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#3 Capitalis Nova
Ausgangspunkt
Capitalis Nova Seit 113 n. Chr. prangen die Zeichen der Capitalis Monumentalis an der römischen Trajansäule – für den damaligen Kaiser Ausdruck seines Sieges, für die Schriftgestaltung das erste in Stein gemeißelte lateinische Alphabet. Die Buchstaben A, O, Q und V entsprechen exakt einem Quadrat, die weiteren Zeichen leiteten sich von diesem ab bis hin zur halben Breite des Quadrats. Bis heute sind diese Proportionen Inspiration für die Gestaltung von Versalien. Dennoch gehen viele moderne Schriften den Weg der ausgeglichenen, weniger extremen Weiten.
Ist es nun Zeit, die antiken Proportionen zu verstärken, zu überziehen und neu zu interpretieren? Jeden Buchstaben vor die Wahl zu stellen: quadratisch oder nicht!? Kann die Verteilung schmaler (condensed) und weiter (extended) Zeichen durch den Faktor der Buchstabenhäufigkeit zu einem ausgeglichenen Schriftbild verhelfen? Wie kann den Zeichen ein zeitgemäßer Charakter gegeben werden?
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3 Entsprechend der in Stein geschlagenen Capitalis Monumentalis, ihrer kalligrafischen Vorlage Capitalis Quadrata und der Capitalis Rustica versucht die Capitalis Nova durch verstärkte Proportionen (Arbeitstitel: Extremis) und einen neuartigen (lat. novus) Stil eine weitere Variante zu schaffen.
Das am Goldenen Schnitt orientierte Konstruktionsraster der Capitalis Monumentalis.
5 14°
#3 Capitalis Nova
Die Idee einer in ihren Extremen verzerrten und neu interpretierten Variante des schriftgestalterischen Meilensteins.
#3 Capitalis Nova
Glyphen-entwicklung
01 Skizze der Capitalis Monumentalis in quadratischer Grundform. 02 Variante mit starkem Strichstärkenkontrast.
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03 Markante Merkmale des Capitalis mit 14° linksgeneigter Achse
01
02
06 05 04 Grundform mit kalligrafischer Pinselspitze. 05 Neigung (14°) und Strickstärkenkontrast (100:30).
04
06 Der digitale Kalligrafiepinsel ignoriert den Wechselzug der manuell geführten Tuschefeder.
07 Die dreifach duplizierte und versetzte Grundform wirkt nur als ein grafischer Effekt.
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07
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08 Das finale 12×12-Pixelraster. 09 Fehlender kalligrafischer Abstrich mit leichtem Bogen. 10 Zu große obere Punze und unästhetisch gerasterte Diagonalen.
09 08
Glyphen-entwicklung
#3 capitalis Nova
11 11 Die geometrische und serifenlose Variante der Grundform erinnert zu stark an die Futura.
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12 Subtiles Detail der Capitalis Monumentalis in der reduzierten Grundform.
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13 Feiner kalligrafischer Pinselstrich auf der serifenlosen Grundform.
15 16
14 Variante mit starker Outline der Grundform und leichter Inline. 15 Die duplizierte und verschobene Grundform als abstrakte Interpretation der Linien, welche ausgemeißelt werden mussten, um die Trajanssäule zu beschriften. 16 Leicht fragmenthafte Variante durch Grundform mit und ohne Serifen.
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17 Die automatische Rasterung der Trajan Pro lässt etliche Pixelfehler entstehen. 18
18 Feines Pixelraster
17
17
21 19 Zu gradlinig diagonal wirkender Abstrich ohne Schwung. 20 Sehr kleine Binnenform und fehlender Schwung im Abstrich. 21 Durch Weglassen der beiden blaugefärbten Pixel wird die geneigte Schattenachse angedeutet.
20
19
#3 capitalis nova
Auswertung
Die im Lateinischen ungebräuchlichen Zeichen J, K U, Z und W, sowie die in der Capitalis Monumentalis nicht vorhandenen Interpunktions- und Leerzeichen der Capitalis Nova orientieren sich an den Formen ähnlicher Zeichen. Die Capitalis Nova bietet jede Versalie in zwei Proportions-Maßen an: Die Tasten der Kleinbuchstaben sind mit den schmalen Zeichen, die Tasten der Großbuchstaben mit breiten, auf der Form des Quadrates basierenden Zeichen belegt. In der Anwendung können die unterschiedlich proportionierten Zeichen manuell durch Groß-und Kleinschreibung gemischt werden. Auch die Kombination beider Varianten des selben Zeichens innerhalb eines Wortes ist möglich. Zudem kann über die Auswahl eines OpenType-Features die automatische Mischung der breiten und schmalen Zeichen realisiert werden.
