IPPNW Forum 124/2010 – Die Zeitschrift der IPPNW

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ippnw forum

das magazin der ippnw nr124 dez10 3,50€ internationale ärzte für die verhütung des atomkrieges – ärzte in sozialer verantwortung

- 25 Jahre Friedensnobelpreis - Westbank: Besatzung macht krank - Israel und Iran: Eine Erwiderung auf Harald Müller

Global Health: Nur eine global geteilte Verantwortung kann das Menschenrecht auf Gesundheit gewährleisten.


I PPNW  IPPNW steht für “International Physicians for the Prevention of Nuclear War”. Wir engagieren uns für eine Welt ohne atomare Bedrohung und Krieg, wurden 1985 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet und sind in über 60 Ländern aktiv.

In der IPPNW engagieren sich Ärztinnen und Ärzte, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie Medizinstudierende für eine menschenwürdige Welt frei von atomarer Bedrohung. Frieden ist unser zentrales Anliegen. Daraus entwickeln wir unser vielfältiges Engagement. Wir setzen uns ein für die Ächtung jeglicher Kriege, für gewaltfreie, zivile Formen der Konfliktbearbeitung, für den Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen und die gerechte Verteilung der Ressourcen sowie für ein soziales und humanes Gesundheitswesen. Dabei leiten uns unser ärztliches Berufsethos und unser Verständnis von Medizin als einer sozialen Wissenschaft. Für eine Welt frei von atomarer Bedrohung Für eine Welt frei von Krieg Für eine Medizin in sozialer Verantwortung

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Editorial Dieter Lehmkuhl ist Mitglied im Vorstand der IPPNW und beschäftigt sich seit Jahren mit Global Health.

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er Schwerpunkt dieses Heftes ist Global Health – ein Thema, das wir auch in der deutschen IPPNW stärker verankern möchten.

Unsere britische Sektion „medact“ hat Globale Gesundheit zum Schwerpunkt ihrer Arbeit gemacht und ist maßgeblich am Global Health Watch, dem alternativen Weltgesundheitsbericht der Zivilgesellschaft, beteiligt. Mir hat dieser Bericht die Augen geöffnet und das Thema nahe gebracht. Einen Überblick über Begriffsbestimmung, Hauptfelder, Akteure und Konzepte von Global Health gibt Kayvan Bozorgmehr in seinem Einführungsartikel.

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as Thema ist für unsere IPPNW nicht völlig neu. Es gab bereits diverse Workshops dazu, zuletzt auf dem Baseler Kongress. Im vergangenen Jahr haben wir außerdem die von medico international organisierte Gegenveranstaltung „Public Eye on Berlin“ zum „World Health Summit“ der Charité unterstützt und damit der stark personalisierten, technologischen und pharmaindustriegesteuerten Medizin des „Gipfels“ ein anderes Verständnis von globaler Gesundheit entgegengesetzt. Dr. Andreas Wulf und Thomas Gebauer von medico international stellen diese Vision eines Weltgesundheitsfonds für eine solidarisch finanzierte gesundheitliche Basisversorgung vor. Für Herbst 2011 ist eine einwöchige „Summer School“ zum Thema geplant. Wir veranstalten sie gemeinsam mit dem Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité – auch dazu Näheres in diesem Heft.

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arum ist Global Health Teil der IPPNW-Agenda? Im Rahmen der Globalisierung kommt auch der Gesundheit eine immer größere Bedeutung zu. Nirgendwo zeigt sich der Gegensatz zwischen dem globalen Norden und Süden so krass wie in dem Gesundheits- und Armutsgefälle. Beide hängen zudem eng zusammen und werden stark von ökonomischen Modellen der Entwicklung und den internationalen Handelsbeziehungen geprägt. In dieser „strukturellen Gewalt“ (Galtung) liegt nicht nur eine eklatante Menschenrechtsverletzung, sondern sie ist auch eine wesentliche Ursache von Konflikten, Gewalt und Kriegen. Ich wünsche allen Lesern, Mitgliedern, Förderern und Freunden der IPPNW eine anregende, motivierende und „aufklärende“ Lektüre in bewegten Zeiten sowie frohe und ruhige Weihnachtsfeiertage. Kommen Sie gut ins Neue Jahr! Ihr Dieter Lehmkuhl 3


inhalt Besatzung macht krank Persönliche Eindrücke aus der Westbank

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Themen Westbank: Besatzung macht krank.................................................................8 Unvorstellbar: Lage im Gaza-Streifen. ...................................................... 10 Israel und Iran – eine Erwiderung auf Harald Müller................... 11 Ärzte brauchen Grenzen – Memoriam Alice Platen. ...................... 12 Nuclear Free Future Award................................................................................ 14 Ärzte gegen Krieg – ein Rückblick, Teil 4 ............................................ 30

Schwerpunkt Fieldwork: Foto-Wettbewerb des DGHI. ................................................... 16

Gesundheit Global Herausforderungen, Akteure und Strategien von Global Health

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Gesundheit Global ................................................................................................... 18 Hingeschaut – Global Health Watch. ......................................................... 21 Ein öffentliches Gut................................................................................................. 24 Gesundheit schafft Frieden............................................................................... 26

Welt 25 Jahre Friedensnobelpreis – ein Interview mit Prof. Dr. Ulrich Gottstein. ........................................ 27

Ärzte gegen Krieg Teil 4 des Rückblicks in die Geschichte

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Rubriken Editorial. ................................................................................................................................3 Meinung.................................................................................................................................5 Nachrichten........................................................................................................................6 Aktion. ................................................................................................................................. 28 Gelesen, Gesehen...................................................................................................... 32 Gelesen, Geplant, Termine................................................................................. 33 Gefragt................................................................................................................................ 34 Impressum/Bildnachweis..................................................................................... 33


Meinung

Das Stuttgarter IPPNW-Mitglied Jörg Schmid ist aktiv im AK Atomenergie.

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Die Laufzeitverlängerung lässt die Gewinne der Atomkonzerne sprudeln und blockiert die Energiewende.

ie Atomkonzerne haben sich auf ganzer Linie durchgesetzt. Sie bekommen laut „Geheimabkommen“ mit der Kanzlerin vom 6. September 2010 für jedes AKW Stromkontingente garantiert, frei von AKW auf AKW übertragbar. Insgesamt sind es 1 800 Terawattstunden, ohne konkretes Abschaltdatum. Diese Laufzeitverlängerung spült der Atomindustrie etwa 100 bis 140 Milliarden Euro in die Kassen.

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afür sollen sie sich am Haushalt des Bundes und, in weit geringerem Umfang, an der „Energiewende“ beteiligen: Die Brennelement-Steuer wird auf sechs Jahre befristet von 2011 bis 2016 erhoben, formal in einer Höhe von ca. 2,3 Milliarden Euro jährlich. Da diese jedoch steuerlich absetzbar sind, bleibt beim Bund als Mehreinnahme faktisch nur ein Betrag von etwa 1,5 Milliarden Euro im Jahr bzw. insgesamt 9 Milliarden. Gleichzeitig hat die Bundesregierung anerkannt, dass die Konzerne die Brennelement-Steuer gerichtlich anfechten werden – wird diese „steuerliche Gegenleistung“ also überhaupt je gezahlt werden?

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ach Auslaufen der Brennelement-Steuer sollen die Betreiber als weitere „Abschöpfung“ ab 2017 in einen Förderfond für die „Energiewende“ einzahlen: je produzierter Megawattstunde neun Euro. Über die Jahre beteiligen sich die Konzerne damit maximal mit ca. 1,6 Milliarden Euro an dem Fond – natürlich wieder steuerlich absetzbar. Dieser Beitrag darf gesenkt werden, wenn betriebliche Mehrausgaben auf die Betreiber zukommen: Sowohl die Kosten für Nachrüstungen als auch jede zukünftige steuerliche Belastung innerhalb des Brennstoffkreislaufes (einschließlich der nuklearen Entsorgung) reduzieren also den Fondbeitrag. Damit müssen die Konzerne selber nur für eine Sicherheit „light“ bezahlen. Sollten die Konzerne zukünftig doch an den Kosten der havarierten Endlager in Asse und Morsleben beteiligt werden, würde auch das deren Beitrag mindern. Ab 2019 dürfen die Betreiber dann sämtliche Mehrkosten geltend machen, auch Erhöhungen der Aufsichtsratsgelder oder Netzausbaukosten werden dann den Fondbeitrag senken. Das nenne ich einen für die Konzerne risikolosen Vertrag mit garantierten Gewinnmargen – zu Lasten der Sicherheit und der ökologischen Energiewirtschaft.

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N achrichten

Immer mehr zivile Opfer in Afghanistan

Frankreich und Großbritannien unterschreiben Vertrag zur Zusammenarbeit bei Atomwaffen

Friedensnobelpreisträger fordern nukleare Abrüstung

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ie Zahl der kriegsverletzten Zivilisten im Mirwais Regional Hospital in Kandahar hat sich im August und September im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Dieser laut Internationalem Roten Kreuz „drastische Anstieg“ auf 1 000 Neuaufnahmen wird in Zusammenhang mit der von der US-Armee geführten „Operation Dragon Strike“ gegen dortige Taliban Hochburgen gesehen. In der Region von Helmand und Kandahar stehen derzeit 30 000 ausländische Truppen. Reto Stocker, Repräsentant des Roten Kreuzes in Kabul, bezeichnete die eingelieferten verwundeten Zivilisten als die „Spitze eines Eisberges“. Die Zahl derjenigen, die an Schusswunden oder bombenbedingten Verletzungen litten, sei weit kleiner als die Zahl der Menschen, die durch den Konflikt indirekt betroffen seien. Eine Konsequenz der zunehmenden Gewalt und Instabilität sei zum Beispiel, dass die Menschen kaum noch Gesundheitszentren aufsuchen könnten. In gleicher Weise haben auch medizinische Helfer immer weniger Zugang zu Arealen, in denen gekämpft wird. „Das Ergebnis ist, dass Kinder an Tetanus, den Masern und Tuberkulose sterben – Krankheiten, die durch Impfungen leicht zu vermeiden wären – und Mütter Entbindungen nicht überleben.“

rankreich und Großbritannien haben offenbar nicht vor, in nächster Zeit auf ihre Atomwaffen zu verzichten. Darauf deutet einer von zwei Verträgen zur engeren Zusammenarbeit im militärischen Bereich hin, die der britische Premierminister David Cameron und der französische Präsident Nicolas Sarkozy am 2. November unterzeichnet haben. Eins der Abkommen regelt die militärische Kooperation im konventionellen Bereich. Das andere legt jedoch fest, dass beide Länder künftig in gemeinsamen Einrichtungen daran arbeiten werden, ihre Atomwaffen einsatzbereit zu halten und deren Sicherheit zu verbessern. Dafür sollen ein Forschungszentrum in Aldermaston, Großbritannien, und eine Anlage in Valduc, Frankreich, genutzt werden. Der Vertrag soll zunächst bis 2060 gelten. Dies widerspricht eklatant Artikel VI des von beiden Ländern unterzeichneten Atomwaffensperrvertrags, in dem sie sich verpflichtet haben, „in redlicher Absicht“ über die Abschaffung ihrer Atomarsenale zu verhandeln. Das Abkommen ist vor dem Hintergrund der angespannten Haushaltslage beider Länder zu sehen. Es enthält keine genauen Angaben dazu, welcher Art die angekündigten hydrodynamischen und radiografischen Tests genau sein werden. Detailliertere Regelungen werden erst in einem noch auszuhandelnden Zusatzabkommen enthalten sein.

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riedensnobelpreisträger aus aller Welt haben energische Schritte in Richtung nukleare Abrüstung gefordert. Unter der Losung „Hiroshimas Vermächtnis – eine Welt ohne Atomwaffen“ hatten sie sich im November in der japanischen Stadt getroffen. In ihrer abschließenden Erklärung appellierten die Nobelpreisträger an Entscheidungsträger und Bürger, den Gebrauch von Atomwaffen als unmoralisch und illegal zu ächten: “Damit sich die grausamen Schrecken von Hiroshima und Nagasaki nie wiederholen und um eine Welt des Friedens und der Zusammenarbeit zu ermöglichen, appellieren wir an das Gewissen aller.“ IPPNW-Co-Präsidentin Vappu Taipale stellte in ihrer Rede klar: „Lassen Sie mich das ins rechte Licht rücken: Jede Milliarde Dollar, die für Atomwaffen ausgegeben wird, ist eine Milliarde, die für die Gesundheit der Weltbevölkerung hätte verwendet werden können. Man könnte dieses Geld für sauberes Wasser und für eine Verbesserung der Hygiene in Ländern einsetzen, in denen Malaria und Diarrhöe noch immer wüten.“ Fünfzehn Friedensnobelpreisträger haben zudem Präsident Barack Obama einen Brief geschrieben, in dem sie ihn auffordern, Anti-Personen-Minen zu ächten. Ausgerechnet der im letzten Jahr für sein Engagement für Abrüstung ausgezeichnete Obama war beim Gipfeltreffen in Hiroshima nicht zugegen.


N achrichten

Verlorene Mädchen

Deutsche Bank ist „Nuklearfinanzierer“

Zwang zur Gesundheitskarte

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n der Umgebung von Atomkraftwerken kommen in Deutschland und der Schweiz weniger Mädchen auf die Welt. Das geht aus einer im Oktober 2010 veröffentlichten wissenschaftlichen Studie von Ralf Kusmierz, Kristina Voigt und Hagen Scherb hervor. In den letzten 40 Jahren haben Mütter, die in Deutschland und in der Schweiz im Umkreis von 35 km einer der untersuchten 31 Atomanlagen leben, bis zu 15.000 Kinder weniger geboren als durchschnittlich zu erwarten gewesen wäre, die Mehrzahl davon Mädchen. Für die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW untermauert diese Studie den ursächlichen Zusammenhang von ionisierender Strahlung und einer Schädigung von Zellen – insbesondere bei Embryonen. Die Kinderkrebsstudie hatte schon 2007 ein erhöhtes Krebs- und LeukämieErkrankungsrisiko bei Kleinkindern im AKW-Nahbereich in Deutschland nachgewiesen. Der Verlust von Mädchen-Schwangerschaften wurde bereits nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl sowie in der Folge von Atombombenversuchen beobachtet. Nach Tschernobyl kam es in Europa nicht nur zu einer erhöhten Zahl von Totgeburten und Fehlbildungen, sondern auch zu einer Verschiebung des Verhältnisses von männlichen und weiblichen Embryonen: Nach 1986 wurden in Europa signifikant weniger Mädchen geboren.

ls einzige deutsche Bank reiht sich die Deutsche Bank in die Top 10 der internationalen „Atombanken“ ein. Das brachte ein Recherchebericht von urgewald und Greenpeace zu Tage. Während BNP Paribas aus Frankreich, die Citi-Group aus den USA und Barclays aus Großbritannien die Liste anführen, liegt die Deutsche Bank auf Platz 7. Die Untersuchung mit dem Titel „Nuclear Banks, no thanks“ überprüfte, welche Banken die Atomindustrie zwischen 2000 und 2009 am stärksten unterstützt haben. Die Banken in den Top Ten haben demnach der Atomindustrie in diesen Jahren insgesamt 92 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Die Deutsche Bank hat laut Bericht 7,8 Milliarden Euro in Atomprojekte investiert. Große Kreditsummen wurden Uranminen, besonders in Afrika, zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus wurden weltweit Atomkraftwerke mitfinanziert. Der Deutschen Bank wird ferner vorgeworfen, politische Lobbyarbeit für die Industrie zu betreiben und Nuklearinvestitionen als Lösung für die Energiekrise anzupreisen. www.nuclearbanks.org

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ie Regierung hat im Rahmen der Gesundheitsreform Zwangsmaßnahmen zur Einführung der Gesundheitskarte beschlossen. Praxisärzte sollen zukünftig bei Androhung eines kompletten Honorarverlusts gezwungen werden, ihre Praxen an zentrale Computerstrukturen anzuschließen. Das schließt sensible Patientendaten mit ein. Der Bundestagsbeschluss sieht zudem vor, Krankenkassen, die bis Ende 2011 10 % ihrer Versicherten noch nicht mit der neuen elektronischen „Gesundheitskarte“ ausgestattet haben, mit Entzug von 2 % ihrer Verwaltungskosten finanziell abzustrafen. „Vor der Bundestagswahl hatte die FDP sich gegen die Elektronische Gesundheitskarte ausgesprochen. Nun verraten die Liberalen zugunsten der IT-Industrie das Interesse von Patienten und Ärzten und geben die ärztliche Schweigepflicht preis“, kritisierte Matthias Jochheim, stellvertretender Vorsitzender der IPPNW. „Wir Ärzte lehnen die Elektronische Gesundheitskarte ab, weil sie das Arzt-Patienten-Verhältnis durch Preisgabe der Vertraulichkeit gefährdet. Drei Ärztetage haben die Einführung der E-Card in den letzten Jahren abgelehnt. Zudem stößt die neue Gesundheitskarte auch in der Bevölkerung auf breiten Widerstand“, so Jochheim weiter. Die IPPNW fordere eine Modernisierung der medizinischen Kommunikation ohne zentrale Datenspeicherung, die wissenschaftlichen und ethischen Normen entspreche.


frieden

Besatzung macht krank Persönliche Eindrücke aus der Westbank

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nsere Nächte in Bethlehem in unmittelbarer Nähe der Mauer enden regelmäßig um 3 Uhr morgens, denn da beginnt die Rush-Hour. Palästinenser, die eine Genehmigung haben und in Jerusalem arbeiten, fahren zum Checkpoint, wo sie stundenlange Kontrollen über sich ergehen lassen müssen, um rechtzeitig bei der Arbeit sein zu können. Ein Weg, den Touristen mit einem israelischen Bus in maximal einer halben Stunde zurücklegen. Abends spielt sich das gleiche Szenario in umgekehrter Richtung ab. Und manchmal werden die Checkpoints einfach geschlossen - ohne Ankündigung, ohne Begründung. Mit einer Delegation von IPPNW-Ärzten und Ärztinnen und Mitgliedern der katholischen Friedensorganisation pax christi reisten wir 12 Tage lang durch Palästina und Israel. Wir besuchten vor allem Initiativen und Organisationen, die sich um Frieden, Gerechtigkeit und Aussöhnung bemühen. Oft brauchen wir Ermutigung, denn die Lebensbedingungen unter 43jähriger Besatzung zu sehen und Wut und Angst zu verarbeiten, war nicht immer einfach.

