Spiegel der Forschung 2011 Nr 2

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ISSN 0176-3008 Nr. 2/2011 · 28. Jahrgang

W isse n s c ha f tsma g azi n

Schwerpunkt: Umweltforschung in Georgien • Schnelle Lösung – aber langfristig ein Problem? Alkohol macht es für Menschen mit Angststörungen nur am Anfang leichter • Luther und der Islam • Hala Sultan Tekke – Eine Handelsmetropole der späten Bronzezeit auf Zypern


Sonnige Aussichten? Klimawandel und Umweltzerstörung sind vor allem für Kinder eine existenzielle Bedrohung: Jedes zweite Opfer wetterbedingter Naturkatastrophen ist ein Kind unter 15 Jahren.

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Nr. 2 – November 2011 · 28. Jahrgang

Schwerpunkt:

„Umweltforschung in Georgien“ 4 Rainer Waldhardt, Otar Abdaladze, Annette Otte und Dietmar Simmering

Landschaftswandel im Kaukasus Georgiens • Interdisziplinäre Forschung für eine nachhaltigere Zukunft Seit seiner Erklärung der Unabhängigkeit im Jahr 1991 ist Georgien dramatischen Transformationsprozessen ausgesetzt. Diese Prozesse führten zu gesellschaftlichen Veränderungen, wie Verarmung gefolgt von Migration, und haben auch Umweltprobleme und einen Rückgang der Biodiversität verursacht. Der Klimawandel hat die Umweltprobleme noch verstärkt. Forschungen mit dem Ziel, eine nachhaltige Landnutzung in diesem Teil der Erde und die Lebensqualität der Bewohner zu fördern, sind daher dringend erforderlich. In diesem Zusammenhang werden in dem dreijährigen Forschungsprojekt „amies“ (analysing multiple interrelationships between environmental and societal processes in mountainous regions of Georgia) in zwei Regionen des Großen und des Kleinen Kaukasus interdisziplinäre Untersuchungen durchgeführt. Dabei werden Empfehlungen für staatliche und nichtstaatliche Organisationen in Georgien erarbeitet, die mit diesen diskutiert werden sollen. In der Projekteinheit A werden zunächst Veränderungen in der Landschaftsstruktur und in der Landnutzung von etwa 1960 bis 2009 analysiert. 16

Ina Keggenhoff, Tatjana Keller, Mariam Elizbarashvili, Ramin Gobejishvili und Lorenz King

Naturkatastrophen durch Klimawandel im Kaukasus? • Hochwasser und Hanginstabilitäten in Georgien immer häufiger Hochwasserereignisse und Murgänge in der georgischen Region Kazbegi sind in der jüngsten Vergangenheit stark angestiegen. Die Projekteinheit B des Forschungsprojekts „amies“ beschäftigt sich mit dem Klimawandel und Massenbewegungen in den Untersuchungsgebieten. In einem Teilprojekt werden Veränderungen der Lufttemperatur, der Niederschläge sowie der Gletscherrückgang untersucht. Das zweite Teilprojekt verfolgt das Ziel, das Verständnis für in naher Vergangenheit aufgetretene Erdrutsche zu erweitern und Zonen mit hohem Risiko für künftige Massenbewegungsereignisse zu identifizieren.

Spiegel der Forschung Wissenschaftsmagazin der Justus-Liebig-Universität Gießen Herausgeber: Der Präsident der Justus-Liebig-Universität Gießen Ludwigstraße 23, 35390 Gießen www.uni-giessen.de

Redaktion: Christel Lauterbach Telefon: 0641 99-12040 Fax: 0641 99-12049 christel.lauterbach@uni-giessen.de www.uni-giessen.de/ spiegel-der-forschung

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Druck: Druckkollektiv GmbH www.druckkollektiv.de Gedruckt auf Recycling-Papier Auflage: 7000 Exemplare

Die Beiträge geben die Meinung der Autorinnen und Autoren wieder. Der Nachdruck ist nach Absprache mit der Redaktion und den Autoren möglich. Titelbild: In Georgien leiden vor allem die ländlichen Gebiete heute unter der Armut (siehe Artikel „Mehr Lebensqualität bei größerer Nachhaltigkeit“, Seite 32ff.) Foto: Jennifer Volz

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Annette Otte, Maia Akhaltkatsi, George Nakhutsrishvili, Dietmar Simmering und Rainer Waldhardt

Phytodiversität in Georgien • Die Bedeutung von Standort und Landnutzung im Großen und Kleinen Kaukasus Der Kaukasus zählt zu den 34 Biodiversitäts-Hotspots der Erde und hat damit für die Biodiversität am Rande Europas eine besondere Bedeutung. Als Biodiversitäts-Hotspots werden Regionen bezeichnet, die die höchste Pflanzen- und Tierartendichte der Erde besitzen. Die Projekteinheit C des Forschungsprojektes „amies“ beschäftigt sich mit den Veränderungen in der Phytodiversität, da der Artenreichtum durch Lebensraumverluste in den Untersuchungsgebieten bedroht ist. 32

Jennifer Volz, Nino Chkoidze und Ingrid-Ute Leonhäuser

Landwirtschaftliche Transformation in Georgien In der Projekteinheit D des interdisziplinären Forschungsprojektes „amies“ werden gesellschaftliche Veränderungen auf der Landschafts- und der regionalen Ebene analysiert. Außerdem befasst sie sich mit der Entwicklung eines Konzeptes für nachhaltigen Tourismus in den Untersuchungsregionen. Die disziplinären Untersuchungen gehen Hand in Hand mit interdisziplinärer Forschung zu den Wechselbeziehungen zwischen ökologischen und gesellschaftlichen Prozessen. 42

Peter Felix-Henningsen, Eliso Narimandize-King, Diedrich Steffens, Sylvia Schnell, Thomas Hanauer, Stephan Jung und Hülya Kaplan

Gold Schürfen – Gift ernten • Bergbaubedingte Schwermetallbelastung von Böden im Südosten von Georgien Georgien war einst der Gemüse-, Tee- und Obstgarten der Sowjetunion. Auch heute ist das kaukasische Land auf seine Landwirtschaft angewiesen. Doch die Lebensgrundlage der Bevölkerung beispielsweise im Tal des Mashavera-Flusses im Südosten von Georgien, wird durch massive Umweltprobleme bedroht. Dies zeigt ein weiteres Forschungsprojekt, das sich im Bereich Bodenkunde ebenfalls mit Georgien befasst. Die fruchtbaren Böden der Region sind mit den Schwermetallen Cadmium, Kupfer und Zink belastet. Diese stammen aus dem Abraum und Abwasser eines Gold- und Kupfertagebaus im Oberlauf des Mashavera.

Kur z berichtet 53

Trauer um Wangari Maathai • Friedensnobelpreisträgerin und Gießener Ehrendoktorin starb im Alter von 71 Jahren

Psychologie 54

Trisha Bantin, Stephan Stevens und Christiane Hermann

Schnelle Lösung – aber langfristig ein Problem? • Alkohol macht es für Menschen mit Angststörungen nur am Anfang leichter Soziale Ängste gehen häufig mit Abhängigkeitserkrankungen einher, darunter vor allem Alkoholismus. Vorangehende Studien konnten zeigen, dass emotionale Gesichter unter Alkoholgabe als weniger bedrohlich wahrgenommen werden. Dies könnte ein Grund dafür sein, warum Personen mit Sozialer Phobie oft angeben, Alkohol zur Angstreduktion einzusetzen. In der aktuellen Studie mit Personen mit Sozialer Phobie wird die Wirkung von

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Alkohol auf die Informationsverarbeitung von sozialen Reizen untersucht. Die Probanden werden in eine Alkohol- und eine Orangensaftgruppe aufgeteilt. Neben einem Aufmerksamkeitsexperiment, bei dem die Teilnehmer auf bestimmte Bilder reagieren sollen, halten sie auch eine kurze Rede zu einem kontroversen Thema vor einem kleinen Publikum.

Kirchengeschichte 60

Athina Lexutt

Luther und der Islam • Beten und Büßen statt Reden und Kämpfen Seit der Entstehung des Islam hat es zwischen Christen und Muslimen immer wieder Versuche gegeben, sich über Dialoge einander anzunähern. Auch in der Reformationszeit setzte man sich mit dem Islam, der immer stärker ins Abendland vordrang, in Gestalt „des Türken“ auseinander. Luthers Türkenschriften von 1529 und 1530 zeigen allerdings: Ihm ging es – im unmittelbaren Kontext der Bedrohung Wiens durch die Osmanen – keineswegs um einen Dialog oder gar um ein besseres Verständnis des Islam. Die Zielscheibe Luthers ist auch hier eindeutig der Papst und weniger „der Türke“.

Archäologie 72

Matthias Recke und Karin Nys

Hala Sultan Tekke • Eine Handelsmetropole der späten Bronzezeit auf Zypern Nach längerer Unterbrechung gibt es seit diesem Jahr wieder eine archäologische Forschungsgrabung an der Justus-Liebig-Universität Gießen, die auch das praxisbezogene Lehrangebot der Klassischen Archäologie erweitert. Im April 2011 wurde bei einer mehrwöchigen Kampagne in Zusammenarbeit mit belgischen Archäologen von der „Vrije Universiteit Brussels“ ein bedeutender Handelsplatz der späten Bronzezeit an der Südküste Zyperns untersucht. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind über den lokalen Befund hinaus von Bedeutung und bilden damit den Grundstein für künftige Forschungen.

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Lernen durch Lehren: Studis spielen den Prof • Gründung der „Hermann-Hoffmann-Akademie für junge Forscher“

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Landschaftswandel im Kaukasus Georgiens Interdisziplinäre Forschung für eine nachhaltigere Zukunft Von Rainer Waldhardt, Otar Abdaladze, Annette Otte und Dietmar Simmering

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Landschaftswandel im Kaukasus Georgiens

Die Wechselbeziehungen zwischen ökologischen und gesellschaftlichen Prozessen in einem Transforma­ tionsland werden in dem interdisziplinären Projekt amies (Analysing multiple interrelationships between environmental and societal processes in mountainous regions of Georgia – Interdisciplinary research to foster sustainable land use, land development, and quality of life) analysiert. Ziel des Projekts ist es, für zwei Untersuchungsregionen im Großen und Kleinen Kaukasus Georgiens Empfehlungen für eine künftig nachhaltigere Landnutzung und Landentwicklung zu geben. Die VolkswagenStiftung fördert amies im Rahmen der Initiative „Zwischen Europa und Orient – Mittelasien/ Kaukasus im Fokus der Wissenschaft“, und das Projekt wird von der Professur für Landschaftsökologie und Landschaftsplanung der Universität Gießen koordiniert.

Mleta, die auf einem Schuttfächer mit angrenzenden Erosionsrinnen gelegene Ortschaft (1.500 m ü. NN) am tief eingeschnittenen Fluss Tetri Aragvi in Georgien. Foto: Rainer Waldhardt, Mai 2010

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ulturlandschaften sind niemals statisch. Als MenschUmwelt-Systeme unterliegen sie natürlichen und anthropogenen Prozessen, die untereinander in Wechselbeziehung stehen und als Landschaftswandel sichtbar werden. So können sich z. B. Bevölkerungsdichte, Lebensqualität, Ressourcenverfügbarkeit und Landnutzungsmuster ändern, wobei Ursachen und Folgen des Landschaftswandels oftmals nur schwer voneinander zu trennen sind. Besonders ausgeprägt ist der Landschaftswandel in Transformationsländern, die durch tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel gekennzeichnet sind. Beispielhaft hierfür sind die aus der Sowjetunion hervorgegangenen Staaten Osteuropas und Asiens. Diese stehen seit nunmehr zwei Jahrzehnten nicht nur aufgrund der unumgänglichen und noch nicht abgeschlossenen gesellschaftlichen Neuausrichtung, sondern z. B. auch als eine Folge des Wegbrechens von Absatzmärkten vor enormen politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Ebenfalls seit etwa zwei Jahrzehnten führt der Klimawandel in vielen Regionen der Erde zu unterschiedlichsten Formen des Landschaftswandels. Sich ändernde Temperaturen und Niederschläge und die Zunahme von Extremwetterereignissen wirken auf Landnutzungspotenziale, resultieren in Umweltkatastrophen wie z. B. Überschwemmungen und Massenbe-

wegungen (Erosion) und führen zu Arealveränderungen von Arten und Lebensgemeinschaften, um nur einige Beispiele des Landschaftswandels zu nennen, der mit dem Klimawandel einhergeht. In Regionen, die für das Überleben von Mensch und Natur Grenzbereiche darstellen, wie z. B. Arealränder von Tier- und Pflanzenarten, wirkt sich der Klimawandel besonders stark aus. Dies gilt beispielsweise für Gebirgsregionen. Treffen die Prozesse des Klimawandels und der gesellschaftlichen Transformation räumlich zusammen, dann wird die Komplexität des Ursache-Wirkungsgefüges für den Landschaftswandel zusätzlich dadurch erhöht, dass der Klimawandel die gesellschaftliche Transformation beeinflussen kann. So können sich ändernde Landnutzungspotenziale, z. B. der Verlust der Eignung von Bergregionen als Wintersportgebiete bei Klima­ erwärmung, und die Häufung von Umweltkatastrophen die wirtschaftliche Weiterentwicklung von Regionen beeinträchtigen. Die komplexen Zusammenhänge derartiger ökologischer und gesellschaftlicher Prozesse zu analysieren und besser zu verstehen ist ein Schwerpunkt der angewandten Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung. Dabei gilt es, die Entwicklung dynamischer Landschaften zu unterstützen, die den Anforderungen der Nachhaltigkeit unter Einbeziehung gesellschaftlicher und ökologischer

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Waldhardt, Abdaladze, Otte, Simmering

Abb. 1: Ehemals mit Gas aus Russland beheiztes Gewächshaus in Achkhoti, Großer Kaukasus. In diesem und vielen weiteren Gewächshäusern wurden auf etwa 1.700 bis 2.300 m ü. NN Tomaten und weitere Gemüsearten für den Export nach Russland angebaut. Mit der Schließung der georgisch-russischen Grenze und der stark eingeschränkten Gaslieferung aus Russland musste der Gemüseanbau vor 20 Jahren aufgegeben werden, und die meisten Gewächshäuser verfielen. Foto: Rainer Waldhardt, Mai 2010

Aspekte deutlich stärker gerecht werden, als dies heute der Fall ist. Disziplinäre Forschung allein kann dazu nur sehr begrenzt beitragen; inter- und transdisziplinäre Forschung, welche die regionenspezifischen gesellschaftlichen und ökologischen Problembereiche und Potenziale vertiefend und integrierend analysiert, ist zielversprechender. Die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen (interdisziplinär) und die Einbeziehung von Vertretern aus Politik und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in den wissenschaftlichen Prozess (transdisziplinär) ist aber bis heute im Wissenschaftsbetrieb keine Selbstverständlichkeit, insbesondere nicht in vielen Transformationsländern. Vor diesem Hintergrund stellt sich das von der VolkswagenStiftung im Rahmen der Initiative „Zwischen Europa und Orient – Mittelasien/Kaukasus im Fokus der Wissenschaft“ geförderte interdisziplinäre Forschungsvorhaben amies (Analysing multiple interrelationships between environmental and societal processes in mountainous regions of Georgia – Interdisciplinary research to foster sustainable land use, land develop-

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ment, and quality of life) am Beispiel zweier Bergregionen Georgiens der Aufgabe, Wechselbeziehungen zwischen ökologischen und gesellschaftlichen Prozessen mit dem Ziel zu analysieren, für diese Regionen Empfehlungen für eine künftig nachhaltigere Landnutzung und Landentwicklung abzuleiten.

Die amies-Projektregionen und Testgebiete In der Grenzregion von Europa und Asien gelegen ist Georgien seit Jahrtausenden dem Einfluss vieler Kulturen ausgesetzt. Dies begünstigte einerseits die Ausbildung eines faszinierenden multiethnischen Landes, hatte jedoch auch zur Folge, dass die Bevölkerung über lange Zeiträume und bis in die Gegenwart wiederholt unter politischer Instabilität leiden musste. Gleich mehrere Sezessionskonflikte (Abchasien, Südossetien) sind bis heute ungelöst, und seit seiner Erklärung der Unabhängigkeit im Jahr 1991 ist Georgien – ähnlich wie andere ehemalige Sowjetstaaten – Transformationsprozessen unterworfen, die nicht zuletzt aufgrund der sehr deutlichen politischen Abgren-

zung zu Russland erschwert sind. In Kombination mit einem weitreichenden Wirtschaftskollaps, der solch unterschiedliche Wirtschaftszweige wie Schwerindustrie, Tourismus und Landwirtschaft gleichermaßen traf, führten die nicht abgeschlossenen Transformationsprozesse zu weiteren gesellschaftlichen Veränderungen wie Verarmung und Migration. Seit 1991 haben etwa eine Millionen der ursprünglich etwa 5,5 Millionen Einwohner Georgien verlassen. Das vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion „Schweiz des Kaukasus“ genannte Land wies unter den Sowjetrepubliken die besten Lebensbedingungen auf und ist trotz erheblicher Kredite des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank weit davon entfernt, an diese Zeit des relativen Wohlstands anzuknüpfen. Im gesamten Land, in den dicht besiedelten Städten ebenso wie in den ländlichen Gebieten, zeugen z. B. verfallende Fabriken und Wohnhäuser sowie brachgefallenes Land von der noch nicht überwundenen tiefgreifenden Wirtschaftskrise. Im scharfen Kontrast dazu stehen insbesondere in der Hauptstadt Tiflis z. B. moderne Einkaufszonen sowie von einer kleinen Oberschicht

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Landschaftswandel im Kaukasus Georgiens

zur Schau gestellte PS-starke Statussymbole. Dies ist aber nicht als Folge eines allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwungs zu werten. Schließlich kommen auch internationale Großprojekte wie die 1999 in Betrieb genommene Baku-Supsa-Ölpipeline, die seit 2005 betriebene Baku-Tiflis-CeyhanÖlpipeline und die ein Jahr später fertiggestellte Südkaukasus-Gaspipeline zumindest bislang dem Großteil der georgischen Bevölkerung kaum spürbar zugute. Dies gilt insbesondere für die ländlichen Regionen, wo 60 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben (Georgia Poverty Assessment Report, 2009). Auch in den Bergregionen Georgiens sind die Folgen des gesellschaftlichen Wandels allgegenwärtig. Während der überwiegende Teil der Bevölkerung in den Bergregionen vor dem Zerfall der Sowjetunion vom Anbau und Export landwirtschaftlicher Produkte nach Russland lebte, wird heute vorwiegend Subsistenz-Landwirtschaft betrieben. Bis heute zeugen im an Russland angrenzenden Großen Kaukasus Überreste zahlreicher zerstörter Gewächshäuser (Abb. 1) davon, dass dort aufgrund der Bereitstellung von Energie über Gas-Pipelines aus Russland in beheizten Gewächshäusern

selbst in Höhenlagen über 2.000 m ü. NN Gemüse angebaut und exportiert werden konnte. Aber auch weitere Produkte wie Kartoffeln wurden in größerer Menge exportiert. Mit der Schließung der Grenze zwischen Georgien und Russland verlor dieser Teil Georgiens den wichtigsten Absatzmarkt. Zugleich wurde die Energieversorgung aus Russland deutlich eingeschränkt, und der Gemüseanbau musste aufgegeben werden. Die Schließung der georgisch-russischen Grenze hatte aber auch in weiteren Wirtschaftsfeldern wie dem Tourismus deutlich negative Folgen. Sowohl im Großen als auch im Kleinen Kaukasus gelegene Wintersportgebiete waren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion deutlich weniger nachgefragt als in den 1980er Jahren, und nur im Kleinen Kaukasus verzeichnen der Winter- und der Sommertourismus seit einigen Jahren wieder deutlich steigende Besucherzahlen. Schlagzeilen in der internationalen Presse über Georgien machen aber eher Umweltkatastrophen, die besonders an Steilhängen des Großen Kaukasus als großflächige Murengänge teils verheerende Folgen hatten und an Häufigkeit und Ausmaß seit zwei

Jahrzehnten deutlich zugenommen haben. Ob dies – wie auch der ebenfalls konstatierte Rückgang der in den Bergregionen Georgiens außerordentlich hohen Biodiversität – in erster Linie durch den skizzierten Landnutzungswandel oder durch Klimawandel bedingt ist, ist nicht abschließend geklärt (Elizbarashvili & Elizbarashvili, 2005). Unter anderem diese Frage unterstreicht die Notwendigkeit zur weiteren Erforschung der Bergregionen Georgiens im Kontext von gesellschaftlicher Transformation und Klimawandel. Hierzu wurden im amies-Projekt zwei jeweils etwa 900 km² große Untersuchungsregionen ausgewählt, die Region Kazbegi im Großen und die Region Bakuriani im Kleinen Kaukasus (Abb. 2). Beide Regionen liegen mit ihren tiefsten Gebieten bei 1.400 m ü. NN in der hochmontanen Höhenstufe und sind in über 2.300 m ü. NN, d. h. in der oberen subalpinen und der angrenzenden alpinen Höhenstufe frei von ganzjährigen Siedlungen. In beiden Regionen finden sich einige größere Siedlungen mit ca. 1.000 bis 3.000 Einwohnern sowie zahlreiche Dörfer mit deutlich unter 100 bis etwa 300 Einwohnern. Beide Regionen sind durch Fernverkehrsstraßen in wenigen Stunden von Tiflis aus erreichbar und weisen innerhalb der Regionen mit zunehmender Entfernung von diesen Straßen typische Gradienten der landschaftlichen Marginalisierung auf: So sind die verkehrsmäßig vergleichsweise gut angebundenen größeren Siedlungen für die lokale Bevölkerung und für Touristen infrastrukturell mit

Abb. 2: Lage der amies-Untersuchungsregionen (rot umrandet) und Testgebiete (rote Punkte) im Großen und im Kleinen Kaukasus Georgiens. Quelle: ESRI World Imagery

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Waldhardt, Abdaladze, Otte, Simmering

Geschäften, Gaststätten, Hotels und Freizeiteinrichtungen ausgestattet, wäh­rend die abgelegenen Dörfer kleiner und weitgehend ohne diese Infrastrukturen sind, so dass die Abhängigkeit der lokalen Bevölkerung von der Subsistenz-Landwirtschaft dort deutlich größer ist. Diese Gradienten wurden bei der Auswahl von pro Region je fünf Testgebieten, einzelnen Siedlungen mit

dem von diesen aus genutzten umgebenden Land, berücksichtigt. Die Auswahl der Testgebiete erfolgte im Übrigen unter Berücksichtigung der fachlichen Anforderungen aller Projekteinheiten und Teilprojekte im Anschluss an ein Projekt-Kickoff-Meet­ ing im Frühjahr 2010 (siehe „Die amies-Projektstruktur“). In beiden Untersuchungsregionen herrscht heute anstelle vorma-

liger Wälder Grünlandnutzung vor, die seit Jahrtausenden als extensive Weidewirtschaft mit Weiden- und Wiesennutzung betrieben wird. In der Region Kazbegi wird das in der Tierhaltung für Rinder und Schafe benötigte Winterfutter in der Nähe der Ortschaften in den mit tiefgründigen Böden standörtlich begünstigten Tallagen und Unterhangbereichen auf Heuwiesen gewonnen. Auf ähnlichen

Die Autoren Rainer Waldhardt, Jahrgang 1961, Studium der Biologie (Diplom) in Köln und Göttingen; Promotion 1994, Lehrstuhl für Geobotanik, Universität Göttingen (Dr. rer. nat.); seit 1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Landschafts­ökologie und Landschaftsplanung der Universität Gießen; Habilitation 2003 in den Fächern Vegetationsökologie und Landschaftsökologie (habil. agr.); seit 2010 Apl. Professor an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Er arbeitete bereits in Göttingen in interdisziplinären Projekten an der Schnittstelle von Biologie und ­Agrarwissenschaften und ist seit

1997 an interdisziplinären Forschungsvorhaben im Bereich der Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung am Fachbereich Agrarwissenschaften, Ökotrophologie und Umweltmanagement der Universität Gießen beteiligt.

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Otar Abdaladze, Jahrgang 1959, Studium der Biologie (Diplom) an der Staatlichen Universität Tiflis, Georgien; Promotion 1985, Institut für Botanik, Tiflis; Habilitation 1994, Institut für Zoologie, Tiflis; seit 1985 Wissenschaftler am Institut für Botanik, Tiflis; seit 2002 Leiter der Abteilung für Alpine Ökologie am Institut für Botanik, Tiflis; seit 2006 Professor und Direktor des Instituts für Ökologie der Staatlichen Ilia Chavchavadze Universität Tiflis.

Annette Otte, Jahrgang 1953, Studium der Biologie (Diplom) und Chemie (Lehramt) an der Universität Göttingen; Promotion 1983, Lehrstuhl für Landschaftsökologie TU München (Dr. rer. nat.); Habilitation 1995, TU München (Dr. agr. habil.), Lehrbefugnis für das Fachgebiet Landschaftsökologie; seit 1994 Professorin für Landschafts­ ökologie und Landschaftsplanung an der Universität Gießen. Dort lei-

tet sie seit 2011 auch die Sektion I „Nutzung natürlicher Ressourcen und Umweltschutz“ im Zentrum für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung (ZEU) und ist die Kooperationsbeauftragte für die Staatliche Ivane Javakhishvili Universität Tiflis (TSU) in Georgien.

Dietmar Simmering, Jahrgang 1967, Studium der Biologie (Diplom) in Bremen und Gießen; Promotion 2006 an der Professur für Landschaftsökologie und Landschaftsplanung der Universität Gießen­ (Dr. agr.); seit 1999 dort Wissenschaftlicher Mitarbeiter.

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Landschaftswandel im Kaukasus Georgiens

Abb. 3: Viehauftrieb im Fernweidesystem mit Sommerweiden im Djavacheti-Hochplateau der amiesProjektregion Bakuriani. Foto: Rainer Waldhardt, Mai 2010

Standorten finden sich einzelne kleine Ackerflächen, die überwiegend zum Anbau von Kartoffeln genutzt werden. Ein im letzten Jahrhundert größerer Flächenanteil des Ackerlandes ist bis heute als aufgegebene Ackerterrassen im Gelände gut zu erkennen. In größeren Siedlungen finden sich Ackerflächen auch innerhalb der Ortslagen und dort räumlich verzahnt mit Gartenland. Die Sommerweiden für das Vieh liegen meist bis zu etwa 5 km von den Siedlungen entfernt auf kaum produktiven Standorten der steilen Mittel- und Oberhänge. Auch in der Region Bakuriani sind vergleichbare Landnutzungsmuster im Umgriff der Siedlungen zu beobachten. Darüber hinaus bestehen dort in Höhenlagen zwischen 2.000 und 2.300 m ü. NN zusätzlich großflächige Heuwiesen entlang einer Straßenverbindung, die zum dünn besiedelten Djavacheti-Hochplateau führt. Dieses Hochplateau in der subalpinen und alpinen Höhenstufe (2.200–2.650 m ü. NN) wird großflächig als Sommerweide für Schafe, Rinder sowie auch für Esel und Pferde genutzt. Diese Nutzung ist Bestandteil eines von nomadischen Hirten organisierten Fernweidesystems. Ab Mai, sobald der Schnee im Hochgebirge weitflächig abgetaut ist, gelangen die Hirten nach einem etwa drei Wochen andauernden Auftrieb (Abb. 3) mit großen Herden aus den Winterweidegebieten im Kaukasusvorland in das Gebiet, für dessen Beweidung sie zeitlich begrenzte Nutzungsrechte erworben haben. Die Herden ziehen dem schmelzenden Schnee nach auf die hochgelegenen

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Sommerweiden, um diese mit der ersten Kältewelle Anfang Oktober wieder zu verlassen. Örtlich und zeitlich begrenzte, aber hohe Viehdichten führen vor allem um die Sommerlager mit den Zelten und Pferchen zu Nährstoffanreicherung, Zerstörung der Vegetation und Bodenanrissen.

Erste Ergebnisse der amiesProjekteinheit A Beispielhaft für die Analysen in der Projekteinheit A werden nachfolgend erste Ergebnisse zur Landschaftsstruktur der Testgebiete Stepantsminda (30 km²) und Mleta (17 km²) in der Untersuchungsregion Kazbegi vorgestellt. Diese Testgebiete wurden von dem Masterkandidaten Tim Theissen und dem Diplomanden Casper Felix Klein bearbeitet, die im Rahmen ihrer Abschlussarbeiten neben umfangreichen Fernerkundungs- und GIS-Arbeiten auch mehrwöchige Aufenthalte in den Testgebieten für Geländeerhebungen nutzen konnten. Zu beiden

Gebieten liegen nun großmaßstäbige GIS-Karten zu den aktuellen Landnutzungsmustern vor, welche die Verteilung der verschiedenen Landnutzungen, wie Siedlung, Gärten, Äcker, Wiesen, Weiden und Wald, räumlich explizit darstellen. In der Abbildung 5 sind die Verhältnisse für Stepantsminda, die mit etwa 2.000 Einwohnern größte Siedlung der Region Kazbegi, dargestellt. Die Stadt (Verwaltungssitz der Munizipalität Kazbegi; 1.740 m ü. NN) am Fuße des sagenumwobenen Berges Kasbek (Gipfelhöhe 5.047 m ü. NN) – dort soll einst dem angeketteten Prometheus täglich von einem Adler die Leber aus dem Leib gefressen worden sein – liegt unmittelbar an der Georgischen Heerstraße nur etwa 15 km von der russischen Grenze entfernt und war somit zu Sowjetzeiten eine wichtige Handelsstadt für den georgischen Warenexport nach Russland. Die Heerstraße ist ein seit Jahrtausenden bestehender Handelsweg, der im 18. Jahrhundert während des 5. Russischen Türken-

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Waldhardt, Abdaladze, Otte, Simmering

Die amies-Projektstruktur Das methodische Konzept (Abb. 4) des dreijährigen (3/2010 – 2/2013) Forschungsvorhabens amies umfasst drei Hauptschritte: • (I) die Entwicklung einer konsistenten hierarchischen Klassifikation aktueller Landschaftsmuster unter Berücksichtigung der Nutzungsdynamik seit ca. 1960, • (II) die Analyse von Beziehungen zwischen ökologischen und gesellschaftlichen Prozessen unter Berücksichtigung dieser Muster und • (III) die Formulierung von regional differenzierten Empfehlungen für eine nachhaltige Landnutzung und Landentwicklung. Der Begriff „ökologisch“ bezieht sich hier auf physische und biotische Bedingungen und Prozesse sowie auf Landnutzung und Landnutzungswandel. Untersuchungen zu gesellschaftlichen Prozessen konzentrieren sich auf die Lebenssituation der Bevölkerung, die in hohem Maße von Aktivitäten in den Bereichen Landwirtschaft und Tourismus abhängt.

