Fuß einer 14-jährigen Iranerin: Weil sie geschminkt durch die Stadt lief, legten ihr die Revolutionsgarden Zehenschrauben an. Zwei Zehen wurden durch die Kompression zerstört. Das Bild entstand kurz nach Beginn der Iranischen Revolution im Jahr 1979. © Hermann Vogel
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das magazin der ippnw nr132 dez12 3,50€ internationale ärzte für die verhütung des atomkrieges – ärzte in sozialer verantwortung
- Syrien: Dem Frieden eine chance - Fukushima: Das Schweigen brechen - 6 Fragen an Peter herby
Zwischen Spurensuche & Prävention: Wie Mediziner Folteropfern helfen und dazu beitragen können, Folter zu verhindern
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EDItOrIAL Susanne Grabenhorst ist Ärztin für Psychiatrie/ Psychotherapie und Vorstandsmitglied der IPPNW.
„Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in der Welt“, schreibt der österreichische Schriftsteller und Auschwitz-Häftling Jean Améry.
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Bild: Banksy
as Erschrecken darüber, was sich im Nationalsozialismus als menschenmöglich gezeigt hat, wurde zum Auslöser für die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UNO 1948 und zur Hoffnung auf ein neues Zeitalter der Menschenrechte. Doch diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Folter wird weiter in mindestens 100 Staaten verübt, sowohl in totalitären wie auch in demokratisch verfassten. In den letzten Jahren gab es immer wieder Berichte über die Methoden der „enhanced interrogations“ in US-Militärgefängnissen wie Guantánamo, die von „health professionals“ mit entwickelt und begleitet wurden. „Erfolgreich“ im Sinne von Informationsgewinnung und Erpressung von Geständnissen kann Folter nur sein, wenn der/die Gefolterte nicht gleich seinen/ihren Verletzungen erliegt und wenn sie so lange fortgesetzt werden kann, bis ihr Zweck erreicht ist. Dafür brauchen Folterer die Mithilfe von Ärzten oder Ärztinnen, denn eine Folter ohne das Wissen um die Funktion eines Organismus, über die Grenzen seiner Belastbarkeit, um die Wirkung von Medikamenten ist viel weniger zielführend. Mediziner/innen stellen fest, ob ein Gefangener „folterfähig“ ist oder nicht, sie können durch ihre Anwesenheit den Anschein von Ordnungsmäßigkeit erwecken und die Folterknechte gewissermaßen von ihrer Schuld entlasten. Psychiater/innen und Psycholog/innen können sich dazu hergeben, die Methoden zu verfeinern, um Menschen zu brechen.
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uf der anderen Seite gibt es aber auch sehr viele Angehörige von Gesundheitsberufen, die oftmals unter großem persönlichen Risiko versuchen, Folter zu verhindern und die Verletzungen zu heilen oder zu lindern. So berichtet Dörte Dahlke in dieser Ausgabe über die Arbeit von Salah Ahmad im Kirkuk-Center für Folteropfer im Irak, und Hans-Wolfgang Gierlichs gibt einen Einblick in das Schicksal eines seiner Patienten. Während die Folterverletzungen bei dem kurdischen Patienten von Hans-Wolfgang Gierlichs bei der Ankunft in Deutschland noch sichtbar waren, werden die Methoden der Folterer immer subtiler. Rainer Mausfeld schreibt über Folter, die keine Spuren hinterlässt, die sogenannte „Weiße Folter“. Wie Ärzte zur Folterprävention beitragen können, beschreibt Frank Uhe in seinem Artikel. Die Verhinderung von Folter und die Behandlung ihrer Folgen sind unverzichtbare Beiträge für eine Kultur des Friedens. Susanne Grabenhorst 3
inhalt Syrien: Anhänger der gewaltfreien Opposition zu Gast in Berlin
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Themen Atomfrei über dem Bodensee........................................................................8 Das Schweigen brechen................................................................................ 10 Mit Musik seelische Wunden heilen..................................................... 11 Wie weiter in Afghanistan?. ........................................................................ 12 Musikalischer Protest gegen Kleinwaffen.......................................... 14 Das Nukleartabu................................................................................................ 15 Dem Frieden eine Chance........................................................................... 16 Warum Iran nicht auf eine Atombombe aus ist. ............................ 17
Folter: Wie Ärzte helfen können
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Schwerpunkt Gebrochen............................................................................................................. 18 Prävention von Folter...................................................................................... 20 Folteropfer in Deutschland......................................................................... 22 Schreie und Schüsse...................................................................................... 23 Die juristische Perspektive. ........................................................................ 24 Zurück ins Leben.............................................................................................. 26 Folter ohne Spuren.......................................................................................... 28
Welt Iran: Austausch statt Isolation
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Austausch statt Isolation. ............................................................................ 30
Rubriken Editorial......................................................................................................................3 Meinung......................................................................................................................5 Nachrichten..............................................................................................................6 Aktion....................................................................................................................... 31 Gelesen, Gesehen............................................................................................. 32 Gedruckt, Geplant, Termine....................................................................... 33 Gefragt..................................................................................................................... 34 Impressum/Bildnachweis............................................................................. 33
Meinung
Sabine Farrouh ist Anästhesistin & Palliativmedizinerin und im Vorstand der IPPNW Deutschland.
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Wie ernst ist der israelischen Regierung der Schutz ihrer Bevölkerung vor dem palästinensischen Raketenbeschuss? Inzwischen mehren sich in Israel Stimmen, die der NetanjahuRegierung vorwerfen, mit falschen Karten zu spielen.
ershon Baskin, Vorsitzender des israelisch-palästinensischen Zentrums für Forschung und Information, enthüllte in einem Artikel in „Haaretz“, dass Hamas-Führer Dschabari, der jetzt als Massenmörder dargestellt wird, ein „Subunternehmer Israels“ war. Er war derjenige, an den man sich in Israel gewendet hat, wenn es darum ging, die Gewalt im Gazastreifen unter Kontrolle zu behalten, er war es, der an den Verhandlungen eines langfristigen Waffenstillstands zwischen Israel und Hamas beteiligt war. Im Gegensatz zur israelischen Propaganda versichert Baskin, dass ausgerechnet dieser Hamas-Führer für die Raketenangriffe der letzten Monate nicht nur nicht verantwortlich war, sondern sogar seine Truppen in Marsch gesetzt hatte, um die Raketenabschüsse anderer Gruppen zu unterbinden.
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arum wurde dieser Mann jetzt liquidiert? Musste er wegen seiner Verhandlungsbereitschaft sterben, fragt Baskin mittlerweile unverblümt. Sein Verdacht, der von anderen wie z. B. Uri Avnery geteilt wird: Netanyahu führt mit der Militäraktion Wahlkampf. Da müssen die Feindbilder passen, da kann es nicht sein, dass der Erzfeind Hamas praktikable Lösungsvorschläge schafft. Am 22. Januar sind Neuwahlen und Premierminister Netanjahu hat mit dieser Aktion die Chance, sich als Staatsoberhaupt darzustellen, der Härte gegenüber der Hamas zeigt. Damit entspricht er den Wünschen weiter Teile der israelischen Bevölkerung. Nach Aussage von Nahost-Experte Michael Lüders steht dem Wahlsieg von Netanjahu jetzt kaum noch etwas im Wege. Dieser ist aber in Hinblick auf die Region sehr kurzsichtig. Das Palästinaproblem ist nicht mit Gewalt zu lösen. Der Gazastreifen ist ein riesiges Freiluft-Gefängnis. Laut UN wird er 2025 aus ökologischen Gründen nicht mehr bewohnbar sein: Überbevölkerung, ausgelaugte Böden, Landwirtschaft ist kaum noch möglich. Eine katastrophale Situation – und die Menschen dort haben keine Perspektive auf Besserung. Dem Völkerrecht nach trägt Israel als die de facto Besatzungsmacht, die Verantwortung für den Gazastreifen. Insofern sollten Israel auch die Lebensbedingungen der Palästinenser so gestalten, dass diese eine Perspektive haben. Die Hamas ist dort nicht deswegen so stark, weil die Bewohner der islamistischen Ideologie so nahe stünden. Es ist v. a. Verzweiflung, der Ausdruck völliger Perspektivlosigkeit. Ich werde immer wieder gefragt: „Was soll Israel denn tun, um die Sicherheit seiner Bevölkerung zu gewährleisten?“ Die Antwort ist einfach: Die Besatzung beenden und den Palästinensern ein Leben in Freiheit und Würde ermöglichen.
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NAchrIchtEN
Nahost-Konferenz auf unbestimmte Zeit verschoben
WHO soll Ausmaß der gesundheitlichen Folgen untersuchen
Werner Strahl ist neuer Vorsitzender von Cap Anamur
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ie geplante Konferenz zur Etablierung einer Zone frei von Massenvernichtungswaffen im Nahen und Mittleren Osten wird auf unbefristete Zeit verschoben. Sie sollte Mitte Dezember in Helsinki stattfinden. Bei der Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages für Atomwaffen 2010 wurde ein Paket von Maßnahmen verabschiedet, eine davon war die Staatskonferenz in Helsinki. Die zivilgesellschaftliche Konferenz „Mittlerer Osten ohne Massenvernichtungswaffen“ dagegen findet vom 14. - 16. Dezember wie geplant in Helsinki statt. Delegierte aus dem Nahen und Mittleren Osten und Europa werden sich treffen, um über eine Strategie zu sprechen, wie zivilgesellschaftlich Druck ausgeübt werden kann für eine Zone frei von Massenvernichtungswaffen in der Region. VertreterInnen der Kampagne „atomwaffenfrei.jetzt“ nehmen an der Konferenz teil. Die Kampagne zielt auf einen allgemeinen Vertrag zur Abschaffung aller Atomwaffen. „Mit der Verschiebung der Konferenz ist die Hürde auf dem Weg zur atomwaffenfreien Welt noch höher geworden. Man kann sogar von einer Blockade sprechen. Der Konflikt über Atomwaffen im Nahen und Mittleren Osten ist ein neuralgischer Punkt für die weltweite Abschaffung aller Atomwaffen, und eine Bearbeitung dieses Konflikts ist für die weitere Abrüstung unerlässlich“, so Xanthe Hall, Abrüstungsreferentin der IPPNW. Weitere Infos zur NGO-Konferenz: www.kurzlink.de/civil-society-conf
ie deutsche Sektion der IPPNW hat Anfang November in einem Brief an die Weltgesundheitsorganisation appelliert, die medizinische Forschung über die Gesundheitsfolgen der atomaren Katastrophe von Fukushima erheblich auszuweiten. Die von UNSCEAR für 2013 geplante Studie soll ausschließlich grobe Abschätzungen verschiedener japanischer und internationaler Experten berücksichtigen, aus denen dann die zu erwartenden Gesundheitseffekte theoretisch abgeleitet werden. Dringend notwendig seien jedoch unabhängige epidemiologische Studien sowie die baldige Einrichtung eines umfassenden Registers, in dem alle Menschen erfasst werden, die aufgrund der Katastrophe von Fukushima vermutlich mehr als 1 Millisievert Strahlung durch unterschiedliche Quellen ausgesetzt waren. „Diese Studien dürfen nicht auf das Schilddrüsen-Screening der Kinder begrenzt werden, sondern müssen umfangreiche Untersuchungsdaten auch für andere mögliche Erkrankungen, wie sie nach der Tschernobylkatastrophe beobachtet wurden, umfassen“, heißt es in dem Brief. Insbesondere sollte systematisch nach Fehlbildungen, Totgeburten, Fehlgeburten und nach dem Phänomen der „verlorenen Mädchen“ geforscht werden, da diese Auswirkungen auf die reproduktive Gesundheit in den verstrahlten Gebieten von vielen europäischen Ländern gefunden wurden.
r. Werner Strahl, langjähriges IPPNWMitglied, ist im September zum Vorsitzenden der Hilfsorganisation „Cap Anamur – Deutsche Not-Ärzte e.V.“ gewählt worden. Der 68-jährige Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin sowie Neurochirurgie ist seit 33 Jahren in der Hilfsorganisation aktiv – seit ihrer Gründung 1979. „Ich fühlte mich als Mediziner schon immer zu internationaler Hilfe verpflichtet“, sagt Strahl. Sechs Jahre lang war er Schatzmeister von Cap Anamur, seit 2006 gehört er zum Vorstand. Nun löst er die langjährige Vorsitzende Dr. Edith Fischnaller in ihrem Amt ab. Strahl hatte in den letzten drei Jahrzehnten bei zahlreichen Einsätzen von Cap Anamur geholfen. Auch in der IPPNW ist er seit mehr als 25 Jahren aktives Mitglied. Für den weltweiten Atomausstieg einzutreten sieht er als seine ärztliche Pflicht zum Schutz der menschlichen Gesundheit. Hilfseinsätze führten den Kinderarzt mehrmals ins Ausland, zum Beispiel nach Somalia und Indonesien – auch noch, als er bereits seine eigene Praxis im Essener Stadtteil Werden leitete. 2010 gab er diese nach 25 Jahren auf, denkt aber nicht daran im Ruhestand in Tatenlosigkeit zu verfallen. Seit einem Jahr betreut Werner Strahl mit Cap Anamur ein Kinderkrankenhaus in Sierra Leone. Auch müssen für die Zukunft wichtige Entscheidungen getroffen werden, zum Beispiel über die Aufnahme neuer Projekte, wie aktuell die Nothilfe für Flüchtlinge und Verletzte in Syrien.
Den Brief finden Sie unter: www.kurzlink.de/who-brief
Mehr zur Organisation „Cap Anamur“: www.cap-anamur.org
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NAchrIchtEN
Kooperation für den Frieden feiert Zehnjähriges
Geheimsache Katastrophenschutz
Neue Studie: Uranwaffen müssen geächtet werden
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Zu den Höhepunkten des Jahres gehörte die gemeinsame Anzeigenaktion für „Friedens- statt Kriegspolitik im Irankonflikt“ und die Fortsetzung der Dossier-Reihe zu Syrien und Iran. Mitorganisiert hat das Bündnis auch den Bonner Kongress zu den Möglichkeiten eines Friedens in Afghanistan mit zahlreichen afghanischen Exilanten und Gästen aus dem Land.
nlässlich der Herbsttagung der Innenministerkonferenz in RostockWarnemünde hat sich die IPPNW in einem Offenen Brief an alle Innenminister gewendet. Der Katastrophenschutz für Atomkraftwerke sei veraltet und zu kleinräumig. Laut einer Studie des Bundesamts für Strahlenschutz würden Gebiete bis zu 170 Kilometer verstrahlt. Evakuierungspläne existierten aber nur bis 25 Kilometer. Bei über Tage und Wochen anhaltenden Belastungen seien zudem wechselnde Windrichtungen wahrscheinlich, die die Kontamination in verschiedene Richtungen verteilten. Zügige Evakuierungsmaßnahmen würden so in vielen Regionen gleichzeitig erforderlich. Die IPPNW befürchtet, dass die Behörden nicht in der Lage wären, die erforderlichen Evakuierungen schnell durchzuführen.
Prof. Andreas Buro präsentierte der Runde einen komprimierten Denkanstoß unter dem Titel „Friedensperspektiven in einer gewaltbereiten Welt“. Angesichts der weltweiten Verschiebung der Machtverhältnisse durch einen auf Wachstum fußenden Kapitalismus liegt für ihn die Aufgabe der Friedensbewegung in der Demontage der herrschenden Legitimationsstrategien der Militarisierung und in der Rückeroberung des Begriffs der Sicherheit. Eine engagierte Debatte löste seine These aus, dass für ihn die „Alt-Begriffe“ Militarismus und Imperialismus die Qualität der zu beobachtenden Veränderungen nicht mehr erfassen könne.
Eine „Stabsübung“ zum Schutz vor einer Katastrophe im niedersächsischen Atomkraftwerk Grohnde lief im November unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab. Auf einer Pressekonferenz der beteiligten Behörden wurde IPPNW-Ärztin Angelika Claußen als Beobachterin nicht zugelassen. „Man will den Bevölkerungsschutz ohne Bevölkerung organisieren“, beschwerte sich Tobias Darge, Sprecher der Regionalkonferenz „Grohnde abschalten“. Mitarbeiter der Kreise Hameln-Pyrmont und Holzminden, von Polizei und Hilfsdiensten hatten einen GAU in Grohnde durchgespielt und das richtige Verhalten bei Alarmierung, Evakuierungen und Rettungseinsätzen geprobt.
Mehr unter: www.koop-frieden.de
Mehr unter: www.kurzlink.de/katastrophenschutz
uf der Mitgliederversammlung der Kooperation wurden Susanne Grabenhorst und Jens-Peter Steffen von der IPPNW als SprecherInnen bestätigt. Gemeinsam mit Renate Wanie und Philipp Ingenleuf koordinieren sie den Zusammenschluss von 57 Initiativen aus der Friedensbewegung, der einer besseren Vernetzung und Kommunikation miteinander dient.
