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Freihändig automobil

Lucienne Rey

Bereits heute sind viele Neuwagen mit Spurhalteassistenten oder Einparkhilfen ausgestattet. Bei diesen assistierten Autos handelt es sich um Vorläufer von Fahrzeugen, die dereinst selbstfahrend unterwegs sein könnten. Dass solche vollständig automatisierten Autos künftig auf den Strassen zirkulieren werden, steht für die Fachwelt ausser Frage. Unklar ist einzig, wann es so weit sein wird.

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Verschiedene Stufen der Automatisierung

Auf dem Markt sind derzeit Fahrzeuge auf Stufe eins bis drei der Automatisierung. Das sind Wagen, die mit Abstandtempomaten oder anderen Systemen ausgestattet sind, die die Person am Steuer unterstützen. Weiter fortgeschritten ist die Automatisierung bei Modellen, bei denen zwar keine ständige Überwachung durch den Fahrer mehr erforderlich ist, der aber gefordert ist, jederzeit ins Geschehen eingreifen zu können. Grössere Veränderungen im Verkehrssystem dürften hoch- und vollautomatisierte Fahrzeuge nach sich ziehen. Letztgenannte wären imstande, jederzeit – also auch im Mischverkehr mit Personen, die zu Fuss oder auf dem Velo unterwegs sind – sämtliche Aufgaben selbstständig zu übernehmen. Die Ausstattung solcher Vehikel könnte erheblich von jener der heutigen Modelle abweichen, weil nicht einmal mehr ein Lenkrad erforderlich wäre.

Mehr Sicherheit und Bewegungsfreiheit – oder Stillstand im Stau?

Über 90 Prozent der Verkehrsunfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen, und trotz Sicherheitsgurt, Airbags und verstärkter Fahrgastzelle sind die Folgen oft fatal. Die bereits jetzt zirkulierenden assistierten und teilautomatisierten Autos haben die Sicherheit im Verkehr erhöht. Insbesondere

Eine Studie der Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung TA-Swiss untersucht die Chancen und Risiken vollautomatisierter Fahrzeuge. Wie diese ins Verkehrssystem der Schweiz eingebunden werden könnten, illustrieren drei Szenarien.

Notbremsassistenzsysteme tragen dazu bei, die Anzahl Unfälle zu reduzieren oder zumindest deren Verheerungen zu begrenzen. Zudem reagiert die Maschine bis zu sechs Mal rascher als ein Mensch. Mit einem mittleren bis hohen Anteil vollautomatisierter Autos in der Schweizer Fahrzeugflotte liesse sich daher die Kapazität der Strassen steigern. Denn die Wagen könnten dichter aufeinander folgen, ohne dass die Sicherheit darunter litte. Die Kapazität von Autobahnen liesse sich unter solchen Umständen um fünf bis zehn Prozent steigern. Gar auf über 30 Prozent auf den Autobahnen und auf 10 bis 20 Prozent in den Städten könnte sich die Kapazitätssteigerung belaufen, wenn die ganze Fahrzeugflotte vollautomatisiert und die Autos zudem untereinander vernetzt würden. Von der besseren Auslastung bestehender Verkehrsanlagen abgesehen, könnten selbstfahrende Fahrzeuge die Bewegungsfreiheit aller Menschen erhöhen – auch derjenigen, die heute zu alt, zu jung oder aus anderen Gründen nicht in der Lage sind, einen Wagen zu lenken. Auch liesse sich viel Zeit gewinnen, wenn die Stunden während der Autofahrt für Tätigkeiten wie Arbeiten oder Lesen oder gar für ein Nickerchen genutzt werden könnten. Die Chancen selbstfahrender Fahrzeuge gilt es, gegen ihre Risiken abzuwägen. So steht nicht fest, dass sie den Verkehrsfluss verbessern würden. Vielmehr könnten unbemannt fahrende Autos auf der Suche nach einem Parkplatz oder bei der Auslieferung von Waren zu mehr Verkehr und besonders in Innenstädten zu Staus führen. Auch wäre es möglich, dass selbstfahrende Autos den etablierten und hierzulande gut ausgebauten öffentlichen Verkehr konkurrenzieren könnten. Zudem stiege die Gefahr, dass die Landschaft weiter zersiedelt würde, weil die Menschen bei der Wahl ihres Wohnortes weniger auf die Erreichbarkeit achten müssten. Der Austausch von Daten – unabdingbar für das sichere Zirkulieren im vollautomatisierten Wagen – würde für den Datenschutz zur grossen Herausforderung. Schliesslich wäre in der Transportbranche mit einer Verschiebung, wenn nicht gar mit einem Abbau von Arbeitsplätzen zu rechnen. Ob mit der Einführung vollständig automatisierter Fahrzeuge eher die positiven oder die negativen Folgen überwiegen werden, hängt davon ab, welchen Rahmen die Politik absteckt. Mit drei Szenarien lotet die Studie von TA-Swiss aus, wie sich selbstfahrende Autos in das Schweizer Verkehrssystem einfügen könnten.

