Danksagung: Maria Muhle, Julio Rondo, Kati Auch, Elvira Neundorf, Leon Thau, Christian VÜgtlin Universität: Merz Akademie Stuttgart Gestaltung: Janick Neundorf hello@apgrate.com www.apgrate.com
i am what i wear i wear what i am Kleidung als nonverbales kommunikationsmittel
Erรถffnung
0006
1.1
Fragestellung
0008
1.2
Abgrenzung
0009
1.3
Vorgehensweise
0009
Schluss
0052
5.1
Das ist der Mensch
0052
5.3
Kleidung als Verkleidung
0056
5.2
Das ist Kleidung
0054
5.4
Fazit
0059
Quellen I n h a lt
0063 0004
Der Mensch 2.1
Wer wir sind und
wie wir sein möchten 2.2
0025 0012
Selbst, Selbstkonzept
und Selbstdarstellung
2.2.1
Selbstbewertung, Selbsterhaltung,
Selbstergänzung
2.3
0014
0017
Gesellschaft
und Vorbilder
0018
Die Kleidung
0021
3.1
Die Adressaten 0022
3.5
Kommunikationsmodel 0039
3.2
Existenz durch Kleidung
0025
3.5.1
Code
0041
3.3
Nonverbale Kommunikation 0028
3.5.2
Decodierer
0041
3.4
Die Aussage von Kleidung
0029
3.5.3
Encodierer
0041
3.4.1
Die vestimentäre Aussage
0033
3.6
3.4.2
Vestimentäre Codes
0036
3.6.1
3.4.3
Glaubhaftigkeit
0039
Die Mode 0043 In & Out
0044
Der Effekt 4.1 Wirkung auf den Träger 0048
0047 4.2 Wirkung auf das
soziale Umfeld
0005
0050
Eröffnung
i.
Kleidung – unser ständiger Wegbegleiter. Kleidung gehört zu unserem Alltag. Seit unserer Geburt tragen wir Stoff an unserer Haut. Ständig präsent und doch nehmen wir das Stück Stoff an unserem Körper nur unterbewusst wahr. Ohne Kleidung wären wir nackt und hätten Schwierigkeiten uns zu unterscheiden und einzuschätzen. Rund um die Uhr tragen wir im Schnitt mindestens ein Kleidungsstück an unserer Haut. Innerhalb eines Menschenlebens sammeln sich horrende Summe an verschiedensten Kleidungsstücken. Um etwas genauer zu werden: Ein Mensch trägt in seinem Leben rund 140 Jeans, 78 Jacken, 250 Pullover und 240 T-Shirts . Etwa eine Tonne Kleidung konsumieren wir in unserem gesamten 1
Leben. Es gibt Anziehsachen für alle Lebenslagen. Den Sport, die Religion, die Arbeit, das Ausgehen, die Freizeit, zum Verkleiden usw. In ihr können wir uns wohl oder unwohl fühlen. Kleidung kann laut und auffällig, aber auch still und unauffällig sein. Sie kann sympathisch und unsympathisch sein, gefallen oder nicht gefallen. Durch Kleidung können wir akzeptiert oder abgelehnt werden. Unsere Garderobe ist Ausdrucksmittel wie das Sprechen und Gestikulieren, das Musizieren und Malen, das Arbeiten und Leben. Kleidung ist immer präsent, egal wo wir sind. Ob Zuhause, in der Stadt, im Ausland. Kleidung ist Teil unserer Kultur. Es gehört zu unseren Bedürfnissen ebenso wie das Essen, Schlafen und sogar das Atmen. Das selbstverständlichste der Welt. Ein Stück Stoff zusammengehalten von Faden an unserem Körper. Kleidung. Eröffnung
0006
1 Ranga Yogeshwar: „Kleider machen Leute – stimmt das?“ in: Quarks&Co: 09.08.2011. https://www.wdr.de/tv/quarks/ sendungsbeitraege/2011/0809/uebersicht.jsp
Rund eine Tonne Kleidung konsumiert der Mensch. Davon sind:
78
Jacken
140 Jeans
1ooo KG/Leben 240
250
Tshirts
Pullover
Deutschland, 14-64 Jahre, 10.167 Befragte. Manager Magazin, Spiegel. Oktober 2006 bis Januar 2007
0007
1.1 Fragestellung Kleidung ist so selbstverständlich wie wenige andere Dinge in unserem Alltag. Doch was ist Kleidung eigentlich, warum tragen wir sie und wieso gibt es so viele verschiedene Ausführungen davon? Westen, Jacken, Mäntel, Pullover, T-Shirts, Hosen... Das Thema Kleidung erweist sich als äußerst komplexes Thema, welches sich durch den ständigen Wandel der Mode und des Zeitgeists laufend erweitert. Diese Arbeit wird sich grundlegend mit den Fragen beschäftigen: Was ist Kleidung, wie kommuniziert sie und was kommuniziert sie? Kleidung ist heutzutage Tage mehr als ein bloßes Grundbedürfnis zum Schutz vor Witterung und Intimität. Kleidung beinhaltet vielmehr auch eine Aussage. Kleidung ist ein Kommunikationsmittel. Es gilt nun zu klären, ob Kleidung tatsächlich Ausdruck unserer wahren Persönlichkeit ist, oder nicht eher als Verkleidung für eine Wunschpersönlichkeit fungiert. Kleiden wir uns, wie wir sind oder kleiden wir uns, wie wir sein wollen? Diese Arbeit soll belegen, dass Kleidung in der modernen Welt zur Verhüllung unseres wahren Selbsts dient und gleichzeitig eine Präsentation dessen ist, nach dem wir uns sehnen. Unter dem Begriff der Verkleidung verstehe ich in dieser Arbeit den Aspekt des Schlüpfens in eine Rolle. Hierbei handelt es sich um eine Rolle, die der Kleidungsträger für sich kreiert. In gewisser Weise ist es das „jemand anderes werden“. Jedoch möchte ich hier unterscheiden zwischen dem kompletten Ablegen und der Modifikation seiner eigentlichen Persönlichkeit. Das Verkleiden beinhaltet für mich das Beibehalten von gewissen existenten Merkmalen, aber auch das Auslöschen und Verbergen sowie das Hinzufügen und Optimieren persönlicher Eigenschaften. Es geht hierbei nicht darum durch Kleidung ein komplett anderer Mensch zu werden, sondern um die Verwendung von Kleidung zur Darstellung einer Idealvorstellung, wobei das wahre Ich verborgen wird. Ein Fokus liegt hierbei auf dem jungen Menschen im Alter zwischen 15 und 30 Jahren. Mit Abschluss der Adoleszenzphase bis hin zur Festigung der Persönlichkeit im Alter von rund 30 Jahren, bietet sich ein Lebensabschnitt, in dem besonders die Entwicklung und Festigung unserer individuellen Persönlichkeit stattfindet und damit einhergehend auch die Entwicklung des eigenen Kleidungsstils. Zwar betrifft die Entwicklung des persönlichen Ichs nicht nur diese Altersspanne, jedoch sind die Vorgänge innerhalb dieses Lebensabschnitts besonders ausgeprägt.
Eröffnung
0008
1.2 Abgrenzung Vor allem in jungen Jahren unseres Lebens ist es offensichtlich, dass Kleidung besonders eine Funktion erfüllt, die der nicht von der Hand zuweisen ist: Sie schützt uns vor Wind, Regen, Sonne und Schnee, dass wir nicht frieren oder schwitzen und bei einem Sturz vor direktem Kontakt der Haut mit dem Asphalt. Dies ist der physische, funktionale Wert, den Kleidung erfüllt. Wichtig ist, dass sich diese Arbeit von der sogenannten Bekleidungsphysiologie abwendet. Es soll nicht um jene Funktionen von Kleidung gehen, welche unseren Körper vor Wind und Wetter beschützt, ebenso wenig um Tragekomfort oder eine Schutzfunktion vor physischen Einwirkungen. Welche Marke das Stück Stoff entstammt oder was Aufdrucke bedeuten, soll weitestgehend unbeachtet bleiben. Ebenso uninteressant werden Kleidungssituationen sein, welche von außen vorgegeben sind. Das bedeutet z.B. inwiefern der Uniform eines Soldaten oder der eines Polizisten eine andere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Im Blickpunkt dieses Textes wird die Kleidung stehen, welche wir für uns aus mehr oder minder freien Stücke wählen. Hier steht die Botschaft und die Wirkkraft eines Kleidungstücks im Vordergrund – die sozialen und psychologischen Funktionen. Im folgenden werden Bekleidungs-„zustände“ innerhalb einer Interaktionssituation untersucht. FreizeitKleidung, die Zuhause getragen wird und nicht im sozialen Umfeld als Kleidungsstil der Person präsentiert wird, ist für diese Untersuchung uninteressant.
1.3 Vorgehensweise Um das Feld des Bekleidungsstiles eines Menschen aufarbeiten zu können, habe ich mich entschieden, diese Abhandlung in drei Hauptteile aufzugliedern. Es geht um „Den Mensch“, „Die Bekleidung“ und „Den Effekt/die Außenwirkung“. Hierbei wurde versucht, die drei Teilbereiche gesondert voneinander zu beleuchten, um Überschneidungen zu vermeiden. Dabei sollen zwei klar differenzierbare Bereiche entstehen, die später zusammen geführt werden sollen. Das erste Kapitel „Der Mensch“ befasst sich mit der Charakteristik des Menschen. Hier geht es nicht um die individuellen Einschätzungen, sondern mehr um innere Prozesse, wie sich der Mensch selbst als Individuum auffasst und was er für ein Persönlichkeitsbild von sich entwickelt. Im zweiten Kapitel „Die Kleidung“ wird untersucht, was Bekleidung essentiell für Menschen ist und welche Signale sie damit aussenden. Im Folgenden werden die sozialen und psychischen Aufgaben unserer ausgewählten Garderobe behandelt.
Darüberhinaus
befassen
wir
uns
mit
Mode,
der
Kommunikation, sowie das Kommunikationsmodel von Kleidung. 0009
nonverbalen
Das dritte Kapitel widmet sich “Dem Effekt“. Es stellt sich die Frage, worin der Nutzen von Kleidung besteht und welche Auswirkungen sie hat. Der Effekt von Kleidung wird bezogen auf den Träger und darin auf sein soziales Umfeld untersucht. Abschließend werden die drei Kapitel, hierbei besonders, Kapitel eins “Der Mensch” und Kapitel zwei “Die Kleidung” zusammengeführt, um eine Aussage über die Fragestellung der Abhandlung treffen zu können.
Eröffnung
0 010
Textilmicroskopie Gewebter Stoff
0 011
iI.
Der Mensch
Der ist Mensch ein biologischer Körper
weg von seinen Eltern hin zu einer
aus Fleisch, Organen und Knochen.
selbstständigen Existenz. Beim Persönlichkeitsbegriff muss im
Doch Mensch sein bedeutet auch Iden-
Rahmen dieser Arbeit zwischen zwei
tität zu haben, sich durch verschiedene
Definitionen unterschieden werden. Der
Lebensphasen zur Persönlichkeit zu
Persönlichkeitsbegriff steht meist für
entwickeln. Dahingehend, dass man
die Merkmale und Eigenschaften einer
uns von anderen Menschen unterschei-
Person, welche durch Außenstehende
den kann. Denn unsere biologischen
beschrieben werden. Hier dreht es sich
Körper sind alle ähnlich, wenn nicht
meist um objektiv erfassbare Merk-
sogar gleich. Der Mensch wird als
male. Das Gegenstück dazu bildet die
unfertige Person geboren. Vor dem
Auffassung der Persönlichkeit durch
dritten Lebensjahr nehmen wir uns
die Person selbst, was in dieser Arbeit
selbst noch nicht als individuelles Wesen
unter dem Begriff des „Selbst“ und der
wahr. Wir sind abhängig von unserer
„Persönlichkeit“ verstanden wird. Das
Mutter oder einer Bezugsperson. Das
Selbst bezieht sich „hauptsächlich auf
Erwachsenwerden
Prozess
die subjektive Sicht des Individuums.“
in der Entwicklung zur der eigenen
Also wie ein Mensch Eigenschaften und
individuellen Persönlichkeit. Parallel
Merkmale selbst als Teil seiner Person
dazu entfernt sich der junge Mensch
auffasst.
Der Mensch
ist
ein
2
0 012
2 Hans
Dieter Mummendey: Psychologie der Selbstdarstellung. Göttingen 1990. S. 78
Der Begriff der Persönlichkeitsentwick-
che Sichtbarkeit.“ 5 Im Rahmen dieses
lung ist nach Erik Erikson ein „Prozess
Aufsatzes wird der Persönlichkeits-
gleichzeitiger Reflexion und Beobach-
begriff für die Einschätzung von Eigen-
tung, ein Prozess, der auf allen Eben
schaften und Merkmalen durch Außen-
des seelischen Funktionierens vor sich
stehende verwendet. Das Selbst wie
geht, durch welches der Einzelne sich
auch die Persönlichkeit beschreibt die
selbst im Lichte dessen beurteilt, wovon
Auffassung der Merkmale und Eigen-
er wahrnimmt, dass es die Art ist, in
schaften eines Menschen selbst. Der
der andere ihn im Vergleich zu sich
Mensch an sich wird als biologisch
selbst und zu einer für sie bedeutsamen
existenter Körper verstanden.
3 Erik Erikson: Jugend und Krise. Stuttgart 2003. (5. Auflage) S. 19
Typologie beurteilen; während er ihre Art, ihn zu beurteilen, im Lichte dessen beurteilt, wie er sich selbst im Vergleich
2.1 Wer wir sind und wie wir
zu ihnen und zu Typen wahrnimmt, die
sein wollen
für ihn relevant geworden sind.“ 3 Die Entwicklung eines Selbst, was man
Erving Goffman schreibt, dass es wohl
auch als Ich-Gefühl beschreiben könnte,
kein historischer Zufall sei, „dass das
ist ein komplexer Prozess, welcher
Wort Person in seiner ursprünglichen
in
Bedeutung
Wechselwirkung
mit
unserem
eine
Maske
bezeichnet.
Umfeld entsteht. Die Eltern sind als
Darin liegt eher eine Anerkennung der
Vorbildfunktion
maßgeblich
Tatsache, dass jedermann überall und
entscheidend, später sind es unsere
immer mehr oder weniger bewusst eine
Freunde und Idole. Immer „bedeutend
Rolle spielt.“ 6 Ebenso wie die Maske
und mit dem Alter noch bedeutender
das Gesicht verschleiert, könnte man
werdend ist der Gleichaltrigen- und
die Kleidung als die Maske des Körpers
Freundeseinfluß, er ist gar stärker als
bezeichnen. „Das Kostüm gehört zu den
der der Medien.“ 4 Die Entwicklung einer
menschlichen
Persönlichkeit lässt den Menschen zur
Musik und Sprache [...] Denn wir sind
Person werden. Ein individuelles Lebe-
uns unerträglich und wollen uns ver-
wesen, welches sich von den Mitmen-
wandeln.“ 7
schen in seinem Sein unterscheidet.
Es ist keine Erscheinung der Neuzeit,
dabei
Ausdrucksmitteln
wie
6
Erving Goffman: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München 1969 S. 21
4 Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 95 7
Hans-Joachim Hoffman: Kleidersprache. Eine Psychologie der Illusionen in Kleidung, Mode u. Maskerade. Frankfurt a. M. 1985 S. 15
dass sich der Mensch in eine MasDennoch spielt der biologische Körper
kierung oder eine Rolle einfügt. Der
für diese Arbeit eine zentrale Rolle. Er
Mensch ist sich selbst nicht genug,
ist Gegenstand unserer Darstellung,
er wäre gerne anders. Indem wir
durch ihn sind wir für unser soziales
eine Rolle übernehmen, können wir
Umfeld und auch uns selbst gegen-
unsere Schwächen und Fehler über-
wärtig und existent. Unser „Körper ist
spielen. „Menschlich im engeren Sinne
die zentrale Figur in diesem Spiel um
ist eine gegen jede noch so moralisch-
soziale Positionen und gesellschaftli-
vernünftige
Reflexion 0 013
resistente,
5
Pia Reinacher: Kleider, Körper, Künstlichkeit. Berlin 2010. S. 15
notorische
Neigung,
seinen
Selbst-
wert zu schützen und zu erhöhen“.
8
betonen und dadurch ein positives Bild unserer selbst zu vermitteln.