I. Entwicklung einer konsistenten hierarchischen ­Klassifikation von Landschaftsmustern II. Analyse von Beziehungen zwischen ökologischen und gesellschaftlichen Prozessen

III. Formulierung von regional differenzierten Empfehlungen für eine nachhaltige Landnutzung und Landentwicklung

Abb. 4: Schema des methodischen Konzepts und der Gliederung des amies-Forschungsvorhabens.

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Schritt I basiert im Wesentlichen auf der Auswertung analoger und digitaler Karten, Luft- und Satellitenbilder. Die resultierende gemeinsame Datenbasis wird im dritten Projektjahr die Berechnung von wechselseitigen Abhängigkeiten (Trade-offs) zwischen den untersuchten ökologischen und gesellschaftlichen Prozessen auf multiplen räumlichen Skalen und die Formulierung von Empfehlungen für eine nachhaltige Landnutzung und Landentwicklung ermöglichen. Um ein vertieftes Verständnis für das komplexe Zusammenspiel zwischen ökologischen und gesellschaftlichen Prozessen (Schritt II) zu gewinnen, werden diese qualitativ und quantitativ in einem Netzwerk von vier Projekteinheiten (A bis D) mit acht Teilprojekten untersucht: In der Projekteinheit A (ein Post-Doc aus Gießen; auch befasst mit Schritt I und III) werden analoge und digitale Raumdaten zu den Projektregionen verwaltet, und es werden neue Raumdaten generiert und für alle Projektpartner verfügbar gemacht. In dieser Projekteinheit fließen außerdem in den Projekteinheiten B bis D erhobene Daten zusammen, um diese in gemeinsamer Arbeit der Projektpartner einer integrierten Auswertung zuzuführen. Einen Schwerpunkt der Arbeiten in der Projekteinheit A stellen im ersten und zweiten Projektjahr Auswertungen zu Veränderungen der Landschaftsstruktur und Landnutzung in den Testgebieten seit ca. 1960 dar. Diese Auswertungen basieren in erster Linie auf digitalen Fernerkundungsdaten (Luft- und Satellitenbilder von ca. 1960, ca. 1970 und 2005) und Geländeerhebungen, beziehen sich auf eine für alle Testgebiete konsistente hierarchische Klassifikation der regionalen Landnutzungen und berücksichtigen zusätzlich eine analoge und inzwischen digitalisierte Landnutzungskarte aus dem Jahr 1963. Unter Einbeziehung digitaler standörtlicher Daten werden in einem Geographischen Informationssystem (GIS) für die genannten Zeitpunkte Landnutzungs- und Habitatmuster kartographisch dargestellt und hinsichtlich ihrer Dynamik im Gesamtzeitraum ausgewertet. Die kartographische Darstellung dieser Landschaftsmuster ist insbesondere für die Projekteinheit C von großer Bedeutung, um die dort auf kleiner Fläche erhobenen Daten zur Vegetation auf größere Fläche zu übertragen (Bottom-upAnsatz) und modellhaft Folgen geänderter Landnutzung für die landschaftliche Phytodiversität abzuschätzen. Eine weitere Datengrundlage sind Reflexions-Spektralwerte der Vegetation, die im Projekt mit einem Feldspektrometer er-

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Landschaftswandel im Kaukasus Georgiens

mittelt und nach einer von Feilhauer & Schmidtlein (2011) beschriebenen Methode zur Klassifikation der Vegetation mit herangezogen werden. Die Projekteinheit B (zwei Doktorandinnen aus Gießen; davon Finanzierung einer Doktorandin aus Mitteln des BMBF) beschäftigt sich mit Klimawandel und Massenbewegungen. Innerhalb dieser Projekteinheit untersucht das Teilprojekt B 1 Veränderungen der Lufttemperatur, der Niederschläge sowie den Gletscherrückgang und die damit verbundenen Veränderungen im Abflussverhalten. Teilprojekt B 2 verfolgt das Ziel, das Verständnis für in naher Vergangenheit aufgetretene Massenbewegungsereignisse zu erweitern und Zonen mit hohem Risiko für künftige Erdrutsche zu identifizieren. Die Projekteinheit C (zwei Doktorandinnen aus Tiflis) beschäftigt sich mit der Bedeutung von Standort und Landnutzung für die Phytodiversität, d. h. die Vielfalt der Pflanzenarten und -gemeinschaften. Die Untersuchungen berücksichtigen zum einen die Raummuster und die Dynamik der regionalen Landnutzungen wie Wiesenund Weidenutzung (Teilprojekt C1), zum anderen heute nicht oder kaum der Landnutzung unterliegende Teilräume und den Prozess der Wiederbewaldung, der dort zu beobachten ist (Teilprojekt C2). Die Projekteinheit D (eine Doktorandin aus Gießen und zwei Doktoranden aus Tiflis) analysiert gesellschaftliche Veränderungen auf der Landschaftsund der regionalen Ebene (Teilprojekte D1 und D2) und befasst sich mit der Entwicklung eines Konzeptes für

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nachhaltigen Tourismus in den Untersuchungsregionen (D3). Im gesamten amies-Projekt werden die Arbeiten eines Post-Docs und der Doktoranden von Master- und Di­ plomkandidaten sowie von Hilfskräften aus Georgien und Deutschland unterstützt. Den jeweiligen Themen entsprechend fokussieren die Untersuchungen in den gemeinsam ausgewählten Testgebieten der beiden Bergregionen auf nur wenige Qua­ dratmeter große Flächen (Erhebungen der Projekteinheit C zur Vegetation), kleinere Landschaftsausschnitte (Untersuchungen der Projekteinheit B im Bereich von Hangrutschungen), auf die Haushalte der ausgewählten Ortschaften (Haushaltsbefragungen in Projekteinheit D) oder die Gesamtfläche dieser Ortschaften mit dem von dort aus bewirtschafteten umgebenden Land (Landschaftsstrukturanalysen in Projekteinheit A). In allen Teilprojekten gehen die disziplinären Untersuchungen Hand in Hand mit interdisziplinärer Forschung zu den Wechselbeziehungen zwischen ökologischen und gesellschaftlichen Prozessen. Der wissenschaftliche Austausch der Projektbeteiligten über disziplinäre Grenzen hinweg begann bereits während eines einwöchigen Kickoff-Meetings aller Beteiligten in den Projektregionen und wird durch die teils gemeinsame Geländearbeit in den Testgebieten begünstigt. Durch ergänzende Forschungsaufenthalte georgischer Projektpartner in Gießen und deutscher Projektpartner in Tiflis sowie ein Projekt-Symposium im Anschluss an das zweite Projektjahr wird der wissenschaftliche Austausch insbesondere im Bereich interdisziplinärer Auswertungsmethoden vertieft.

Die Ergebnisse der Schritte I und II bilden im dritten Projektjahr die Grundlage für die interdisziplinäre Formulierung von Empfehlungen für eine nachhaltige Landnutzung und Landentwicklung (Schritt III). Die Empfehlungen sollen staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen in Georgien zur Verfügung gestellt und mit diesen diskutiert werden. Hierzu ist am Ende des Projektes ein AbschlussSymposium in Georgien vorgesehen. Das Gesamtprojekt wurde über die Sektion I „Nutzung natürlicher Ressourcen und Umweltschutz“ des Zentrums für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung (ZEU) der Universität Gießen eingeworben und wird von der Leiterin der Sektion, Prof. Dr. Annette Otte, koordiniert. Am Projekt sind Mitarbeiter von drei Einheiten der Universität Gießen (Institut für Geographie; Professur für Ernährungsberatung und Verbraucherverhalten sowie Professur für Landschaftsökologie und Landschaftsplanung) und von zwei georgischen Universitäten (Ilia-Chavchavadze-Staatsuniversität Tiflis, Staatliche Ivane-Javakhishvili-Universität Tiflis) beteiligt. In jeder der vier Projekteinheiten A bis D arbeiten georgische und deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Teams, um gegenseitig von z. B. regionenspezifischen Kenntnissen und wissenschaftsmethodischen Fähigkeiten zu profitieren. Fachlich sind die am Projekt als Bearbeiter oder Leiter beteiligten Wissenschaftler den Bereichen Natur-, Sozial- und Politikwissenschaften zuzuordnen. Weitere Informationen zur amies-Projektstruktur sind im Internet unter http://www.amies-net.org verfügbar.

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Waldhardt, Abdaladze, Otte, Simmering

Abb. 5: Aktuelles Landnutzungsmuster im Testgebiet Stepantsminda. Die im GIS verfügbare Karte wurde im Rahmen einer an der Professur für Landschaftsökologie und Landschaftsplanung der Universität Gießen angefertigten Master-Abschlussarbeit auf der Grundlage einer Quickbird-Satellitenszene aus dem Jahr 2005 erarbeitet und in einem mehrwöchigen Geländeaufenthalt im Jahr 2011 überprüft und aktualisiert. Im Originaldatensatz erfolgte eine deutlich stärkere Differenzierung nach Landnutzungen, die hier zur Vereinfachung der Legende zu Nutzungsklassen aggregiert wurden. Bearbeiter: Tim Theissen, Gießen

kriegs von der russischen Armee zu einer Straße ausgebaut wurde. Wie in allen Testgebieten ist auch um Stepantsminda Weideland vorherrschend (Abb. 5), während Wiesen, die besonders südlich der Stadt oft eingezäunt sind, nur wenig Fläche ausmachen. Ungewöhnlich sind viele kleine „Ackerflächen“ (200–1.000 m 2) innerhalb der Siedlung, die auf dem Gelände ehemals beheizter Gewächshäuser und auf unbebauten Grundstücken zum Kartoffelanbau angelegt wurden.

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Diese im Stadtgebiet von Stepantsminda gelegenen „Ackerflächen“ sind ein eindrückliches Zeichen der aktuellen Subsistenz-Landwirtschaft. Eine erste quantitative Auswertung der GIS-Datensätze belegt für beide Testgebiete das deutliche Vorherrschen von Weideland und hebt das Testgebiet Stepantsminda insbesondere durch einen hohen Flächenanteil vegetationsfreier Flächen mit anstehenden Felsen, Lockergesteinen und Flussschottern sowie einen deutlich

geringeren Flächenanteil der Wälder und Gebüsche vom Testgebiet Mleta ab (Tabelle 1). Im Testgebiet Mleta (siehe Foto auf Seite 4) zeigen die Auswertungen in Analogie zum makroökonomischen Modell der „Thünen´schen Ringe“ in beinahe idealtypischer Weise für das Acker- und Wiesenland räumliche Schwerpunkte in Dorfnähe, während die Weiden und Wälder in größerer Entfernung vom Ort vorherrschen (Abb. 6). Im Gebiet Mleta geht dieses Raummuster der Landnutzungen mit einem Höhengradienten einher, der vom besiedelten Bereich (1.400 m ü. NN) ausgehend bis auf 2.400 m ü. NN hinaufreicht. Sowohl wirtschaftliche Überlegungen und Notwendigkeiten, als auch sich entlang des Höhengradienten ändernde Standortbedingungen werden zur Ausbildung des aktuellen Landnutzungsmusters um Mleta beigetragen haben. Limitierende Faktoren sollen in weiteren Auswertungen herausgearbeitet werden. Der Vergleich der Flächenanteile von Landnutzungen im Zeitraum um 1960 mit der aktuellen Situation zeigt für die Region Mleta leichte Zunah-

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Landschaftswandel im Kaukasus Georgiens

Tabelle 1: Flächenanteile (Prozent der Gesamtflächen) der Landnutzungen in den Testgebieten Stepantsminda und Mleta in der amies-Projektregion Kazbegi. Die Auswertungen erfolgten im Rahmen zweier studentischer Abschlussarbeiten (siehe Bildunterschriften zu den Abbildungen 5 und 6). Region

Stepantsminda

Mleta

Mleta

Jahr

2011

2011

1958

Ausgewertete Gesamtfläche (km²)

29,9

16,6

16,6

Wiesen und Ackerflächen

2,6

5,1

6,3

Weiden

58,4

50,7

54,2

Gartenland

1,4

1,9

0,5

Wald und Gebüsch

17,1

28,8

26,4

Fels, Gestein und Flussschotter

14,2

1,9

2,4

Erosionsflächen

0,3

7,3

5,4

Gebäude

1,6

0,9

1,0

Sonstige Nutzungen

4,4

3,4

4,2

men bei den Anteilen der Erosionsflächen, des Gartenlandes sowie der Wälder und Gebüsche zuungunsten der Wiesen und Ackerflächen sowie Weiden (Tab. 1). Allerdings geht aus der bisherigen Auswertung nicht hervor, ob sich die Flächenanteile der

Äcker und Wiesen innerhalb der Landwirtschaftsfläche relativ zueinander geändert haben. Das zur Verfügung stehende Luftbild aus dem Jahr 1958 lässt eine differenzierte Zuordnung zu diesen landwirtschaftlichen Nutzungsformen leider nicht zu.

Kritisches Resümee Die Analysen in der Projekteinheit A hängen in hohem Maße von der Verfügbarkeit geeigneter Fernerkundungs- und Standortdaten ab, die eine flächendeckende und „parzellengenaue“ Abgrenzung der Landnutzungs- bzw. Habitattypen in den Testgebieten erlauben. Für die aus dem Zeitraum um 1960 vorliegenden Luftbilder trifft dies, wie für das Testgebiet Mleta bereits genannt, nur eingeschränkt zu. Gleichwohl werden die Landnutzungsmuster der Testgebiete der Region Kazbegi bis Ende 2011 als GIS-Datensätze verfügbar sein. Entsprechende Auswertungen von Fern­ erkundungsdaten zu den Testgebieten in der Region Bakuriani begannen im Herbst 2011 und sollen bis Sommer 2012 durch abschließende Geländeerhebungen überprüft werden. Die Ergebnisse der Projekteinheit A können dann zur interdisziplinären Analyse und Interpretation mit Ergebnissen der übrigen Projekteinheiten in Beziehung gesetzt werden. Doch die Auswertung von Fernerkundungsdaten mit anschließender Validierung der Daten im Gelände ist allein nicht ausreichend, um die frühe-

Abb. 6: Flächenanteile der aktuellen Landnutzungen im Gebiet Mleta in Abhängigkeit von der Entfernung zur Ortsmitte von Mleta. Die Grafik basiert auf der Auswertung von zwölf von der Ortsmitte ausgehenden Teil­flächen mit einer Gesamtfläche von 83 ha im Rahmen einer am Geo­­­graphischen Institut der Universität Bonn mit wissenschaftlicher Be­­­treu­ung an der Professur für Landschaftsökologie und Landschaftsplanung der Universität Gießen durchgeführten Diplomarbeit. Bearbeiter: Caspar Felix Klein, Berlin

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Waldhardt, Abdaladze, Otte, Simmering

Abb. 7: Landnutzungen lassen sich nicht überall leicht voneinander abgrenzen. Diese Waldweide bei Bakuriani (Kleiner Kaukasus, 1.670 m ü. NN) wird teils auch zur Heugewinnung genutzt. Foto: Rainer Waldhardt, Mai 2010

re und die aktuelle Landnutzung in den Bergregionen Georgiens zu verstehen und um darauf aufbauend Empfehlun-

gen für die künftige Landnutzung abzuleiten. So überrascht z. B. der nach den ausgewerteten Fernerkundungsdaten geringe Flächenanteil der Wiesen. Demnach würde kaum ausreichend Winterfutter für größere Stückzahlen an Weidevieh gewonnen werden können. U. a. an dieser Stelle offenbart sich die Bedeutung des interdisziplinären Arbeitens im amies-Projekt: Ergebnisse der in der Projekteinheit D durchgeführten Haushaltsuntersuchungen werden weitere wichtige In-

formationen über die Produktionsverfahren (z. B. die Anzahl der gehaltenen Weidetiere und die gelegentliche Mahd von Flächen, die in der Projekteinheit A als Weiden klassifiziert wurden) in der Landwirtschaft liefern, und erst durch die gemeinsame Auswertung (u. a. in Anlehnung an Hietel et al., 2005) der in Projekteinheit A zu „land cover“ („Landbedeckung“) gewonnenen und der zu „land use“ („Landnutzung“) in Projekteinheit D erhobenen Daten werden wir das untersuchte Mensch-Umwelt-System deutlich besser verstehen lernen. Die Untersuchungen in der amiesProjekteinheit A werden auf vergleichsweise wenige Testgebiete der deutlich größeren Untersuchungsregionen begrenzt bleiben. Die Auswahl der Testgebiete erfolgte zwar unter Berücksichtigung von Gradienten landschaftlicher Marginalisierung, aber in einem dreijährigen Forschungsvorhaben wird sicherlich nicht geprüft werden können, ob dies die Übertragung von Ergebnissen auf zunächst nicht untersuchte Gebiete der Untersuchungsregionen zulässt. Aus diesem Grund und auch, um die Landschaftsstruktur und -dynamik mit hinreichender räumlicher

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Landschaftswandel im Kaukasus Georgiens

und thematischer Auflösung für größere Untersuchungsregionen in den Bergregionen Georgiens analysieren zu können, soll über das amies-Vorhaben hinaus und unter Einbeziehung von privatwirtschaftlichen Fernerkundungs­ unternehmen in Georgien und Deutschland ein ergänzendes Projekt an der Schnittstelle von Wirtschaft und Wissenschaft initiiert werden. •

Dank Die Autoren danken der VolkswagenStiftung, die das interdisziplinäre Forschungsvorhaben „amies“ im Rahmen der Initiative „Zwischen Europa und Orient – Mittelasien/Kaukasus im Fokus der Wissenschaft“ fördert.

ǺǺ

LITERATUR

Elizbarashvili ES, Elizbarashvili ME (2005). Potential Transformations of the Caucasus Natural Landscapes due to Global Warming. Russian Meteorology and Hydrology 10: 40-43.

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Feilhauer H, Schmidtlein S (2011). On variable relations between vegetation patterns and canopy reflectance. Ecological Informatics 6: 83-92. Georgia Poverty Assessment Report (2009). The World Bank. http://wwwwds.worldbank.org (Date: 26.06.2011) Hietel E, Waldhardt R, Otte A (2005). Linking socioeconomic factors, environment and land cover in the German Highlands, 1945-99. Journal of En­ vironmental Management 75: 133-143.

Abb. 8: Blick von Westen auf die Stadt Stepantsminda Foto: Caspar Felix Klein, Januar 2011

KONTAKT Prof. Dr. Rainer Waldhardt Justus-Liebig-Universität Professur für Landschaftsökologie und ­L andschaftsplanung IFZ, Heinrich-Buff-Ring 26-32 35392 Gießen Telefon: 0641 99-37163 Rainer.Waldhardt@umwelt.uni-giessen.de Prof. Dr. Otar Abdaladze Ilia State University, National Botanical Garden & Institute of Ecology, Botanical Str. 1 0105 Tbilisi, Georgien

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Naturkatastrophen durch Klimawandel im Kaukasus? Hochwasser und Hanginstabilitäten in Georgien immer häufiger Von Ina Keggenhoff, Tatjana Keller, Mariam Elizbarashvili, Ramin Gobejishvili und Lorenz King

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Naturkatastrophen durch Klimawandel im Kaukasus

Anzahl und Ausmaß von Hochwasserereignissen und Murgängen in der Region Kazbegi entlang der historisch wichtigen Heerstraße von der georgischen Hauptstadt Tiflis über den Großen Kaukasus nach Russland sind in der jüngsten Vergangenheit stark angestiegen. Zudem sind im Zuge des Baus der Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan (BTC-Pipeline) auch in der Region Baku­riani des Kleinen Kaukasus vermehrt Hanginstabilitäten durch großflächige Eingriffe in die Landschaft aufgetreten. Inwieweit der Klimawandel und Starkregenereignisse Auslöser von häufigeren Massenbewegungen und Hochwasserereignissen sind, das wird im Rahmen der Teilprojekte B1 „Klimawandel“ und B2 „Massenbewegungen“ des Forschungsprojektes amies untersucht.

Die Veränderungen der Lufttemperatur und die Niederschläge sowie den Gletscherrückgang im Untersuchungsgebiet und das damit verbundene Abflussverhalten während der letzten Jahrzehnte sowie Hochwasser­ ereignisse analysiert das Teilprojekt B1 „Klimawandel“. Teilprojekt B2 „Massenbewegungen“ verfolgt das Ziel, die Ursachen der aufgetretenen Murgänge zu erkennen und Risikogebiete für künftige Schlamm- und Gerölllawinen zu identifizieren. Die laufenden Arbeiten haben zunächst die Region Kazbegi im Fokus.

Die lokalen klimatischen Verhältnisse werden von der atmosphärischen Zirkulation über dem Großen Kaukasus beeinflusst, der vom Schwarzen Meer im Westen zur Kaspisee im Osten führt. Das Islandtief im Westen und das Sibirische Hoch im Osten sorgen für kalte Winter. In den Sommermonaten bestimmen Ausläufer des Azorenhochs das regionale Klima. Wie in vielen Hochgebirgsregionen sind häufig auftretende gewitterhafte Starkniederschläge im Sommer typisch. Diese treten oft nur lokal begrenzt auf und können dann Hochwasserereignisse und Murgänge auslösen.

Das Klima Gletscher als Wasserspeicher

Abb. 1: Gletscher im Grenzgebiet von Georgien und Russland sind wichtige Wasserspeicher für die umliegenden Tieflagen, weisen aber seit Jahren eine negative Gletschermassenbilanz (Gletscherrückzug) auf. Die Ursachen dieser alarmierenden Entwicklung werden in diesem Projekt untersucht. Foto: Levan Tielidze

Spiegel der Forschung · Nr. 2/2011

Die lokalen Klimaverhältnisse in der Region Kazbegi variieren entsprechend der Höhenlage, der Morphologie und der Hangexposition. Generell sind in geringen Höhenlagen des Untersuchungsgebietes auf etwa 1.100 m ü. NN die Sommer lang und feucht, die Winter eher kurz und trocken. Im trockensten Monat Januar fallen maximal 80 mm Niederschlag, im niederschlagsreichsten Monat Mai jedoch 140–180 mm. Die jährliche Jahresniederschlagssumme in Pasanauri (1.064 m), liegt bei 1.010 mm. Die nivale Stufe, die Schneegrenze, beginnt bei 3.400 m, mit einer Niederschlagssumme von etwa 1.260 mm. Bei 4.300 m wird die glaziale Höhenstufe erreicht. In diese Höhenstufe reicht der in der Region höchste Berg, der Mount Kazbeg (5.047 m ü. NN) weit hinein.

Hochgebirge wie der Große Kaukasus nehmen eine wichtige Rolle im Wasserhaushalt der Erde ein, denn sie erhalten mehr Niederschlag, als die sie umgebenden Niederungen. Dieser wird im Winter in Schnee und Gletschern gespeichert und steht im Frühjahr und Sommer als erhöhter Abfluss zur Verfügung. Gletscher spielen somit eine entscheidende Rolle für die saisonale Wasserbereitstellung, sei es zur Trinkwasserversorgung, Bewässerung oder zur Stromerzeugung durch Wasserkraft. Die mehr als 1.200 Gletscher des Großen Kaukasus speisen so im Sommerhalbjahr zwischen Mai und September die Flüsse und Seen der Region. Dabei nimmt die Gletschermasse ab. Die Zunahme der Gletschermasse findet von Oktober bis

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King u.a.

Abb. 2: Seit etwa 1970 steigen die an der Klimastation Gudauri gemessenen Lufttemperaturen an und sind als ein Beleg für den Klimawandel in der Untersuchungsregion Kazbegi zu werten.

April statt. Die Differenz von Massenzunahme und -abnahme wird als Gletschermassenbilanz bezeichnet. Im östlichen Teil des Großen Kaukasus liegt ein stark vergletschertes Gebiet in der Grenzregion Kazbegi zwischen Georgien und Russland (Abb. 1). Es umgibt den Mount Kazbeg mit 99 sehr unterschiedlichen Gletschern und stellt die Hauptwasserquelle sowohl für die umgebenden Niederungen Kazbegis als auch für ein großes Einzugsgebiet der Russischen Föderation dar.

Klimawandel und Gletscherschmelze

eine negative Gletschermassenbilanz. Dieser Trend kann von unterschied­ lichen Klimavariablen abhängen, einer ansteigenden Lufttemperatur und damit einer verstärkten Gletscherschmelze. Ebenso kann auch ein langfristig abnehmender Niederschlag dafür verantwortlich sein. Im Teilprojekt „Klimawandel“ wurden statistische Analysen der lokalen Klimaverhältnisse und der kurz- bis mittelfristigen Klimaänderungen mittels Daten mehrerer Klimastationen durchgeführt. Sie umfassen monatliche Lufttemperaturen und Niederschlagshöhen im Zeitraum von 1936 bis 2009. Im annuellen Temperaturverlauf ist zu beobachten, dass sich

ab Mitte der 1960er Jahre ein positiver Temperaturtrend einstellt. Vor 1965 kann kein signifikanter Trend festgestellt werden. Der Trend ist bei den Klimastationen unterschiedlich hoch und liegt zwischen 0,2°C und 0,3°C pro Dekade (Abb. 2). Die positiven Temperaturtrends in der Region Kazbegi belegen, dass im Zuge der globalen Erwärmung auch im Untersuchungsgebiet die Lufttemperatur stetig ansteigt. Auch für den Niederschlag ist zwischen 1936 und 2009 eine Trendwende zu beobachten. Bei den negativen Niederschlagstrends zwischen 1936 und 2009 zeigen sich ab Ende der 1960er Jahre wesentlich geringere

Abb. 3: Auch die seit den 1960er Jahren steigenden Sommertemperaturen am Mount Kazbeg zeigen den Klimawandel in der Region Kazbegi deutlich an.

Aktuelle Studien belegen einen relativ rapiden Gletscherrückzug im Großen Kaukasus. Während der ersten Geländearbeiten im Sommer 2010 wurde die Länge der Gletscherzunge des etwa 8,5  km langen Gergeti-Gletschers vermessen, der sich auf der südöst­ l­ichen Seite des Kazbeg befindet. Seine Oberfläche erstreckt sich über etwa 7 km². Im Vergleich zur letzten Längenmessung der Gletscherzunge, die 2004 durch georgische Projektpartner durchgeführt wurde, hat sich der Gletscher um 123 m zurückgezogen, somit durchschnittlich um 20 m pro Jahr. Der Längenrückgang bedeutet auch

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Naturkatastrophen durch Klimawandel im Kaukasus

negative Trendraten und sogar positive Niederschlagstrends zwischen 6 und 13 mm pro Dekade. Als eine Folge davon zeigen auch die langfristigen Schwankungen von Gletschermassenbilanzen und der Abfluss der hauptsächlich durch Gletscher gespeisten Flüsse entsprechende Tendenzen. Die auf 3.656 Metern hoch gelegene Gebirgsstation Kazbegi liegt nur unweit vom Gergeti-Gletscher entfernt und zeigt einen relativ hohen Trend der Sommertemperaturen von 0,3°C pro Dekade ab Mitte der 1960er Jahre (Abb. 3). Die Niederschläge von Oktober bis April, also während der winterlichen Akkumulation der Gletschermasse nehmen gleichzeitig zu, so an der Station Kazbegi ab Ende der 1960er Jahre um 31 mm pro Dekade (Abb. 4). Angesichts der fortschreitenden Gletscherschmelze heißt dies, dass der ansteigende Niederschlag während des Winterhalbjahres die Auswirkungen der zunehmenden Lufttemperaturen im Sommerhalbjahr nicht kompensieren kann.

Der Abfluss des Oberen Tergi Im Untersuchungsgebiet kommen große Wasserressourcen vor. Schnee und Gletscher speisen vulkanische Seen und ein dichtes Netz von Flüssen. Das

Abflussregime ist typisch für Flüsse, die durch Schmelzwasser aus Gletschern und Schnee gespeist werden. Ihr Abfluss ist von hohen Maxima im Sommer und Minima im Winter gekennzeichnet. Der größte Fluss der Region, der Tergi, umfasst ein Einzugsgebiet von insgesamt 43.200 km², von dem sich 18 % in Georgien und 82 % in Russland befinden. Der Fluss entspringt im Gletschergebiet des Kazbegi, erreicht nach 61 km die russische Grenze und mündet nach weiteren 562 km ins Kaspische Meer. Bei Stepantsminda am Fuße des Mount Kazbeg weist der Tergi einen mittleren jährlichen Abfluss von 23,6 ­­m³­/sek auf. Im Juni und Juli fließen allein 56 % des gesamten Jahresabflusses ab. Statistische Auswertungen der monatlichen Abflussdaten zwischen 1927 und 1985 lassen auf einen stetig ansteigenden Abflusstrend schließen. Die auslösenden hydrometeorologischen Faktoren für Hochwasserereignisse und Murgänge werden, soweit möglich, durch eine ergänzende statistische Analyse der stündlichen bzw. täglichen Niederschlagsdaten untersucht werden. Ursache für Hochwasserereignisse können sowohl extreme Stark­ regenereignisse als auch ein rasches Abschmelzen von Schnee und Gletschereis sein. Zudem können auch

Murgänge Flüsse aufstauen, die danach ausbrechen können.

Abflussszenarien und Hochwassergefahrenkarten Zwei Geländearbeitsphasen und computerbasierte Modellierungen mittels empirischer Programme, Fernerkundung und GIS werden weitere Erkenntnisse liefern. Entlang der georgischen Heerstraße zwischen Pasanauri bis hin zur russischen Grenze werden überschwemmungsund erosionsgefährdete Gebiete sowie bestehende Hochwasserschutzmaßnahmen in Zusammenarbeit mit den georgischen Partnern des amiesProjektes kartiert. Ziel ist die Erstellung einer Hochwassergefahrenkarte sowie die Entwicklung zukünftiger Abflussszenarien für die Flüsse Tergi und Aragvi mittels computergestützter Modelle, die Klima- und Oberflächenabflussdaten berücksichtigen. Dazu wird auch ein regionales Klimamodell entwickelt, das mit verschiedenen CO2 -Emissionsszenarien zukünftige Klimaszenarien für die Jahre 2050 und 2100 modelliert. Eine Umrechnung von einem globalen Klimamodellausschnitt auf regionale Ebene ermöglicht die Entwicklung eines regionalen Abflussmodells, das in verschiedenen Abflussszenarien Verwendung findet. Dabei müssen sowohl zukünftige Klimaänderung als auch Vergletscherungsraten berücksichtigt werden.

Abb. 4: Im Zeitraum der winter‑ lichen Akkumulation der Gletschermassen um den Mount Kazbegi steigen die Niederschläge seit etwa 1970 leicht an. Dies kann die sommerliche Gletscherschmelze als eine Folge der zunehmenden Lufttemperaturen im Sommerhalbjahr aber nicht kompensieren.

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King u.a.