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ie gesundheitlichen Schädigungen durch Uranmunition für Zivilbevölkerung, Soldaten und Umwelt sind so gravierend, dass diese international geächtet werden muss. Zu diesem Ergebnis kommt der Report „Die gesundheitlichen Folgen von Uranmunition – Die gesellschaftliche Debatte um den Einsatz einer umstrittenen Waffe“ der IPPNW in Zusammenarbeit mit der International Coalition to Ban Uranium Weapons (ICBUW). Abgereichertes Uran entsteht bei der Anreicherung von Kernbrennstoff für Atomkraftwerke und von waffenfähigem Uran für Atombomben. Bei der Explosion dieser Munition bildet sich ein Aerosol mit Partikelgrößen im Nano-Bereich. Diese Partikel gelangen durch Einatmen, durch Aufnahme mit dem Wasser oder Nahrungsmitteln, aber auch über Wunden in den menschlichen Körper. Im Blut gelöste Uranpartikel werden in wenigen Tagen über die Nieren ausgeschieden, aber im Skelett eingelagerte Partikel liegen dort jahrelang und bestrahlen die umliegenden Zellen mit AlphaTeilchen. Das verursacht Knochentumore und Leukämie. Eingeatmete Uranpartikel werden in der Lunge abgekapselt oder in regionale Lymphknoten transportiert, wo sie dauerhaft verbleiben und Krebs erzeugen können. In den Gesundheitsteil des Reports haben die Ergebnisse von über 100 wissenschaftlichen Arbeiten Eingang gefunden.
Die Studie finden Sie unter: www.kurzlink.de/uranmunition
ATOMENERGIE
Atomfrei über dem Bodensee Die Verleihung des Nuclear-Free Future Award 2012 – diesmal im Schweizer Höhenkurort Heiden
„Wir kämpfen gegen Millionen Euro und Millionen Tonnen Abraum. Vor allem aber kämpfen wir für eine Zukunft, die nicht strahlt.“
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ie Nagasaki-Glocke rief zur Preisverleihung. Eine Partnerschaft mit Nagasaki hatte dem Ausserrhoder Kurort in den Appenzeller Bergen 2011 die Replik jener Glocke beschert, die den Bombenabwurf am 9. August 1945 unbeschadet überstanden hatte. Die Nagasaki-Glocke in Heiden hängt vor dem Henry Dunant Museum (Dunant war der Gründer des Roten Kreuzes und lebte bis zu seinem Tod in Heiden) und wird nur bei besonderen Anlässen zum Klingen gebracht. Der Nuclear-Free Future Award war ein solcher Anlass. Dem gemeinsamen Leuten der japanischen Friedensglocke war das eintägige Symposium „Atomfrei denken!“ voraus gegangen. Die Vortragsthemen reichten von den weltweiten Gefahren durch Uranmunition über den rücksichtslosen Uranabbau in Afrika durch den französischen Konzern Areva bis zur Vision eines atomfreien Europas. Federführung des Programms hatte die Schweizer Sektion von IPPNW/PSR, die neben der deutschen Sektion auch Partner des Nuclear-Free Future Award war. Finanzieller Hauptunterstützer war der lokale Verein „DUNANT 2012 plus“, dessen Initiative es auch zu verdanken ist, dass das Henry Dunant Museum seinen Radius auf die Thematik des Atomkriegs erweitert hat. So kam die Glocke zum 100. Todestag des Rotkreuzgründers nach Heiden. Im Kursaal wurden die Preisträger von einem Hackbrett-Stakkato des Trios „Anderscht“ begrüßt. Dann sprach die PolitProminenz: Landammann Hans Diem
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© Orla Connolly
(SVP) überbrachte Grüße der Appenzeller Regierung und Hans Altherr (FDP), der für den Kanton Appenzell Ausserrhoden im Ständerat sitzt und die kleine Kammer zurzeit präsidiert, nannte als Schweizer Ziel eine atomfreie Zukunft. Vor Fukushima, so schrieb die Wochenzeitung WOZ, „hätte es diese Veranstaltung so nicht gegeben“. Die Veranstaltung wurde von den Schweizer Medien geschnitten, WOZ und „St. Galler Tagblatt“ waren die beiden einzigen Zeitungen, die berichteten.
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ie Preisträger und Preisträgerinnen kamen aus Portugal, Japan, Frankreich, Deutschland und der Schweiz und stellten damit einen repräsentativen Ausschnitt aus der atomaren Weltkarte dar. Die drei ersten Preise sind mit je 5.000 US-Dollar dotiert, die zwei Ehrenpreise sind Werke wechselnder Künstler, diesmal von Sabine Stellmann und Georg GauppBerghausen. In der Kategorie „Widerstand“ ging der Preis an Gabriela Tsukamoto, Bürgermeisterin aus dem malerischen Dorf Nisa in der portugiesischen Nordost-Provinz Alentejo. In ihrer Dankesrede schilderte sie ihre Heimat: eine Welt der Korkeichen, Oliven- und Orangenhaine, berühmt für Töpferwaren, Käse, Wurst und Heilquellen. Und nicht weit davon: das größte, noch nicht gehobene Uranvorkommen Portugals, 43 Millionen Euro geschätzter Wert. Dazu muss man wissen – und das taten die wenigsten –, dass Portugal neben der DDR über Jahrzehnte zu den bedeutendsten Uranlieferanten Europas zählte. Gabriela Tsuakomto, die den Award zusammen mit der Widerstandsorganisation
MUNN (Movimento Uranio em Nisa Nao) erhielt, widmete den Preis ihrem Ehemann Junichi Tsukamoto, der wiederum alle Opfer von Fukushima in die Widmung einschloss. Auch nach 2013, wenn nach zwölf Jahren das Ende ihrer Amtszeit als Bürgermeisterin erreicht ist, wird sie sich weiter engagieren: „Wir kämpfen gegen Millionen Euro und Millionen Tonnen Abraum. Vor allem aber kämpfen wir für eine Zukunft, die nicht strahlt.“ Der Preis für „Aufklärung“ wurde der japanischen Ärztin und Aktivistin Katsumi Furitsu aus Osaka überreicht. Seit Jahrzehnten (1992 sprach sie auf dem „World Uranium Hearing“ in Salzburg) ist sie eine Kämpferin, die – ungleich der Mehrzahl ihrer japanischen Kollegen – die meisten radioaktiv verseuchten Orte der Welt aufgesucht hat und Kernwaffen und Kernkraft gleichermaßen ablehnt. Sie arbeitet mit den letzten Hibakusha (Überlebende von Hiroshima und Nagasaki) und reist seit der Katastrophe von Fukushima regelmäßig in die betroffenen Regionen, um die Bevölkerung aufzuklären.
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er Preis für Lösungen ging erstmals nach Frankreich: Yves Marignac leitet seit 2003 die Organisation „WISE Paris“ (World Information Service on Energy) und machte im letzten Jahr durch seine Gegenexpertise zu den Ergebnissen der AKW-Stresstests in Frankreich von sich reden. Er ist Co-Autor (mit Thierry Salomon und Marc Jedliczka) des „Manifeste Négawatt“, in dem detailliert aufgezeigt wird, wie die französische Energiewende bis zum Jahr 2050 vollzogen werden könnte.
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Für sein Lebenswerk wurde der Physiker Sebastian Pflugbeil ausgezeichnet. Er wuchs in der DDR auf, gehörte zum Neuen Forum und war Minister in der Übergangsregierung Modrow. In dieser Zeit bekam er geheime Dokumente zu fassen, die schließlich zur Schließung des VEB Kombinats „Kernkraftwerke Bruno Leuschner“ in Greifswald und des AKWs Rheinsberg führten. Heute ist er Mitherausgeber des unabhängigen „Strahlentelex“ und berät die AKW-Bewegung in Japan. In der Urkunde wird er als nimmermüder, nicht zu täuschender und unbestechlicher Detektiv bezeichnet.
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er Ehrenpreis „Besondere Anerkennung“ wird nicht regelmäßig vergeben. Er ging diesmal an die Chefredakteurin der Schweizer Wochenzeitung WOZ, Susan Boos. Mit ihren kontinuierlichen, kritischen Berichten zur Kernenergie und ihren Sachbüchern „Beherrschtes Entsetzen“, „Strahlende Schweiz“ und „Fuku shima lässt grüßen“ fällt sie in der Medienlandschaft auf. Susan Boos übernimmt als Berichterstatterin jene Verantwortung, die ihre Kollegen oft von sich weisen.
Claus Biegert ist Journalist und Initiator des „Nuclear Free Future Awards“.
Atomenergie
Seiichi Nakate
Als Japan am 11. März 2011 von einem der schlimmsten Erdbeben seiner Geschichte heimgesucht wurde, wohnte Seiichi Nakate noch in der Region Fukushima, wo er 1988 das „Netzwerk für den Atom-Ausstieg in Fuku shima“ mitbegründete. Im Mai 2011 rief er die Elterninitiative „Fukushima Netzwerk zum Schutz der Kinder vor Radioaktivität“ ins Leben. Nakate hielt sich im September u. a. auf Einladung der IPPNW in Berlin auf. In seinem Vortrag, den wir im Folgenden im Auszug veröffentlichen, kritisierte er die japanische Regierung scharf.
Das Schweigen brechen Japanischer Atomkraftgegner zu Besuch in Deutschland
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Mit mutigen Eltern gründeten wir das „Fukushima-Netzwerk zum Schutz der Kinder vor Radioaktivität“. Erst 10 Wochen nach der Katastrophe – am 27. Mai 2011 – hob die Regierung die neuen Richtlinien wieder auf und kehrte zu dem alten zulässigen Höchstwert von 1 mSv pro Jahr zurück. Nun endlich begannen auch die Massenmedien, die Rolle als Regierungsstimme aufzugeben. Nicht nur in Fukushima, auch im übrigen Japan wurde das Schweigen gebrochen: Überall in Japan gründeten sich Organisationen für Flüchtlinge und „Erholungs-Lager“. Mitte dieses Jahres hatten etwa 100.000 Eltern und Kinder die Präfektur Fukushima verlassen.
ür uns begann die Katastrophe mit dem Erdbeben: Es gab kein Telefon, kein Internet, kein Gas und keinen Strom, die Lebensmittel wurden knapp. Ich versuchte die ganze Nacht zu erfahren, wer von meinen Verwandten und Bekannten überlebt hatte. An der Küste war es wegen des Tsunamis noch schlimmer. Fernsehen und Radio berichteten über Hilfsaktionen. Und noch in derselben Nacht – bevor der erste Reaktor explodierte – gab es Hinweise, das Gebiet zu verlassen. Dann explodierte der dritte Reaktor, dann der vierte, und das Innere des zweiten Reaktors erlitt Schäden. Die Regierung evakuierte die Einwohner innerhalb einer 20 kmZone in das 80 km-Gebiet – also auch meinen Wohnort – der schon verseucht war. Wer die Gefährlichkeit der Radioaktivität kannte und den Mut hatte, floh weiter weg. Trotz Angst blieben viele. Ich habe meine Frau und die Kinder 700 km weit weg vom Atomkraftwerk evakuiert.
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s gelang uns nicht, den Evakuierungsbereich zu erweitern, es gilt immer noch die 20 km-Grenze. Kontrolle und Entscheidungskriterien sind weiterhin nicht unabhängig von den nationalen und internationalen Atomkraft-Organisationen. Und auch wenn der Geigerzähler Alarm schlägt, wenn Strahlendosis und Windrichtung Ort für Ort nun im Fernsehen gemeldet werden, im Buchladen Landkarten der kontaminierten Regionen im Regal liegen und im Lebensmittelladen Fotos vom Becquerel-Monitor stehen: Niemand spricht über Radioaktivität oder gar Evakuierung.
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ie Regierung, die Massenmedien und sogar die Ärzte schienen miteinander verschworen zu sein und propagierten eine sogenannte „Sicherheitskampagne“. Die Regierung erklärte: „Es besteht keine Lebensgefahr“, und „Bleiben Sie zuhause – außer wenn es unvermeidlich ist.“ Es gab in unserer Präfektur keinen Arzt, der die Gefährlichkeit der Situation ansprach – einige sprachen sogar von Ungefährlichkeit. Als Wortführer der sogenannten „Sicherheitskampagne“ wurde Prof. Yamashita nach Fukushima geschickt. Yamashita hält Vorträge mit Äußerungen wie diesen: „Jahresdosen von 100 Millisievert sind unbedenklich. Die Kinder können ohne Probleme draußen spielen.“, und: „Strahlenschäden kommen nicht zu Menschen, die glücklich sind und lächeln. Sie kommen zu Leuten, die verzagt sind!“
Die einzige epidemiologische Untersuchung, die es bisher gab, betraf die Schilddrüsen von 38.114 Kindern im Alter von 0-18 Jahren: Zysten-Erweiterungen bei 35 %. Die Ursache bleibt ungeklärt. Andere Untersuchungen werden nicht subventioniert. Noch schlimmer: Die regelmäßigen Gesundheitsuntersuchungen fanden nun überall in ganz Japan statt – nur nicht in der Präfektur Fukushima. (Anmerkung der Redaktion: Inzwischen gab es eine zweite Untersuchung. Erneut wiesen 43,1 % der kindlichen Schilddrüsen Knoten und Zysten auf.)
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Für mich war die Wiedereröffnung der Schulen ein entscheidender Moment und die Aussage der Regierung, die Jahresbelastung mit bis zu 20 mSv sei für Schulkinder in der Region Fukushima als unbedenklich einzustufen. Nun entschloss ich mich, mit Bekannten die Radioaktivität in den Schulgärten zu messen und der Lokalregierung mitzuteilen: Sie lag bei 40 bis 100 μSv pro Stunde! Trotz unserer Forderung, die Kinder zu evakuieren und die Gebäude und den Erdboden zu dekontaminieren, schwiegen Behörden und Massenmedien weiter.
n diesem August haben 0rganisationen aus ganz Japan ein Netzwerk für Flüchtlinge gegründet. Einige Wochen zuvor haben wir mit Juristen und einigen Abgeordneten den Entwurf eines Opfer-Unterstützungsgesetzes erstellt. Und – bisher unvorstellbar – es gibt jede Woche Demonstrationen gegen die Wiederinbetriebnahme der Atomkraftwerke. Ich glaube, dass die Menschen in Japan angefangen haben, sich wesentlich zu ändern. Seiichi Nakate 10
Atomenergie
Mit Musik seelische Wunden heilen IPPNW-Benefizkonzert für Kinderorchester der Stadt Soma
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niker und dem Musikfest Berlin ein IPPNW-Benefizkonzert für das Projekt. „Das Orchester soll den Kindern ein neues Zuhause geben und ihnen ein Lichtblick in dieser düsteren Zeit sein. Ihre Musik wird auch Nahrung für die Seelen der älteren Menschen sein, um den mühevollen Alltag besser zu überwinden“, so Hauber von IPPNW-Concerts. Zur Begrüßung rezitierte Chihoko Nakata zwei japanische Hiroshimagedichte. Sie zog damit eine direkte Verbindung zwischen den Opfern der Atombombenabwürfe 1945 und denen von Fukushima. Das Konzert mit führenden Mitgliedern der Berliner Philharmoniker – Le Musiche Quartett, 12 Cellisten, Emmanuel Pahud – und den Gästen Kai Vogler, Danjulo Ishizaka und Ulrich Eichenauer wurde u.a. von Deutschlandradio Kultur und der Deutschen Welle international übertragen. Das japanische Fernsehen NHK war mit einem Kamerateam dabei und berichtete in Japan. Die 12 Cellisten beendeten den bewegenden Abend im restlos ausverkauften Kammermusiksaal der Philharmonie mit dem japanischen Volkslied „Kojo no Tsuki“ von Rentaro Taki, das einige japanische Zuhörer zu Tränen rührte. Der Erlös des IPPNW-Benefizkonzerts erbrachte stolze 25.500 Euro für das Kinderorchester von Soma.
ie Stadt Soma liegt in der Präfektur Fukushima, etwa 45 Kilometer nördlich vom Atomkraftwerk FukushimaDaiichi. Sie wurde in großen Teilen verwüstet und ist radioaktiv kontaminiert. Die Strahlenwerte liegen nach Angabe von Norio Sato, stellvertretender Bürgermeister des Landkreises Soma, zwischen 0,2 μSv/h in der Stadt und 2 μSv/h in den Bergen der Region, wo etwa 180 Menschen leben. 457 Menschen in Soma wurden durch Erdbeben und Tsunami getötet, 44 Kinder verloren einen oder beide Elternteile. Viele der Kinder leben immer noch in Notunterkünften und leiden unter den traumatisierenden Nachwirkungen des Super-GAUs. Die Idee zur Gründung eines Kinderorchesters begann mit einem Besuch von Berliner Philharmonikern im November 2011 in Tokio, wo sie Kinder aus der Region Soma trafen. Der Hornist Fergus McWilliam besuchte dann die Präfektur Fukushima und war schockiert über die Traumatisierung der Kinder, die ihre Familie, Haus oder Angehörige verloren hatten, aber auch ihren Lebensmut. In ihm reifte die Idee, diesen Kindern nach dem Vorbild des Venezuela-Musikprojekts „El Sistema“ wieder Hoffnung zu geben. Über die Kraft der Musik, so die Vorstellung von McWilliam, könnten die Kinder ihre selbstheilenden Kräfte entfalten. Er überredete Yutaka Kikugawa, den leitenden Direktor und Koordinator der UNICEF-Ost-Japan Erdbeben und Tsunami Hilfe, ein Kinderorchester zu gründen.