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eil wir bei palästinensischen Familien in Bethlehem wohnten und mit palästinensischen Bussen fuhren, bekamen wir einen Einblick, unter welchen Einschränkungen, Kontrollen und Schikanen die Palästinenser ständig leben, auch in den sogenannten „A-Gebieten“, die eigentlich unter vollständiger Kontrolle der palästinensischen Autonomiebehörde stehen. So durfte unser Bus z.B. auf

dem Weg in den Norden nicht wie andere Touristen durch Jerusalem fahren, sondern musste einen großen Umweg auf einer abenteuerlichen Straße mit steilen Serpentinen in gebirgigem Gelände in Kauf nehmen. Einmal wurden wir von Sicherheitskräften einer Siedlung gestoppt, dann von schwerst bewaffneten Soldaten kontrolliert, weil wir in der Nähe von Nablus, mitten in palästinensischem Gebiet die falsche Toilette angesteuert hatten. Sie war nur für Siedler oder Ausländer bestimmt. Ein palästinensischer Bus darf davor nicht halten.

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ie Siedlungen sind eher wehrhafte kleine Städte mit bis zu über 40 000 (jeweils 30 -  40 000) Einwohnern, inzwischen leben etwa 600 000 Israelis in ihnen. Siedlungen und Mauer zerteilen die Westbank, die laut Friedensplan einmal palästinensisches Staatsgebiet werden soll, in einen Flickenteppich. Reuven Moskovitz verglich es mit einem Schweizer Käse: der Käse für die Israelis, die Löcher für die Palästinenser. Sie trennen Menschen von ihren Arbeitsplätzen, Bauern von ihren Feldern, Patienten vom Zugang zu Krankenhäusern. Das UN-Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten dokumentiert u.a. wie viele Patienten allein jährlich an den Checkpoints sterben, weil das Prozedere der stundenlangen Kontrollen auch in Notfällen nicht geändert wird. Ein Kollege erzählte uns, dass sein Sohn, der an Glucose-6-phosphat-Dehydrogenasemangel leidet, ihm beinahe unter den Händen gestorben sei, weil er erst das Blut nicht in ein entsprechendes La8

bor und dann das Kind nicht ins Krankenhaus bringen konnte. Der Checkpoint war schon geschlossen. Am nächsten Tag konnte sein Sohn – inzwischen mit einem lebensbedrohlichen Hämoglobinwert von 2,8 g/dl – gerade noch gerettet werden. Ein anderes Kind mit einer schweren bakteriellen Infektion wurde schließlich von der Mutter an den Absperrungszaun (die Absperrungsanlagen bestehen zum Teil aus Zaun) gebracht, und der Arzt verabreichte Antibiotika-Spritzen durch den Zaun, weil Mutter und Kind nicht hinaus und er nicht hinein durfte. Auf einer Hühnerfarm verendeten 50 000 Hühner, weil der Besitzer drei Tage den Checkpoint zu seinem Land nicht passieren konnte, und die Tiere daher bei glühender Hitze ohne Wasser und Nahrung blieben. Bedrückend waren auch die Bilder von abgesägten oder abgebrannten Olivenhainen, von militanten Siedlern verwüstet. Oder der Anblick einer staatlichen Mädchenschule, zu der wir eines Morgens von den Rabbinern für Menschenrechte geführt wurden und auf die Siedler aus dem Nachbardorf in der Nacht einen Brandanschlag verübt hatten. Eigentlich waren wir auf dem Weg zur Olivenernte in abgetrennten Hainen, zu der uns die Rabbiner bringen wollten. Die Armee hatte aber kurzerhand dieses Areal zum militärischen Sperrgebiet erklärt. In derselben Nacht war der Olivenhain eines weiteren Bauern abgebrannt worden. Das alles geschieht unter Beobachtung der Armee. Das Land ist in der Nähe der Siedlungen flächendeckend mit Wachtürmen, Armeeposten, Videokameras ausge-


© Clemens Ronnefeldt

stattet. Um so bewundernswerter, mit welcher Geduld sich alle, die wir besuchten, der Gewaltfreiheit verschrieben haben. „Wir weigern uns, Feinde zu sein“ steht am Eingang von Dahers Weinberg, einem Areal, das Israel seit 1991 annektieren will. Da die Familie aber Besitzurkunden schon aus der Zeit des osmanischen Reichs besitzt, konnte sie sich bisher erfolgreich dagegen wehren und hat das Gelände u.a. zu einem internationalen Jugendtreffpunkt gemacht.

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ie ständig präsente Gewalt hinterlässt ihre Spuren. Wir besuchten ein Projekt der Young Men‘s Christian Associations (YMCA) in Beit Sahour, die sich seit 1987 um traumatisierte junge Menschen kümmern. Viele Kinder machen immer wieder traumatische Erfahrungen. Ihre Väter, Brüder werden verhaftet, sie werden Zeuge von Gewalt bei nächtlichen Razzien in ihren Häusern, erleben immer wieder Demütigungen an den Checkpoints, werden selbst wiederholt festgenommen. Ein 9-jähriger Junge wurde z.B. in Hebron verhaftet, weil er ein Armeefahrzeug mit einem Stein beworfen hatte. Da seine Eltern in der Nähe von Siedlern wohnen, wurde dem Jungen per Gerichtsbeschluss verboten, in sein Elternhaus zurückzukehren. Er wurde beim entfernt lebenden Onkel untergebracht. Die YMCA bietet Therapien an und versucht Jugendlichen durch Freizeitaktivitäten Zugang zu Therapeuten überhaupt erst zu ermöglichen. Sie leistet Wiedereingliederungshilfe und hilft auch Müttern von Familien, deren Haus zerstört worden ist, trotz ihrer Verzweiflung den Kindern in

guter und liebevoller Weise beizustehen. YMCA arbeitet eng mit dem israelischen Komitee gegen die Hauszerstörungen (ICAHD) zusammen, das u.a. alternative Touren durch Ostjerusalem anbietet. Sie zeigen die Mauer, Straßen und Tunnel zu den jüdischen Siedlungen sowie Plätze, an denen palästinensische Häuser zerstört wurden. Die Infrastruktur Ostjerusalems verfällt, 1 800 Schulräume fehlen, nur 50 % der palästinensischen Kinder können zur Schule gehen, Trinkwasser wird von israelischen Behörden nur für 70  000 der über 250 000 Menschen bereit gestellt. Micha Kurz, ehemaliger Soldat und Mitbegründer von „Breaking the Silence“, unser Führer einer solchen Tour, antwortete auf die Frage, warum er sich in dieser Form engagiere: „Sie können in Israel leben und von all dem, was hier passiert nichts mitbekommen. Ich habe den ersten Palästinenser während meines Militärdienstes gesehen. Und – ob sie es wollen oder nicht - Sie verwandeln sich im Laufe der Zeit Ihres Armeedienstes in den besetzten Gebieten in ein Monster.“

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ei allen unseren Gesprächen erhielten wir immer die gleiche Antwort auf die Frage, was Palästina braucht, um die Gesundheitsversorgung zu verbessern: Setzt Euch dafür ein, dass die Besatzung beendet wird. Das wäre die einzige wirkliche Hilfe. Europa tue zwar eine Menge. Sämtliche Hilfsgelder betrügen aber nur einen Bruchteil dessen, was die Besatzung an Schäden der Infrastruktur und Ökonomie verursache. Bethlehem hat zwar eine Universität mit einer medizinischen Fakultät, aber keine Universitätsklinik. „Wie sollen wir junge Ärzte ohne Klinik ausbilden?“, 9

fragt uns ein Kollege. Die Fort- und Weiterbildung palästinensischer Ärzte ist schwierig, da z.B. Auslandsaufenthalte nur mit langwierigen Ausreisegenehmigungsprozeduren möglich sind. Ein anderer sagt: „Wir brauchen keine Almosen. Wir sind sehr wohl in der Lage, unser Land und ein gutes Gesundheitssystem selber aufzubauen. Man muss uns nur lassen. Unter der Besatzung ist das unmöglich.“ Abschließend besucht unsere Delegation Neve Shalom/Wahat al-Salam, eine Oase ca. 10 Kilometer vor Tel Aviv. Dieser Kibbuz wurde Anfang der 70er Jahre gegründet mit der Aufgabe zu zeigen, dass Israelis und Palästinenser, Juden und Muslime friedlich zusammen leben können. Heute leben hier 54 Familien, über 100 stehen auf der Warteliste. 200 Schülerinnen und Schüler besuchen die Friedensschule des Dorfes jährlich, davon viele von außerhalb. Die Lehrer haben weltweite Kontakte, halten Seminare ab und werden von Freundeskreisen auch aus Deutschland unterstützt. Im zweisprachigen Kibbuz überwiegt allerdings das moderne Hebräisch (Ivrit) die arabische Sprache. Die Dorfbewohner sehen sich als Modell für eine Ein-Staaten-Lösung. Auch wir erahnen hier eine gelebte Vision von Frieden.

Dr. Sabine Farrouh und Manfred Lotze waren Teil der Delegation in die Westbank.


frieden

Für einen Arzt aus Deutschland unvorstellbar Ein Erfahrungsbericht über die Lage im Gazastreifen

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Kriegshandlungen ist die gewaltige Zerstörung immer noch überall sichtbar, denn Räum- und Bauarbeiten fanden aufgrund der Blockade nur in einem sehr begrenzten Umfang statt. Dadurch ist Gaza in ein Chaosland mit massiver Umweltverschmutzung verwandelt worden. Die Menschen kaufen billiges, gefährliches Öl und nutzen es zur Inbetriebnahme von Stromgeneratoren, um den von Israel bewirkten Stromausfall zu kompensieren. Überall herrscht ein übler Ölgeruch, der sich mit dem Geruch des nicht entsorgten Mülls zu einer unerträglichen Mischung vermengt. Auch die Wasserqualität entspricht bei weitem nicht den WHOStandards, da Kläranlagen nicht modernisiert werden können. Zudem steht den Menschen das Wasser nur eine halbe bis maximal zwei Stunden täglich zur Verfügung. Verkehrsmittel sind in Gaza überaltet und oftmals verkehrsuntauglich, der Import neuer Verkehrsmittel ist jedoch verboten. Die vielen Eselskarren auf den Straßen, oftmals von Kindern gefahren, lassen erkennen, wie weit die Menschen in ihrem Lebensstandard durch die inhumane Belagerung, die jahrelange Besatzung und Bombardierung durch die Israelis zurückgeworfen sind.

rstmals nach 11 Jahren reiste ich in den Gazastreifen. Ich war neugierig – während dieser Zeit ist so viel geschehen: die Räumung im Jahr 2005, die Machtübernahme der Hamas im Jahr 2007, die strenge Blockade des Gazastreifens seit 2006 und schließlich die massive Bombardierung und Zerstörung des Gazastreifens durch die israelischen Streitkräfte Ende 2008/Anfang 2009. Nach der von der internationalen Gemeinschaft geächteten brutalen Stürmung der Hilfsflotte „Mavi Marmara“ und der Ermordung von neun ausländischen Friedensaktivisten durch israelische Soldaten haben Israel und Ägypten die Grenze nach massiven internationalen Protesten für humanitäre Zwecke und für durchreisende Palästinenser mit palästinensischem Personalausweis geöffnet. Das heißt jedoch immer noch, dass Palästinenser mit einem ausländischem Pass genauso wie Ausländer kaum eine Möglichkeit haben einzureisen.

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ach meiner Ankunft in Gaza fiel mir als erstes der Rückzug der israelischen Streitkräfte auf. Erstmals konnte ich die Grenze in Rafah ohne physische Beteiligung der Israelis passieren. Auch auf den Straßen von Gaza konnte ich weder hochbewaffnete israelische Soldaten noch Panzer oder sonstige Militärfahrzeuge sehen, die in der Regel permanent auf den Straßen patroullierten und das Bild des Gazastreifens prägten. Im Angesicht der dauernden Intifada der palästinensischen Bevölkerung im Gaza hatte das israelische Militär im Jahr 2005 beschlossen, den Gazastreifen zu verlassen. Durch den Einsatz moderner Technologie, verschärften Sicherheitsmaßnahmen sowie durch die Überwachung aus Luft und See wird jedoch quasi jede Bewegung der Menschen in dem dicht bevölkerten Gebiet aufgezeichnet. Das Gefühl täuscht also – es sind zwar keine Panzer oder militärisches Gerät mehr auf den Straßen zu sehen, aber das Gebiet steht weiterhin unter vollständiger Kontrolle der Besatzungsmacht.

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ber die medizinische Versorgung war ich schockiert. In fast allen besichtigten Krankenhäusern mangelte es an einfacher Basismedizin. Ein palästinensischer Chefarzt berichtete mir, dass es an allen Ecken und Enden an Medikamenten fehle. So gibt es in Gaza keine Chemotherapie zur Behandlung von Tumorpatienten. Röntgengeräte, MRT und CT sind entweder nicht vorhanden oder außer Funktion. Die medizinische Ausstattung der Krankenhäuser ist mehr als katastrophal und für einen Arzt aus Deutschland unvorstellbar. Eine Behandlung von Bluterkrankungen und Vergiftungen mit Hilfe der einfachen Plasmaaustauschbehandlung, selbst die banale Bestrahlung einer Blutkonserve ist aufgrund der Blockade nicht möglich. Es bleibt nur eins zu sagen: Die Menschen in Gaza sind auf Hilfe vom Ausland dringend angewiesen.

Die Bevölkerung hat durch die seit Juni 2007 verhängte Blockade einen massiven Verfall ihrer Existenzgrundlagen sowie eine Zerstörung der Infrastruktur und des öffentlichen Lebens erfahren. Eine humanitäre Katastrophe großen Ausmaßes wird praktisch nur durch Aktivitäten internationaler humanitärer Organisationen vermieden. Knapp zwei Jahre nach den letzten massiven

Dr. med. Ashraf Dada is Facharzt für Transfusionsmedizin und stammt aus dem Gaza-Streifen. 10


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Dem kann ich nicht zustimmen Die Bedrohungslage zwischen Israel und Iran – eine Erwiderung auf Harald Müller

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tional und unberechenbar? Der iranische Präsident befindet sich offensichtlich in einem innenpolitischen Machtkampf, indem er mehr oder weniger geschickt alle seine politischen, polizeilichen, militärischen und ideologischen Optionen nutzt. Dies ist verwerflich, aber im immanenten Sinne eines Machtkampfes nicht irrational. Die gleiche Frage nach der Rationalität kann man natürlich auch an die israelische Politik richten: Israel fordert ständig Sicherheit und Frieden für sich – strebt aber nach weiterer Landnahme und schlägt Friedensangebote aus, wenn sie dem zuwiderlaufen. Ist das irrational?

n der Regel wird die Bedrohung Israels durch iranische Atomwaffen, falls Teheran solche zur Verfügung haben sollte, als sehr groß dargestellt. Ist das realistisch? Der Iran ist von US-amerikanischen Stützpunkten und Marineeinheiten umstellt und darüber hinaus ständig bedroht von israelischen konventionellen und nuklearen Waffen. Beide Staaten haben sich bislang geweigert, dem Iran gegenüber ein NichtAngriffs-Versprechen abzugeben. Vielmehr haben sie sich öffentlich immer wieder zu der Option eines militärischen Angriffs auf den Iran geäußert. Außerdem: Sollte der Iran in den Besitz von Atomwaffen gelangen und die entsprechenden Trägersysteme dazu herstellen können, könnte er sie gegen Israel nicht einsetzen, ohne eine vollständige Zerstörung Irans in Kauf zu nehmen. Der Fachausdruck hierfür lautete: „Mutual assured destruction“ abgekürzt „Mad“. Das heißt: Der Iran könnte Atomwaffen nur um den Preis der Selbstvernichtung einsetzen. Warum sollte er das tun?

