1869 nahm Virchow an onale Schiedsgerichtsbarkeit und die Idee parlamentarischen Initiativen zugunsten der „Vereinigten Staaten von Europa“. Er einer Europäischen gründete das DeutAbrüstung teil. sche Komitee der Hervorzuheben International Arbiist sein am 20. tration and Peace Oktober 1869 im Association (1880) Preußischen Landund unterstützte tag eingebrachter die Gründung der Antrag auf VerDeutschen Frieminderung des densgesellschaft Militäretats des (DFG) im Jahr Norddeutschen 18912. Abrüstung Bundes. Durch blieb für ihn „zwineine einseitige Vorgend wie ein unerleistung Preußens bittliches Schickhoffte er, Vertrausal. Abrüsten oder en zu schaffen untergehen: das ist und den Weg zu das schreckliche Rudolf Virchow (1821-1902) bereiten für eine Dilemma für die Umwidmung von Völker Europas“. Rüstungsmitteln zugunsten der „zivilisato- Die „Vereinigten Staaten von Europa“ rischen Aufgaben Europas“. Virchows An- sah er als Garant für die Abschaffung der trag scheiterte aufgrund der Spaltung des Kriege und die Lösung der großen sozialen deutschen Liberalismus am 5. November Fragen. Im Reichtagswahlkampf 1893 trat 1869 mit 99:215 Stimmen. er vehement gegen die Hochrüstungspolitik der Reichsregierung auf und wurde ur acht Monate später begann der Ehrenvorsitzender der Freisinnigen VolksDeutsch-Französische Krieg. Virchow partei, die sich für die Unterstützung der sprach sich nunmehr für eine realistische internationalen Friedensbewegung und Aufzeichnung der medizinischen Ge- eine internationale Schiedsgerichtsbarkeit schichte des Krieges aus, damit deren aussprach. In den Reichstag wurde er jeLeser „energische Verteidiger der Lehre doch nach heftigen Angriffen der nationalvon der Notwendigkeit des Friedens für liberalen und konservativen Presse nicht das Gedeihen der Völker“ würden. Kaum mehr gewählt. war jedoch der Krieg mit Frankreich entfesselt, vermochte sich Virchow nicht n seiner letzten Lebensphase vertraute nationalpatriotischen Emotionen zu entVirchow nicht mehr darauf, dass Parlaziehen. Er engagierte sich nicht nur für mente und Regierungen die Grundlagen den Berliner Hilfsverein für die Armeen eines dauerhaften Friedens schaffen würim Felde, sondern rechtfertigte sogar Bis- den, sondern setzte ganz auf die Durchmarcks Politik und die Annexion Elsaß- setzungskraft einer gut informierten öfLothringens. Dennoch hielt Virchow bis fentlichen Meinung: „Organisieren wir ... zu seinem Lebensende daran fest, dass dem Krieg einen furchtbaren Krieg. ForMedizin nicht national, sondern kosmo- dern wir mit lauter Stimme die Abrüstung! politisch sein müsse und die internatio- Appellieren wir an alle Menschen. Sprenalen Begegnungen und Kooperationen chen wir mit einer Sprache, die Herz und von Medizinern „starke Bürgschaften des Seele einnimmt. Klären wir die ÖffentlichFriedens“ seien. keit auf über ihre Rechte und Pflichten. Wenn sie will, wird sie es verstehen, die ls Reichstagsmitglied und in öffent- Regierungen in ihrem Sinne zu lenken“ . lichen Verlautbarungen engagierte sich Virchow weiter für Abrüstung, Abschaffung der stehenden Heere, internati-
N
I
A
Weitere Informationen Zitate und weiterführende Informationen im Internet unter www.ippnw.de/presse/ippnw-forum und bei Jenssen, C.: Medicine against war - a historical review of the anti-war activities of physicians, in: I.Taippale (Ed.): War or health? A reader (2001) sowie bei Ruprecht, T.M.; Jenssen, C. (Hg.): Äskulap oder Mars? Ärzte gegen den Krieg (1991).
31
Christian Jenssen ist Chefarzt am Krankenhaus Märkisch Oderland und Mitglied der IPPNW seit 1982 c.jenssen@khmol.de
g esagt
g elesen
E
in Baum, der fällt, macht mehr Krach als ein Wald, der wächst.