Menschlich ist also das Streben, das eigene Selbst aufzuwerten, Fehler zu
Deutlich wird hier, dass sich die beid-
untermauern, um sich vor Anfeindungen
en Seiten des „Seins“ und des „Sein-
anderer zu schützen.
wollens“ nur schwer voneinander tren-
8
Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 124
nen lassen, da diese eng miteinander Unser Verhalten ist demnach nicht
verbunden sind. Eine Aussage wie „So
frei von Selbstgestaltung. Im Gegen-
bin ich eben“ beinhaltet nicht nur das
teil wird unser Verhalten vielmehr von
tatsächliche
der Selbstgestaltung dominiert. Denn
sondern ebenso das Persönlichkeits-
„Menschen sind ständig bemüht einen
bild, Persönlichkeitskonzept, das diese
Eindruck, den sie auf andere machen,
Person verfolgt. Besonders in einem
zu kontrollieren. Sie sind real das, was
fortgeschrittenen Zeitpunkt der Persön-
andere in ihnen sehen.“ 9 Somit besteht
lichkeitsbildung sind wir nur noch
ein Wechselspiel zwischen uns als
bedingt in der Lage das Selbst und das
Darstellern und unserem Publikum.
Selbstkonzept zu trennen. Menschen
Sind wir als Darsteller glaubhaft, so
glauben aufrichtig, dass „ihre Ausle-
fällt die Rückmeldung des Publikums
gung der Situation [...] identischer mit
entsprechend aus und deckt sich mit
der Realität“
unserem Selbstbild. Denn in „diesen
das heißt die Rolle, die wir durch Mod-
Rollen erkennen wir einander; in diesen
ifikation unserer Persönlichkeit zu ver-
Rollen erkennen wir uns selbst.“ 10
körpern versuchen, wird zu unserem
Das Bild, wie wir gerne sein möchten,
Selbst, also zu dem, was wir tatsäch-
festigt sich während des Erwachsen-
lich über uns denken. Wunschbild und
werdens und schließlich „wird die
Selbstwahrnehmung fallen somit ab
Vorstellung unserer Rolle zu unserer
einem bestimmten Punkt zusammen.
zweiten Natur und zu einem integralen
Im
Teil unserer Persönlichkeit.“
11
Dieses
Bild ist jedoch kein Konstantes sondern
Sein
13
folgenden
eines
Menschen,
sei. Das Selbst-Konzept,
Kapitel
soll
darum
9 Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 124
13 Erving Goffman: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München 1969. S.66
Erving Goffman: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München 1969. S. 21
10
11
Erving Goffman: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München 1969. S. 21
erörtert werden, wie sich beide Bereiche genauer differenzieren lassen.
unterliegt gerade in der Phase der Persönlichkeitsentwicklung
ständiger
Veränderung und Anpassung. Somit
2.2 Selbst, Selbstkonzept,
gestalten wir einen Charakter, der uns
Selbstdarstellung
zur Person werden lässt. „»Das unternehmerische Selbst« arbeitet bewusst
Jeder Mensch besitzt nach seiner
und unterbewusst permanent an sich
eigenen
mit dem Ziel der Selbstoptimierung.“
Auffassung
Merkmale
Eigenschaften,
die
Persönlichkeit
begreifen.
ten zu verstecken, positive dagegen zu
unsere subjektive Wahrnehmung für
Der Mensch
0 014
wir
als
und
Wir versuchen negative Eigenschaf-
12
unsere
Hier
wird
12 Pia Reinacher: Kleider, Körper, Künstlichkeit. Berlin 2010. S. 15
uns zur Wahrheit. Dies impliziert, dass
sonders auch nach außen. Nach innen
der Begriff des Selbst subjektiv ge-
insofern, da das Selbstkonzept, wie
prägt ist, nicht der Wahrheit entspre-
oben beschrieben, das Bild vom eigenen
chen muss und damit gleichzeitig auch
Selbst steuert. Nach außen, da es die
ein „Konzept von der eigenen Person“
Menschen aus unserer Umgebung sind,
ist. Das Selbstkonzept bechreibt sozu-
deren Eindruck von uns selbst wir
sagen „die Gesamtheit der auf die eigenen
manipulieren möchten. Ein besonderes
Person
15
Augenmerk liegt für diese Untersuch-
Wiederum ist es nur schwer möglich,
ung auf der Impression-Management-
zwischen dem Sein und dem Sein-
Theorie. Essentiell geht es darum, dass
wollen zu unterscheiden. Da hier, neben
jede Person in einer sozialen Interaktion
Merkmalen und Eigenschaften, welche
damit beschäftigt ist, den „Eindruck,
unsere
ausmachen,
den die andere Person von ihr erhält,
auch Dinge hinzugehören, die wir uns
zu steuern“. 18 Grund für dieses Streben
für unsere Persönlichkeit wünschen
nach Kontrolle ist der Wunsch jedes In-
oder nach denen wir streben. Denkt
dividuums, „ein möglichst großes Maß
man selbst über seine Person nach,
an Selbstwertschätzung“
so fällt es schwer zu differenzieren,
gen. Indem eine Person X ihr Selbst-
was Teil unserer Persönlichkeit ist und
konzept darstellt, manipuliert sie also
was wir uns wünschen, aber noch nicht
das Fremdbild, das die Außenwelt über
realisiert haben.
Person X erhält. Sofern die Außenwelt
14
bezogenen
Beurteilungen“.
Persönlichkeit
19
zu erlan-
14 Hans Dieter Mummendey: Psychologie der Selbstdarstellung. Göttingen 1990. S.78 15 Hans Dieter Mummendey: Psychologie der Selbstdarstellung. Göttingen 1990. S. 79
18 Hans Dieter Mummendey: Psychologie der Selbstdarstellung. Göttingen 1990. S.128
19 Hans Dieter Mummendey: Psychologie der Selbstdarstellung. Göttingen 1990. S.135
dieses erwünschte Konzept rückmelEs zeigt sich, dass es kein Over-all-Selb-
det, wird der Selbstwert von Person X
stkonzept einer Person gibt. Viel mehr
aufgewertet, da sie das zu verkörpern
haben wir für unsere Person mehrere
scheint, was sie verkörpern möchte.
Selbstkonzepte.
Welche
„situationsbereichs-
„Da man nun als Impression-Manage-
spezifisch“ abhängig sind. Man könnte
ment bzw. Selbstpräsentation allge-
versuchen solche Konzepte zu katego-
mein den Vorgang versteht, das Bild
risieren, so wären die Unterscheidung
von der eigenen Person bei einem
zwischen
Publikum zu kontrollieren, lassen sich
oder
gegenstands-
oder
16
einem
Selbstkonzept«
[...]
„»akademischen (und)
einem
Selbstdarstellungen
als
ebensolche
»sozialen Selbstkonzept« [...] (sowie)
Versuche der Beeinflussung der Inter-
einem
aktionspartner
physischen
Selbstkonzept“
17
auffassen.“ 20
Wenn
möglich. Natürlich sind auch ganz
wir in der Lage sind, durch unser Ver-
andere
denkbar.
halten unseren Interaktionspartner zu
Diese sollen allerdings an dieser Stelle
steuern, so spricht man von einer so-
nicht weiter vertieft werden.
zialen Macht. Der Anstieg von sozialer
Selbstkonzepte, die wir von uns haben,
Macht hängt mit der Annäherung an
wirken sowohl nach innen, aber be-
das ideale Selbst zusammen. Je näher
Kategorisierungen
0 015
16 Hans Dieter Mummendey: Psychologie der Selbstdarstellung. Göttingen 1990. S.83 20 Hans Dieter Mummendey: Psychologie der Selbstdarstellung. Göttingen 1990. S.135 17 Hans Dieter Mummendey: Psychologie der Selbstdarstellung. Göttingen 1990. S.84
Glauben Sie, dass die Kleidung, die jemand trägt, viel über seinen Charakter aussagt?
Trifft eher zu
Trifft zu
50,40%
10,70 %
7,40 %
31,40%
Trifft gar nicht zu
Trifft eher nicht zu
Deutschland, 14-69 Jahre, 5.671Befragte. Manager Magazin, Spiegel. April 2011 bis August 2011
Der Mensch
0 016
wir an unsere ideale Selbstdarstel-
liegen, dass er „nicht nur nach Selbst-
lung kommen, desto mehr sind wir in
werterhaltung, sondern grundsätzlich
der Lage innerhalb einer Interaktion
nach etwas strebt, welches er noch
das Verhalten des Partners zu beein-
nicht hat, das ihm noch fehlt und er zur
flussen. Jemand, der eine Rolle gut
Komplettierung seines Selbst unbed-
und selbstsicher spielt, steuert das
ingt erreichen möchte“ 23. Die wohl ein-
Verhalten seines Gegenübers, weil der
fachste Methode der Selbstergänzung
Interaktionspartner der überzeugen-
besteht darin Symbole zu verwenden
den Rolle und damit der dargestellten
über die ein gesellschaftlicher Konsens
Persönlichkeit Glauben schenkt.
besteht. Hierfür sind für unsere Unter-
23
Hans Dieter Mummendey: Psychologie der Selbstdarstellung. Göttingen 1990. S.115
suchung besonders Kleidungsymbole zu nennen, wie die „bei Geschäfts2.2.1 Selbstbewertung, Selbst-
leuten
elegante Schuhe, (oder eine) schicke
erhaltung, Selbstergänzung
[die]
teure
Armbanduhr,
24
Hans Dieter Mummendey: Psychologie der Selbstdarstellung. Göttingen 1990. S.117
Aktentasche“ 24. Aber auch Personen, Es besteht ein ständiges Prüfen un-
die ihr Selbstkonzept nicht durch beruf-
seres Selbst, nur so können wir Merk-
lichen und finanziellen Erfolg erfüllen
male und Eigenschaften bzw. Konzepte
können, können sich durch dinghafte
anwenden, anpassen und optimieren.
Symbole helfen. So erweckt ein schick-
Der
und
er, teurer Anzug den Eindruck eines
damit der Prozess der Selbstwerter-
erfolgreichen Geschäftsmanns, selbst
haltung und -verbesserung ist durch
wenn dies nicht der Realität entspricht.
ständig ablaufende Reflektions- und
Nach Arkin (1980) ist das Individuum
Vergleichsprozesse gewährleistet.“
„weitestgehend damit beschäftigt [...]
„Selbstbewertungsprozess
21
Zustimmung von anderen Personen zu Es liegt auf der Hand, dass der Mensch
erhalten und die Ablehnung anderer
Selbstkonzepte, die er von sich hat zum
Personen zu vermeiden – dazu präsen-
Besseren hin verändern oder zumindest
tieren sie sich anderen gegenüber auf
bewahren möchte. Konzepte, welche
positive Art und Weise.“ 25
21 Hans Dieter Mummendey: Psychologie der Selbstdarstellung. Göttingen 1990. S.112
25 Hans Dieter Mummendey: Psychologie der Selbstdarstellung. Göttingen 1990. S.133
wir für uns haben, resultieren darin, dass wir für uns einen Vorteil daraus
Fassen wir abschließend noch einmal
ziehen. Dies tut der Mensch „um ein
zusammen: Unser Selbst ist die subjek-
ausgeglichenes und gesundes Funk-
tive Auffassung unserer Persönlichkeit.
tionieren des Individuums und seines
Unser Selbstkonzept beinhalte Dinge,
Interaktionsverhaltens“ 22 zu
welche wir nach unserer eigenen Auf-
sichern. Auch dann, wenn der Mensch
fassung innehaben, ebenso wie Eigen-
sich selbst schlecht darstellt, verfolgt
schaften und Merkmale, welche wir uns
er damit einen Zweck, aus dem er in
wünschen und noch erreichen wollen.
irgendeiner Weise einen Nutzen zieht.
Bei der Selbstdarstellung versuchen
Es scheint in der Natur des Menschen zu
wir uns entsprechend unseres Selbst-
sozialen
0 0 17
22 Hans Dieter Mummendey: Psychologie der Selbstdarstellung. Göttingen 1990. S.115
konzeptes so zu präsentieren, dass der
seiner Selbstdarstellung [...], die offi-
Interaktionspartner unsere Rolle ent-
ziell anerkannten Werte der Gesell-
sprechend des Selbstkonzeptes inter-
schaft zu verkörpern und zu belegen“ 26.
pretiert. Durch die Bestätigung unseres
In einer sozialen Interaktion geht es
Umfeldes einer gut gespielten Rolle
nicht nur um die Erwartungen, die von
werden Merkmale des Selbstkonzeptes
beiden Seiten gestellt werden. Das In-
fester Bestandteil unseres Selbstbil-
dividuum wird bei seinem Verhalten
des und unserer Selbstbewertung. Der
auch mögliche Reaktionen des anderen
Mensch ist bestrebt diese Merkmale
berücksichtigen und wird entsprech-
und Eigenschaften, welche er sich an-
end seinem Gegenüber sein Verhalten
geeignet hat, zu bewahren und weiter-
verändern. Abhängig davon wie das
hin aufrecht zu erhalten. Das bedeutet
Verhalten vom Interaktionspartner auf-
aber auch, dass er sich in seiner Selbst-
gefasst wird, fällt dessen Reaktion aus.
darstellung weiterhin an die entsprech-
Einfach ausgedrückt heißt das, wenn
enden Verhaltensweisen halten muss,
uns jemand unfreundlich entgegentritt,
zur
Grundleg-
so werden wir ebenso unfreundlich
end zeichnet sich ab, dass der Mensch
reagieren oder sogar besonders freund-
ständig nach mehr strebt, somit wird er
lich antworten – je nach dem, wie wir
nie sein Selbstkonzept vollständig zu
die Person einschätzen und welche
seinem Selbstbild machen können und
Reaktion in unseren Augen von der
sich ständig um die Optimierung seiner
Person erwartet wird und welche Reak-
Persönlichkeit
Selbstwerterhaltung.
die
tion wir planen zu erhalten. Der Eindruck
Selbstbewertung, die Selbsterhaltung
den der Interaktionspartner „aufgrund
und die Selbstergänzung herrscht für
seines gezeigten Verhaltens gewinnt,
den Menschen ein ständiger Darstel-
(spielt)
lungszwang, weil das Persönlichkeits-
Eines der einfachsten und präsentesten
bild gepflegt und ständig bestätigt
Beispiele ist das Äußern von „Bitte“
werden muss.
und „Danke“. Wenn jemand aufge-
bemühen.
Durch
eine
gewichtige
Rolle.“ 27
fordert wird, einen Gegenstand weiter zu reichen, erwartet diese Person, dass 2.3 Die Gesellschaft und Vorbilder
sie darum gebeten wird. Würde man diese Aufforderung ohne eine Bitte
Da wir auf unser Umfeld bzw. auf
formulieren,
würden
andere Menschen angewiesen sind,
gewünschte
Reaktion
erfordert es von uns ein gewisses Maß
erhalten.
wir
nicht
des
die
anderen
an Anpassung, um unserem Kommuden
In Bezug auf das Thema dieser Arbeit
gewünschten Eindruck hervorzurufen
– die Kleidung – ist das Tragen von
und die eingeforderte Reaktion zu
Anzug
erhalten. Der Mensch versucht „bei
Beispiel. Dies ist Pflicht in bestimmten
nikationspartner
Der Mensch
zu
gefallen,
und
Krawatte
0 018
ein
gutes
26 Erving Goffman: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München 1969. S.35
27
Hans Dieter Mummendey: Psychologie der Selbstdarstellung. Göttingen 1990. S.128
Bereichen der Geschäftswelt. Diese
Idole aber auch Menschen in unserem
Pflicht lässt sich auf unsere gesell-
unmittelbaren Umfeld sein, welche
schaftlichen und kulturellen Struktur-
uns beeindrucken und damit auch
en zurückführen, in denen bestimmte
unsere
Berufe eine solche Pflicht beinhalten.
Stars werden „zu Vorbildern, die man
Im Umkehrschluss bestätigt der An-
beobachtet und kopiert mit dem Ziel,
zugträger
die Merkmale des bewunderten Idols an
diese
Übereinkunft
da-
Persönlichkeit
beeinflussen.
durch, dass er täglich mit Anzug und
sich selbst zu realisieren.“
Krawatte am Arbeitsplatz erscheint.
Aneignung dieser Merkmale versprech-
Goffmann bezeichnet dieses Wechsel-
en wir uns Erfolg, Glamour, Abenteuer,
spiel als „Ritual“. Der Mensch erfüllt
Luxus aber auch Anerkennung, Respekt
die Wertevorstellungen einer Gesell-
und Neid. Scheinbar erstrebenswerte,
schaft
Ansehen,
erfüllende Bestandteile eines Lebens,
Respekt und Anerkennung und andere
das das Idol bereits zu führen scheint.