Neben der Modellierung von Klima und Abfluss wird durch die Auswertung von Satellitenbildern undden Einsatz eines Geographi-

schen Informationssystems (GIS) der Gletscherrückzug in der Region Kazbegi visualisiert. Potenzielle Überschwemmungsflächen im Unter-

suchungsgebiet werden durch eine GIS-basierte Analyse von digitalen Höhenmodellen, digitalen topographischen Karten und im Gelände

DIE AUTORINNEN UND AUTOREN Tatjana Keller, Jahrgang 1972, studierte in Moskau und Karlsruhe Geologie und Geoökologie mit dem Schwerpunk Fernerkundung. Seit April 2010 ist sie wissenschaftli-

che Mitarbeiterin am Zentrum für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung der Universität Giessen und promoviert bei Prof. King im Rahmen des Forschungsprojektes amies zum Thema „Massenbewegungen und Klimawandel in Kazbegi, Georgien“. Ina Keggenhoff, Jahrgang 1979, absolvierte nach dem Bachelor-Studium der Agrarwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin einen Master of Science in Technologie- und Ressourcenmanagement in den Tropen und Subtropen an der Fachhochschule Köln und spezialisierte sich dabei auf Integriertes Wasserressourcenmanagement. Seit

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Februar 2010 ist sie am Institut für Geographie der Universität Gießen Wissenschaftliche Mitarbeiterin und promoviert bei Prof. King zum Thema „Klimawandel und Wasserhaushaltszenarien in der Region Kazbegi, Georgien“. Mariam Elizbarashvili, Jahrgang 1972, ist seit 2006 Juniorprofessorin am Institut für Geographie der Ivane Javakhishvili State University in Tiflis, Georgien, und ist für Forschung und Lehre in den Bereichen Klimageographie und Klimamodellierung tätig. Sie arbeitet als Wissenschaftlerin am Institut für Hydrometeorologie

der Georgian Academy of Sciences. Im Projekt amies unterstützt sie das Teilprojekt B in den Bereichen Klimawandel und Extremniederschlag. Ramin Gobejishvili, Jahrgang 1941, Promotion 1965, ist seit 1978 Professor für Physische Geographie an der Tbilisi State University, seit 2004 Direktor des Instituts für Geographie und Geoökologie und leitet internationale Forschungsprojekte mit den Schwerpunkten Geomorphodynamik, Glaziologie und Naturgefahren. Prof. Gobejishvili ist Koordinator des „Nationalatlas von Georgien“, seit 1996 Vizepräsident der Geographi-

schen Gesellschaft und seit 1998 Vizepräsident der Gesellschaft für Kartographie Georgiens. Lorenz King, Jahrgang 1945, Staatsexamen und Promotion 1974 an der Universität Basel, Schweiz, 1975/76 Postdoktorandenstipendium an der McGill University Montreal, Kanada, 1976–1982 Wissenschaftlicher Assistent an der Universität Heidelberg, Habilitation 1983 zum Thema „Permafrost in Skandinavien“. Seit 1983 Professur für Physische Geographie an der Universität Gießen. Er war Leiter verschiedener Expeditionen in Polargebiete (Kanada, Alaska, Antark-

tis) und leitet seit 1987 Forschungsprojekte zum Thema Naturgefahren in China sowie im Südkaukasus, seit 1997 Teilprojektleiter im EU-Projekt „PACE“ und den Folgeprojekten im Themenbereich „Naturgefahren in Hochgebirgen“.

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Naturkatastrophen durch Klimawandel im Kaukasus

aufgenommenen Höhenpunkten lokalisiert und in der Hochwassergefahrenkarte dargestellt.

Gefahren durch Murgänge im Kaukasus Klimawandel, ­Hochwasserereignisse und Massenbewegungen stehen eng miteinander in Verbindung. Seit jeher treten in der Region Kazbegi Steinschlag, Hangrutschungen, Lawinenabgänge und Muren auf. In verstärktem Maße finden diese Massenbewegungen in den letzten Jahrzehnten statt, was nicht zuletzt mit der globalen Klimaänderung zusammenhängen kann. Im Teilprojekt „Massenbewegungen“ wird das Auftreten von Murgängen und anderen Hanginstabilitäten in Abhängigkeit von verschiedenen Geofaktoren näher untersucht, ebenso der Zusammenhang zwischen häufig auftretenden Massenbewegungen und Änderungen des Niederschlags- und Temperaturregimes. Die Erstellung einer Gefahrenhinweiskarte für Hanginstabilitäten ist ein wichtiges Ziel der Arbeit. Ein Murgang ist ein schnell fließendes Gemisch aus Schutt, Schlamm, Holz und Luft sowie unterschied­ lichen Anteilen an Wasser. Es wird unterschieden zwischen den an den Hängen entstehenden Hangmuren und Talmuren, die sich im Gerinne bilden. Muren können Geschwindigkeiten von 50 km/h erreichen und erhebliche Schäden an Gebäuden und sonstigen Einrichtungen der Infrastruktur verursachen. Im Ort Mleta (Abb. 5) führen immer wieder größere Muren zu bedeutenden Schäden an Wohnhäusern, so letztmals im Juni 2010 nach einer längeren, intensiven Regenperiode. Um der Bevölkerung einen sicheren Schutz vor den potenziellen Massenbewegungsereignissen gewährleisten zu können, müssen die von Murgangsprozessen besonders gefährdeten Gebiete definiert werden.

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Die Entstehung von Muren ist von mehreren Faktoren abhängig. Entscheidend sind geologische Bedingungen, wie die Gesteinsart und die tektonischen Verhältnisse, sowie bodenmechanische und physikalische Eigenschaften des vorkommenden Untergrundmaterials. Ein Gefahrenpotenzial stellen vor allem große Lockermaterialmassen in steilen Hanglagen dar. In der Region Kazbegi zählen

der Hangneigung andere Reliefparameter, wie Höhe, Exposition und Einzugsgebietsgröße. Eine beachtliche Rolle spielen außerdem Landnutzung und Vegetation. Auf den Hängen ohne Pflanzenbedeckung kommt es häufiger zu Bodenerosion und Massenbewegungen als auf den mit Vegetation bedeckten Hängen. Bei einer nicht nachhaltigen Landnutzung setzen irreversible Prozesse der Bodenerosion

dazu instabile und zu Rutschungen neigende Flysch-Gesteine, die zu den marinen Sedimenten zählen. Bei der Entstehung von Murgängen sind oft auch die hydrologischen Verhältnisse ein auslösender Faktor, wie Starkniederschläge, Dauerregen und Schneeschmelze sowie die Hangwasserverhältnisse im Untergrund. Bei einer oft nur geringen Geländeneigung etwa in einem Gerinnebett kommt es dann zur Anrissbildung. An den Hängen ist mit 20° bis 40° die kritische Neigung größer. Wird dann eine kritische Kombination von Wasser, Gefälle und Schutt erreicht, kommt es zu Mur­ abgängen. Als weitere die Murgangentstehung beeinflussende Faktoren zählen neben

Abb. 5: Die durch Muren verursachten Schäden in der Untersuchungsregion Kazbegi, hier im Ort Mleta im Jahr 2010, sind erheblich. Foto: Ina Keggenhoff

ein. Große und gefährliche Muren entstehen vor allem dort, wo besonders verwitterungsanfällige Gesteinsarten vorkommen und keine Vegetationsbedeckung vorhanden ist.

Ursachenanalyse als Planungshilfe Die Gefahrenbewertung erfolgt in mehreren Schritten. Dazu gehören die

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King u.a.

Geländevorerkundung, die Auswertung der vorhandenen Grundlagen­ daten, die Geländeuntersuchung mit der Verifikation der erzielten Ergebnisse und die Modellierung der Murprozesse. Die Geländevorerkundung gibt erste Einblicke in das Untersuchungs­gebiet und dient als Grundlage für eine anschließende Datenauswertung. Als Datengrundlagen für nachfolgende

das Gelände erkundet und punktuell geomorphologisch kartiert. Murgänge und Hangrutschungen wurden inventarmäßig aufgenommen und an ausgewählten Hängen, die möglichst nah zu den häufig auftretenden Murgängen liegen, Bodentemperaturmessgeräte eingebracht. Die Messstellen liegen in Höhenlagen von 1600 bis 2400 m ü. NN. Die Bodentemperaturen in Tiefen zwischen 5 bis 150 cm

unverzichtbar. Auch eine anhand von Luft- und Satellitenbildern erstellte geomorphologische Karte wird im Gelände nochmals überprüft und ergänzt. Für unsere Fragestellung werden aufgrund von Satellitenbildern in erster Linie Muranrisse kartiert (Abb.6). Diese Startpunkte von Muren dienen als Eingangsdaten für die nachstehende GIS-basierte Modellierung.

Gefahrenhinweiskarten als Planungsinstrument

Abb. 6: Kartierung von Muran­ rissen in der Untersuchungsregion Kazbegi mit Hilfe von Satelliten­ bildern.

Analysen können digitale und analoge topographische, geologische, geomorphologische und bodenkundliche Karten, das digitale Geländemodell, Luft- und Satellitenbilder, Statistik zu Erdbe­ ben- und Massenbewegungsereignissen sowie verschiedene bodencharakterisierende Parameter dienen. Während der ersten Projektphase 2010 wurden notwendige Datengrundlagen für die Untersuchungsgebiete Kazbegi beschafft. Danach wurde

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wurden kontinuierlich aufgenommen und im Sommer 2011 abgelesen. Sie geben Rückschlüsse auf Frost- und Auftauprozesse im Untergrund, die in Verbindung mit dem Hangwasser wesentlich zur Hanginstabilität beitragen können. Ergebnisse von Laboruntersuchungen an Bodenproben können bei der Interpretation ebenfalls helfen. Vorhandene bodenkundliche Karten dienen zwar als Übersichtskarten, eine bodenkund­ liche Kartierung in besonders gefährdeten Regionen des Untersuchungs­ gebietes ist jedoch

Die Modellierung von Murprozessen besteht aus zwei Teilen: einer Dispositions- und einer Prozessmodellierung. Das Dispositionsmodell beschreibt, wo und unter welchen Bedingungen ein Murgangprozess ausgelöst werden kann. Das Modell setzt sich aus der Grunddisposition und der variablen Disposition zusammen. Die Grunddisposition beschreibt die generelle Anfälligkeit einer Fläche für das Auftreten eines Prozesses. Dabei werden Parameter, die über eine längere Zeit konstant bleiben oder sich nur langsam verändern, beachtet. Durch die variable Disposition werden kurzfristige Schwankungen, z.B. Änderungen der Materialverfügbarkeit oder der Bodenfeuchte, in der Bereitschaft zur Murgangsentstehung beschrieben. Wenn das System belastet wird, was in der Regel durch hy­drologische Ereignisse erfolgt, kann es zu einem Murabgang kommen. Dabei muss die Wechselwirkung zwischen der Disposition und dem auslösenden Er-

Abb. 7: Disposition und Belastung wirken im Zeitverlauf auf die Auslösung von Murprozessen.

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Naturkatastrophen durch Klimawandel im Kaukasus

Abb. 7: Überweidung kann die Bodenerosion verstärken (Schafherde in Gudauri). Foto: Lorenz King

eignis beachtet werden, da bei einer bestimmten Grunddisposition und einer geringen variablen Disposition auch bei starken Belastungen keine Prozessauslösung stattfindet (Abb. 7). Als Eingangsparameter für die Dispositionsmodellierung von Murgängen dienen die kartierten Anrisspunkte von Muren. Bei der Prozessmodellierung werden Prozessweg und Reichweite des ablaufenden Prozesses beschrieben. Dabei erfolgt eine Berechnung der Transitwege und Akkumulations­ zonen von dem transportierten und dem abgelagerten Material. Für die zu erstellende Gefahrenhinweiskarte muss die maximal mögliche Reichweite des Prozesses bestimmt werden. Im Gegensatz zur Gefahrenzonenkarte sind hier keine Angaben zu Intensität und Eintretenswahrscheinlichkeit erforderlich. Die Ergebnisse werden im Gelände überprüft und, wenn notwendig, korrigiert. Im Anschluss an die Modellierung findet eine synthetische Gefahrenbewertung statt, wobei prozessauslösende Geofaktorenkombinationen festgelegt werden. Das von Murgängen betroffene Schadenspotenzial (in diesem Fall Gebäude und Verkehrsflächen) wird ermittelt und visualisiert. Dies kann entweder aufgrund der vorhandenen GIS-Daten oder mittels Satellitenbildinterpretation erfolgen. Danach werden die Prozessräume mit dem Schadenspotenzial verschnitten. Da die Aussagekraft der Resultate naturgemäß von der Qualität der verfügbaren Datengrundlagen abhängt, ist sowohl bei der Aufnahme als auch der Modellierung eine intensive Zusammenarbeit mit erfahrenen Kennern der Region unumgänglich. Als Ergebnis

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entsteht eine Gefahrenhinweis­ karte mit Informationen über die potenziell gefährdeten Gebiete.

ähnliche Untersuchungen im Untersuchungsgebiet Bakuriani, einer wichtigen Tourismusregion im Kleinen Kaukasus, eingeplant. •

Fazit Die Erforschung der Zusammenhänge zwischen dem gegenwärtigen Klimawandel und der Entstehung von Hochwasserereignissen und Massenbewegungen in Gebirgsregionen werden zu einer nachhaltigeren Entwicklung des Untersuchungsraums beitragen. Die erstellten Gefahrenkarten mit Risikozonen für Hochwasser, Hang­ instabilitäten und Murgangsereignissen tragen zudem zur Katastrophenvorsorge in der Region Kazbegi bei. Für die nächsten Jahre sind im Rahmen des Forschungsprojektes amies

KONTAKT Prof. Dr. Lorenz King Justus-Liebig-Universität Institut für Geographie Senckenbergstraße 1 35390 Gießen Telefon: 0641 99-205 Lorenz.King@geogr.uni-giessen.de

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Phytodiversität in Georgien Die Bedeutung von Standort und Landnutzung im Großen und Kleinen Kaukasus Von Annette Otte, Maia Akhaltkatsi, George Nakhutsrishvili, Dietmar Simmering und Rainer Waldhardt

Der Kaukasus zählt zu den 34 Biodiversitäts-Hotspots der Erde und hat damit für die Biodiversität am Rande Europas eine besondere Bedeutung. Als BiodiversitätsHotspots werden Regionen gekennzeichnet, die die höchste Pflanzen- und Tierartendichte der Erde besitzen. Insbesondere ein hoher Anteil an endemischen Pflanzenarten, die nur in einem engen Verbreitungsgebiet auf der Erde einheimisch sind, sowie seltene und taxonomisch ungewöhnliche Arten charakterisieren – bei gleichzeitig hoher Bedrohung dieses Artenreichtums durch Lebensraumverluste – die Biodiversitäts-Hotspots (Myers 1990 und 2003).

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Phytodiversität in Georgien

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Frühlingswiese mit weiß blühenden Büschel-Anemonen. Foto: Annette Otte, 2011

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ls Biodiversitäts-Hotspots in Europa und Vorderasien gelten die Mittelmeerregion, IranoAnatolien, der Ural und der Kaukasus. Die große Vielfalt der Arten und der Endemiten-Reichtum sind im Kaukasus durch das Zusammentreffen mehrerer Raumeigenschaften bedingt: • die ausgeprägten Gegensätze in der Niederschlagsverteilung von West (Suchumi 1.396 mm a-1) nach Ost (Baku 187 mm a-1), • das Temperaturgefälle von den Niederungen bis in Höhen über 5.000 m ü. NN, • keine vollständige Vergletscherung der Region während der Eiszeiten, • die hohe Gesteinsarten- und Bodentypenvielfalt, • die Vielzahl abgeschlossener, isolierter Talsysteme mit eingeschränktem Artenaustausch sowie • die in Teilräumen bis heute extensive Landnutzung. Kennzeichnend für die Hotspot-Regionen ist außerdem, dass sie in der Mehrzahl in sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungs- und Schwellenländern liegen. Auch dies gilt heute für den Kaukasus. Strategien zum Schutz dieser Hotspots können daher nur gelingen, wenn ökonomische und soziale Anforderungen mit ökologischen Zielen möglichst umfassend in Einklang gebracht werden. Daran arbeiten weltweit tätige Förderorganisationen wie Conservation International (CI), die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Hotspots zu identifizieren, Global Environment Facility (GEF) und die Weltbank gemeinsam mit den Regierungen der Länder sowie national und lokal tätigen NGOs. Wissenschaftliche Forschung kann und muss in diesem Kontext Fakten und Anregungen bereitstellen. Vor diesem Hintergrund ist es das Hauptziel der Untersuchungen in der

Projekteinheit C („Die Bedeutung von Standort und Landnutzung für die Phytodiversität im Großen und Kleinen Kaukasus“) des Forschungsvorhabens amies, die Raummuster und Dynamik der Phytodiversität als einem Teil der Biodiversität in der hochmontanen und subalpinen Höhenstufe des Großen und des Kleinen Kaukasus in der Kazbegi- und in der BakurianiRegion mit Raummustern der Standorteigenschaften und Landnutzungen in Beziehung zu setzen. Darauf aufbauend verfolgt das Projekt als Ziel, in Zusammenarbeit mit den Projektpartnern der übrigen Projekteinheiten die Bedeutung von sich ändernden Raumeigenschaften für die Dynamik der Phytodiversität sowie Wechselbeziehungen zwischen Ursachen und Folgen der sich ändernden Raumeigenschaften besser zu verstehen. Eine besondere Herausforderung besteht in diesem Forschungsfeld darin, auf verschiedenen Maßstabs­ ebenen Zusammenhänge zwischen Umweltprozessen, Landnutzungswandel und gesellschaftlicher Transformation herauszuarbeiten und vor dem Hintergrund potentieller Landentwicklungen zu bewerten. Dabei fokussiert die im Jahr 2010 begonnene Arbeit auf die Phytodiversität der landwirtschaftlichen Nutzflächen und somit auf die Vegetation der großflächigen Grünlandbestände der Tal- und Hanglagen sowie die im Raum heute nur vereinzelten Ackerflächen (Bearbeiterin: Natalia Tephnadze, Tiflis). Auf der Grundlage von historischen Daten zur Vegetation und durch modellhafte Rekonstruktion werden Veränderungen der Phytodiversität für den Zeitraum seit etwa 1950 herausgearbeitet. Darüber hinaus erfolgen seit Sommer 2011 Untersuchungen in heute nicht oder kaum

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Otte u.a

von Landnutzung beeinflussten Lebensräumen zu den dort ablaufenden Prozessen der Wiederbewaldung (Bearbeiterin: Natalia Togonidze, Tiflis). Bei allen Arbeiten werden sowohl die Artenzusammensetzung der oberirdischen Vegetation wie die der Samenbanken im Boden berücksichtigt.

Artenreichtum im Kazbegi- und im Bakuriani-Gebiet Zum Kaukasus gehören die drei Gebirgsketten Großer und Kleiner Kaukasus sowie das Talysh-Gebirge, die östliche Fortsetzung des Kleinen Kaukasus. Insgesamt sind für die Kaukasus-Region, die mit ihren Gebirgen und den angrenzenden Tiefländern eine Fläche von rund 400.000 km 2 umfasst, 6.350 Gefäßpflanzen dokumentiert, von denen

fäßpflanzen umfasst, diejenige, die nach Grossheim (1936) mit einem Anteil von 26 % die meisten Endemiten besitzt (Nakhutsrishvili et al. 2005). Für den Bezirk Borjomi (1.723 km 2) im Kleinen Kaukasus, zu dem das Untersuchungsgebiet Bakuriani gehört, werden 1.725 Gefäßpflanzen aufgelistet (ohne Nennung des Anteils endemischer Arten; Nakhutsrishvili et al. 2006). Erwähnenswerte kaukasische Endemiten in Ackerland, Wiesen und Weiden der Kazbegi- und

Die Höhenstufengliederung der Vegetation In den Gebirgen Georgiens liegt die natürliche Baumgrenze in Höhenlagen zwischen 2.200 m (in Südexposition) und 2.750 m ü. NN (in Nordexposition) und die aktuelle Waldgrenze darunter zwischen 1.900 m (in Südexposition) und 2.500 m (in Nordexposition). Die heutige Waldgrenze ist durch Jahrtausende andauernden menschlichen Einfluss (Holzeinschlag, Rodung und Beweidung) überall um mehrere Hundert Höhenmeter nach unten verschoben worden – im feuchten nordwestlichen Großen Kaukasus um 350 bis 400 m und in den trockeneren zentraAbb. 1: (oben) Violette Küchenschelle sowie (unten) Kaukasischer Hornklee und Schönblättrige Glockenblume, drei endemische Pflanzenarten im Grünland der Kazbegi-Region. Fotos: Annette Otte, 2010 und 2011

in Georgien (69.700 km 2) 4.130 vorkommen – darunter 255 endemische Arten, was einem Anteil von 6 % der dort vorkommenden Gefäßpflanzenarten entspricht. Zu den an Endemiten reichsten Gattungen zählen Glockenblume (Campanula), Frauenmantel (Alchemilla), Tragant (Astragalus), Thymian (Thymus) und Hahnenfuß (Ranunculus). Innerhalb des Kaukasus ist die Flora des Kazbegi-Gebietes (1.081 km 2), die 1.100 Ge-

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der Bakuriani-Region sind Täuschender Tragant (Astragalus captiosus), Leviers Tragant (A. levieri), Schönblättrige Glockenblume (Campanula bellidifolia), Netzartiger Waid (Isatis reticulata), Luerssens Schillergras (Koeleria luerssenii), Kaukasischer Hornklee (Lotus caucasicus), Klebrige Luzerne (Medicago glutinosa), Anmutige Primel (Primula amoena) und Vio­lette Küchenschelle (Pulsatilla violacea; Abb. 1).

len und östlichen Teilen sogar um 500 bis 600 m (Abb. 2); im Kleinen Kaukasus sind Situation und natürliche Höhenstufengliederung nach Darstellungen von Nakhutsrishvili et al. (2005, 2006) vergleichbar. Die Höhenstufengliederung weist in der subalpinen Stufe regionale feuchtigkeitsbedingte Unterschiede auf: In Gebieten mit hohen Niederschlägen (Großer Kaukasus, westlicher Kleiner Kaukasus) ist die untere subalpine Stufe (< 2.000 m) durch Buchenwälder mit Orient-Buche (Fagus orientalis), Krummholzwälder mit Trautvetters Ahorn (Acer trautvetteri), Hochstauden-Bestände und gebietsweise durch Kiefernwälder (Pinus sylvestris var. hamata) gekennzeichnet und die obere durch BirkenKrummholzwälder, Rhododendron (Rh. caucasicum)-Gebüsche und alpine Rasen.

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Phytodiversität in Georgien

Abb. 2: Schematische Anordnung der Waldgrenzen in den Gebirgen des Kaukasus in Anlehnung an Nakhutsrishvili (1999). Die Linie unterhalb der grauen Fläche markiert die heutigen Waldgrenzen, die obere Linie die potentiellen.

Die am weitesten verbreiteten subalpinen Waldgesellschaften sind Birken-Krummholzwälder mit Litwinows Birke (Betula litwinowii) und EichenWälder mit Persischer Eiche (Quercus macranthera). Allerdings fehlen die Eichenwälder in den niederschlagsreichen westlichen Gebieten und die Birkenwälder in den trockenen südlichen Gebieten; nur im Ost-Kaukasus überlappen sich die Verbreitungsgebiete der beiden Waldtypen. Die schematisierte Abfolge der Vegetation im Untersuchungsgebiet „Kazbegi“ zeigt Abbildung 3. Dort gibt es in der unteren bis mittleren subalpinen Höhenstufe zwischen 1.750 und 2.100 m ü. NN im Talgrund um die ländlichen Siedlungen herum und in angrenzenden Hanglagen einen ausgedehnten Gürtel subalpiner Fettwiesen, in die kleinflächig Äcker für den Kartoffelanbau eingestreut sind. An südseitigen steileren Hanglagen werden die Fettwiesen – je nach dem Steingehalt der Böden – von subalpinen Magerwiesen oder beweideten Magerrasen ersetzt. An Nordhängen finden sich dagegen in der subalpinen Höhenstufe zwischen 1.850 und 2.200 m ü. NN vereinzelt isolierte lichte Birkenwälder mit Lit-

winows und der selteneren Raddes Birke (Betula litwinowii, B. raddeana), Kaukasischer Vogelbeere (Sorbus caucasigena) und Sal-Weide (Salix capraea) in der Baum- und Strauchschicht und charakteristischen Hochstauden wie Sosnowskys Bärenklau (Heracleum sosnowskyi), Nasen und Orientalischem Eisenhut (Aconitum nasutum, A. orientale), Wald-Storchschnabel (Geranium sylvaticum), Breitblättriger Glockenblume (Campanula latifolia), Nahem Greiskraut (Senecio propinquus) u. v. a. in der Krautschicht. Darüber schließt sich an Nordhängen mit hoher, lange liegender Schneedecke der niedrige Birken-Krummholzwald mit Litwinows Birke an und bildet die subalpine Waldgrenze zwischen 2.350 und 2.400 m ü. NN. Zu typischen Gehölzen des Krummholzwaldes zählen Kazbeks Weide (Salix kazbekensis) sowie die Heidekrautgewächse Kau-

kasische Alpenrose (Rhododendron caucasicum) und Heidelbeere (Vaccinium myrtillus); in der Krautschicht wachsen Büschel-Anemone (Anemone fasciculata, siehe Abbildung Seite 24), Iberischer Tarant (Swertia iberica), Wald-Reitgras (Calamagrostis arundinacea), Traubiger Milchlattich (Cicerbita racemosa) u. a. Den Übergang zur waldfreien subalpinen und alpinen Höhenstufe bilden in Höhenlagen zwischen 2.300 und 2.800 m ü. NN dichte Gebüsche aus Kaukasischer Alpenrose auf rohhumusreichen und torfigen Böden (Abb. 4). Typisch für diese Bestände sind noch andere mit endotropher Mykorrhiza besetzte Heidekrautgewächse wie Heidel- und Preiselbeere (Vaccinium mytrillus, V. vitis-idaea), Kaukasische Krähenbeere (Empetrum caucasicum) sowie die Rohhumus besiedelnden Arten Kleines und Rundblättriges Wintergrün

Abb. 3: Schema der Höhenstufung der Formations-Verbreitung der Vegetation von der unteren subalpinen bis zur nivalen Stufe im Untersuchungsgebiet Kazbegi in Anlehnung an Nakhutsrishvili et al. (2006).

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Otte u.a

Abb. 4: Stepantsminda (1.740 m ü. NN) im Tal des Terek am 22. Juni 2011. Neuschnee bedeckt die alpinen Rasen der oberen alpinen Höhenstufe. Schnee­frei ist die untere alpine Hö­­henstufe, die in Nordexposition typischerweise von einem Gebüschgürtel aus Kaukasischer Alpenrose (oliv) markiert wird. In der oberen und mittleren subalpinen Höhenstufe haben Birken-Krummholz und Birkenwald mit Litwinows Birke den Frühjahrsaustrieb (hellgrün) und die Belaubung abgeschlossen. Die Hauptstraße im Ort, die zur russischen Grenze führt, wird von einer PappelAllee gesäumt. Foto: Annette Otte

(Pyrola minor, P. rotundifolia). Auf feuchten felsigen Standorten kommt die Kaukasische Silberwurz (Dryas caucasica) vor. Die alpine Stufe beginnt ab 2.450–2.500 m ü. NN und ist durch eine Isotherme von +8°C im wärmsten Monat gekennzeichnet. Die häufigsten natürlichen Rasen der alpinen Stufe sind vom Wind gefegte Rasen mit Haarblättrigem Schuppenried (Kobresia capillifolia) und bodensaure Magerrasen mit Borstgras (Nardus stricta), Dunkler Segge (Carex tristis), Niederliegendem Schwingel (Festuca supina) sowie Zwergstrauchheiden, Schneeboden- und Schuttvegetation.

Analyse der aktuellen Phytodiversität Anstelle der vormaligen, weitflächig verbreiteten Wälder in der hochmontanen und subalpinen Höhenstufe ist heute in beiden Untersuchungsgebieten Grünlandnutzung vorherrschend, die über Jahrhunderte als Bergland­ bewirtschaftung mit Ackerland, Heuwiesen und extensiver Weidewirtschaft betrieben wurde. Diese traditionellen, standörtlich differenzierten Nutzungssysteme werden in-

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zwischen aufgegeben, und veränderte Umwelt- und soziale Bedingungen sowie der damit verbundene Landnutzungswandel verursachen Folgen für die Vielfalt der Pflanzenarten und -gemeinschaften, also die Phytodiversität. Diese wiederum haben Einfluss auf die gesamte Biodiversität, Erosionsprozesse und Landnutzungspotentiale. Die relative Bedeutung von Umwelt- und sozialen Parametern für Veränderungen der Vegetationsdecke und der damit verknüpften Phytodiversität in den Untersuchungsgebieten ist unbekannt, und Informationen über die Landnutzungspotenziale zur

Entwicklung von Konzepten für eine nachhaltige Landnutzung werden daher dringend benötigt. Im ersten Projektjahr wurde in der Projekteinheit A auf der Basis eines Satellitenbildes und eines Höhenmodells eine vorläufige GIS-Geländeklassifikation durchgeführt. Die resultierende Raumgliederung (Topdown-Ansatz) berücksichtigt die Meereshöhe, die Nord-Süd-Ausrichtung der Hanglagen (Exposition) und die Entfernung zur Siedlung. Innerhalb der so abgegrenzten Räume wurden zahlreiche zufällig verteilte Probeflächen ausgewählt, wo nach fest-

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Phytodiversität in Georgien

gelegten, wiederholbaren Verfahren die Pflanzendecke mit sogenannten Vegetationsaufnahmen erfasst wird. Neben der Dokumentation aller vorkommenden Pflanzenarten umfasst diese detaillierte Erhebung auf 5 m x

5 m großen Flächen („Patch-Ebene“), die Erfassung struktureller (Schichtung, Höhe, Deckungsgrad), topografischer (Koordinaten, Neigung, Exposition) und standortkundlicher Daten (Boden, Wasserhaushalt) sowie An-

gaben zur Nutzung der Bestände. Die auf der Patch-Ebene erhobenen Daten dienen in einem B ­ ottom-up Ansatz zur Übertragung und Generierung von Aussagen für die Landschaftsebene (Pattern-Ebene).