Warum es ums Ganze geht
Über Krieg ist alles bekannt
Hans-Peter Dürr hat zu seinem 80. Geburtstag ein neues Buch vorgelegt: Ein Plädoyer für ein Neues Denken in einer Welt im Umbruch.
Ausschnitt aus Carolin Emckes Laudatio auf den Friedensfilmpreisträger 2010 www.carolin-emcke.de, www.friedensfilm.de
ans-Peter Dürr, Physiker, langjähriger Mitarbeiter von Werner Heisenberg und Träger des Alternativen Nobelpreises, hat die Arbeit der IPPNW international und national von Anfang an begleitet und bereichert. Er ist uns ein wichtiger Rat- und Impulsgeber. Seine Vorträge sind Highlights unserer Kongresse. Sein Credo eines „liebenden, lebendigen Dialogs“ findet viel Zustimmung; seine Erklärungen der Quantenphysik faszinieren uns.
Im Krieg wird gefoltert und gemordet, vergewaltigt und versehrt. Erwachsene und Kinder, Männer und Frauen sterben im Krieg. Langsam oder schnell. Sie werden vertrieben oder eingesperrt. (...) Einzelne Menschen werden getötet oder ganze Gruppen. Aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Sprache, ihres Geschlechts, ihrer Religion, weil sie nun einmal gerade da sind, weil sie nicht rechtzeitig fliehen konnten, weil sie Zuhause sind in einer Gegend, in der es Gold, Salz, Kupfer oder Öl gibt, weil sie anders aussehen, anders klingen, anders essen als andere, weil sie schutzlos sind oder ängstlich, weil... . Gewalt sucht grundlos sich die Opfer und richtet sie zu, sodass sie zu den Gründen, den nachgeschobenen, passen.
H
Sein neues Buch ist ein Plädoyer für ein Neues Denken. Ob Kriege, Klimawandel oder ökonomische Krisen: „Wir denken immer noch in den Strukturen des 19. Jahrhunderts und kleben an der Illusion, dass es mit List und Tücke gelingen wird, die Welt in den Griff zu bekommen“ Aber das ist ein Trugschluss. Ein Paradigmenwechsel ist angesagt. „Teilhabe statt Beherrschung“ lautet die Zukunftsvision von Hans-Peter Dürr. „Wir haben lange genug an den Ästen gesägt, auf denen wir sitzen. Jetzt wird es Zeit, unseren Platz im Ganzen der Natur neu zu definieren und uns endlich als Teil des Gesamtprozesses zu verstehen und damit die Chance zu ergreifen, dass jeder und jede von uns einen Teil dazu beitragen kann, das Lebendige lebendiger werden zu lassen“.
Was Krieg heißt, so glauben wir allenthalben in befriedeten Ländern, das haben wir längst verstanden. Wir sehen Bilder von Tod und Zerstörung und nicken selbstgewiss: „Ja, natürlich, im Krieg werden Gebäude zerstört, Mauern werden brüchig, Straßen löchrig, im Krieg sterben Menschen, sie werden gequält und getötet, vertrieben und verbannt“. All das ist nicht nur gewiss, es ist, so meinen wir, selbstverständlich geworden. Zehn Tote bei einem Bombenanschlag in Bagdad, 10.000 Vertriebene bei einer Offensive in Sri Lanka, 200 zerstörte Dörfer im Kongo, sie reihen sich ein in eine schier endlose Folge an Grausamkeiten, die wir nurmehr, wie Perlen auf eine Schnur aus Toten und Flüchtlingen und brennenden Autos aneinanderreihen, daraus wird eine Kette, die wir kaum mehr wirklich betrachten, wir nehmen nur, bei jeder neuen Schreckensnachricht, die nächste Kugel auf, und fädeln sie ein. (...) Dank der allumfassenden Berichterstattung, den „24 hour news“, wissen wir auch, wie sie aussehen, die Toten, mehr oder minder zumindest, wir kennen die Bilder von Leichenbergen, von ausgemergelten Körpern, von Zelten mit dem UN-Emblem, die eine ganze Landschaft überziehen wie Pflanzen, wir kennen die Overalls von Forensikern, die sich mit klinisch reinen Handschuhen an das Einsammeln von Knochen- oder Hautresten machen – und auch das registrieren wir als ob es selbstverständlich sei,... dass da Menschen die Reste von Menschen zusammenklauben. Verzeihen Sie das Wort, aber: wie „abgefuckt“ sind wir eigentlich? Die Wahrheit ist: wir haben keine Ahnung. (...)