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ie IPPNW-Ärztinnen Dörte Siedentopf und Angelika Claußen haben im Anschluss an ihre Japanreise im Sommer gefordert, vor allem schwangere Frauen und Kinder aus Gebieten zu evakuieren, die den Jahresgrenzwert von 1 mSv überschreiten. Dies würde auch die Kinder von Soma betreffen. Doch trotz der gesundheitlichen Gefahren – vor allem für die Kinder – in den kontaminierten Gebieten plant die japanische Regierung derzeit keine weiteren Evakuierungen. Im Gegenteil: Die Bürgermeister werben vehement dafür, dass Familien mit Kindern in ihre Heimat zurückkehren. Solange dies traurige Realität ist, kann das „Soma Children Orchestra“ den Kindern Hoffnung und Lebensmut vermitteln.
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is zum 11. März 2011 war Soma bekannt für seine Natur und die biologische Vielfalt, aber auch für seine musikalische Tradition. Das Projekt zur Gründung eines Kinderorches ters startete im März 2012, zunächst mit einem Streichorchester der Nakamura No.1 Grundschule mit 27 Schülern im Alter von 8 bis 13 Jahren. Weitere zehn Grundschulen und fünf weiterführende Schulen interessieren sich für eine Teilnahme an dem Programm. Im Aufbau befinden sich zurzeit ein Chor mit 40 Kindern sowie ein Blechblasorchester mit 45 Kindern. „Das Orchester selbst konnte sich bisher noch nicht formieren, da das Kulturzentrum schwer beschädigt wurde und wiederaufgebaut werden muss“, erklärt Kikugawa.
Angelika Wilmen ist Pressesprecherin und Koordinatorin der Öffentlichkeitsarbeit der IPPNW Deutschland.
Am 16. September 2012 veranstaltete der Arzt Dr. Peter Hauber in Berlin in Zusammenarbeit mit der Stiftung Berliner Philharmo11
© Netzwerk Friedenskooperative
Wie weiter in Afghanistan? Friedenskongress 2012
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arim Popal, Rechtsanwalt in Bremen und bekannt für seine Vertretung der Interessen der Opfer des Angriffs auf die Tanklaster bei Kundus und einer der Mitorganisatoren des Kongresses, ist überzeugt: Der Kongress hat nicht nur Afghanen aus der Heimat und aus dem Exil mit der deutschen Friedensbewegung zum freundschaftlichen Austausch von Informationen und politischen Einschätzungen zusammengebracht. Er hat dazu geführt, dass Afghanen, von konservativ bis kommunistisch und über Jahre verfeindet, gemeinsam ihren Tee tranken. Die Idee eines Dachverbandes wurde geboren, ein „Meilenstein in der Geschichte der in Europa lebenden Afghaninnen und Afghanen“, so Naqibullah Shorish, Stammesführer der Kharoti.
IPPNW-Beteiligung Ein Ziel des Kongresses „Stoppt den Krieg - Wege zum Frieden in Afghanistan“, der am 13. und 14. Oktober mit ca. 250 TeilnehmerInnen in Bonn stattfand, wurde damit umgesetzt. Wir wollten mit Afghanen
reden und nicht bloß über sie reden. Die IPPNW beteiligte sich von Beginn an der Planung des Kongresses. Die ehemalige Vorsitzende Angelika Claußen gestaltete gemeinsam mit dem aktuellen Vorsitzenden Matthias Jochheim einen Workshop zur Lage und den Anforderungen im Gesundheitssektor in Afghanistan. Das Vorstandsmitglied Susanne Grabenhorst und der Mitarbeiter Jens-Peter Steffen waren als Podiums-Moderatoren tätig.
Viele Themen, viele Informationen In den Beiträgen und Workshops wurden viele Themen bearbeitet, die von der „Geostrategie und regionalen Entwicklungen“ über „Korruption und Drogenökonomie“, „Migration“, „Umwelt und Gesundheit“ bis zur Rolle der „NATO und der Afghanistankrieg“ reichte. So beleuchtete Andreas Zumach, UN-Korrespondent in Genf, die geopolitischen Interessen des Westens. Sein Resümee: Da es dem Wes ten nicht gelänge, Afghanistan zu kontrollieren, werde durch eine möglichst chaotische Situation im Land versucht, 12
anderen Mächten, und hier insbesondere China, den Zugriff auf Afghanistan unmöglich zu machen. Ein für alle TeilnehmerInnen wichtiger Themenkomplex war die Lage der Frauen im Land. Der aus dem Workshop vorgetragene Konsens war, dass erst die Truppen abziehen müssten, dann könne die soziale und ökonomische Lage wie auch die Bildung verbessert werden – gefolgt von der Entwicklung der Situation der Frauen. Protest regte sich unter den TeilnehmerInnen über die Visa-Verweigerung für die Juristin Shukria Haider, Staatsanwältin und Frauenrechtlerin in Kabul. Dieser offene Widerspruch zur von der Bundesregierung behaupteten Unterstützung für die Frauenrechte in Afghanistan wurde in Schreiben an Dirk Niebel und das Auswärtige Amt angeprangert.
Friedenspläne für Afghanistan Einige Strategien des umfassenden Nation-Building für Afghanistan wurden debattiert. Entscheidend für eine fried-
Frieden
liche Zukunft ist dabei der Konsens unter den Afghanen über ihre Zukunft. Bei den Visionen von Matin Baraki und Naqibullah Shorish müssen als erstes die Waffen schweigen. Baraki will dann Militär aus islamischen und blockfreien Ländern gestellt wissen. Es sollen vertrauensbildende Maßnahmen und ein nachhaltiger Waffenstillstand folgen. Eine Loya Jirga, die traditionelle verfassungsgebende Versammlung, soll eine neue Verfassung ausarbeiten. Eine Übergangsregierung, die das Vertrauen aller Afghanen genießt, wird gebildet. Diese kann den Abzug der internationalen Truppen verhandeln und freie Wahlen vorbereiten, an denen alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte in Afghanistan sich beteiligen, auch die Taliban. Das sei alternativlos, so Naqibullah Shorish: „Die Alternative zu einer Verhandlungslösung und einem Frieden, der auf dem Konsens des afghanischen Volkes und einem politischen Ausgleich mit den Nachbarländern und der Weltgemeinschaft beruht, ist ein lang andauernder Bürgerkrieg, der keinem nutzt, der aber weiteren Tausend afghanischen Zivilisten das Leben kosten wird. Der Krieg hat schon viel zu lange gedauert. Er kann und er muss jetzt beendet werden.“ Bislang aber scheint der Westen auf dem System Karzai und dessen Nachfolger im Amt zu beharren. In einem Interview erklärte Naqibullah Shorish zu den Reaktionen auf seinen Friedensplan: „In ersten Reaktionen tut man sich sehr schwer damit, eine Übergangsregierung zu akzeptieren. Man erwartet von den Taliban, dass sie die Regierung Karzai akzeptieren, eine Regierung, die von der überwiegenden Mehrheit der Afghanen nicht akzeptiert wird, weil sie korrupt ist. Dabei ist ja auch die Weltgemeinschaft von der Karzai-Regierung enttäuscht.“
Parteipolitische Podiumsd iskussion Auf einer Podiumsdiskussion der ParteipolitikerInnen musste sich Angelika Graf (SPD, MdB) als Befürworterin des Afghanistan-Einsatzes den kritischen Nachfra-
gen der ModeratorInnen und von Grünen (Uli Cremer, Grüne Friedensinitiative), LINKE (Kathrin Vogler MdB) und Piraten (Sebastian Harmel) stellen. Union und FDP hatten keine Debattenbeteiligung gestellt. Für einen Abzug der NATO-Truppen unter Verzicht auf ein militärisches Nachfolgemandat plädierten die Fachpolitiker von SPD, Grünen und Linkspartei. Kathrin Vogler stellte klar, dass die LINKE sich jeder NATO-Nachfolgemission für ISAF entgegenstellen wird. Angelika Graf und Kathrin Vogler sowie der grüne Uli Cremer drängten zudem auf Verhandlungen mit Teilen der Taliban.
Abschlusserklärung In einer Abschlusserklärung sprachen sich die Veranstalter des Kongresses für den Abzug aller ausländischen Truppen und einen sofortigen Waffenstillstand aus. Danach sollten Verhandlungen unter Beteiligung aller Konfliktparteien aufgenommen werden, hieß es. Nötig sei ein „umfassender lang angelegter Versöhnungsprozess nach 30 Jahren Krieg und Bürgerkrieg“. Außerdem wurde der Aufbau eines umfassenden Bildungs- und Gesundheitssystems sowie eine gleichberechtigte Beteiligung von Frauen auf allen Ebenen angemahnt. Hilfe für Afghanistan müsse Hilfe zur Selbsthilfe sein, hieß es weiter. Eine neoliberale Einflussnahme und Ausplünderung müsse beendet werden: „Die Afghaninnen und Afghanen müssen über die Zukunft ihres Landes selbst entscheiden können“. Die NATOLänder müssten als Verursacher die Verantwortung für die katastrophalen zivilen, ökonomischen und ökologischen Kriegsfolgen übernehmen.
Die Dokumentation des Kongresses findet sich auf der Webseite: www.afghanistanprotest.de bürgerlicher Menschenrechte in über 30 Jahren Krieg gehen, sondern zugleich um die Bearbeitung jener Ursachen, die die Gewalt am Leben erhielten. Die große Zahl fremder Interventionsmächte und regionaler Mitspieler macht diese Aufgabe nicht leichter. Langfristig müssen die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und strukturellen Ungerechtigkeiten aufgearbeitet werden, soll die Fortsetzung oder das Aufbrechen erneuter Gewalt vermieden werden. Ohne dies fehlt eine wichtige Grundlage für nachhaltigen Frieden und Entwicklung. Die dazu vernommenen Äußerungen von AfghanInnen auf dem Kongress konnten kaum überzeugen. So lobte Naqibullah Shorish die Einigkeit, „dass wir besser die Vergangenheit ruhen lassen und in eine friedliche gemeinsame Zukunft schauen sollten“ und der afghanische Abgeordnete, ehemalige Planungsminister und Präsidentschaftskandidat Ramazan Barshardost will dem afghanischen Volk überlassen, wie mit denen, „die Blut an den Händen haben“, umgegangen wird. Für den Frieden in Afghanistan sind die Konzepte noch zu durchdenken, Wege sind zu erkunden. Niemand auf dem Kongress hat behauptet, dass das Schaffen eines nachhaltigen Friedens im Land einfach sein wird.
Offene Fragen Auch wenn in Matin Barakis Friedensplan die Forderung nach Bildung einer Wahrheitskommission nach dem Muster von Südafrika vorgesehen ist, blieb die Problematisierung des in Nachkonfliktgesellschaften zu erwartenden Problems, wie das Dilemma zwischen Gerechtigkeit, Frieden und Entwicklung angegangen werden könne, weitgehend ausgespart. Auch in Afghanistan wird es nicht alleine um die Verletzungen politischer und 13
Jens-Peter Steffen ist Referent für Friedenspolitik der IPPNW Deutschland.
Frieden
Musikalischer Protest gegen Kleinwaffen „Lebenslaute“-Konzert am Standort des Waffenproduzenten „Heckler & Koch“
W
enn man die Internetseite von Heckler & Koch sieht, läuft es einem kalt den Rücken herunter. „Kleinwaffen“ von der winzigen Pistole bis zum Schnellfeuergewehr, werden angepriesen wie anderenorts Staubsauger oder Kochtöpfe. Es ist nicht die Rede davon, dass es sich bei all diesem „wehrtechnischen Gerät“ um effektive Tötungsmaschinen handelt, „made in Germany“, begehrt in aller Welt, exportiert in 90 Länder, in Lizenz hergestellt in 15 Ländern. Exporteur und Lizenzgeber können nicht kontrollieren, wohin die „Kleinwaffen“ weiterverkauft werden, wie sie in Arsenale marodierender Milizen oder verbrecherischer Banden gelangen. Bei fast allen bewaffneten Konflikten tauchen H&K-Waffen auf, in der Regel auf beiden Seiten.
„Lebenslaute“-Konzert am 3. September 2012 vor Heckler & Koch, Oberndorf
an allen fünf Toren des weitläufigen Werksgeländes. Kurz nach 5 begann der Schichtwechsel. Es gelang, die Werksangehörigen am Zugang zu hindern. Neben dem Haupttor gab es eine Personaltür, die geöffnet wurde. Um hinein zu gelangen, mussten sich die MitarbeiterInnen zwischen den MusikerInnen hindurchzwängen. Um Rangeleien zu verhindern, verzichteten wir auf eine Schulter-an-Schulter-Menschenkette. Vor der Tür nahmen zwei Firmen-Herren Aufstellung, vermutlich vom Werksschutz, die mit eindeutigen Gesten auf die sich durch unsere Reihen arbeitenden Werksangehörigen Druck ausübten: Sie sollten unsere Handzettel nicht annehmen und sich auf kein Gespräch einlassen. Die Polizei war präsent, verzichtete aber auf restriktive Maßnahmen. Unsere Transparente konnten wir ungestört am Tor und am Zaun des Werksgeländes anbringen.
Bis jetzt sind weltweit über 1,5 Millionen Menschen durch H&KWaffen getötet worden, und alle 14 Minuten kommt ein weiterer dazu. Die „Kleinwaffen“ in ihrer Gesamtheit stellen also die größte Massenvernichtungswaffe dar. Die Zahlen der durch H&K-Waffen Verletzten und Verjagten, von denen einige dann als traumatisierte Flüchtlinge bei uns landen, sind noch viel größer. Diese Flüchtlinge werden meistens in menschenunwürdiger Weise wieder abgeschoben.
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eutschland ist nach den USA und Russland der drittgrößte Waffenexporteur. Neben Thyssen-Krupp, Krauss-MaffeiWegmann und Rheinmetall spielt Heckler & Koch dabei eine erhebliche Rolle. Ethische und soziale Aspekte sind in Rüstungsindustrie und Rüstungsexportpolitik nicht gefragt, solange Profit und Außenhandelsbilanz stimmen.
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m 9 Uhr versammelten sich alle am Haupttor. Pünktlich um 10 begann das große Open-Air-Konzert mit Teilen aus Händels Oratorium „Alexanders Fest“, aus dem auch das Motto der Aktion („Waffenhandwerk schafft nur Unheil“) stammt. Bei strahlendem Wetter hatten sich ca. 400 Zuhörer eingefunden; die Medien waren da, die Polizei hielt sich im Hintergrund. Die am frühen Morgen versteinerten Gesichter der Beamten und der Werksangehörigen hatten sich entspannt. Da wir nicht nur ernste, sondern auch fröhliche, zum Mitsingen animierende Stücke in unserem Repertoire hatten, sah man sogar immer wieder auch lachende Gesichter bei den Ordnungshütern und den Heckler & Koch-Leuten. Das Konzert dauerte bis 12 Uhr, es war ein voller Erfolg.
In Oberndorf ist Heckler & Koch der größte Arbeitgeber und Gewerbesteuerzahler. Das macht es schwierig, die ethischen Probleme rund um seine Produkte in der Region unvoreingenommen zu diskutieren.
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it klassischer Musik die Tore einer Waffenfabrik zu blockieren, um die dort Beschäftigten von ihrer Arbeit fernzuhalten, ist etwas ganz und gar Unerwartetes. Die Lebenslaute gibt es seit 1986. Jedes Jahr steht eine große Konzert-Aktion an einem lebensbedrohenden Ort auf dem Programm, beispielsweise vor einem Truppenübungsplatz, einer Atomanlage, einem Abschiebegefängnis. Mit den gewaltfreien Aktionen zivilen Ungehorsams in Kombination mit klassischer Musik suchen die Lebenslaute die politische Auseinandersetzung. In diesem Jahr fiel die Wahl auf die Fabrik von Heckler & Koch in Oberndorf. Dieses Ziel hatte besonders viele Teilnehmer aktiviert: Das Probenwochenende war schon gut besucht, an der eigentlichen Aktion nahmen über 100 MusikerInnen teil.
Mehr über die Aktion unter: http://blog.ippnw.de/?p=630 Winfrid Eisenberg ist Facharzt für Kinderheilkunde und Mitglied des IPPNW-Arbeitskreises Atomenergie.