DIE AUTORINNEN UND AUTOREN Annette Otte, Jahrgang 1953, Studium der Biologie (Diplom) und Chemie (Lehramt) an der Universität Göttingen; Promotion 1983, Lehrstuhl für Landschaftsökologie TU München (Dr. rer. nat.); Habilitation 1995, TU München (Dr. agr. habil.), Lehrbefugnis für das Fachgebiet Landschaftsökologie; seit 1994 Professorin für Landschafts-

ökologie und Landschaftsplanung an der Universität Gießen. Dort leitet sie seit 2011 auch die Sektion I „Nutzung natürlicher Ressourcen und Umweltschutz“ im Zentrum für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung (ZEU) und ist die Kooperationsbeauftragte für die Staatliche Ivane Javakhishvili Universität Tiflis (TSU) in Georgien. Maia Akhaltkatsi, Jahrgang 1959, Studium der Biologie (Diplom) an der Staatlichen Universität Tiflis, Georgien; Promotion 1986, Botanisches Institut St. Petersburg, Russland; Habilitation 2006, Institut für Zoologie, Tiflis; seit 1985 am Institut für Botanik, Tiflis; seit 2002 Leiterin der Abteilung für Pflanzen-

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Dietmar Simmering, Jahrgang 1967, Studium der Biologie (Diplom) in Bremen und Gießen; Promotion 2006, Universität Gießen

reproduktionforschung am Institut für Botanik, Tiflis; seit 2006 Associate Professor an der Staatlichen Ilia Chavchavadze Universität Tiflis. George Nakhutsrishvili, Jahrgang 1932, Studium der Biologie (Diplom) in Tiflis, Promotion 1961 (Kandidat), 1972 (Doktor), Lehrstuhl für Geobotanik und Ökologie, Universität Tiflis, und Institut für Botanik der Georgischen Akademie der Wissenschaften; 1982 bis 2005 Professor

(Dr. agr.); seit 1999 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Landschafts­ökologie und Landschaftsplanung Universität Gießen. Rainer Waldhardt, Jahrgang 1961, Studium der Biologie (Diplom) in Köln und Göttingen; Promotion 1994, Lehrstuhl für Geobotanik , Universität Göttingen (Dr. rer. nat.); seit 1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Landschaftsökologie und Landschaftsplanung der Universität Gießen; Habilitation 2003 in den Fächern Vegetationsökologie und Landschaftsökologie (habil. agr.); seit 2010 Apl. Professor an der Universität Gießen.

für Geobotanik und Ökologie an der Staatlichen Ivane Javakhishvili Universität Tiflis. Von 1982 bis 2006 leitete er das Institut für Botanik der Georgischen Akademie der Wissenschaften; seit 2006 Professor für Botanik an der Staatlichen Ilia Chavchavadze Universität Tiflis (seit 2009 em. Professor).

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Ergänzt werden diese aktuellen Erhebungen durch etwa 500 ältere Vegetationsaufnahmen aus dem Archiv von Prof. George Nakhutsrishvili (Tiflis) und anderen Quellen. Darüber hinaus stehen Informationen über frühere Landnutzungsformen (ab 1950) aus Luftbildern, Datenbanken und Befragungen zur Verfügung. Diese werden benötigt, um die Beziehungen der heutigen Phytodiversität vor dem Hintergrund des raum-zeitlichen Wandels der Landnutzung auszuwerten. Analysiert werden die Datensätze zur Phytodiversität im Geographischen Informationssystem (GIS) und mit modernen statistischen Methoden.

Habitattypen und ihre Indikatorarten Auswertungen des am Ende des ersten Projektjahres vorliegenden Datensatzes der aktuellen und älteren Vegetationsaufnahmen zeigen ein differenziertes Bild der Grünlandvegetation der Kazbegi-Region (1.100–3.600 m), die vorrangig von der Höhenlage, der Exposition (Nord-Süd-Ausrichtung) und der Hangneigung geprägt wird (Abb. 5). Aus diesen Eigenschaften lassen sich standörtlich definierte Habitattypen bilden, die durch charakteristische Artengruppen gekennzeichnet sind (Tabelle 1).

Den Grundstock des KaukasusGrünlandes bildet eine große Gruppe regelmäßig vorkommender Arten mit u. a. Bunter Trespe (Bromopsis variegata), Berg-Wegerich (Plantago atrata), Flachblättrigem Straußgras (Agrostis planifolia), Hügel-Glockenblume (Campanula collina), Kaukasischem Hornklee (Lotus caucasicus). Auffällig dabei ist, dass der Anteil an krautigen Spezies sehr hoch ist und es – im Gegensatz zum mitteleuropäischen Berg-Grünland – deutlich weniger Süßgräser-Arten enthält (siehe Abb. 1). Viele der vorkommenden Gräser allerdings zeigen eine charakteristische Bindung an unterschiedliche Standortverhältnisse, wo sie z. T. sehr dominant auftreten (Abb. 5). Sie können damit als Indikatorarten für die unterschiedenen Habitattypen gelten. Die Erfassung des Artenpotenzials und die Standortspektren dieser verschiedenen Grünlandtypen wird eine Grundlage für die Übertragung der Aussagen auf die Landschaftsebene und die Abschätzung der Landentwicklungspotenziale bilden. Aus der Abbildung ist ersichtlich, dass auf ebenen bis schwach geneigten Flächen in der unteren subalpinen Höhenstufe Violette Gerste (Hordeum violaceum), Wiesen-Schwingel (Festuca pratensis), Flachblättriges Straußgras (Agrostis planifolia) und Wiesen-

Tabelle 1: Anzahl der Indikatorarten in Habitattypen der Kazbegi-Region Exposition, Hangneigung

eben

Keine

20 (30)

Süden (135°–224°) Osten (45°–134°) und Westen (225°–314°) Norden (315°–45°)

moderat (<10°)

steil (>10°)

12 (86)

3 (91)

1 (40)

4 (105)

15 (16)

11 (74)

Die auf Patch-Ebene erhobenen Daten lassen sich Lebensraumtypen (Habitattypen) zuordnen, die für die Regionalisierung der Ergebnisse im GIS von Bedeutung sind. Jeder Habitattyp zeichnet sich durch charakteristische Arten (nach der Indikatorartenanalyse nach Dufrene & Legendre) aus. Die höchsten Zahlen spezifischer Pflanzenarten finden sich im ebenen Talgrünland und auf süd- und nordexponierten Flächen (Anzahl der Datensätze in Klammern).

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Rispengras (Poa pratensis) gemeinsam vorkommen und kennzeichnend sind für dichte Bestände mit hohen Deckungsgraden und höchsten Artenzahlen. An steilen, überwiegend nach Süden geneigten Hanglagen der unteren subalpinen Höhenstufe sind dagegen Schaf- und Walliser Schwingel (Festuca ovina, F. valesiaca) und Luerssens Schillergras (Koeleria luerssenii) typisch, an Nordhängen Draht-Schmiele (Avenella flexuosa), Vielblütige Hainsimse (Luzula multiflora) und WaldReitgras (Calamagrostis arundinacea). Mit ansteigender Höhenlage treten Alpen-Lieschgras (Phleum alpinum) und Borstgras (Nardus stricta) an ihre Stelle. Am steilsten ist es auf dem Grat von Bergfalten; dort bilden in Nordexposition Haarblättriges und Niedriges Schuppenried (Kobresia capillifolia, K. humilis) die Matrix für artenarme Vegetationspolster auf Kanten, die dem Wind ausgesetzt sind. Ebenfalls an sehr steilen südexponierten Hängen – aber nicht ganz so hoch hinauf – wächst Buntschwingel (Festuca varia). Dort, wo es weniger steil ist, kommen Adscharischer Flaumhafer (Helictotrichon adzharicum), Niederliegender Schwingel (Festuca supina) und Dunkle Segge (Carex tristis) an den Hängen vor. Abbildung 5 zeigt auch die Unterschiede im Artenspektrum zwischen Wiesen und Weiden. So gelten Violette Gerste, Wiesen-Schwingel, Flachblättriges Straußgras und Wiesen-Rispengras sowie Adscharischer Flaumhafer als typische Arten der Heuwiesen; dagegen kennzeichnen Schaf- und Walliser Schwingel sowie Luerrsens Schillergras beweidetes Grünland. Die vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass besonders die Wiesennutzung an Süd- und Nordhängen die artenreichsten Pflanzenbestände hervorbringt. Heutige Wiesen auf einigermaßen ebenen, entsteinten Standorten, die reich an Süßgräsern der Fettwiesen sind (Violette Gerste, Wiesen-Schwingel etc.), wurden dabei früher vermutlich als Ackerland

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Phytodiversität in Georgien

Abb. 5: DCA-Ordinationsdiagramm der Pflanzenarten (445 Aufnahmen) des Kazbegi-Grünlands. Im Diagramm sind die Schwerpunkte der Vorkommen von Süß-, Ried- und Sauergräsern, die typisch sind für die unterschiedlichen Grünland- und Rasen-Pflanzengemeinschaften der unteren subalpinen bis alpinen Höhenstufe, entlang der Gradienten (rote Pfeile) Exposition, Hangneigung und Höhenlage dargestellt.

für Hackfrucht- und Getreideanbau genutzt. Ob diese Vermutung zutrifft, soll durch Analysen der Bodensamenbank (Auskeimungsmethode) dieser Standorte geprüft werden. Neben den Arten des Grünlandes keimen aus den Bodenproben Ackerwildkräuter wie Hirten­ täschel-Kraut (Capsella bursa-pastoris), Weißer Gänsefuß (Chenopodium album), Hain-Hungerblümchen (Draba nemorosa) und Acker-Vergißmeinnicht (Myosotis arvensis), die als Indikator­ arten für den früher auf allen geeigneten Standorten weitverbreiteten Ackerbau gelten und die den Landnutzungswandel von Ackerland zu Heuwiesennutzung belegen.

Integrierte Auswertung Mittels verschiedener Modellierungsansätze sollen die Ergebnisse der Vegetationsanalysen auf Patch-Ebene in den Landschaftsraum übertragen werden. So werden in Zusammenarbeit mit Projekteinheit A im zweiten Projektjahr die Reflexionsspektren der abgrenzbaren Grünlandtypen mit einem Feldspektrometer vor Ort erfasst. Anschließend sollen die spek­ tralen Eigenschaften der Bestände mit den Farbwerten von Satellitenbildern der Region korreliert werden. Hierdurch wird im Bottom-up-Ansatz eine Brücke zwischen Vegetationsökologie und Fernerkundung geschlagen. Prognosen für Vorkommen und Verbreitung von

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Arten und Artengruppen bei sich ändernden Rahmenbedingungen sollen schließlich mit Hilfe weiterer Modellierungsansätze abgeleitet werden. So soll unter anderem das im Sonderforschungsbereich 299 „Landnutzungskonzepte für periphere Regionen“ an der Universität Gießen erarbeitete Modell ProF (Prognosis on Floristics; Waldhardt et al. 2010) auf Anwendbarkeit in der Projektregion geprüft und gegebenenfalls modifiziert werden. •

ǺǺ

Literatur

Myers, N. 1990: The biodiversity challenge: Expanded hot spot analysis. – The Environmentalist 10: 243-256. Myers, N. 2003: Biodiversity Hotspots Revisited.–BioScience 53 (10): 916-917. Nakhutsrishvili, G. 1999: The vegetation of Georgia (Caucasus). – BraunBlanquetia 15: 5-74. Nakhutsrishvili, G., Sikharulidze, S. & Abdaladze, O. 2006: Bakuriani – natural and cultural resources of the Borjomi region. – Institute of Botany,

Tbilisi and SDS (Swiss Agency for Development and Cooperation). 56 S. Nakhutsrishvili, G., Abdaladze, O., Kikodze, A. 2005: Khevi – Kazbegi region. – Institute of Botany, Tbilisi and Swiss National Science Foundation. 54 S. Waldhardt, R., Bach, M., Borresch, R., Breuer, L., Diekötter, T., Frede, H.G., Gäth, S., Ginzler, O., Gottschalk, T., Julich, S., Krumpholz, M., Kuhlmann, F., Otte, A., Reger, B., Reiher, W., Schmitz, K., Schmitz, P.M., Sheridan, P., Simmering, D., Weist, C., Wolters, V. & Zoerner, D: Evaluating today’s landscape multifunctionality and providing an alternative future: a normative scenario approach. – Ecology and Society 15(3): 30.

KONTAKT Prof. Dr. Dr. Annette Otte Justus-Liebig-Universität Professur für Landschaftsökologie und ­L andschaftsplanung IFZ, Heinrich-Buff-Ring 26-32, 35392 Gießen Telefon: 0641 99-37160 Annette.Otte@umwelt.uni-giessen.de

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Mehr Lebensqualität bei größerer Nachhaltigkeit Die sozioökonomische Lage der Bevölkerung in Bergregionen Georgiens Von Jennifer Volz, Nino Chkoidze und Ingrid-Ute Leonhäuser

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Mehr Lebensqualität bei größerer Nachhaltigkeit

Die Bevölkerung einer Region beeinflusst unausweichlich Natur und Umwelt. Die Lebensweise der Menschen wiederum hängt von den natürlichen Gegebenheiten vor Ort ab. Umwelt und Mensch beeinflussen sich folglich gegenseitig. Um dieser Interdependenz Rechnung zu tragen, wird im Rahmen des Forschungsvorhabens „amies“ im Teilprojekt D die sozioökonomische Lebenslage der Bevölkerung in den beiden Untersuchungsgebieten ­Kazbegi und Bakuriani erforscht. Die ermittelten Daten und Befunde dienen als Grundlage, wissenschaftlich basierte Empfehlungen an staatliche und nichtstaatliche Organisationen zu formulieren. Die Empfehlungen sollen dazu beitragen, die sozioökonomische Situa­ tion der ländlichen Bevölkerung zu verbessern und ihren Lebensraum im Sinne von Nachhaltigkeit lebenswert zu gestalten.

Die beiden Untersuchungsgebiete, Bakuriani (Abbildung) und Kazbegi, sind ländlich geprägt. Bakuriani liegt auf 1.700 Meter Höhe im Kleinen Kaukasus und hat insgesamt rund 33.000 Einwohner. Fotos: Jennifer Volz

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iel dieses Teilprojektes von „amies“ ist es, Daten für ein umfassendes Bild von den Lebensbedingungen, der Landnutzung, dem Klimawandel und der Biodiversität in den Untersuchungsgebieten zu gewinnen. Im Kontext von touristischen Aktivitäten spielt die Analyse des Anbieter- und des Nachfrageverhaltens unter wirtschaftlich-gesellschaftlichen Aspekten ebenso eine bedeutsame Rolle wie die Analyse deren Auswirkungen auf die natürliche und die soziale Umwelt.

Landwirtschaftliche Transformation in Georgien Ähnlich wie die anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion hat Georgien seit der Unabhängigkeitserklärung 1991 tief greifende politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformationsprozesse durchlebt. Gemessen am Pro-Kopf-Realeinkommen zählte das Land zusammen mit Estland und Lettland einst zu den reichsten Republiken der Sowjetunion. Aufgrund der Sezessionskonflikte in Südossetien und Abchasien und der Auflösung der früheren Wirtschafts- und Handelsbeziehungen sind die sozioökonomischen Standards gleich nach der Wende 1990 drastisch gesunken. Die gesamtwirtschaftliche Leistung ging von 1990 bis 1994 um 70 Prozent zurück (Weltbank, 2011). Somit erlitt Georgien eine der stärksten Rezessionen unter allen Transformationsländern.

Die ländlichen Gebiete und der ­grarsektor Georgiens erfuhren in A den letzten 20 Jahren ebenfalls umfassende Veränderungen. Zu Zeiten der Sowjetunion galt das Land als wichtigster Versorger der anderen Repu­ bliken mit Obst, Gemüse, Tee und Wein. Die landwirtschaftliche Produktion und die Nahrungsmittelindustrie wurden damals zentral geplant. Die Produktion auf verschiedenen Verarbeitungsebenen vollzog sich entlang der vertikal organisierten Herstellungs- und Lieferketten und wurde durch das System der zentralen Planwirtschaft bestimmt und koordiniert. Die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche befand sich in staatlichem Besitz und wurde durch kollektive (Kolchose) und staatliche (Sowchose) Betriebe bewirtschaftet und verwaltet. Fehlende Anreizsysteme, rigide staatliche Interventionen und Subventionen verhinderten eine marktorientierte und effiziente Unternehmensführung. Die agrarwirtschaftliche Transformation, die neben der Abschaffung der zentralen Planung, der Preiskontrollen und staatlichen Subventionen vor allem die Landreform beinhaltete, führte zu einer Ablösung der großen Betriebe durch kleinflächige, individuelle Landwirtschaft. Die starke Fragmentierung des Landes ist das Ergebnis der ersten Phase der Bodenreform, die 1992 begann und das Ziel verfolgte, die Landressourcen unter den privaten Haushalten (unentgelt-

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Volz, Chkoidze, Leonhäuser

Transformation – Armut – Subsistenzwirtschaft Transformation bedeutet hier ein grundlegender Wandel des politischen und gegebenenfalls des sozioökonomischen Systems in einer Gesellschaft. Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime sind die ehemaligen Ostblockländer in einem langwierigen Prozess des Systemwechsels begriffen, der sich gleichzeitig auf mehreren gesellschaftlichen Teilebenen vollzieht. Neben der Etablierung von neuen politischen Institutionen erfolgt die Einführung des marktwirtschaftlichen Systems, das anstelle der zentralen Planwirtschaft tritt. Armut bezeichnet die Unterversorgung einer Einzelperson oder Personengruppe mit materiellen und immateriellen Ressourcen, um ein menschenwürdiges Leben führen zu können. Während die absolute Armut einen Zustand beschreibt, in dem die zur Deckung des Existenzminimums

lich) so zu verteilen, dass sowohl die Selbstversorgung als auch die Belieferung der Stadtbevölkerung mit Nahrungsmitteln ermöglicht werden konnte (Lerman, 2005). Der primäre Vorteil dieser Strategie wurde darin gesehen, drohenden Hunger infolge des wirtschaftlichen Niedergangs und der bewaffneten Konflikte abzuwenden oder zumindest abzuschwächen. Während sich zu Sowjet-Zeiten nur etwa sieben Prozent der landwirtschaftlichen Fläche zwar nicht in Besitz aber in privatem Gebrauch befanden, wurde im Jahr 2003 ein Viertel des Landes privatisiert. Die Landwirtschaft diente auch als Auffangnetz für einige Arbeitslose aus den Städten. Im Unterschied zu den anderen Sow­jetrepubliken, in denen die ländliche Armut seit dem Beginn der Transformation stark anstieg, waren die ländlichen Gebiete in Georgien noch Mitte der 90er Jahre weniger

erforderlichen Ausgaben nicht getätigt werden können, bezieht sich die relative Armut auf die Einkommenssituation von Privathaushalten im Vergleich. Demzufolge gelten laut Weltgesundheitsorganisation Menschen als arm, wenn das monatliche Einkommen weniger als die Hälfte des Medians der Einkommensverteilung im Lande beträgt (Hemmer und Wilhelm, 2000). Subsistenzwirtschaft beschreibt eine Wirtschaftsform, in der der Großteil der landwirtschaftlichen Produktion, die z. B. durch die Großfamilien oder die Dorfgemeinschaft erzeugt wird, weitgehend für den Eigenverbrauch und nicht für die Vermarktung bestimmt ist. Diese Wirtschaftsweise ist durch ein niedriges Entwicklungsniveau der Produktionstechnik und der Arbeitsteilung gekennzeichnet.

von Armut betroffen als die Groß- und Kleinstädte. Diese Situation änderte sich allerdings im Zuge der gesamtwirtschaftlichen Erholung seit Ende der 90er Jahre: Mit anhaltendem Wirtschaftswachstum sank die städtische Armut kontinuierlich. Der Agrarsektor schien allerdings vom Aufschwung ausgeschlossen zu sein. Heutzutage sind es vor allem die ländlichen Gebiete, die unter hohen Armutsraten leiden (Kötschau et al, 2009).

Im Jahre 2005 wurde die zweite Phase der Landreform eingeleitet, die eine Entwicklung des effizienten Agrarsektors bezweckte und Möglichkeiten förderte, Land zu kaufen, zu verkaufen und zu verpachten. Im Unterschied zur ersten Phase wurde Land nun durch Auktionen oder direkte Verkäufe veräußert (ebenda). Zurzeit befindet sich über die Hälfte der landwirtschaftlichen Anbaufläche in Georgien in privatem Besitz.

Jugendliche in Kanobi in der Region Kazbegi.

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Mehr Lebensqualität bei größerer Nachhaltigkeit

Obwohl sich das Land durch seine günstigen klimatisch-geografischen Bedingungen und die reichen landwirtschaftlichen Traditionen auszeichnet, ist die georgische Landwirtschaft durch ihre geringe Produktivität charakterisiert. Während der Anteil der Agrarwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt von 28 Prozent 1990 auf 8 Prozent im Jahr 2008 fortlaufend gesunken ist, hat sich der Prozentsatz der in der Landwirtschaft Beschäftigten an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen seit 1990 fast verdoppelt. Die Ursachen der niedrigen Produktivität liegen in einem mangelnden Zugang zu Betriebsmitteln, zu günstigen Krediten und Absatzmärkten. Die landwirtschaft­lichen Kleinbetriebe sind zum überwiegenden Teil auf Subsistenzwirtschaft ausgerichtet. Durch den Wegfall der traditionellen Absatzmärkte sank die Produktion von Obst, Gemüse, Zitrusfrüchten und Tee drastisch. Die Landnutzungsstruktur hat sich ebenfalls verändert: Aufgrund der Planungsunsicherheit und des gestiegenen Selbstversorgungsbedarfs wurden mehrjährige Pflanzen durch einjährige ersetzt. Insgesamt ist die bewirtschaftete Fläche von 702 Tausend Hektar 1990 auf 290 Tausend im Jahr 2009 zurückgegangen. Die

727 597 4

Ackerland, einjährige Pflanzen

Ackerland, vorübergehend nicht bewirtschaftet Ackerland, Dauerkulturen

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Fleischproduktion ist von 170 Tausend Tonnen im Jahr 1990 auf 54 Tausend Tonnen 2009 ebenso gesunken wie die im selben Erhebungszeitraum beobachtete Milchproduktion von 659 Tausend Tonnen auf 551 Tausend Tonnen (Agriculture of Georgia 2007; 2009).

Forschungsregion Kazbegi Die Untersuchungsgebiete des Projektes, Kazbegi und Bakuriani, befinden sich in Bergregionen Georgiens im Großen und im Kleinen Kaukasus. Der Kreis („Rayon“) Kazbegi liegt im Norden des Landes an der Grenze zur Russischen Föderation. Bakuria-

Weiden und Wiesen

Abb. 1: Landnutzungsstruktur in Kazbegi, Angaben in Hektar (Quelle: Agriculture Census 2004).

ni gehört verwaltungstechnisch zum Borjomi-Kreis und liegt im südlichen Teil Georgiens. Die beiden Untersuchungsgebiete sind ländlich geprägt. Mit nur 5.261 Einwohnern ist Kazbegi der bevölkerungsärmste Kreis Georgiens. Außer der Kreisstadt Stepantsminda umfasst der Kreis 45 Dörfer, die ihrerseits in fünf Gemeinden zusammengefasst sind (Popula­ tion Census, 2002). Fast alle der 2.047 kleinbäuerlichen Betriebe in Kazbegi werden von Familien geführt. Die Landwirtschaft stellt für 88 Prozent dieser Betriebe die wichtigste Tätigkeit des Haushaltsvorstandes dar. 80 Prozent der kleinbäuerlichen Betriebe produzieren hauptsächlich für den Eigenverbrauch. Die Landwirtschaft in Kazbegi ist sehr klein strukturiert. Die Gesamtfläche des Landbesitzes von über 90 Prozent aller Betriebe liegt unter einem Hektar. Die durchschnittliche Anzahl der Parzellen pro Betrieb beträgt 2,7

Die Schafzucht dominiert die Tierhaltung in Kazbegi.

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3 13

Abb. 2: Landnutzungsstruktur in Borjomi (inklusive Bakuriani) Angaben in Hektar (Quelle: Agriculture Census 2004).

Ackerland, einjährige Pflanzen

Ackerland, vorübergehend nicht bewirtschaftet Gewächshäuser

(Agriculture Census, 2004). Aufgrund der natürlichen Gegebenheiten der Region, wie z. B. steile Hänge, hohe Lage und hartes Klima, ist Ackerbau nur sehr begrenzt möglich. Grünlandwirtschaft ist die Grundlage für die traditionelle landwirtschaftliche Tätigkeit der ortsansässigen Bevölkerung, in der vorwiegend die Tierhaltung, vor allem aber die Schafzucht dominiert. Kazbegi wurde wegen seiner einzigartigen Natur bereits im 19. Jahrhundert berühmt. Hierzu trugen der Bau der georgischen Heerstraße als Hauptverkehrsader der Region sowie die Berichte von Reisenden bei. Seit 1980 wurde im Dorf Gudauri ein relativ großer und moderner Skikomplex errichtet und ausgebaut. Außerdem ist Kazbegi durch viele natürliche und kulturelle Sehenswürdigkeiten zu einem beliebten Ausflugsziel für Bergsteiger und andere Touristen geworden.

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Forschungsregion Bakuriani Der Borjomi-Kreis („Rayon“), in dem sich der Untersuchungsort Bakuriani befindet, zählt insgesamt 33.074 Einwohner. Neben der Kreishauptstadt Borjomi, einem bekannten Kurort, umfasst der Kreis vier kleinere Städte (inklusive Bakuriani) und 38 Dörfer (Population Census, 2002). 99 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe im Kreis Borjomi werden von bäuerlichen Haushalten geführt; Agrarunternehmen machen lediglich ein Prozent aus. Nur für 38 Prozent aller Privathaushalte stellt die Landwirtschaft bei der Einkommenserzielung die wichtigste Quelle dar. 97 Prozent der in der Landwirtschaft erzeugten Produkte sind für den eigenen Verbrauch bestimmt.

Weiden und Wiesen

Mit 1,37 Hektar ist die durchschnitt­ liche Fläche der Betriebe etwas größer als in Kazbegi. Die durchschnittliche Parzellenzahl ist mit 2,6 mit der in Kazbegi vergleichbar (Agriculture Census, 2004). Aufgrund der heterogeneren natürlichen Bedingungen ist es im Kreis Borjomi eher möglich, neben der Tierhaltung auch Ackerbau zu betreiben. Der überwiegende Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche fällt jedoch auch hier auf Wiesen und Weiden. Die meisten Ortschaften im Kreis Borjomi sind touristische Erholungsund Feriengebiete. Insbesondere in den Sommermonaten sind hohe Besucherzahlen zu verzeichnen. Bakuriani gilt aber auch als Hauptstadt des Wintersports in Georgien, die schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts Möglichkeiten zum Skiurlaub bietet. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden die Hotelanlagen privatisiert und modernisiert. Das Landschaftsbild im Ort wird in den letzten Jahren von vielen Hotel-Neubauten geprägt.

Forschungsanliegen Im Hinblick darauf, Erkenntnisse zu gewinnen, ob und wie in den Untersuchungsgebieten die Lebenssituation

Frauen aus Stepantsminda, die typische kunsthandwerkliche Produkte herstellen.

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Mehr Lebensqualität bei größerer Nachhaltigkeit

Juta, ein abgelegenes Dorf in der Region Kazbegi.

der Bevölkerung nachhaltig zu verbessern ist, werden mögliche potentielle erwerbswirtschaftliche Aktivitäten untersucht, die weitere Einkommensquellen erschließen könnten. Die Landreform führte zu einer starken Fragmentierung des Landes, wodurch der Einsatz landwirtschaftlicher Maschinen, wie z.B. Traktoren, nicht rentabel ist. Es wird davon ausgegangen, dass durch die starke Fragmentierung des Landes die landwirtschaftliche Produktivität sehr gering ist, da die Landparzellen der Haushalte so weit voneinander entfernt liegen, dass die Bestellung der Parzellen mit landwirtschaftlichen Maschinen nicht gewinnbringend ist. Die Annahme, dass die landwirtschaftliche Produktivität in beiden Untersuchungsgebieten sehr niedrig ist, wird für beide Regionen anhand eigener Daten überprüft. Hinzu kommt, dass die formelle Registrierung der Landparzellen häufig problematisch ist, so dass einige Haushalte zwar Land besitzen, dieses aber weder für die Eigenversorgung noch für erwerbswirtschaftliche Zwecke nutzen können, weil sie nicht über ein legales Dokument über die Besitzverhältnisse verfügen. Die Registrierung stellt jedoch die wichtigste Voraussetzung für den Handel von Landparzellen dar. Erst die legal geregelten Besitzverhältnisse von Land ermöglichen dessen Ver- und Ankauf, so dass größere Flächen von einem Haushalt bewirtschaftet und somit höhere Erträge erzielt werden könnten. Abgesehen von den negativen Folgen der Fragmentierung des Landes für die Bevölkerung hat die Privatisierung auch zu Umweltproblemen geführt: Verschlechterung der Bodenqualität, Bodenerosion und die Abnahme der Biodiversität sind Folgen

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der veränderten Nutzung von Weideund Ackerland. Angesichts der aus der Landwirtschaft und dem Tourismus möglicherweise stammenden Einkommensquellen wird untersucht, ob und wenn ja, welche Aktivitäten die Haushalte entfalten, diese Betriebszweige auszubauen. Im Rahmen des Projektes werden die objektiven Lebensbedingungen der Bevölkerung und deren subjektive Einschätzung zur eigenen Lebenslage erhoben und ausgewertet. Auf der Basis der Forschungsergebnisse werden Empfehlungen sowohl an die betroffenen Haushalte als auch an die verantwortlichen politischen Entscheidungsträger formuliert.

Empirische Feldforschung Der im Jahr 2002 durchgeführte Zensus und eine 2004/2005 durchgeführte Erhebung zur Landwirtschaft liefern erste Daten über die Lebensbedingungen der gesamten georgischen Bevölkerung. Da die Erhebungen bereits einige Jahre zurückliegen und die Daten nicht die für das Forschungsvorhaben notwendige Detailtreue aufweisen, ist eine eigene

aktuelle Erhebung erforderlich. Um ein möglichst differenziertes Bild von der sozioökonomischen Lebenssituation der Bevölkerung in den beiden Untersuchungsgebieten zu erhalten, erfolgt eine Kombination von quantitativen und qualitativen Methoden (siehe Abbildung 3). Mithilfe eines standardisierten Fragebogens werden quantitative Daten zu Haushaltsstruktur, Landnutzung, Bewirtschaftungsform der bäuerlichen Betriebe, Lebenshaltung und zum Tourismusangebot erhoben. Anhand der statistischen Analyse werden hierzu mögliche Zusammenhänge zunächst regionalspezifisch untersucht. Im darauf folgenden Schritt gilt es, Vergleiche zwischen den beiden Untersuchungsregionen und den jeweils dazu zählenden Dörfern anzustellen. Die Forschungsarbeiten erfolgen in Kooperation mit der georgischen Partnerhochschule Ivane Javakhishvili Tbilisi State University. Als Nachwuchswissenschaftler stehen zwei georgische Doktoranden zur Verfügung, ohne deren soziokulturellen und sprachlichen Hintergrund die in Ergänzung zu den quantitativen Interviews durchzuführenden quali-

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Volz, Chkoidze, Leonhäuser

tativen Face-to-Face-Interviews und Fokusgruppendiskussionen nicht zu realisieren wären. Beide Erhebungen werden in der jeweiligen Region mit Dorfältesten und mit kommunalenlokalen politischen Entscheidungsträgern durchgeführt. Sie orientieren sich an Leitfragen zur Bewältigung des Lebensalltags, um zu erforschen,

wie dieser von den in den Regionen lebenden Menschen selbst subjektiv wahrgenommen wird. Um, wie schon angedeutet, das Potenzial der Tourismusbranche als zusätzliche Einnahmequelle zu ermitteln, werden ebenso qualitative Interviews genutzt. Hierbei werden sowohl private Haushalte, die einzelne

Zimmer vermieten, als auch die ortsansässigen Hotels unterschiedlicher Größenordnung betrachtet. Durch die Kombination der qualitativen und quantitativen Interviews mit ihren unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten ist es möglich, Wechsel­ beziehungen aufzudecken und besser zu verstehen.