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n die These der besonderen Verschärfung der Bedrohung durch die angebliche Irrationalität Ahmadinejads schließt sich die Frage an: Warum hat die USA gegenüber den vorherigen Präsidenten des Irans, die zum Teil sogar als Reformpräsidenten bezeichnet wurden, keine friedenspolitischen Angebote unterbreitet? Auch zu jenen Zeiten blieb die Angriffsdrohung der USA auf dem Tisch, blockierte eine Verständigung und förderte die Kräfte, die auf eine nukleare Bewaffnung des Irans drängten. Geht es wirklich um die mögliche nukleare Bewaffnung des Irans? Die USA und die UN haben die atomare Bewaffnung Indiens und des höchst instabilen Pakistans ohne erheblichen Widerstand zugelassen; Israels Atomwaffen sind anscheinend ebenso wenig ein Problem, wie dessen Nicht-Befolgung von UN-Beschlüssen. Ein Blick in die Geschichte legt nahe, es geht der US-Politik vornehmlich um den Regimewechsel in Teheran. Die mögliche und durch Bedrohung beförderte Atombewaffnung des Irans ist dabei nur das Vehikel, über das dieser Wechsel erreicht werden soll.

Der Iran kann Israel mit seinen Waffensystemen nicht direkt abschrecken – der militärischen Bedrohung durch Israel setzt er daher seine militärisch-politische Zusammenarbeit mit der Hisbollah im Libanon, der Hamas im Gaza-Streifen und mit Syrien entgegen. Trotz aller Aufrüstungsschritte des Iran: Es ist vollkommen ausgeschlossen, dass er seiner Bedrohung von außen eine noch größere Bedrohung seiner Gegner entgegen setzen könnte. Israel dagegen betont ständig seine potentielle Bedrohung durch den Iran, um vorbeugend eine Legitimation für einen militärischen Angriff auf Iran aufzubauen. Gleichzeitig bemüht es sich um Rückendeckung durch die USA. Höchst aktuell scheint sich die Auseinandersetzung auf ein wichtiges neues Kampffeld, den Cyberwar, auszuweiten. Die Medien berichteten im Oktober 2010 über einen Virus namens Stutnex, der vermutlich ganz besonders die Steuerungssysteme der Nuklearanlagen im Iran befallen habe oder befallen könnte. Man darf annehmen, dass hier von den USA und Israel eine neue Front gegen den Iran eröffnet wird. Mit ihr wird ein Kampffeld installiert, dass von den UN kaum kontrolliert werden kann und das einen aggressiven Spielraum jenseits von im Sicherheitsrat der UN beschlossenen Sanktionen eröffnet.

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arald Müller schließt seine Betrachtungen mit den Worten: „Ein israelischer Angriff auf die Infrastruktur des iranischen Nuklearprogramms ist riskant und wird schwerwiegende negative Folgen haben. Die politischen Führer Israels können (...) zu dem Schluss kommen, dass er dennoch die einzige Option ist, die ihnen bleibt, um ihr Land und Volk vor einem nuklearen Holocaust zu schützen. (...) Ich hoffe, dass der Westen und mein eigenes Land dann nicht Israel die Schuld zuschieben. Ahmadinejad und die Extremisten, die ihn umgeben, fordern die Tragödie heraus.“ Nach dem, was ich oben dargelegt habe, kann ich dieser Legitimation eines zukünftigen Angriffskrieges Israels nicht zustimmen. Zu fordern ist eine Friedenspolitik, in der die Sicherheitsinteressen Israels und Irans in gleichem Maße berücksichtigt werden und nicht unter der Drohung eines militärischen Angriffs stehen.

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ie bisherigen Thesen gehen davon aus, den Machtkalkülen der Konfliktpartner lägen rationale machtpolitische Erwägungen zugrunde. Harald Müller, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, bezweifelt dies in seiner ausführlichen Darlegung zu dem Konflikt (HSFK Standpunkte 2/2010). Der jetzige iranische Präsident Ahmadinejad sei ein Anhänger des Mahdismus, einer fundamentalistischen Version des Schiismus. Der Präsident habe den radikalen Elementen der Islamischen Revolutionären Garde die Durchdringung von Geheimdienst, Militär und politischen Institutionen ermöglicht und bediene anti-semitische Klischees. So berechtigt diese Feststellungen auch sein mögen, kann man daraus die Schlussfolgerung ziehen, Ahmadinejad handele irra-

Gekürzt. Den vollständigen Artikel finden Sie auf: www.ippnw.de/frieden/konfliktregionen/iran Andreas Buro ist Politikwissenschaftler und Mitglied im Beirat der IPPNW. 11


medizin und gewissen

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nsere Kenntnisse über den Horror der Nazi-Medizin verdanken wir zu einem erheblichen Teil ihrem mutigen Wirken: Dr. med. Alice Ricciardi-von Platen, Psychiaterin und Psychoanalytikerin. Alice Platen machte ihre eigenen leidvollen Erfahrungen mit der NS-Medizin in ihrer Assistenzzeit, als Sterilisationen aus „eugenischen Gründen“ den Klinikalltag bestimmten. Als Landärztin musste sie miterleben, dass behinderte Angehörige ihrer Patienten in Tötungsanstalten gebracht und vergast wurden. In der Nachkriegszeit bei dem Psychosomatiker Viktor von Weizsäcker ausgebildet, beobachtete sie 1946/47 in der Gruppe von Alexander Mitscherlich den Ärzteprozess in Nürnberg, wobei ihr Hauptaugenmerk auf den Euthanasieverbrechen lag.

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Ärzte brauchen Grenzen Memoriam Alice Platen

m Juli 1948 konnte Alice Platen mit Unterstützung von Eugen Kogon unter dem Titel „Die Tötung Geisteskranker in Deutschland“ die erste geschlossene Darstellung der Euthanasie-Verbrechen vorlegen, ein epochemachendes Werk einer mutigen Aufklärerin. In bewegenden Passagen versuchte sie, den Ermordeten ihre Würde wieder zurück zu geben. Beim Lesen erschüttert immer wieder der Befund, dass die Hilflosesten und die Schwächsten der Gesellschaft in furchtbarer Weise von denen verraten wurden, die sich speziell zu ihrer Hilfe ausgebildet und verpflichtet hatten. Eine zentrale Aussage ihres Buches ist, dass die „Freigabe“ auch nur eines Menschen an den „Gnadentod“ alle Grenzen sprengt und „das Verhältnis zwischen Arzt und Kranken auf der ganzen Welt in Frage stellt“. Die heutige Lektüre des Buches zeigt, dass fast alle grundlegenden Gedanken zur Erklärung der psychiatrischen NS-Verbrechen – so weit das überhaupt möglich ist – schon 1948 gedacht und ausgesprochen waren. So beschreibt die Autorin mit einer unglaublichen Sensibilität und Disziplin des Denkens die wichtige TäterFraktion der „Idealisten“, die aus einem Gemisch aus revolutionärer Begeisterung, die Gesellschaft heilen zu können, und „tödlichem Mitleid“ gehandelt und gemordet haben. Sie beschreibt den „biologischen Utilitarismus“, als ob ihr die heutige bioethische Debatte schon geläufig wäre. Indem sie die psychiatrischen Morde der Nazis als Versuch der Lösung

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eines „sozialen Problems“ erkennt, stellt sie schon damals die heute diskutierte Hypothese auf, ob nicht eine der Hauptabsichten der Nazis die „Endlösung der sozialen Frage“ gewesen sein könnte.

Rom nieder, wo sie das menschlich und politisch tolerante Klima schätzte: „Eine Euthanasie hätte es in Italien nie gegeben“. Sie wurde eine berühmte Gruppenanalytikerin.

Sie beginnt die schwierige Mitleids-Diskussion, die erst heute breiter entfaltet wird und weist darauf hin, dass in Deutschland auf Grund der Bismarckschen Sozialgesetzgebung der Staat eine viel autoritärere Verfügungsgewalt gegenüber kranken Menschen als in anderen Ländern hat – ihnen Schutz gewähren, aber eben auch versagen kann. Auch fällt ihr schon damals der uns manchmal zur Verzweiflung treibende Zusammenhang auf, dass gerade an der Therapie besonders interessierte Psychiater wie Carl Schneider, Werner Heyde und Paul Nitsche die Chef-Organisatoren der Ermordung ihrer Patienten waren.

1990 spürte der für die Aufarbeitung der NS-Psychiatrie berühmte Sozialpsychiater Klaus Dörner die längst tot geglaubte Alice von Platen wieder auf. Zwei Jahre später brachte er ihr legendäres Buch, das nur wenigen Eingeweihten bekannt war, in einem Reprint im Psychiatrieverlag neu heraus. Klaus Dörner hat es die Nürnberger IPPNW zu verdanken, dass wir sie 1996 zur Präsidentin unseres IPPNWKongresses „Medizin und Gewissen. 50 Jahre nach dem Nürnberger Ärzteprozess“ machen konnten. Wir waren von der damals 86-jährigen tief beeindruckt: von ihrem wachen, charmanten Geist, von ihrer Vitalität, von ihrem minutiösen Gedächtnis und ihrem politischen Genius. Sie berichtete uns präzise und höchst detailliert vom Ärzteprozess, von der Entstehung ihres Buches und von ihren Gedanken um den Euthanasiekomplex. Seit diesem Nürnberger Kongress erlebte Alice Ricciardi-von Platen mit ihrer Lebens- und Wirkungsgeschichte in ganz Europa eine Renaissance. Ihr Buch erscheint bereits in der 7. Auflage, jetzt im Mabuse-Verlag. Eine italienische und eine spanische Ausgabe liegen vor. Zwischen ihr und unserer Gruppe hatte sich in den letzten zwölf Jahren ihres Lebens eine wunderbare Freundschaft entwickelt.

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ie die neuere Forschung belegt, ist es das bleibende Verdienst von Alice Platen, dass sie die Patientenmorde im Rahmen der Euthanasie als das zentrale Verbrechen der deutschen Medizin ans Tageslicht gebracht hat. Inzwischen hat man erkannt, dass das Euthanasieprogramm weniger ein Naziprogramm und wesentlich mehr ein Programm der Mediziner, der Psychiater und insbesondere der psychiatrischen Ordinarien-Elite war. Die Gesamtzahl der Opfer der verschiedenen Euthanasieaktionen, einschließlich der Opfer in polnischen, sowjetischen und französischen Anstalten, musste in den letzten Jahren stetig nach oben korrigiert werden. Heute geht man davon aus, dass 300 000 Patienten ermordet wurden – eine schier unfassbare Zahl. Überdies weiß man heute, dass mit der NS-Euthanasie eine perfekte Liquidierungsmaschinerie zur Verfügung stand, die ein Katalysator war für den Holocaust in den Vernichtungslagern. Das Schicksal des Buches von Alice Platen war rasch besiegelt. Die 3 000 Exemplare wurden ignoriert, sabotiert und eingestampft. Dennoch blieb dieses Buch über zwei Jahrzehnte hinweg die einzige und unübertroffene Gesamtdarstellung im deutschen Sprachraum. Die Autorin selbst geriet sofort in Vergessenheit. Sie machte in London eine psychoanalytische und gruppenpsychotherapeutische Ausbildung, heiratete den Neapolitaner Augusto Ricciardi und ließ sich 1967 endgültig in

Literatur Alice Platen-Hallermund: Die Tötung Geisteskranker in Deutschland. Reprint der Erstausgabe von 1948. Mabuse Verlag 7.  Auflage 2008

Zum 100. Geburtstag der 2008 im Alter von 97 Jahren verstorbenen Alice Ricciardi-von Platen gedachte die Nürnberger IPPNW-Regionalgruppe am 28. April 2010 in einer feierlichen Soirée ihres verstorbenen Ehrenmitglieds. Im Nürnberger Grand Hotel, Gründungsort der internationalen psychoanalytischen Vereinigung aber auch Unterkunft der Richter und Ankläger der Nürnberger Prozesse, führte Horst Seithe durch das Programm, Helmut Sörgel skizzierte das Leben von Alice Platen und Klaus Dörner berichtete über seine Zusammenarbeit mit ihr, über ihr Buch und über die epochale Bedeutung des Nürnberger Ärzteprozesses. 13

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ine äußerst bedeutsame Besonderheit des Nürnberger Ärzteprozesses betonte Dörner dabei: Die amerikanischen Richter und Ankläger stellten damals entsetzt fest, dass es auf der ganzen Welt kein einziges ärztliches Dokument gibt, das den Ärzten Grenzen aufzeigt. Die Richter erkannten, dass es die Schuld der weltweiten Ärztegemeinschaft war, dass den Allmachtsphantasien der modernen Medizin keine Grenzen gesetzt worden waren. Im Nachhinein formulierten sie stellvertretend Normen, auf deren Basis sie Ärzte anklagten und verurteilten – wohlwissend, dass sie juristisch etwas Verbotenes taten. An der Spitze dieser Normen, dieses „Nürnberger Kodex“, steht die berühmte Formel des „Informed Consent“, der informierten Einwilligung, die frei übersetzt heißt: „Niemand darf medizinisch behandelt werden, sei es diagnostisch, therapeutisch oder in der Forschung, wenn nicht nachgewiesen und schriftlich dokumentiert ist, dass der Betreffende vollständig aufgeklärt worden ist, diese Aufklärung verstanden hat, und dem wissentlich zustimmt“. Damit wurde ein fundamentales, universal geltendes Menschenrecht in der Medizin in alttestamentarischer Radikalität formuliert. An dieser Norm haben sich in der Zwischenzeit viele gerieben. Aber alle müssen sich an dieser von den Richtern vorgegebenen Messlatte messen lassen. Am 21. November 2010 wurde das Museum „Memorium Nürnberger Prozesse“ im Saal 600 des Nürnberger Justizgebäudes eröffnet. Wir sind froh, dass dort der Nürnberger Kodex und die Wirkungsgeschichte von Alice Ricciardi-von Platen einen Platz bekommen und somit einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Dr. Helmut Sörgel ist Nervenarzt und Psychotherapeut und in der Regio Nürnberg aktiv.


UrANABBAU

Am Pult von Abraham Lincoln Die Verleihung der 2010 Nuclear-Free Future Awards in New York

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nente Stimmen zu hören: Patti Smith, Joanne Shenandoah, Liam O’Maonlai und Peter L. Gordon.

ndianer denken in Kreisen. 1870 stand in der Great Hall, dem Auditorium der neu erbauten New Yorker Hochschule Cooper Union, am Rednerpult ein Häuptling der OglalaLakota. Es war Chief Red Cloud, der an der Ostküste für die Zukunft seines Volkes um Verständnis nachsuchte. Die Dezimierung der Bisonherden und die Vernichtungsangriffe der USKavallerie ließen die Zukunft für die Prärievölker düster erscheinen. Chief Red Cloud hatte den Ort mit Bedacht gewählt: Hier hatte Abraham Lincoln 1860 seine berühmte Rede gehalten, die ihm zur Präsidentschaftskandidatur verhalf. Das von rotem Samt und Goldkordeln gesäumte Pult aus Eisenguss steht noch immer auf der Bühne der Great Hall. Am 30. September trat Henry Red Cloud an dieses Pult, um über seine Arbeit auf dem Reservat Pine Ridge zu sprechen. Seit 2008 steht dort das „Red Cloud Renewable Energy Center“, in dem er junge Menschen als Solartechniker ausbildet und so der Atomstromlobby die Stirn bietet; nicht ohne den Uranabbau in dem heiligen Bergmassiv He Sapa (Black Hills) im Blick zu haben. Henry ist ein Red Cloud-Enkel in fünfter Generation. Er erhielt den Nuclear-Free Future Ehrenpreis für besondere Verdienste. In seinen Haaren steckte eine schmale Adlerfeder, der man ansah, dass sie alt war: „Sie gehörte ihm“, sagte Henry, der am Morgen bereits in die leere Halle gekommen war, um mit seinem Vorfahren in Kontakt zu treten. „Ich hatte plötzlich in der Nase den Geruch der geräucherten Bisonrobe, die Chief Red Cloud damals getragen hat“, sagte er und verbarg nicht, wie sehr ihn dieser Moment aufwühlte.