Attribute. So „richten wir unsere eige-
Carlo Michael Sommer schreibt dazu:
nen Inszenierungen aus nach den uns
„Unsere Stars wirken eher wie ein
allmählich unbewusst vertraut wer-
Katalysator: Sie nehmen Trends aus
denden Rollen derjenigen, an die wir
den Subkulturen auf und verbreiten sie
uns wenden.“ 28
über die Medien. Madonna ist ein gutes
und
erhält
dafür
30
Im Rahmen der Gesellschaft können
weltweit promotet werden.“ 31 Es ist
wir uns als Person folgendermaßen
offensichtlich, dass gerade im Jugend-
definieren: „Eine bestimmte Art von
alter solche Vorbilder einen großen
Person sein, heißt also nicht nur, die
Einfluss auf unsere Entwicklung und
geforderten Attribute zu besitzen, son-
unser Verhalten ausüben – besonders
dern auch, die Regeln für Verhalten
auch auf unseren Kleidungsstil. Vor-
und Erscheinung einzuhalten, die eine
bilder sind somit „Orientierungshilfen
bestimmte soziale Gruppe mit diesen
auf dem Weg zum eigenen Erfolg“
Attributen verbindet.“
und zur eigenen Persönlichkeit.
Mit anderen
32
Worten: Um innerhalb eines sozialen Kreises wie der Gesellschaft oder einer eng gefassten Gruppe akzeptiert zu werden müssen wir uns deren Vorstellungen anpassen. Wir werden Produkt unseres Umfeldes – der Gesellschaft. Haben wir auf der einen Seite die Gesellschaft, welche uns Vorgaben macht wie wir zu sein haben, so stehen auf der anderen Seite unsere Vorbilder. Diese können Prominente, Stars und 0 019
Pia Reinacher: Kleider, Körper, Künstlichkeit. Berlin 2010. S. 18
Durch die
Beispiel dafür, wie neue Modetrends
29
30
28 Erving Goffman: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München 1969. S.76 31 Carlo Michael Sommer: „Sagen Sie mal: Was verrät unsere Kleidung über unseren Charakter?“ in P.M. Specials: Seele: 2012.
29
Erving Goffman: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München 1969. S. 76 ff.
32
Pia Reinacher: Kleider, Körper, Künstlichkeit. Berlin 2010. S. 18
D ie K l eid u n g
0020
iII.
Die Kleidung
Textilmicroskopie Polyester
Schon im Kindesalter verstehen wir,
der Jugendliche wird, umso intensiver
dass Kleidung nicht nur physische
macht er sich Gedanken bei der Klei-
Funktionen für uns erfüllt. Ein Bewusst-
dungswahl.“ 35 Die
sein über „Geschlechterrollenstereo-
Kleidungsstil der Erwachsenen und
typisierung, also z.B. die Zuordnung von
die Zugehörigkeit zu seinen Freunden
Kleidung und Geschlecht bzw. Tätigkeit/
sowie die Abhebung von dem eigenen
Kleidung und Geschlecht, kann schon
und die Attraktivität vor dem anderen
beobachtet
Geschlecht werden elementar wichtig.
werden. Somit wird schon im Alter von
Ebenso hilft Kleidung uns zur Festigung
drei Jahren Kleidung gewählt, die der
und Bewältigung von Identitäts- und
Rolle des Jungen oder des Mädchens
Existenzkrisen. „Sie dienen gleicher-
entspricht. „Bereits Kinder nutzen die
maßen der zweckhaften Orientierung
Kleidung bei der Urteilsbildung über
und dem modisch-maskierenden Spiel,
in
den
Kindergärten“
33
kommuni-
der illusionären Konfliktbewältigung und dem Definieren persönlicher Iden-
somit schon in jungen Jahren genutzt.
tität, der gesellschaftlichen Einord-
Mit dem Älterwerden nimmt auch die
nung und dem kritischen Protest.“ 36
34
Die
zum
kative Macht unserer Kleidung wird
andere
Personen“ .
Abgrenzung
Wichtigkeit der Kleidung zu. Zunächst sind es die Geschlechterrollen, die
Es lässt sich nicht leugnen, dass Klei-
repräsentiert werden aber je „älter
dung für den Menschen schon früh eine 0 0 21
35
Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 96
33 / 34 Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 97 36
Hans-Joachim Hoffman: Kleidersprache. Eine Psychologie der Illusionen in Kleidung, Mode u. Maskerade. Frankfurt a. M. 1985. S. 9
wichtige Rolle spielt, selbst wenn dies
3.1 Die Adressaten
in persönlichen Aussagen oft geleugnet wird. Zuzugeben auf den Kleidungsstil
Die Kleidungsbotschaften, die wir aus-
zu achten, hat häufig die Einschätzung
senden, haben immer zwei Adressaten:
von Eitelkeit, Oberflächlichkeit, Arro-
das soziale Umfeld und den Träger
ganz und Selbstinszenierung zur Folge.
selbst. Wenn Kleidung kommuniziert,
Hans-Joachim Hoffman schreibt hier-
so tut sie dies immer in beide Rich-
zu: „Etwa jeder Dritte meint, Kleidung
tungen. Zunächst sollen die beiden
sei ihm gleichgültig [...] Ein zweites
Adressaten beleuchtet werden.
Drittel [...] achtet in erster Linie auf Unauffälligkeit und Korrektheit. Zwei
Beginnen wir mit dem sozialen Umfeld.
Drittel der Bevölkerung hinterlassen
Aus äußerlichen Merkmalen wie dem
bei einer Befragung den Eindruck, dass
Geschlecht kann die Gesellschaft auf
ihnen Kleidung nichts bedeute.“ Ganz
bestimmte Bedürfnisse und Verhaltens-
egal wie viel oder wenig Wert wir auf
weisen schließen: Das „Geschlecht und
unsere tägliche Garderobe legen, sich-
sein Status signalisiert, zu welcher
er ist, dass unsere Kleidung Aussagen
Gruppe man gehört oder welcher Men-
über uns trifft. Auch eine Person, die
talität man anhängt und man stellt
Kleidung „nicht bewusst analysiert,
sich als eine Persönlichkeit dar, die
intuitiv“ .
einer besonderen Art und Einschät-
Dass wir einander ansehen und ver-
zung und Zuwendung wert ist.“ 39 Wir
suchen uns ein Bild voneinander zu
wollen
verschaffen ist dem Menschen ange-
wirken, freundlich und aufgeschlossen
boren und passiert wie ein natürlicher
oder schön und begehrenswert, um
Reflex. Dabei ist die Kleidung, welche
nur ein paar der möglichen Eindrücke
den Großteil unserer Körperoberfläche
aufzulisten. Wenn wir uns unserem
bedeckt, natürlich besonders präsent.
Umfeld präsentieren, wird immer „ein
Aussagen,
Kleidung
wenig Täuschung und Werbung dabei
machen, können initiiert sein oder völ-
sein“ 40. Wir wollen beobachtet und
lig unwillkürlich passieren. Sie können
damit wahrgenommen werden – even-
vom Betrachter richtig oder falsch ver-
tuell sogar bewundert. Alles beruht
standen werden. Wie Kleidung kommu-
zunächst auf Äußerlichkeit und Ober-
niziert, unterliegt einem äußerst kom-
flächlichkeit. Wir sind beeinflusst von
plexen System, das sich von Mensch zu
unserem ästhetisierten Umfeld, aus
Mensch, von Kultur zu Kultur und von
welchem eine „ästhetisierte Selbst-
Zeit zu Zeit verändert.
darstellung, die Bedeutung des Ausse-
37
entziffert
die
die
Botschaft
wir
durch
38
selbstsicher
und
und Schönheit demonstrierend“ 41 erwächst. Bei unserer Garderobe sind wir immer bemüht das richtige Mittelmaß 0022
39 Hans-Joachim Hoffman: Kleidersprache. Eine Psychologie der Illusionen in Kleidung, Mode u. Maskerade. Frankfurt a. M. 1985. S. 44
38
Pia Reinacher: Kleider, Körper, Künstlichkeit. Berlin 2010. S. 17
überlegen
hens überschätzend, guten Geschmack
D ie K l eid u n g
37 Hans-Joachim Hoffman: Kleidersprache. Eine Psychologie der Illusionen in Kleidung, Mode u. Maskerade. Frankfurt a. M. 1985. S. 34 ff
40
Hans-Joachim Hoffman: Kleidersprache. Eine Psychologie der Illusionen in Kleidung, Mode u. Maskerade. Frankfurt a. M. 1985. S. 44
41 Hans-Joachim Hoffman: Kleidersprache. Eine Psychologie der Illusionen in Kleidung, Mode u. Maskerade. Frankfurt a. M. 1985. S. 45
Glauben Sie, dass ihr Kleidungstil einen ganz persönlichen und unverwechselbaren Charakter hat?
Trifft eher zu
Trifft zu
41,70%
12,20 %
8,80 %
37,30%
Trifft gar nicht zu
Trifft eher nicht zu
Deutschland, 14-69 Jahre, 5.671 Befragte. Manager Magazin, Spiegel. April 2011 bis August 2011
0023
D ie K l eid u n g
0024
„zwischen Anpassung und Abgrenzung
nicht wohl fühlen zieht dies ein Ableh-
zu finden und den Eindruck, den die an-
nungs-Empfinden nach sich und lässt
deren von uns gewinnen, zu steuern.“
42
uns in unserem Sozialverhalten un-
Wir wollen anders sein, uns jedoch
sicher werden. Wenn wir uns anziehen,
nicht so stark unterscheiden, um von
so wollen wir uns selbst gefallen und
der Gesellschaft abgelehnt zu werden.
das Bild, welches wir von uns haben
Schon hier können wir festhalten, dass
und haben wollen, möchten wir durch
nicht nur wir alleine über unsere Klei-
unseren gekleideten Körper repräsen-
dung entscheiden. Auch unser soziales
tiert sehen. Dies verschafft uns mehr
Umfeld spielt eine tragende Rolle.
Selbstsicherheit, Wohlempfinden und
Innerhalb einer Gesellschaft existiert
„schafft ein neues Selbstwertgefühl.“ 45
ein Konsens, der sich ständig weiterEin
Mehr noch: Kleidung vermittelt ihrem
Konsens darüber, was momentan „in
Träger das „Gefühl des Selbstseins und
Mode ist“ und was nicht, welche Grup-
der Befindlichkeit in der Welt“ 46.
entwickelt
und
neu
definiert.
42
Carlo Michael Sommer: Mode in Dieter Frey und Carl Graf Hoyos (Hrsg.):Psychologie in Gesellschaft, Kultur und Umwelt. Basel 2005 (1. Auflage). S. 245
45
Hans-Joachim Hoffman: Kleidersprache. Frankfurt a. M. 1985. S. 47
46
Hans-Joachim Hoffman: Kleidersprache. Frankfurt a. M. 1985. S. 46
pierungen welche Kleidungsstile bevorzugen und welche Kleidungsstücke was für einen sozialen Status verkörpern,
3.2 Existenz durch Kleidung
um nur ein paar wenige Dinge zu nennen. „Wie kaum etwas anderes verraten
„Kleider machen Leute“, so heißt es
Kleider und Körper, welche Werte in
in Gottfried Kellers Erzählung. Um
einer Gesellschaft momentan als ideal
diesen Satz kommt man nicht herum,
und wertvoll gehandelt werden.“ 43
wenn man sich mit einer solch viel
43 Pia Reinacher: Kleider, Körper, Künstlichkeit. Berlin 2010. S. 13
bearbeiteten Materie wie der Kleidung Nicht nur nach außen, sondern auch
auseinander setzt. Anders formuliert
nach innen senden wir Botschaften
könnte man auch sagen, dass durch
über unseren Kleidungsstil: „Die Klei-
Kleidung unser Körper erst eine „sozial
dung präsentiert eine Rolle, die sie den
bedeutsame Erscheinung“
anderen vorscheibt oder vorgaukelt
Nicht ohne Grund wird Kleidung auch oft
und von deren selbstverständlicher
als unsere zweite Haut bezeichnet. Eine
Erfüllung sie ihren Träger überzeugt“ 44.
Haut, die wir, im Gegensatz zu unserer
Kleidung kommuniziert nicht nur mit
echten Haut, selbst wählen können.
der Umwelt, sondern auch in uns hinein.
Doch diese Stoffhaut betrachten wir
Dies liegt zunächst nicht so offensicht-
nicht gesondert von uns. Meist „ist
lich auf der Hand, da dieser Prozess im
Kleidung und nicht die Haut die Körper-
Normalfall unterbewusst stattfindet
grenze.“ 48 Somit könnte man sagen,
und nicht als solcher wahrgenommen
dass Kleidung ein fester Bestandteil
wird. Aber führen wir uns einmal ein
des Menschen ist, ebenso wie dessen
einfaches Beispiel vor Augen: Wenn wir
biologische Haut.
47
bekommt.
44
Hans-Joachim Hoffman: Kleidersprache. Eine Psychologie der Illusionen in Kleidung, Mode u. Maskerade. Frankfurt a. M. 1985. S. 47 47
Carlo Michael Sommer: Mode in Dieter Frey und Carl Graf Hoyos (Hrsg.):Psychologie in Gesellschaft, Kultur und Umwelt. Basel 2005 (1. Auflage). S.245
48
Pia Reinacher: Kleider, Körper, Künstlichkeit. Berlin 2010. S. 12
Textilmicroskopie Baumwollfasern in Flanell
etwas anziehen müssen, worin wir uns 0025
Rational betrachtet ist Kleidung jedoch
Das bedeutet aber auch, dass wir
zunächst
Nutzgegenstand
andere Menschen anhand ihrer Klei-
ebenso wie Möbel, technische Geräte
nur
ein
dung wahrnehmen, erkennen und ein-
oder Fortbewegungsmittel. Diese Dinge
schätzen. Anhand der Kleidung einer
wählen wir passend zu unserer Person
Person schreiben wir dieser neutrale,
oder mehr noch passend zu der Vorstel-
negative oder positive Attribute zu. Wir
lung, die wir von uns haben. Dieser Vor-
sind im ersten Moment allein durch
gang vollzieht sich in der Regel nicht
die Kleidung des anderen in der Lage
bewusst, sondern durch das Gefallen
uns ein Bild von einem Menschen und
oder Nichtgefallen eines Gegenstands.
dessen Identität zumachen.
Textilmicroskopie Baumwollfasern
Gleichzeitig verwirklicht der Besitz dieser Gegenstände die Vorstellung,
Um
die wir von uns haben. In Bezug auf die
kommen: Natürlich ist ein Mensch
Kleidung könnte sich folgendes Sze-
auch ohne Kleidung existent. Jedoch
nario ergeben: Ein Mann entwirft von
bekommt er erst durch sie eine gewisse
sich das Bild von einem gebildeten
Einzigartigkeit, durch die wir Personen
Geschäftsmann. Nun kauft er sich
voneinander
einen Anzug, der in seinen Augen diese
Anhand der Kleidung interpretieren
Vorstellung
wir
repräsentiert.
Er
trägt
auf
die
Kellers
Zitat
zurück
unterscheiden
„wesentliche
zu
können.
Identität
des
diesen Anzug und füllt mit seinem
Trägers“ . Wir werten seine Beklei-
Verhalten die entworfene Vorstellung
dung aus und schlussfolgern auf die
aus. Somit bestätigt der Anzug die
Eigenschaften der Person. Wir schlie-
51 Carlo Michael Sommer: Mode in Dieter Frey und Carl Graf Hoyos (Hrsg.): Psychologie in Gesellschaft, Kultur und Umwelt. Basel 2005 (1. Auflage). S. 246
Existenz und die Wahrhaftigkeit der
ßen also von „sichtbaren Merkmalen auf
49 / 52
geformten Identität. Kleidung ist da-
andere, nicht sichtbare Eigenheiten“ ,
durch für den Menschen „Objektivieren
das heißt wir schließen von der Klei-
und Ausdruck seiner Identität und
dung auf die ganze Persönlichkeit des
Carlo Michael Sommer: Mode in Dieter Frey und Carl Graf Hoyos (Hrsg.): Psychologie in Gesellschaft, Kultur und Umwelt. Basel 2005 (1. Auflage). S. 245
wirkt zugleich auf diese zurück“ 49.