DIE AUTORINNEN Jennifer Volz, Jahrgang 1986, studierte Diplom-Sozialwissenschaften mit den Studienelementen Psychologie und Psychosoziale Medizin und mit dem Schwerpunkt Empirische Sozialforschung / Statistik. Von 2008 bis 2010 arbeitete sie als studentische Hilfskraft am Institut für Politikwissenschaft als Statistiktutorin. Von März 2010 bis September 2011 war sie als studentische Hilfskraft im Projekt amies tätig. In

Schwerpunkten Politikwissenschaft und Europäische Wirtschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Seit März 2007 arbeitet sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Zentrum für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung und ist für die Betreuung des englischsprachigen Masterprogramms „Transition Studies“ zuständig. Ihr Dissertationsprojekt befasst sich mit der polit-ökonomischen Analyse der ukra-

Ernährungssicherung. Ihre Forschungen umfassen empirische Untersuchungen zum Ernährungs- und Konsumverhalten sowie zur Ernährungssicherung unter sozioökonomischen Aspekten in Industrie-, Transformations- und Entwicklungsländern. Sie ist u. a. Leiterin des von der EU geförderten Projektes HENNA – Establishment of Higher Education Network for Applied Human Nutrition between Eastern Africa

dieser Zeit hat sie wesentlich zur Vorbereitung der Feldforschung beigetragen und im Rahmen ihrer Diplomarbeit den quantitativen Fragebogen entwickelt und in den Forschungsregionen getestet. Seit Oktober 2011 ist sie Doktorandin im Projekt „amies – Wechselwirkungen von ökologischen und sozialen Prozessen in Bergregionen Georgiens“.

inischen Agrar- und Handelspolitik. Seit Mai 2010 arbeitet sie zudem im Rahmen des Projektes „amies – Wechselwirkungen von ökologischen und sozialen Prozessen in Bergregionen Georgiens“ und wertete erste sozioökonomische Daten aus offiziellen Statistiken aus.

and Europe. Sie ist eine der Mitantragsteller des Projektes „amies – Wechselwirkungen von ökologischen und sozialen Prozessen in Bergregionen Georgiens“. Mitgliedschaften: Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (kooptiert); Wissenschaftlicher Beirat für Verbraucher- und Ernährungspolitik beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz; International Federation for Home Economics; Editorial Board Member: International Journal of Human Ecology; Family & Consumer Sciences Research Journal.

Nino Chkoidze, Jahrgang 1978, studierte internationale Beziehungen an der Staatlichen Universität Tiflis, Georgien. Anschließend absolvierte sie das Masterstudium mit den

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Ingrid-Ute Leonhäuser, Jahrgang 1948, ist seit 1990 Professorin im Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Gießen. Seit 1999 arbeitet sie zudem im Zentrum für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung (ZEU), Sektion

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Mehr Lebensqualität bei größerer Nachhaltigkeit

Erfassung der Landnutzung durch eigene Erhebung: quantitativer Fragebogen

Untersuchung von Schwerpunktthemen in Fokusgruppendiskussionen: qualitative Interviews

Erforschung des Tourismussektors als zusätzliche Einnahmequelle: qualitative Interviews

Erfassung der sozioökonomischen Struktur der Bevölkerung

Schwerpunkte der quantitativen Befragung Für die quantitative Befragung wurde zunächst ein Fragebogen entwickelt. Er wurde auf der Basis von Sekundärdaten und aufgrund der während der Forschungsfelderkundung im Mai 2010 gewonnenen Erkenntnisse und den daraus resultierenden Hypothesen konzipiert. In Gesprächen mit Dorfbewohnern konnten außerdem wertvolle Einsichten gewonnen werden; so machte beispielsweise eine Dorfbewohnerin auf die problematische Nutzung von Erdgas aufmerksam: Den Bewohnern in Kazbegi ist es zwar gestattet, Erdgas aus der durch diese Region führenden Pipeline zu nutzen, jedoch nur für private Zwecke. Diese Energiequelle steht beispielsweise für den erwerbswirtschaft­ lichen Gemüseanbau nicht zur Verfügung. Daher sieht man mittlerweile zahlreiche baufällige Gewächshäuser für Obst und Gemüse, die nicht mehr in Betrieb sind. Da die Landwirtschaft eine bedeutende Rolle spielt, beschäftigt sich der größte Teil des Fragebogens mit der Landnutzung. Neben Erzeugnissen aus Ackerbau, wie beispielsweise Kartoffeln, sind auch tierische Produkte von Interesse: Welche und wie viele Tiere besitzt ein Haushalt? Durch die Forschungsfelderkundung wurde bereits deutlich, dass in den Untersu-

chungsgebieten am häufigsten Schafe, Kühe und Schweine gehalten werden, meist in recht geringen Stückzahlen. Neben diesen Informationen, die für die objektive Erfassung der sozioökonomischen Lebenssituation von Bedeutung sind, werden die Befragten auch nach ihrer subjektiven Zufriedenheit gefragt. Für die weitere Untersuchung ist außerdem von Interesse, wie hoch der Anteil der selbst konsumierten Erzeugnisse aus der Viehwirtschaft im Vergleich zu den verkauften Erzeugnissen ist. Um Zusammenhänge zwischen diesen Informationen und Merkmalen der einzelnen Haushalte herstellen zu können, richtet sich ein Teil des Fragebogens auf die Erhebung der soziodemografischen Variablen aller Haushaltsmitglieder. So können Haushaltstypen klassifiziert

Abb. 3: Kombinierter Forschungsansatz: Zusammenwirken quantitativer und qualitativer Methoden.

und gesondert betrachtet werden. Als wichtige Variable wird auch die Art der Erwerbstätigkeit der einzelnen Haushaltsmitglieder erachtet sowie die Anzahl der Einkommen und deren Herkunft. Denkbar ist hier beispielsweise der Verkauf eigener Lebensmittel und handwerklicher Produkte auf Märkten und/oder auch eine Tätigkeit im Tourismussektor als zusätzliche Einkommensquelle („plural income activities“). Inwieweit und aufgrund welcher Motive die Haushalte touristische Angebote machen, wird sowohl anhand des Fragebogens als auch in den Gruppendiskussionen erforscht. Im Gespräch mit ausländischen Touristen wurde deutlich, dass diese im Fall von Kazbegi eher durch „Mundzu-Mund-Propaganda“ als beispielsweise durch Informationen aus dem Internet auf ihr Urlaubsziel gestoßen waren. Es fehlt also auch an Marketing-Strategien, die auf das Angebot aufmerksam machen.

Tierhaltung prägt das Landschaftsbild in der Region Kazbegi.

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Vorgehensweise Zunächst wurden im Rahmen eines Pretestes elf Interviews pro Untersuchungsregion geführt. Hierzu konnten Personen gewonnen werden, die sich gerade vor ihrem Haus im Garten oder auf der Straße aufhielten. Andere waren nicht dazu bereit, an einem Interview teilzunehmen. Insgesamt erfuhren die Interviewer aber eine beeindruckende Aufgeschlossenheit – selbst bei sensiblen Themen, wie z.B. dem eigenen Einkommen. In Kazbegi schienen die Bewohner auch froh darüber zu sein, dass sich jemand für ihre Lebenssituation interessierte. Im Anschluss an die Interviews erörterten die georgischen Interviewer mit der Studienleitung Schwierigkeiten, die bei den Interviews auftraten. Diese wurden dokumentiert, um den Fragebogen zu modifizieren. Die Hauptbefragung von ca. 300 Haushalten fand im Juni und im Juli 2011 statt. Der erste Eindruck, dass

landwirtschaftliche Erzeugnisse in den Regionen Kazbegi und Bakuriani hauptsächlich zur Deckung des Eigenbedarfs verwendet werden, konnte bereits bestätigt werden. Die weitere Analyse der Daten wird tiefere Einblicke in die Art und Weise der Landnutzung geben und aufzeigen, welchen Stellenwert Tourismus bei der Zusammensetzung des Einkommens einnimmt.

Theoretisches Modell Von besonderem Interesse ist es, auch geplante Handlungen der Haushalte zur Verbesserung ihrer sozioökonomischen Situation zu erheben. Hierzu bietet sich die Theorie des geplanten Verhaltens nach Icek Ajzen (1985) an. Durch diese Theorie kann betrachtet werden, ob bzw. inwieweit die Haushalte beabsichtigen, innerhalb der nächsten Jahre in verschiedenen landwirtschaftlichen und touristischen Betriebszweigen zu expandieren. Im Kontext der Forschungsfragen,

Die Theorie des geplanten Verhaltens nach Icek Ajzen (1985) ist ein sozialpsychologischer Ansatz, um zukünftiges Verhalten zu erklären. Hierzu dient

Theorie des geplanten Verhaltens die Intention als wichtigstes Merkmal bzw. Prädiktor zur Verhaltensvorhersage. Nach der Theorie wird „Intention“ anhand der drei Konstrukte „Einstellung gegenüber der Verhaltensweise“, „subjektive Norm“ und „wahrgenommene Verhaltenskontrolle“ erklärt (Icek Ajzen, 1985: S. 182. Siehe Abb. 4). Diese Konstrukte werden jeweils durch ein Set von Items gemessen. Bei jedem Item erfolgt durch den Befragten eine Einstufung auf einer Skala. Die Einstellung gegenüber der zu untersuchenden Verhaltensweise wird durch Items gemessen, die abfragen, ob jemand das Verhalten als positiv oder negativ bewertet. Unter dem Aspekt der subjektiven Norm wird berücksichtigt, dass Menschen in ihrem Verhalten von ihrem sozialen Umfeld beeinflusst werden. Die wahrge-

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die für das Gesamtprojekt „amies“ von Bedeutung sind, wird das unten abgebildete Modell um wesentliche Konstrukte erweitert. Dies sind die „Selbsteinschätzung der eigenen wirtschaftlichen Gestaltungskraft“, die „Bereitschaft mit anderen zusammenzuarbeiten“ und eine Art „Unternehmergeist“. Mithilfe der Verhaltensabsichten der Bevölkerung soll auch untersucht werden, wie nachhaltige Landnutzung erfolgen kann, so dass Mensch und Natur in Einklang miteinander leben können.

Ausblick Die durch Feldforschungserkundung, Pretest und persönliche Interviews gewonnenen Befunde haben erste Einsichten in die Lebenssituation der Bevölkerung in Kazbegi und Bakuriani geliefert. Die noch auszuwertenden Erhebungsdaten werden weiter dazu beitragen, die beiden Regionen in ihrem sozioökonomischen und Landnut-

nommene Verhaltenskontrolle betrachtet letztendlich, inwiefern jemand davon ausgeht, dass er eine Intention auch in die Tat umsetzen kann. Neben den von Icek Ajzen benannten Konstrukten Einstellung, subjektive Norm und wahrgenommene Verhaltenskontrolle kann das Modell um zusätzliche Konstrukte erweitert werden.

Einstellung gegenüber der Verhaltensweise

Subjektive Norm

Intention Absicht

Verhaltensweise

wahrgenommene Verhaltenskontrolle

Abb. 4: Theorie des geplanten Verhaltens nach Icek Ajzen (1985).

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Mehr Lebensqualität bei größerer Nachhaltigkeit

Straße in Bakuriani in der Region Borjomi.

zungsprofil zu identifizieren. So wird beispielsweise davon ausgegangen, dass die derzeitige Nutzung der Weideflächen durch Schaf-, Milch- und Rinderherden in Kazbegi zu einer Unternutzung und in Bakuriani zu einer Übernutzung führt. Sowohl Unter- als auch Übernutzung können sich negativ auf die Pflanzenvielfalt auswirken. Diese Erkenntnisse gilt es mit denen aus dem Teilprojekt C „Changes in Phytodiversity“ abzugleichen. Die Zusammenführung der Ergebnisse aus den einzelnen Teilprojekten ermöglicht es, regional differenzierte Empfehlungen zu entwickeln, die sich an betroffene landwirtschaft­liche Haushalte, politische Entscheidungsträger in den Kommunen und an Un-

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ternehmer in der sich entfaltenden Tourismusbranche richten. Die regionalen Akteure könnten sich für eine nachhaltige Landnutzung und einen sanften Tourismus einsetzen, um so die Lebensqualität der Bevölkerung anzuheben und gleichzeitig die natürliche Schönheit der Regionen zu schützen. •

ǺǺ

LITERATUR

Hemmer, Hans-Rimbert und Wilhelm, Rainer (2000): Fighting Poverty in Developing Countries. Principles for Economic Policy. Zentrum für Internationale Entwicklungs- und Umweltforschung (Hrsg.): Schriften zur Internationalen Entwicklungsund Umweltforschung. Band 1 Kötschau, Kerstin; Sepashvili Eka; Narimanidze, Nino (2009): Agriculture in Georgia - Commercial Sector or Social Safety Net? In: King, Lorenz; Khubua, Giorgi (Hrsg.): Georgia in Transition, Experiences and Perspectives, Schriften Zur Internationalen Entwicklungs- und Umweltforschung, Justus-Liebig Universität Gießen Lerman, Zvi (2005): Farm Fragmentation and Productivity: Evidence from Georgia, Discussion Papers from Hebrew University of Jerusalem, Department of Agricultural Economics and Management Statistisches Amt Georgiens: Population Census 2002; Agriculture Census 2004; Agriculture of Georgia 2007; Agriculture of Georgia 2009

KONTAKT Prof. Dr. Ingrid-Ute Leonhäuser Justus-Liebig-Universität Zentrum für internationale Entwicklungsund Umweltforschung (ZEU) Senckenbergstraße 3 35390 Gießen Telefon: 0641 99-39081 Ingrid-Ute.Leonhaeuser@ernaehrung.unigiessen.de

Ajzen, Icek (1985): From Intentions to Actions: A Theory of Planned Behavior. In: Kuhl, Julius und Beckmann, Jürgen (Hrsg.): Action-Control: From Cognition to Behavior. Heidelberg, Springer. S. 11-39

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Gold schürfen – Gift ernten Bergbaubedingte Schwermetallbelastung von Böden im Südosten von Georgien Von Peter Felix-Henningsen, Eliso Narimanidze-King, Diedrich Steffens, Sylvia Schnell, Thomas Hanauer, Stephan Jung und Hülya Kaplan

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Gold schürfen – Gift ernten

Georgien war einst der Gemüse-, Tee- und Obstgarten der Sowjet­ union. Auch heute ist das kaukasische Land auf seine Landwirtschaft angewiesen. Doch die Lebensgrundlage der Bevölkerung beispielsweise im Tal des Mashavera-Flusses im Südosten Georgiens wird durch massive Umweltprobleme bedroht: Die fruchtbaren Böden der ­Region sind mit den Schwermetallen Cadmium, Kupfer und Zink belastet. Diese stammen aus dem Abraum und Abwasser eines Gold- und Kupfertagebaus am Oberlauf des Masha­ vera. Durch Haldenerosion und Abwassereinleitung belasten sie den Fluss und gelangen über das Flusswasser, das zur Bewässerung der landwirtschaftlichen Nutzflächen eingesetzt wird, auf die Böden der Äcker und Gärten des Tals und nach der Aufnahme der Metalle durch die angebauten Nutzpflanzen auch in die Nahrungskette. Des Weiteren schränken die hohen Schwermetallgehalte die Lebensraumfunktionen der Böden ein, was sich durch eine verringerte mikrobielle Aktivität bemerkbar macht. Wie hoch die tatsächliche Belastung ist und ob es Möglichkeiten gibt, die Bodenfunktionen auf den belasteten Flächen wiederherzustellen, wird in einem Forschungsprojekt untersucht, das die VolkswagenStiftung finanziert. Der Mashavera-Fluss, der durch das Untersuchungsgebiet fließt, ist mit Abraum eines Kupfer- und Goldtagebaus belastet. Die äußerst fruchtbaren Böden des Mashavera-Tals werden intensiv landwirtschaftlich genutzt. Eine große Gefahr für die Nahrungskette entsteht durch die Belastung der Böden mit Schwermetallen, die bei der Bewässerung mit der Schwebfracht in die Böden gelangen.

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G

eorgien wird im Norden, Nordosten und im Süden durch die beiden Kämme des Großen und des Kleinen Kaukasus begrenzt. Im Westen bildet das Schwarze Meer die natürliche Landesgrenze. Die Fläche des Landes beträgt rund 69.700 km 2 – das entspricht in etwa der Größe Bayerns – und die Einwohnerzahl etwa 4,4 Millionen. Der Gebirgszug Lichi teilt das Land in Ost- und Westgeorgien. Diese unterscheiden sich durch ihr Relief, Klima, die Böden und die Landnutzung deutlich voneinander. Klimageografisch gehört Georgien zum Südrand der temperaten Zone; allerdings führt der abnehmende Höhengradient des Reliefs zwischen Ost- und Westgeor­ gien zu deutlichen klimatischen Unterschieden der einzelnen Landesteile: von niederschlagsreichen, warm temperaten Bedingungen im Westen bis zu trockenen und gemäßigt kontinentalen Bedingungen im Osten. Traditionell ist Georgien ein Agrarland. Zu sowjetischen Zeiten war die Landwirtschaft großflächig organisiert und auf den Export vor allem von Tee, Wein, Obst und Zitrusfrüchten ausgerichtet. Die Landwirtschaft hat zu sowjetischen Zeiten dazu beigetragen, dass Georgien den höchsten Lebensstandard innerhalb der ehemaligen Sowjetunion erreichte. Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts war auch der Agrarsektor einem

Wandel unterworfen. Dieser führte zu einer Privatisierung der staatlichen landwirtschaftlichen Flächen und somit zu einer Reorganisation bzw. Aufspaltung der Kolchosen in kleinere private Betriebe.

Das Untersuchungsgebiet Das Untersuchungsgebiet liegt in der Region Bolnisi in Südost-Georgien im Kleinen Kaukasus, etwa 80 km südlich der Hauptstadt Tiflis (Tbilisi). In dieser

Die Kooperationspartner Auf georgischer Seite sind Prof. Tengiz Urushadze, Prof. Besik Kalandaze und Levan Navrozashvili vom Institut für Geografie der Staatlichen IvaneJavakishvili-Universität in Tiflis an dem Forschungsprojekt beteiligt. Sie organisieren die Feldkampagnen vor Ort und betreuen Feldversuche und Probenahme. Außerdem sind sie entscheidend für den Kontakt sowohl zur Bevölkerung des Mashavera-Tals, wie auch zu Politikern und Behörden.

Region herrscht klimatisch eine ausgeprägte Kontinentalität. Die Klimastation Bolnisi verzeichnet im langjährigen Mittel einen Jahresniederschlag von 504 mm bei einer Jahresdurchschnittstemperatur von 12,4°C.

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Felix-Henningsen u.a.

Abb. 1: Lage des Untersuchungsgebietes im Einzugsgebiet des Flusses Mashavera in Georgien, etwa 80 km südlich der Hauptstadt Tiflis in Süd-Ost-Georgien. (Quelle: Wikipedia.org; Don-kun, Bourrichon, verändert)

Im Untersuchungsgebiet sind Variationen von dunklen, tiefgründig humosen und sehr fruchtbaren Böden, als Kastanozeme und Chernozeme bezeichnet, anzutreffen. Besteht die Möglichkeit, landwirtschaftliche und gärtnerische Nutzflächen zu bewässern, so handelt es sich in dieser Klimaregion um einen agrarwirtschaftlichen

Vorzugsraum. Allerdings ist die landwirtschaftliche Nutzung im Gebirge durch die steile Hangneigung auf die Täler beschränkt. Das Hauptfließge-

wässer des Untersuchungsgebietes ist der Fluss Mashavera, dessen Quellgebiet westlich des Mashavera-Tals liegt.

Bergbau vs. Landwirtschaft

Teilnehmer des Filmprojektes sciencemovies der VolkswagenStiftung

Sciencemovies In einer Förderinitiative unter dem Titel „Wissenschaft – Öffentlichkeit – Gesellschaft“ stärkt die VolkswagenStiftung seit langem den Dialog zwischen Forschung und Gesellschaft. Mit dem Videoblog ­sciencemovies weist die Stiftung acht ausgewählten Förderprojekten den Weg in die Öffentlichkeit. Hierfür haben die Wissenschaftler selbst über ein halbes Jahr lang ihren jeweiligen Forschungsalltag mit der Kamera begleitet. In den Videobeiträgen geben sie einen lebendigen Einblick in ihre wissenschaftliche Arbeit. Jedes Projekt wird in zehn Folgen mit einer Länge von jeweils etwa drei Minuten vorgestellt, so auch das Projekt „Schwermetallbelastung der Böden im Mashavera-Tal“: http://www.sciencemovies.de

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Die landwirtschaftlich genutzten, fruchtbaren Böden des Tals werden seit mehr als vier Jahrzehnten großflächig durch schwermetallhaltiges Bewässerungswasser mit Cadmium, Kupfer und Zink kontaminiert. Verursacher der anhaltenden Belastung ist der nahe der Siedlung Kazreti gelegene „Madneuli“-Tagebau. Hierbei handelt es sich um den größten Buntmetalltagebau des Landes, in dem der Abbau von kupfer- und goldhaltigen Erzen erfolgt. Auf Grund der fehlenden Abdeckung von schwermetallund sulfidhaltigen Abraumhalden und veralteter technischer Anlagen kommt es zum unkontrollierten Eintrag von saueren Minenabwässern (auch bekannt als „acid mine drainage“) und zur Abwassereinleitung in die benachbarten Fließgewässer. Insbesondere über den Nebenfluss Kazretula gelangen auf diese Weise große Mengen an schwermetallhaltigen Schwebstoffen in den Mashavera. An der Einmündung des Kazretulas in den Mashavera werden pH-Werte von 2,8 gemessen, die mit stark erhöhten Konzentrationen von

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Gold schürfen – Gift ernten

Was eigentlich sind Schwermetalle …? Definitionsgemäß sind Schwermetalle Metalle mit einer Dichte von 3,5–5 g cm-3. Dazu zählen zum einen die für den Stoffwechsel von Menschen, Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen essentiellen Spurenelemente, wie z.B. Eisen, Mangan und Zink, andererseits aber auch solche Metalle, die entweder keine physiologische Bedeutung besitzen oder sogar schon in geringen Konzentrationen toxisch wirken, wie z.B. Blei, Cadmium oder Quecksilber. Auch das Halbmetall Arsen wird aufgrund seiner Dichte, der Toxizität seiner Verbindungen und teilweise ähnlicher chemischer Reaktionen häufig noch mit zu den Schwermetallen gezählt.

… wie gelangen sie in den Boden…? Im Gegensatz zu den meisten organischen Schadstoffen kommen Schwermetalle als natürlicher Bestandteil der Minerale in Gesteinen und damit auch dem Boden vor (lithogener Ursprung); sie sind nicht abbaubar. Allerdings werden sie

durch Erzbergbau und Metallverarbeitung, aber auch durch Abfälle, Düngemittel, Staub und Abgase im Oberboden lokal und regional angereichert (anthropogener Eintrag).

… und wie kommen sie in die Nahrungsmittel? Generell gilt, dass jede Pflanze essentielle Metalle, darunter auch Kupfer und Zink, in geringen Mengen als Spurenelemente benötigt und aufnimmt. Aber auch bei diesen führt eine Überversorgung zu einer Schädigung, wie Wachstumsdepressionen etc.. Allerdings werden auch nicht-essentielle oder gar toxische Metalle, wie beispielsweise Cadmium, von allen Pflanzen aufgenommen. Doch gibt es erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Aufnahme von Schwermetallen zwischen den verschiedenen Pflanzenarten. Ein sehr hohes Anreicherungsvermögen haben Salat, Spinat, Karotten oder Kresse, während Bohnen, Erbsen, Tomaten oder Paprika deutlich geringere Mengen an Schwermetallen aufnehmen. Des Weiteren gilt, dass Schwermetalle bevorzugt in den vegetativen Pflanzenteilen wie Blätter und Stängel eingelagert werden, während sie in generativen Pflanzenteilen, also den Früchten, in deutlich geringerem Maße angereichert werden.

Abb. 2a (links): Abraumhalde des Erztagebaus mit deutlichen Spuren der Erosion. Abb. 2b (oben): Das mit Schwebfracht belastete Wasser in einem Zufluss zum Mashavera ist durch die Oxidation sulfidischer Erzpartikel stark versauert und mit Schwermetallen belastet.

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Felix-Henningsen u.a.

Abb. 3: In einer Fabrik der Ortschaft Kazreti werden die Erzpartikel vom Gestein durch Flotation getrennt. Die durch sukzessive Aufschüttung entstandenen Damm­ generationen eines riesigen Beckens für Flotationsrückstände, das sich oberhalb eines Wohngebietes befindet, werden nur spärlich von Vegetation bewachsen und unterliegen der Erosion. Das Erosionsmate­ rial wird in den Mashavera gespült.

Abb. 4: Der Oberflächenabfluss der Halden und die Abwässer der Flotationsanlage der Fabrik in Kazreti transportieren Schwebfracht in den Mashavera, insbesondere über dessen Nebenfluss Kazretula.

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Justus-Liebig-Universität Gießen


Gold schürfen – Gift ernten

Cadmium, Kupfer und Zink im Gewässer einhergehen. Das belastete Wasser des Mashavera wird über mehrere Kanäle in das Bewässerungssystem des Tales eingespeist und gelangt dadurch auf die landwirtschaftlich genutzten Flächen, die unterhalb des Kanalsystems liegen. Daher werden die mit Mashavera-Wasser bewässerten Böden groß­ flächig mit Schwermetallen befrachtet. Zu Beginn unseres Forschungsprojektes bestand der Verdacht, dass auf Grund der seit Jahrzehnten bestehenden Haldenerosion und Abwassereinleitung die bewässerten Böden erheblich mit Schwermetallen belastet sind und dementsprechend auch von einer Belastung der Nahrungskette auszugehen sei.

Wie schlimm ist es wirklich …für den Boden? Ein Charakteristikum der Böden im Untersuchungsgebiet sind hohe Tongehalte von bis zu 62 %. Die pHWerte der Böden liegen zumeist im sehr schwach bis schwach alkalischen

Spiegel der Forschung · Nr. 2/2011

Tabelle 1: Hintergundwerte der Schwermetalle im Untersuchungsgebiet Cadmium

Kupfer

Zink

≤ 0,45 mg kg-1

≤ 89 mg kg-1

≤ 140 mg kg-1

Bereich und bieten damit ideale Voraussetzungen, Schwermetalle in einer schwer pflanzenverfügbaren Form zu binden. Einen ebenfalls positiven Einfluss auf die Immobilisierung der eingetragenen Schwermetalle haben neben den hohen pH-Werten und Tongehalten auch die relativ hohen Humus- und Carbonatgehalte der Böden. Um eine objektive Aussage zur Schwermetallbelastung der Böden treffen zu können, wurden die Eigenschaften der landwirtschaftlich und gärtnerisch genutzten Böden untersucht und deren Gehalte an Cadmium, Kupfer und Zink ermittelt. Die Schwermetallanalytik wurde sowohl an Oberflächenmischproben als auch an Horizontproben unterschiedlicher Tiefe von aufgegrabenen Bodenprofilen durchgeführt. Oberflächenmischproben sind Mischproben der ober­sten 20 cm, die aus mehreren sta-

tistisch verteilten Proben pro Fläche bestehen. Profilproben hingegen sind Mischproben der unterschiedlichen Horizonte (Tiefenabschnitte) eines Bodenprofils. Durch die Profilproben wurden Kenntnisse über eine mögliche Tiefenverlagerung von Schwermetallen gewonnen. Neben den Gesamtgehalten, die im Königswasserextrakt bestimmt wurden, einer Lösung aus einem Teil Salpeter- und drei Teilen Salzsäure, wurden auch die in Ammoniumnitrat-Extrakt, einer verdünnten Salzlösung, gelösten Cadmium-, Kupfer- und Zink-Konzentrationen be-

Abb. 5a und b: Belastung (Total­ gehalte) der Oberböden mit den Schwermetallen Cadmium (a), Kupfer und Zink (b) in Abhängigkeit von der Landnutzung.

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Felix-Henningsen u.a.

stimmt. Die mit Ammo­niumnitrat ex­ trahierten Schwermetalle sind für die Beurteilung der aktuellen ökotoxikologischen Situation der Böden von vorrangigem Interesse, da es sich hierbei annäherungsweise um die potentiell pflanzenverfügbaren und mit dem Sickerwasser verlagerbaren Schwermetallanteile handelt. Ob auf Grund der eingetragenen Schwermetalle eine schädliche Veränderung der landwirtschaftlichen Böden und damit eine Gefährdung der Nahrungskette besteht oder in Zukunft zu erwarten ist wurde an Hand der deutschen Bundesbodenschutzverordnung (BBodSchV, 1999) beurteilt. Der Rückgriff auf deutsche bzw. europäische Grenzwerte (s.u.) ist nötig, da in Georgien noch keine entsprechenden Regelwerke existieren. Die Schwermetallgehalte der Oberböden werden im Wesentlichen durch die Nutzungsart des Standortes bestimmt. Hierbei weisen die am längs-

ten und intensivsten mit belastetem Mashavera-Wasser bewässerten Flächen auch die höchsten Cadmium-, Kupfer- und Zink-Gehalte auf. Die Belastung nimmt dabei in der Reihenfolge Acker < Hausgärten < Wein- und Obstgärten (mit Gemüse als Unterfrucht) zu. Diese Abfolge wird durch die Bewässerungsintensität bestimmt, die in gleicher Weise zunimmt. Während unbewässerte oder mit unbelastetem Wasser versorgte Böden in der Regel typische Hintergundwerte (d. h. Schwermetallgehalte, die durch den natürlichen Mineralbestand des Bodens bedingt sind) der Region für Schwermetalle aufweisen (Tabelle 1), kommt es auf den mit MashaveraWasser bewässerten Flächen zu einer erheblichen Überschreitung der Hintergrundwerte – in einigen Fällen sogar um das bis zu 30fache! Auf Grund der Bodeneigenschaften (Tongehalt, Humusgehalt, Carbonate etc.) liegen trotz hoher Gesamtgehalte

nur geringe Anteile von Schwermetallen in der mobilen, mit Ammonium­ nitrat extrahierbaren Fraktion vor. Im Falle von Cadmium sind es maximal 1,5 % und für Kupfer und Zink weniger als 1 % der Gesamtgehalte. Aber vor allem auf intensiv bewässerten Gemüse- und Weinanbaustandorten mit hohen Gesamtgehalten werden auch die geringen löslichen Cadmium-Gehalte zu einer ökotoxikologisch relevanten Größe. Vor dem Hintergrund der BBodSchV zeigt sich, dass im Untersuchungsgebiet bereits in einem erheblichen Umfang schädliche Veränderungen der Böden bestehen, die Nutzungseinschränkungen und Sanierungsmaßnahmen erforderlich machen. Hiervon sind mehr als die Hälfte der Standorte mit Dauerkulturen und rund 30 % der untersuchten Hausgartenflächen betroffen. Ackerbaulich genutzte Flächen dagegen zeigen schädliche Bodenveränderungen im Sinne der

DIE AUTOREN Peter Felix-Henningsen, Jahrgang 1949, Studium der Agrarwissenschaften an der Christian-Al­brechtUniversität in Kiel, Promotion 1979; Habilitation 1988 an der FriedrichWilhelm-Universität in Bonn; seit 1994 Leitung des Instituts für Bodenkunde und Bodenerhaltung an der Justus-Liebig-Universität ­Gießen.