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n der Kategorie Widerstand nahm Hilma Shindondola-Mote aus Namibia für die African Uranium Alliance den Preis entgegen. Während Europa Nordafrikas Wüsten als SonnenenergieSpender entdeckt und von DeserTec träumt, vergisst man leicht, dass die zwei großen Wüsten Afrikas – Sahara und Namib – schon lange Energie spenden, wenngleich mit fatalen Folgen: Beide Regionen gehören zu den trockensten der Erde, trotzdem wird dort wasserintensiver Bergbau betrieben. In Niger baut der französische Atom-Konzern Areva Uran ab, in Namibia der Multi Rio Tinto. Beide Sandlandschaften sind die Heimat indigener Völker, im Norden der Tuareg, im Süden der Buschleute. Der Widerstand in Niger, in Tansania, in Malawi, in Namibia und in Südafrika wurde früher kaum wahrgenommen, doch im November 2009 bündelten die Umwelt- und Anti-Atom-Aktivisten aus den fünf Staaten ihre Kräfte und schlossen sich zur African Uranium Alliance zusammen. Neben dem Widerstand gegen neue Minen sieht die Allianz als ihre Hauptaufgabe die Aufklärung der Arbeiter.

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er Physiker und Ingenieur Oleg Bodrov, 1951 in Usbekistan geboren, forschte an Reaktoren für Atom-U-Boote, bis sich 1979 durch die Untersuchung eines Störfalls seine politische Einstellung wandelte. Von 1980 an engagierte er sich für die Wiederherstellung der nuklear verseuchten Ostsee und wurde dafür im Jahr 2000 mit dem Aland Islands Baltic Fund International Award ausgezeichnet. Seit 2003 setzt sich Oleg Bodrov für die Stilllegung alter Atomkraftwerke und das Ersetzen der Meiler durch erneuerbare Energien ein. Im Mai 2007 organisierte er eine Studienreise zu einer AKW-Stilllegung in Greifswald - mit russischen Lokalpolitikern, die in ihrem Wirkungskreis mit einem baugleichen Modell zu tun hatten. Das ist sein Stil: die Leute mit Situationen konfrontieren, um ihr Gehirn in Gang zu setzen. Er nennt sich einen „Philosophie-in-Bewegung-Setzer“. Dafür

Die Preisverleihung, moderiert von Claus Biegert und der Journalistin und Trägerin des Alternativen Nobelpreises Amy Goodman von DemocracyNow !, wurde von Musik getragen: Pete Seeger, 91 Jahre alt, kam aus Beacon angereist, links das Banjo, rechts die Gitarre. Oren Lyons, Häuptling der Onondaga, stellte den legendären Folksänger in seiner Eröffnungsrede als zuverlässigen Kämpfer für den Frieden vor. Pete Seeger erhob denn auch die Stimme zu „Turn,Turn,Turn“ und zauberte aus den rund 270 Besuchern einen Chor. Neben Pete waren auch andere promi14


© Dick Bancroft

HENrY rEd clOUd

2005 in Polynesien das „Erbe“ der französischen Atomtests auf und kümmert sich um die Schaffung internationaler Standards für den Umgang mit den Folgen der Nuklearwaffenversuche.

erhielt er den NFFA 2010 in der Kategorie Aufklärung. Ein erheblicher Teil seines Engagements gilt dem Einsatz für nachhaltige Energiegewinnung. Dabei kommt ihm seine Fähigkeit zugute, Kompliziertes und Komplexes klar und plastisch vermitteln zu können. Video-Aufklärung wurde sein Medium, auf kritische Missionen reist er immer mit Kameramann. „Ich sammle Stimmen und sorge dort für einen Dialog, wo von oben Schweigen verordnet wird.“ Seit dem plötzlichen Tod von Lydia Popova (NFFAPreisträgerin 1999) leitet er die Umweltinitiative „Green World“.

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ür sein Lebenswerk geehrt wurde Martin Sheen, den viele wohl „nur“ als Schauspieler kennen. Als er bei einem Protest gegen das Atomlabor Los Alamos mit anderen Demonstranten in Plastikhandschellen abtransportiert wurde, war sein Kommentar gegenüber der Reporterin Amy Goodman: „Ich arbeite für den Sender NBC, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen, aber ich tue dies hier, um am Leben zu bleiben.“ Mit bürgerlichem Namen heißt der vierfache Familienvater Ramón Antonio Gerard Estévez. Wenn man ihn für sein Engagement lobt, dann pflegt er abzuwinken: Nein, nein, Helden des Widerstandes sind andere. Es sind diejenigen, die alles, sogar das eigene Leben riskieren. Und er nennt dann Menschen wie Frida Berrigan, die an seiner Stelle den Preis entgegen nahm, da seine Arbeit es ihm nicht ermöglichte, nach New York zu kommen. Für den Träger der Laetare-Medaille von 2008 (die Universität von Notre Dame ehrt Katholiken, „die das Welterbe der Humanität bereichern“) bedeutet Christ sein, sich einzumischen. „Wir sind aufgerufen, als Friedensstifter zu wirken, ob wir wollen oder nicht.“ Gut 60 mal wurde der Friedensstifter schon verhaftet. Bei seinem Grundsatz wird er sich immer wieder den Handschellen aussetzen: „Wir sind die Generation, die die Bombe brachte, und wir sind aufgerufen, sie wieder fortzubringen“.

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hne seine beharrliche Aufklärungs- und Lobbyarbeit hätte die Regierung in Paris wohl kaum zu Jahresbeginn 2010 ein Gesetz zur Entschädigung der Atomtestopfer verabschiedet: Bruno Barrillot ist der diesjährige Preisträger in der Kategorie Lösungen. Siebzig Jahre ist der Franzose im Frühjahr geworden, ein kleiner schmaler Mann mit rebellischem Geist. Sein Leben änderte sich im Juli 1985, als das Greenpeace-Flaggschiff „Rainbow Warrior“ im neuseeländischen Hafen Auckland vom französischen Geheimdienst in die Luft gesprengt wurde, und dabei ein holländischer Fotograf an Bord ums Leben kam. 1989 gründet er in Lyon mit zwei Gleichgesinnten, Jean-Luc Thierry, Atomexperte bei Greenpeace Frankreich, sowie Patrice Bouveret, das „Dokumentations- und Forschungszentrum zu Frieden und Konflikten“, CDRPC, das er bis 2005 leitete. Im Visier hat die Institution die staatliche Geheimhaltungspolitik beim Thema Atom. Davor stand er als junger Geistlicher fünfzehn Jahre lang Kriegsdienstverweigerern zur Seite. Doch die Stellungnahme des französischen Episkopats 1985, die nukleare „Abschreckungspolitik“ sei „akzeptabel“, trieb Barrillot aus der Kirche. Er begann ein neues Leben als Journalist bei der linken Tageszeitung Libération. Die weltweiten Proteste gegen die Wiederaufnahme der französischen Atomtests in Polynesien, Mitte der 1990er Jahre, lenkten schließlich seine Aufmerksamkeit auf die Lage der dortigen Bevölkerung. Er steuerte das Südsee-Inselreich an und hob zwei Vereine von Atomtestopfern mit aus der Taufe. Im Auftrag der damaligen Regionalregierung arbeitet Bruno Barrillot seit

Henry Red Cloud sang zum Dank in seiner Sprache und füllte die Great Hall mit den Liedern, die man seinem Großvater damals nicht zugestanden hätte.

Claus Biegert ist Journalist und hat den Nuclear Free Future Award gegründet. 15


© DGHI

GLOBAL HEALTH

ST. MONICA GIRLS‘ TAILORING SCHOOL IN NORDUGANDA. VIELE MÄDCHEN WAREN LANGE IN GEFANGENSCHAFT DER LORD‘S RESISTANCE ARMY. HIER WERDEN SIE ZUR SCHNEIDERIN, SCHREIBKRAFT ODER GASTRONOMIN AUSGEBILDET UND GEWINNEN SO DIE MACHT ÜBER IHR LEBEN ZURÜCK. 16


Fieldwork Foto-Wettbewerb des Duke Global Health Institute

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© DGHI

as Titelfoto dieses Heftes ist eine Aufnahme von Nancy Yang. Es zeigt Schüler der Naama Millenium Schule in Uganda, die aufgeregt und eifrig Wasserflaschen in die Luft halten. Diese Flaschen sind Teil eines Projektes zur solaren Wasserdesinfektion. Die Freude der Kinder führt einem also letztlich auch die Wasserknappheit in der Region vor Augen. Mit diesem Foto gewann Yang den diesjährigen Foto-Wettbewerb des Duke Global Health Instituts. StudentInnen des Instituts konnten Bilder aus ihren Projekten in den Kategorien Partnerschaft, Erziehung und Wandel einreichen. Wir präsentieren hier und auf den kommenden Seiten einige Bilder.

GESUNDHEITS- UND VERHALTENSBEFRAGUNG IN TATUMBLA, HONDURAS.

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Mehr Informationen über das Duke Global Health Institute auf http://globalhealth.duke.edu

GADCHIROLI, INDIEN, VOR DER MOBILEN LANDKLINIK. DURCH EIN NEUES PROGRAMM KONNTE DIE KINDERSTERBLICHKEIT VON 132 AUF 32 PRO TAUSEND GESENKT WERDEN.

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SCHULKINDER IN MEKEL, ÄTHIOPIEN WERDEN ZU IHREM WISSEN ÜBER DARMPARASITEN BEFRAGT. 17


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ie ungleiche Verteilung von gesundheitsgefährdenden Einflüssen ist in keiner Weise ein „natürliches“ Phänomen, sondern das Ergebnis einer toxischen Kombination mangelhafter sozialer Maßnahmen und Programme, unfairer wirtschaftlicher Strukturen und schlechter Politik ...

Gesundheit global Ein Schlaglicht auf Herausforderungen, Akteure und Strategien von Global Health

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lobal health ist „en vogue“. Zunehmend taucht der Begriff in der Wissenschaft, der Entwicklungszusammenarbeit, der Tropenmedizin, der Hilfsindustrie, den Medien und der Politik auf. Ein Blick in die Publikationsdatenbank PubMed verdeutlicht den Hype. Zwischen 1950 und 2005 stieg die Anzahl der Artikel, die unter dem Schlagwort „International Health“ publiziert wurden um mehr als das 50fache, die der Artikel zu „Global Health“ um mehr als das 700fache – mit einem „Quantensprung“ in den letzten drei Dekaden. Aber was steckt eigentlich hinter dem Begriff „Global Health“? Eine einheitliche Definition wird unter Akademikern noch diskutiert. Es herrscht jedoch Einigkeit darüber, dass es sich dabei um ein multidisziplinäres Feld von Praxis, Forschung und Lehre handelt, welches sich mit Gesundheit im Kontext der mit der Globalisierung einhergehenden Veränderungen beschäftigt. Damit verbunden ist auch eine Änderung in der Wahrnehmung von Gesundheit im internationalen Kontext. Diese driftet von Erklärungsmustern mit einem traditionell engeren Fokus, geprägt durch biomedizinische Ansätze und Nord-Süd-orientierte Tropenmedizin, hin zu den Einflüssen von Ideen, Informationen, Kulturen, Technologien und Gütern, die Grenzen und Territorien überschreiten und somit auch gegenseitige Abhängigkeit schaffen. Während die Definitionsfrage für den Fokus von Global Health in Bildung und Forschung von Relevanz ist, liegen – pragmatisch gesehen – bereits viele Herausforderungen auf der Hand. Einige dieser Herausforderungen und ihre Zusammenhänge sollen im Folgenden schlaglichtartig beleuchtet werden.

Kayvan Bozorgmehr ist Doktorand am Projektbereich Internationale Gesundheitswissenschaften an der Charité Berlin und war aktives Mitglied der Globalisation and Health Initiative (GandHI). 18


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AM „DAY OF THE AFRICAN CHILD“ DEMONSTRIEREN KINDER FÜR IHRE RECHTE, SEI ES DAS RECHT AUF EIN LEBEN OHNE GEWALT ODER DAS RECHT AUF BILDUNG.

fügt sie hinzu: „Soziale Ungerechtigkeit tötet Menschen in großem Ausmaß.“ Allein in der Europäischen Union wird die Anzahl der durch ungleiche Gesundheitschancen herbeigeführten Tode im Jahr 2004 auf über 700 000 geschätzt. Zudem seien ca. 20 Prozent der Gesamtkosten im Gesundheitswesen Folgekosten, die durch (primäre) Prävention vermeidbar gewesen wären. Die Krankheitslast und ihre Verteilungsmuster können somit als Symptome betrachtet werden, denen soziale Determinanten zugrunde liegen. Diese umfassen die Verteilung von Macht, Einkommen und Gütern sowie die Lebensbedingungen von Menschen hinsichtlich ihrem Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung, ihrer Arbeits- und Wohnsituation und schließlich auch den Einflüssen aus ihrer und auf ihre Umwelt – also Faktoren, die jenseits des klassischen Gesundheitssektors liegen.

Dafür ist es notwendig, aber keineswegs hinreichend, einen Blick auf die weltweite Krankheitslast zu werfen. So reicht die Liste der 20 weltweit führenden Todesursachen im Jahre 2004 von kardiovaskulären Erkrankungen, über HIV/AIDS und Tuberkulose hin zu Traumata, Malaria und bösartigen Tumoren. Länder mit niedrigem Pro-Kopfeinkommen leiden an einer doppelten Krankheitslast. Zum einen führt der epidemiologische „shift“ auch bei ihnen zu einer Zunahme chronischer Erkrankungen. Zum anderen betrifft sie die sog. „unfinished agenda“ im Kampf gegen behandelbare Infektionserkrankungen.

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eltweit ist die Krankheitslast nicht nur einkommensabhängig zwischen Kontinenten und Ländern ungleich verteilt. Studien liefern Belege für große Ungleichheiten in der Lebenserwartung innerhalb ein und derselben Stadt – auch in Industrieländern. Die ungleiche Verteilung von Gesundheitschancen, eine Globale Faktoren im Sinne von territorienübergreifenden Phänomenen wirken dabei zusätzlich auf diese Folge systematischer und vermeidbarer, Tipp Determinanten ein und erhöhen die Kombewusster oder unbewusster BenachteiliDie IPPNW bietet zusammen mit der Charité plexität in der Kausalkette zwischen sozigung von Bevölkerungsgruppen, findet sich eine Summer School an: Global Health – alen Ursachen und Krankheit. Als Beispiel u.a. in Abhängigkeit von Einkommen, ethGesundheit in Zeiten der Globalisierung. seien hier nur einige Phänomene wie die nischer Herkunft, Geschlecht und Religion Mehr dazu auf der Umschlagseite. Nahrungsmittel-, die Wirtschafts- und Fiund hat weltweit eher zu- als abgenommen. nanzkrise, Handels- und Patentregime, der Oft zitiert und mit klaren Worten bringt es die Kommission zu Verlust der Biodiversität, der Klimawandel, aber auch gesundSozialen Determinanten der Gesundheit der Weltgesundheitsor- heitsgefährdende Technologien sowie die aktive Proliferation der ganisation (WHO) auf den Punkt: „Die ungleiche Verteilung von Produkte der Rüstungsindustrie genannt. gesundheitsgefährdenden Einflüssen ist in keiner Weise ein „natürliches“ Phänomen, sondern ist das Ergebnis einer toxischen m Zuge der Globalisierung ist die Gesundheitsarchitektur Kombination mangelhafter sozialer Maßnahmen und Programme, selbst zu einem territorienübergreifenden Konstrukt geworden, unfairer wirtschaftlicher Strukturen und schlechter Politik“. Dem in dem die WHO nur noch einer von vielen ist. Weitere Akteure

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© Jori Sheade / DGHI

KUNIA, KENYA, FÜR EINE EPIDEMIOLOGISCHE UNTERSUCHUNG WERDEN DIE KINDER DES DORFES GEMESSEN.

richtlinie zur Regelung der weltweiten Migration von Gesundheitspersonal diesen Entwicklungen entgegenwirken kann, wird sich noch zeigen müssen.

sind der Global Fund to Fight Aids, Malaria & Tuberculosis, die Gates Stiftung, die Global Alliance for Vaccines and Immunisation (GAVI) und die Weltbank, um nur einige der Größten zu nennen. Die finanziellen Ressourcen, die der gesundheitsbezogenen Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stehen, haben sich in weniger als 20 Jahren vervierfacht. Ein großer Teil dieser Ressourcen fließt über private „for-profit“ und „non-for-profit“ Organisationen des globalen Nordens zu den „Endverbrauchern“ im globalen Süden. Die selektiven Prioritäten der bi- und multilateralen Geberländer, der Charity-Organisationen, der großen Beratungsunternehmen und der philanthropischen Stiftungen haben die monolithische Landschaft der weltweiten Gesundheitsarchitektur in eine überkomplexe, fragmentierte und fast unkoordinierbare Selbsterhaltungsmaschine verwandelt.