D
ürrs zentrale Themen sind Gewalt („Frieden ist möglich“), Atomenergie („russisches Roulette“ und angesichts des Ressourcenverbrauchs und Klimawandels die Fokussierung auf den persönlichen Lebensstil („Was brauchen wir wirklich?“). Dabei gelingt es ihm, die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der modernen Physik in einer allgemein verständlichen Sprache für unseren politischen und persönlichen Alltag fruchtbar zu machen. Das vorliegende Buch fasst Dürrs Lebenswerk zusammen. Es gibt Auskunft über die biografischen Hintergründe und lässt uns an seinem Leben teilhaben durch faszinierende Schilderungen seiner Begegnungen mit Hannah Arendt, Edward Teller, Werner Heisenberg oder Michail Gorbatschow. Sein Fazit: „Lasst uns nicht im Getöse der Zerstörung das langsame Entfalten des Neuen übersehen.“ Mein Fazit: Ein sehr lesenswertes Buch, das allen IPPNW-Mitgliedern zu empfehlen ist. Frank Uhe Hans-Peter Dürr: Warum es ums Ganze geht; Oekom Verlag, 19,90 Euro 32
Geplant
Termine März
Das nächste Heft erscheint Mitte Juni. Im Schwerpunkt dreht sich dann alles um 3 Buchstaben, die die Welt verändern könnten:
NPT d.h. um die Überprüfungskonferenz des Atomwaffenteststoppvertrags (engl. Nonproliferation treaty NPT). Mit Beiträgen von Xanthe Hall und anderen, die nach New York zur Überprüfungskonferenz fahren...mit Artikeln zur Nuklearwaffenkonvention, dem Atomteststoppvertrag und natürlich dem Ausgang der Konferenz. Außerdem: alles, was man über den IPPNW Weltkongress im August wissen muss. Das Forum lebt von Ihren Beiträgen, Vorschlägen und Ideen. Schreiben Sie uns! tritschler@ippnw.de
18.03. Kinderkrebs um Atomkraftwerke: Vortrag von Reinhold Thiel (Ulmer Ärzteinitiative - IPPNW), 20 Uhr, Neue Schulmensa, Neustr. 60-62, Sontheim a.d. Brenz 19.-21.3. Friedenskultur 2010 „Unsere Zukunft atomwaffenfrei“: Internationaler Kongress in der Volkshochschule Essen, Kulturveranstaltung „Künstler für den Frieden“ in der Lichtburg, Kettwiger Str. 36, 45127 Essen, www.friedenskultur2010.de 21.03. Demo Neckarwestheim 27.03. Unsere Zukunft atomwaffenfrei! Osteraktion 2010 des Friedensnetzwerkes Ulm, 13 Uhr, Hirschstraße am Brunnen in Ulm
April Impressum und Bildnachweis Herausgeber: Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW) Sektion Deutschland Redaktion: Sabine Farrouh (V.i.S.d.P.), Angelika Wilmen, Anne Tritschler Freie Mitarbeit: Ulla Gorges, Xanthe Hall, Ewald Feige, Jens-Peter Steffen, Frank Uhe, Henrik Paulitz, Pia Heuer, Winfried Eisenberg, Jens Heinrich, Detlef Jech Anschrift der Redaktion: IPPNWforum, Körtestraße 10, 10967 Berlin Telefon: 030 / 69 80 74 0 Fax 030 / 693 81 66 E-mail: ippnw@ippnw.de, www.ippnw.de Bankverbindung: Bank für Sozialwirtschaft, Konto 22 22 210, BLZ 100 205 00 Erscheint 4 mal im Jahr. Der Bezugspreis für Mitglieder ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Sämtliche namentlich gezeichneten Artikel entsprechen nicht unbedingt der Meinung der Redaktion oder des Herausgebers. Nachdrucke bedürfen der schriftlichen Genehmigung. Redaktionsschluss für das nächste Heft: 17. Mai 2010 Gestaltungskonzept: Thomas Bock Layout: Anne Tritschler Druck: H&P Druck Berlin Papier: PlanoArt Recyclingpapier, FSC-zertifiziert Titelfoto: Atomkraftwerk Dukovany, David Helan/flickr; U2: Anti-Atom-Demo Berlin, 2009, Anne Tritschler, S6: Tanz des Todes