Eliso Narimanidze-King, Jahrgang 1960, Studium der Physik an

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der Staatlichen Universität Tiflis; 1993 Promotion an der Lomonosov-Universität Moskau; bis 2004 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für internationale Entwicklungs- und Umweltforschung (ZEU) der Universität Gießen; seitdem regelmäßige Mitarbeit an Projekten des ZEU. Diedrich Steffens, Jahrgang 1954, Studium der Agrarwissenschaften an der Justus-Liebig-Universität

Gießen, Promotion 1982, seit 1988 Leiter der Gefäßversuchstation, seit 2000 apl. Professor und seit 2011 Akademischer Direktor am Institut für Pflanzenernährung. Sylvia Schnell, Jahrgang 1963, Studium der Biologie an der Universität Konstanz; 1991 Promotion an der Eberhardt-Karl-Universität in Tübingen; 1998 Habilitation an der Philips-Universität Marburg; seit 2000 Professorin am Institut

Justus-Liebig-Universität Gießen


Gold schürfen – Gift ernten

Abb. 6: Cadmiumgehalte in Kulturpflanzen, die mit belastetem Wasser (Mashavera, unterhalb der Mine) und unbelastetem Wasser (Mashavera, oberhalb der Mine oder Grundwasser) bewässert wurden, in Relation zu den zulässigen Höchstgehalten der EU-Kontaminanten­ verordnung (2006)

Studium der Agrarwissenschaften, Umwelt- und Ressourcenmanagment an der Justus-Liebig-Universität Gießen; seit 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Bodenkunde und Bodenerhaltung der Universität Gießen. für angewandte Mikrobiologie der Justus-Liebig-Universität Gießen. Thomas Hanauer, Jahrgang 1981,

Spiegel der Forschung · Nr. 2/2011

Stephan Jung, Jahrgang 1985, Studium der Agrarwissenschaften, Umwelt- und Ressourcenmanagment an der JLU Gießen; seit 2011

wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pflanzenernährung der Universität Gießen. Hülya Kaplan, Jahrgang 1985, Studium der Agrarwissenschaften, Umwelt- und Ressourcenmanagment an der Justus-Liebig-Universität Gießen; seit 2011 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Bodenkunde und Bodenerhaltung.

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Felix-Henningsen u.a.

BBodSchV nur in Einzelfällen. Eine Verlagerung in tiefere Bodenschichten war nur in einem geringen Umfang nachweisbar und kann vernachlässigt werden.

…für die Nahrungskette? Unter humantoxikologischen Gesichtspunkten ist vor allem die Pflanzenaufnahme von Cadmium problematisch, während stark erhöhte Kupfer- und Zink-Konzentrationen eher ein Problem für die Erntequalität und den Ertrag darstellen. Daher liegt das Hauptaugenmerk dieser Studie vor allem auf der Cadmiumkonzen­ tration in den verzehrbaren Pflanzenteilen. Die Pflanzenproben von mit Mashavera-Wasser bewässerten Standorten weisen deutlich höhere Cadmium- und in der Regel auch höhere Kupfer- und Zink-Konzentrationen auf. Standorte mit besonders hohen Schwermetallkonzentrationen in den Pflanzenproben befinden sich in geringer Entfernung zu den Bewässerungskanälen. Auch Hausgärten sind hier betroffen. Wir konnten eine Verlagerung von Cadmium in die Nahrungskette durch stark Cadmium anreichernde Kulturpflanzen nachweisen. Beispielsweise überschreiten 40 % der untersuchten Kohlpflanzen die zulässigen Höchstwerte nach EU-Kontaminantenverordnung (Verordnung (EG) Nr. 1881/2006 der Kommission vom 19. Dezember 2006 zur Festsetzung der Höchstgehalte für bestimmte Kontaminanten in Lebensmitteln). Dagegen werden in mäßig bis schwach Cadmium anreichernden Kulturpflanzen, wie z.B. Mais oder Tomaten, diese Gehalte nur in Einzelfällen überschritten. Eine die menschliche Gesundheit gefährdende Anreicherung von Cadmium in der Nahrungskette ist demnach insbesondere in Nahrungspflanzen zu befürchten, die in starkem Maße Schwermetalle anreichern, wie beispielsweise

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Tabelle 2: Respirationsraten von Bodenmikroorganismen und mikrobielle Biomasse in belasteten und unbelasteten Böden des Mashavera-Tals (Durchschnittswerte) Belastete Böden (n=41)

Unbelastete Böden (n=10)

Basalrespiration (µg g-1 CO2 h-1)

63,3

71,9

Substratinduzierte Respiration (µg g-1 CO2 h-1)

166

216

Mikrobielle Biomasse (µg C g-1)

3,75

4,87

Blattgemüse, Wurzelgemüse oder Kräuter, und auf Standorten wachsen, die mit kontaminiertem Wasser bewässert werden. Wenn es um eine konkrete Gesundheitsgefährdung der Menschen geht, so ist allerdings die Menge der konsumierten belasteten Nahrungsmittel entscheidend.

…für die Mikroorganismen? Mikroorganismen sind in starkem Maße an vielen in Böden ablaufenden biochemischen Prozessen beteiligt und beeinflussen u. a. die Nährstoffnachlieferung, den Schadstoffabbau und die Strukturbildung der Böden. Dass erhöhte Gehalte an Schwermetallen eine toxische Wirkung auf Bodenmikroorganismen haben ist aus zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten bekannt. Schwermetalle beschwach belastet

stark belastet

einflussen die metabolische Aktivität und die Zusammensetzung der Mikroorganismengemeinschaft. Dabei nimmt die Toxizität der Schwermetalle gegenüber Mikroorganismen in der Reihenfolge Cadmium > Kupfer > Zink ab. Allerdings unterscheiden sich Mikroorganismen in ihrer Sensitivität gegenüber Schwermetallen, was zum Absterben oder zu einem starken Rückgang sensitiver Mikroorganismen und so zu einer Verschiebung des Artenspektrums führen kann. Diese Veränderungen beeinflussen die biochemischen Prozesse im Boden, was anhand z. B. der mikrobiellen Biomasse, der Respirationsrate, bestimmter Enzymaktivitäten oder des Gehalts an organischer Substanz messbar ist. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen eine geringere mikrobielle Aktivität in Böden, die mit Mashavera-Wasser bewässert wurden. Die Basalrespiration, die bestimmt wird durch die Messung der Kohlendioxid-Bildung der Mikroorganismen in inkubierten Bodenproben, weist für die belaste-

Abb. 7: „Molekularer Fingerabdruck“ der Bakteriengemeinschaft in stark und schwach mit Schwermetallen belasteten Bodenproben des Mashavera-Tals.

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Gold schürfen – Gift ernten

ten Böden einen deutlich niedrigeren Wert auf. Das gleiche gilt für die substratinduzierte Respiration, die nach dem Zusatz von Glukose gemessen wird. Die mikrobielle Biomasse ist in den belasteten Böden ebenfalls geringer als in den untersuchten Kon­ trollböden (Tabelle 2). Außerdem führten wir Untersuchungen der mikrobiellen Populationsstruktur durch. Hierzu verwendeten wir die molekulare fingerprint-Methode PCR-SSCP (Polymerase Cain Reaction-Single Strand Conformation Polymorphism). Dies ist ein Nachweisverfahren zur Bestimmung der strukturellen Diversität der Bodenmikroorganismen durch die Extraktion und Vervielfältigung der in der Bodenprobe enthaltenen DNA („molekularer Fingerabdruck“). Hierbei zeigten sich ebenfalls deutliche Unterschiede. Stark belastete Proben unterscheiden sich in ihrer Zusammensetzung und Stärke der DNA-Banden deutlich von den schwächer belasteten (siehe Abb. 7). Dies ist ein Hinweis auf eine Verschiebung des Artenspektrums, bedingt durch die hohen Schwermetallkonzentrationen.

Lösslehm Kontrolle (Kleinlinden)

10% Zeolith

6% Divergan® 2% Biokohle

2% Fe

5% Zeolith

2% Divergan® 1% Biokohle

1% Fe

2% Zeolith

1% Divergan® 0,5% Biokohle

landwirtschaftlichen Nutzflächen des Mashavera-Tals unterbunden werden. Dazu ist die Sicherung der Abraumhalden des Tagebaus durch Ab­ deckung mit einer durchwurzelbaren Bodenschicht und Bepflanzung notwendig. Des Weiteren muss die lokale Bevölkerung über die Gefahren des Anbaus und Verzehrs von Cadmium anreichernden Pflanzen aufgeklärt werden, unter Umständen sind auch Nutzungsverbote notwendig. Als letz-

Was kann man tun? Zu allererst muss der weitere Eintrag von Schwermetallen in die Böden der

Spinacia oleracea

4% Fe

Brassica napus

Triticum aestivum

0,8

Cd (mg kg-1 Frischmasse)

0,7

0,6 0,5

EU Höchstgehalte:

0,4 0,3

Weizen, Blattgemüse

0,2 0,1

0

1 2 4 Lösslehm Eisenoxid Kontrolle

Gemüse 2

Spiegel der Forschung · Nr. 2/2011

5 Zeolith

10

1

2 6 Divergan®

0,5

1 Biokohle

2

%

Abb. 8: Einfluss verschiedener Bodenzusätze zur in-situ-Immobilisierung der Schwermetalle in einem belasteten Oberboden des Untersuchungsgebietes auf das Wachstum von Spinat im Gefäßversuch (Erläu­ terung siehe Abb. 9).

Abb. 9: Der Rückgang der Cadmiumkonzentrationen in Spinat (Spinacia oleracea), Schnittkohl (Brassica napus) und Weizenkorn (Triticum aestivum) durch die in-situ-Immobilisierung der Schwermetalle in einem belasteten Oberboden des Untersuchungsgebietes im Gefäßversuch. Lösslehm: Unterboden einer Parabraunerde aus Kleinlinden, Kontrolle: ohne Bodenzusatz; Fe: amorphes Eisenoxid; Zeolith: Gerüst-Silikat; Divergan®: organisches Polymer; Biokohle: hergestellt aus Erdnussschalen.

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Felix-Henningsen u.a.

ter und mit Sicherheit aufwendigster Schritt käme noch eine Sanierung der kontaminierten Böden in Frage, damit diese auch künftigen Generationen zur Nahrungsmittelproduktion im vollen Umfang zur Verfügung stehen. Hierzu werden seit geraumer Zeit am Institut für Bodenkunde und Bodenerhaltung sowie am Institut für Pflanzenernährung der Universität Gießen und im Mashavera-Tal selbst Labor-, Klimakammer- und Feldversuche zur in-situ-Immobilisierung von Schwermetallen durchgeführt. In-situImmobilisierung wird jedes Verfahren genannt, bei dem die Schwermetalle zwar im Boden verbleiben, aber ihre Mobilität und Bioverfügbarkeit durch Bodenzusätze eingeschränkt werden. Dies geschieht entweder durch Anhebung des Boden-pH-Wertes durch Kalkung, denn Cadmium, Kupfer und Zink sind im neutralen pH-Bereich wesentlich immobiler, und/oder durch die Zugabe geeigneter Bodenzusätze, die ein hohes Bindungsvermögen für Schwermetalle aufweisen. Da die Böden des Mashavera-Tals bereits einen nahezu neutralen pHWert aufweisen, bleibt nur die Zugabe von Bodenzusätzen. Aktuell werden vier verschiedene Stoffe getestet, die spezifische Sorptionsplätze (Bindungsplätze für Ionen an Bodenpartikel) für Schwermetalle besitzen und somit deren Pflanzenverfügbarkeit reduzieren sollen: Amorphes Eisenoxid, Zeolith (ein Gerüst-Silikat), Divergan® und Biokohle (Biochar), ein organisches Polymer mit großer innerer Oberfläche. Im Gefäßversuch gelang es mit allen Bodenzusätzen, sowohl den Ertrag zu erhöhen als auch die Cadmium-Konzentrationen in den Pflanzen zu reduzieren. Die besten Ergebnisse wurden dabei mit Divergan® erzielt. Inwiefern die Schwermetallbindung durch die Bodenzusätze nachhaltig ist und dies eine Sanierungsstrategie für das großflächig belastete Mashavera-Tal sein

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kann, wird durch Feldversuche im Mashavera-Tal überprüft.

Fazit Die Ergebnisse unserer Studien zeigen, dass die Böden und Kulturpflanzen des Mashavera-Tals gravierend mit Schwermetallen belastet sind, was auch negative Auswirkungen auf die mikrobielle Lebensgemeinschaft der Böden hat. Eine weitere Erhöhung der Schwermetallgehalte der Böden dort ist in Zukunft nicht mehr zu tolerieren, und entsprechende Sicherungsmaßnahmen für den Tagebau sind unumgänglich. Ob und inwieweit die bereits stark belasteten Böden saniert werden können wird aktuell noch weiter untersucht. •

Dank Die Autoren danken der VolkswagenStiftung, die das Forschungsvorhaben im Rahmen der beiden dreijährigen Projekte „Bergbaubedingte Schwermetallbelastungen von Böden und Nutzpflanzen in einem Bewässerungsgebiet südlich von Tiflis/Georgien“ und „Transfer of Heavy Metals into the Food Chain from Heavily Polluted Soils of an Irrigation District in Southern Georgia“ gefördert hat bzw. fördert.

ǺǺ

LITERATUR

Felix-Henningsen P, Urushadze T, Narimanidze E, Wichmann L, Steffens D, Kalandadze B (2007): Heavy metal pollution of soils and food crops due to mining wastes in an irrigation district south of Tbilisi, eastern Georgia. Annales of Agrarian Science, Vol. 5, No. 3: 11 - 27 Felix-Henningsen P, Urushadze T, Narimanidze E, Wichmann L, Steffens D, Kalandadze B (2007): Heavy metal pollution of soils and food crops due to mining wastes in the Mashavera river

valley. Bull. Georgian Nat. Acad. Sci, Vol. 175, No. 3: 97 - 106 Felix-Henningsen P, Steffens D, Urushadze T, Narimanidze E, Kalandadze B (2009): Uptake of heavy metals by food crops from highly polluted Kastanozems in an irrigation district south of Tbilisi, eastern Georgia. In: King L. und Khubua, G. (Hrsg.) (2009): Georgia in Transition: Experiences and Perspectives (Schriften zur Internationalen Entwicklungs- und Umweltforschung), Verlag Peter Lang, Frankfurt/Main Hanauer T, Felix-Henningsen P, Steffens D, Kalandadze B, Navrozashvili L, Urushadze T (2011): In-situ stabilization of metals (Cu, Cd, Zn) in contaminated soils in the region of Bolnisi, Georgia. Plant and Soil 341: 193-208 http://www.sciencemovies.de

Kontakt Prof. Dr. Peter Felix-Henningsen Justus-Liebig-Universität Institut für Bodenkunde und Bodenerhaltung IFZ, Heinrich-Buff-Ring 26 35392 Gießen Telefon: 0641 99-37100 Peter.Felix-H@umwelt.uni-giessen.de Prof. Dr. agr. Diedrich Steffens Justus-Liebig-Universität Institut für Pflanzenernährung IFZ, Heinrich-Buff-Ring 26-32 35392 Gießen Telefon: 0641 99-39165 Diedrich.Steffens@ernaehrung.uni-giessen.de Prof. Dr. Sylvia Schnell Justus-Liebig-Universität Institut für Angewandte Mikrobiologie IFZ, Heinrich-Buff-Ring 26-32 35392 Gießen Telefon: 0641 99-37350 Sylvia.Schnell@umwelt.uni-giessen.de

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[ Kurz berichtet ]

Trauer um kenianische Friedensnobelpreisträgerin Gießener Ehrendoktorin Prof. Dr. h.c. Wangari Muta Maathai, Ph.D. starb im Alter von 71 Jahren

D

ie Justus-Liebig-Universität Gießen trauert um die kenianische Friedensnobelpreisträgerin Prof. Dr. h.c. Wangari Muta Maathai, Ph.D. Die Ehrendoktorin und Alumna der Universität Gießen ist am 25. September 2011 im Alter von 71 Jahren in Nairobi (Kenia) gestorben. Sie hatte sich insbesondere für den Umweltschutz, die Menschenrechte und die Demokratie in ihrem Land eingesetzt. Als Wissenschaftlerin verband die Veterinärmedizinerin Prof. Maathai eine langjährige Beziehung mit der Universität Gießen, die bis in die 1960er Jahre zurückreichte und 1992 in der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Gießen mündete. Für ihre Verdienste um Umweltschutz, Menschenrechte und Demokratie erhielt sie zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen, darunter 2004 als erste Afrikanerin den Friedensnobelpreis. Bereits im Jahr 1985 hatte Prof. Maathai den Alternativen Nobelpreis erhalten, 2004 den Petra-Kelly-Preis der HeinrichBöll-Stiftung, 2007 den Nelson Mandela Award for Health and Human Rights. Nach Abschluss ihres Studiums in den USA hatte Wangari Maathai einen Großteil ihrer akademischen Karriere im Rahmen der Universitätspartnerschaft Gießen – Nairobi absolviert, die von 1962 bis 1975 vom Bundesministerium für Wissenschaftliche Zusammenarbeit gefördert wurde. 1965 wurde Wangari Maathai Assistentin bei dem früheren Gießener Veterinärmediziner Prof. Dr. Reinhold R. Hofmann in Nairobi, der dort von 1962 bis 1971 mit mehreren anderen Gießener Dozenten und Kollegen aus den USA, Großbritannien und Norwegen die Veterinärmedizinische Fakultät aufbaute. Von 1967

Spiegel der Forschung · Nr. 2/2011

Als erste Frau erhielt Prof. Wangari Muta Maathai, Ph.D., aus Kenia im Sommer 1992 den Ehrendoktortitel des Fachbereichs Veterinärmedizin der Universität Gießen, mit der sie bereits seit vielen Jahren verbunden war. Der damalige Dekan des Fach­bereichs und ihr langjähriger Lehrer Prof. Dr. Reinhold R. Hofmann überreichte ihr die Urkunde. Im Alter von 71 Jahren starb im September 2011 die beeindruckende Trägerin des Alternativen Nobelpreises und des Friedensnobelpreises in Nairobi. Foto: Archiv

bis 1969 hielt sich Wangari Maathai mit einem Doktoranden-Stipendium des Deutschen Akademischen Austausch-Dienstes (DAAD) in Gießen und München auf und erhielt als erste Frau 1971 den Ph.D. der University of Nairobi, Kenia. Zwei Jahre später übernahm sie die Leitung des von Prof. Reinhold Hofmann mit deutscher Unterstützung aufgebauten Instituts, das sie bis 1981 leitete. 1985 wurde Prof. Maathai für das von ihr 1977 initiierte „Green Belt Mo-

vement“ zur Wiederaufforstung Kenias mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Im Rahmen dieser Initiative sollen bislang über 40 Millionen Bäume auf nichtstaatlichem Land gepflanzt worden sein. Prof. Maathai, die 1987 Mitglied des „Club of Rome“ wurde, war Sprecherin der kenianischen Menschenrechtsund Demokratiebewegung „Forum of the Restitution of Democracy“ und stellvertretende Umweltministerin in Kenia. cl/Lau

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Schnelle Lösung – aber langfristig ein Problem? Alkohol macht soziale Situationen für Menschen mit Angststörungen nur am Anfang leichter Von Trisha Bantin, Stephan Stevens und Christiane Hermann

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Justus-Liebig-Universität Gießen


Schnelle Lösung – aber langfristig ein Problem

Epidemiologische Untersuchungen belegen, dass Angststörungen und Alkoholprobleme häufig gemeinsam auftreten. Angststörungen zählen zu den psychischen Störungen, bei denen die Furcht vor einem Objekt oder einer Situation oder unspezifische Ängste im Vordergrund stehen. Dabei übersteigt die erlebte Angst die tatsächliche Gefahr, die von dem Objekt oder der ­Situation ausgeht. In den meisten Fällen geht dabei die Angststörung dem pro­blematischen Alkoholkonsum voraus. In epidemiologischen Studien konnte gezeigt werden, dass u.a. Angststörungen wie Panikattacken, Phobien und soziale Ängste ein Risikofaktor für eine Alkoholproblematik darstellen. Speziell bei der Sozialen Phobie ist das Risiko erhöht, dass sich aus Alkoholproblemen eine Alkoholabhängigkeit entwickelt.

Für Patienten mit Sozialer Phobie ist es eine Herausforderung, vor Publikum zu sprechen. Foto: Franz Möller

Spiegel der Forschung · Nr. 2/2011

D

ie Soziale Phobie (SP) gehört neben Depressionen und der Alkoholabhängigkeit zu den häufigsten psychischen Störungen. Betroffene Personen empfinden Situationen, in denen die Aufmerksamkeit auf sie gerichtet ist und sie von anderen beobachtet oder bewertet werden könnten, als Qual. Schon der harmlose Plausch mit einem Bekannten oder ein gemeinsames Essen können dann zur Tortur werden. Im Vordergrund steht die Angst, sich in sozialen Situationen vor anderen zu blamieren, sich lächerlich zu machen und daraufhin negativ bewertet zu werden. Vorstellungen wie „Die anderen werden merken, dass ich unsicher bin, ich werde mich blamieren“ schießen den Betroffenen durch den Kopf. Sie befürchten, dass das eigene Verhalten und auch das Zeigen von körperlichen Angstsymptomen wie Herzrasen, Erröten, Schwitzen oder Zittern negativ, z.B. als Anzeichen für mangelnde Kompetenz, bewertet werden könnte. Häufig geben Personen mit einer Angststörung an, Alkohol zur Angstverringerung, also zur Selbstmedikation einzusetzen. Nach Annahme der „Selbstmedikationshypothese“ (SMH) [1] konsumieren Angstpatienten Alkohol, um ihre Angstsymptome zu reduzieren. Personen mit sozialen Ängsten erwarten durch den Alkoholkonsum eine Angstreduktion (anxiolytische Wirkung). So geben sie an, sich im Umgang mit Fremden sicherer zu fühlen, weniger nervös beim Beginn ei-

nes Gesprächs zu sein, weniger daran denken zu müssen, welchen Eindruck man auf andere macht, und lockerer, weniger unsicher zu sein, wenn sie Alkohol getrunken haben. Allerdings: Was bezogen auf die Angst auslösende Situation als schnelle Lösung erscheint, hat langfristig Konsequenzen: Aufgrund der Angst reduzierenden Wirkung wird Alkohol immer häufiger konsumiert, so dass sich eine Abhängigkeit entwickeln kann. Unter Alkoholabhängigkeit versteht man den oft starken, gelegentlich übermäßigen Wunsch, Alkohol zu konsumieren, den Konsum einer immer größeren Alkoholmenge, um die gleiche Wirkung zu erreichen, und das Auftreten von Entzugssymptomen beim Verzicht auf Alkohol.

Wirkt Alkohol tatsächlich als Selbstmedikation? In einer Übersichtsarbeit [2] hat unsere Arbeitsgruppe die empirischen Befunde zur Selbstmedikationshypothese zusammengestellt. Personen mit Sozialer Phobie konsumieren dann Alkohol vor sozialen Situationen, wenn sie einen anxiolytischen Effekt erwarten und sicher gestellt ist, dass sie durch den Konsum keine Beeinträchtigung ihrer Leistungen oder einem Kontrollverlust befürchten müssen. Patienten mit positiver Wirkerwartung berichten nach Alkoholgabe über signifikant weniger Angst als diejenigen mit negativer Wirkerwartung.

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Bantin, Stevens, Hermann

Diagnostische Leitlinien der Sozialen Phobie und Alkoholabhängigkeit

Soziale Phobie

Alkoholabhängigkeit

• Starke und anhaltende Angst vor einer oder mehreren sozialen Situationen oder Leistungssituationen, in denen die Person im Zentrum der Aufmerksamkeit anderer steht. Es wird befürchtet, sich in beschämender oder peinlicher Art und Weise zu verhalten (oder Angstsymptome zu haben).

• Starker Wunsch oder eine Art Zwang, Alkohol zu konsumieren.

• Die Konfrontation mit der angstauslösenden sozialen Situation führt zu einer sofortigen Angstreaktion (auch Körperreaktionen wie Erröten, Zittern, Übelkeit, Harndrang), die auch die Form einer situationsgebundenen Panikattacke annehmen kann. • Die Person erkennt, dass die Angst übermäßig stark und unbegründet ist. • Die phobischen Situationen werden vermieden oder nur unter intensiver Angst ertragen. • Deutliche Beeinträchtigung des normalen Tagesablaufs, der beruflichen oder geistigen Leistungsfähigkeit, sozialer Aktivitäten oder zwischenmenschlicher Beziehungen.

Bislang liegen nur wenige experimentelle Studien vor, die die Wirkung von Alkohol auf die erlebte Angst untersucht haben. Dabei werden die Teilnehmer meist in zwei Gruppen aufgeteilt, eine Alkohol- und eine nichtalkoholische Untersuchungsbedingung. In Abbildung 1 ist beispielhaft die so genannte Alkoholisierungskurve, d.h. die Veränderung der Blutalkoholkonzentration über verschiedene Messzeitpunkte hinweg für Personen mit SP und einer gesunden Kontroll-

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• Körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums. • Toleranzentwicklung: Um die ursprünglich durch niedrigere Dosen erreichten Wirkungen des Alkohols hervorzurufen, sind zunehmend höhere Dosen erforderlich. • Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zugunsten des Alkoholkonsums, erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von den Folgen zu erholen. • Anhaltender Konsum trotz des Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen, wie z.B. Leberschädigung, depressive Verstimmungen oder Verschlechterungen kognitiver Funktionen

gruppe dargestellt. Wichtig ist hier, dass in den untersuchten Gruppen kein Unterschied in der Höhe der Blutalkoholkonzentration besteht. Gleichzeitig werden unterschiedliche Maße wie selbst berichtete Angst und die Aufmerksamkeitslenkung auf so0,8 SP

0,7

KG

0,6 0,5 BAK

Wie beeinflusst Alkohol die Angst in sozialen Situationen tatsächlich?

• Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung oder der Menge des Konsums.

0,4 0,3

ziale Reize gemessen. In einer aktuellen Studie konnten wir z.B. zeigen, dass hoch sozialängstliche Personen bei Alkoholgabe signifikant weniger Anspannung und Nervosität spürten, wenn sie im Rahmen eines Rollenspiels mit einer anderen Person ein Gespräch führen mussten, als wenn sie keinen Alkohol zu sich genommen hatten (siehe Abb. 2). Noch interessanter ist aber, wie Alkohol die Aufmerksamkeitslenkung beeinflusst. Dies lässt sich anhand von

0,2 0,1 0

T1

T2 Messzeitpunkt

T3

Abb. 1: Veränderung der Blutalkoholkonzentration nach Alkoholgabe

Justus-Liebig-Universität Gießen


Schnelle Lösung – aber langfristig ein Problem

Abb. 2: Selbstberichtete Nervosität und Anspannung

Reaktionszeitaufgaben untersuchen, die Aufschluss darüber geben, wie Personen ihre Aufmerksamkeit auf Gesichter mit unterschiedlichen Emotionen lenken (siehe Abb. 3). In einer früheren Studie, die von unserer Arbeitsgruppe durchgeführt wurde [3], konnte gezeigt werden, dass Personen mit Sozialer Phobie im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ihre Aufmerksamkeit verstärkt auf negative (hier: ärgerliche) Gesichter richten. Diese, als „Vigilanz“ bezeichnete Aufmerksamkeitsverzerrung legt nahe, dass Personen mit SP ihre Aufmerksamkeit vor allem auf sozial bedrohliche Reize richten, weil sie Angst vor einer negativen Beurteilung haben. Das heißt, Angst bezogene Reize werden schneller verarbeitet, weil die Aufmerksamkeit darauf fokussiert ist. Solch ein Vigilanzeffekt

100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

Alkohol NichtAlkohol

Nervosität

Anspannung

zeigt sich in kürzeren Reaktionszeiten für ärgerliche Gesichter (siehe Abb. 4a). In dieser Studie wurde außerdem der Einfluss von Alkohol auf diese Aufmerksamkeitsverzerrung untersucht. Interessanterweise blieb diese unter Alkoholgabe aus (siehe Abb. 4b). Die Aufmerksamkeit ist nicht mehr primär auf den Angst auslösenden Reiz gelenkt, was erklären könnte, warum Personen mit SP angeben, nach dem Konsum von Alkohol weniger Angst in einer sozialen Situation zu haben.