Trägers. So halten wir Menschen „auf-
53
Im nächstens Schritt wird die Bestä-
grund ihrer Kleidung für wohlhabend,
tigung des Umfeldes benötigt. Der
vertrauenswürdig
Anzug erfüllt nur dann vollwertig seine
sen“ . Die Kleidung verkörpert somit
Funktion, wenn auch die Mitmenschen
den sozialen, ökonomischen, charak-
die entworfene Vorstellung bejahen. Es
terlichen Status einer Person.
51
52
oder
aufgeschlos-
53
geht hier um das „Zeigen und Gesehen werden“ . Erst, wenn auch der Anzug
Kleidung hebt eine Person innerh-
durch das soziale Umfeld als Teil der
alb des sozialen Umfelds aus der
Person anerkannt wird, wird diese voll-
Masse hervor. Nehmen wir an, dass
ständig zum Anzugträger.
der
50
Mensch
keine
Kleidung
hätte.
Ohne Kleidung sind wir uns auf den Für das Wirken von Kleidung bedarf es
ersten Blick alle gleich. Nur wenige
eine Bestätigung durch das Umfeld.
allgemeine Merkmale können wir zur
D ie K l eid u n g
0026
Carlo Michael Sommer: Mode in Dieter Frey und Carl Graf Hoyos (Hrsg.): Psychologie in Gesellschaft, Kultur und Umwelt. Basel 2005 (1. Auflage). S.247
50 Pia Reinacher: Kleider, Körper, Künstlichkeit. Berlin 2010. S. 30
0027
Unterscheidung führen.
untereinander
Körpergröße,
an-
Jedoch „sprechen“ wir durch Kleidung
Geschlechts-
auf eine andere Art als durch Worte.
merkmale, Hautfarbe und ähnliches
Meist werden Gestik und Mimik nur
sind möglich. Eine solche Kategori-
dahingehend untersucht, wie sie den
sierung führt nicht sonderlich weit,
eigentlichen
denn körperliche Merkmale verraten
„Während Gestik und Mimik, die im
nur wenig über die Persönlichkeit eines
Augenblick gültige Gefühlshaltungen
Menschen. Auf unsere Körpermerk-
zum Gesprochenen anzeigen, schafft
male können wir nur bedingt Einfluss
Kleidung ein Gefühl von Übereinstim-
nehmen – eventuell ein Haarschnitt,
mung oder auch von Gegensatz und Ab-
eine Tätowierung. Kleidung hilft dabei,
hebung.“ 55 Wir müssen hier also differ-
andere Menschen einzuschätzen und
enzieren. Für uns geht es nicht darum,
Persönlichkeit zu präsentieren.
in welcher Form Kleidung die verbale
Sprechakt
begleiten. 55 Hans-Joachim Hoffman: Kleidersprache. Eine Psychologie der Illusionen in Kleidung, Mode u. Maskerade. Frankfurt a. M. 1985. S. 20
Kommunikation begleitet, sondern in welcher Weise Kleidung auch unabhän3.3 Nonverbale Kommunikation
gig von verbaler Konversation oder aber vorbereitend auf diese kommuniziert.
Wenn in Bezug auf Menschen von nonverbaler Kommunikation gesprochen
Rainer Dollase schreibt hierzu, „dass
wird, also von Kommunikation ohne
Kleidung ebenso wie der Gesichts-
den Gebrauch von verbaler Sprache,
ausdruck, die Körperhaltung, Mimik
so umfasst dies alle Attribute unseres
und Gestik unserem Gegenüber etwas
Körpers, mit welchen wir Botschaf-
vermittelt, was man schlicht daran
ten versenden können. Hierzu gehören
erkennen kann, dass unser Gegenüber
beispielsweise
Mimik,
und
diese nonverbalen Zeichen für die
Körperhaltung.
Aber
Gestik
externe
Personenbeurteilung und seine eigene
Elemente wie Haarschnitt, MakeUp,
Handlungsplanung heranzieht.“ 56 Dem-
Piercings, Tattoos und auch Kleidung.
entsprechend besteht die Tatsache,
Kleidung ist „ein Medium (nonverbal-
dass Kleidung auch unabhängig vom
er) Kommunikation“ . All die hier
gesprochenen Wort etwas über den
genannten
Kleidungsträger
auch
56 Hans-Joachim Hoffman: Kleidersprache. Eine Psychologie der Illusionen in Kleidung, Mode u. Maskerade. Frankfurt a. M. 1985. S. 20
54
mit unserem Gegenüber und auch mit
chim Hoffman erkennt darüber hinaus,
Carlo Michael Sommer: Mode in Dieter Frey und Carl Graf Hoyos (Hrsg.): Psychologie in Gesellschaft, Kultur und Umwelt. Basel 2005 (1. Auflage). S.246
uns selbst unabhängig von verbaler
dass Kleidung „die Bewertungsrich-
57
Sprache.
54
Aspekte
Kleidung
kommunizieren
als
aussagt.
Hans-Joa-
nonverbales
tung“ bestimmt, „indem sie ein Feld
Kommunikationsmittel behandelt sozu-
sozialer Beziehungen, Vorrechte und
sagen die „Sprache der Kleidung“. So
erwartbarer Reaktionen errichtet“ 57.
wie das Wort in der Sprache für eine Be-
Demnach äußert Kleidung nicht nur
deutung steht, ist auch ein Kleidungs-
irgendeine Art von nonverbaler Kom-
stück mit Aussagen behaftet.
munikation, sondern sie trifft Äußerungen über den sozialen Status des
D ie K l eid u n g
0028
Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 99
Trägers, woraus sich das Beziehungs-
glaubhaften Charakter.
verhältnis beider Gesprächsteilnehmer ergibt
und
das
Verhalten
des
Gesprächspartners.
3. Entscheidend ist die soziale Leistung der nonverbalen Systeme, das bedeutet, dass sie „zwischenmenschliche
Auffallend ist, dass innerhalb von so
Beziehungen“
genannten nonverbalen Systemen ge-
Faktoren ist die verbale Kommunikation
wisse Parallelitäten existent sind, das
größtenteils ein nüchterner Austausch
heißt Parallelitäten zwischen nonver-
von Informationen. Persönliche Wer-
balen Kommunikationsmitteln wie der
tung, Sympathie oder Gefühl können
Körpersprache oder der Kleidung. Diese
besonders durch nonverbale Mittel,
sollen hier kurz aufgeführt werden, um
insbesondere durch Gestik und Mimik,
einen Eindruck zu vermitteln, in welch-
ausgelöst und bekräftigt werden. Meist
er Form nonverbale Kommunikation
kann verbale Kommunikation aufgrund
charakterisierbar ist.
der simultan laufenden, nonverbalen
60
errichten. Ohne diese
60 Hans-Joachim Hoffman: Kleidersprache. Eine Psychologie der Illusionen in Kleidung, Mode u. Maskerade. Frankfurt a. M. 1985. S. 22
Kommunikation erst richtig verstanden 1.
Nonverbale
Systeme
beinhalten
werden. Gerade bei ironischen Aussa-
im Gegensatz zur verbalen Kommu-
gen kann die Ironie durch das Zwink-
nikation eine „Unzurechnungsfähigkeit
ern mit dem Auge bewusst gemacht
des Senders“ . Dies bedeutet, dass
werden.
58
die Körpersprache wie auch die Kleidungssprache weniger eindeutig sind
Eine weitere Besonderheiten beider
als das gesprochene Wort. Sie sind
Kommunikationsformen ist, dass ver-
somit für den Kleidungsträger weniger
bale Kommunikation in einer Situation
kontrollierbar.
auftritt, in der sich die Gesprächspart-
58 Hans-Joachim Hoffman: Kleidersprache. Eine Psychologie der Illusionen in Kleidung, Mode u. Maskerade. Frankfurt a. M. 1985. S. 21
ner gegenüber stehen. Dies ist somit 2. Durch die nonverbale Sprache wird
immer von nonverbaler Kommunika-
eine
Die
tion begleitet. Jedoch kann nonverbale
Botschaften sind mehr „auf die Fülle
Wahrnehmung auch unabhängig von
des Erlebbaren gerichtet“
verbaler
Schein-Welt
dargestellt. 59
als auf
das gesprochene Wort. Somit erweitert
Kommunikation
auftreten,
dann wenn keiner etwas sagt.
nonverbale Kommunikation die kommunikative Situation. Die verbale Kommunikation bezieht sich lediglich auf
3.4 Die Aussage von Kleidung
die intendierte Aussage des Sprechers, wohingegen die nonverbalen Zeichen
Welche
Botschaften
diese
sendet,
unterliegt
eigentliche
Kommunikations-
Kleidung einem
aus-
gesell-
aussagen durch Paratext erweitern. Je
schaftlichem Prozess. Es wird kein
eindeutiger die nonverbalen Zeichen
Kleidungsstück mit direkter Aussage
sind, desto mehr gewinnt die Welt einen
produziert. Welche Aussagen durch 0029
59
Hans-Joachim Hoffman: Kleidersprache. Eine Psychologie der Illusionen in Kleidung, Mode u. Maskerade. Frankfurt a. M. 1985. S. 21
unsere ist
Kleidung
Resultat
getroffen
eines
werden,
Umfeld. 2. Die Kleidung, die wir aus-
Kanonisierungs-
wählen, erfolgt als Reaktion auf vor-
prozesses. „Geschichtlichkeit, Symbol-
herrschende
gehalt
bilden
Kulturkreises. 3. Über die Aussage
die drei wichtigen Koordinaten der
von Kleidung besteht ein Konsens. Das
Kleidersprachen.“
bedeutet, dass sich z.B. eine Gruppi-
Unter Geschichtlichkeit können Klei-
erung auf gewisse Kleidung bzw. Zeichen
dungsstücke angeführt werden, welche
geeinigt hat. Wer diese Zeichen trägt,
mit historischen Ereignissen oder einer
wird als Teil der Gruppe anerkannt.
Ära in Verbindung stehen. Als Beispiel
4. Der Mensch muss die Bedeutung von
dient hier der rote Samtmantel von
Kleidung im Laufe der Sozialisation erst
Königen. Symbolgehalt sagt man vor
erlernen, bevor er sie verstehen und
allem
nach,
anwenden kann. Die Übereinkunft über
die im Zusammenhang mit gewissen
Kleidungsaussagen ist nicht immer
Ritualen oder Eigenschaften stehen. So
gleich und kann von Kultur und Gesell-
ist z.B. der Talar des Pfarrers oder der
schaft abhängig variieren. Ein Grup-
Hut des Papstes als Zeichen der Chris-
pierung oder auch ein Individuum,
tenheit zu nennen. Der dritte Punkt,
beispielsweise eine prominente Person,
die Konventionalität, ist die Basis des
eignet sich ein besonderes Kleidungs-
Prozesses der Bedeutungszuweisung.
stück als Identifikationsmerkmal an.
Ziehen wir den symbolischen Inter-
Dieses Kleidungsstück wird über ein-
aktionismus zu Hilfe. Dieser besagt:
en gewissen Zeitraum von der Gesell-
„1. Menschliches Verhalten ist in den
schaft als Wiedererkennungsmerkmal
meisten seiner Aspekte kultureller Na-
dieser Person oder der Gruppe ver-
tur. 2. Das als kulturell bezeichnete,
standen, durch das wiederholte Auf-
menschliche
und
Konventionalität 61
den
Kleidungsstücken
Verhalten
erfolgt
Kleidungsstile
unseres
als
treten mit dem Kleidungsstück. Somit
Reaktion auf Symbole. 3. Der Mensch
gehört nun das Kleidungsstück zum
ist fähig, Symbole zu verwenden, wenn
Stereotyp dieser Gruppierung. Dies
eine Übereinkunft über ihre Bedeutung
bedeutet, jeder der ein solches Klei-
erreicht worden ist. 4. Die Bedeutung
dungsstück trägt, wird von der Gesell-
von Symbolen wird erlernt, das heißt,
schaft als Mitglied dieses Kreises ver-
der Mensch eignet sie sich durch den
standen. Somit bekommt der Träger
Prozess der Sozialisation an.“
automatisch alle Attribute des Stereo-
62
61
Hans-Joachim Hoffman: Kleidersprache. Eine Psychologie der Illusionen in Kleidung, Mode u. Maskerade. Frankfurt a. M. 1985. S. 9
62 Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 99
typs übertragen. Elke Haugele schreibt Fassen wir Kleidungsstücke also als
hierzu: „Sexuelle Identität ebenso wie
Zeichen für etwas auf, im besten Fall
Begriffe von Normalität und Abwei-
als Symbol, so lässt sich der symbol-
chung werden innerhalb von symbolis-
ische Interaktionismus auf das Feld
chen und sozialen Systemen produziert
der Kleidung anwenden: 1. Wir kleiden
und durch sie bestätigt“ 63. Durch das
uns abhängig von unserem kulturellen
Erkennen der Gesellschaft festigt sich
D ie K l eid u n g
0030
63
Maike Boecker: „Labeling Youth: Alle Macht den Marken“ in Elke Haugele, Kristina Reiss (Hrsg.): Jugend Mode Geschlecht, die Inszenierung des Körpers in der Konsumkultur. Frankfurt/New York 2003. S. 68
Benutzen Sie verschiedene Kleidungsstile, um die unterschiedlichen Seiten Ihrer Persönlichkeit auszudrücken?
Trifft eher zu
32,90%
Trifft zu 11,00 %
30,50% Trifft eher nicht zu
25,60% Trifft gar nicht zu
Deutschland, 14-64 Jahre, 10.167 Befragte. Manager Magazin, Spiegel. Oktober 2006 bis Januar 2007
0 0 31
D ie K l eid u n g
0032
also das Kleidungsstück als Merkmal
besteht aus einer Vielzahl von Einzel-
dieser Gruppe. Sofern sich der Träger
reizen – es wird ja nicht nur Form bzw.
selbst
angehörig
Umriß beurteilt, sondern ebenso Farbe,
fühlt, wird er sich den Verhaltens-
Textur, ja auch taktile oder olfaktor-
mustern anpassen und rückwirkend
ische (Geruchs-)Qualitäten“ 65. Ebenso
das Stereotyp bestätigen.
wie sich unsere verbale Sprache eines
Zur Verdeutlichung soll das Beispiel der
Wortschatzes bedient, so bedient sich
sogenannten „Gothics“ dienen. Durch
die Sprache der Kleidung eines „Sig-
das auffällige Auftreten von Gothics
nalraums“. Im Vergleich zum Vokabular
in schwarzer Lederkleidung wird in
der deutschen Sprache, und damit zur
unserem Kulturkreis der Ledermantel
verbalen Kommunikation, sind Möglich-
als Identifikationsmerkmal anerkannt.
keiten des Signalraums überschaubar.
Jeder, der nun einen Ledermantel
Man spricht von Variationen der Ele-
trägt, läuft in unserer Gesellschaft
mente „Material, Farbe und Schnitt“
diesem
Stereotyp
66
.
Gefahr als Gothic eingestuft zu werden und somit alle Attribute dieses Stereo-
Daneben
typs
bekommen.
gedruckte Statements, beispielsweise
Natürlich ist das sehr verallgemeinert
auf T-Shirts, oder Markenlogos zum
und Kleidung allein ist kein Merkmal
Signalraum. Gerade in der heutigen Zeit
für die Zugehörigkeit einer Gruppe.
ist Markenkleidung ein wichtiger Be-
Ausschlaggebend sind auch Aspekte
standteil von vestimentären Botschaf-
wie das Verhalten, das Styling oder die
ten
Körpersprache. Kleidung erhält somit
Marken genießen ein derartig hohes
„Bedeutung
mit
Ansehen, dass das sichtbare Logo auf
Trägermerkmalen und den Kontext-
einem Kleidungsstück oft die eigent-
merkmalen“ , mit denen sie gemein-
liche vestimentäre Aussage eliminieren
sam auftritt.
oder zumindest stark beeinträchtigen
zugeschrieben
durch
zu
Verbindung
64
und
gehören
Codes
aber
auch
geworden.
auf-
„Um in einer Szene Akzeptanz zu finden ist es wichtig den entsprechenden Szenecode zu kennen und umsetzen Vestimentär bedeutet, „etwas durch
zu können. Die drei wichtigsten Be-
die Kleidung sagen“. Im Falle einer
standteile
vestimentären Aussage sprechen wir
Meinung, Musik und eben Marke.“ 67
von der Botschaft, die durch persönli-
Demnach scheint nicht mehr der Klei-
che Kleidung ausgedrückt wird. Somit
dungstil im Sinn von Material, Farbe
versenden
und Schnitt wichtig zu sein, sondern
Kleidungsstücke
vesti-
eines
Szenecodes
die Zugehörigkeit zu einer angesehe-
Rainer Dollase schreibt hierzu: „Die
nen Marke. Die Markenkleidung gibt
Kleidung
„Halt und Sicherheit sowie das Gefühl
Menschen
selbst
0033
64
Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 106 67
Maike Boecker: „Labeling Youth: Alle Macht den Marken“ in Elke Gaugele, Kristina Reiss (Hrsg.): Jugend, Mode, Geschlecht. Frankfurt a. M. 2003. S. 58
sind
mentäre Signale. eines
66 Carlo Michael Sommer: Mode in Dieter Frey und Carl Graf Hoyos (Hrsg.):Psychologie in Gesellschaft, Kultur und Umwelt. Basel 2005 (1. Auflage). S. 246
Diverse
kann. Meike Boecker schreibt hierzu: 3.4.1 Die vestimentäre Aussage
65 Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 104
Textilmicroskopie gewebte Seidenfasern
einer Gruppenzugehörigkeit“ 68. Ähnlich
lockere
vestimentäre
Zeichen
ver-
verhält es sich mit Aufdrucken auf
wenden. In der Geschäftswelt oder im
Kleidungsstücken. Diese können ves-
Adel hingegen ist das kleinste Detail
timentäre Aussagen ebenso modifi-
schon massiv aussagekräftig.