vor dem Kanzleramt, 2010, Anne Tritschler; Filmbild „Son of Babylon“, Berlinale Friedensfilmpreis; Hasankeyf vor und nach dem Bau des Ilisu-Staudamms, Kampagne Stopp Ilisu; S7: 6. Generalkonferenz der Bürgermeister für den Frieden, vision2020; Verteidigungsminister Hervé Morin, Remi Jouan/Wikimedia; Gaza Freedom March, Angela Sevin/flickr; S8: Tamiflu, Andrew Wales/flickr; S9: Tamiflu, MattSmith/flickr; S10: Smile you are in Kashmir, Alex Rosen; drug abuse Bangladesh, Ahmed Tanvir-Dirk/IRIN; S14: Nogent-sur-Seine, France, 2003, Jürgen Nefzger; S15: Sellafield, England, 2005, Civaux, France, 2003, Isar, Deutschland, 2005, alle Jürgen Nefzger; S16/17: Tricastin, France, 2003, Jürgen Nefzger; S20: Beznau, Schweiz, 2004, Jürgen Nefzger; S21: Tihange, Belgique, 2004, Jürgen Nefzger; S22: Usina Nuclear Angra Dos Reis, Flavia Barbieri/flickr; S23: Krümmel, Annette Feindt; S25: Cofrentes, España, 2005, Jürgen Nefzger; S26: Uranium Mining Capitol Reef, Shawnhasissues/ flickr; S27: Caecilie Buhmann auf der Global Response Conference 2010, Angelika Wilmen; S28: Tanz des Todes vor dem Kanzleramt, 2010, Anne Tritschler; Die-In Aktion vor dem Brandenburger Tor, 2010, Angelika Wilmen; S29: Henrik G. Vogel/ pixelio; S30/1: F. Nightingale, H. Dunant, R. Virchow, alle flickr; S32: Buchcover, oekom Verlag; Carolin Emcke, Pressebild; S34: Peter Sawicki, Pressebild IQWiG; Alle Autoren/Portraitbilder: privat 33
4.4. „Atomwaffenfrei“- Osteraktion in Büchel: 11.55 Uhr, Dorf Büchel 10.4.-18.4. Stromwechsel-Woche 16. -17.4. Workshop „Auf dem Weg zur Ächtung von Uranwaffen“: Gemeinsamer Workshop von IPPNW, IALANA und ICBUW, 18 bis 20.30 Uhr und 10-12.15 Uhr, HumboldtUniversität Berlin 23.4. Der Reaktorunfall von Tschernobyl - damals und heute: 19.30 Uhr, Bürgerzentrum West, Bebelstraße, Großer Saal, Stuttgart 23.4. Fahrradsternfahrt nach Villingen-Schwenningen; 16 Uhr Kundgebung vor dem Rathaus, Münsterplatz 24.4. Menschenkette Brunsbüttel Hamburg - Krümmel und Demonstrationen in Biblis und Ahaus 30.4.-1.5. “For a Nuclear Free, Peaceful, Just and Sustainable World” Konferenz, Riverside Church, New York
Mai 2.5. Internationale Demonstration gegen Atomwaffen: New York 3.5.-28.5. Überprüfungskonferenz des Atomwaffenteststoppvertrags: New York Informationen und Kontaktdaten: www.ippnw.de/aktiv-werden/termine
g efragt
6 Fragen an ... Prof. Dr. med. Peter T. Sawicki (noch) Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
1
4
Herr Sawicki, sehen Sie die Unabhängigkeit des Instituts mit Ihrem Weggang gefährdet?