Aktuelle Studien an der Universität Gießen Abb. 3a, b und c: Neutrales, wütendes und glückliches Gesicht. Fotos: Franz Möller

Spiegel der Forschung · Nr. 2/2011

In der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Uni-

versität Gießen führen wir zurzeit weiterführende Studien durch. Der Fokus liegt auf der Untersuchung des Einflusses von Alkohol auf die Verarbeitung sozialer Informationen und die soziale Kompetenz bei Patienten mit Sozialer Phobie im Vergleich zu einer psychisch gesunden Kontrollgruppe. Dabei werden die Teilnehmer entweder in eine Gruppe unter Alkohol- oder eine unter Nicht-Alkoholbedingung aufgeteilt. Zusätzlich schätzen die Probanden zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihre Angst, Nervosität, Anspannung und Kognitionen ein. Dabei haben die Studienteilnehmer zwei Aufgaben: Nach der Trinkphase werden sie gebeten, ein Aufmerksamkeitsexperiment am Computer auszuführen. Dabei werden ihnen verschiedene Gesichter (neutral, ärgerlich, glücklich) und Alltagsgegenstände gezeigt. Während dessen werden die Probanden gebeten, so schnell wie möglich auf bestimmte Reize zu reagieren. Eine weitere Aufgabe: Die Probanden halten eine kurze Rede zu einem kontroversen Thema. Während dessen ist ein kleines Publikum anwesend, das die Rede anhand verschiedener Leistungskriterien beurteilt. Gera-

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Bantin, Stevens, Hermann

Nicht-Alkoholbedingung

Alkoholbedingung 700

680

Ärgerlich

660

Neutral

640 620 600 580 560 540

Mittlere Reaktionszeit (ms)

Mittlere Reaktionszeit (ms)

700

680

Ärgerlich

660

Neutral

640 620 600 580 560 540

SP

Gruppe

KG

de diese Situation stellt für Patienten eine enorme Herausforderung dar. Dabei ist es wichtig sich klar zu machen, dass es sich hierbei um eine gute Übung in einer sicheren Umge-

Abb. 4a und b: Mittlere Reaktionszeiten in der (a) Nicht-Alkoholbedingung bzw. der (b) Alkoholbedingung

SP

Gruppe

KG

bung handelt. Zusätzlich interessieren wir uns auch für physiologische Maße wie Herzrate, Hautleitfähigkeit und die Durchblutung des Gesichtes der Probanden.

Dem Untersuchungstermin geht ein diagnostisches Interview voraus. Dieses wird von ausgebildeten Di­ plompsychologinnen durchgeführt. Im Anschluss, erhalten die Teilnehmer eine individuelle Rückmeldung über die Ergebnisse des Interviews. Für die Patienten bietet dieser Termin oft die erste Möglichkeit zu erfahren, ob es sich bei ihren Problemen tatsächlich

Die Autoren

Foto: Franz Möller

Psychotherapie mit dem Posterpreis ausgezeichnet für das Poster „Macht Alkohol es leichter? Auswirkungen von Alkohol bei Patienten mit Sozialer Phobie in einer Redesituation“. Stephan Stevens, Jahrgang 1980, 2004: Diplom in Psychologie an der

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Universität Münster, 2004–2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter in Klinischer Psychologie und Psychotherapie an der Universität Münster, 2007 Promotion an der Universität Münster, 2007–2008 psychotherapeutische Tätigkeit am Universitätsklinikum Essen, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, seit Juli 2008 ist er als Wissenschaftlicher Assistent in der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Gie-

psychischer Störungen, Psychotherapie von Angststörungen und Indikatoren psychotherapeutischer Veränderung, Psychophysiologie.

ßen beschäftigt. Er ist approbierter Psychologischer Psychotherapeut, seine Forschungsschwerpunkte sind u.a. der Einfluss von Alkohol auf die Informationsverarbeitung/ Symptomatik bei Angstpatienten, die Rolle von Körpersymptomen bei der Entstehung/Aufrechterhaltung

emotionales Lernen speziell bei sozialen Ängsten, kognitive Verhaltenstherapie von sozialen Ängsten, experimentelle Schmerzforschung im Kindes- und Jugendalter, langfristige Konsequenzen von frühen Schmerzerfahrungen, sozialer Kontext und Schmerzerleben.

Christiane Hermann, Jahrgang 1964, hat seit April 2008 die W3Professur für Klinische Psychologie an der Universität Gießen inne. Sie ist approbierte Psychologische Psychotherapeutin und Psychologische Schmerztherapeutin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind

Foto: Franz Möller

Trisha Bantin, Jahrgang 1984, studierte an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen Psychologie, Diplomabschluss: 2009. Seit September 2009 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt „Effekte einer Alkoholgabe auf die Informationsverarbeitung bei Personen mit Sozialer Phobie“. 2011 wurde sie auf dem 29. Symposium der DGPs-Fachgruppe Klinische Psychologie und

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Schnelle Lösung – aber langfristig ein Problem

[2] Stevens, S., Rist, F., & Gerlach, A. L. (2008): A review of experimental findings concerning the effect of alcohol on clinically relevant anxiety. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 37(2), 95-102. [3] Stevens, S., Gerlach, A. L., & Rist, F. (2009): Influence of alcohol on the processing of emotional facial expressions in individuals with social phobia. British Journal of Clinical Psychology, 48(16), 125-140. Abb. 5: Selbstberichtete Angst

Abb. 6: Selbstbezogene Aufmerksamkeit

KONTAKT um eine Soziale Phobie handelt. Liegt eine SP vor, so erfolgt eine Beratung über eine störungsspezifische Therapie und über Möglichkeiten, diese in Anspruch zu nehmen. Die bislang vorläufigen Ergebnisse bestätigen eine Angst reduzierende Wirkung von Alkohol (siehe Abb. 5). So waren die Patienten mit Sozialer Phobie in der Alkoholbedingung im Vergleich zur Nicht-Alkoholbedingung signifikant weniger ängstlich, nervös und angespannt. Die Alkoholgruppe zeigte außerdem eine reduzierte Selbstaufmerksamkeit (siehe Abb. 6). Auf kognitiver Ebene zeigten die Patienten nach der Rede in der NichtAlkoholbedingung eine Abnahme positiver Kognitionen, wohingegen die Alkoholgruppe keine Veränderung aufwies. Dagegen war die soziale Kompetenz nicht deutlich beeinträchtigt. Diese Befunde sprechen dafür, dass Alkohol bei Personen mit SP zu einer deutlich verminderten Angstreaktion führt. Die anxiolytische Wir-

kung von Alkohol und insbesondere die Verringerung der Selbstaufmerksamkeit durch den Konsum von Alkohol in der sozialen Situation können negativ verstärkend wirken und so zur Entwicklung einer Alkoholproblematik beitragen. •

ǺǺ

Dipl.-Psych. Trisha Bantin Dr. Stephan Stevens Prof. Dr. Christiane Hermann Justus-Liebig-Universität Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie Otto-Behaghel-Straße 10, Haus F, 35394 Gießen Telefon: 0641 99-26081 info@angstinfo.org

LITERATUR

[1] Quitkin,F.M., Rifkin, A., Kaplan, J., Klein, D. F. (1972): Phobic anxiety syndrome complicated by drug dependence and addiction - treatable form of drug-abuse. Archives of General Psychiatry, 27(2), 159-162.

Abb. 7: Dipl.-Psych. Trisha Bantin erklärt einer Probandin den Verlauf der Herzrate, die während der gesamten Untersuchung gemessen und aufgezeichnet wird. Fotos: Franz Möller

Spiegel der Forschung · Nr. 2/2011

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Luther und der Islam Beten und Büßen statt Reden und Kämpfen* Von Athina Lexutt

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Luther und der Islam

Entgegen mancher Vorstellung hat es seit der Entstehung des Islam zwischen Christen und Muslimen immer wieder Versuche gegeben, sich über Dialoge einander anzunähern. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der kirchengeschichtlichen Professur des Instituts für Evangelische Theologie der Universität Gießen haben für alle Jahrhunderte Beispiele solcher Dialoge zusammengetragen und in einem Quellenkompendium kommentiert herausgegeben. Dabei gab es so manche Überraschung und so manche Anregung, wie etwa die visionäre, für seine Zeit (15. Jh.) mehr als nur fortschrittliche Vorstellung des Nikolaus von Kues, der einen Frieden im Glauben unter bestimmten Voraussetzungen für möglich hielt. Auch in der Reformationszeit setzte man sich mit dem stärker in das Abendland vordringenden Islam in Gestalt „des Türken“ auseinander. Dafür sind ein eindrückliches Beispiel die Türkenschriften Martin Luthers.

Abb. 1: Niclas Meldemann, Belagerung der Stadt Wien, Nürnberg 1530: „Der stadt Wien belegerung, wie die auff dem hohen sant Steffanthurn allenthalben gerings vm die ganze stadt zu wasser vund landt mit allen dingen anzusehen gewest ist…“ Kolorierter Holzschnitt. (Druck von 6 Stöcken). Ausschnitt. Quelle: dilibri Rheinland-Pfalz, www.dilibri.de

Spiegel der Forschung · Nr. 2/2011

M

artin Luther begegnet dem Islam nicht voraussetzungslos. Er lernt den Islam nie direkt, sondern immer nur vermittelt kennen; insofern sind seine Islamkenntnisse sehr beschränkt und von den Vorurteilen und Urteilen seiner Vorgänger und Zeitgenossen eingefärbt. Als Luther sich mit dem Islam zu beschäftigen hatte, konnte er davon ausgehen, dass dem Muslim jedenfalls in absehbarer Zeit friedlich nicht beizukommen war. Daran war natürlich auch das unaufhaltsame Vordringen der Osmanen nicht schuldlos, die an einem friedlichen Gespräch genauso wenig interessiert waren wie der abendländische Kaiser, der sich als Missionar des römischen Christentums verstand, und wie der Papst, der seinen Anspruch auf Universalherrschaft gerade von allen Seiten bedroht sah. „Der Türke“ galt als große Gefahr, und es wurden wahre Schreckensbilder wie der Teufel an die Wand gemalt. Lange hatten die Johanniter auf Rhodos dem Ansturm der Türken auf die Insel standgehalten. Die Nachrichten vom Sieg gegen die Johanniter und vom Fall Rhodos im Jahr 1521 waren es dann u.a., die den Westen erneut erschütterten. Luther konnte den Türken sehr dankbar sein. War es doch dieses

Ereignis, das die strenge Umsetzung des Wormser Ediktes und die konsequente Verfolgung seiner Anhänger unterband. Zu sehr war der junge Kaiser Karl V. auf die Unterstützung aller Stände angewiesen, wenn es zum bedrohlich nahen Krieg gegen die Türken kommen sollte. Fast zehn Jahre kämpfte Karl gegen die Umklammerung seines Reiches – vom Osten durch die Türken, vom Westen durch den machtbeflissenen Franzosenkönig Franz I. – und hatte alles andere zu tun, als sich um renitente Mönche und ihre Spießgesellen zu kümmern. Die reformatorische Bewegung konnte sich mehr oder weniger in aller Ruhe ausbreiten, ohne dass der Kaiser oder die kaiserlichen Behörden gegen sie wirksam vorgegangen wären.

Abb. 2: Der Mönch Martin Luther, Lucas Cranach d.Ä., 1520.

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Lexutt

Als die Türken 1529 vor Wien standen und ihr Vordringen kaum noch aufzuhalten war, machten sich Angst und eine diffuse Weltuntergangsstimmung breit, und jetzt schon vereinzelt, am Ende des 16. Jahrhunderts nach den Wirren in der Religionsfrage dann massiv gab es nicht wenige Autoren, die im Türken eine „Geißel Gottes“ erblickten, mit der er die zerstrittene und unbußfertige Christenheit strafen wollte und mit der er das nahe Weltende ankündigte. Dass Luther sich 1529, im unmittelbaren Kontext der Bedrohung Wiens durch die Osmanen, zum Islam äu-

ßert, ist also kaum noch verwunderlich. Und auch die Art und Weise ist wenig erstaunlich, ging es doch vornehmlich nicht darum, irgendeinen Dialog zu führen oder den Islam zu verstehen bzw. ein Verständnis zu vermitteln. Dass der Muslim ein H ­ eide war, der einem Irrglauben anhing, war keine Frage, sondern eine unumstößliche Tatsache. Allerdings war eine Frage, wie man mit diesem Heiden und Irrgläubigen umgehen sollte. Seine ersten beiden literarischen Ausein­ andersetzungen mit den Muslimen sind dann auch keine inhaltlichen Glanzwerke, sondern er versucht, eine

missverstandene Äußerung, die er 1520 in der Auseinandersetzung mit der Bannandrohungsbulle gemacht hat, zurechtzurücken und darzulegen, warum auch er der Meinung sei, der Türke als Gefahr fürs Vaterland müsse bekämpft werden. Hat die Schrift „Vom Kriege widder die Türcken“ (verfasst vor der Eroberung Pests) noch eher einen warnenden und mahnenden Charakter, so die „Heerpredigt wider den Türcken“ (verfasst nach dem Fall Pests und der Belagerung Wiens) stärker einen ermutigenden. Allerdings zeichnen sich in beiden Texten bereits zwei Elemente ab, die man auch in späteren immer wieder finden wird. Zum einen: Luther hat „den Türken“ vor Augen. Nicht den Islam. Wie viele seiner Zeitgenossen auch konnte er den Inhalten dieser Religion, die er auch nur vom Hörensagen und nicht durch ein eigenes Studium des Koran kannte, so wenig abgewinnen, dass er nicht wirklich an einer theologischen Auseinandersetzung damit interessiert war; vielmehr galt ihm „der Türke“ als Feindbild, mit dem es weniger zu diskutieren als den es zu bekämpfen galt. Und zum anderen: Es gibt sehr wohl auch positive Äußerungen Luthers zu den Türken. Und zwar immer dann, wenn er den Papst in ganz herausragender Weise diskreditieren will: Der Türke ist schon schlimm. Aber der Papst ist noch schlimmer. Die beiden Türkenschriften von 1529 und 1530 nun sind für beides schöne Beispiele. Die Zielscheibe Luthers ist ganz eindeutig der Papst und weniger „der Türke“. Die bisherigen Niederlagen gegen die türkischen

Abb. 3: Historische Ausgabe von Luthers Rede, 1529, „Vom Kriege wid=der die Tür=cken. Martinus Luther. Gedruckt zu Wit=temberg. M.D.XXIX.“

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Luther und der Islam

Abb. 4: Titelblatt und erste Textseite: „Eine Heer=predigt wider den Türcken. Mart. Luther. Wittemberg M.D.XXX. Nürnberg, Johannes Stüchs 1530.

Heere in Rhodos und in Ungarn sind für ihn Zeichen dafür, dass Gott mit „dem Türken“ die sündige Christenheit straft. Luther schreibt: „Und weil denselben [Artikel] die Papisten ohne Schrift, aus Mutwillen verwerfen, muss der Türke sich dessen annehmen und denselben mit der Faust und mit der Tat bestätigen. Wollen wir es nicht aus der Schrift lernen, so muss uns der Türke aus der [Schwert]scheide lehren, bis wir es mit Schaden erfahren, dass Christen nicht Krieg führen noch dem Übel widerstehen sollen.“ (WA 30/II, 113/14-18) Es geht in diesem Kontext also um die weitergehende Frage, ob und wann Christen überhaupt Krieg führen sollen und dürfen und ob und wie Widerstand gegen die weltliche Obrigkeit zu begründen ist. Luther ist an dieser Stelle sogar ziemlich frech und behauptet, das Einmischen der geistlichen Gewalt in diese weltliche Aufgabe, gegen den Türken vorzugehen, sei für diese gescheiterten Kriegszüge verantwortlich. Im Grunde geht es Luther mithin um eine

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Konkretisierung der Zwei-Regimente-Lehre: Nicht Papst, Bischöfe und Priester haben gegen „den Türken“ Krieg zu führen, sondern die weltlichen Fürsten. Die Kirche, so Luthers unmissverständliche Ansage, hat keinen Krieg und kein Schwert zu führen: „Sie hat andere Feinde als Fleisch und Blut, welche ‚böse Teufel in der Luft’ heißen, darum hat sie auch andere Waffen und Schwerter und andere Kriege, womit sie genug zu schaffen hat; sie hat sich in des Kaisers oder in der Fürsten Kriege nicht einzumischen.“ (WA 30/II, 114/25-28) Gleichwohl: Der Türke ist eine ernst zu nehmende Gefahr, dem zunächst und vor allem mit inständigem Gebet zu begegnen ist. „Denn der Türke [...]

ist ein Diener des Teufels, der nicht allein Land und Leute verdirbt mit dem Schwert [...], sondern auch den christlichen Glauben und unseren lieben Herrn Jesus Christus verwüstet. [... E]r lässt wahrlich die Christen nicht öffentlich zusammen kommen, und es darf auch niemand öffentlich Christus bekennen oder wider Mohammed predigen oder lehren. Was ist das für eine Freiheit des Glaubens, wenn man Christus nicht predigen noch bekennen darf, wo doch unser Heil in eben diesem Bekenntnis steht [...]?“ (WA 30/II, 120/26-35) Luther bekennt, nicht viel vom Koran zu wissen, und nimmt sich vor, dieses Buch einmal zu übersetzen, „auf dass jedermann sehe, was für ein faules,

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Abb. 5: Die ersten Suren des Korans (siehe Abb. 7).

schändliches Buch es ist“. (WA 30/ II, 122/1f.) Das wenige, was er kennt, reicht ihm allerdings auch schon. Denn obwohl Christus und Maria darin gelobt würden, so haben sie doch nicht die Geltung, die ihnen zukommt. Christus ist nicht mehr als ein Prophet. Sämtliche christologischen und die Erlösung betreffenden Lehrstücke wie die Trinität, die Zwei-NaturenLehre und die Rechtfertigung werden von den Türken geleugnet. Was Luther besonders ärgert ist, dass trotz dieser Irrlehren der türkische Glaube so viele Anhänger hat. Und er hat auch gleich eine Erklärung dafür parat: „Denn es gefällt der Vernunft über die Maßen gut, dass Christus nicht Gott sei, wie die Juden auch glauben.“ (WA 30/II, 122/26f. Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen: Der Verstand und die Vernunft tun sich leichter, wenn sie das komplizierte Verhältnis zwischen Gott-Vater und Gott-Sohn und das nicht minder komplizierte Verhältnis zwischen göttlicher und menschlicher Natur Jesu Christi nicht logisch nachvollziehbar erklären müssen. Luthers Aussage ist aber in anderer Hinsicht viel bemerkenswerter, denn nicht umsonst erwähnt er in diesem Zusammenhang auch die Juden. Durch die Schriften des mittleren und des alten Luther zieht sich das wie ein roter Faden: Papst, Jude und Türke werden zu den Feinden der ChristusBotschaft schlechthin, ja zum Werkzeug des Teufels und zum Antichrist stilisiert. „Gottes Wort und Gnade ist ein fahrender Platzregen, der nicht wiederkommt, wo er einmal gewesen ist. Er ist bei den Juden gewesen – aber hin ist hin: Sie haben nun nichts. Paulus brachte ihn nach Griechenland. Hin ist auch hin: Sie haben nun den Türken. Rom und das lateinische Land

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hat ihn auch gehabt – hin ist hin: Sie haben nun den Papst. Und ihr Deutschen braucht nicht zu denken, dass ihr ihn ewig haben werdet, denn der Undank und die Verachtung wird ihn nicht bleiben lassen.“ (WA 15, 32/7-13) Wer sich jetzt nicht für Christus entscheidet, der ist es nicht wert, dass man sich um seine Rettung bemüht. Luther lebt tatsächlich in der Erwartung eines nicht mehr allzu fernen Weltendes, und angesichts des baldigen Gerichts stehen alle Menschen in der Entscheidung. Der Kampf gegen Jude, Türke, Papst und alle Verleugner des Erlösungswerkes Christi allein aus Gnade ist daher als apokalyptischer Endkampf zu betrachten und also alles andere als ein Spiel. Neben der theologischen Verwirrung, die „der Türke“ anrichtet, ist

es aber auch der Heilige Krieg, das Vorgehen mit dem Schwert, welches Luther anklagt, das großen Schaden anrichtet. In Luthers Augen ist „der Türke“ schlicht ein Mörder, dessen Schlagkraft und Dauer darin begründet sei, dass ihm das Morden, Schlachten und Rauben in seiner Heiligen Schrift als göttliches und Gott wohlgefälliges Werk vorgestellt, ja befohlen werden. Und weil das so ist, stellt auch die muslimische weltliche

Abb. 6: „Lob- und Dancklied Wegen deß höchst-erfreulichen Entsatzes der Kaiserlichen ResidentzStatt Wien von deß Blut-durstigen Christenfeinds des Türcken harter Belagerung:…“, Schwäbisch Hall 1683: Laidigen. 2 Blatt.

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Luther und der Islam

Obrigkeit keine „ordentliche“ Obrigkeit dar, denn Aufgabe einer solchen „ordentlichen“ Obrigkeit wäre es, für Frieden zu sorgen und also gerade nicht unaufhörlich mit dem Schwert dreinzuschlagen. Schließlich nimmt Luther noch ein drittes Element auf, das ihm im Blick auf die Lehre des Islam ein Dorn im Auge ist: die Missachtung des Ehestandes. Auch wenn, so Luther, nicht alle davon Gebrauch machten, sich zehn oder zwanzig Frauen zu nehmen und sie zu verstoßen und auszutauschen, wie es ihnen gerade beliebt, so gibt es doch die Möglichkeit dazu, und dies verletze das göttliche Gebot der Treue zwischen Eheleuten. Wie sollen „die zwei ein Leib sein“ (Gen 2, 24), wenn die Zahl 2 so klar überschritten werden kann? Luther fasst zusammen: „Lass nun unter den Türken etliche Christen sein, lass sie Mönche haben, lass etliche ehrbare Laien unter ihnen sein: Was kann aber im Regiment und im ganzen türkischen Wandel und Wesen Gutes sein, wenn nach ihrem Koran diese drei Stücke bei ihnen frei regieren: Lügen, Mord, Unehe? Und jedermann daneben die christliche Wahrheit verschweigen muss [...]? Wie

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kann es ein grausameres, gefährlicheres, schrecklicheres Gefängnis geben als unter solchem Regiment zu leben? Lüge zerstört das geistliche Regiment; Mord zerstört den weltlichen Stand; Unehe zerstört den Ehestand. Nimm nun aus der Welt weg veram religionem, veram politiam, veram oeconomiam (das ist rechtes geistliches Wesen, rechte weltliche Obrigkeit, rechte Hauszucht): Was bleibt übrig in der Welt als eitel Fleisch, Welt und Teufel [...]?“ (WA 30/II, 127/5-17) Luthers Lehre von den drei Ständen, nach der die Welt von Beginn an durch Gott in dreifacher Hinsicht geordnet ist, kollidiert fundamental mit dem, was er vom Koran zu kennen glaubt. Der Türke und seine Heilige Schrift zerstören also Gottes Werk und Heilsplan von Grund auf. Der gemeine Christ soll und muss daher dem Türken im und durch das Gebet widerstehen. Der Kaiser und die Fürsten, denen als verlängertem Arm des göttlichen Willens in der Welt die Aufgabe zukommt, die Christenheit zu schützen, sollen diese Aufgabe mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln wahrnehmen. Und dazu gehört auch das Schwert. Allerdings: Es darf sich dabei nur um Verteidigung handeln, und das mit

einem großen Aufgebot an Soldaten und Waffen, denn die Schlagkraft „des Türken“ ist nach Luther in keiner Weise zu unterschätzen (WA 30/II, 145/27-146/18). Von einem Angriffskrieg redet Luther mit keiner Silbe, selbst dann nicht, als er in der zweiten Schrift dazu rät, mutig und beherzt das Schwert zu erfassen (WA 30/II, 162/15f.). Im Zusammenhang mit einer neuerlichen Polemik gegen den Papst, der in gleicher Weise sündige wie der Türke und daher in gleicher Weise zu strafen sei, zitiert Luther daher Mt 26, 52: „Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen.“ (WA 30/II, 142/27-143/1) Dies gilt natürlich umgekehrt auch für den Christen, der, ohne bedroht zu werden, zum Schwert greift. Luther geht sogar noch weiter und warnt regelrecht vor einem Glaubenskrieg: „Denn ich rate, weder gegen den Türken noch gegen den Papst zu streiten seines falschen Glaubens und Lebens halber, sondern seines Mordens und Verstörens halber.“ (WA 30/ II, 143/1-3) Und in der Heerpredigt: „[S]o habe ich geraten und rate noch so, dass wohl ein jeder sich befleißigen soll, ein Christ zu sein, willig und bereit vom Türken und von jedermann

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Abb. 7: Übersetzung der ersten Sure des Korans aus: Der Koran. Aus dem Arabischen für die „Bibliothek der Gesamt-Litteratur“ neu übersetzt von Theodor Fr. Grigull. Halle a. d. S., o. J.

Leiden hinzunehmen. Aber er soll nicht streiten als ein Christ oder unter eines Christen Namen, sondern er lasse seine weltlichen Herren Krieg führen.“ (WA 30/II, 173/29-32) Der Reformator ist an diesem Punkt bis fast zu seinem Lebensende sehr konsequent. Seiner Ansicht und Hoffnung nach wird sich das Wort Gottes dadurch durchsetzen, dass immer mehr Menschen verstehen werden, worum es dabei geht und worum es dabei nicht geht. Erst als er sich im hohen Alter in dieser seiner Hoffnung bitter enttäuscht sieht, wird er zu dem radikalen Polemiker, den wir als ausgesprochen unangenehm und nahezu widerwärtig namentlich aus seinen späten Judenschriften kennen. Ein Jahr nach diesen beiden Schriften, die unter dem unmittelbaren Eindruck des Vordringens der Osmanen in den Westen entstanden sind, verwirklicht Luther zwar noch nicht seinen Wunsch, den Koran genauer

zu studieren, gar zu übersetzen, aber er sorgt doch dafür, dass „der Türke“ nicht ein blasser Begriff bleibt, sondern verständlicher wird, was man sich darunter vorzustellen hat. In diesem Sinne verfasste er für eine Neuausgabe des „Libellus de ritu et moribus Turcorum“ ein Vorwort. Dieser Libellus, verfasst von dem Dominikaner Georg von Ungarn unter dem Eindruck seiner 20-jährigen tür-

DIE AUTORIN Athina Lexutt, Jahrgang 1966, ist seit 2002 Professorin für Kirchenund Theologiegeschichte am Institut für Evangelische Theologie der Justus-Liebig-Universität Gießen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Reformationsgeschichte (vor allem Luther) und der Konfessionskunde. Sie ist Prädikantin der Evangelischen Kirche im Rheinland und engagiert in der Laienfortbildung der EKiR und der EKHN; zudem leitet sie seit einigen Jahren zusammen mit Kollegen die Frühjahrsakademie der Lutherakademie SondershausenRatzeburg.

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kischen Gefangenschaft, diente seit seiner Entstehung (zwischen 1475 und 1481) dazu, Sitten und Gebräuche der Türken einem christlichen Publikum näher zu bringen. Luthers klares Anliegen ist es, seine und der Leser Kenntnisse über den Koran zu erweitern. Er beklagt als erstes in der Vorrede, er habe bis jetzt nur zwei Texte über den Koran kennengelernt: die „Confutatio Alkorani“ des Dominikaners Riccoldo de Monte Croce aus dem Jahre 1300 und die „Cribratio Alkorani“ des Nikolaus von Kues. Beiden wirft er vor, die Dinge nicht im rechten Licht darzustellen, da sie den Koran nur verwerfen würden, um das Römisch-Päpstliche um so herrlicher erstrahlen lassen zu können. In diesem Zusammenhang schlägt Luther einen neuen und ausgesprochen bemerkenswerten Ton an. Er schreibt: „Er [der Luther unbekannte Verfasser des Libellus] erzählt [die Dinge] nämlich so, dass er nicht nur ihre schlechten Seiten bekannt macht, sondern auch ihre besten Seiten auf gleiche Art entgegenhält und

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Luther und der Islam

Abb. 8: Titelblatt und erste Textseite der „Vermanunge zum Gebet / Wider den Türcken. Mart. Luth. Wittemberg. M.D. XLI.

sie so aussagt, dass er die Menschen bei uns durch einen Vergleich mit ihnen zurechtweist und tadelt. [...] Dies sind in der Tat die gewissen Zeichen eines redlichen und aufrichtigen Herzens, das nichts aus Hass schreibt, sondern alles aus Liebe zur Wahrheit erzählt. Wer nämlich den Feind nur tadelt und sich bloß über das, was an ihm schändlich und widersinnig ist, beschwert, aber über das schweigt, was an ihm ehrenhaft und löblich ist, der schadet der Sache mehr als dass er nützt.“ (Zit. nach [2] Lexutt, Athina/Metz, Detlef (Hgg.): 2009, 175) Eine der Sache gerechte Darstellung fordert Luther also, und er ist umso erstaunter, als diese Darstellung ausgerechnet von einem Autor kommt, der schließlich eine nicht unwesentliche Anzahl von Jahren in der Gefangenschaft der Türken verbracht hat und vermutlich doch allen Grund hätte, nicht gerade in überschwänglicher Freude über die Türken zu schreiben. Von religiöser Toleranz zu sprechen, wäre indes weit gefehlt; es geht dem Reformator um eine gerechte Darstel-

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lung, nicht mehr und nicht weniger, und ihm dürfte nicht zuletzt auch mit Blick auf sich selbst an einer solchen Gerechtigkeit gelegen sein. Diese ausgewogene Lektüre ermöglicht es Luther, sich im Vorwort zu einem nicht geringen Teil lobend über die Anhänger des Mohammed zu äußern. In fast allen äußeren Zeremonien, in der äußeren Erscheinung ihrer Religion, so konstatiert er, sind sie nahezu vorbildhaft, ja sie stellen sogar die christlichen Mönche und Frommen einschließlich der Papisten mühelos in den Schatten. Wieder einmal geht es Luther nicht um den Islam, sondern es geht ihm darum, mit Hilfe

dessen, was dort zu beobachten und anzumerken ist, Rom und den Papst bloßzustellen. Denn da dieser ja auch in dem Evangelium unangemessener Weise das Äußere und die Gesetze betont, könnte er, wenn er denn schon der Botschaft von der Rechtfertigung allein aus Glauben zuwiderhandelt, das auch richtig machen und sich vom Heiden eine gute Scheibe abschneiden. Denn bei allem Lob bleibt doch auch weiterhin klar, dass es sich bei allem möglicherweise im Islam zu beobachtenden Tugendhaften und sittlich Reinen doch eben leider um einen Irrglauben handelt, der im Blick auf das Innere auf dem völlig falschen

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Lexutt

Abb. 9: Der Koran. Aus dem Arabischen für die „Bibliothek der Gesamt-Litteratur“ neu übersetzt von Theodor Fr. Grigull. Halle a. d. S., o. J.; (links) „Facsimile einer KoranHandschrift aus der Stuttgarter Bibliothek. Sure XCIII (ohne Überschrift), Sure XCIV und Sure XCV (Vers 1 u. 2)“.

Weg ist. So ist am Ende das Lob auf den Türken doch wieder sehr relativ.