68 Maike Boecker: „Labeling Youth: Alle Macht den Marken“ in Elke Gaugele, Kristina Reiss (Hrsg.): Jugend, Mode, Geschlecht. Frankfurt a. M. 2003. S.59
zieren, umkehren oder erweitern. Dies soll hier aber nicht weiter vertieft wer-
Der Kommunikationstheoretiker Hoff-
den, da die Behandlung von Kleidungs-
mann beschäftigt sich mit solchen
aufdrucken und Markenkleidung den
Details
Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.
symbolische Bedeutung zuzuordnen:
Ein Merkmal vestimentärer Aussagen
„Bügelfalten stehen für korrekte Ein-
ist, dass diese nicht konstant bleiben.
fügung; hochgekrempelte Ärmel für
Sie verändern und transformieren sich
legere
mit der Zeit. Je gefestigter die Konven-
von gestern für soziale Schwäche;
tionen über ein Zeichen sind, desto eher
teure, seltene Materialien und ausla-
bleibt eine vestimentäre Botschaft über
dende Kleidung sowie klassische, klare
einen Zeitraum erhalten. Durch den
Linienführung steht für soziale Macht;
ständigen Wandel der Kleidung und die
Spitzen, Rüschen, schwingende und
Variationen, welche die Mode hervor-
wehende Kleidung steht für Hingabe;
bringt, ist keine Kleidungsbotschaft
Leder für Dominanz; enge, durchsich-
heute mehr sicher. Laufend eignen sich
tige, glatte und glänzende Kleidung für
Gruppierungen vestimentäre Aussagen
sexuelle Herausforderung.“ 70
und
versucht
Unabhängigkeit;
diesen
eine
Modeformen
70
Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 103
an, die sie schon morgen durch andere ersetzten. Indem sich eine Gruppierung
Stellen wir dagegen das Stereotyp der
eine vestimentäre Aussage aneignet,
HipHop-Szene so lässt sich schnell
prägt und modifiziert sie diese wieder-
feststellen, dass solche detailreichen
um mit.
Zuordnungen
nur
schwer
ermittel-
bar sind. Der vestimentäre Code der vestimentären
Hiphop-Szene definiert sich deutlich
Aussagen sind, die wir über einen
freier und weniger von externen Regeln
Gesprächspartner erhalten, kann sich
beeinflusst.
von
variieren
Wie
detailreich
Situation,
die
Gruppenzugehörigkeit
Vestimentäre
deshalb
stärker
Aussagen und
das
und Persönlichkeit des Trägers unter-
Stereotyp der Hiphop-Szene erfindet
scheiden. So kann es vorkommen, dass
sich in deren Kleidungsstil laufend
nur wenige vestimentäre Aussagen in
neu. Während früher weite Baggypants
der Kleidung enthalten sind, die den
einen Hiphopper symbolisierten, können
Gesprächspartnern „schlüssige Infor-
heute auch eng geschnittene, hüfttief-
mationen vermitteln, die sie benötigen,
sitzende Hosen getragen werden. Dabei
um ihr eigenes Verhalten richtig zu
handelt es sich also um eine Erweiter-
planen“ 69. Zu beobachten ist, dass
ung von körperunbetonten auf körper-
jugendliche
betonte Kleidung. Es zeigt sich, dass
D ie K l eid u n g
Gruppierungen
eher
0034
69
Erving Goffman: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München 1969. S. 6
die vestimentären Botschaften ent-
signalisiert eventuell, dass der Klei-
sprechend der Zielgruppe mehr oder
dungsträger ein verschlossener Mensch
minder detailliert aufgefasst werden.
ist, der sich verhüllt und wenig von sich
Zusammenfassend kann man sagen,
offenbaren will – kleidungstechnisch
dass eine Person entsprechend der
wie menschlich. Um nochmal auf unser
Definition einer Gruppierung und wie
Beispiel des HipHoppers zu kommen.
penibel vestimentäre Aussagen for-
So kann ein Mann die Hose ebenso ganz
muliert werden, als Mitglied einer
selbstverständlich auf der Hüfte tragen
solchen Szene anerkannt wird. Wären
und dadurch keinesfalls seine Vorliebe
solch klar definierten vestimentären
für HipHop Musik repräsentieren. Durch
Aussagen, wie sie Hoffmann heraus-
verschiedenartige
gestellt hat, überall gültig, so könnte
Kleidungsstücke können unterschied-
die
liche vestimentäre Aussagen getroffen
Kleidungssprache
eine
deutlich
präzisere Sprache sein als sie es in
Trageweisen
der
werden:
manchen Gruppierungen und in manchen Teilen der Gesellschaft ist – was
„Strickweste x Kragen x offen
das Beispiel der HipHop-Szene ver-
= Freizeit
73 Roland Barthes: Die Sprache der Mode. Berlin 2010. S. 71
Strickweste x Kragen x geschlossen =
deutlichen konnte.
festliche Gegebenheit.“ 73 Hinzu
kommt
die
Vielschichtigkeit
vestimentärer Codes. Diese müssen
Oder in Bezug auf den HipHopper:
nicht zwangsläufig mit einem Kleidungsstück verbunden sein, sondern
Jeanshose x baggy x linkes Hosenbein
lassen sich auch auf die Tragweise und
hochgekrempelt = HipHop
den Umgang mit der Kleidung beziehen.
Jeanshose x auf Hüfte x umgeschla-
“Jedes denkbare vestimentäre Zeichen
gen, da zu lang = achtet auf Verschleiß
hat eine mehr oder weniger exakt ermittelbare Botschaft“ 71. Dies zeigt
Da vestimentäre Aussagen nicht alleine
sich am Beispiel der Strickjacke: Die
aus dem Kleidungsstück, sondern auch
Strickjacke selbst erhält die Bedeu-
aus seiner Tragweise resultieren kön-
tung; „ein anderes (der Kragen) trägt
nen, kann es in manchen Fällen auch
sie; ein drittes (das Schließen) konstru-
zu Widersprüchen kommen: „Im kom-
Hier zeigt sich, dass nicht
plexen Alltag stehen uns aber oft
nur das Kleidungsstück selbst eine
(nicht immer) viele, möglicherweise
vestimentäre
beinhaltet,
widersprüchliche Informationen über
sondern ebenso entscheidend ist, wie
eine Person zur Verfügung“ 74. Es ist
dieses Kleidungsstück getragen wird.
somit davon auszugehen, dass in viel-
Die Strickjacke an sich könnte lediglich
en Fällen keine eindeutig homogenen,
für das Hobby des Strickens stehen;
vestimentären Botschaften verschickt
der bis obenhin zugeknöpfte Kragen
werden. Ein Kleidungsstück einzeln
iert sie.“
72
Aussage
0035
71 Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 102 72
Roland Barthes: Die Sprache der Mode. Berlin 2010. S. 72
74
Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“, in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 103
ist recht homogen in seiner Aussage.
3.4.2 Die vestimentären Codes
Mischt man aber verschiedene Kleidungsstücke und Tragweisen, deren
Es existieren nachweislich sogenannte
Aussagen für den Decodierer nicht ver-
vestimentäre Codes, welche sich aus
ständlich oder konträr sind, so könnte
dem Signalraum bilden. Unter vesti-
dies „zur Beurteilung des Gegenübers
mentären Codes versteht man das
als »verrückt« führen“ 75.
Ordnen von Kleidungssignalen nach „paradigmatischen,
Vestimentäre
Aussagen
Klei-
und pragmatischen Regeln“ 77. Dies
dungsstücks sind, wie sich gezeigt hat,
wird am Beispiel der Bande „Hells An-
vielschichtig. Zunächst hat sich das
gels“ verdeutlicht. Mitglieder dieser
Kleidungsstück
„Motorradgang“
durch
eines
syntagmatischen
verschiedene
müssen
bestimmte
Epochen oder Gruppierungen mit di-
paradigmatische
versen Aussagen aufgeladen. Hinzu
befolgen. Gemeint sind damit die ver-
kommen Art und Stil, wie das Klei-
schiedenen
dungsstück getragen wird, und die
der Gruppe zugelassen sind. Wie diese
Verhaltensweisen
vestimentären
des
Trägers.
Als
Kleidungsvorgaben
Kleidungsstücke, Codes
die
werden dürfen, wird nach syntagmatischen Regeln geordnet, so trägt
er Aspekte lassen sich vestimentäre
man beispielsweise schwarze Jeans,
Aussagen treffen, die Identitätsstiftung
Lederweste und Halstuch zusammen.
entsteht aber erst innerhalb der Inter-
Ein Hells Angels Mitglied muss diese
aktion
Gesprächspartner.
Regeln akzeptieren, um als Gruppen-
Kleidung „benötigt die Inszenierung im
zugehörig anerkannt und identifiziert
Alltag [...]. Erst wenn das erträumte
zu werden. Somit handelt das Mitglied
Selbst im Tragen [...] verwirklicht
nach pragmatischen Regeln bei seiner
wird, geschieht ein Akt der Identitäts-
Kleidungswahl,
stiftung“ .
willkürlichen Wahl der Kleidung, ohne
Indem der Gesprächspartner die vesti-
irgendwelche Regeln zu beachten.
76
im
Gegensatz
zur
mentären Aussagen entschlüsselt und diese Wahrnehmung signalisiert, kann
Diese vestimentären Codes sind nicht
das gewünschte Selbstkonzept als Teil
allgemein gültig. Das bedeutet ein
des Selbst betrachtet werden. Durch
Beispiel, wie es hier gerade aufgezeigt
die Aneignung von Kleidungsbotschaf-
wurde, muss in anderen kulturellen
ten prägt der Träger die vestimentären
Kreisen nicht gültig sein. Zwar ist
Aussagen wiederum mit.
davon
auszugehen,
dass
das
hier
gewählte Stereotyp der Hells Angels weltweit zutrifft, da sich die Gruppierung, unter anderem durch die neuen Medien, stark verbreitet hat. D ie K l eid u n g
0036
77
Carlo Michael Sommer: Mode in Dieter Frey und Carl Graf Hoyos (Hrsg.):Psychologie in Gesellschaft, Kultur und Umwelt. Basel 2005 (1. Auflage). S. 246
kombiniert
die Kleidung kombinieren. Anhand dies-
dem
Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 104
in
nächstes stellt sich die Frage, wie wir
mit
75
76
Pia Reinacher: Kleider, Körper, Künstlichkeit. Berlin 2010 S. 24
Möchten Sie mit Ihrer Kleidung ziegen, dass Sie zu einer bestimmten Gruppe von Menschen gehören?
Trifft eher zu
Trifft zu 5,00 %
44,70%
25,30% 25,00% Trifft gar nicht zu
Trifft eher nicht zu
Deutschland, 14-69 Jahre, 5.671Befragte. Manager Magazin, Spiegel. April 2011 bis August 2011
0037
Dennoch kann das Bild eines Rockers
Codes komplexer und uneindeutiger
gesellschaftlich ganz unterschiedlich
geworden, was ein historischer Rück-
geprägt sein. Die Farbe Schwarz steht
blick verdeutlicht. Zu Zeiten von Stän-
nicht immer für Trauer und Leder nicht
degesellschaften trug der Adel teure
unbedingt für Motorradfahrer. Dennoch
Materialien, das Volk konnte sich sol-
eignen sich manche Kleidungsstücke
che nicht leisten. Die Stoffe konnten
zu einer klaren Aussage besser als
nur
anderer. Im Falle des Motorradfahrers
gefärbt
hat sich weltweit die Lederhose als
Stoffe ebenfalls Farben dem Adel
Erkennungsmerkmal
etabliert,
durch
kostspielige
werden,
wodurch
Verfahren farbige
auch
vorbehalten waren, ebenso wie auf-
aus funktionellen Gründen wie Stabili-
wendige Kleidungsschnitte. Versucht
tät und Schutz. Hier zeigt sich, warum
man heute diese vestimentären Codes
auch der Konsummarkt durchaus in der
auf
Lage ist, vestimentäre Codes mitzu-
würde man kläglich scheitern. Über
gestalten. Im Normalfall sind solche
die Zeit hinweg haben sich mit der
vestimentären Codes „arbiträr-konven-
Mode immer wieder neue vestimentäre
tionell“ . Dies bedeutet, dass Codes
Codes etabliert. Das heißt, wir haben
einer
heute einen „enormen Zeichenfundus
78
soziokulturellen
Übereinkunft
entstammen. Innerhalb eines sozialen
aus
die
Gesellschaft
Geschichte
und
anzuwenden,
Gegenwart“ 81
und kulturellen Umfelds verständigt
aus welchem wir uns bedienen. Heute
man sich – in der Regel stillschweigend
hat jeder die Möglichkeiten farbige
– auf die Bedeutung bestimmter Klei-
Stoffe zu tragen. Außerdem ist bei
dungsstücke. Im Falle des Motorrad-
zahlreichen Kleidungsstücken auf den
fahrers besteht diese Einigung aus den
ersten Blick nicht erkennbar, welcher
vestimentären Codes: Leder, Jeans,
Preisklasse sie entstammen. Je nach
alles in schwarz und im „Usedlook“.
sozio-ökonomischen
Sommer
es einigen Menschen durch Sparmaß-
definiert
solche
gruppen-
möglich,
Umständen teurere
nahmen
Aspekt gruppen-spezifischer Lebens-
zu kaufen, als sie dem tatsächlichen
ziele. Denn sie zeigen „Lebensbedin-
sozialen Status entsprechen.
Kleidung
gungen und Identität einer sozialen „vergegenständlichen
Das Kleidungsrepertoire einer Gesell-
die sozialen Kategorien und die damit
schaft lässt sich nicht nur auf einen
verbundenen Werte, Normen und Ein-
Code reduzieren. Innerhalb einer Ge-
stellungen“ 80. Die Wahl der Kleidung
sellschaft existieren: „mehrere koexist-
nach
syntagma-
ierende und teils konkurrierende Sub-
tischen und pragmatischen Regeln ist
codes – mehr oder minder explizite und
also nicht nur Gruppenzugehörigkeits-,
verbindliche Codes für unterschied-
sondern
liche Rollen, Lebensphasen oder soziale
Laufe
paradigmatischen,
auch der
Identitätsstiftend.
Zeit
D ie K l eid u n g
sind
Im
vestimentäre
Milieus.“ 82 0038
Carlo Michael Sommer: Mode in Dieter Frey und Carl Graf Hoyos (Hrsg.):Psychologie in Gesellschaft, Kultur und Umwelt. Basel 2005 (1. Auflage). S. 246
ist
spezifischen Codes als wesentlichen
Gruppe“ 79 und
78 / 81
79 / 80 Carlo Michael Sommer: Mode in Dieter Frey und Carl Graf Hoyos (Hrsg.):Psychologie in Gesellschaft, Kultur und Umwelt. Basel 2005 (1. Auflage). S. 247
82 Carlo Michael Sommer: Mode in Dieter Frey und Carl Graf Hoyos (Hrsg.):Psychologie in Gesellschaft, Kultur und Umwelt. Basel 2005 (1. Auflage). S. 247
3.4.3 Glaubhaftigkeit
codieren und decodieren. „Man muss die vestimentäre Kommunikation als
Wenn wir unserem Publikum eine Rolle
einen multipel determinierten [...] En-
durch unsere Kleidung präsentieren, so
co-dierungs-
profitieren wir davon, dass das Publi-
gang
kum uns zunächst einmal ein gewisses
Dollase.