In Anbetracht dieser Herausforderungen erlebte 2008 das Konzept der primären Gesundheitsfürsorge (primary health care, PHC) eine Renaissance als entwicklungspolitische Strategie für Gesundheitssysteme weltweit. Diese baut auf partizipativen, wissenschaftlich begründeten, effizienten, praktikablen, sozial akzeptablen und nachhaltig finanzierbaren Interventionen auf. Der mit PHC verbundende Ansatz rückt Systeme für Gesundheit ins Zentrum der Debatte statt Finanzierung, Forschung und Praxis, welche Krankheiten fokussieren. Mit PHC verbunden sind auch die Operationalisierung, Umsetzung und Einforderung des Menschenrechts auf Gesundheit, die von akademischen Institutionen und Netzwerken zivilgesellschaftlicher Organisation, wie dem People’s Health Movement, immer stärker vorangetrieben werden.

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ie Effekte dieser sogenannten Global Health Initiativen sind zweischneidig. So hat der Global Fund to Fight Aids, Malaria & Tuberculosis Millionen Menschen im globalen Süden eine lebensrettende medikamentöse Therapie ermöglicht. Andererseits führt die selektive top-down Priorisierung nur einiger Erkrankungen zu einer Zunahme des Fachkräftemangels in manchen Ländern, wenn diese in die meist besser bezahlten Arbeitsbereiche abwandern, die gerade auf der internationalen Hilfsagenda ganz oben stehen. Die Ungleichverteilung der Fachkräfte im Gesundheitssektor zwischen Nord und Süd, ländlichen und städtischen Gebieten sowie öffentlichem und privatem Sektor ist inzwischen selbst zu einer kritischen Determinante geworden, welche insbesondere im südlichen Afrika und Südasien über Leben und Tod entscheidet. Ob die kürzlich von der Weltgesundheitsversammlung verabschiedete, freiwillige Selbstverpflichtungs-

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lobal Health ist jedoch nicht nur eine Ansammlung von objektiv beobachtbaren Herausforderungen. Unter dem Strich ist es eine Reflexion verschiedener Agenden zahlreicher Akteure, die den Begriff nutzen, um teils konträre Veränderungen zu erreichen. Die IPPNW als internationale Organisation von Ärztinnen und Ärzten, die sich dem Frieden und der sozialen Verantwortung verpflichtet haben, ist bereits Teil des Spielfelds und weist große Schnittmengen mit bereits genannten Schlüsselthemen von Global Health auf. Ihre Rolle kollektiv mit anderen Akteuren strategisch zu nutzen, bleibt Aufgabe ihrer Mitglieder.

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glOBAl HEAltH

Hingeschaut Der Global Health Watch – ein alternativer Gesundheitsbericht

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heit generell oder zu einzelnen Themen befassen wollen, sind diese Berichte ein Muss. Sie verstehen sich als kritische Ergänzung zur WHO und bieten eine kritischen Analyse der Lage sowie alternativer Lösungsansätze aus zivilgesellschaftlicher Sicht. Aus ihnen ist auch für die Gesundheitssysteme des Nordens viel zu lernen. Im Folgenden ist – in aller Kürze – der grundsätzliche Ansatz des GHW darlegt, entnommen aus der Einleitung zum ersten alternativen Weltgesundheitsbericht.

er Global Health Watch hat seinen Ursprung in der internationalen, zivilgesellschaftlichen Gesundheitsbewegung. Die Wurzeln dieser Bewegung gehen auf Kampagnen der 1970er und 1980er Jahre zurück, als Gesundheitsaktivisten die Kluft zwischen dem globalen Norden und Süden zum Thema machten. Meilensteine dieser Aktivitäten sind z.B. die Alma Ata Erklärung der WHO aus dem Jahr 1978 „Gesundheit für alle im Jahr 2000“ oder die Liste essentieller Arzneimittel der WHO. Aber auch die Preisreduzierung von AIDSMedikamenten für Entwicklungsländer und die stärkere Kontrolle der Werbung für Kinderarzneimittel sind ein Erfolg zivilgesellschaftlichen Drucks auf Regierungen und Industrie. In den 90er Jahren rückten Armut und Ungleichheit, ihre Ursachen und ihre Auswirkungen auf Gesundheit mehr ins Zentrum. Im Jahr 2000 wurde als erster Schritt zu einer globalen Gesundheitsbewegung die „People’s Health Assembly“ in Bangladesh gegründet. Ihr erklärtes Ziel war, den in der WHO Verfassung postulierten größten erreichbaren Standard von Gesundheit als elementares Recht aller Menschen durchzusetzen. Die dort verabschiedete „People’s Health Charta“ fordert, die Grundursachen schlechter Gesundheit und des fehlenden Zugangs zu gesundheitlicher Versorgung anzugehen. Sie ist zugleich die Agenda für das „People’s Health Movement“.

Eine Politik für Gesundheit Das Nebeneinander von Wohlstand und schwerer Armut weist uns darauf hin, dass letztere durchaus vermieden werden kann. Schätzungen zufolge würde ein universeller Zugang zu Grundbildung, Basis-Gesundheitsversorgung, ausreichender Nahrung, sauberem Wasser und sanitären Anlagen für alle nicht einmal 4 % des Vermögens der 225 reichsten Menschen der Welt kosten. Gleichzeitig ist in vielen Ländern, die mit Hunger zu kämpfen haben, eigentlich genug Ackerland vorhanden, um ihre Bevölkerung mehrmals versorgen zu können. Alternative soziale, politische und ökonomische Vereinbarungen könnten diese knallharten Realitäten ändern. Der Global Health Watch stellt den derzeitigen Stand der Gesundheit auf der Welt in einem explizit politischen © Unicef 1998 Licht dar. Das ist keineswegs neu: Öffentliche Gesundheit ist seit vielen Jahren als politisches Anliegen anerkannt. UNICEF hat zur Erklärung von Kindererkrankung und -sterblichkeit ein Begriffsmodell entworfen. Es zeigt, dass – neben anderen Faktoren – auch das politische, soziale und ökonomische System berücksichtigt werden muss, denn es bestimmt die Verwendung und Kontrolle von Ressourcen und damit auch wo und wie viele Kinder ohne ausreichende Nahrung, Betreuung, sauberes Wasser, sanitären Anlagen und Gesundheitsversorgung auskommen müssen (siehe Grafik). Dieses Model ist auch auf andere Gesundheitsaspekte, wie z.B. AIDS, anwendbar.

Der Global Health Watch nimmt den „Call for Action“ dieser Charta auf und unterbreitet Vorschläge, wie deren Prinzipien verwirklicht werden können. In den Bericht gehen die Expertise und die Erfahrungen von Gesundheitsaktivisten, Menschen in Gesundheitsberufen und Wissenschaftlern aus aller Welt ein, die durch ihre Stellung in der Gesellschaft Einfluss auf die Gestaltung von Globaler Gesundheit nehmen können. Der erste GHW aus dem Jahr 2005 wurde von etwa 75 NGOs getragen und vom People’s Health Movement (Cairo), Medact (der britischen IPPNW) und der Global Equity Gauge Alliance (Durban) herausgegeben. Der dritte GHW ist derzeit in Vorbereitung und wird außer vom People’s Health Movement und Medact nun auch von medico international, TWN (Third World Network) und „Heath Poverty Action“ koordiniert. Für diejenigen, die sich intensiver mit Fragen globaler Gesund21


global health

Bei Menschenrechten geht es nicht nur um das Recht auf freie Meinungsäußerung. Menschliche Würde beruht auch auf Nahrungssicherheit, Basis-Gesundheitsversorgung und anderen Bedürfnissen. Armut und Entwicklung Die schlimmste Epidemie, der sich die globale Gesundheitsgemeinschaft gegenüber sieht, heißt Armut. Sie ist in den meisten Fällen der Grund für Unterernährung, schürt die Ausbreitung von Krankheiten und verstärkt Folgen von Krankheit und Traumatisierung. Arme Länder sind nicht in der Lage, Gesundheitsund Sozialdiensten ausreichend Mittel zur Verfügung zu stellen. Dies führt dazu, dass neben der individuellen Armut auch das Gesundheitssystem von Armut bestimmt ist. Wenn man die globale Gesundheit also voranbringen möchte, dann muss man auch der zunehmenden Armut Einhalt gebieten. Gesundheits-

helfer setzen sich mit Analphabetismus und den Folgen für die Gesundheit auseinander; außerdem mit fehlendem sauberen Wasser und Sanitäranlagen, Hunger und Nahrungssicherheit, Umweltzerstörung sowie Militarisierung und Konflikt. Das alles sind Kernthemen von öffentlicher Gesundheit und sie zeigen die Herausforderungen, vor denen Gesundheitshelfer, Lehrer, Ingenieure, Geografen, Bauern und Biologen stehen – um nur ein paar Berufe zu nennen, die das universale Recht auf Gesundheit und Würde verwirklichen helfen.

Ungerechtigkeit

GELD SCHENKEN

SEHSTERN

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Die zunehmende Armut ist auch mit wachsender Ungerechtigkeit verbunden. Das zeigt das Einkommensgefälle zwischen dem Fünftel der Menschen in den reichsten Ländern der Welt und dem Fünftel in den ärmsten. Es lag 1913 noch bei 11 zu 1, während es 1960 schon bei 30 zu 1 und schließlich 1997 bei 74 zu 1 lag. Obschon Ungleichheit meist in Hinblick auf reiche und arme Länder dargestellt wird – ein Fünftel der Reichsten der Welt kommt aus Entwicklungsländern. Gleichermaßen sind Armut und sich weitende Missverhältnisse keineswegs auf arme Länder beschränkt. In den letzten zwei Jahrzehnten ist die Ungleichheit auch in wohlhabenden Ländern gewachsen. Ein Bewusstsein für Gerechtigkeit ist wichtig, weil politische und ökonomische Institutionen unfaire Vorteile verstärken und sozio-ökonomische Unterschiede vergrößern können. Internationale Handelsbestimmungen begünstigen reiche Länder und multinationale Unternehmen. Die Rahmenbedingungen der Weltbank oder des Internationalen Währungsfonds für arme Regierungen sehen beispielsweise die Privatisierung von öffentlichen Einrichtungen und Besitztümern vor. Damit untergraben sie Bildungseinrichtungen und Gesundheitsfürsorge und zersetzen so das soziale Netz.

Im Leben kriegt man nichts geschenkt. Es sei denn, man betreibt Atomkraftwerke oder ist Großspekulant im Finanzgeschäft. Die Leidtragenden von Klimawandel und Globalisierung aber haben keine Lobby. Denen fühlen wir uns verbunden. Wir bieten an, Teile Ihrer Zinserträge 3 konkreten Förderprojekten zu stiften. Bewirken Sie viel, mit ein wenig Fairzicht. Mehr unter 036691 - 862345

Menschenrechte und Verantwortlichkeiten

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Artikel 25.1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte lautet: „Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versor-

Faires Geld

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© DGHI

GADCHIROLI, INDIEN, DIE MOBILEN KLINIKEN AUF GEMEINDEEBENE SIND DIE EINZIGE  GESUNDHEITSEINRICHTUNG. SIE ERREICHEN 400 PATIENTEN TÄGLICH.

gung und notwendige soziale Leistungen ... .“ In Artikel 12.1 des UN-Sozialpakts ist das Recht auf höchstmögliche körperliche und geistige Gesundheit festgeschrieben. Solche Erklärungen erinnern uns daran, dass Menschenrechte nicht nur politische und Bürgerrechte umfassen; sie schließen auch soziale, ökonomische und kulturelle Rechte mit ein. Es geht nicht nur um das Recht auf freie Meinungsäußerung. Menschliche Würde beruht auch auf Nahrungssicherheit, Basis-Gesundheitsversorgung und anderen Bedürfnissen.

Die Mobilisierung der Zivilgesellschaft

Zumeist stehen beim Menschenrechts-Diskurs die Pflichten von Staaten und Regierungen im Mittelpunkt. Sie verletzen ihre Pflichten, wenn sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht zur Umsetzung der Menschenrechte beitragen. Regierungen, die z.B. die Korruption und Betrug erlauben oder unangemessen hohe Rüstungsausgaben haben, während es großen Teilen der Bevölkerung an den Grundvoraussetzungen zum Überleben und Erhaltung ihrer Würde fehlt, begehen Menschenrechtsverletzungen. Jedoch sieht ein moralisches Verständnis der Menschrechte auch soziale, politische und ökonomische Institutionen in der Verantwortung. Wenn es um das Recht auf Nahrung geht, spielt auch eine Rolle, wie Lebensmittel produziert, kontrolliert und verkauft werden. Man denke hierbei nur die stark subventionierten landwirtschaftlichen Exporte reicher Länder, die zu einer Schwächung der Subsistenzwirtschaft in armen Ländern führt.

Ein Ziel des alternativen Weltgesundheitsberichtes ist es daher, die Leistung und den Einfluss derjenigen Schlüsselinstitutionen zu analysieren, die bei der Förderung von Global Health verantwortlich zeichnen. Gesundheits- und Entwicklungsberichte von Organisationen wie z.B. WHO, UNAIDS und der Weltbank berücksichtigen sich selbst in der Regel nicht, wenn es um eine Analyse von Faktoren geht, die einen positiven oder einen negativen Einfluss auf Gesundheit haben. Diese Lücke möchte der GHW schließen.

In Anbetracht der Tatsache, dass soziale, politische und ökonomische Regelungen der gegenwärtigen Un-Gesundheit, Armut und Ungleichheit nicht adäquat entgegentreten können, ist eine stärkere Mobilisierung der Zivilgesellschaft von Not. Der Global Health Watch ist mit vielen Organisationen der Zivilgesellschaft verbunden, zieht ihre Erfahrungen heran und hilft ihnen dabei, ihre Arbeit auszubauen.

David Mc Coy und Michael Rawson von medact, der britischen IPPNW-Sektion, waren maßgeblich am Global Health Watch beteiligt. Das Buch kann im Internet auf Englisch heruntergeladen oder bestellt werden: www.ghwatch.org

Die Verantwortlichkeit, politische und ökonomische Rahmenbedingung so zu verändern, dass sie den Menschenrechten gerecht werden, liegt nicht nur bei Regierungen, sondern auch bei den Bürgern und Akteuren aus der Zivilgesellschaft. 23


g lobal health

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s ist keine Illusion: man kann den bestehenden Teufelskreis aus Armut und Krankheit durchaus durchbrechen.

Ein öffentliches Gut Ein Internationaler Fonds als Pilotprojekt globaler Verantwortung

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Die extreme globale Ungleichheit zeigt sich gerade im Zugang zu Gesundheit. Nur ein Beispiel: 90 % der weltweiten Gesundheitsausgaben entfallen auf die 20 reichen Länder der Erde, in denen nur 20 % der Weltbevölkerung leben. Im subsaharischen Afrika, wo 12 % der Weltbevölkerung leben, wird dagegen nur 1 % der globalen Gesundheitsausgaben eingesetzt. An diesem Missverhältnis setzt die Idee von medico an, verbindliche Formen einer globalen Gesundheitsfinanzierung zu schaffen. Der Arbeitstitel dafür lautet „Weltgesundheitsfonds“. Um diese Idee zu vertiefen und politische Handlungsmöglichkeiten auszuloten, traf sich medico 2009 mit Kollegen unterschiedlichster nichtstaatlicher und staatlicher Organisationen in Genf und in Brüssel. Dabei waren u.a. der UN-nahe „Global Fund to Fight Aids, Tuberculosis and Malaria“ und das Gesundheitsdirektorat Norwegens, aber auch Basisaktivisten wie z.B. unsere langjährigen Partner vom People’s Health Movement. Die Reaktionen dieser so unterschiedlichen Akteure waren ermutigend, fand die Idee doch bei allen ein positives Echo. Zudem stellte sich heraus, dass es weltweit ähnliche Bestrebungen gab, eine globale Finanzierung von Gesundheit durch Umverteilung der dazu nötigen Ressourcen zu ermöglichen. Mit seiner Festlegung auf Verbindlichkeit könnte ein „Weltgesundheitsfonds“ zum Pilotprojekt einer Welt werden, die sich mit einer Infrastruktur von Gemeingütern der Marktlogik entzieht.

ie kann das Menschenrecht auf Gesundheit unabhängig von der Finanzkraft der Länder und Menschen gewährleistet werden? medico international machte 2009 einen Vorschlag auf solidarischer Grundlage: Ein Weltgesundheitsfonds könnte die gesundheitliche Basisversorgung für alle sicherstellen. Alljährlich sterben Millionen von Menschen an Krankheiten, die eigentlich gut behandelbar wären. Vor allem der globale Süden leidet unter einem chronischen Mangel an Mitteln und Strukturen, um das Menschenrecht auf Gesundheit zu verwirklichen. Wenigstens 30 Länder sind nicht imstande, aus eigener Kraft für eine angemessene Gesundheitsversorgung ihrer Bevölkerungen zu sorgen. Über 100 Millionen Menschen werden alljährlich in die Armut getrieben, weil sie für Kosten im Krankheitsfall ohne jede Absicherung „out of pocket“, aus eigener Tasche aufkommen müssen. Mit der Finanzkrise hat sich die zerstörerische Dynamik des Globalisierungsprozesses noch einmal verschärft. Die Weltbank schätzt, dass allein in Afrika 50 Millionen Menschen verarmen werden; gewiss ist, dass Hunderttausende an den Folgen der gegenwärtigen Krise verhungern werden. Trotzdem wird die neoliberale „Verunsicherung“ aller Lebensverhältnisse fortgesetzt, regieren Märkte und Marktlogik weiter wie bisher. Protest regt sich kaum, weil die scheinbare Alternativlosigkeit zu den bestehenden Zuständen tiefe Resignation ausgelöst hat. Ein erster emanzipatorischer Gegenentwurf entfaltet sich jetzt rund um die Debatte zu den „commons“, den öffentlichen oder Gemeingütern. Auf dem medico-Kongress „Solidarität heute“ im Jahr 2008 stellte die indische Aktivistin Vandana Shiva die Idee der „commons“ in den Mittelpunkt einer Neubestimmung von Solidarität.