Typographie, mag sie noch so armselig sein, ist niemals selbstverstaendlich oder auch nur zufaellig. Capitalis Nova Light / 17 pt Jan Tschichold
Je nach der Häufigkeit des Buchstaben in der verwendeten Sprache sortieren sich die Versalien nach einem ausgeglichenen Verhältnis aus breit und schmal. Diese rein mathematisch bestimmte Verteilung steht aber nicht immer im Einklang mit der visuellen Erscheinung des abgebildeten Wortes oder dem gesamten Satz. Die überzogenen Proportionen im Schriftbild sind problemlos lesbar – was an der Gewöhnung durch zeitgemäße Schriften liegen mag, die sich häufig in ihren Versalien an den Proportionen der Capitalis Monumentalis orientieren. In ihrem Stil bestand die Capitalis Nova während ihrer Entwicklung zunächst aus der serifenlosen Grundform der Capitalis Monumentalis, danach aus einer kalligrafischen Sans. Letztendlich fiel die Wahl auf die Rasterung der Buchstaben zu einer Pixelschrift. Heutzutage sind Proklamationen in den seltensten Fällen noch in Stein gemeißelt, sondern werden digital verfasst – da die meisten digitalen Ausgabegeräte in der Lage sind ein scharfes, unverpixeltes Schriftbild wieder zu geben, ist die Pixel-Optik eher als Metapher zu verstehen. Weiterführend könnte die Capitalis Nova mit weiteren OpenType-Features ausgestattet werden. Denkbar wäre ein Feature zur historischen Interpunktion, welches als alternativ Stylistic-Set zur Verfügung steht. Ursprünglich bestand die Interpunktion ausschließlich darin, Wörter durch drei verschiedene Positionen des Punktes von einander zu trennen: Am Ende des Satzes stand ein hoher Punkt, ein mittlerer Punkt entsprach unserem Semikolon und ein tiefgestellter Punkt dem heutigen Doppelpunkt. Im Gegensatz zur Trajan Pro – der Interpretation der Capitalis Monumentalis von Adobe, die um die heutigen indisch-arabischen Ziffern erweitert ist – könnte ein Feature die Darstellung der römischen Zahlen unterstützen. Hierfür müsste ein intelligentes System von Ersetzungen geschrieben werden, welches die Methode der Ziffernreihung durch eine additive Zahlschrift mit 5er- und 10er-Werten sowie der Subtraktionsregel austauscht.
Besonderheiten
#3 capitalis nova
Wird in einem DTP-Programm der Versalsatz (case) aktiviert, erkennt das OpenType-Feature die verwendete Sprache. Dieser entsprechend ersetzt das Feature einige Zeichen, um das Proportions-Verhältnis auszugleichen. feature case { script DEU ; #Deutsch
sub E by e ;
sub S by s;
sub T by t;
sub L by l;
sub B by b;
sub F by f;
sub P by p;
script ESP ; #Spanisch #usw. } case;
% DE
C.M.
C.N.
E
17,40
0
0 Die Verteilung
N
9,78
1
I
7,55
0
S
7,27
0
R
7,00
0
A
6,51
1
T
6,15
1-0
D
5,08
1
H
4,76
1
U
4,35
L
3,44
0
der Proportionen Nova (C.N) ist von 0 der Häufigkeit der Buchstaben im 0 deutschen Sprachgebrauch (DE) 0 und den teils in der Capitalis 1 Monumentalis (C.M.) vorgegebenen 0 Proportionen der abhängig. 1 So ergibt sich ein mathematisch 1 annähernd gleichmäßiges Verhält1 nis zwischen Zeichen mit 1 quad0 ratischer und 0 schmaler Breite.
C
3,06
1
1
G
3,01
1
1
M
2,53
1
1
O
2,51
1
1
B
1,89
0
0
W
1,89
1 0
0
1 der Capitalis
F
1,66
K
1,21
1
Z
1,13
1
P
0,79
0
0
V
0,69
1
1
0
0
ß = S
0,31
J
0,27
Y
0,04
1-0
1
X
0,03
1-0
1
Q
0,02
1
1
0
% C.M.
% CA
1
1
47,28
46,60
0
56,57
0 53,73
100,33
103,85 100,33
Capitalis Nova Medium
ABCDEFG HIJKLMN OPQRST UVWXYZ abcdefghij klmnopqrs tuvwxyz .,:; Schriftgestaltung am Rande, aber im Rahmen der Lesbarkeit Bachelorarbeit von Jakob Runge ( jakob@26plus-zeichen.de) 2010 Hochschule W端rzburg-Schweinfurt