Vertrauen schenken muss. Sofern dem
Menschen
Umfeld keine Informationen aus frü-
und machen sich dabei schon allein
heren Begegnungen oder Erzählungen
über die Kleidung ein Bild voneinander,
vorliegen, muss es den Botschaften,
sofern wir das Zusammentreffen in
die der Träger aussendet, Glauben
einer Sauna ausschließen. Wir haben
schenken. „Denn die Ganzkörpermaske
eine Person A den „Encodierer (den sich
wird vom lesenden Beobachter mit dem
Kleidenden)“
Körper identifiziert und diese Botschaf-
„Decodierer
ten werden ohne Zögern akzeptiert.“ 83
Entschlüsseler)“ 86. Zunächst geht es
Lediglich auf die Informationen der
primär um die Kleidung von Person A.
Bekleidung
persönliche
Diese sendet eine Botschaft, welche
Erfahrungen
sowie kann
auf
bzw.
Decodierungsvor-
auffassen“ ,
schreibt
84
Natürlich im
85
begegnen
Normalfall
Rainer sich
bekleidet
und die Person B den
(den
Kleidungbotschaft
zurückgegriffen
Person B durch das Betrachten von
werden. Damit ist der Darsteller frei in
Person A wahrnimmt. Die Botschaft
seiner Rollengestaltung. Das Publikum
ist übermittelt – nun ist es an Person
wird ihn aber ständig darauf überprüfen
B diese Botschaft richtig zu deco-
ob er seine Rolle glaubhaft spielt,
dieren.
wodurch der Träger aufgefordert ist,
das
sich entsprechend seiner Kleidung zu
gewählt, das in den Augen von Person
verhalten.
A stellvertretend diese Aussage trifft.
Zur
Verschlüsselung
entsprechende
wurde
Kleidungsstück
Ein Beispiel ist: „Ich mag die Farbe Rot“ weil Person A ein rotes T-Shirt 3.5 Kommunikationsmodel
gewählt und damit die Botschaft (seine
Vorliebe für Rot) verschlüsselt hat.
der Kleidung
Person B sieht nun das rote T-Shirt und Wie kommuniziert Kleidung? Klar muss
versucht die vestimentäre Botschaft
zunächst sein, dass Kleidung nur in
zu entschlüsseln, die das vestimentäre
einer Face to Face Kommunikation, wie
Zeichen (das rote T-Shirt) vermittelt.
es Irving Goffman nennt, nonverbale
Nach der Decodierung, ob richtig oder
Aussagen kommunizieren kann. Dies
falsch, reagiert Person B auf das rote
bedeutet, dass sich beide Interaktions-
T-Shirt von Person A. Natürlich gibt es
partner begegnen und ihre Körper
diverse Störungsquellen, welche die
wahrnehmen müssen. Ähnlich dem
Übertragung der Botschaft erschweren:
Shannon-Weaver-Model gibt es hierbei
Person B ist blind oder hat eine Rot-
Sender und Empfänger, die Codes en-
Grün Schwäche, kommt aus einem 0039
84 Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 103
83
Pia Reinacher: Kleider, Körper, Künstlichkeit. Berlin 2010. S. 36
85 / 86
Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 103
D ie K l eid u n g
0040
anderen kulturellen Kontext, es ist zu
Rückmeldung der Umwelt auf seine
dunkel, das Blickfeld wird beeinträchtig
eigene Tracht und aus der Selbst-
u.s.w. Ob die Botschaft bei Person B
beobachtung im Spiegel kennen“ 88.
richtig decodiert wird, hängt somit von
Aus diesen Faktoren erstellen wir ein
vielen Faktoren ab. Geht man davon
Lexikon der vestimentären Aussagen.
aus, dass Person B die Farbe mit Blut,
Dieses ziehen wir heran, wenn wir
Schmerz, Wut aus kulturellen oder
uns ankleiden, also encodieren. Es ist
privaten Gründen assoziiert, so wird
natürlich möglich, dass schon hier-
eventuell eher eine aggressive als eine
bei „Fehler“ gemacht werden. So kann
friedliche Botschaft übermittelt. Das
die die Hose etwas anderes aussagen
„Outfit gibt Auskunft darüber, mit wem
als die Jacke. Darin liegt ein Segen:
man Kontakt aufnimmt und mit wem
Durch eine Vielzahl von Kombinations-
lieber nicht“ . So kann es sein, dass
möglichkeiten und Wechselwirkungs-
Person B Person A als unsympathisch
vielfalt zwischen Informations- und
Maike Boecker: „Labeling Youth: Alle Macht den Marken“ in Elke Gaugele, Kristina Reiss (Hrsg.): Jugend, Mode, Geschlecht. Frankfurt a. M. 2003. S. 57
empfindet, allein durch Assoziationen
Kommunikationsbereichen
89
zur Kleidung, ohne dass dieser Vorgang
Ausdrucksmöglichkeiten des Individu-
direkt bewusst sein muss.
ums [...] nahezu unbegrenzt“ 89.
87
sind
„die
Jedoch zieht es gleichermaßen auch 3.5.1 Code
88 Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 108
87
Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 108
einen Nachteil mit sich. Aufgrund der Größe der Auswahl kann es beim De-
Bei dem eben behandelten Kommuni-
codierer zu Problemen kommen. Dies
kationsmodell sprachen wir von einem
könnte den Kleidungsträger in eine
Code.
die
unangenehme Lage bringen „da die
vestimentären
Umwelt ihn für etwas hält oder in
Botschaften, die wir versenden. Die
Anspruch nimmt, was er nicht gewollt
Verschlüsselung besteht darin, dass
hat“ 90.
Darunter
Verschlüsslung
verstehen der
wir
wir Kleidung wählen, die eine gewün-
90
Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 108
schte Aussage trifft. Ob dieser Code richtig entschlüsselt wird, hängt dann
3.5.3 Decodierer
von der Übereinkunft innerhalb des sozialen Kreises ab.
Klar ist, dass nur im seltensten Fall eine klare Botschaft verschickt wird. Angenommen wir sehen einen Poli-
3.5.2 Encodierer
zisten, so ist sofort eindeutig welche Botschaft seine Uniform ausstrahlt.
Der Encodierer „lernt die Bedeutung
Sehen wir nun aber einen Menschen auf
der vestimentären Aussage zum einen
der Straße, der keine Uniform trägt, so
aus der Beobachtung seiner sozialen
bekommen wir zunächst eine Vielzahl
Umwelt, aus der kleidungsbezogenen
von vestimentären Botschaften, die 0 0 41
Textilmicroskopie Polyester Stoff
Welchen dieser Kleidungstile tragen Sie häufig?
Deutschland, 14-64 Jahre, 10.167 Befragte. Manager Magazin, Spiegel. Oktober 2006 bis Januar 2007
Businesslook 10,20 %
Damenhaft 11,10 %
Zurückhaltend & Dezent
Männlich & Maskulin
Sportlich & Modisch
14,10% Elegant
13,80% Lässig & Chic
Trashig
29,50%
34,10%
Streetwear 5,60 %
Topmodisch Gestyled 7,90 %
42,00%
Sinnlich & feminin
Edel & exklusiv
7,50 %
6,90 %
Clubwear 3,90 %
Girlylook
Gothik
3,50 % 3,20 %
Trachten Look
D ie K l eid u n g
Schick & Provozierend
0042
Ethno Look
es zu decodieren gilt. Wie im Kapitel
von heute“ die aktuellen Trends der
„Encodierer“ erwähnt wurde, erstellt
Kleidungsmode verstanden.
sich der Mensch ein Lexikon Zeit seines
Der
Lebens, bestehend aus vestimentären
Etablierung
Botschaften. Dieses wendet er nicht nur
ist recht gut nachvollziehbar. Durch
an um sich selbst zu kleiden, sondern
den Wunsch nach Abgrenzung einer
auch um die Kleidungsstile anderer zu
Gruppierung von der Gesellschaft und
entschlüsseln. „Nicht die Anwendung
nach Ausdifferenzierung einer eigenen
vieler, möglichst komplizierter Deco-
Identität, werden Klamotten getra-
dierungstheorien ist wichtig – die rich-
gen, die den eigenen Lebensstil zum
tige ist gefordert.“ 91
Ausdruck bringen. Diese Gruppen er-
Prozess
zur eines
Entwicklung neuen
und
Modestils
leben meist die „aktuellen zentralen Da eine solche Decodierung meist
Konflikte und Identitätsprobleme der
in Buchteilen von Sekunden gesche-
gesamten Gesellschaft besonders in-
hen muss, existiert die „Strategie der
tensiv“ 96. Die Kleidung soll somit nicht
Durchschnittsbildung“ . Das bedeutet,
nur die eigene Identität, sondern auch
dass der Decodierer nicht in der Lage
Gesellschaftskritik zum Ausdruck brin-
ist jedem Detail Aufmerksamkeit zu
gen. Hierdurch entstehen Stile, welche
schenken, sondern sich schnell einen
der Gesellsc haft zunächst „subkul-
Eindruck von der Person bilden muss.
turell, provokativ und oppositionell“ 97
Dies ist natürlich eine weitere Fehler-
erscheinen.
92
91 Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 109
92 / 93
Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 104
quelle, die zu Decodierungs-schwierigkeiten führen kann. Aber „Missverständ-
Für den Erfolg einer neuen Mode sind
nisse haben die Tendenz, aufgeklärt zu
zwei Faktoren erheblich. (1) „Die über
werden – sonst kann unser soziales
ihren Stil transportieren Werte und
Leben nicht funktionieren“ .
Positionierungen sind auch für die
93
3.6 Die Mode
96 / 97
Mehrheit relevant [...] (2) Es gibt unter
Carlo Michael Sommer: Mode in Dieter Frey und Carl Graf Hoyos (Hrsg.):Psychologie in Gesellschaft, Kultur und Umwelt. Basel 2005 (1. Auflage). S. 249
den sozialen Milieus stets Mittel-In-
98
stanzen, die als »Trojanische Pferde« und flexible Minderheiten den neuen
Das Wort Mode wird wohl am häufig-
Stil katalysieren und zur anerkannten
sten mit der Kleidung in Verbindung
Mode machen“ 98.
Carlo Michael Sommer: Mode in Dieter Frey und Carl Graf Hoyos (Hrsg.):Psychologie in Gesellschaft, Kultur und Umwelt. Basel 2005 (1. Auflage). S. 249
gebracht. Der enge Modebegriff beschreibt „die wechselnde Art sich zu
Somit beginnt der als andersartig
kleiden“ 94. Im weiteren Sinn betra-
aufgenommene
chtet beschreibt die Mode „alle, einem
und mehr bekannt zu werden und
Wandel unterworfenen Gegenstände
schließlich eignet sich die Gesellschaft
und
Verhaltensweisen
der
Kleidungsstil
mehr
äußeren
den Stil an. Damit verliert er jedoch
Lebenshaltung“ 95. In der Regel werden
sein ursprüngliches Ziel nach Abgren-
jedoch unter dem Begriff „die Mode
zung und wird für die Gruppierungen 0043
94 / 95
Doris Schmidt: Mode und Gesellschaft. 101 Grundfragen. Baltmannsweiler 2012. S. 21
uninteressant. So ist dann aus „dem
der Gesellschaft unterscheiden will
allerletzten Schrei […] schließlich un-
und dies durch ihre Art von Kleidung
auffälliger Durchschnitt geworden, der
zum Ausdruck bringen möchte. Die
die Subkulturen wiederum zu neuen
Gesellschaft beginnt den Kleidungs-
Gegenkreationen stimuliert“ .
stil zu übernehmen. Menschen tragen
Damit ist modischer Wandel nicht nur
jetzt einen bestimmten Stil, der zu
der „Sättigung mit Altem, Neugier und
einer Identitätsgruppe gehört, gar nicht
Spieltrieb“ geschuldet, sondern verfolgt
zu der Identität des Trägerns passt.
auch soziale Motive. Sommer schreibt:
Somit verschwindet die Aussage des
„Ein Modezyklus dauert in der Regel
Kleidungsstücks bzw. des Stils wieder.
sechs bis acht Jahre: So viel Zeit
Die Lederjacke, einst ein Symbol der
vergeht, bis die Trendsignale aus den
Revolution, wird nun von den Mode-
Subkulturen bei der Mehrheit ankom-
schöpfern für die High Society auf-
men. Aber wenn die Mehrheit die neue
gegriffen. Plötzlich tragen die Menschen
Mode trägt, ist schon der nächste
nietenbesetze Lederjacken und abge-
Die Geschichte
rissene Jeans, gegen die sich die Punks
99
Trend im Anmarsch.“
100
zeigt, nur
dass dort
der
modische
stattfindet,
„wo
Wandel
u.a. durch diesen Kleidungsstil abgren-
gesell-
zen wollen. 3.6.1 In & Out
sonders rasch und unüberschaubar“
101
vor sich geht. Die Mode ist nicht in
Pauschalisiert man alle Modetrends
einem Einzelfall behandelbar, sondern
können wir anhand von zwei Optionen
ein
immer
Prozess.
die Aussagen von Mode zusammenfas-
Im
Vergleich
existieren
sen: Ein Mensch kann aufgrund seiner
heute mehrere Modetrends parallel.
Kleidung als „In“ und „Out“ eingestuft
Dabei spielt auch die Wirtschaft eine
werden.
fortlaufender zu
früher,
Rolle, die daran interessiert ist, den beizubehalten.
In: Der Mensch trägt Kleidung der
Denn durch neue Trends hält sich der
aktuellen Mode. Damit zeigt er seinem
modische Konsum am Leben. Unter
Umfeld und sich selbst, dass er sich
dem Strich könnte heutzutage die
für Mode interessiert. Er passt sich den
These aufgestellt werden, dass Mode
Modetrends an, um als chic gekleide-
der Anreiz für den Konsumenten ist,
ter Mensch wahrgenommen zu werden.
regelmäßig in Einzelhandelsgeschäften
Weitere Attribute, die man einem sol-
wie H&M, Zara oder Desingual weitere
chen
Kleidungsstücke zu kaufen.
sind Eitelkeit, Oberflächlichkeit, Gel-
modischen
Wandel
Menschen
zuschreiben
kann,
tungsbedürfnis, Anpassung oder auch Ein Modetrend beginnt damit, dass eine
der Wunsch nach sozialer Macht über
Gruppierung sich in ihrer Identität von
sein Umfeld.
D ie K l eid u n g
100
Carlo Michael Sommer: „Sagen Sie mal: Was verrät unsere Kleidung über unseren Charakter?“ in P.M. Specials: Seele: 2012. http://www.pm-magazin.de/t/ psychologie-gesundheit/seele/ sagen-sie-mal-was-verr%C3%A4t-unsere-kleidung-%C3%BCber-unseren-charakter
101 Carlo Michael Sommer: Mode in Dieter Frey und Carl Graf Hoyos (Hrsg.):Psychologie in Gesellschaft, Kultur und Umwelt. Basel 2005 (1. Auflage). S. 248
schaftliche Veränderung und damit korrespondierender Wertewandel be-
99 Carlo Michael Sommer: Mode in Dieter Frey und Carl Graf Hoyos (Hrsg.):Psychologie in Gesellschaft, Kultur und Umwelt. Basel 2005 (1. Auflage). S. 250
0044
Out: Der Mensch trägt Kleidung, die nicht der aktuellen Mode entspricht. Dies könnte von seinem Umfeld folgendermaßen interpretiert werden: Er legt keinen Wert auf sein Äußeres, er interessiert sich nicht für Mode und/ oder hat einen schlechten Geschmack, ist nicht zeitgemäß und lebt in seiner eigenen Vorstellungswelt. Oder aber er lehnt das existente momentane Kleidungsideal einfach ab, er strebt nach Individualität. Was hiermit gezeigt werden soll, ist, dass das Wort Mode nur bedingt etwas mit dieser Untersuchung zu tun hat. Denn ein Kleidungsstück innerhalb der Modeerscheinung vermag weniger auszusagen. Vielmehr besteht für einen Modestil nur ein definierter Signalraum. Entspricht der Träger diesem Signalraum, so werden ihm nicht die Attribute des erfüllten vestimentären Codes der Kleidung zugeschrieben, sondern lediglich die oben beschriebenen Werte für In oder Out. Als Beispiel: Jemand, der eine Lederjacke trägt, wird nun plötzlich nicht mehr als Rebell oder Rocker identifiziert, sondern als eine Person mit Modebewusstsein, weil es gerade in Mode ist Lederjacken zu tragen. Die Lederjacke sagt für die Allgemeinheit nur noch dies aus, dass sie Teil eines Modetrends ist. Somit könnte man die Mode als Bedrohung für vestimentäre Codes bezeichnen.