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iese Perspektive, den bestehenden Teufelskreis aus Armut und Krankheit durchbrechen zu können, ist keine Illusion. Kern eines solchen Gesundheitsfonds wäre ein völkerrechtlich bindender Vertrag, der auf zwischenstaatlicher Ebene den notwendigen Finanzierungsausgleich reguliert und dafür sorgt, dass reichere Länder solange auch für die Finanzierung der Gesundheitssysteme der ärmeren eintreten, wie diese dazu selbst nicht ausreichend imstande sind.

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emeingüter stellen ganze Lebensbereiche außerhalb der Marktlogik. Gemeint sind zunächst die für uns alle zu schützenden natürlichen Ressourcen des Lebens: die Atmosphäre, das Land, das Wasser, die Bodenschätze, die Gene, aber auch das Wissen. Öffentlichen Schutzes und öffentlicher Förderung bedürfen weiter die Güter, die den Zugang zu diesen Gemeinressourcen sicherstellen: Bibliotheken, Schulen oder Universitäten zu Wissen, kommunale Wasserwerke zu Trinkwasser oder Krankenhäuser zum Erhalt des Lebens.

Die „WHO-Kommission für Makroökonomie und Gesundheit“ schätzte 2001, dass mit 40 Dollar pro Jahr einem Menschen ein „Minimalpaket“ an präventiven und kurativen Gesundheitsleistungen ermöglicht werden kann. Ein mit jährlich 50 Milliarden Dollar ausgestatteter „Weltgesundheitsfonds“ wäre demnach ausreichend, um den dringlichsten Gesundheitsbedürfnissen 24


© DGHI

DIE NAAMA NEW MILLENIUM WOMEN‘S GROUP TRIFFT SICH EINMAL WÖCHENTLICH. ARMUT, KRANKHEIT UND FEHLENDE BILDUNG SIND DIE GRÖßTEN HÜRDEN AUF DEM WEG, IHR DORF VORANZUBRINGEN.

Die Konzeptualisierung von Globaler Gesundheit bedarf darüber hinaus der Schaffung einer neuen Global Health Governance. Erforderlich ist hier die normative und dann auch institutionelle Klärung und Absicherung dessen, was „globale Verantwortung“ genannt wird. Zu den vordringlichsten Aufgaben zählen hierbei die Schaffung von Alternativen zum bestehenden Patentsystem und die Aufstellung von Regeln für die internationale Rekrutierung von Gesundheitsfachpersonal.

aller Menschen entsprechen zu können. Die große Kraft, die in solchen globalen Finanzierungsinstrumenten steckt, zeigen nicht zuletzt die Erfolge, die der „Global Fund to Fight HIV/AIDS, Tuberculosis, and Malaria“ (GFATM) in den letzten Jahren in der Behandlung von HIV-Kranken erzielen konnte. Deutlich wurde aber auch, dass die Fokussierung auf einzelne Krankheiten auf Dauer unzureichend ist und gar neue Probleme schafft. Ohne die Förderung von leistungsfähigen Gesundheitssystemen sind solche punktuellen Erfolge nicht nachhaltig. Nachhaltigkeit jedoch verlangt ein verpflichtendes Element, eine vertraglich sichergestellte Finanzierung und damit eine Abkehr von paternalistischen Hilfskonzepten. Die Erfahrungen des GFATM zeigen auch, dass die Arbeit globaler Institutionen nicht an lokalen Governance Problemen scheitern muss. „Country Coordinating Mechanisms“ (CCM) können dafür sorgen, dass dringend benötigte Hilfen und Investitionen nicht Misswirtschaft und Korruption zum Opfer fallen.

Eine besondere Rolle ist dabei der WHO zuzuweisen, die gegenüber anderen Akteuren gestärkt werden muss, beginnend mit einer Verbesserung ihrer demokratischen Kontrolle. Insbesondere gilt es, eine transparente zivilgesellschaftliche Mitsprache zu ermöglichen und zugleich den nicht immer transparenten Einfluss partikularer Interessengruppen wie der Pharma-Industrie oder der Versicherungswirtschaft zurückzudrängen.

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oraussetzung für all dies ist der Aufbau einer sich selbst bewussten internationalen Öffentlichkeit. So unterschiedlich die Lebensumstände in der Welt noch immer sein mögen, zivilgesellschaftliche Gesundheitsinitiativen im Süden verfolgen schon lange ähnliche Ziele wie kritische Ärzteorganisationen, Sozialverbände und Gewerkschaften im Norden. Sie streiten dort für die Einführung bzw. gegen den Abbau solidarisch verfasster sozialer Sicherungssysteme, um deren Erhalt es auch hier zu kämpfen gilt.

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ie Idee globaler Gesundheit steht für eine global geteilte Verantwortung für Gesundheit als ein öffentliches Gut. Angesichts des erreichten Globalisierungsgrades muss die Einrichtung eines „Weltgesundheitsfonds“ unmittelbar auf der politischen Agenda stehen. Doch was sind erste Punkte auf einem alternativen Aktionsplan? Zunächst sind die einzelnen Staaten aufgefordert, alles in ihrer Kraft stehende zu tun, um den Verpflichtungen, die sie selbst im Rahmen der Menschenrechtpakte mitformuliert haben, zu entsprechen. Das bedeutet auch, den finanziellen Spielraum für notwendige Sozialpolitik zu erweitern.

Alle ungekürzten Texte sowie eine ausführliche Auflistung der Punkte des Aktionsplans auf www.medico.de/themen/gesundheit

Zugleich ist ein Globaler Fonds für Gesundheit einzurichten, der sicherstellt, dass auch diejenigen Länder den Gesundheitsbedürfnissen der eigenen Bevölkerungen entsprechen können, die das aus eigener Kraft nicht oder noch nicht können. Um einen solchen Globalen Fonds für Gesundheit nachhaltig zu sichern, sind neue völkerrechtlich bindende Normen zu setzen, mit denen eine gerechte Verteilung der Kosten sichergestellt werden kann.

Dr. Andreas Wulf (l.) ist medizinischer Projektkoordinator, Thomas Gebauer ist Geschäftsführer von medico Deutschland. 25


global health

Gesundheit schafft Frieden Der Online-Kurs Medical Peace Work

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ie afrikanische Tryponosomias, die Schlafkrankheit, war im Jahr 1974 fast verschwunden. Doch in den 1980er-Jahren trat die Erkrankung wieder vermehrt auf. In einigen afrikanischen Landesteilen stellte sie sogar die häufigste Todesursache unter Erwachsenen. Was war geschehen? Mobile Teams hatten in Afrika systematisch Millionen von Menschen in Risikogebieten untersucht. Außerdem wurden Tsetse-Fliegen, die Überträger der Krankheit, wirksam bekämpft. Doch kriegerische Auseinandersetzungen zerstörten diese langfristigen Gesundheitsprogramme. So kollabierten die Kontrollprogramme in Angola wegen des seit 40 Jahren anhaltenden Bürgerkriegs. Die Erkrankungsrate stieg exponentiell an. In einigen Provinzen sind heute bis zu 50 Prozent der Bevölkerung betroffen: Die Sterberaten liegen über denen für HIV/Aids.

friedensbildend zu wirken. Gesundheit wird als übergeordnetes Ziel aller definiert und Kriegsfolgen als Problem der gesamten öffentlichen Gesundheit. Menschen in Gesundheitsberufen können auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam machen und Daten sammeln, die auf die Zusammenhänge zwischen Einsatz bestimmter Waffen und der Häufung von Erkrankungen in der Zivilbevölkerung aufmerksam machen. Ein Beispiel dafür ist die Zunahme von Geburtsanomalien in Kriegsgebieten noch Jahre nach Beendigung von Kampfhandlungen, die im Zusammenhang mit dem Einsatz von Depleted Uranium stehen könnten. Medizinische Friedensarbeit umfasst ein breites Themenspektrum - von der Vorbeugung von Selbstmord und zwischenmenschlicher Gewalt, über die Stärkung von Menschenrechten und gerechten Strukturen, bis hin zur zivilen Konfliktbearbeitung und Prävention von Atomkrieg.

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rieg und Gewalt verursachen nicht nur direkte Opfer. Aufgrund von Mangel an notwendigen Medikamenten für akute und chronische Erkrankungen oder Zerstörung von Material, Einrichtungen und funktionierender Infrastruktur wie Krankenwagen und -häusern können auch die generell auftretenden Erkrankungen nicht adäquat behandelt werden. Im Jahr 2002 hat die WHO erstmalig den „World Report on Violence and Health“ herausgegeben, in dem Gewalt als Problem der öffentlichen Gesundheit benannt wird. Außerdem zeigt der Bericht, dass Gesundheitsberufe einen großen Anteil daran haben, direkte Gewalt zu verhindern.

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as Internet-Projekt „Medical Peace Work“ will Gesundheitspersonal über die Folgen von Krieg und anderen Formen von Gewalt für die Gesundheit von Individuen und Bevölkerungsgruppen informieren. Sieben Online-Kurse zeigen, wie das Gesundheitspersonal einen eigenen Beitrag zu Friedensstiftung, Gewaltprävention und Konfliktbearbeitung leisten kann.

Die Kurse, die weltweit angeboten werden, wurden von 19 Organisationen aus Dänemark, Deutschland, Finnland, den Niederlanden, Norwegen, Slowenien, der Türkei und Großbritannien Ein Beispiel dafür ist El Salvador, wo 1985 auf Initiative von UNI- entwickelt – darunter der deutschen Sektion der IPPNW. „Es ist CEF Impftage des Friedens stattfanden. Diese „Tage des Frie- entscheidend, dass Ärzte und anderes Gesundheitspersonal verdens“ müssen in bestimmten Intervallen Lesen stehen, wie Menschen physisch und psyabgehalten werden, damit die Kinder alle chisch von Machtmissbrauch und Kriegen „Hier & dort“, Einblicke in die notwendigen Teilimpfungen erhalten könbeeinträchtigt werden. Viele GesundheitsGlobale Gesundheit, GandHI, 2009 Internet: www.medicalpeacework.org nen. „Obwohl diese Kampfunterbrechungen berufler wollen mehr tun, als die Verwunnur für Impfprogramme gemacht werden, deten zusammen zu flicken. Sie wollen und kein eigentlicher Waffenstillstand oder Vorstufe für Friedens- die Grundlagen der Friedensarbeit verstehen und ihren Beitrag verhandlungen sind, stellt dieser Prozess von Dialog und Ver- leisten, um Gewalt zu verhindern und Frieden zu schaffen, so einbarung, doch an sich eine wertvolle Anti-Kriegs-Aktivität dar. Projektleiter Klaus Melf vom Gesundheitsamt des ProvinzgouverSeit damals wurde das Konzept in vielen Ländern wiederholt, wie neurs in Tromsö, Norwegen. zum Beispiel in Uganda, Bosnien, Afghanistan, Sri Lanka und im Libanon“, heißt es in dem UNICEF-Grundsatzpapier „Kinder im Krieg“. Angelika Wilmen ist Pressesprecherin der deutschen IPPNW und betreut das Medical Peace Work Programm.

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enschen in Gesundheitsberufen haben einen besonderen Zugang zur Bevölkerung, man verbindet mit ihnen Solidarität, Selbstlosigkeit und Überparteilichkeit. Dadurch bieten sich Chancen, über die Grenzen verfeindeter Parteien hinweg 26


welt

25 Jahre Friedensnobelpreis für die IPPNW Interview mit Ehrenvorstandsmitglied Prof. Dr. Ulrich Gottstein forum: Am 11. Oktober 1985 verkündete das Nobelpreiskomitee, dass die IPPNW den Friedensnobelpreis erhalte. Hat die Entscheidung Sie überrascht? Ulrich Gottstein: Bereits ein Jahr zuvor erhielt die IPPNW einen herausragenden

internationalen Preis, den UNESCO-Friedenspreis. Bei den großen internationalen Organisationen wie der WHO, dem Weltkirchenrat, aber auch beim Papst und der katholischen US-Bischofskonferenz, dem Internationalen Roten Kreuz und dem Weltärztebund hatten wir einen guten Ruf. Und dies obwohl wir uns erst vier Jahre zuvor gegründet hatten. Ich gehörte seit Oktober 1981 zum Kreis der Mitstreiter von Prof. Bernard Lown und zum erst später gewählten Vorstand der internationalen IPPNW. Wir telefonierten regelmäßig. Daher wusste ich seit 1984, dass die IPPNW als eine von sehr vielen Kandidaten für den Friedensnobelpreis gehandelt wurde. Die Wahrscheinlichkeit erschien uns aber sehr gering. Daher war die öffentliche Bekanntgabe für uns eine große Überraschung und Freu-

de, die uns nicht triumphieren ließ, sondern zum notwendigen weiteren Engagement ermutigte. forum: Wie haben Sie die Verleihung des Preises in Oslo am 10. Dezember 1985 erlebt?

Gottstein: Der Dezember 1985 in Oslo war bitter kalt, aber die Stimmung unter den IPPNW-Delegierten aus etwa 60 Nationen sehr gut. Am 9. Dezember gab die Stadt Oslo einen offiziellen Empfang im Rathaus. Auf Bitten des internationalen IPPNW-Vorstands und der Norwegischen Sektion hielt ich die Dankrede im Namen der gesamten internationalen IPPNW. Am Tag darauf wurde der Friedensnobelpreis in der Aula der Universität Oslo sehr feierlich - im Beisein des Königs und des diplomatischen Korps - an die IPPNW verliehen. Die USA, Großbritannien und Deutschland hatten zu der Verleihung nur stellvertretende Botschafter entsendet. Die beiden Co-Präsidenten Lown und Tschasow nahmen die Urkunde und eine Plakette entgegen. Am folgenden Tag fanden die „Nobel Lectures“ statt, die Lown und Tschasow hielten. Anschließend gab 27

es einen feierlichen Fackelzug vor der Universität und durch die Straßen Oslos. forum: Wie reagierte die deutsche Bundesregierung? Gottstein: Heiner Geißler und Bundeskanzler Kohl hatten beim Nobelpreiskomitee interveniert, um die Verleihung an die IPPNW zu verhindern, was natürlich mit Entrüstung abgelehnt worden war. In späteren Interviews und einem LiveFernseh-Streitgespräch im ZDF mit mir erklärte Geißler u.a., man hätte den Friedensnobelpreis lieber an die Bundeswehr oder die NATO verleihen sollen, nicht an eine Ärztebewegung mit Mitgliedern auch aus den Ostblock-Ländern, die von der Sowjetunion dominiert seien. Außerdem habe der Verein einen Co-Präsidenten Tschasow, der als Vize-Gesundheitsminister in der Sowjetregierung sitze und sich in einer Sammel-Unterschrift aller Moskauer Akademiemitglieder gegen politische Ansichten von Sacharow ausgesprochen habe. forum: Was waren die Folgen der Verleihung für die deutsche Sektion und die internationale IPPNW? Gottstein: Nach der Verleihung des Friedensnobelpreises stieg unsere Mitgliederzahl in Deutschland zügig auf 10.000 an. Als das internationale IPPNW-Direktorium 1987 in Moskau von Gorbatschow zu einem über zweistündigen Gespräch eingeladen wurde, erklärte uns der damalige sowjetische Präsident, dass die Aufklärungsarbeit der IPPNW sein Denken zur Notwendigkeit der Beendigung des Atomwaffenwettrüstens und – testens und zur Dringlichkeit kontinuierlicher Abrüstung ganz wesentlich beeinflusst habe. 1985 hatte Gorbatschow nach intensiver Lobbyarbeit durch die IPPNW ein einseitiges sowjetisches Atomtest-Moratorium verkündet. Das Interview führte Angelika Wilmen.


aktion

Eine Geschichte von Mächtigen und Weisen Gorleben aus kenianischer Sicht

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ür einen Kenianer auf Besuch in Deutschland ist die Idee einer Protestaktion nichts Neues. So war ich nicht geschockt als ich hörte, dass Gorleben voll von Protestlern sein würde. Ohne allzu große Erwartungen verließ ich Hamburg am Freitag, den 5. November. Die Autofahrt dauerte etwas länger als ich gedacht hatte. Auf dem Weg nach Gorleben hielten wir in Curlingen, um an einem Zeltplatz zwei Aktivisten rauszulassen. Dort war es, wo mich das Gefühl beschlich, dass das keine übliche Protestaktion sein würde. Dort auf dem Zeltplatz waren überall Menschen. Einige am Eingang, einige in großen Zelten, andere in kleineren. Es waren viele, und ich meine VIELE. Aber was mich am meisten erstaunte, war das Ausmaß an Organisation auf dem Gelände. Jeder schien Teil eines riesigen Teams zu sein. Niemand stand beiseite. Jeder bewegte sich, alle erledigten irgendwas. Niemand schien die bittere Kälte zu spüren, niemand ging in der Dunkelheit verloren. Ich stand da und starrte auf all das. Es war toll.