Die Konzertblockade am Haupttor sollte um 10 Uhr beginnen. Unangekündigt waren wir schon um 4.45 Uhr mit Musikgruppen 14
FrIEDEN
„Selbst innerhalb der israelischen Friedensbewegung ist das Thema ein Tabu. Wir sind alle mit der Idee aufgewachsen, dass Israel nur noch existiert, weil wir die Bombe haben.“
Das Nukleartabu Ein Gespräch mit der israelischen Anti-Atomwaffen-Aktivistin Sharon Dolev
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rief plötzlich seine Mutter aus Argentinien an und fragte: ‚Habe ich dich etwa gerade nackt im Fernsehen gesehen?!’“ Eine ausländische Nachrichtenagentur hatte die Aktion gefilmt und dann ging der Clip innerhalb kürzester Zeit um die Welt. „Danach“, sagt Sharon, „konnten wir uns plötzlich vor Interviewanfragen israelischer Medien nicht mehr retten! Jetzt konnten sie ja sagen ‚ausländischen Quellen nach‘.“
nmitten eines hochoffiziell aussehenden Publikums stehen zwei nackte Menschen, ein Transparent mit hebräischer Aufschrift vor sich haltend. Die Kamera schwenkt auf den israelischen Präsidenten Schimon Peres, der sichtlich überrascht an seinem Rednerpult steht, dann wieder zurück ins Publikum, wo gerade einer der Nackten von Sicherheitskräften abgeführt wird. Sharon Dolev, die ICAN-Campaignerin und Friedensaktivistin des Israeli Disarmament Movement [RPM] aus Israel erklärt und übersetzt, was da gerade über das InternetVideoportal „youtube“ zu sehen und zu hören ist. Sie ist nach Berlin gekommen zu einem Hintergrundgespräch über „Sicherheit ohne Atomwaffen“ zu dem die IPPNW eingeladen hat.
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ie Anti-Atomwaffen-Aktivisten haben es nicht leicht in Israel. Sharon berichtet, dass das Thema selbst innerhalb der israelischen Friedensbewegung ein Tabu ist. „Wir sind alle mit der Idee aufgewachsen, dass Israel nur noch existiert, weil wir die Bombe haben. Wer sich gegen atomare Bewaffnung ausspricht, wird schnell in die Ecke ‚anti-israelisch‘ gestellt.“ Aus diesem Grund, berichtet uns Sharon, haben sie sich auch überlegt, wie man das Thema so angehen kann, dass es nicht von vornherein auf Ablehnung stößt. „Dieses Jahr ist es uns gelungen ‚Hibakusha‘, also Überlebende der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki nach Israel einzuladen, wir hatten genug Spenden dafür gesammelt. Die Hibakusha haben ihre Bitte für eine atomwaffenfreie Welt an der Klagemauer in Jerusalem hinterlassen. Wir haben auch ein Treffen mit Holocaust-Überlebenden organisiert.“, berichtet Sharon. Auf diese Art ist es den isrealischen Aktivisten gelungen, das Thema Atomwaffen wieder in die dortigen Medien zu bringen. Es ging ja nicht um Israels Atomwaffen, sondern um Atomwaffen generell. „Und durch den menschlichen Aspekt, die Perspektive der Opfer, öffnen sich die Menschen dem Thema eher, als wenn man nur (friedens-)politisch argumentiert.“
Sharon hat sich trotz – oder vielleicht auch wegen – der Ernsthaftigkeit und Zähigkeit des Themas einen mitreißenden Humor bewahrt hat. Sie erzählt von den besonderen Schwierigkeiten, mit denen die Anti-Atomwaffen-Aktivisten in Israel zu kämpfen haben und von vielen unglaublich kreativen Aktionen, die sie und ihre Mitstreiter bis heute dort gestartet haben, um das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen. Dass Israel Atomwaffen besitzt ist ein offenes Geheimnis. Dennoch ist das Thema in Israel ein Tabu. Genauso wie alles, was im weitesten Sinne mit Israels nuklearer Technologie zu tun hat. Das war Ende 2007“, ergänzt Sharon, als das Youtube-Video vorbei ist, „auf einer Konferenz, die sich ‚die nukleare Herausforderung im Mittleren Osten‘ nannte und auf der es – Panel nach Panel – nur um Iran ging. Wir haben uns überlegt, wie wir die Aufmerksamkeit auf das Thema der israelischen nuklearen Bewaffnung lenken können, ohne dabei zu bedrohlich oder radikal zu wirken.“ Die Anti-Atomwaffen-Aktivisten kamen auf die Idee sich auf der Konferenz nackt auszuziehen, und mit Transparenten auf „die nackte Wahrheit“ hinzuweisen.
Videos des Besuchs der Hibakusha in Israel gibt es unter: http://youtu.be/t4R8BKSqIq8 und http://youtu.be/pWP4tzhlq24
Sharon erklärt, dass es schwierig ist, mit dem Thema überhaupt in die israelischen Medien zu kommen. Denn diese dürfen darüber nicht von sich aus berichten – es sei denn, sie beziehen sich auf „ausländische Quellen“. „Einer unserer Mitstreiter bei der Aktion stammt aus Argentinien. Nachdem wir aus dem Konferenzgebäude abgeführt worden waren, warteten wir davor, ob Medienvertreter auf uns zukämen. Aber nichts geschah. Dann
Samantha Staudte ist Mitarbeiterin der IPPNW und Mitglied des Kampagnenrats von „atomwaffenfrei.jetzt“. 15
Frieden
Dem Frieden eine Chance – die äußere Einmischung beenden Syrische gewaltfreie Opposition zu Gast in Berlin
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ouay Hussein, Schriftsteller, Journalist und Präsident der Bewegung „Building the Syrian State“ (BSS) und Mouna Ghanem, Ärztin und syrische Frauenrechtlerin haben anlässlich ihres Besuches in Berlin Anfang November einen fundamentalen Wandel für Syrien und ein Ende der Gewalt gefordert. Auf Einladung der Linken berichteten sie dem Arbeitskreis Internationales im Reichstagsgebäude über die Situation in ihrem Land und nahmen dann an einem von IPPNW-Deutschland organisierten Hintergrundgespräch teil, für das Pax Christi seine Räumlichkeiten in der Nähe des Gendarmenmarktes zur Verfügung gestellt hatte. Hussein, der wegen Gegnerschaft zu Assad acht Jahre in syrischen Gefängnissen verbracht hat, bezeichnete bei dem Treffen die Anfachung der Gewalt von außen als fatales Hindernis für die Demokratisierung seines Landes. Denn die innersyrische Opposition, der es um das eigene Land geht und nicht um die Interessen der in den Konflikt involvierten Großmächte, habe umso weniger Chancen, je massiver sich externe Akteure mit Waffen, Geld und Diplomatie einmischen. Deutschland und Europa haben massiv dazu beigetragen, die Gewalt in Syrien zu fördern. Dadurch, dass sie immer nur die Gewaltbereiten hört und fördert, verwei-
Louay Hussein
„Unter Gewaltbedingungen gibt es keinen Spielraum, um Werte wie Demokratie und Freiheit durchzusetzen“ (Mouna Ghanem)
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Mouna Ghanem gert und verhindert die EU eine politische Lösung in Syrien.
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ie seit Jahrzehnten festgefahrenen Strukturen des Assad-Systems bedürften eines grundlegenden Wandels, betonte Hussein. Er zeigte sich überzeugt, dass autoritäre Feudalstaaten wie Katar oder Saudi-Arabien, die zu den HauptGeldgebern der bewaffneten Rebellen zählen und in ihren eigenen Ländern alles andere als Demokratie wollen, in Syrien eigene Interessen verfolgen, aber sicher nicht die Entwicklung von Demokratie fördern werden. Die Potenziale der syrischen Zivilgesellschaft seien groß. Die bräuchten jedoch Raum zu ihrer Entfaltung und würden zunichtegemacht durch eine Politik der Eskalation, die zu immer brutalerer Gewalt auch auf Regierungsseite führe. Louay Hussein unterstützte ausdrückllich den von IPPNW-Deutschland im Frühjahr veröffentlichten Appell „Gewalt in Syrien stoppen – Krieg verhindern“. Den Missbrauch seines Landes für einen Stellvertreterkrieg, in dem sich letztlich atombewaffnete Großmächte gegenüberstünden, verurteilte er. Dies sagte er ebenso mit Blick auf Russland, das seine Marinebasis in Syrien mit aller Gewalt behalten wolle, als auch auf den Westen, dessen Strategie auf die Verdrängung Russlands vom Mittelmeer ausgerichtet sei – ungeachtet der jetzt schon immensen humanitären Kosten. 16
uf die humanitäre Seite des Konflikts – der längst ein Krieg sei – lenkte besonders Mouna Ghanem die Aufmerksamkeit. Als in Syrien ausgebildete Ärztin mit Master-Abschluss in Public Health von der Johns-Hopkins-University (USA) und jahrzehntelanger Erfahrung aus leitenden Tätigkeiten bei UN-Institutionen stellte sie dabei die Situation der Frauen in den Mittelpunkt. Sie berichtete, dass sich im Sog des Stroms von Waffen und Geld für die syrischen Rebellen aus den Golfstaaten zunehmend ein umgekehrter Strom in Gestalt von Frauen- und Mädchenhandel in diese Staaten entwickle. Die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge seien Frauen und Kinder. Die Zustände in den innersyrischen Flüchtlingslagern und denen in den Nachbarländern seien katastrophal. Europa müsse sich bereit erklären, weitere Flüchtlinge aufzunehmen. Unterstützt von nach Syrien eingeschleusten ausländischen Kämpfern halte auch eine repressiv-patriarchalische Ideologie Einzug. Sie appellierte in diesem Zusammenhang an die internationale Solidarität, diese Entwicklung zu stoppen und sich für den Schutz der syrischen Frauen und Mädchen einzusetzen. Deshalb haben vor kurzem 44 syrische Frauen die Initiative „Syrerinnen für den Frieden“ ins Leben gerufen und an die Öffentlichkeit appelliert alles zu tun, um die Gewalt in Syrien zu stoppen.
Den IPPNW-Appell finden Sie unter: www.kurzlink.de/syrienaufruf
Christoph Krämer ist Chirurg und stellvertretender Vorstandsvorsitzender der IPPNW Deutschland.
FrIEDEN
Warum der Iran nicht auf die Atombombe aus ist 20 Gründe von Hossein Mousavian
Auf Einladung der Körberstiftung und im Rahmen des IPPNW-Medienprojekts „Dialog statt Bomben“ war Hossein Mousavian, ehemaliger Verhandlungsleiter des Iran bei der IAEO, im Oktober zu Gast in Berlin. Im Folgenden drucken wir seine Rede in gekürzter Fassung.
1
Die IAEA hat seit 2003 mit mehr als 100 unangekündigten Inspektionen die stärksten Kontrollen ihrer Geschichte durchgeführt, ohne dass Belege dafür gefunden wurden, dass nukleares Material in ein Waffenprogramm umgeleitet wird.
9
Der Besitz der Atomwaffe würde der von Iran angestrebten technologischen Kooperation mit den industriell weit entwickelten Staaten im Wege stehen.
10
2
Das US-National Intelligence Estimate hat 2007 und 2011 festgestellt, dass Iran kein aktives militärisches Atomprogramm hat.
Das größte Hindernis für eine erstmals 1974 von Iran vorgeschlagene atomwaffenfreie Zone Naher Osten ist Israel, ein Land mit Hunderten Sprengköpfen, das nicht Unterzeichnerin des Atomwaffensperrvertrags ist.
3
Ayatollah Khamenei hat in einer Fatwa den Gebrauch nuklearer Waffen und anderer WMDs für Sünde erklärt.
11
Iran ist nicht im Besitz von WMD und hat alle diesbezüglichen Konventionen unterschrieben.
4
12
Daher hat Iran auf den Einsatz von Chemiewaffen durch Saddam Hussein in den 80ern gegen Iran nicht mit gleichen Mitteln geantwortet.
5
Nach Einschätzung Irans würde der Besitz einer Atomwaffe höchstens zu kurzfristigen strategischen Vorteilen führen, weil Staaten wie Ägypten, Türkei und Saudi-Arabien nachziehen würden.
6
Die iranische Entscheidung für noch zu entwickelnde moderne Zentrifugen des Typs IR-2m statt für ein Festhalten an den schon vorhandenen Modellen IR-1s und IR-2s belegt, dass es Iran nicht darum geht, so schnell wie möglich waffenfähige Urankapazitäten herzustellen.
7
Die Aktivitäten, von denen im Report der IAEA von November 2011 die Rede ist, sind kein Hinweis auf ein Waffenprogramm.
8
Iran ist sich darüber im Klaren, dass das Erreichen nuklearer militärischer Kapazität Russland und China dazu bewegen würde, sich den USA und ihren Sanktionen gegen den Iran anzuschließen und damit die iranische Ökonomie schwer zu beschädigen.
Der frühere Direktor der IAEA Mohamed el-Baradei stellte fest: „Ich habe nicht den kleinsten Hinweis darauf, dass der Iran im Sinne des Aufbaus militärischer Nuklearanlagen und militärischer Anreicherung aufrüstet.“
13
Iran erkennt an, dass das Erreichen des Status eines Atomwaffenstaates Israel Argumente liefern würde, in den USA und der internationalen Gemeinschaft mit der angenommenen Bedrohung für seine Existenz für einen Kriegsbeginn in der Region zu werben.
14
Während der Verhandlungen zwischen Iran und der EU-3 hat Iran 2003-2005 folgende Vorschläge gemacht: Kappung der Anreicherung bei 5 %, Exportieren überschüssiger Kapazitäten angereicherten Urans oder Verarbeitung in Brennstäben, Annahme des Zusatzprotokolls, Zulassung spontaner Kontrollen nuklearer Anlagen durch die IAEO sowie die Verschiffung schwach angereicherten Urans (LEU) ins Ausland, um dort Brennstäbe für den Teheraner Forschungsreaktor herzustellen. Die EU hat alle Angebote unter dem Druck der US-Politik abgelehnt.
15
Der stellvertretende IAEA-Generalsekretär Herman Nackarts 17
bekam im August 2011 eine umfassende Besuchserlaubnis für sämtliche Nuklearanlagen. Das iranische Angebot, die Besuchserlaubnis ohne Beschränkungen im Austausch für die Aufhebung der Sanktionen gegen Iran auf fünf Jahre auszudehnen wurde vom Westen abgelehnt.
16
Im Sommer 2011 hat Iran den Russischen Stufenplan begrüßt, den EU und USA aber abgelehnt haben.
17
Die Vorwürfe, Iran hätte Nuklearmaterial gesammelt, um eine Bombe herstellen zu können, entbehren einer Grundlage. Allein für den Betrieb seines einzigen AKW Busher braucht Iran 27 Tonnen 3,5 %-iges Uran jährlich, von denen er bislang nur 7 t herstellen konnte.
18
Die Atomverhandlungen drehten sich vor allem um den Vorwurf, Iran würde auf 20 % anreichern. Iran hat aber zweimal – im Februar 2010 und im September 2011 – angeboten, die Anreicherung einzustellen, wenn Iran dafür 20 %-iges Uran in Brennstäben erhält. Das wurde vom Westen abgelehnt.
19
Die 20 %-ige Anreicherung ist keine Hochanreicherung, sondern wird von der IAEA als LEU eingestuft.
20
Seit den frühen 90er Jahren behauptet Israel immer wieder, dass Iran in Kürze im Besitz der Bombe wäre. Das komplette Papier finden Sie im Internet unter: http://bit.ly/PYhav3
Hossein Mousavian war Verhandlungsleiter des Iran bei der IAEO.
Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Die Hautoberfläche schließt mich ab gegen die fremde Welt: auf ihr darf ich, wenn ich Vertrauen haben soll, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will.“ Jean Améry, Autor und KZ-Überlebender (in: Jenseits von Schuld und Sühne: Bewältigungsversuche eines Überwältigten. München: Szczesny, 1966. S. 52)
AMputation wegen Absterbens des Daumens durch Aufhängen an den Fingern. eine Foltermethode in Ländern wie Syrien oder dem Irak.
Die Bilder des Schwerpunktes stammen aus: Violence, War, Borders. X-Rays: Evidence and Threat Hermann Vogel Jahr: 2008 Seiten: 285 Verlag : Shaker ISBN : 978-3-8322-7024-7 Preisinfo : 49,80 Euro
Gebrochen Wunden und Brüche heilen, die traumatische Erfahrung von Folter und Misshandlung bleibt – ein Leben lang
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in fehlender Daumen, ein Unterkiefer ohne Zähne, ein Fuß mit verkrüppelten Zehen, ein gebrochener Unterarm: Die nüchternen Aufnahmen, die Hermann Vogel über Jahre gesammelt hat, sind mehr als nur ein medizinischer Befund. Sie sind Zeugnis menschlicher Gräueltaten und fürchterlichen Leidens. Sie erzählen die Geschichten von Menschen, denen Unvorstellbares angetan wurde und Menschen, die bereit waren Unvorstellbares anzutun. Es sind Aufnahmen von Kriegs- und Folteropfern aus aller Welt, die der Professor für Radiologie auf seinen Reisen gesammelt hat. Seine Sammlung ist weltweit einzigartig. Um die 1.500 Aufnahmen hat er digitalisiert und archiviert, regelmäßig stellt er die Bilder auch aus. „Fotos von Folteropfern sind oft so brutal und direkt, dass der Betrachter wegschaut. Röntgenbilder sind besser auszuhalten. Das weckt Interesse was dem Menschen passiert ist. Die Bilder führen also dazu, dass sich die Menschen mit dem Thema Folter beschäftigen. Und genau das ist mein Ziel.“
Zehenverlust inFolge von „Falanga“; (Schlägen auf die FuSSsohlen)
Nadeln in den Rücken Gerammt Zahnverlust durch Schläge
© Hermann Vogel 19
Abwehrverletzung: Bei Schlägen mit Harten Gegenständen kommt es häufig zu solchen Brüchen.