0045
Ist Ihnen jemand gleich sympatisch, der den gleichen Kleidungsgeschmack hat wie Sie?
Trifft eher zu
53,00%
Trifft zu 8,10 %
6,10 %
32,80
%
Trifft gar nicht zu
Trifft eher nicht zu
Deutschland, 14-69 Jahre, 5.671 Befragte. Manager Magazin, Spiegel. April 2011 bis August 2011
D e r E f f ek t
0046
Der Effekt
Iv.
„Unzählige Studien belegen zweifels-
Effekt auf den Träger und sein soziales
frei, dass Kleidung eine wirkungs-
Umfeld zu erhalten. Es geht „weniger
volle
soziale
um die unmittelbare Nützlichkeit der
Umwelt darstellt, die das Verhalten der
Konsumgüter oder die Befriedigung
Mitmenschen uns gegenüber deutlich
eines realen Bedürfnisses.“ 104
Botschaft
an
unsere
102
Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 102
beeinflusst.“ 102 Das Tragen von Kleidung geschieht nicht um des Beklei-
In der modernen Gesellschaft steht
dens willens. Kleidung wirkt sich im
„Selbstdarstellung
psychischen wie sozialen Sinn auf
tion),
einen Menschen individuell aus. Und
Mangelzustände
zwar auf den Träger selbst und sein
wie der selbstbezogenen Lust (Hedo-
soziales Umfeld. Kleidungstheoretiker
nismus)“ 105 im
nehmen einen „im Grunde hedonis-
von Kleidung liegt in der Repräsen-
tischen Menschen an: was er tut und
tation. Denn Kleidung veranlasst einen
denkt, hat letztlich Nutzen für ihn
Rückschluss auf den Träger und hat
selbst.“
somit eine Wirkung auf das soziale
103
der
(Expressionsfunk-
Befriedigung
psychischer
(Kompensation) Fokus.
Der
tragen
wir
Kleidung
Nutzen
vorrangig
wiederum eine Reaktion des Trägers
wegen ihres Nutzens. Das heißt die
hervorruft (Effekt). Kürzt man diese
Wirkung und den damit verbundenen
Gleichung, dann erhält man folgen0047
Pia Reinacher: Kleider, Körper, Künstlichkeit. Berlin 2010. S. 31
so
Umfeld, das entsprechend reagiert und So
104 / 105
103 Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 114
des Ergebnis: Kleidung = Effekt. Die
z.B. Verhalten, Körpersprache, Art des
psychischen und sozialen Funktionen
Sprechens, die Gestaltung des Körpers
sind also die Auswirkungen auf das
durch Haareschnitt, Haarefarbe, Ohr-
Umfeld und auf den Träger. Um es
ringe, Piercings, Tattoos und im Be-
vereinfacht zu sagen: Wir tragen Klei-
sonderen die Bekleidung. Gerade „Klei-
dung, um dafür die entsprechenden
dung ist ein gut sichtbares, tragbares
Reaktionen zu erhalten. Interessant ist,
und relativ preiswertes Mittel, um den
dass „Jugendliche sich in ihrem Ver-
ersten, kritischen Schritt (fähig sein,
halten nicht so sehr vom Kleidungsstil
einen guten Eindruck zu machen) in eine
ihres Gegenübers beeinflussen lassen
bessere Wellt zu demonstrieren.“ 108
wie Ältere.“ 106 Dies lässt sich darauf zurückführen, dass gerade im Jugend-
Kleidung ist ein Medium, durch das
alter der Umgang mit vestimentären
wir unsere Person für uns und unser
Codes noch nicht versiert ist. Dadurch
Umfeld erst richtig vergegenwärtigen
treffen
manchmal
können. Es entsteht eine Spannung
vestimentäre Aussagen, die nicht ge-
zwischen Kleidungsträger und Klei-
wollt sind. Jugendliche äußern ihre
dungstück. Durch das Tragen und die
Nachsichtigkeit dadurch, dass sie den
Akzeptanz eines Kleidungsstücks be-
Kleidungs-Trägern die vestimentären
kommt der Träger eine positive Rück-
Botschaften nicht vorschnell anheften
meldung.
junge
Menschen
108
Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 96
106
Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 107
wollen. Das könnte z.B. die Bestätigung eines Geistlichen durch den Talar sein. Es 4.1. Auswirkung auf den Träger
geht hierbei aber nicht um das Kleidungsstück an sich, sondern um das
Durch die individuelle Wahl und das
Stereotyp,
dem
Repräsentieren
besonders
die
unserer
Garderobe
es
angehört
und
Persönlichkeitseigen-
„entwerfen und vergegenwärtigen wir
schaften und Merkmale, mit denen es
uns für uns selbst sowie auch für un-
in Verbindung gebracht wird. Dadurch
sere Mitmenschen.“
festigt sich das Selbstkonzept des
107
Trägers und es wird Stück für Stück zur Kleidung
Iden-
wahrgenommenen Realität. Kleidung
Begreifbarkeit.
kann also als persönlichkeitsstiftendes
Das erstellte Selbstkonzept ist eine
Werkzeug des Menschen bezeichnet
Wunsch-Kreation, die zunächst in un-
werden.
tität
verschafft
eine
gewisse
unserer
107 Carlo Michael Sommer: Mode in Dieter Frey und Carl Graf Hoyos (Hrsg.):Psychologie in Gesellschaft, Kultur und Umwelt. Basel 2005 (1. Auflage). S. 245
serem Kopf entsteht. Da das Konzept nach Realisierung trachtet, braucht es
„Der Mensch muss seinen Weg erfinden
Mittel und Wege zur Verwirklichung. Es
und die Kleidung hilft ihm dabei.“
gibt mehrere Wege um ein Persönlich-
Besonders
keitsprofil zu kreieren. Dazu gehören
Kleidung
D e r E f f ek t
109
in ein
jungen Hilfsmittel 0048
Jahren das
ist uns,
109 Hans-Joachim Hoffman: Kleidersprache. Eine Psychologie der Illusionen in Kleidung, Mode u. Maskerade. Frankfurt a. M. 1985. S. 11
Versuchen Sie sich immer so anzuziehen, dass man Sie aufgrund Ihrer Kleidung richtig einschätzt?
Trifft eher zu
Trifft zu
18,00% 27,00%
44,00% 11,00 %
Trifft gar nicht zu
Trifft eher nicht zu
Deutschland, 14-64 Jahre, 10.167Befragte. Manager Magazin, Spiegel. Oktober 2006 bis Januar 2007
0049
oft unbewusst, eine große Hilfe ist.
sere Persönlichkeit darstellt und dem
In
Träger Selbstbewusstsein und Stärke
der
Selbstfindungsphase
ist
es
Mittel zur Standortbestimmung, Rück-
vermittelt.
versicherung und Spiegelbild unserer stetigen Weiterentwicklung. Aber auch später im Leben verschafft sie uns
4.2 Wirkung auf das soziale Umfeld
Sicherheit und Beständigkeit. Sie ist eine Konstante, auf die wir uns im All-
Wir planen unser Verhalten auch dem-
tag verlassen können, die uns Selbst-
entsprechend, wie wir einen Menschen
sicherheit gibt. Dies ist möglich, da
einschätzen. Dabei signalisiert Klei-
vestimentäre Codes besonders träge
dung die gesellschaftliche Position
sind. Sie definieren sich nicht von heute
des Trägers: „sein Geschlecht, sein
auf morgen neu, sondern nur sehr
Alter, seine Berufsrolle, seine Gruppen-
langsam, da der Zuweisungsprozess
zugehörigkeit und sein Status.“ 110 Ein
von Kleidungsbedeutung, wie er bereits
Mensch wird heute besonders anhand
veranschaulicht wurde, ein zeitinten-
seiner Kleidung beurteilt „wenn an-
siver Prozess ist. Vestimentäre Aus-
dere Informationen nicht zur Verfügung
sagen sind also zumindest über einen
stehen.“ 111 Anhand von vestimentären
bestimmten Zeitraum gültig.
Aussagen definiert die Gesellschaft welche Art von Mensch der Träger ist
Damit kommuniziert die Kleidung auf-
und welche Merkmale und Eigenschaf-
grund von existenten vestimentären
ten er hat. Es wird eine Einschätzung
Übereinkünften jene Eigenschaften und
des Kleidungsträgers getroffen, die
Merkmale, von denen die Gesellschaft
nicht der Wahrheit entsprechen muss,
annimmt, dass sie Teil einer Persön-
aber die Konventionen erahnen lassen.
lichkeit sind. Solche Faktoren sind eine
Das Publikum greift auf Wissen zurück,
verlässliche Basis für eine Interaktion.
welches auf Übereinkünften beruht
Durch
und
die
individuelle
Garderobe
zieht
persönliche
hinzu. Eine „Person mit Schlips (wird)
kennt sich selbst als eigenbestimmte
intelligenter, ehrgeiziger, ernsthafter
Persönlichkeit an. Ebenso ist sie eine
und konservativer bewertet“ 112. Dabei
Konstante im Alltag und nimmt uns
bringt das Publikum dem Träger ein
einen Teil unserer Selbstdarstellung
Vertrauen dahingehend entgegen, dass
ab.
Botschaften
er nicht versucht durch seine Kleidung
bleiben konstant und bilden die Basis,
zu täuschen. Nichtsdestotrotz ist der
die dem Träger zugeschrieben wird.
unbekannte Kleidungsträger zunächst
Darum besteht nicht mehr der Zwang
für sein soziales Umfeld das, was seine
sich vor jeder unbekannten Person von
Kleidung aussagt. Ohne es bewusst zu
neuem definieren zu müssen. Kleidung
wollen behandeln wir Menschen ent-
errichtet eine Schutzbarriere, die un-
sprechend ihrer Kleidung. „Ein großer,
vestimentären
D e r E f f ek t
0050
111 Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 105
Erfahrungen
verwirklicht sich der Träger und er-
Die
110 Hans-Joachim Hoffman: Kleidersprache. Eine Psychologie der Illusionen in Kleidung, Mode u. Maskerade. Frankfurt a. M. 1985. S. 235
112 Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 103
ärmlich gekleideter Mann wird nach
Fehltritte werden milder beurteilt, gut
dem Diebstahl [...] einer Flasche Wein
aussehende sind bei Gleichaltrigen wie
rund
angezeigt
Älteren beliebter.“ 120 Wenn die Garde-
gutgekleideter“ .
robe von Person XY positiv auf das Pub-
„Trägern von »High status« Kleidung
likum wirkt, so möchte das Publikum im
wird mehr Platz gemacht“ . „Einem
Umkehrschluss durch seine Reaktion
Uniformträger
eher,
gefallen beim Träger finden. Schönen
ohne nachzufragen“ . „Schöne, gut
Menschen gefällt man gerne! Es be-
und ordentlich Gekleidete [veranlassen
steht die Illusion, dass dadurch etwas
uns] zu Hilfeleistung, Ehrlichkeit und
von Ihrer Schönheit auf uns übergeht.
Ehrerbietung“ 116 – eher als schlecht
Das Gefallen ist aber nur ein möglicher
Gekleidete. Bei der Kleidungspsycho-
Aspekt, dazu kommen Reaktionen wie
logie nimmt der Mensch an: „Wer schön
Akzeptanz, Respekt, Einschüchterung,
als
sechsmal ein
seltener
kleiner,
113
114
gehorcht
man
115
ist, ist auch gut“ . Es scheint fast ein
Angst, Unterwürfigkeit und ähnliches.
Reflex des Menschen zu sein: „Ohne
Denkt man an das Beispiel eines Poli-
nachzudenken, schließen wir vom an-
zisten, signalisiert die Uniform Autor-
genehmen Äußeren auf ein moralisch
ität, wodurch wir ihm Respekt entgegen
Gut gekleidete
bringen. Im Allgemeinen führt das
117
erhabenes Inneres.“
118
113
Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 102
114 / 115 Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 101 116 Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 110 117
Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S. 111
Menschen sind „in dieser wie in vielen
Tragen
anderen Gesellschaften hofiert, be-
Kleidung zu Akzeptanz im jeweiligen
wundert, positive Eigenschaften bis
Milieu. Die Wirkung von Kleidung auf
hin zu Intelligenz werden ihnen zuge-
das soziale Umfeld lässt sich wie folgt
118 Pia Reinacher: Kleider, Körper, Künstlichkeit. Berlin 2010. S. 97
schrieben. Ihnen zu gehorchen, einen
festhalten: Bei unbekannten Personen
119 / 120
Gefallen zu tun, zu helfen, eine Bitte zu
gibt deren Kleidungsstil eine erste
erfüllen macht Freude, weil ein wenig
Basis zur Einschätzung und Differen-
Glanz auf uns selbst abfällt.“
zierung des Gegenübers. Das soziale
119
von
gesellschaftstauglicher
Umfeld kann sich dementsprechend Kleidung ist somit ein entscheidender
zumindest ein gewisses Stück auf die
Faktor auf Reaktionen unseres Um-
Person einstellen. Kleidung bietet eine
felds auf uns selbst. Gute Kleidung
Hilfestellung, wie man sich gegenüber
zieht positive Reaktionen nach sich.
dieser
Oder allgemeiner noch: Schöne Men-
möchte,
schen werden besser behandelt, wirken
erwünscht sind, um wiederum die
besser auf uns – nicht nur optisch,
erwünschte Reaktion zu erhalten.
Person
verhalten
welche
soll
oder
Verhaltensmuster
sondern auch in Bezug auf irrationale Schlüsse wie Intelligenz – kurz gesagt erwecken schöne Menschen positive Eindrücke. „Wer gut aussieht, wird von Eltern, Kindergärtnerinnen und Lehrern besser bewertet, seine eventuellen 0 0 51
Rainer Dollase: „Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode“ in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. S.111 ff
v.
Schluss
Trotz der bislang erarbeiteten Ergebnisse ist Kleidung nicht alleine für die Beurteilung einer Person verantwortlich. Niemand würde einen Nobelpreisträger für weniger klug halten, nur weil dieser auf seine Krawatte verzichtet – allerdings ist in diesem Beispiel auch bereits Vorwissen über den Intellekt der Person verfügbar, während in dieser Arbeit insbesondere die Wirkung von Kleidung bei einem ersten Aufeinandertreffen untersucht wurde. Nicht selten weist die Semiotik der Kleidung jedoch einen recht geringen Stellenwert zu. Festzuhalten bleibt, dass Bekleidung nicht autonom, sondern im Verbund mit anderen Faktoren agiert. Abschließend soll nun zusammengeführt werden, was in dieser Arbeit über Kleidung und den Menschen Text erarbeitet wurde.
5.1 Das ist der Mensch Schon bei der Beleuchtung des Menschen im zweiten Kapitel wird schnell klar, dass sich nur bedingt zwischen einem „Sein“ und dem „Seinwollen“ unterscheiden lässt. Beurteilen kann dies nur der Mensch für sich selbst und schon diese Einschätzung ist subjektiv. Nicht zuletzt belügen wir uns selbst gerne für ein besseres Selbstwertgefühl oder auch um uns in eine „bessere“ Richtung zu entwickeln. Würden wir niemals versuchen, „ein weniger besser zu scheinen, als Schluss
0052
Textilmicroskopie Polyesterwebung Unterwäsche
0053
wir sind, wie können wir uns dann bessern oder uns selbst »von außen nach innen erziehen«“ . Dementsprechend ist unserer Selbst eine Konstruktion aus 121
Selbstkreation und Fremd-Einflüssen. Dieses Selbstkonzept präsentieren wir
121 Erving Goffman: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München 1969. S. 35
unserem sozialen Umfeld ebenso wie uns selbst. Durch das Gesehenwerden und das Bejahen der Gesellschaft festigt sich das Selbstkonzept zum Selbstbild. Wir identifizieren uns damit und nehmen die Merkmale und Eigenschaften in unser Persönlichkeitsbild auf. Unsere „Selbstdarstellung zielt auf die Kreation und Stabilisierung des Ichs“ . Nun sind wir bemüht das Bild, das wir von uns erstellt 122
haben, zu wahren. Dazu arbeiten wir ständig an uns, ändern Details, fügen welche hinzu oder lassen Dinge weg. Dabei spielt auch die Gesellschaft eine Rolle, ebenso wie Vorbilder, die wir uns suchen. Vorbilder repräsentieren für uns durch ihr Sein und Handeln einen erstrebenswerten Status, den wir ebenfalls erreichen wollen. Wir lernen von ihnen und fügen das Erlernte unserem Selbstkonzept hinzu. Die Gesellschaft hingegen gibt uns Eigenschaften vor, welche wir benötigen, um innerhalb unseres sozialen Umfeldes akzeptiert zu werden. Wir lernen, wie wir uns in Situationen verhalten müssen, um eine entsprechend gewünschte Reaktion zu erhalten. Da wir in der Regel gefallen worden, eignen wir uns diese Vorgaben nur allzu gerne an. Hiermit soll klar werden, dass der Mensch sicherlich angeborene Attribute besitzt, sozusagen eine fremdbestimmte Identität, in erster Linie ist die Identität jedoch ein Resultat aus einer Selbst- und Fremdgestaltung. Der Begriff Seinwollen geht schließlich in das Sein über; das Selbstkonzept wird zum Selbst.