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ann setzten wir die Fahrt fort Richtung Gorleben, wo wir übernachten wollten. Überall an den Bäumen waren gelbe Kreuze. Je näher man Gorleben kam, desto mehr waren es. Interessanterweise wuchs auch die Zahl der Polizeibeamten. Manchmal mussten wir halten, um einen Konvoi von Mannschaftswagen, alle mit der Aufschrift „Polizei“, vorbei zu lassen. Wir wurden an einigen Kontrollpunkten aufgehalten. Man konnte in den Ge28

sichtern der Polizisten ein Gefühl von Unsicherheit und eine Art Verwirrung lesen. Da erfuhr ich dann auch, dass die meisten von ihnen gar nicht aus Gorleben waren – es waren eben viele Besucher dort. Wir erreichten unser Quartier unversehrt, aber müde, aßen zu Abend und gingen schlafen. Ich war jetzt sehr gespannt auf die Ereignisse des kommenden Tages. Am nächsten Morgen machten wir uns bereit für einen wunderbaren Tag. Nach dem Frühstück fuhren wir nach Dannenberg. Dort wartete erneut eine Überraschung auf mich. Ich dachte ja, ich hätte schon am Abend zuvor eine Vielzahl von Menschen gesehen. Aber das war nichts im Vergleich zu dem jetzt. Die Luft war erfüllt von einer Atmosphäre der Zusammengehörigkeit und Solidarität. Einer von den Bauern half uns dabei, einen Parkplatz zu finden. Es war alles tadellos organisiert.

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as Wetter war irre, mit wunderschönem Sonnenschein. Ich hatte gefürchtet, es würde heftig regnen. Scheinbar hat die Natur die Aktivisten mit wunderbarem Wetter beschenkt, als Unterstützung ihres Anliegens. Es gab viele grüne und gelbe Plakate und Transparente, mit der Sonne im Hintergrund war alles ein leuchtendes Gewimmel. Ich kam gerade rechtzeitig zur Rede des Präsidenten von Greenpeace, der aus Südafrika gekommen war. Er sagte immer wieder, dass der Castor ein „Tschernobyl auf Rä-


PROTEST VOR DEM KANZLERAMT, ANTI-ATOM-KETTE IN BERLIN UND NATÜRLICH GORLEBEN: IN DIESEM HERBST WAR DER TERMINKALENDER VON AKTIVEN GUT BESTÜCKT.

dern“ sei. Das wurde mit viel Beifall bedacht. Und es war nicht nur der übliche Beifall. Man konnte spüren, dass er aus jedermanns Herzen kam. Hier stieß ich dann auch auf die IPPNWGruppe, die an dem Protest teilnahm.

de der letzte Abschnitt für den Castor sein. Alle blieben unbeirrt den ganzen Tag auf der Straße, unbeeindruckt von der Kälte. Weiter unten, in der Nähe des Waldes, gab es eine Ansammlung von Unterstützern. Dort erklang wunderbare Musik, die in der umgebenden Natur aufging. Darunter sogar afrikanische! Ich habe mal verstohlen geguckt, ob da vielleicht afrikanische Sänger waren .... nein, es waren alles Deutsche!

Da waren eine Menge kreativer Sachen im Gange. Ich verbrachte viel Zeit damit, Fotos von den verschiedenen Parolen und Botschaften zu machen. Ich glaube, die Leute von Gorleben sind von Geburt an überaus kreativ. Und dann, plötzlich, brach von allen Seiten die Polizei herein. Übereifrig, wie ich es aus der Entfernung wahrnehmen konnte. Trotzdem blieb alles friedlich. Später habe ich dann erfahren, dass verdeckt von einem Zelt, um das ich Kinder hatte spielen sehen, heimlich die Straße unterhöhlt wurde. Den Leuten von Gorleben gehen die Ideen niemals aus!

Der Zug kam nicht rechtzeitig genug an, so dass ich nicht miterleben konnte, wie sich die Dinge weiter entwickelten. Aber sicherlich habe ich eine Unmenge an Lektionen mitgenommen. Dass man nicht einfach etwas wegnehmen kann, was rechtmäßig anderen Leuten gehört. Und dass trotz all der Kraft und der Macht, die die Herrschenden haben, jedermann eine Stimme hat, auf die gehört werden sollte.

Am Abend kamen wir zu Straßenständen mit Essen und Trinken. Ein paar Musiker spielten dort Country Music. Ich war gerührt von den Gefühlen, die in der Luft lagen. Was für eine Ungerechtigkeit, den nuklearen Abfall diesen Leuten vor’s Haus zu kippen. Wenn „Angel Merkel“ mal hier auf einen Schluck vorbei käme, würde sie bestimmt sagen „Atomkraft, nein danke!“

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lle waren dabei, den Castor zu beobachten, alle feuerten einander an, ihn um jeden Preis zu stoppen. Am 2. Tag war er noch ungefähr 80 Kilometer entfernt. Die Erwartung stieg. Jetzt kampierten Leute auf der Straße, und das bei der Kälte! Dies wür-

Patrick Gatonga war dieses Jahr im Rahmen des Programms „famulieren & engagieren“ in Deutschland. 29


I

n den ersten drei Teilen unserer Serie beleuchtete Christian Jenssen die Anfänge ärztlicher Friedensinitiativen und spannte einen weiten Bogen von Henry Dunant zu Rudolf Virchow, über Georg Friedrich Nicolai zu Albert Schweitzer ...

Ärzte gegen den Krieg Ein Blick in die Geschichte, Teil 4

The Nucleoholics Das 1963 unterzeichnete partielle Teststopp-Abkommen war für Albert Schweitzer „eine Morgenröte. Die Sonne kann aber erst aufgehen, wenn alle Versuchsexplosionen, auch die unterirdischen, aufhören.“ Die Uhr der Atomic Scientists konnte auf 12 Minuten vor 12 Uhr zurückgestellt werden. Zwei Jahrzehnte später wartete die Menschheit weiter vergebens auf diesen Sonnenaufgang. In den Magazinen der Atommächte lagerten mehr als 10 000 strategische Kernwaffen. Der nukleare Overkill von 15 Milliarden Tonnen TNT – mehr als vier Tonnen TNT für jeden Menschen dieser Erde – wurde täglich durch zehn neue Bomben erweitert. 1980 rückte der Zeiger der Atomuhr wieder auf 7 Minuten vor 12, das Bullletin of the Atomic Scientists beschrieb das Verhalten der Sowjetunion und der USA als das von „Nucleoholics“. Parallel zum atomaren Wettrüsten boomte die nukleare Energieerzeugung. In dieser Situation sammelte der amerikanische Assistenzarzt Ira Helfand im Sommer 1978 zur Unterstützung eines Referendums in Cambridge (Massachusetts) Literatur über die medizinischen Folgen der Atomenergie und wandte sich mit der Bitte um

Unterstützung an die australische Kinderärztin Helen Caldicott, die seit 1977 an der Harvard Medical School arbeitete. Caldicott kämpfte bereits seit den französischen Atomtests auf dem Mururoa-Atoll 1971 gegen Atomtests und Uranbergbau. Wenige Tage nach dieser Begegnung trafen sich zehn Bostoner Ärzte bei Caldicott und beschlossen, als Ärzte die breite Öffentlichkeit über die Risiken der Atomenergie zu unterrichten. Um schnell tätig werden zu können, wurden die Physicians for Social Responsibility (PSR) reaktiviert, die seit 1961 im Vereinsregister eingetragen waren, aber das letzte Mal 1968 im Vietnam-Krieg aktiv gewesen waren. Frühe Gründungsmitglieder wie Bernard Lown und Victor Sidel unterstützten die Gruppe, weitere bekannte Bostoner Ärzte wie der Psychiater Eric Chivian schlossen sich an. Von langer Hand vorbereitet, machte PSR am 29. März 1979 ihre Neugründung mit einer Anzeige im New England Journal of Medicine und einem Treffen in Boston bekannt – zufällig am Tage nach der partiellen Kernschmelze im Reaktor Three Miles Island nahe Harrisburg. Durch dieses Zusammentreffen der Ereignisse war die öffentliche Aufmerksamkeit überwältigend, innerhalb weniger Tage traten 500 Mitglieder bei. 30

The Final Epidemic Im Februar 1980 organisierten PSR ein großes Symposium „The Medical Consequences of Nuclear War“. Dank der Teilnahme hochrangiger Mediziner fand es ein großes Medienecho, das durch eine Anzeige in der New York Times noch verstärkt wurde. Diese Anzeige beinhaltete Briefe des Symposiums an Leonid Breschnew und Jimmy Carter, deren Antwortbriefe ebenfalls in der New York Times veröffentlicht wurden. Das Symposium wurde in weiteren großen Städten der USA fortgesetzt und als Buch („The Final Epidemic“) und Dokumentarfilm („The Last Epidemic“) jedem zugänglich gemacht. Dies alles machte einer breiten Öffentlichkeit deutlich, dass es sich nicht um eine politisch motivierte Kampagne handelte, sondern hier Ärzte aus Sorge um den kritischen Zustand des Planeten „globale Präventivmedizin“ praktizierten. 1979 reiste Helen Caldicott nach Großbritannien – auf Einladung von Claire Ryle, der Tochter von Sir Martin Ryle, der 1938 in „The Doctor‘s View of War“ die internationale Ärzteschaft aufgerufen hatte, sich der Mitwirkung in Kriegen zu verweigern (siehe forum 123). Dieser Besuch führte in Großbritannien zur Gründung der Me-


Geschichte

dical Campaign against Nuclear War (MCANW), und in der Folge zu ähnlichen Organisationen in Westeuropa, Skandinavien, Australien, Neuseeland, Kanada und Japan. In der BRD entstanden zahlreiche Ärzteinitiativen gegen Atomenergie, in der DDR fanden sich innerhalb des informellen Netzwerkes der Friedensdekaden der Evangelischen Kirche Gruppen von „Ärzte für den Frieden“ zusammen.

International Physicians for the Prevention of Nuclear War Das atomare Wettrüsten wurde begleitet und ermöglicht durch eine gegenseitige Dämonisierung der Supermächte. Es war Bernhard Lown, der 1979 den Mut hatte, diesen irrationalen Feindbildern eine neue Bürgerdiplomatie auf der Grundlage internationaler medizinischer Zusammenarbeit entgegenzusetzen. Seine Grundidee war, dass sich eine solche Bewegung nur dann würde etablieren können, wenn sie sich direkter politischer Stellungnahmen enthielte und alleine aus medizinischen Gründen auf ein einziges Ziel fokussierte: die Abschaffung der Atomwaffen. Die bestehende Zusammenarbeit auf dem Gebiet des plötzlichen Herztodes ermöglichte Lown 1979 die Kontaktaufnahme zu Jewgenij Tschasow, damals Generaldirektor des kardiologischen Forschungszentrums der UdSSR und behandelnder Arzt des sowjetischen Parteichefs Leonid Breschnew. Im Dezember 1980 trafen sich je drei amerikanische und sowjetische Ärzte in Genf und konnten sich trotz unüberbrückbarer politischer Meinungsverschiedenheiten auf eine Agenda einigen. International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW) wurden als eine nicht-politische Föderation nationaler Ärzteorganisationen gegründet, die sich alleine der Untersuchung der medizinischen Folgen von Atomwaffen und eines Atomkriegs sowie der Aufklärung von Medizinern, der breiten Öffentlichkeit und der politischen Führungen widmen sollte. Der erste Kongress der IPPNW im März 1981 vereinigte 72 Ärzte aus 12 Ländern. Vier Arbeitsgruppen diskutierten die medizinischen und ökologischen Folgen eines Atomkrieges, die Rolle der Ärzte nach einem Nuklearschlag, die wirtschaftlichen und psychologischen Kosten des atomaren Wettrüstens und die Möglichkeiten eines ärztlichen Beitrags zur Prävention.

Nach eingehender Debatte entschied man sich gegen eine Strategie der diskreten Einflussnahme auf die Regierungen und für ein öffentlichkeitswirksames Auftreten. Unter der Co-Präsidentschaft von Lown und Tschazow gelang es der IPPNW, weltweit Ärzte unter Überbrückung breiter politischer Gräben in einer medizinisch motivierten Bewegung zusammenzuführen. Nationale und internationale medizinische Organisationen und die WHO griffen die Argumentation der IPPNW auf, führende internationale Medizin-Zeitschriften publizierten sie. Die Botschaft der IPPNW wurde im Westen wie im Osten gehört, die IPPNW wurde zu einem Modell der weltweiten Zusammenarbeit und der Über-

30 Jahre nach Gründung der IPPNW stehen die Zeiger der Uhr der Atomic Scientists wieder auf 6 Minuten vor 12. windung entmenschlichender Feindbilder in einer von der Blockkonfrontation zerrissenen Welt. Dies gelang trotz der Einflussnahme der kommunistischen Parteien auf die IPPNW-Komitees in den Ostblockstaaten (das sich z.B. in der DDR individueller Mitgliedschaft und Einbeziehung der „Ärzte für den Frieden“ versperrte) und trotz der zunehmenden Denunziation der IPPNW als Moskau-hörige Organisation durch einflussreiche Medien in den NATO-Staaten. Ethische und wissenschaftliche Überzeugungskraft der IPPNW sowie die moralische Glaubwürdigkeit ihrer Protagonisten riefen auf beiden Seiten des „eisernen Vorhangs“ eine gleichermaßen breite Resonanz bei Ärzten und Medizinstudenten hervor.

Schaffung eines Bewusstseins über die katastrophalen Folgen eines Atomkriegs“. Dennoch beließ es die IPPNW nicht bei der alleinigen Beschreibung der fatalen Prognose einer Fortsetzung des nuklearen Wettrüstens. 1985 rief sie zu einem kompletten Moratorium aller atomaren Versuchsexplosionen als einfachem und leicht kontrollierbarem erstem Schritt der atomaren Rüstungskontrolle und Abrüstung auf. Die Ceasefire-Kampagne hat wesentlich dazu beigetragen, dass 1996 ein umfassender Teststopp-Vertrag abgeschlossen werden konnte. Projekte wie SatelLife, East-West Physicians Campaign und Concerts for Peace sind Beispiele für einen sich auch thematisch ausweitenden Dialog zwischen Ärzten aus Ost und West, Nord und Süd.

Atomwaffenfreie Welt, Frieden, Gesundheit, soziale Verantwortung Als sich 1989 der Kalte Krieg seinem Ende zuneigte, hatte die IPPNW mehr als 200  000 Mitglieder in über 80 Ländern. In einem ideologisch weniger aufgeheizten Umfeld war es nun möglich, die Agenda globaler präventiver Verantwortung zu erweitern. Auch im neuen Jahrtausend setzt sich die IPPNW für eine Welt ohne Atomwaffen ein, z.B. mit der ICAN-Kampagne – nicht nur, weil Atomwaffen Mittel zu grauenhafter Massenvernichtung sind, sondern auch weil sie als Symbole und Symptome für eine Weltordnung stehen, die weiter auf Gewaltandrohung und Krieg, Ungleichheit, rücksichtslose Ausbeutung natürlicher Ressourcen und Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen baut. In der Tradition Virchows ruft die IPPNW die Ärzteschaft auf, ihrer medizinischen und sozialen Verantwortung für das Überleben des Lebens auf dem Planeten und für Frieden durch Gesundheit gerecht zu werden. 30 Jahre nach Gründung der IPPNW stehen die Zeiger der Uhr der Atomic Scientists wieder auf 6 Minuten vor 12.

