TypExperiment #6: Textrusion

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#6 Textrusion

Ausgangspunkt

Textrusion Bei Frakturschriften sind die Bögen, aus denen sich die Buchstaben zusammensetzen teils bis ganz gebrochen. Im Gegensatz zu den gleichmäßig geschwungenen, gut lesbaren Bögen von Antiquas, weist die Textura abrupte Richtungswechsel im Federzug auf und hinterlässt sichtbare Knicke, also vollständige Brüche in ihren Zeichen. Selbst rund geformte Buchstaben wie ein O, wirken durch ihre Zergliederung wie geometrische Konstruktionen und erinnern an axonometrisch gezeichnete Körper.

Lassen sich im Umkehrschluss durch Extruierung (Dimensionserhöhung) und Rotation von flachen Rechtecken dreidimensional wirkende Zeichen erstellen? Kann die Kombination aus zwei der vier isometrischen Perspektiven eine optische Illusion schaffen, welche die Bruchstücke einer Textura wieder zu einer Form, einem Körper vereint?

Gotische Textura

Gotische Texturschriften bekamen ihre Benennung aufgrund ihres dunklen, schwer lesbaren Schriftbildes, das an eine Gewebestruktur aus Zeichen erinnert (lat. textura). Erhöht sich die Dimension einer Fläche durch Parallelverschiebung im Raum spricht man von einer Extrusion da die zweidimensionale Form aus ihrer Ursprungsebene heraussticht (lat. extrudere). Der Name Textrusion vereint die Begriffe Textura und Extrusion.

Isometrische Ansicht von oben rechts

Isometrische Ansicht von unten rechts

Isometrische Ansicht von unten links

Isometrische Ansicht von oben links


#6 textrusion


#6 Textrusion

Glyphen-entwicklung

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01 Mehrdimensionale Betrachtung. 02 Geometrisch konstruierte Glyphe mit 03 feinem Abstrich ähnlich der Wilhelm Klingspor Gotisch. 04 Textura Zeichen ohne vollständige räumliche Darstellung.

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05 Die Antiqua-Variante sorgt für weniger Verwechslung mit anderen Zeichen. 06 Leichte Korrektur der Räumlichkeit zugunsten der Lesbarkeit. 07 Idee zu Zeichen mit hervorgehobenen Außenkanten, statt gefüllten Flächen.

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08 Mangelnde Dreidimensionalität. 09 Korrekte Räumlichkeit und optische Täuschung mit der falschen finalen Blickrichtung. 10 Die Betonung der Außenkanten erzeugt neue Zeichen. So erscheint ein e im o.

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11 Zeichen aus der geometrischen Tannenberg mit 12 feinem Abstrich. 13 Strichende stört Erkennbarkeit. 14 Durch Rotation und Extrudierung einer H-Form entsteht ein x, das noch zu wenig Halt auf der Grundlinie findet.

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Glyphen-entwicklung

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15 Skizze mit räumlicher Konstruktion und optischer Täuschung. 16 Strichenden bilden kritische, optische Brücken zu den Vertikalen. 17 Perspektivische Darstellung, jedoch ohne optische Illusion. 16

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18 Überflüssiges Strichende. 20

19 Skizze zu einem, trotz geometrischer Konstruktion, federzugartigen Schwung im unteren Bogen.

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20 Sehr einfache, geometrische Darstellung.

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22

21 Räumlich gedrehte und extrudierte Grundform mit Lichteinfall. 22 Zu hoher Grauwert. 23 Korrekte optische Illusion, jedoch mit falschem Blickwinkel.

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24 25

24 Kombination der Rechts-Untenund Links-Oben-Ansicht. 25 Betonung der Vorderkante in der Überschneidung der räumlichen Flächen. 26 fi-Ligatur 26


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Auswertung

Die Erstellung von dreidimensionalen Körpern, die ein ähnlich anspruchsvolles Leseverhalten wie eine Textura fordern, ist umsetzbar. Die Zusammenführung der Bruchstücke durch die räumliche, köperschaffende Betrachtung wird durch die Umsetzung der optischen Illusion erneut zergliedert.

die geometrie kann durchaus lesbare zeichen erzeugen, aber nur die kunst kann diese mit anmut versehen. kunst beginnt dort, wo die geometrie endet und verleiht dem buchstaben charakter, weit über die reine konstruktion hinaus. Textrusion Medium / 23 pt Paul Standard

Da sich in einer digitalen Satzschrift, die auf Vektorkonturen aufbaut, kein Verlauf einspeichern lässt, um beispielsweise einen räumlichen Lichtfall in die Schrift zu integrieren, muss räumliche Überlagerung durch weiße Außenkanten beschrieben werden. Diese fügen der dreidimensionalen Textura einerseits wieder Brüche hinzu, erzeugen aber anderseits durch die weißen Brücken eine Schablonenschrift.

Die Tiefe der Extrudierung verändert die Stärke der Schrift.

In kleineren Punktgrößen verschwindet diese Eigenschaft nahezu und auch bei längeren Texten tritt die Dreidimensionalität zurück – eine klare, geometrische Textura erscheint. Neben ihrer Mehrdimensionalität verbindet die Textrusion die Formsprachen moderner, extrem geometrischer Texturschriften wie der Tannenberg mit den Zierschwüngen der Wilhelm Klingspor Gotisch. Durch ihre klare, geometrische Anmutung bietet sich Textrusion bei Inhalten an, die eine Brücke zwischen Historie und Moderne schlagen. Ihre einfachen und kubischen Formen können aber auch für Display-Texte in jeder Form der kontemporäre Grafik verwendet werden. Zudem lässt sich die Textrusion dank ihrer Eigenschaft als Schablonenschrift alle Materialien gravieren, aus Papierbögen schneiden und auf alle Untergründe sprühen. Zur Erweiterung des Zeichensatzes müssen noch die Versalien konstruiert und einige Sonderzeichen erstellt werden. Darüber hinaus können durch Variation in der Tiefe der Extrudierung weitere Schriftstärken erzeugt werden.


Besonderheiten

#6 textrusion

Das runde s kann nur im Silbenauslaut stehen, das lange � hingegen meist im Silbenanlaut. Ein OpenTypeFeature welches automatisch innerhalb von Wörtern das lange � einfügt, kann jedoch für Irritationen sorgen. Das vorausgehende rundes s im Wort kann durchaus helfen, die Betonung zu klären, wie z.b Haus-Tür das nicht Hau-Stür gesprochen wird. feature liga { sub s‘ @text by s.alt

;

} liga;

Ligaturen für kritische BuchstabenKombinationen mit den Zeichen s und � verstärken die Konsequenz der Räumlichkeit. feature liga { sub s.alt b by s_b; sub s.alt d by s_d; sub s.alt h by s_h; sub s.alt k by s_k; sub s.alt l by s_l; sub s.alt i by s_i; sub s.alt j by s_j; sub s.alt s.alt by s_s; sub f b by f_b; sub f d by f_d; sub f h by f_h; sub f i by f_i; sub f j by f_j; sub f k by f_k; sub f l by f_l; } liga;


Textrusion Medium

abcdefghijklmn opqrstuvwxyz 0123456789 äöüß�.,:;-– � � ff fh fi fj fk fl � � � fh si fj � �

Schriftgestaltung am Rande, aber im Rahmen der Lesbarkeit Bachelorarbeit von Jakob Runge ( jakob@26plus-zeichen.de) 2010 Hochschule Würzburg-Schweinfurt


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