5.2 Das ist Kleidung Im Rahmen dieser Arbeit haben wir uns den sozialen und psychologischen Funktionen von Kleidung gewidmet. Dabei blieben die Funktionen der Bekleidungsphysiologie außen vor. Zwar tragen wir Kleidung auch zum Schutz vor Außeneinwirkungen, sei es das Wetter oder Verletzungen, doch im sozialen Gefüge der Gesellschaft ist Kleidung vor allem auch Identitätsstiftend. Kleidung wurde aus diesem Grund abgesondert von ihrer funktionellen Seite untersucht, um die sozialen und psychischen Funktionen klar heraus zustellen. Kleidung lässt uns zu einer sozial bedeutsamen Erscheinung werden. Ohne sie sind wir nackte Menschen über die man sich nur schwer ein Bild machen kann. Erst die Kleidung macht uns unterscheidbar, gibt einen Anhaltspunkt über unser Selbst. Zusammen mit unserem Selbstkonzept hilft uns Kleidung bei der Verwirklichung und der Vergegenwärtigung unseres konzipierten Selbst. Kleidung ist ein Werkzeug. So erfüllt das Kleidungsstück den Zweck des Versendens von Botschaften, den Zweck der Selbstwerterhaltung und -ergänzung. Schluss
0054
122
Pia Reinacher: Kleider, Körper, Künstlichkeit. Berlin 2010. S. 17
Durchschnittshaushalte geben im Jahr folgende Beträge für Kleidung aus:
240€ Männer
880 Euro / jahr
456€ Frauen
Deutschland, Statistischen Bundesamtes. April 2007
0055
Die nonverbale Kommunikation dient als Erweiterung der kommunikativen Situation. Mehr noch, sie bildet eine Grundlage, die die Kommunikation erst menschlich macht. Ohne die nonverbale Kommunikation wäre der Informationsaustausch ähnlich dem zwischen Robotern. Nur wenige Gefühle und Emotionen können in reiner Sprache transportiert werden, denn sie enthält in erster Linie nüchterne Information. Wertung, Gefühl, Sympathie ergeben sich vor allem durch nonverbale Mittel wie Gestik, Mimik oder Kleidung. Kleidung kommuniziert immer und überall, egal welche Art von Kleidungsstück wir tragen. Wir können nichts anziehen, das keine Aussage trifft. Botschaften, die wir durch unsere Kleidung verschicken, sind nur bedingt gut zu steuern im Vergleich zur Sprache mit Worten. Dafür aber ist die Kleidungsprache eine sehr träge. Statements, die wir mit Kleidung treffen, sind zunächst stabil und können nur schwer widerrufen oder geändert werden. Damit verschafft uns Kleidung eine Sicherheit. Eine Basis auf der wir z.B. innerhalb einer folgenden verbalen Kommunikation aufbauen können – wir können dadurch unser Verhalten planen. Außerdem haben wir gesehen, dass die Aussagen von Kleidungsstücken vielschichtig sind und erst durch deren Verwendung innerhalb eines Rahmens definiert werden. Die Aufladung von Kleidung durch eine Gruppe machen Kleidungsstücke erst zu dem, was sie für uns so interessant macht: eine vestimentäre Botschaft. Durch die Zuordnung von Kleidung zu einem Stereotyp ist der Bekleidungsstil in der Lage Persönlichkeitsbilder zu erschaffen. Durch Kleidung trifft eine Person vestimentäre Aussagen über sich selbst. Die Kleidungswahl ist weitestgehend selbstbestimmt. Das bedeutet, dass dem Mensch nahezu das komplette Repertoire an vestimentären Botschaften zugänglich ist. Ausgenommen, er ist nicht autorisiert (Polizeiunform) oder besitzt nicht die nötigen finanziellen Mittel zur freien Kleidungswahl. Kann sich der Träger jedoch frei für seine Kleidung entscheiden, ist er in der Lage jede Rolle einzunehmen, sofern er das Wissen um den Kleidungsstil und damit einhergehend um das Verhalten des Stereotyps besitzt und dies glaubhaft präsentieren kann. Kleidung steht stellvertretend für Persönlichkeitsmerkmale und -eigenschaften, die der Träger haben kann, aber nicht haben muss, sondern womöglich nur anstrebt.
5.3. Kleidung als Verkleidung Richard Sennet berichtet von einer Öffentlichkeit vor 1750, die sich als Bühne für Masken und Kostümierung verstand. „Auf diesem Podium spielte jeder seinen Part entsprechend seinem Status und seinem Rang“ 123 – ebenso wie wir das heute tun. Der Unterschied zu heute ist allerdings, dass den Akteuren damals Schluss
0056
123 Pia Reinacher: Kleider, Körper, Künstlichkeit. Berlin 2010. S. 24
„die Differenz zwischen Rolle und ich völlig klar [war], mehr noch: man genoss bewusst den Schutz der gespielten Figur“
124
. Im Vergleich zu heute entsprechen
die „Masken“ und „Kostüme“, sprich die Kleidung, nicht mehr dem Status. Jeder ist in der Lage sich Kleidung zu kaufen, die weit mehr, oder auch weniger präsentiert, als das, was den eigentlichen Status des Trägers ausmacht. Ein Verkäufer im Einzelhandel ist heute durchaus in der Lage wie ein feiner Bankier auszusehen, sofern er genug Geld in einen passenden Anzug investiert und die Verhaltensregeln beachtet. Es gibt keine Kleidungsprivilegien mehr, lediglich Uniformen sind noch den jeweiligen Berufsgruppen vorbehalten. Heute entspricht unser Kleidungs-Ich auch unserem Alltags-Ich. Oder eher noch unser Ich entspricht dem Kleidungs-Ich, da dieses erst durch die Bekleidung gebildet wird. Das heißt, dass wir die Rolle, die wir spielen nicht mehr als Rolle auffassen, sondern als Teil von uns. Nicht nur vor anderen, sondern auch vor uns selbst, spielen wir eine Rolle. Manche Rollen erkennen wir mehr als Teil von uns an, andere weniger. Die Übergänge sind fließend. In jeder dieser Rollen steckt wohl ein Stück von uns. Ist Kleidung nun Verkleidung? Für eine Erläuterung muss etwas weiter ausgeholt werden. Es galt zu analysieren, ob der Mensch sich entsprechend dessen kleidet, was er sein möchte oder durch seine Kleidung repräsentiert, was er wirklich ist. Zunächst sollte definiert werden, ob es überhaupt möglich ist eine klare Differenzierung zwischen dem „Sein“ und dem „Seinwollen“ zu ziehen. Dies muss mit einem Nein beantwortet werden. Der Mensch ist für sich die Summe dessen, was er ist und dessen was er zu sein vorgibt, was er sein möchte. Dies bedeutet, dass die Selbstgestaltung Teil des Seins ist. Es wird hier nicht von dem Persönlichkeitsbegriff gesprochen. Es geht hierbei nicht darum wie Dritte eine Person beurteilen, sondern wie sich der Mensch selbst auffasst. Und in diesem Sinne ist die Bezeichnung des „Seinwollens“ überflüssig geworden, sie ist Teil des subjektiven Seins einer Person. Nun bleibt nur noch der Begriff der Verkleidung zu klären. Zunächst hat die Verkleidung ihre Daseins-Berechtigung. Kleidungsstücke ver-kleiden, be-kleiden unseren nackten Körper im physischen Sinn. Demnach ist das Kleiden auch ein stückweit das Verhüllen unseres Körpers mit seinen Unzulänglichkeiten, ein Verhüllen unserer Fehler und Schwächen. Zumindest im physischen Sinn scheint es hier legitim die Verkleidung mit der Kleidung gleichzusetzen. Es stellte sich aber die Frage nach der vestimentären Aussage unserer Kleidung. Nun da schon definiert wurde, dass das Selbst des Menschen eine Mischung aus Wunsch und innehabenden Merkmalen und Eigenschaften ist, fehlt uns eine Variable in der Gleichung. Nun heißt es der Mensch kleidet sich wie er ist oder der Mensch verkleidet sich wie er ist. 0057
124 Pia Reinacher: Kleider, Körper, Künstlichkeit. Berlin 2010. S. 24
Verlassen Sie sich beim Kauf von Kleidung ganz auf Ihr GefĂźhl?
Trifft eher zu
Trifft zu
27,70%
59,30%
10,50 %
Trifft eher nicht zu
Trifft gar nicht zu
Deutschland, 14-69 Jahre, 5.671Befragte. Manager Magazin, Spiegel. April 2011 bis August 2011
Schluss
0058
Um etwas als Verkleidung bezeichnen zu können, muss ein Kleidungszustand (A) von einem Verkleidungszustand (B) abweichen. Es sind jedoch keine unterschiedlichen Kleidungszustände für den Menschen existent, sehen wir einmal von der Kostümierung an Fasching ab. Ein Kleidungszustand des „Seins“ und des „Seinwollens“ zu differenzieren, ist aufgrund der Zusammenführung der Begriffe oben nicht möglich. Somit gibt es keinen Kleidungszustand (A) der nur das „Sein“ einer Person präsentiert. Eben sowenig einen Verkleidungszustand (B) der nur das „Seinwollen“ repräsentiert. Demnach lassen sich auch die Begriffe der Kleidung und Verkleidung zusammenführen. Die Kleidungsstile einer Person „verraten nicht nur, was der Mensch ist, sondern (auch) das, was er sein möchte und wozu er ein bestimmtes Kleid braucht, um es zu werden“ 125. 5.4 Fazit Abschließend lässt sich das Ergebnis wie folgt zusammenfassen: Die Person ist für sich Summe seines Selbst und seines Selbstkonzepts. Die Kleidung des Menschen trifft Aussagen darüber was er ist und was er sein möchte. Sein und Seinwollen fallen zusammen, ebenso wie Kleidung und Verkleiden. Demnach kleidet sich der Mensch, wie er ist. Welche Dimension haben also Aussagen wie: „Ich weiß nicht was ich anziehen soll“? Wenn wir einkaufen gehen, wählen wir ein T-Shirt aus, weil es uns gefällt. Wahrscheinlich entsprechen Schnitt, Farbe oder Material unserem Geschmack. In der Regel findet unsere Kleidungswahl vor allem subjektiv statt. In der Regel kaufen Menschen nicht nach bewussten Regeln ein in Bezug auf die Selbstdarstellung. Alleine das Gefallen eines Pullovers oder einer Hose deutet unterbewusst an, dass dieses Kleidungsstück dem Bild entspricht, welches wir für unsere Person konzipiert haben. Sind wir uns unsicher bei einem Kleidungsstück, steht es wohl im Konflikt mit einer oder mehrerer Richtlinien oder es würde etwas präsentieren was außerhalb eines möglichen sozialen Status liegt, sprich nicht glaubhaft wäre – für uns und unser Publikum. In Fällen von externen Kleidungsrichtlinien, wie der Arbeitskleidung, herrschen andere Vorgänge. Arbeitskleidung kann, muss aber nicht, dem Selbstbild, wohl aber den Richtlinien der Geschäftsstelle bzw. der Gesellschaft entsprechen. Identifiziert sich jedoch eine Person mit ihrem Job, so wird auch die Arbeitskleidung Teil seiner Garderobe. Ist der Job nur Mittel zum Zweck, ist die Arbeitskleidung nur vorgeschriebene Bekleidung. Es ist keineswegs eitel, Überlegungen bezüglich seiner Kleidung anzustellen. Jeder tut das, manche bewusst, andere unbewusst. Und da Kleidung omnipräsent 0059
125
Pia Reinacher: Kleider, Körper, Künstlichkeit. Berlin 2010. S. 23
ist, ist es zumindest nicht von Nachteil seine Kleidungswahl bewusst zu treffen, um bewusst Einfluss auf das Erscheinungsbild und die Wirkung auf andere zu nehmen. Kleidung ist, wenn man ihren Wert zu schätzen weiß, etwas Wunderbares. Sie verändert unser Alltagsleben und gibt uns die Möglichkeit unseren Körper neu zu gestalten. Sie erweitert unsere kommunikativen Möglichkeiten, hinter denen ein äußerst komplexer und dynamischer Kommunikationsvorgang steckt. Nichts desto trotz ist Kleidung auch nicht mehr als das: ein Schutz- und Ausdrucksmittel, eines der banalsten Dinge der Welt: Ein Stück Stoff zusammengehalten von Fäden.
Schluss
0060
Welchen dieser Kleidungstile tragen Sie häufig?
Deutschland, 14-64 Jahre, 10.167 Befragte. Manager Magazin, Spiegel. Oktober 2006 bis Januar 2007
Zweckmässig & praktisch
Streng & Kühl
Solide & Korrekt
4,10 %
Outdoor Style
72,40
%
15,70% Konservativ
14,50% Jugendlich & Lässig
Abgestimmt & Harmonisch
42,90% Bürgerlich & Gediegen
21,10% Figurbetont
28,90% Erotisch & Sexy
51,40%
Vintage 4,40 %
4,30 %
Schrill & Schräg
17,70% Avantgardistisch
Romantisch
4,10 %
4,10 % 0 0 61
Quellen
0062
VI. Quellen Pia Reinacher
Maike Boecker
Kleider, Körper, Künstlichkeit.
Labeling Youth:
Berlin 2010.
Alle Macht den Marken
Carlo Michael Sommer Mode in Dieter Frey und Carl Graf Hoyos
in Elke Gaugele, Kristina Reiss (Hrsg.): Jugend, Mode, Geschlecht. Frankfurt a. M. 2003.
(Hrsg.):Psychologie in Gesellschaft,
Hans Dieter Mummendey
Kultur und Umwelt.
Psychologie der Selbstdarstellung.
Basel 2005 (1. Auflage).
Göttingen 1990.
Erving Goffman
Ranga Yogeshwar
Wir alle spielen Theater.
Kleider machen Leute
Die Selbstdarstellung im Alltag
– stimmt das?
München 1969.
in: Quarks&Co: 09.08.2011. https://
Erik Erikson Jugend und Krise. Stuttgart 2003 (5. Auflage) Rainer Dollase Von ganz natürlich bis schön verrückt. Zur Psychologie der Jugendmode in Dieter Baacke u.a. (Hrsg.): Jugend und Mode, Kleidung als Selbstinszenierung. Opladen Leverkusen 1988. Roland Barthes Die Sprache der Mode Berlin 2010.
www.wdr.de/tv/quarks/sendungsbeitraege/2011/0809/uebersicht.jsp Carlo Michael Sommer Sagen Sie mal: Was verrät unsere Kleidung über unseren Charakter? in P.M. Specials: Seele: 2012. http:// www.pm-magazin.de/t/psychologie-gesundheit/seele/sagen-sie-mal-was-verr%C3%A4t-unsere-kleidung-%C3%BCber-unseren-charakter Hans-Joachim Hoffman Kleidersprache. Eine Psychologie der Illusionen in
Doris Schmidt
Kleidung, Mode u. Maskerade.
Mode und Gesellschaft.
Frankfurt a. M. 1985.
101 Grundfragen. Baltmannsweiler 2012.
0063
OO.
Journal
0065
Journal
0066
0067
Journal
0068
0069
Journal
0070
0 0 71
0072
Journal
0074
0075
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