In Deutschland sind etwa 50.000 Medikamente zugelassen. Sie sagen, etwa die Hälfte hat keinen Zusatznutzen. Welche ärgern Sie am meisten?
Das wird auch von meiner Nachfolge abhängen. Auf jeden Fall wird es auch zukünftig einen Dauerkampf um unsere Unabhängigkeit geben. Das Institut ist politisch wehrlos und braucht daher einen uneigennützigen Schutz der Politik. Dies habe ich bisher vermisst.
2
Oh, Medikamente ärgern mich nicht, sie können nichts dafür. Was mich ärgert ist, dass verschiedene Variationen lange bekannter Substanzen als Fortschritt ausgegeben werden und dass anscheinend kaum jemand ein echtes Interesse daran hat, diese „medikamentösen Scheinriesen“ frühzeitig zu entlarven.
Warum zahlt Deutschland mehr für Medikamente als andere Länder?
5
In Deutschland sind nach der Zulassung durch die Arzneimittelbehörden alle Medikamente sofort verschreibungsfähig, zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung und dies unabhängig davon, ob sie den Patienten nutzen oder nicht. Die Fortbildung der Ärzte wird vor allem unter Mitwirkung der pharmazeutischen Industrie durchgeführt; entsprechend ist auch das Verschreibungsverhalten der Ärzte. Darüber hinaus bestimmen in Deutschland die Pharmaunternehmen die Preise ihrer Produkte selbst und die Krankenkassen müssen jeden Preis bezahlen. Es gibt hier keinen Markt, der die Preise regelt und auch keine Preisverhandlungen.
3
Stichwort vergessene Krankheiten. Inwieweit stellt sich die Pharmaindustrie ihrer ethischen Verantwortung?
Die Pharmazeutische Industrie müsste eigentlich eine besondere Verantwortung für die Gesundheit von Menschen wahrnehmen – sie tut es aber nicht. Auch bei sehr seltenen Erkrankungen muss es Forschung und Arzneimittel geben ggf. auch dann wenn es sich „marktwirtschaftlich“ nicht lohnt. Und auch in armen Ländern unserer Welt dürften eigentlich Menschen nicht sterben, weil einfachste Medikamente nicht erschwinglich sind. Dies werden zukünftige Themen sein, bei denen die Pharmazeutische Industrie zeigen muss, ob sie zu mehr Humanität fähig ist.
6
Wie könnten die Ausgaben für Medikamente beschränkt werden?
Medizin als Geschäft: grundsätzlich falsch?
Ja. Die Kommerzialisierung der Medizin hat sie bereits seit Längerem verschlechtert. Auf dem „Gesundheitsmarkt“ geht es zu sehr um Gewinne und zu wenig um die Kranken. Der Kommerz untergräbt die ärztliche Moral. Schon immer war es eine medizinethische Hauptforderung, dass Ärzte nicht dafür, dass sie etwas mit den Patienten machen, Geld nehmen dürfen. George Bernard Shaw hat es vor fast 100 Jahren auf den Punkt gebracht: „Wenn man Ärzten Geld dafür gibt, dass sie Beine abschneiden, dann schneiden sie Beine ab.“
Nach der Zulassung müsste zunächst geprüft werden, ob das neue Medikament auch besser ist, als die, die wir bereits haben. Nur wenn dies belegt ist, sollten die Kosten dafür von den Krankenkassen übernommen werden. Darüber hinaus brauchen wir Preisverhandlungen zwischen Krankenkassen und Herstellern und wenn diese Verhandlungen kein Ergebnis erbringen, müsste eine unabhängige Regierungskommission die Preise festlegen.
34
 anzeigen 10_mfb_Anz_IPPNW
01.03.2010
15:26 Uhr
Seite 1
Berliner Festspiele in Zusammenarbeit mit der Stiftung Berliner Philharmoniker
Das Programm erscheint Mitte April. Karten und Informationen erhalten Sie unter (030) 254 89 100 und im Internet.