Friedensnobelpreis 1985 1985 erhielten die IPPNW, nunmehr 135   000 Ärzte und Medizinstudenten aus 41 nationalen Sektionen, den Friedensnobelpreis für „ihren bedeutsamen Dienst an der Menschheit durch Verbreitung verlässlicher Informationen und 31

Christian Jenssen c.jenssen@khmol.de


g elesen

Gesehen

Störfall Atomkraft

Gelber Kuchen

Wie ein roter Faden zieht sich die Verquickung von ziviler und militärischer Atomindustrie durch dieses informationsreiche, lesenswerte Buch.

Mit der Entlarvung der „Lüge von der sauberen Energie“ ist dem Dokumentarfilmer Jürgen Tschirner ein Rundumschlag gelungen.

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as beginnt im Vorwort von Franz Alt, setzt sich in der Einleitung der Herausgeber fort und wird daraufhin in beinah jedem Kapitel behandelt, z.B. „Szenarien atomarer Bedrohung“ oder „Gibt es eine zivile Nutzung ohne die Gefahr der Proliferation?“. Im Kapitel „Renaissance der Atomkraft – oder Offenbarungseid?“ ist überzeugend beschrieben, dass allein schon der Uranmangel jene „Renaissance“ unmöglich macht. In den Kapiteln über den radioaktiven Müll sind acht „Asse-Lügen“ und die unglaubliche Geschichte der Auswahl von Gorleben als Endlager detailliert und didaktisch hervorragend beschrieben. Gleiches gilt für das Kapitel über die Klimaschutz-Lüge. Abgerundet wird das Buch durch ein Interview mit einem AKW-Ingenieur.

uf der Suche nach dem Staub, der beim Uranbergbau entsteht und weder Nationalität noch Landesgrenzen kennt, muss der Film natürlich heraus in die weite Welt schweifen, wo der Stoff abgebaut wird. Dadurch rechtfertigt sich auch die mehrjährige Drehzeit, erklärt sich das hohe Budget. Wegen des wertenden Titels konnte die Gesinnung des Filmteams nicht ganz versteckt werden. Aber man bemüht sich auch der Balance wegen um Kontakt zum „Feind“; falls man jedoch dessen Interessen nachhaltig schädigen würde, würden auch die Dreharbeiten rapide beendet, die Drehgenehmigung entzogen. So wird die Arbeit ein wenig getarnt, man porträtiert und etabliert szenisch den Charakter der Sprengmeisterin in der Rössing-Mine in Namibia, die durch ihre Arbeit herausragende Weiterbildungs-Maßnahmen genießen kann, dank gesetzlicher Frauenquote; man porträtiert die gezeichnet wirkenden Einwohner von Uranium City, im einsamen Nordwesten Kanadas. Was im Einzelnen irgendwie harmlos aussehen kann, erlangt letztendlich doch durch die Zusammenstellung der Szenen Schärfe.

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rotz der ernsten Themen blitzt immer wieder sarkastischer Humor auf, der das Lesen vergnüglich macht, z.B. bei den gewundenen Antworten der Bundesregierung auf die Frage, woher denn das Uran für die deutschen AKWs stammt, oder bei der grotesken Behauptung aus dem Wirtschaftsministerium, Uran sei „quasi ein heimischer Energierohstoff“ und schließlich auch bei der Darstellung der KiKK-Studie mit der „skurrilen“ Behauptung der KiKK-Autoren, die erhöhten Kinderkrebsraten könnten nicht mit den radioaktiven Emissionen erklärt werden, weil das heutige strahlenbiologische Wissen damit nicht vereinbar sei: „Wen erinnert das nicht an die unumstößliche Vorstellung, die Erde sei eine Scheibe?“

E

ine kanadische Journalistin, gefragt nach ihrer subjektiven Sicht in Bezug auf die Nuklearindustrie und ihre Methoden, fasst es ein wenig zynisch sinngemäß so zusammen: Da die Industrie – wenn sie wolle – alle Möglichkeiten habe, Wissenschaft und Berichterstattung zu kontrollieren, brauche man in diesem Bereich nicht auf Fortschritt oder revolutionäre Ergebnisse zu hoffen.

Alle Aussagen in diesem Buch sind durch Quellenangaben belegt. Mehrfach wird auch die IPPNW zitiert, insbesondere die Recherchen von Henrik Paulitz. Alles in allem ist „Störfall Atomkraft“ ein engagiertes, sehr aktuelles Buch, eine wahre Fundgrube mit Detailwissen zu allem, was mit Atomenergie zu tun hat – vom Uranbergbau bis zum Dilemma der unlösbaren Endlagerung des strahlenden Mülls. Einziger Kritikpunkt: Die Texte scheinen nicht sehr sorgfältig Korrektur gelesen worden zu sein, denn man findet relativ viele orthografische und kleine grammatische Fehler. Winfrid Eisenberg

Ist das eine wertfreie Beschreibung eines Subsystems, das nur genau so funktioniert, wie es einst bezweckt wurde? Oder vielmehr eine Anklage an dieses System, dass es nicht das ist, was es sein sollte – aber nicht sein kann? Beide Beschreibungen könnten zutreffen, sie sind nicht nur aus nuklearen Bereichen bekannt und beschrieben. Wann wird man diese Fatalität endlich aufbrechen?

K.-W. Koch, A. Schneider, R. Thomas Kappler (Hrsg.): „Störfall Atomkraft, Aktuelle Argumente zum Ausstieg aus der Kernenergie“, Verlag für Akademische Schriften, 19,80 Euro

Malte Andre www.yellowcake-derfilm.de 32


g elesen

Termine januar

100 % jetzt Mit seinem Buch „Der energEthische Imperativ“ hat Hermann Scheer, ohne es zu ahnen, sein Vermächtnis geschrieben.

21.-22.1. 8. Strategiekonferenz der Kooperation für den Frieden; „Kriegsgefahren im Nahen und Mittleren Osten – unsere Handlungsmöglichkeiten für Frieden“, Hannover, Pavillon Lister Meile 4

februar

D

as Buch ist gut zu lesen. Es fängt mit vielen „100 % Erneuerbaren Energien Studien“ an, bringt viele Informationen für die Praxis der Durchsetzung der Erneuerbaren und schließt mit den Worten: Der EnergEthische Imperativ bedeutet: Ultimative Beschleunigung. Das heißt, wir müssen jetzt große Anstrengungen unternehmen, denn je später wir anfangen, desto teurer und schwieriger wird es: fossil vor allem wegen des Klimas, nuklear wegen unverantwortbarer Risiken, die wir ja nur zu gut kennen. Die Erneuerbaren Energien bedeuten eine deutliche Zunahme unserer Lebensqualität, einen Rückgang der Vergiftung der Erde und durch den hohen Energieüberschuss der Erneuerbaren eine langfristige Lösung des Rohstoffproblems.

W

ie schnell geht es? Laut DeLucci und Jacobsen sind 20 Jahre weltweit erforderlich, Hermann Scheer schätzt 25 Jahre in Europa. Beschleunigend wirken würde eine realistische, hoffentlich bald weltweite Schadstoffabgabe, die die fossilen und nuklearen Energien völlig unattraktiv machen würde. Die Erneuerbaren Energien bieten die Chance auf eine friedlichere Zukunft ohne Ressourcenkriege. Eurosolar schlägt in einem Memorandum die Autobahn A7 als „Energieallee“ vor, die mit 5MW Windkraftwerken bestückt 2,2 % der Stromenergie produzieren würde – ich würde die Allee „Hermann Scheer - Allee“ nennen. Zudem bietet sich die Aufstellung von Windrädern und Solarmodulen an allen geeigneten Autobahnen und Bundesbahnlinien an. Mich freut die Vorstellung, dass Deutschland mit dem EEG einen bedeutenden Anstoß für die weltweite Versorgung mit 100 % Erneuerbaren Energien gemacht hat. Sehens- und hörenswert ist eine Grundsatzrede von Hermann Scheer vom 30.9.10: www.rosalux.de/shorturl/power-to-the-people Helmut Käss

Hermann Scheer: „Der energEthische Imperativ. 100 % jetzt: Wie der vollständige Wechsel zu erneuerbaren Energien zu realisieren ist“, Kunstmann, 19.90 EUR

Impressum und Bildnachweis Herausgeber: Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW) Sektion Deutschland Redaktion: Sabine Farrouh (V.i.S.d.P.), Angelika Wilmen, Anne Tritschler Freie Mitarbeit: Ulla Gorges, Xanthe Hall, Ewald Feige, Jens-Peter Steffen, Frank Uhe, Pia Heuer, Aram Wegerhoff Anschrift der Redaktion: IPPNWforum, Körtestraße 10, 10967 Berlin, Telefon: 030 / 69 80 74 0, Fax 030 / 693 81 66 E-mail: ippnw@ippnw.de, www.ippnw.de Bankverbindung: Bank für Sozialwirtschaft, Konto 22 22 210, BLZ 100 205 00 Erscheint 4 mal im Jahr. Der Bezugspreis für Mitglieder ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Sämtliche namentlich ge-

zeichneten Artikel entsprechen nicht unbedingt der Meinung der Redaktion oder des Herausgebers. Nachdrucke bedürfen der schriftlichen Genehmigung. Redaktionsschluss für das nächste Heft: 1. Februar 2011 Gestaltungskonzept: www.buerobock.de Layout: Anne Tritschler; Druck: H&P Druck Berlin; Papier: PlanoArt, Recycling FSC Titel: Nancy Yang/DGHI S6 Afghanistan, ICRC S7 Sarkozy+Cameron, Flash News Today; nuclear banks, urgewald; E-Card, telematik S26 Grafik, Enrica Hölzinger S32/33 Cover von Verlag für akad. Schriften, Yellow Cake, Kunstmann S33/ U4 Tschernobyl, Detlev Jech Alle nicht gekennzeichneten: privat oder IPPNW

33

19.-20.2. Venro-Tagung Afghanistan, Hannover 20.2. Friedensfilmpreisverleihung, Kino Babylon, Berlin, 17 Uhr

märz 11.3. Öffentliche Veranstaltung mit Horst-Eberhard Richter und Götz Neuneck im Rahmen des IPPNWJahrestreffens, Ev. Matthäuskirche, Frankfurt, 20 Uhr 13.3. Öffentliche Veranstaltung „Eskalationsgefahr im Nahen Osten“, Ev. Matthäuskirche, Frankfurt 25.-26.3. 25 Jahre nach Tschernobyl: Atomwaffen und Atomenergie gemeinsam abschaffen, DGB-Haus München

april 5.-10.4. Wissenschaftssymposium und IPPNW-Kongress „25 Jahre Tschernobyl“, siehe Rückseite 26.4. IPPNW-Benefizkonzert Informationen und Kontaktdaten: www.ippnw.de/aktiv-werden/termine

geplant Das nächste Heft erscheint Ende Februar 2011 mit dem Schwerpunkt:

25 Jahre Tschernobyl Das forum lebt von Ihren Beiträgen, Vorschlägen und Ideen. Schreiben Sie uns! tritschler@ippnw.de


g efragt

6 Fragen an ... Elias Bierdel Ehemaliger Vorsitzender der Cap Anamur, der 37 afrikanische Flüchtlinge aus Seenot gerettet und nach Sizilien gebracht hat.

1

4

Am 20. November haben Sie den »Blue Planet Award« der Stiftung Ethecon für ihr andauerndes Engagement in der Organisation „Borderline Europe“ erhalten. Was ist das für eine Organisation?

Sie haben selber im Norden Griechenlands gelebt, kennen also die Evros-Grenze, an der Frontex jetzt aktiv ist. Was macht sie für Flüchtlinge so attraktiv? Man kommt dort im sumpfigen Gelände relativ gefahrlos durch die Flussmäander - wenn man mit dem Boot nicht kentert. Weit gefährlicher ist es ein Stück südlicher. Dort liegen in Flussnähe hunderttausende Landminen. Viele Flüchtlinge sind bereits verstümmelt worden oder gestorben.

Wir beobachten und dokumentieren die schreckliche Tatsache, dass an den Grenzen Europas Jahr für Jahr Tausende von Menschen den Tod finden. Sie verschwinden da draußen rund um unsere Wohlstandsfestung, und wir bilden uns ein, wir müssten sie nicht einmal zur Kenntnis nehmen. Auch die Medien.

5

Kann der Frontex-Einsatz die Situation in den völlig überfüllten griechischen Auffanglagern denn überhaupt verbessern?

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Anfang November hat der Frontex-Einsatz an der türkisch-griechischen Grenze begonnen. Die EU hat eine schnelle Eingreiftruppe entsendet. Ist diese Entsendung Ausdruck eines insgesamt härteren Umgangs der EU mit Flüchtlingen?

Nein, denn die Rolle von Frontex ist lediglich eine der Perfektionierung technischer Maßnahmen an der Grenze selbst. Den Flüchtlingen in den Lagern könnte nur helfen, wenn sich Europa mit Griechenland solidarisch erklären würde. Wenn andere EUStaaten prinzipiell bereit wären, Asylwerber aus den Staaten mit EU-Außengrenzen nach Quoten bei sich aufzunehmen. Doch das zeichnet sich derzeit nicht ab.

In Hinblick auf künftige Entwicklungen ja. Denn es stehen erstmals EU-Beamte mit Waffen im Abwehrkampf gegen Flüchtlinge an der Grenze. Sie versuchen, diese davon abzuhalten, Europa zu betreten. Das beobachten wir mit Sorge. Weil es – vorerst symbolisch – ausdrückt, dass derlei Abwehr künftig wohl weiter intensiviert werden soll.

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Am Evros soll die „Frontex-Eingreiftruppe“ den Flüchtlingsansturm bewältigen helfen. Kann das gelingen?

Wohin entwickelt sich die europäische Flüchtlingspolitik?

Hin zu einer Politik der Exterritorialisierung, was heuchlerisch und gefährlich ist. Da mutiert ein Diktator wie Libyens Muammar al-Gaddhafi durch bilaterale Verträge mit Italien zu einer Art Menschenrechtsbeauftragter Europas. Man schickt Flüchtlinge nach Libyen zurück, obwohl man aus den libyschen Flüchtlingslagern Schreckliches hört. Ähnliches droht auch in Griechenland, wenn man die Menschen, die kommen, von dort in die Türkei und noch weiter zurückschiebt.

Von einem Flüchtlingsansturm kann nicht die Rede sein. Auf ganz Europa bezogen ist die Zahl Ankommender seit Jahren nicht gestiegen – nur ist der Schauplatz eben jetzt ein anderer. 2007 und 2008 wurde vor Lampedusa menschenrechts- und völkerrechtswidrig abgeriegelt, jetzt hat sich das Geschehen an den Evros verlagert. Denn nach wie vor hat Europa keine Konzepte für Zuwanderung und Asyl. Vielmehr versteift es sich darauf, diese Themen als reine Sicherheitsprobleme zu sehen. 34


anzeigen

Charité – Institute for Social Medicine, Epidemiology and Health Economics und die Deutsche Sektion der IPPNW laden ein zur

  

Summer School

Global Health

Gesundheit in Zeiten der Globalisierung vom 18. bis 25. September 2011 in Berlin • Rahmenbedingungen von Global Health (Akteure, Governance, Steuerung) • Soziale, politische, ökologische und ökonomische Determinanten für fehlende Gesundheit • Strategien und Lösungsansätze für eine Gesundheit für alle. Primary Health Care. Peace through Health. Aiming for Prevention. Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten.

www.ippnw.de/soziale-verantwortung/summerschool Teilnehmen können Studierende der Sozial- und Gesundheitswissenschaften sowie junge Ärztinnen und Ärzte. Die Teilnehmerzahl ist auf 25 begrenzt.


25 JAHRE TSCHERNOBYLl Benefizkonzertl Di, 26.04.2011 | 20:00 Uhr | Philharmonie Berlinl Streicher der Berliner Philharmoniker: Dmitri Schostakowitsch, Kammersinfonie op. 110al Therese Affolter und Christian Brückner lesen Texte von Swetlana Alexijewitsch, Till Bastian,l Roland Scholz, Günther Anders u.a.l Credo Chor, Kiew | Bogdan Plish, Ukrainische und russische Chorsätzel Staatskapelle Berlin | Andrey Boreyko, Peter Iljitsch Tschaikowsky, Sinfonie Nr. 6 h-Moll „Pathétique“l Eine gemeinsame Veranstaltung der Stiftung Berliner Philharmoniker, Staatskapelle Berlin und IPPNW-Concertsl zugunsten der „Kinder von Tschernobyl-Stiftung des Landes Niedersachsen“ und „Heim-statt Tschernobyl e.V.“l Karten zum Preis von Euro 15 bis 53, Tel. 030 254 88 999 (tägl. 9 bis 18 Uhr)l Kasse der Philharmonie: Mo-Fr 15 bis 18 Uhr, Sa/So und Feiertage 11 bis 14 Uhrl www.berliner-philharmoniker.del


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