Von «Laisser faire» bis kollektiv gelenkt

Liesse die öffentliche Hand der Entwicklung freien Lauf, würden sich die selbstfahrenden Wagen vorwiegend in Privatbesitz befinden und individuell genutzt – so, wie es heute mit herkömmlichen Autos der Fall ist. Die Fahrten würden kaum gebündelt, alle wären für sich und nach ihrem eigenen Zeitplan unterwegs. Der für die Sicherheit unabdingbare Austausch von Daten läge in der Hand privater Firmen, vornehmlich der Autohersteller. In den Zentren nähmen Personen- wie auch Güterverkehr markant zu, und der Bedarf an Energie und Infrastruktur stiege entsprechend. Dennoch wären die Kernstädte tendenziell schlechter erreichbar, denn zu Spitzenzeiten bräche der Verkehr oft zusammen. Der Staatskasse entgingen Einnahmen aus dem klassischen öffentlichen Verkehr. Ansonsten bliebe für sie dieses Szenario weitgehend folgenlos, da Private – insbesondere Datenlieferanten und -verarbeiter sowie Fahrzeughersteller – für die Vernetzung sorgen würden. Am anderen Ende der Skala steht ein Szenario, das von einem schweizweit kollektiv genutzten Verkehrssystem ausgeht. Sowohl im städtischen als auch im ländlichen Raum stünden gemeinschaftliche öffentliche Transportdienste zur Verfügung. Private Anbieter spielten kaum eine Rolle, der grösste Teil der Flotten würde durch die öffentliche

Hand betrieben. Auch der Güterverkehr wäre auf den Autobahnen und für Zulieferungen automatisiert, und die Cargofirmen stimmten sich untereinander ab, um Transporte zu bündeln. Nicht nur die Zentren, sondern auch Randregionen profitierten vom kollektiven Verkehrssystem. Die Schweiz liesse sich das integrale Mobilitätsangebot einiges kosten. Allein schon die Vorkehrungen für Anonymisierung, Schutz und Sicherheit der Daten wären aufwendig, denn sämtliche Fahrzeuge wären untereinander und mit der Infrastruktur vernetzt und tauschten die von ihnen erhobenen Angaben über eine gesamtschweizerische Plattform aus. Da es die erhobenen Daten ohne Weiteres ermöglichen würden, den Passagieren mit nahe gelegenem Start- und Zielort ein passendes Sammeltaxi zuzuweisen, wären die Wagen meistens gut besetzt. Allerdings müsste der einzelne Fahrgast mitunter auch einen Umweg in Kauf nehmen, wenn eine andere Person etwas abseits seiner Strecke zu- oder aussteigen möchte. Das dritte Szenario liegt zwischen den beiden oben geschilderten Varianten. In den Städten und Agglomerationen gestaltet der Staat das Verkehrssystem, indem er vorgibt, wann welche Fahrzeuge mit welcher Belegung zirkulieren dürfen, um die Strassen optimal auszulasten. In diesen nachfragestarken Räumen treten Anbieter auf den Markt, die mit gemeinschaftlichen Fahrdiensten in Form von Sammeltaxis den klassischen öffentlichen Verkehr ergänzen: Sie erschliessen wenig frequentierte Quartiere oder befördern Fahrgäste zu Randzeiten. In den Randregionen überwiegt die individuelle Nutzung selbstfahrender Privatautos.

Die Zukunft des Verkehrs denken – und darüber diskutieren

TA-Swiss pflegt seine Studien mit Empfehlungen an die massgeblichen gesellschaftlichen Akteure abzurunden. Auch im Hinblick auf vollautomatisierte Fahrzeuge legt TA-Swiss Vorschläge vor, die helfen sollen, die neuartigen Vehikel möglichst verträglich ins Verkehrssystem einzufügen. Eine Aufforderung steht über allem: Die Debatte darüber, wie das Verkehrssystem der Zukunft aussehen und welche Rolle der Staat dabei spielen soll, muss möglichst früh beginnen – und alle gesellschaftlichen Akteure beteiligen. Für diesen Diskurs liefert TA-Swiss Grundlagen und Argumente. Die effiziente Nutzung automatisierter Fahrzeuge setzt voraus, dass diese untereinander und mit ihrer Umgebung vernetzt sind und Daten austauschen können. Daher empfiehlt TA-Swiss, darüber zu diskutieren, wie die erhobenen Daten unter Berücksichtigung datenschützerischer und ethischer Anliegen verwendet werden können. Zudem sollte die öffentliche Hand ihre Position in der Datenpolitik klären, um ihre eigenen Interessen zu wahren. Dazu gehört es, die für ihre Aufgaben nötigen Datenbestände zu definieren sowie Datenherrschaft und Zugriffsrechte zu klären. ■

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