Preventing Torture Die Rolle der Ärzte und ihrer Berufsvereinigung
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chläge mit Kabeln und Schläuchen, Aufhängen an den Armen oder Beinen für längere Zeiträume, Elektroschocks, das Brechen von Armen und Beinen, Vergewaltigung, Tauchen des Kopfes unter Wasser oder in die Toilette, Entzug von Licht, Nahrung, Wasser ... die Liste der Foltermethoden ist lang. Und ebenso die Zahl der Länder, in denen gefoltert wird. Aus über 150 Ländern liegen Berichte über Folterungen oder Misshandlungen durch Angehörige staatlicher Stellen vor. In über 60 Ländern wird systematisch gefoltert. Nicht nur berüchtigte autoritäre Regime sind darunter, auch Demokratien greifen zu diesem Mittel, nehmen Menschen ihre Würde, zerstören ihre Persönlichkeit, versuchen gewaltsam ihren Willen zu brechen. Sie nehmen billigend in Kauf, dass Menschen schweres Leid zugefügt wird, die oft ein Leben lang mit den Folgen zu kämpfen haben. Durch Berichte amerikanischer Regierungskommissionen wissen wir: Ärzte und Sanitäter waren an Folterungen u.a. im Bagdader Gefängnis Abu Ghraib beteiligt. Sie steuerten gewaltsame Verhöre, verschleierten Todesfälle. Als ein Gefangener bewusstlos geschlagen wurde, belebten Ärzte und Sanitäter ihn wieder und verließen den Raum. Die Folter konnte fortgesetzt werden. Die Folterskandale von Guantanamo und Abu Ghraib waren Anlass für eine Reihe von IPPNW-KollegInnen aus Großbritannien, den USA, Italien und Israel nach der Rolle der ÄrztInnen und ihrer Berufsorganisationen bei Folter und anderen schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen in ihren Ländern zu fragen. Entstanden ist unter der Federführung unserer IPPNW-Partnerorganisation Medact in Großbritannien ein Report mit fünf Länderfallstudien. Mit dem Report verfolgen die AutorInnen das Ziel, ihre KollegInnen und Berufsorganisationen darin zu bestärken, sich zum einen selbst gegen die Mittäterschaft von ÄrztInnen an Folterpraktiken einzusetzen, und zum anderen medizinische Fachleute in ihrem Einsatz für die Prävention von Folter und die Linderung von Folterfolgen zu unterstützen.
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ie deutsche Sektion der IPPNW hat den Ende 2011 in London erschienenen Report übersetzt und eine weitere Länderfallstudie über die Bundesrepublik Deutschland hinzugefügt. Beteiligungen von ÄrztInnen an Folterhandlungen sind in Deutschland zwar nicht bekannt geworden, wohl aber Fälle direkter oder indirekter Beteiligung an erniedrigender Behandlung und Menschenrechtsverletzung. Wesentliche Bereiche sind hierbei der Umgang mit Intersexuellen, Flüchtlingen, verdächtigen Drogendealern, Häftlingen, Alten und Behinderten. Die Länderfallstudien über die USA, Großbritannien, Italien, Israel, Sri Lanka und Deutschland können und wollen nicht repräsentativ sein für
Folter
„Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.“ Artikel 5, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte die Situation weltweit. Es ist vielmehr eine zufällige Auswahl von Ländern, in denen sich kompetente Mediziner gefunden haben, einer Mittäterschaft von Ärzten bei Folterungen oder der Beteiligung an erniedrigender Behandlung nachzugehen, die Rolle der nationalen Ärzteorganisationen zu beleuchten und Empfehlungen zur Prävention von Folter zu formulieren. Eine Mittäterschaft von ÄrztInnen an Folterungen findet statt, wenn ÄrztInnen bereitwillig an Folterungen mitwirken, diese ermöglichen, billigen oder unterstützen, indem sie es unterlassen, den zuständigen Behörden klinische Hinweise und beweiskräftige Informationen über Folterungen zu melden. Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Fälle, in denen ÄrztInnen – oftmals unter großem persönlichen Risiko – versuchen, Folterhandlungen zu verhindern oder die Auswirkungen von Folterungen zu lindern.
E
ine Beteiligung von MedizinerInnen an Folterungen findet oftmals in Gefängnissen, Haftanstalten und anderen Einrichtungen der Gewahrsamnahme statt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass insbesondere hier eine Situation entstehen kann, die man als „Loyalitätskonflikt“ bezeichnen könnte, und in der ÄrztInnen sich veranlasst sehen, die (mutmaßlichen) Interessen ihres Arbeitgebers oder des Staates über ihre eigenen Verpflichtungen gegenüber ihren PatientInnen zu stellen. Dieses steht in einem direkten Widerspruch zu der absoluten Verpflichtung der MedizinerInnen, die Rechte derer, die sie versorgen, betreuen und pflegen, zu achten und zu schützen. Für die Folterprävention kommt den nationalen Ärzteorganisationen und deren Dachverband, dem Weltärztebund (WMA)
sowie den einschlägigen Berufsverbänden und UN-Menschenrechtsorganisationen eine Schlüsselrolle zu. Darüber hinaus ist die Zusammenarbeit mit Menschenrechtsorganisationen unverzichtbar.
D
er Bericht endet mit einer Reihe von Empfehlungen an den Weltärztebund (WMA) und die nationalen Ärzteorganisationen. Die wichtigsten seien hier dokumentiert: »» Die Verbesserung und Förderung der medizinischen Ausbildung »» In Zusammenarbeit mit dem Welt ärztebund sollte jede nationale Ärzteorganisation energisch dafür eintreten, dass in der medizinischen Ausbildung darauf eingegangen wird, was Folter ist, wie etablierte ethische Kodizes, sich nicht daran zu beteiligen oder ihr nicht zuzustimmen, umgesetzt werden und welche völkerrechtlichen Bestimmungen damit in Zusammenhang stehen. Jede nationale Ärzteorganisation sollte dafür sorgen, dass die Diagnostik von Folteranzeichen sowie die professionellen, ethischen und rechtlichen Implikationen in angemessener Weise in den medizinischen Lehrplänen enthalten sind.
»» Eindeutige Verurteilung des Szenarios der „tickenden Zeitbombe“ als Legitimationsgrund für Folter einschließlich der Anwendung von „mäßigem psychischen Druck“.
Der Report „Preventing Torture“ ist ab Januar 2013 in der IPPNWGeschäftstelle oder über den OnlineShop erhältlich: http://shop.ippnw.de
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s gibt noch viel zu tun – sowohl, um MedizinerInnen, die Foltervorfälle aufdecken, zu schützen, als auch um zu verhindern, dass sich Angehörige der Ärzteschaft an Folterungen beteiligen und damit mitschuldig machen. Mit der Ergänzung und Veröffentlichung des Reports als „Work in Progress“ trägt die Deutsche Sektion der IPPNW ihren Teil zur Ausein andersetzung mit dieser inakzeptablen Situation bei.
»» Unterstützung der Änderung des Gesetzes gegen Kriegsverbrechen (War Crimes Act) in dem Sinn, dass das un ethische Experimentieren an Menschen kriminalisiert wird und um sicherzustellen, dass das Gesetz sich im Einklang mit der Genfer Konvention befindet. »» Zusammenarbeit mit dem UN-Sonder berichterstatter über Folter und Menschenrechtsorganisationen
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Frank Uhe ist Leiter der IPPNWGeschäftsstelle in Berlin.
Folter
Folteropfer in Deutschland Empfehlungen des UN-Ausschusses gegen Folter an die Bundesregierung
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homas Hammarberg, Kommissar für Menschenrechte beim Europarat, kritisiert die Lage der Menschenrechte in Europa. Als nicht zu akzeptieren und von inhumaner, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gezeichnet, beschrieb er die Asylverfahren; die Interviews in den Verfahren, die Unfähigkeit der Menschen zu sprechen, die ablehnenden Entscheidungen der Behörden, die langjährige Duldung von Asylbewerbern, die in ständiger Angst vor Abschiebung in ihre Herkunftsländer und erneuter Verfolgung und Folter leben müssen. In ihren Gesetzen und in der Praxis des Asylverfahrens, der Abschiebehaft und der Abschiebungen verstößt die deutsche Bundesregierung regelhaft gegen die „UN-Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe“.
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as Asylverfahren in Deutschland ist nicht geeignet, besonders schutzund hilfebedürftige Personen zu erkennen. Sie werden oft nicht anerkannt und erhalten keine angemessene Behandlung. Unter Umständen gelangen sie in Abschiebungshaft, einige werden sogar abgeschoben. Bis jetzt hat die Bundesrepublik kein Verfahren zur Identifizierung von besonders hilfebedürftigen Asylsuchenden eingeführt. Im – unter Beteiligung von IPPNW-Mitgliedern des Arbeitskreises „Flüchtlinge und Asyl“ entstandenen – Parallelbericht zum 5. Staatenbericht 2011, wird die unmenschliche und erniedrigende Behandlung aufgrund der Gesetze ausführlich dargestellt. Der UN-Ausschuss gegen Folter hat im November 2011 Empfehlungen an die Bundesregierung abgegeben. Sein Anliegen ist es, durch präventive Mechanismen unmenschliche und erniedrigende Behandlungen zu verhindern sowie durch die „Nationale Stelle zur Verhütung von
Folter in Deutschland“, Missstände aufzudecken. Er fordert die Bundesregierung auf, die UN-Antifolter-Konvention „(...) in allen öffentlichen Behörden (...) bekannt zu machen, und sicherzustellen, dass alle Vollzugsbeamten und alle medizinischen oder sonstigen Mitarbeiter, die mit der Un-
„Das Verbot der Folter ist absolut und keine Ausnahmen sind erlaubt, niemals.“ Thomas Hammarberg, Kommissar für Menschenrechte beim Europarat
terbringung, Befragung oder Behandlung von in irgendeiner Form von Gewahrsam, Haft oder Arrest befindlichen Personen oder mit der Untersuchung und Dokumentation von Folter zu tun haben, regelmäßig zum Handbuch für die wirksame Untersuchung und Dokumentation von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (Istanbul-Protokoll) geschult werden und dabei die Erkennung sowohl körperlicher als auch psychischer Folgen von Folter bei den Opfern thematisiert wird.“
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inige Empfehlungen betreffen die medizinische und psychologische Untersuchung und Begutachtung: eine systematische Überprüfung auf psychische Erkrankungen und Traumatisierungen durch unabhängige, qualifizierte Fachkräfte bei Ankunft in Gewahrsams einrichtungen. Sollten bei einer persönlichen Anhörung durch die Behörde Hinweise darauf zutage treten, regt der Ausschuss an, ein Gutachten durch einen speziell geschulten unabhängigen Gesundheitsexperten zu veranlassen. Anstelle der bisherigen Untersuchung auf Reisefähigkeit vor der Abschiebung bestätigt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf Fragen des UN-AntifolterAusschusses, „dass die Ländervertreter 22
vor der Übergabe eines Ausländers an die Bundespolizei eine medizinische Untersuchung zu veranlassen haben, um abzuklären, inwieweit irgendwelche Anzeichen für ein Gesundheitsrisiko oder ein anderes Risiko besteht, das Einfluss auf die Abschiebung haben könnte. Eine solche Untersuchung muss den speziellen Fokus auf eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) richten. Solange die Existenz einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht ausgeschlossen werden kann, darf eine Abschiebung auf dem Luftwege nicht erfolgen“.
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er UN-Ausschuss weist der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter eine entscheidende Rolle zu. Er verfügt daher, dass die Bundesregierung sicherstellt, dass sie mit ausreichenden finanziellen und personellen Mitteln auszustatten ist. Anlass zu großer Besorgnis gibt daher die Entscheidung der Justizministerkonferenz im Herbst 2012, die notwendige finanzielle und personelle Aufstockung für diese Stelle nicht zu beschließen. Der Jahresbericht 2011 zeigt, dass die ExpertInnen der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter immer wieder unhaltbare, unhygienische und menschenrechtswidrige Zustände in Justizvollzugsanstalten, insbesondere in Abschiebungshaft, feststellen. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, die Bundesregierung aufzufordern, die Empfehlungen des UN-Antifolter-Ausschusses zügig umzusetzen, Menschenrechte und Menschenwürde aber auch in unserem Handeln Vorrang zu geben.
Waltraut Wirtgen ist Ärztin. Sie ist aktiv im AK Flüchtlinge/Asyl und bei Refugio München.
Folter
Schreie und Schüsse Ein Fallbeispiel
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err Recip E. wurde mir im Sommer 2012 erstmals in meiner Praxis vorgestellt. Er nahm zunächst keinen Kontakt zu mir auf, reagierte nicht auf meine ihm angebotene Hand bei der Begrüßung, war völlig in sich zurückgezogen. Nach einiger Zeit sagte er mit leiser Stimme, er habe nicht schlafen können, er habe geträumt, habe vergessen, was er geträumt habe, er wisse nicht, wo er wohne, er mache eigentlich gar nichts. Die Beantwortung dieser Fragen dauerte erhebliche Zeit und strengte Herrn E. offensichtlich an, danach reagierte er nicht mehr. Bei einer erneuten Untersuchung in seiner Wohnung ergab sich kein wesentlicher Unterschied, er erkannte mich nicht, war etwas freundlicher, aber völlig in sich verschlossen und ohne Einsicht in die Situation. Zufällig ergab sich ein wesentlicher Hinweis: In der Nähe fuhr ein Fahrzeug mit Sonderzeichen vorbei. Herr E. wurde sehr unruhig, versuchte aufzustehen, zeigte deutliche Hinweise auf Angst und wollte fliehen.
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ein ruhiger und bedächtiger Onkel berichtete, er sei Student an der Universität in Adana gewesen und habe sich für die „Koma Civaken Kurdistan“ engagiert. Er sei beim Newrozfest in der Provinz Urfa von der Polizei verhaftet worden. Der Onkel habe sich zunächst keine großen Sorgen gemacht, da dies schon mehrfach geschehen sei. Seine Schwester habe gesagt, der Sohn sei jetzt kaputt, es sei zu spät. Mehr habe sie nicht gesagt. Später habe er erfahren, dass der Neffe bei seiner Entlassung Verletzungen im Gesicht, Schwellungen an Füßen und Rücken, eine Kieferverletzung, Spuren von Schlägen auf dem Kopf und deutlich sichtbare Fesselspuren bzw. Striemen an den Handgelenken gehabt habe. Einige Verletzungen seien noch bei der Ankunft in Deutschland sichtbar gewesen. Der Onkel behielt nur mühsam seine Fassung. Er sei sehr erschrocken gewesen, als er seinen Neffen gesehen habe.
Zertrümmerte Handwurzel: Schläge sind eine der Am häufigsten angewendeten Foltermethoden
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err E. war in Deutschland mehrfach wegen akuter Suizidalität in psychiatrischen Kliniken. Dort wurden optische und akustische Halluzinationen beschrieben. Er musste wegen Suizidversuchen zum Eigenschutz mehrfach fixiert werden. Es gelang nicht, seine ausgeprägt autistischen Züge zu durchbrechen. Eine umfassende Betreuung wurde vom Amtsgericht bestätigt.
Dieser sei früher ein lebenslustiger, fröhlicher und intelligenter Junge gewesen, der sein Studium gut gemeistert habe. Jetzt sei er kaum ansprechbar, er habe auch ihm, seinem Onkel, kaum etwas berichtet, er habe nur angedeutet, dass er etwas erlebt habe, mit dem er nicht leben könne. Es war deutlich, dass der Onkel an eine sexuell gefärbte Traumatisierung dachte, die für Herrn E. unerträglich war. Er berichtete, dass sein Neffe ein paar Mal versucht habe, sich das Leben zu nehmen. Er habe ihn zweimal mit einem Messer erwischt, zweimal habe er über dem Balkongeländer gebeugt gestanden (die Familie wohnt im dritten Stock), er schlafe deswegen häufiger im Wohnzimmer, um die Tür zum Balkon zu bewachen und stelle ansonsten etwas vor diese Tür, um nachts zu hören, wenn sein Neffe versuche, die Tür zu öffnen. Er habe dann gehört, dass sein Neffe auch in der Türkei schon mehrfach versucht habe, sich umzubringen, dass er dort auch bei einem Arzt gewesen sei und die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gestellt worden sei.
