DIE GESUNDHEITLICHEN FOLGEN VON ABSCHIEBUNGEN
11. Politische und psychologische Auswirkungen von Abschiebungen auf die Zivilgesellschaft von Tom Nowotny
Zu den Steinen hat einer gesagt: „Seid menschlich.“ Die Steine haben gesagt: „Wir sind noch nicht hart genug.“ Erich Fried
Im „Flüchtlingsherbst“ 2015 ging eine Welle der Solidarität und Hilfsbereitschaft durch das Land. Millionen Menschen setzten viel Energie und Herzblut hinein, das vermeintliche Ziel von Bundeskanzlerin Angela Merkel umzusetzen („Wir schaffen das“). Bald mussten sie feststellen, dass die meisten Ausländerbehörden das Haupthindernis auf dem Weg zur Integration darstellten; eine Verschärfung des Asylrechts folgte der nächsten. Offenbar war das Motto der Regierenden eher: „Wir schaffen alle raus“. Ende 2016 war für uns vom Arbeitskreis Flucht und Asyl der IPPNW eine rote Linie überschritten, als die Bundesregierung mit Sammelabschiebungen in das Kriegsgebiet Afghanistan begann. In einer Online-Petition auf Change.org (www.change.org\nodeportation) fordern wir seitdem: „Keine Abschiebungen nach Afghanistan!“ Hier der Petitionsbrief vom Dezember 2016 an Angela Merkel:
„Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, Wir wissen aus zahlreichen persönlichen Begegnungen und Gesprächen, dass viele afghanische Flüchtlinge in großer Sorge sind, seit kürzlich die EU und die korrupte afghanische Regierung ein Rücknahmeabkommen geschlossen haben. Afghanistan erhält über vier Jahre verteilt 13 Milliarden Euro – die in den Taschen der Eliten verschwinden werden – und nimmt im Gegenzug 80.000 afghanische Flüchtlinge zurück, ein großer Teil davon aus Deutschland. Ein unmenschlicher Deal, staatlich abgesegnetes Unrecht, Menschenhandel in großem Maßstab. Und nun hat tatsächlich die erste Massendeportation stattgefunden. Die Folgen für die Betroffenen sind entsetzlich. Der junge Afghane E. bekommt Anfang Dezember die Mitteilung, dass er bis zum 28.12.2016 ausreisen muss, nachdem sein Asylantrag abgelehnt und seine Klage dagegen abgewiesen wurde. Daraufhin versucht er mindestens fünf Mal, sich das Leben zu nehmen. Seine Betreuerin schreibt: ‚Für mich als seine Sozialpädagogin ist es unbegreiflich, was aus E. wurde. Ich habe ihn als lustigen, freundlichen und hilfsbereiten jungen Mann kennengelernt. Er ist ein Vorbild an guter Integration. Hat innerhalb weniger Monate die deutsche
Sprache durch unglaubliche Eigeninitiative gelernt. War einer unserer fleißigsten Schüler, hat einen Ausbildungsplatz erhalten und geschafft durch seine guten Leistungen, die Schulzeit um ein Jahr zu verkürzen. Er ist nun in der Abschlussklasse. Mit einem Mal sind all seine Träume geplatzt. Nicht nur die Träume, auch sein Leben. Momentan hat er jeden Antrieb und Lebensfunken verloren. Auch weil einer seiner Freunde und unser Schüler in dem Abschiebeflugzeug vom letzten Mittwoch war. Seitdem hat er jeden Mut verloren.‘ In Afghanistan herrscht seit fast vierzig Jahren Krieg. Die militärische Intervention nach dem 11. September 2001, an der auch die Bundeswehr bis heute beteiligt ist, hat Afghanistan nicht sicherer gemacht – im Gegenteil: Die Behauptungen des Bundesinnenministers, Afghanistan sei mindestens in Teilen sicher und der Terror dort richte sich nicht gegen die Zivilbevölkerung, sind vielfach widerlegt. Wir sind geschockt über 12 Tote und 45 Verletzte nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt und trauern mit den Opfern und ihren Familien. Doch stellen wir uns diese Situation als Alltag vor: 2.562 tote und 5.835 verletzte Zivilisten in Afghanistan allein in den ersten neun Monaten 2016! Ihnen gilt unser Mit67