1o
musikfest berlin 2. bis 21. September www.musikfest-berlin.de
iPPnw world congress 2010
ProgrAMM
25. – 30. August 2010 universität BAsel, schweiz
Vorkongress 2:
Mittwoch, 25. August - Donnerstag, 26. August IPPNW Studentenkongress Donnerstag, 26. August 2010 / 08.30 - 18.00 h Vorkongress 1: Sacred Land - Poisoned people: Uranium mining and indigenous peoples (Englisch) Posttraumatische Belastungsstörung (PSD) - Gesundheitliche Folgen von ziviler und kriegerischer Traumatisierung. (Un-)Möglichkeiten der Behandlung (Deutsch)
Freitag, 27. 08.2010 08.30 - 10.00h
nucleAr ABolition: for A future Viele Probleme der heutigen Menschheit wie Klimaveränderungen, Wasserknappheit, Armut und Kriminalität sind schwer lösbar oder gar irreversibel. Aber der Entscheid, atomar abzurüsten ist verhältnismässig einfach und wenig Länder sind davon betroffen. Es besteht ein Konsens unter den Staaten ohne Atomwaffen, dass die globale Sicherheit so gestärkt werden könnte. Auch wenn eine Welt ohne Atomwaffen nicht von heute auf morgen möglich ist, so schulden wir es unseren Kindern und Kindeskindern, sich für dieses Ziel einzusetzen, um sie hoffentlich in Zukunft wenigstens von diesem Problem zu entlasten. "Zero nuclear weapons" ist der Wunsch vieler Menschen und die Vision der IPPNW, welche dieses Jahr das 25- jährige Jubiläum der Verleihung ihres Friedensnobelpreises feiert. Wir werden im kommenden August in der Humanistenstadt Basel am Weltkongress das Thematik erörtern und laden Sie ein, nach Basel zu kommen und sich mit uns für dieses grosse friedenspolitische Anliegen einzusetzen.
10.30 - 12.00h
13.30 - 15.00h
15.15 - 18.15h 18.15 - 19.45h
Samstag, 28. August 2010 08.30 - 10.00h 10.30 - 12.00h 12.00 - 13.30h 13.30 - 15.00h 15.15 - 16.45h 17.00 - 18.15h
Plenarsitzung IV: Kernkraftwerke, Strahlung + Gesundheit Prof. W. Hoffmann (eingeladen); Prof. R. Goncharova; Prof. A. Behar Workshops Lunch, ggf. Workshops Plenarsitzung V: Globalisierung, Krieg + Nuclear Abolition Prof. emerit. J. Ziegler (eingeladen); S. Staples (eingeladen); Prof. R. Neaera (eingeladen) Workshops IPPNW Regionale Gruppen-Meetings
Sonntag, 29. August 2010 08.30 - 10.00h 10.15 - 11.45h 12.15 - 13.45h
www.ippnw2010.org
Eröffnungs-Plenarsitzung I: Geschichte der Nuklearen Abrüstung und der IPPNW Bundesrätin M. Calmy Rey; Prof. L. S. Wittner; Prof. emerit. B. Lown; Botschafter Dr. J. Dhanapala, S. Duarte Plenarsitzung II: Die Stimme der Nuklearstaaten und ihre Verantwortung E. Tauscher (eingeladen); S. Ryabkov (eingeladen); V. Saighal; Prof. H. Salander Plenarsitzung III: Gewaltverhütung + Förderung von Gesundheit und Entwicklung - ein medizinischer und moralischer Imperativ / IPPNW "Aiming for Prevention" Projekt Dr. D. Hanson (eingeladen); K. Bartholomeos; Botschafter T. Greminger (eingeladen) Workshops (Pause von 16.45h - 17.00h) Öffentlicher Anlass IPPNW mit Mayors for Peace: "Effekte eines lokalen Atomkrieges aufs Klima und die Konsequenzen" / Städte als Hauptziele
15.45 - 17.30h
Plenarsitzung VI: Wirtschaft, Macht und Atomwaffen Prof. J. E. Stiglitz (eingeladen) Interreligiöse Feier Schluss Plenarsitzung VII: Die Stimme der Atomwaffenfreien Staaten und der Zivilbevölkerung Prof. T. Ruff; Dr. R. Johnson; Dr. M. Vosseler IPPNW International Council (Zweiter Teil)