Bei einem späteren Untersuchungstermin war er mir gegenüber etwas zugänglicher. Er berichtete von Schreien und Schüssen, die er wohl in der Haft gehört hatte, er sagte, er könne die Stimmen nicht auseinanderhalten. Es waren offensichtlich seine Freunde. Nach den Schüssen kam ein Polizist und sagte: „Dein Leben wird auch so enden wie bei Deinem Parteifreund.“ Während eines Krankenhausaufenthaltes in Hagen versteckte er sich in einem Schrank, als Polizisten einen Mitpatienten brachten, und musste dort mit Gewalt herausgeholt werden. Aufgezeichnet von Dr. med. Hans Wolfgang Gierlichs aus Aachen, Arzt für innere Medizin, psychotherapeutische Medizin, Psychoanalytiker. Gierlichs ist Mitglied der Härtefallkommission NRW und beschäftigt sich mit der Behandlung und Begutachtung traumatisierter Flüchtlinge. 23
Folter
Die juristische Perspektive Die Rechtsstellung von Folteropfern in asylrechtlichen Verfahren
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während des Asylverfahrens, nicht um die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht. Eine aufenthaltsrechtliche Wirkung wäre denkbar, wenn im Einzelfall die erforderliche Behandlung einer zu schützenden Person nur im Inland möglich ist.
ie Sicht des Mediziners auf Verpflichtungen gegenüber Folteropfern unterscheidet sich von der des Juristen. Ärzte sehen es als ihre Aufgabe und Pflicht, Menschen zu helfen, die von Schmerzen und Krankheit geplagt sind. Juristen hingegen fragen, inwieweit Hilfspflichten gegenüber Folteropfern durch verbindliche Rechtsnormen vorgeschrieben sind und wo diese Pflichten enden. Medizinisch sind Folteropfer Menschen, die schweres Leid erfahren haben und denen aufgrund ihrer vielfältigen gesundheitlichen Probleme umfassende Hilfe zuteilwerden sollte. Juristisch existiert keine Rechtsnorm, die bestimmt, dass aus dem Ausland stammende Folteropfer ohne Weiteres und auf Dauer in Deutschland oder Europa aufgenommen werden müssen und ihnen jede erforderliche Hilfe zu leisten ist. Eine solche Rechtsnorm wäre denkbar, stünde in vollem Einklang mit sozialstaatlichen Prinzipien und könnte auf demokratischem Wege eingeführt werden. Sie ist jedoch im gegenwärtig geltenden Recht in dieser Allgemeinheit nicht enthalten.
Folteropfer wollen dauerhaft im Ausland Zuflucht finden, das heißt dort Asyl oder jedenfalls Schutz vor Abschiebung in ihr Herkunftsland erlangen. Demzufolge werden im Folgenden diejenigen staatlichen Verpflichtungen asyl- und ausländerrechtlicher Natur näher betrachtet, die ihnen einen derartigen Schutz verschaffen können. Menschen fliehen im Allgemeinen aufgrund von Umständen, die in der Vergangenheit liegen. Bei der Prüfung asyl- oder ausländerrechtlicher Schutzbegehren liegt der rechtliche Bezugspunkt aber in der Zukunft: Die einschlägigen Rechtsnormen gewähren Schutz, wenn der betroffenen Person bei einer (vorgestellten künftigen) Rückkehr in ihr Herkunftsland bestimmte Gefahren drohen. Auch bei Folteropfern genügt es also nicht, die Vergangenheit zu betrachten, sondern es ist stets eine (zukunftsgerichtete) Prognose erforderlich. Es ist vorrangig nicht erlittene Folter, sondern drohende künftige Folter, die eine Person vor Abschiebung schützen kann. Erlittene Folter kann aber eine wesentliche Tatsache für die Gefahrprognose sein.
Ein erster Ansatz in dieser Richtung ist beispielsweise Art. 20 der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (sog. Aufnahmerichtlinie). Er verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten, „Personen, die Folter, Vergewaltigung oder andere schwere Gewalttaten erlitten haben, im Bedarfsfall die Behandlung zukommen zu lassen, die für Schäden, welche ihnen durch die genannten Handlungen zugefügt wurden, erforderlich ist“. Es geht um die Behandlung von Asylbewerbern
Im Folgenden werden einige praktisch besonders bedeutsame Schutzformen in Fallgruppen untersucht:
Flüchtlingsstatus Gefolterte Menschen können als „Flüchtlinge“ im völkerrechtlichen Sinne in einem anderen Land Schutz erlangen. Ein Flüchtling ist nach Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention vor Abschiebung in sein Herkunftsland geschützt, wenn sein Leben oder seine Freiheit aus bestimmten Gründen bedroht wäre. Die Verfolgung als Eingriff in Leib, Leben oder Freiheit muss mit einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit bevorstehen, sie muss auf einem diskriminierenden Grund beruhen, nämlich auf seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Überzeugung.
Altenhain, Kruse, Hagemeier, Hofmann (Hg.):
Folter vor Gericht 1. Auflage 2013 176 Seiten gebunden 34,99 €
Folter stellt sicherlich eine Verfolgung im Sinne des Flüchtlingsschutzes dar. Wenn sie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bevorsteht, wird geprüft, ob sie aus einem diskriminierenden Grund geschehen würde. Oft wird das der Fall sein. Allerdings sind in Ländern, in denen auch unpolitische Straftatverdächtige gefoltert werden, auch andere Konstellationen vorstellbar.
V&R unipress ISBN 978-38471-0056-0 24
Speer mit Widerhaken, der einem jungen Mann aus Simbabwe durch die Hand gebohrt wurde.
Die Schutzvorschrift des Art. 33 Abs. 1 der Flüchtlingskonvention gilt nicht unbedingt für Schwerverbrecher, Terrorismusverdächtige oder Personen, die schwere nichtpolitische Verbrechen, Kriegsverbrechen oder andere Handlungen begangen haben, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen.
ter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet und ihr im Falle ihrer Rückkehr eine erhebliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustands drohen würde. Eine solche Verschlechterung kann sich aus vielerlei Umständen ergeben, etwa aus fehlenden oder unerreichbaren Behandlungsmöglichkeiten im Heimatstaat, aus der Möglichkeit einer Retraumatisierung nach der Abschiebung oder einer erhöhten Selbsttötungsgefahr im Heimatstaat. Derartige Abschiebungshindernisse können bei Asylsuchenden nur durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) festgestellt werden.
Drohende Folter als Abschiebungshindernis Es gibt eine Reihe von Schutzvorschriften, die Abschiebung in jedem Falle drohender Folter ausschließen, ohne dass es des Nachweises einer diskriminierenden Absicht bedarf. Derartige Schutzvorschriften befinden sich im Aufenthaltsgesetz, in Richtlinien der EU sowie in Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Hiernach ist drohende Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe in jedem Fall ein absolutes Abschiebungshindernis. Die Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes und der EMRK gelten auch für Terrorismusverdächtige und andere als gefährlich eingeschätzte Personen. Die „Qualifikationsrichtlinie“ der EU bestimmt, dass bereits erlittene Folter bei der Gefahrprognose maßgeblich zu berücksichtigen ist.
Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse Nach § 60a Abs. 2 Aufenthaltsgesetz ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Hierzu zählt die Reiseunfähigkeit der betroffenen Person. Eine konkrete, ernsthafte Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit macht die Abschiebung unzulässig, sie kann sich auch aus der einem Folteropfer drohenden Retraumatisierung durch den Abschiebungsvorgang ergeben. Dieses inlandsbezogene Vollstreckungshindernis muss von der Ausländerbehörde berücksichtigt werden. Es ist offenkundig, dass die Abgrenzung zwischen zielstaats- und inlandsbezogenen Gefahren im Einzelnen schwierig sein kann.
Verbot der Abschiebung bei konkreter Gefahr Nach § 60 Abs. 7 S. 1 Aufenthaltsgesetz soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Norm erfasst auch diejenigen Fälle, in denen für die betroffene Person keine Gefahr erneuter Folter besteht, die Person aber wegen der bereits erlittenen Folter un-
Zusammenfassung von Ralf Alleweldt „Der Begriff der Folter und die Rechtsstellung von Folteropfern in asylrechtlichen Verfahren“, in: Altenhain, Kruse, Hagemeier, Hofmann (Hg.): Folter vor Gericht, V&R unipress, Göttingen 2012 von Hans-Wolfgang Gierlichs 25
Folter
Zurück ins Leben Das Kirkuk-Zentrum für Gewaltopfer im Irak
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ür den zehnjährigen Amir aus Kirkuk, einer überwiegend von Kurden bewohnten Provinz im Norden Iraks, ist das Sprechen keine Selbstverständlichkeit. Monatelang war er nicht fähig ein Wort zu wechseln. Mit niemandem. Er ging zur Schule, lernte, machte seine Schulaufgaben – und gab dabei keinen Laut von sich. Die LehrerInnen akzeptierten seine Sprachlosigkeit, da er dem Unterricht folgte und die Prüfungen bestand. Amir hatte mit ansehen müssen, wie seine Mutter von irakischen Sicherheitskräften ermordet wurde. Sie hatte versucht, ihren Ehemann zu schützen, als die Männer in ihr Haus eindrangen, um ihn festzunehmen. Die Eindringlinge erschossen sie auf der Stelle, Amirs Vater wurde ins Gefängnis gebracht und monatelang gefoltert. Der kleine Junge kam zu Verwandten – und sprach von diesem Tag an kein Wort mehr. Irgendwann brachte ihn jemand ins Kirkuk Zentrum für traumatisierte Opfer von Gewalt und Folter.
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as Behandlungszentrum in der nord irakischen Stadt wurde 2005 gegründet und gab der Menschenrechtsorgani-
sation „Kirkuk Center for Torture Victims“ ihren Namen. Zwischen 2008 und 2011 entstanden mit internationaler Unterstützung weitere fünf Zentren in den Städten Sulaymaniyah, Erbil, Chamchamal, Halabja und Duhok. Sie alle befinden sich im Norden Iraks, bis auf das Zentrum in Kirkuk alle in der Autonomen Region Kurdistan. Das „Kirkuk Center for Torture Victims“ wurde von Salah Ahmad in Zusammenarbeit mit dem Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer (bzfo) ins Leben gerufen. Der gebürtige Kurde war 1981 nach Deutschland geflohen, hatte in Berlin Pädagogik studiert und die Ausbildung zum Psychotherapeuten gemacht. Seit 1992 ist er beim bzfo tätig. Die Gründung der Behandlungszentren in seinem Heimatland ist seine Lebensaufgabe. Der Bedarf dort ist groß. 40 Jahre lang lebten die Menschen unter der Gewaltherrschaft des totalitären Baath-Regimes. Vier Jahrzehnte, die geprägt waren von Angst und Terror. Menschen verschwanden, wurden willkürlich verfolgt, gefoltert, hingerichtet. Ein Recht auf Leben gab es nicht. Nach der Machtübernahme von Saddam Hussein 1979 spitzten sich die massiven Menschenrechtsverletzungen im Irak bis zum Äußersten zu. Nach seinem Sturz 2003
Atlas of torture: use of medical and diagnostic examinations results in medical assessment of torture Istanbul: Human Rights Foundation of Turkey, 2010.- X, 237 S.: Ill. - Iskence Atlasi (Eng.), ISBN: 978-975-7217-76-3 Zu beziehen beim Berliner Zentrum für Folteropfer: www.bzfo.de Telefon: 030 / 30 39 06 -16
herrschten in dem völlig destabilisierten Land bürgerkriegsähnliche Zustände. Terroranschläge, blutige Aufstände gegen die Alliierten und religiöse Kämpfe führten immer wieder zu Gewalteskalationen. Auch nachdem sich die Lage im Irak seit 2007/2008 etwas gebessert hat, ist ein Leben in Freiheit und Sicherheit für viele Menschen im Land keineswegs selbstverständlich. Häusliche und sexuelle Gewalt, willkürliche Verhaftungen und menschenunwürdige Behandlung in den Gefängnissen sind noch immer verbreitet.
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s ist das Anliegen der Kirkuk Zentren den Opfern dieser Gewalttaten beizustehen, ihnen zu helfen, die erlebten Traumata zu verarbeiten und wieder ein menschenwürdiges Leben zu führen. Die Türen der Behandlungszentren stehen allen Betroffenen unabhängig von ihrem Alter und Geschlecht, ihrer ethnischen Herkunft oder Glaubensrichtung offen. Mehr als 120 professionell ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – u. a. ÄrztInnen, PsychiaterInnen und PsychologInnen, SozialpädagogInnen und AnwältInnen – sind in den sechs Zentren und mobilen Hilfsteams tätig. Sie bieten kostenlos medizinische, psychosoziale und juristische Unterstützung für die Opfer und ihre Familienangehörigen an, kümmern sich um das langfristige körperliche und seelische Wohl der Betroffenen und leisten Beistand bei ihrer sozialen Wiedereingliederung. Etwa 2.000 Überlebenden geben sie so jedes Jahr neuen Lebensmut, die Hälfte davon sind Frauen, ein Drittel Kinder und Jugendliche. Gerade auch diesen noch immer benachteili-
„Das Schweigen zu durchbrechen ist der schwierigste Teil unserer Arbeit.“
gten Bevölkerungsgruppen, ebenso wie Angehörigen religiöser und ethnischer Minderheiten den Zugang zu professioneller Unterstützung zu gewährleisten, ist eine der dringendsten, aber gleichzeitig auch eine der schwierigsten Aufgaben der Behandlungszentren.
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ls friedenspolitische Menschenrechtsorganisation ist es dem „Kirkuk Center“ ein wichtiges Anliegen, einen gesellschaftlichen Wandel im Irak hin zu mehr Freiheit und Toleranz zu unterstützen. So werden beispielsweise Informationsveranstaltungen organisiert, um über die Rechte von Gewaltopfern aufzuklären, öffentliche Seminare zum Thema Frauenrechte angeboten, in Schulen, Jugendgefängnissen und Einrichtungen des Gesundheitswesens Kurse für die Durchsetzung und Verbreitung von Kinderrechten durchgeführt. „Das Schweigen zu durchbrechen ist der schwierigste Teil unserer Arbeit“, sagt Bayan Azizi, Leiterin des „Program for Women“ beim „Kirkuk Center“. Sie meint damit vor allem die vielen Frauen im Irak, die täglich Opfer von Vergewaltigung, körperlicher Misshandlung, Genitalverstümmelung oder Zwangsheirat sind. Wie beispielsweise Khadija. Nachdem ihr Ehemann ermordet worden war, musste die 25-jährige mit ihren zwei kleinen Kindern zu ihrem Schwager ziehen. Von ihm wurde sie mehrfach vergewaltigt, bis es ihr schließlich gelang zu ihren Eltern zu fliehen. Oft halten Frauen wie Khadija ihre Leidensgeschichte jahrelang geheim, aus Angst vor Bestrafung, aber auch, weil sie fürchten in den Augen von Müttern,
Schwestern oder Freundinnen nach einer Offenbarung nichts mehr wert zu sein. Dies zeigt, wie tief die Tradition und vielleicht mit ihr eine Fehlinterpretation der islamischen Religion in ihrem Denken verwurzelt ist. Diesen Frauen und allen anderen Opfern von Gewalt einen Raum zu geben, wo sie über ihre Erlebnisse sprechen können, ist der erste Schritt zur Bewältigung ihrer Traumata und gleichzeitig eine unerlässliche Voraussetzung für einen Wandel in den Köpfen der irakischen Bevölkerung. Die ersten Worte nach langer Zeit des Schweigens, ein erstes Lachen nach Jahren des Schmerzes und der Erniedrigung – erste Anzeichen für eine wiedergewonnene Spur menschlicher Würde. Für Salah Ahmad sind es diese Augenblicke, die ihm die Kraft und den Mut geben mit seiner schwierigen Arbeit weiterzumachen. Sie ist für ihn mehr als medizinische Hilfe – sie ist Friedensarbeit. Denn nur durch das Brechen des Schweigens, durch Anteilnahme und durch allmählich aufgebautes Vertrauen wird es möglich sein, die Spirale der Gewalt im Land zu durchbrechen, zu verhindern, dass Opfer zu Tätern werden, wie im Fall eines arabischen Mannes, der zusammen mit seinem Sohn fast zwei Jahre in Behandlung war. Er war von der Polizei auf furchtbare Weise gefoltert worden und hatte danach begonnen, seinen eigenen Sohn regelmäßig mit einem Gürtel zu schlagen. Solche Geschichten sind keine Seltenheit. Sie zeigen, wie wichtig die Arbeit des „Kirkuk Center“ ist, nicht nur im Einzelfall, sondern auch für den nationalen Frieden, für eine Gesellschaft mit mehr Toleranz und Mitgefühl. 27
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er zehnjährige Amir war lange im Kirkuk Zentrum in Behandlung. Es dauerte sechs Monate, bis er begann nonverbal auf Fragen zu antworten. Nach über 30 Sitzungen konnte er zum ersten Mal über den Tod seiner Mutter weinen und murmelte leise „aber ich spreche doch noch“. Dies war der Wendepunkt für ihn. Nach jener Sitzung lief er zu seinem Vater und sagte ihm, dass er von jetzt an sprechen wolle. Die Antwort waren Tränen der Freude. Salah Ahmad war am 3. November 2012 Gast des IPPNW-Arbeitskreises Flüchtlinge und Asyl.
Mehr über die Arbeit des „Kirkuk Center for Torture Victims“ unter: www.kirkuk-center.org
Dörte Dahlke hat gerade ihr Medizinstudium an der Universität Göttingen abgeschlossen und ist Praktikantin bei der IPPNW.
Bild: Banksy
Foltern ohne Spuren Psychologie und „weiße Folter“
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enn von „Psychologie und Folter“ die Rede ist, wird man zuerst an therapeutische Aufgaben denken. Psychologen spielen eine wichtige Rolle bei der Betreuung von Folteropfern. Der Versuch, ihre Leid zu lindern, erfordert profundes Wissen über die Auswirkungen, die solche „Verwüstungen der Seele“ haben. Die Psychologie trägt aber auch dazu bei, die Bedingungen besser zu verstehen, unter denen es zu Folter kommt; sie betreibt Ursachenforschung. So wäre Folter kaum denkbar ohne die Annahme, dass bestimmte Personen- und Kulturgruppen minderwertig seien und man ihnen jene Rechte absprechen könne, die wir ansonsten für selbstverständlich halten. Aus geschichtlichen Erfahrungen ebenso wie aus Untersuchungen der Sozialpsychologie wissen wir, dass der Mensch eine einzigartige Flexibilität darin hat, auf der Basis nahezu x-beliebiger Merkmale, sei es Hautfarbe, Religion, Herkunft, Geschlecht oder sexuelle Orientierung, andere aus der Kategorie „Meinesgleichen“ auszugrenzen und ihnen das zu verwehren, was er als elementare Menschenwürde für die als „Seinesgleichen“ Empfundenen beansprucht. Dies macht ihn unempfänglich für das Leid derjenigen, die er als „Nicht-Seinesgleichen“ ansieht. Die Psychologie kann die Mechanismen solcher Kategorisierungen aufklären helfen. Die Voraussetzungen sowie die Auswirkungen von Folter gehören folglich in ihren Untersuchungsbereich. Wenn von „Psychologie und Folter“ die Rede ist, denkt jedoch kaum jemand daran, dass Psychologen auch zur Entwicklung und Verfeinerung
von Foltertechniken beigetragen haben. In den letzten Jahren kamen mehr und mehr Details darüber ans Licht, wie sehr Vertreter des Fachs an der Entwicklung und Durchführung von Methoden psychologischer Folter beteiligt waren.
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it der Etablierung demokratischer Rechtsstaaten und ihrer weit gehenden Kontrolle durch die Öffentlichkeit veränderte sich auch das Gesicht der Folter. Um sie gleichsam unsichtbar zu machen, wurden neue Techniken entwickelt, die man als „Clean Torture“, „White Torture“ oder „Psychological Torture“ bezeichnet. Mit diesen Methoden lässt sich der Wille eines Gefangenen ebenso effizient brechen wie durch körperliche Misshandlungen. Jedoch hinterlassen sie keine sichtbaren Spuren, was diese neuen Techniken gerade für Regierungen demokratischer Staaten attraktiv macht. Diese neuen Foltertechniken breiten sich, Menschenrechtsorganisationen zufolge, epidemieartig aus. An den „innovativen Verhörmethoden“, wie sie in Guantánamo, Bagram oder Abu Ghraib zum Einsatz kamen, haben Psychologen entscheidend mitgewirkt. In den Fokus der Weltöffentlichkeit geriet dies im Jahr 2007: Damals bekundete die größte psychologische Berufsvereinigung, die American Psychological Association (APA), dass Psychologen, die „innovative Verhörtechniken“ entwickeln oder Verhörexperten darin ausbilden, „einen wertvollen Beitrag“ leisten, um „Schaden von unserer Nation, anderen Nationen und unschuldigen Zivilisten abzuwenden“. Um die Tragweite eines solchen Legiti28
mierungsversuchs der weißen Folter zu verstehen, muss man die Hintergründe näher betrachten.
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ach internationalen Rechtsnormen stellt Folter einen Angriff auf ein Rechtsgut dar, das absolut schützenswert ist. Das Folterverbot gestattet keine Ausnahmen – auch nicht im Fall eines politischen oder gesellschaftlichen Notstands. Es gegen andere Rechtsgüter abzuwägen, gilt grundsätzlich als nicht statthaft. Auf diese Weise soll dem Macht- und Sicherheitsanspruch des Staates eine absolute rechtsstaatliche Grenze gesetzt werden.
Eine Frage des „Ausgeliefertseins“ Ob etwas als Folter anzusehen ist oder nicht, lässt sich freilich nicht allein am Grad des verursachten körperlichen oder seelischen Schmerzes messen. Das bestimmende Merkmal ist vielmehr die besondere Art der interpersonalen Situation, in der sich der Gefolterte in seiner gesamten Existenz dem Willen des Folterers ausgeliefert fühlt. In einer solchen Situation stellen bestimmte Techniken, wenn man sie in geeigneter Kombination anwendet, ein äußerst effektives Mittel dar, den Willen eines Menschen zu brechen. Hierzu zählen vor allem: räumliche und zeitliche Desorientierung, soziale Isolation, Reizund Schlafentzug, sensorischer Schmerz durch Lärm und grelles Licht, Erzwingen körperlicher Stresspositionen sowie sexuelle und kulturelle Erniedrigung.
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n den ersten Untersuchungen zu den Folgen sensorischer Deprivation in den 1950er Jahren war einer der damals bedeutendsten Psychologen, der
Kanadier Donald O. Hebb, entscheidend beteiligt. Hebb berichtete, dass sich „die Identität von Versuchspersonen aufzulösen begann“, nachdem diese zwei bis drei Tage lang schalldichte Kopfhörer, eine Augenbinde und besondere, das Tastempfinden reduzierende Kleidung trugen. Wie viele andere Forscher suchte Hebb nach Mitteln und Wegen, die psychische Widerstandskraft und den Willen einer Person zu schwächen.
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959 fasste Albert Biderman die damals bekannte Forschung über „Improved Interrogation Techniques“ zusammen: Psychologische Folter sei „der ideale Weg, einen Gefangenen zu brechen“, da sich „Isolation auf die Hirnfunktion des Gefangenen ebenso auswirkt, wie wenn man ihn schlägt, hungern lässt oder ihm Schlaf entzieht“. Dafür genüge es, den Betreffenden aller sozialen Kontakte zu berauben, ihn zu desorientieren, seinen Schlaf-Wach-Rhythmus zu stören und ihn massiv unter Stress zu setzen. Nach und nach komme es so zur Regression auf eine infantile Stufe. Auch ein Verhörhandbuch der CIA, das berüchtigte „KUBARK“ 6 von 1963, beschreibt bereits ausführlich, wie sich die emotionale Verletzbarkeit des Einzelnen zu diesem Zweck ausnutzen lässt. Das Handbuch erklärt den Auszubildenden sogar, dass die betreffenden Techniken dank der psychologischen Forschung leicht erlernbar seien: „Es hört sich schwieriger an als es ist, den Willen einer Person durch psychologische Manipulation und ohne Anwendung von äußerlichen Methoden zu brechen.“ Das KUBARKHandbuch empfiehlt etwa die ständige Manipulation der Zeit durch Vor- und Zurückdrehen der Uhr, was den Gefangenen „immer tiefer in sich selbst verstrickt“. Ist die zeitliche Orientierung einmal zerstört, sollten weitere Methoden hinzutreten. Letztlich komme es darauf an, die Erfahrungswelt des Betreffenden völlig unberechenbar und chaotisch zu gestalten – ein Vorgehen, das als „Alice-in-WonderlandTechnik“ bezeichnet wird.
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ach dem 11. September 2001 wurde die psychologische Forschung auf diesem Gebiet wieder verstärkt. Eine Verhörtechnik galt als optimal, wenn sich durch sie der Wille selbst der stärksten Persönlichkeit brechen ließ und ihre Fol-
gen zugleich für die Öffentlich unsichtbar blieben. Im Jargon der Guantánamo-Verhörprotokolle tragen die von Psychologen entwickelten Maßnahmen Namen wie „Pride and Ego down“, „Fear up Harsh“ oder „Invasion of Space by a Female“. Hinter „Pride and Ego down“ verbirgt sich beispielsweise, muslimische Gefangene nackt vor weiblichen Aufsehern zu verhören oder in Frauenunterwäsche posieren zu lassen. Auch erzwungenes Masturbieren oder das Vorführen von „Kunststücken“ wie ein dressierter Hund gehören dazu. Verbunden mit mehrtägigem Schlafentzug, sensorischer Deprivation und Desorientierung sowie stundenlangem Verharren in starren Körperhaltungen destabilisiert dies die Gefangenen psychisch derart, dass es schließlich zu willfähriger Unterwerfung kommt.
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ie in Guantánamo angewandten Verhörtechniken haben Psychologen entworfen – insbesondere die Firma „Mitchell, Jessen & Associates“, die sich auf die Ausbildung von Verhörexperten spezialisiert hatte. James Mitchell und Bruce Jessen nahmen im Mai 2002 an einem vom Pentagon und der CIA organisierten Symposium teil, bei dem anlässlich der Festnahme eines al-Qaida-Führungsmitglieds „innovative Verhörtechniken“ vorgestellt und diskutiert wurden. Auf dieser Veranstaltung hielt der renommierte Psychologe Martin Seligman einen Vortrag, in dem er über das Konzept der erlernten Hilflosigkeit referierte. Die von Mitchell und Jessen entwickelte Methode zielt vornehmlich darauf ab, den Verhörten in einen solchen Zustand erlernter Hilflosigkeit zu versetzen. Auch die Verhöre in Guantánamo selbst fanden häufig unter Aufsicht von Psychologen statt. Müssten diese Vorgänge unter Psychologen nicht für Empörung sorgen? Sollte man der American Psychological Association (APA) nicht ihre eigenen ethischen Richtlinien in Erinnerung rufen? Tatsächlich verlangten nur wenige der rund 150.000 APA-Mitglieder das wahre Ausmaß der Beteiligung von Psychologen an Menschenrechtsverletzungen aufzudecken. Nachdem bekannt wurde, wie sehr das Prinzip der „innovativen Verhörmethoden“ auf der Expertise von Psychologen beruhte, geriet die APA dennoch zunehmend unter Druck. Zwar stellte der Verband in einer Stellungnahme fest, dass 29
er jede Art von Folter ablehne. Bei den angewandten Methoden handle es sich jedoch zum einen gar nicht um Folter. Zum anderen gebe es nicht nur eine ethische Verpflichtung, das Individuum zu schützen, sondern auch die, Schaden von der Nation abzuwenden. Im Konfliktfall gelte es, beides gegeneinander abwägen - etwa um sicherheitsrelevante Informationen zu beschaffen. (Die Argumentation klingt erschreckend vertraut: Auch NS-Ärzte hatten seinerzeit einen Konflikt geltend gemacht zwischen der Verpflichtung, dem Wohl des Einzelnen zu dienen, sowie der, den „Volkskörper“ gesund zu erhalten.)
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nter dem wachsenden öffentlichen Druck vollzog die APA im Oktober 2008 – rechtzeitig zum erwarteten politischen Machtwechsel in den USA – eine späte Kehrtwende. Sie kündigte eine „deutliche Änderung“ ihrer Haltung an: Psychologen dürften sich ab sofort nicht mehr an Menschenrechtsverletzungen von Gefangenen beteiligen. Dennoch vermittelt die APA bis heute den Eindruck, dass sie die Diskussion um die Entwicklung und Durchführung von Techniken der „weißen Folter“ nicht unmittelbar betreffe und dass es nur um Verfehlungen einzelner „schwarzer Schafe“ gehe. Zugleich hat sie erkennen lassen, dass sie die verabschiedeten Resolutionen gegen eine Beteiligung von Psychologen an folterähnlichen Verhören nicht als verbindlichen Teil ihrer ethischen Richtlinien ansieht. Wie sicher können wir vor dem Hintergrund solcher geschichtlichen Erfahrungen sein, dass der Schutz und die Menschenwürde des Einzelnen nicht bei nächster Gelegenheit wieder dem vermeintlich übergeordneten Interesse des Staates zum Opfer fallen?
Zuerst erschienen in: Wissenschaft und Frieden www.kurzlink.de/weisse-folter
Rainer Mausfeld ist Professor für Allgemeine Psychologie an der ChristianAlbrechtsUniversität Kiel.
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Austausch statt Isolation Iran-Reise der IPPNW – Eindrücke, Begegnungen und Reflektionen
„Wer mit dem Finger auf andere zeigt, zeigt mit drei Fingern seiner Hand auf sich selber.“ Gustav Heinemann, ehemaliger Bundespräsident
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chon die Flugreise von Frankfurt aus mit Iran Air führt uns in die gegenwärtigen Beziehungen zwischen Deutschland und der Islamischen Republik Iran ein: Weil aufgrund der Handelssanktionen den iranischen Flugzeugen in Deutschland das Auftanken verweigert wird, muss die Maschine in Budapest einen Zwischenstopp zum Tanken einlegen – ebenso wenig werden dann auch die Lufthansamaschinen in Teheran aufgetankt.
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Es war nicht ganz leicht, ein kohärentes Bild von den Folgen der westlichen Sanktionspolitik für die Versorgung der Bevölkerung zu bekommen. In den Krankenhäusern wurde uns berichtet, die Medikamentenlieferungen seien bisher noch bedarfsgerecht, allerdings mache man sich Sorgen über die weitere Entwicklung. Bereits jetzt sei z. B. die Impfung gegen Pneumokokken-Infektionen kaum durchzuführen, da in diesem Jahr „Pneumovax“ auf dem iranischen Markt nicht verfügbar ist. Weniger ein gezieltes Embargo der ausländischen Lieferanten, als eher die Probleme im Zahlungstransfer durch den Abbruch der Finanzbeziehungen sind da ursächlich. Peter Teijler, der schwedische Botschafter in Iran, erklärt uns, diese Schwierigkeiten sollten lösbar sein – zumal Iran immer noch ein reiches Land ist.
n Teheran werden wir mit großer Gastfreundschaft von unseren iranischen Partnern aufgenommen. Dr. Shariar Khateri füllt mehrere wichtige Funktionen aus: Hauptamtlich arbeitet er für die Forschungsabteilung der staatlichen Institution, die für die Versorgung der rund 65.000 Überlebenden des Giftgaskrieges zuständig ist – Menschen, die bis heute unter den schweren Folgen für ihre Lungenfunktion und ihre Sehfähigkeit leiden, welche insbesondere durch Senfgas verursacht wurden. Das Giftgas wurde zwischen 1983 und 1988 von den irakischen Truppen im von Saddam Hussein gegen Iran vom Zaun gebrochenen Golfkrieg eingesetzt, und 1988 auch zur Niederschlagung des kurdischen Aufstands insbesondere im irakischen Halabja, wo etwa 5.000 Bewohner auf diese Weise ermordet wurden. Hersteller eines wichtigen Teils der Produktionsanlagen war damals die deutsche Firma Karl Kolb gewesen – ein grauenhaftes Beispiel für gewissenlose Exportpolitik made in Germany.
ir besuchten das Labafinejad Hospital, das für die Behandlung der chronischen Giftgasfolgen eingerichtet ist, und ließen uns vom Ophthalmologen Professor Javadi die häufig erst viele Jahre nach der toxischen Einwirkung auftretenden Cornea-Schäden informieren, bei denen oft nur eine Transplantation eine Erblindung verhindern kann. Die Behandlung wird aktuell erschwert durch den Mangel an ophthalmologischen Immunsuppressiva, verursacht durch Handelssanktionen.
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llerdings: Im privaten Gespräch konnten wir auch von zunehmender Arbeitslosigkeit durch Probleme der iranischen Industrie hören, unter den Bedingungen des westlichen Embargos die Produktionsketten in Gang zu halten. 30
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err Nazir, Vizeminister im Außenministerium mit Zuständigkeit für Abrüstungsfragen, erläuterte uns bei unserem Besuch die grundsätzliche Gegnerschaft seiner Regierung gegenüber nuklearer Bewaffnung, befriedigte aber nicht alle mit seiner Antwort darauf, warum Iran den Teststoppvertrag für Nuklearwaffen zwar unterschrieben, aber bis heute nicht hat ratifizieren lassen. Er begründete dies mit der aggressiven Haltung westlicher Regierungen, die nicht auf Lösung der kontroversen Fragen, sondern auf eskalierende Konfrontation setzten. Diese Sichtweise erhielt für mich eine gewisse Plausibilität, als ich die Nachricht las, iranische Sender seien vom europäischen Kommunikationssatelliten EUTELSAT ausgeschlossen worden, und so für die Öffentlichkeit in Europa kaum noch zugänglich. Blockade- und Boykottpolitik dieser Art können kein Mittel der Friedenssicherung sein, ebenso wenig doppelte Standards, wenn sich Atomwaffenmächte mit dubiosen strategischen Plänen zu Strafrichtern im internationalen Raum aufwerfen. Unser Besuch war ein Beitrag, Blockade und Isolation durch Austausch und Kennenlernen entgegenzuwirken. Dank für die Realisierung gilt v. a. Dr. Khateri und Dr. Leila Moein von der iranischen IPPNW sowie Gunnar Westberg, dem früheren IPPNW-Co-Präsidenten. Wir freuen uns auf den Gegenbesuch der Kollegen zum IPPNW-Kleinwaffenkongress 2013.
Matthias Jochheim ist Arzt für Allgemeinmedizin, Psychotherapeut und Vorsitzender der IPPNW Deutschland.
aktion
Ryuichi Nakate
Seiichi Nakate
Aus erster Hand
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Veranstaltungen im Herbst 2012
Yoshimi Morishima
Kazuhiko Kobayashi 31
© Walter Gerbracht
in den deutschen Medien ist es still um „Fukushima“ geworden. Einen Eindruck von der Lage der Menschen dort konnten sich Interessierte in diesem Herbst auf zahlreichen von IPPNW-Regionalgruppen mitorganisierten Veranstaltungen mit Gästen aus Japan verschaffen. Auf seiner Reise durch Deutschland berichtete der Germanist Kazuhiko Kobayashi über die dramatisch wachsende Anti-Atom-Bewegung in Japan und die Entstehung einer neuen Protestkultur. Der Atomkraftgegner Seiichi Nakate erzählte von seinem Engagement zum Schutz der Kinder in den kontaminierten Gebieten und dem sozialen und finanziellen Druck, dem Familien ausgesetzt sind, die wegziehen wollen. Der aus Hiroshima stammende Germanistikprofessor Yoshimi Morishima spannte den Bogen von den Opfern der Atombombe zu den Opfern von Fukushima.
gelesen
Breaking the Silence Israelische Soldaten berichten von Einsatz in den besetzten Gebieten
Wehrmachtsmedizin ihrem
Ärzte als Gutachter für die Kriegsgerichte der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg
W
Wenn Du als Soldat einen Schritt in die besetzten Gebiete machst, dann ist das, als ob du deine Moral in den Reißwolf wirfst“, berichtet Jehuda Schaul und Micha Kurz stellt fest: „Ob Sie es wollen oder nicht, im Laufe der Zeit verwandeln Sie sich in der Armee in den besetzten Gebieten in Monster.“ Diese beiden Ex-Soldaten der israelischen Armee hatten wir auf unseren Begegnungsreisen nach Israel getroffen und waren sehr beeindruckt von ihrem Engagement.
egen „Selbstverstümmelung“ sollen Schätzungen zufolge im Zweiten Weltkrieg etwa 10.000 Soldaten verurteilt worden sein. Gine Elsner und Gerhard Stuby ermittelten und werteten 131 Kriegsgerichtsakten aus. Selbstverstümmelung wurde nach der Kriegssonderstrafrechtsverordnung als „Wehrkraftzersetzung“ und damit als Angriff eines Straftäters auf die „germanische Kernsubstanz“ des deutschen Volkes stilisiert. Diese militärrechtlichen Verfahren bedurften des Sachverstandes von Ärzten.
Im September war in Berlin die faszinierende Ausstellung: „Breaking the Silence – israelische Soldaten berichten von ihrem Einsatz in den besetzten Gebieten“ zu sehen. 22 Videoaussagen aus der Ausstellung können – deutsch untertitelt – auch online angeschaut werden: www.videos.medico.de
Die behandelnden frontnahen Ärzte meldeten häufig von sich aus Verdachtsmomente, die dann bei Gerichtsverfahren von den beratenden Ärzten der Gerichte begutachtet wurden. In 60 der 131 untersuchten Prozesse wurden beratende Ärzte als Sachverständige hinzugezogen. Die Analyse belegt, dass die Ärzte sogar noch häufiger als Militärrichter eine Selbstbeschädigung testierten und damit Todesurteile ermöglichten. Nur wenige Ärzte nutzen ihren Spielraum und interpretierten pathologische Befunde zugunsten der Betroffenen. Seit Beginn des Krieges ging es den Ärzten hauptsächlich im vorauseilenden Gehorsam eher um die Erhaltung der Wehrkraft und weniger um die Einhaltung ethischer Grundsätze. Die beratenden Ärzte der Wehrmacht waren keine Namenlosen. Viele hatten Rang und Namen und waren bekannte Persönlichkeiten in Universitäten und Wissenschaft. Wenn sie nicht altersbedingt ausgeschieden waren, konnten fast alle in der Nachkriegszeit weiter tätig sein und häufig auch auf hervorgehobenen Positionen weiterarbeiten.
Zur Ausstellung ist im Econ Verlag jetzt auch das gleichnamige Buch erschienen. Die israelischen Reservistinnen und Reservisten der NGO „Breaking the Silence“ berichten darin über den Besatzungsalltag, über stillschweigende Zusammenarbeit mit extremistischen Siedlern und über alltägliche Schikanen, die sie den Menschen in den besetzten Gebieten zugefügt haben. Der offizielle Name „israelische Verteidigungsarmee“ suggeriert, ihre primäre Aufgabe sei die Verteidigung des Landes, die Augenzeugenberichte enthüllen jedoch die Realität ihrer Einsätze. Die Soldaten verschaffen sich Zutritt zu den Häusern, verwüsten diese mitunter, führen die Bewohner in Handschellen ab und misshandeln sie manchmal. Soldaten berichten, dass sie Palästinenser als menschliche Schutzschilde missbraucht und in Einzelfällen unbewaffnete Zivilisten erschossen haben.
Dieses lesenswerte und gut lesbare Buch bereichert die Diskussion um die Verstrickung der Ärzte ins NS-Unrechtssystem in der Zeitspanne des Zweiten Weltkrieges. Sie waren wesentlich an der Aburteilung von sogenannten Selbstverstümmelern beteiligt. Dem Buch ist eine breite Leserschaft zu wünschen. Insbesondere sollte es jedem Bundeswehrarzt als Pflichtlektüre zur Reflexion seiner ärztlichen Tätigkeit und der darin liegenden immanenten Gefährdungen wärmstens empfohlen werden.
Im Vorwort schreibt Avi Primor: „Mit diesem wichtigen Buch wollen die Frauen und Männer von ‚Breaking the silence‘ die Flucht der israelischen Gesellschaft in die gefährlich bequeme Vogelstrauß-Politik verhindern. Ihnen geht es um nichts Geringeres als die Menschenrechte und damit um das Überleben ihres Staates Israel. Denn dies sind für ‚Breaking the silence‘ zwei Seiten derselben Medaille.“
Horst Seithe, IPPNW Nürnberg Sabine Farrouh Gine Elsner/Gerhard Stuby: Wehrmachtsmedizin & Militär justiz. Sachverständige im Zweiten Weltkrieg, VSA Verlag, Hamburg 2012, 199 S., 16,80 €, ISBN 978-3-89965-517-9
Breaking the Silence – Israelische Soldaten berichten von ihrem Einsatz in den besetzten Gebieten, Econ-Verlag, 2012, 416 S., 19,99€, ISBN-13: 9783430201476 32
gedruckt
Termine
Der humanitäre Ansatz
Dezember
Das erfolgreiche Verbot von Landminen und Streumunition ist nicht zuletzt dem Fokus auf den humanitären Ansatz zu verdanken: Neue Bündnisse wurden geschaffen, alte Blockaden überwunden und zwei ganze Waffenarten für gesetzeswidrig erklärt. Heute brauchen wir einen ähnlichen Ansatz für Atomwaffen. Deshalb hat die IPPNW in Zusammenarbeit mit der „Internationalen Kampagne zur Ächtung der Atomwaffen“ eine neue Broschüre herausgebracht, die den Fokus auf das katastrophale humanitäre Leid legt, das Atomwaffen auslösen: Angefangen bei den Opfern von Hiroshima und Nagasaki und der durch Strahlung ausgelösten Erkrankungen und Erbgutschäden, über die Folgen der Atomtests und der Urangewinnung zu den weitreichenden Umweltfolgen im Falle ihres Einsatzes. Auch die Verschwendung öffentlicher Mittel für die Erhaltung der Atomwaffenarsenale wird thematisiert – Mittel, die dringend für Armutsbekämpfung, Bildung oder medizinische Versorung gebraucht würden.
19.12. Der Atomwaffensperrvertrag von 1970 und seine Ablösung durch eine Nuklearwaffenkonvention – Xanthe Hall, Hiroshima-Nagasaki Peace Study Course, Berlin
Januar 2.1. „Atoms for Peace 1“ oder die Risiken der zivilen Nutzung der Kernenergie I, Dr. Sebastian Pflugbeil – Hiroshima-Nagasaki Peace Study Course, Berlin 9.1. „Atoms for Peace 2“ oder die Risiken der zivilen Nutzung der Kernenergie II, Dr. Sebastian Pflugbeil – Hiroshima-Nagasaki Peace Study Course, Berlin 17.2. Friedensfilmpreisverleihung, Berlin
Die 28-seitge Broschüre „Katastrophales humanitäres Leid“ ist für 3 Euro in der IPPNW-Geschäftstelle oder im OnlineShop erhältlich: http://shop.ippnw.de
geplant
22.-23.2. Strategiekonferenz der Kooperation für den Frieden, Stuttgart
März
Soziale und gesundheitliche Folgen des globalen Kleinwaffenhandels
2.-3.3. ICAN Civil Society Humanitarian Summit, Oslo 4.-5.3. Staatskonferenz zu humanitären Folgen von Atomwaffen, Oslo
Der Redaktionsschluss für die Ausgabe 133/März 2013 ist der 31. Januar 2013.
24.3.-1.4. Ostermärsche Informationen und Kontaktdaten: www.ippnw.de/aktiv-werden/termine
Impressum und Bildnachweis Herausgeber: Internationale Ärzte für die Verhü-
Redaktion oder des Herausgebers. Nachdrucke
tung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwor-
bedürfen der schriftlichen Genehmigung.
tung e.V. (IPPNW) Sektion Deutschland
Redaktionsschluss
Redaktion: Sabine Farrouh (V.i.S.d.P.), Angelika
31. Januar 2013
Wilmen, Samantha Staudte
Gestaltungskonzept: www.buerobock.de, Layout:
Freie Mitarbeit: Ulla Gorges, Xanthe Hall, Dörte
Samantha Staudte; Druck: H&P Druck Berlin; Pa-
das
Februar
20.2. „Framework Forum“-Öffentliche Veranstaltung, Berlin
Das nächste Heft erscheint Mitte März 2013. Im Schwerpunkt geht es dann um
für
24.1.-3.2. Friedenskonferenz, München
nächste
Heft:
Dahlke, Jens-Peter Steffen, Frank Uhe
pier: PlanoArt, Recycling FSC. Bildnachweise: S.3
Anschrift der Redaktion: IPPNWforum, Körtestra-
Walt Jabsco/Flickr (CC BY-NC-ND 2.0); S.6. links:
ße 10, 10967 Berlin, Telefon: 030 / 69 80 74 0,
Wikimedia Commons; S.6 Mitte: World Health Or-
Fax 030 / 693 81 66, E-Mail: ippnw@ippnw.de,
ganisation (WHO); S.6 rechts: Cap Anamur; S.12
www.ippnw.de, Bankverbindung: Bank für Sozi-
Netzwerk Friedenskooperative; nicht gekenn-
alwirtschaft, Konto 22 22 210, BLZ 100 205 00
zeichnete: privat oder IPPNW.
Mai/Juni 2013 26. - 29.5. Fahrradtour gegen Kleinwaffenhandel, von Ulm in 3 Etappen nach Villingen-Schwenningen
Das Forum erscheint vier Mal im Jahr. Der Be-
30.5.-2.6. Zielscheibe Mensch – Internationaler Kongress zu sozialen und gesundheitlichen Folgen des globalen Kleinwaffenhandels, Villingen-Schwenningen
zugspreis für Mitglieder ist im Mitgliedsbeitrag
www.zielscheibe-mensch.org
enthalten. Sämtliche namentlich gezeichnete Arti-
www.human-target.org
kel entsprechen nicht unbedingt der Meinung der 33
gefragt
6 Fragen an ... Peter Herby
Foto: ICRC
Ehemaliger Leiter der „Abteilung Waffen“ beim Internationalen Kommitee des Roten Kreuz in Genf
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1
Welche Wirkung könnte die Resolution haben? Die Resolution begrüßt die Tatsache, dass eine neue öffentliche Abrüstungsdebatte angestoßen wurde, und erkennt die Bereitschaft des US-amerikanischen und des russischen Präsidenten zur Abschaffung von Atomwaffen an. Sie begrüßt, dass sich alle Unterzeichnerstaaten des Nichtverbreitungsvertrags für Atomwaffen der katastrophalen Auswirkungen dieser Waffen und ihrer Relevanz für das humanitäre Völkerrecht bewusst sind. Die Resolution appelliert an die nationalen Gesellschaften, auf die Problematik aufmerksam zu machen und ihre Regierungen davon zu überzeugen, dass Atomwaffen abgeschafft werden müssen.
Auf der Delegiertenversammlung 2011 verabschiedeten die 186 nationalen Rotkreuz-Gesellschaften und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (ICRC) eine Resolution, die zur Abschaffung von Atomwaffen aufruft. Warum? Es sind die zerstörerischsten Waffen, die je entwickelt wurden. Ein Atomwaffeneinsatz kann unmittelbar zur Auslöschung einer ganzen Stadt und damit von Hunderttausenden von Menschenleben führen. Darüber hinaus wird die Strahlung für lange Zeit auch auf die nachfolgenden Generationen furchtbare Auswirkungen haben, in großen Teilen der Erde – weit über das Einsatzgebiet hinaus.
2
Was sind die Erfahrungen von Hiroshima? Aufgrund der Strahlenwirkung sind in den fünf Jahren nach den Atombombenabwürfen doppelt so viele Menschen ums Leben gekommen wie unmittelbar durch die Explosionen. Unter den Überlebenden ist das Vorkommen bestimmter Krebserkrankungen hoch. Zusätzlich treten genetische Schäden auf – auch bei den Kindern der Betroffenen, die dadurch selbst ein erhöhtes Krebsrisiko haben. All das über sechs Jahrzehnte später.
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Warum gerade jetzt dieser Ruf nach der Abschaffung von Atomwaffen? Die Welt befindet sich an einem Wendepunkt. In den letzten zwanzig Jahren ist die Zahl der Staaten in Atomwaffenbesitz gestiegen, zusätzlich dazu versuchen nichtstaatliche Akteure, Material für Atomwaffen oder sogar atomare Sprengköpfe selbst zu beschaffen. Entweder es wird eine glaubhafte internationale Anstrengung zur Abschaffung dieser Waffen geben, oder sie werden immer weiter verbreitet. Letzteres würde bedeuten, dass auch ihr Einsatz immer wahrscheinlicher würde.
3
Ist der Einsatz von Atomwaffen mit humanitärem Völkerrecht vereinbar? Unserer Ansicht nach ist es unmöglich ihre Auswirkungen zeitlich und örtlich zu begrenzen, und sie in Einklang mit humanitärem Völkerrecht einzusetzen. Nach einer dreijährigen Studie kommt das ICRC zu dem Schluss, dass es international keine ausreichenden Kapazitäten gibt, Atomwaffenopfern Hilfe zu gewährleisten. Auch zeigen Forschungen zu den Auswirkungen auf die Umwelt, dass selbst ein begrenzter Atomwaffeneinsatz zu einer Abkühlung der Umwelt, kürzeren Wachstumsperioden und sehr wahrscheinlich einer ausgedehnten Hungersnot führen würde.
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Wie stehen die Aussichten auf Erfolg? Wir sind optimistisch und versuchen alle Gelegenheiten zu nutzen. Am Ende ist es Aufgabe jedes Einzelnen, der Regierungen, der Zivilgesellschaft und der Medien mit dafür zu sorgen, dass die bekundete Bereitschaft zur Abrüstung auch zu Konsequenzen führt. Zum ersten Mal haben Staaten die katastrophalen Auswirkungen von Atomwaffen anerkannt und sind aufgrund dessen verpflichtet zu handeln.
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zeo2 ist das politische Umweltmagazin der taz.
DAS LEITMEDIUM ZUR ÖKOLOGISCHEN DEBATTE ERSCHEINT VIERMAL IM JAHR. EIN JAHRESABO KOSTET 22 EURO, EINE EINZELNE AUSGABE AM KIOSK 5,50 EURO.
T (030) 2 59 02-200 | zeo2abo@taz.de | www.zeozwei.taz.de
Zielscheibe Mensch
Foto: control Arms/creative commons 2.0
Internationaler Kongress zu sozialen und gesundheitlichen Folgen des globalen Kleinwaffenhandels
30. Mai - 2. Juni 2013 VERANSTALTUNGSORT
Neue Tonhalle Bertholdstraße 7 78050 Villingen-Schwenningen
KONGRESSTHEMEN
Einführung zum Thema Kleinwaffen Die Auswirkungen von Produktion, Verkauf und Einsatz von Kleinwaffen auf Gesundheit und Entwicklung Wirtschaftliche Ursachen und Auswirkungen des globalen Waffenhandels Heckler & Koch Die ethische Dimension der Produktion, des Handels und des Einsatzes von Kleinwaffen Die psychologische Dimension der Produktion und des Einsatzes von Kleinwaffen Konversion – Die politischen Rahmenbedingungen für Alternativen zur Rüstungsproduktion Lösungsansätze und Aktionen: Perspektivenauf internationaler, regionaler und nationaler Ebene
www.zielscheibe-mensch.org Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.
In Kooperation mit Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel! Aiming for Prevention Stadt Villingen-Schwenningen
KONGRESSBEITRÄGE
Bis 28.2. 100 EUR / ermäßigt* 60 EUR Ab 1.3. 120 EUR / ermäßigt* 80 EUR Förderbeitrag 200 EUR * z. B. SchülerInnen, Auszubildende, Studierende, Arbeitslose
KONGRESSSPRACHEN Der Kongress findet in deutscher und englischer Sprache statt. Alle Plenarveranstaltungen werden simultan übersetzt. FAHRRADTOUR GEGEN KLEINWAFFENHANDEL 26. - 29. Mai 2013 von Ulm nach Villingen
Villingen
Ulm