Da hilft nur beten Nach einer langen Pause meldet sich Luther im Blick auf den Türken dann explizit erst wieder 1541 zu Wort in der „Vermahnung zum Gebet wider den Türken“. Wieder ist der Anlass die neu entbrannte Türkengefahr, nachdem Suleiman d. Gr. am 2. September Ungarns Hauptstadt erobert, aus der Hauptkirche eine Moschee gemacht und das Reich unter osmanische Verwaltung gestellt hatte. Wieder stand der Türke vor Wien, und nachdem die Religionsgespräche zwischen Protestanten und Altgläubigen gescheitert waren, wuchs die Unsicherheit, ob Karl V. es schaffen würde, ein großes und starkes Heer aufzubieten, das den Ansturm aufhalten konnte. Der sächsische Kurfürst Johann Friedrich beauftragte Luther, rekurrierend auf dessen beide Türkenschriften von 1529/1530, man „solle den Predigern im ganzen Kurfürstentum zu Sachsen [...] befehlen, dass sie das Volk in allen Predigten zum Gebet wegen des Türken bevorstehender Not und tyrannischer Handlung mit höchstem Ernst vermahnten, und dass man Gottes Allmächtigkeit um gnädige Abwendung auch allen denen, die wider den Türken stritten, gnädigen Sieg und Überwindung zu geben und zu verleihen, von ganzem Herzen emsig bitten solle“. (WA 51, 578)

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Luther war durch entsprechende Nachrichten schon auf diese Aufgabe vorbereitet und konnte den Text dann schnell zu Papier bringen. Unter der Hand gerät er ihm zu einer Rückschau auf den mit vielen Tiefen versehenen Gang seiner Reformation, und wie schon in den frühen Schriften prangert er mehr die Verfehlungen der Christen an, die solche Strafe Gottes verdienten, als „den Türken“ selbst. Auch hier wird weniger zum Kampf gegen die Türken aufgerufen als dazu, die aktuellen Ereignisse als scharfe Anfrage an das eigene Fehlverhalten durch all die Jahre hindurch zu begreifen und darin den Ruf zu Umkehr und Buße zu vernehmen. Sein Rat an die Christen ist daher der folgende: „[Dass] man [...] Gott anfinge zu fürchten und auf seine Güte zu vertrauen. Wo das geschehe, so wissen wir sehr wohl, dass weder Türke noch Teufel uns etwas anhaben können. Denn so Gott mit uns ist, wer wollte wider uns sein?“( WA 51, 593/33-594/18) Er kann in dieser Weise „den Türken“ sogar als Schulmeister bezeichnen, der die Christen die rechte Gottesfurcht und das Beten lehrt. (WA 51, 594/26-28). Was Luther dann weiterhin als sehr konkrete Anleitungen zum Beten vor-

schlägt, vertieft diese Vorstellung, für die missliche politische Lage selbst verantwortlich zu sein, und so tritt der Trost hinter den Bußruf klar zurück. Luther ist getrieben davon, mit allem und jedem abzurechnen, der ganz offenbar die Zeichen der Zeit nicht erkannt und das Ziel der reformatorischen Bewegung nicht verstanden oder gar verraten hat. Die weltliche Obrigkeit mahnt er, sich bewusst zu machen, dass ihr Kriegszug gegen „den Türken“ in diesem Sinne ein Kampf gegen das Heer des Teufels ist. Daher dürften sie sich nicht auf ihre Waffen verlassen, die in einem solchen Kampf am Ende nutzlos sind; verlassen sollten sie sich dagegen auf Gottes Wort. Welch eine problematische Sicht, die das fehlende Kriegsglück der Vergangenheit darauf zurückführt, dass man Gott nicht durch Gebet auf seine Seite zwang, und umgekehrt das Kriegsglück davon abhängig macht, ob man Gottes Wort als stärkste Waffe einsetzt – und das sicher nicht so verstanden, als ob es ein Kampf mit Worten, eine Auseinandersetzung über den Dialog wäre. Sondern dass man sich das Kreuzeszeichen auf die Fahnen stickt und Kanonen segnet!

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Luther und der Islam

Papst, Mohammed und die anderen Teufel Zum Schluss unserer Übersicht zu Luthers Stellung zum Islam müssen wir noch auf einen Text eingehen, der Luthers Wunsch, sich intensiv mit dem Koran auseinanderzusetzen, um die Lehre Mohammeds besser verstehen – und besser widerlegen! – zu können, am nächsten kommt. 1542, also nur ein Jahr später, übersetzte und edierte Luther die von ihm vorher so skeptisch beäugte „Confutatio Alkorani“ des Riccoldo de Monte Croce. Seine Skepsis scheint sich durchaus verloren zu haben, weil er inzwischen erstmals eine lateinische Koranausgabe in die Hand bekommen hatte. Zwar fand er die Übersetzung grauenhaft; nichtsdestoweniger bestätigte sie seine negative Sicht, so dass der Verdacht, der Islam käme bei Riccoldo nur so schlecht weg, um die römische Kirche erstrahlen zu lassen, sich nicht mehr halten ließ. Im Vorwort zu seiner Übersetzung der Widerlegung nimmt Luther frühere Gedanken auf und spricht wiederum intensiv vom Türken als Teil des Strafgerichts über die Christen, die ihre Chance verpasst haben, Gottes Willen auf Erden zu entsprechen. Zugleich spricht er nun aber auch vom Strafgericht über die Türken, die, obwohl sie von Gott als Instrument eingesetzt werden, keinen Gewinn davon tragen werden. Und er spricht einen weiteren Gedanken deutlicher aus als bisher: „Summa, wo wir die Sarrazenen und nunmehr die Türken nicht bekehren können, dass wir dennoch fest und stark bleiben in unserem Glauben.“ (WA 53, 274/7f) Die Stärke der türkischen Heere soll also gerade nicht in Anfechtung führen oder gar dazu, an der Allmacht und Kraft Gottes zu zweifeln, so als besiege der türkische Gott nach und nach den christlichen. Vielmehr dient die in unseren Ohren

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problematische Sicht, Gott selbst bediene sich „des Türken“ zum Strafgericht über die unbelehrbaren Christen, dazu, Gott als den in Wahrheit einzigen Gott zu beweisen und Vertrauen auf ihn allein zu lehren. Bissig und bitter bezeichnet er in einer eigenen, der Riccoldo-Edition angehängten Widerlegung die falschen Christen als „christliche Türken“, die noch schlimmer seien als die „mahmetischen“, und noch bissiger wünscht er den türkischen Heeren Kriegsglück, damit die falschen Christen endlich auf drastische Weise über ihre Irrtümer und Gotteslästerungen aufgeklärt würden. (WA 53, 391/11-24) Die Hoffnung auf Bekehrung der Türken indes hat Luther – wie auf die der Juden und der Papisten – drei Jahre vor seinem Tod längst aufgegeben. Der leicht resignative Unterton ist von daher keine Überraschung. Die penetrante, jedenfalls redundante Parallelisierung von Juden und Türken, die doch beide wissen, was es heißt zu glauben, die doch beide Christus kennen, aber nicht erkennen als den, der er ist, verdeutlicht dieses resignative Moment. Dafür besonders sprechend scheinen mir noch einmal die gebetsartigen Schlusssätze

seiner eigenen Widerlegung zu sein: „Wohlan, Gott gebe uns seine Gnade und strafe beide, Papst und Mahmet samt ihren Teufeln. Ich habe das Meine getan als ein treuer Prophet und Prediger. Wer nicht hören will, der mag’s lassen. Ich bin jetzt entschuldigt, künftig jeden Tag und in Ewigkeit. Die aber glauben, werden es mir hier und dort danken. Denn sie sind es (wo Gott Glück geben wird), die es um Gott mit Glauben, Beten und Dulden verdienen und das beste tun werden. Das helfe ihnen Gott, der barmherzige Vater durch seinen lieben Sohn Jesus Christus mit dem Heiligen Geist, gelobt in Ewigkeit. Amen.“ (WA 53, 396/28-35)

Luther und der Islam heute Eigentlich war das ein wunderbares Schlusswort. Nun ist aber noch nach dem aktuellen Ertrag dieser histori-

Abb. 10: Übersetzung der 93. bis 96. Sure des Korans (siehe Abb. 9) aus: Der Koran. Aus dem Arabischen von Max Henning. Leipzig 1901.

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schen Betrachtungen zu fragen. Hat Luther uns etwas zu den Herausforderungen unserer Tage zu sagen? Dazu in aller gebotenen Kürze vier Thesen:

Abb. 11: Martin Luther im Alter von Lucas Cranach d. Ä.

1. Die Wahrnehmung schärfen. Luthers Situation 1529 und 1541ff. war eine ganz andere als unsere heute 2010/2011. In den Jahren 1529 und 1541ff. hatten die Osmanen Pest und Ofen eingenommen und standen vor den Toren Wiens. Heute, 470 Jahre später, haben die Muslime unserer Zeit die Stadttore längst und dauerhaft durchschritten, haben Läden aufgemacht, gestalten Politik, schicken ihre Kinder in deutsche Schulen und prägen ganze Stadtviertel. „Der Türke“ stellt nicht mehr per se ein Feindbild dar, „der Türke“ ist längst kein Synonym mehr für das unbekannte Gegenüber. Der Islam gehört zu Deutschland. Mit allem, was dieser knappe Satz bedeuten mag. Wir können nicht so tun, als könnten wir die Muslime in Deutschland in all ihrer Farbigkeit und Vielschichtigkeit einfach ignorieren. Und wir können vor allem nicht so tun, als beeinflusse dies die Kultur und Gesellschaft dieses Landes nicht. Diesen Einfluss gilt es mit all seinen Chancen und mit all seinen Problemen verschärft wahrzunehmen. Und auch darzustellen und unter dem Stichwort „Herausforderungen“ zu bemerken, nicht in monokausalierender und diskreditierender Absicht, sehr wohl aber in einer solchen, welche die Augen davor nicht verschließt und Lösungen finden will. Ein Beispiel: Grundschulklassen, in denen der Anteil der Migrantenkin-

Schwächen wahrzunehmen, und er hat vor einseitiger Wahrnehmung gewarnt. Sein Motiv mag sicher nicht lauter gewesen sein – sein Aufruf ist es allemal.

der bzw. der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund 80% beträgt, funktionieren anders und leisten anderes als Klassen, in denen dieser Anteil wesentlich geringer ist. Insbesondere, aber nicht ausschließlich in den Deutschkenntnissen und -fertigkeiten wird sich dies bemerkbar machen. Das zu leugnen wäre fatal, das zu erwähnen hat nichts mit latenter oder gar offener Xenophobie zu tun. Hier müssen Fakten wahrgenommen und benannt werden, um die Probleme nicht schleifen zu lassen und in andere Bereiche zu prolongieren. Luther hat sich sehr bemüht, „den Türken“ in seinen Stärken und

2. Abgrenzungen vornehmen. Nota bene: Abgrenzungen! Nicht: Ausgrenzungen! Die Sarrazinische Sarrazenenschelte ist unerträglich und in dieser Weise absurd, weil sie begrifflich unscharf ist und Argumentationsebenen in unsäglicher Weise munter mischt und dabei auch welche neu erfindet, die spätestens mit dem Untergang des Nazi-Wahns hätten erledigt sein müssen. Ausgrenzungen, noch dazu in einer solch dummen Art begründet, führen nur den Ausgrenzenden selbst in die Isolation – quod erat demonstrandum. Abgrenzungen indes sind notwendig, weil sie den Anderen in seiner Andersheit ernst nehmen. Denn eine „Kuschelpolitik“ ist ebenso fatal, unerträglich und absurd, weil sie das Gegenüber nicht Gegenüber sein lässt, sondern Integration, also Eingliederung, mit Vereinnahmung verwechselt. Dass

Abb. 12: Titelblatt aus Muhammad: Qur’an/Corani Textus Arabicus. Ad fidem librorum manu scriptorum et impressorum... Koranausgabe in arabischer und lateinischer Sprache mit Erläuterungen, Lipsiae 1834.

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Luther und der Islam

Luther über Integration der Muslime nicht nachgedacht hat ist ihm angesichts der Situation im 16. Jahrhundert nicht zu verdenken. Sehr wohl aber hat er über die andere Seite dieser Medaille nachgedacht, die wir nur allzu gerne vergessen, über die aber nach dem Stichwort „Abgrenzung“ sofort geredet werden muss, damit aus der Abgrenzung eben tunlichst keine Ausgrenzung wird. Daher: 3. Identität finden und Profil entwickeln. Henryk M. Broder, der Bissige und Kein-Blatt-vor-den-MundNehmende, hat es in einem Buchtitel provokant auf den Punkt gebracht: „Hurra, wir kapitulieren!“ Seine These von der willentlich und wissentlich geschehenden Überformung durch den Islam ist sicher böse und ein bisschen Karikatur. Das Wahre daran aber ist, dass den meistenteils ausgesprochen selbstbewusst und in religiösen Fragen souverän auftretenden Muslimen kaum ein Christ etwas entgegenzusetzen hat. Es geht mitnichten darum, wie einst Elia am Karmel ein Gottesgericht heraufzubeschwören. Aber es heißt Flagge zu zeigen im interreligiösen Dialog. Wenn nach dem Satz des Bundespräsidenten, der Islam gehöre zu Deutschland, die Wellen hochgeschlagen haben und die

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jüdisch-christliche Tradition bemüht wurde, um eben jene Zugehörigkeit zu leugnen, dann sollte man wenigstens wissen, worin denn, bitteschön, diese Tradition und dieses Erbe bestehen, und sich, bitteschön, auch als würdige Nachlassverwalter erweisen. Die Berufung auf ein solches Erbe macht doch nur Sinn, wenn es als Teil eines Profils gelebt und nicht als bloße Worthülse missbraucht wird. Die am lautesten geschrieen haben, werden wohl die gewesen sein, die ansonsten das Christentum und die Kirche in die privatesten Winkel verbannen wollen. Luther hat in seiner Zeit für nichts anderes gekämpft als für ein klares und deutliches christliches Profil. Wir könnten uns das zum Vorbild nehmen, weil wir – stärker als Luther das im 16. Jahrhundert zu sehen gezwungen war – wissen, dass Identität und Profil die einzigen gangbaren Wege zur Toleranz sind. Also: 4. Toleranz lernen und üben. Der Weg zum Herzen eines anderen Menschen geht nicht darüber, dass ich der Andere werde. Sondern dass ich Ich bleibe und dem Anderen sein Anderssein lasse. Tolerare, das lateinische Wort, heißt nicht accipere – annehmen. Sondern: ertragen! Dass dies nur gegenseitig funktioniert dürfte ebenso klar sein wie die Anknüpfung an das Stichwort „Identität und Profil“. Ich kann nur tragen und ertragen, wenn ich weiß, wer ich bin, das heißt woher ich komme, wo ich stehe und wohin ich will. Und wenn ich auch bereit bin, das offen auszusprechen. Zu bekennen. Luther mahnt die Toleranz vor allem auf der Seite der Türken an, die den Christen ihre freie Religionsausübung verwehren, und an dieser Stelle ist Luther von erschreckender Aktualität. Heute wie damals aber würde er sicher vor allem auch anmahnen, dass unter uns viele „christliche Türken“ sind, will in Luthers Sinne sagen: Viele, die nicht oder nicht

mehr wissen, was Christsein eigentlich bedeutet und für die Gestaltung von Politik, Kultur und Gesellschaft ausmacht. Bildung tut Not! • * Der Text ist die gekürzte Fassung eines Vortrags, den Prof. Dr. Athina Lexutt vor der Evangelischen Erwachsenenbildung Worms am 27. Mai 2011 gehalten hat.

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LITERATUR

[1] Lutherschriften: WA – Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1883ff.; [2] Athina Lexutt/Detlef Metz (Hgg.): Christentum – Islam. Ein Quellenkompendium (8.-21. Jh.), Köln, Weimar u.a. 2009; [3] Johannes Ehmann: Luther, Türken und Islam. Eine Untersuchung zum Türken- und Islambild Martin Luthers (1515-1546) (QFRG 80), Gütersloh 2008

KONTAKT Prof. Dr. Athina Lexutt Justus-Liebig-Universität Institut für Evangelische Theologie Karl-Glöckner-Straße 21, Haus H 35394 Gießen Telefon: 0641 99-27120 Athina.Lexutt@theologie.uni-giessen.de

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Hala Sultan Tekke Eine Handelsmetropole der späten Bronzezeit auf Zypern Von Matthias Recke und Karin Nys

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Hala Sultan Tekke

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Nach längerer Unterbrechung gibt es seit diesem Jahr wieder eine archäologische Forschungsgrabung an der Universität Gießen, die auch das praxisbezogene Lehrangebot der Klassischen Archäologie beträchtlich erweitert. In einer mehrwöchigen Kampagne im April 2011 wurde in Zusammenarbeit mit belgischen Archäologen von der Vrije Universiteit Brussel (VUB) ein bedeutender Handelsplatz der späten Bronzezeit an der Südküste Zyperns untersucht. Die reichen Ergebnisse dieser Untersuchung sind über den lokalen Befund hinaus von Bedeutung und bilden damit den Grundstein für künftige Forschungen.

Abb. 1: Idyllisch am Ufer des Salzsees von Larnaca liegt die Moschee von Hala Sultan Tekke inmitten eines Palmenhains. Foto: Matthias Recke

Abb. 2: Handgemachte Gefäße mit weißem Überzug (Gattung ‚White Slip’) sind charakteristische Erzeugnisse lokaler Handwerker der Spätbronzezeit in Hala Sultan Tekke. © The Trustees of the British Museum

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nmittelbar südlich der zyprischen Stadt Larnaca liegt, im Schatten eines kleinen Palmenhains, die Moschee von Hala Sultan Tekke. Hier, an den Ufern des großen Salzsees (Abb. 1), starb der Überlieferung nach im Jahre 647 Umm Haram durch einen Sturz vom Maultier. Die Amme des Propheten Mohammeds und Tante seines engen Vertrauten Anas ibn Malik hatte ihren Mann Ubada bin al-Samit auf seinem Feldzug gegen Zypern begleitet, als dieser im Zuge der islamischen Expansion Larnaca angriff und eroberte. Hala Sultan, die „hochgeachtete Mutter“, wie Umm Haram auf Türkisch heißt, wurde vor Ort bestattet; ihr Grab entwickelte sich im Lauf der Zeit zu einer beliebten Wallfahrtsstätte. Obwohl die heute sichtbare Moschee erst 1816 von dem damals regierenden Gouverneur Seyyit Emir Effendi gebaut wurde, gehört sie zu den wichtigsten Heiligtümern des Islam. Das Grab der Umm Haram befindet sich in einem Nebenraum der Moschee. Es wird von einer gewaltigen Steinplatte überdeckt, die in rund 5 Metern Höhe auf massiven Pfeilern über dem Grab ruht. Der Legende nach seien die drei Monolithe anlässlich des Begräbnisses selbständig über das Meer geschwommen oder seien von Engeln nach Zypern gebracht worden. Einer anderen Überlieferung zufolge sei der Deckstein von Mekka aus nach Zypern geflogen und habe lange über dem Grab geschwebt, bis man ihn zum Schutz der Gläubigen abgestützt hätte. Wie viele derartige Überlieferungen ranken sich die Legenden um die monumentale Steinabdeckung wohl

um einen konkreten Kern: Das Monument ist vermutlich Teil eines antiken phönizischen Heiligtums, das sich seit alters her an dieser Stelle befindet. Der Ort selbst ist aufgrund seiner Bedeutung für den Islam bislang archäologisch noch nicht untersucht worden. Da sich aber in unmittelbarer Nachbarschaft der Moschee eine ausgedehnte Siedlung der Spätbronzezeit befindet, ist ein Zusammenhang der Anlage mit diesem archäologischen Fundplatz durchaus plausibel.

Der archäologische Fundplatz Westlich an den Palmenhain der Moschee angrenzend erstreckt sich, unter weiten Getreidefeldern verborgen und bislang nur ausschnittartig erforscht, eine archäologische Fundstätte. Die bisherigen Untersuchungen weisen den Platz als bedeutende Hafenstadt aus, die ausgedehnte internationale Kontakte nach Ägypten, in die Levante, zu den Hethitern und den mykenischen Griechen unterhielt. Mit einer Grundfläche von rund 2,5 Hektar handelt

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Abb. 3: Ein als Mauerstein wieder verwendetes Spielbrett eines ägyptischen Brettspiels. Foto: Matthias Recke

es sich um eine der größten, wenn nicht sogar um die größte Hafenstadt der Spätbronzezeit auf Zypern. Vergleichbar ist lediglich das im (türkisch besetzten) Nordteil der Insel liegende Enkomi; aufgrund der politischen Situation sind hier aber derzeit keine Feldforschungen möglich. Da der ursprüngliche Name der antiken Metropole unbekannt ist, wird der Fundplatz aufgrund seiner Nachbarschaft zur Moschee in der wissenschaftlichen Literatur ebenfalls Hala Sultan Tekke genannt.

spricht der moderne griechische Flurname Vizakia, der soviel wie „Kieselsteine“ bedeutet und auf die dicht unter der Ackerkrume liegenden Reste der bronzezeitlichen Architektur hinweist. Von der wissenschaftlicharchäologischen Forschung wurde der Platz erst verhältnismäßig spät, nämlich am Ende des 19. Jahrhunderts entdeckt. 1897 und 1898 führten englische Archäologen im Auftrag des

British Museum hier Ausgrabungen durch und legten innerhalb weniger Tage eine große Anzahl von Gräbern frei, die aufgrund ihrer reichen Funde vor allem spätbronzezeitlicher, mykenischer Keramik in die Zeit vom 16. bis 13. Jahrhundert v. Chr. datiert werden können (siehe Abb. 2 und 4). Die Arbeiten der Engländer hatten aus heutiger Sicht allerdings wenig mit wissenschaftlichen Untersuchungen gemein, sondern ähnelten eher einer Schatzsuche. Da die Ausbeute jedoch insgesamt als enttäuschend und nicht lohnend galt, wurden die Grabungen rasch wieder eingestellt. Die Dokumentation der Grabungsmaßnahmen ist ausgesprochen dürftig, und nur ein kleiner Teil der Funde wurde überhaupt schriftlich erfasst. Erst 1976 wurden die englischen Grabungen, soweit dies die Archivmaterialien noch zuließen, in Form eines Aufsatzes veröffentlicht.

Zufallsfunde und frühe Forschungen Den Bewohnern der benachbarten Ortschaften mag der Fundplatz schon lange bekannt gewesen sein. Dafür

Abb. 4: Das mykenische Mischgefäß mit Darstellung von Hirschen wurde um 1300–1230 v. Chr. aus Griechenland importiert und in Hala Sultan Tekke als Grabbeigabe verwendet. © The Trustees of the British Museum

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Wissenschaftliche Ausgrabungen In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden von Zeit zu Zeit Zufallsfunde im Gelände gemacht, doch erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurden erstmals sorgfältig dokumentierte Ausgrabungen unternommen: 1948 entdeckte der schwedische Archäologe Arne Furumark ein großes Vorratsgefäß im Gelände und führte an der Fundstelle eine kleine Grabung durch. Sie zeigte, dass es hier eine Siedlung gab, die jünger als die bislang entdeckten Gräber war (Stufe Spätkyprisch III A, 1190–1110 v. Chr.). 1968 legte Vassos Karageorghis vom zyprischen A ltertumsdienst im Rahmen einer Notgrabung zwei Gräber in unmittelbarer Nachbarschaft der Moschee frei, die aus dem 13. Jahrhundert vor Christus stammen. Sie enthielten eine reiche Auswahl an Waren, die die internationalen Kontakte widerspiegeln, die die Menschen in Hala Sultan Tekke während der späten Bronzezeit unterhielten (Abb. 5). Da der Fundplatz sowohl für das spätbronzezeitliche Siedlungs- als auch für das zeitgleiche Bestattungswesen ein hohes wissenschaftliches Potential versprach, begann der schwedische Archäologe Paul Åström von der Universität Göteborg hier, nach einer Vorbereitungskampagne im Jahr 1971, großflächig planmäßige Ausgrabungen. Sie wurden von 1972 bis 2005 fast jährlich durchgeführt und konzentrierten sich vor allem auf zwei Hügelkuppen (Areal 6 und Areal 8/22) inmitten des ausge-

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dehnten Siedlungsareals. Die (neben einer Vielzahl von Aufsätzen) seit 1976 in Form von Monographien in der renommierten Publikationsreihe „Studies in Mediterranean Archaeology“ erschienenen Grabungsberichte umfassen bislang zwölf Bände. Große Bereiche der Ausgrabungen vor allem im Areal 8, einem der Kerngebiete der

Abb. 5: Geschnitzter Deckel einer kleinen Elfenbeindose mit Darstellung eines Stieres, um 1320–1310 v. Chr. © The Trustees of the British Museum

antiken Stadt, sind jedoch bis jetzt noch unpubliziert. Mit dem Tod von Paul Åström im Jahr 2008 fiel diese Aufgabe an Karin Nys von der ­Vrije Universiteit Brussel (VUB), die lange Jahre als Mitarbeiterin an der Grabung beteiligt war und sie nach dem Willen Åströms fortsetzen soll.

Das Projekt Brüssel – Gießen Auf Einladung von Karin Nys konnte im April 2011 ein Team der Universität Gießen bei den Ausgrabungen von Hala Sultan Tekke mitarbeiten. Eine erste archäologische Kooperation zwischen den Universitäten Brüssel und Gießen kam bereits 2009 zustande, als die Gießener Zypern-Ausstellung in der Antikensammlung vorbereitet wurde. Anlässlich des 90. Geburtstags und zu Ehren des Nestors der deutschen Zypern-Forschung, des Gießener Emeritus HansGünter Buchholz, wurde von Januar bis April 2010 die auch international vielbeachtete Ausstellung „Kult-Tisch. Kyprische Keramik im Kontext“ im Wa l l en f e l s’s c h en Haus in Gießen gezeigt. Karin Nys und Matthias Recke, beide an der TamassosG r a bu ngs pu bl i k at ion von Hans-Günter Buchholz beteiligt, verfassten den Begleitband zur Ausstellung. Zu den weiteren gemeinschaftlichen Projekten gehörte im August 2010 ein Survey auf Zypern, in dessen Rahmen auch die schwedische Grabung von Hala Sultan Tekke besucht wurde. Vor Ort erwuchs der Plan, Restfragen, die zur Drucklegung der Grabungspublikation von Areal 8 in Hala Sultan Tekke geklärt werden mussten, durch eine dreiwöchige Grabungskampagne im Frühjahr 2011 zu klären. Dabei sollten von Gießener Seite auch Studierende teilnehmen, um die langjährige Tradition der Gießener Lehr- und Forschungsgrabungen (1971–1981 in Tamassos/Zypern; 1995–2008 in Perge/Türkei) fortzusetzen und die praxisnahe Ausbildung

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Abb. 6: Tiefensondage an der Hofmauer von Haus C, mit Fundamentierung. Foto: Matthias Recke

der Studenten neben dem musealen Bereich auch wieder auf die archäologische Feldforschung auszudehnen.

Die antike Stadt Obwohl die schwedischen Ausgrabungen nur einen sehr kleinen Teil der

DIE AUTOREN Matthias Recke, Jahrgang 1968, Studium der Klassischen Archäologie, Vor- und Frühgeschichte und Alten Geschichte in Gießen, Marburg und Berlin. Promotion mit einer Arbeit über „Gewalt und Leid – Das Bild des Krieges bei den Athenern im 6. und 5. Jh. v. Chr.“. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Altertumswissenschaften; seit 2009 Kustos der Gießener Antikensammlung. Veröffentlichungen zur archaischen Plastik, zur antiken Keramik, zu Akkulturationsfragen des antiken Kleinasiens, zur Forschungsgeschichte, zur Antikenrezeption und zur Gießener Antikensammlung. Karin Nys, Jahrgang 1959, ist Professorin für Archäologie an der Vrije Universiteit Brüssel, Belgien, und Direktorin des ‚Mediterranean ­A rchaeological Research Institute‘ (MARI). Seit 1997 arbeitet sie in Hala Sultan Tekke, seit 2001 ist sie stellvertretende Leiterin, seit 2009 hat sie die Oberleitung des Forschungsprojekts Areal 8 inne. In ihrer Forschung beschäftigt sich Prof. Dr. Karin Nys vor allem mit Zypern und seiner Rolle im östlichen Mittelmeergebiet. Sie betreut mehrere Projekte, darunter eines zur Herkunftsbestimmung antiker Keramik mit Hilfe von Isotopenuntersuchungen und die Entwicklung zerstörungsfreier Untersuchungsmethoden zur Bestimmung antiken Glases, und leitet die Arbeitsgruppe „Glasproduktion und -handel im östlichen Mittelmeergebiet“ im Rahmen des Marie Curie Initial Training Network NARNIA 20.

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ursprünglichen Siedlungsfläche systematisch untersucht und freigelegt haben, besitzen wir heute ein relativ genaues Bild der antiken Stadt. Sie wird naturräumlich im Norden und Osten durch den Salzsee und im Westen und Süden durch markante Geländeformationen begrenzt. Allerdings ist die Ausdehnung nach Süden bislang nicht genau untersucht, weil hier im Zuge der Teilung Zyperns 1974 innerhalb kürzester Zeit der neue Inselflughafen gebaut wurde und das Gelände dazu großflächig planiert wurde. Eine Stadtmauer, wie sie etwa aus Enkomi bekannt ist, wurde bislang nicht nachgewiesen. Die ältesten Funde stammen vom Übergang der mittleren zur späten Bronzezeit (um 1600 v. Chr.). Ihre Blüte erlebte die Stadt nach Aussage der Funde vor allem während des 13. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts vor Christus. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts vor Christus wurde sie aufgegeben, wobei die Gründe hierfür noch nicht ausreichend erforscht sind. Möglicherweise war die allmähliche Versandung des Hafens – der heute als Salzsee weit unterhalb des Meeresspiegels liegt, in der Antike aber einen direkten Zugang zum Meer besaß – ein Grund für die Aufgabe der Siedlung. Es kann aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass der Niedergang der Stadt andere Gründe hatte und daraufhin auch der Hafen nicht mehr gepflegt wurde. Bohrungen und naturwissenschaftliche Untersuchungen im See haben jedenfalls ergeben, dass er um 1000 v. Chr. bereits weitgehend versandet war.

Strukturelle Beschreibung von Areal 8 Areal 8 liegt an der Nordflanke einer leichten Hügelkuppe im Zentrum der antiken Stadt. Auf der Kuppe selbst befindet sich mit einem als „Stoa“ bezeichneten Bau ein herausragen-

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Hala Sultan Tekke

des Gebäude innerhalb der urbanen Architektur, dessen genaue Zweckbestimmung noch unbekannt ist. Möglicherweise handelt es sich um ein öffentliches Gebäude, wie es für eine entsprechende Siedlung vorausgesetzt werden muss, bislang in Hala Sultan Tekke aber ansonsten noch nicht nachgewiesen ist. Vom Hügel herab führt eine rund 4,20 m breite Straße nach Norden, entlang der sich auf beiden Seiten eine dichte Bebauung erstreckt (Abb. 7). Es gibt Anzeichen dafür, dass diese Nord-Süd verlaufende Straße Teil eines ausgedehnten, in etwa rechtwinklig angelegten Straßensystems ist, das die Siedlung durchzieht.

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Abb. 7: Plan der städtischen Bebauung in Areal 8 von Hala Sultan Tekke. Hala Sultan Tekke-Grabungsarchiv

Abb. 8: Zur sorgfältigen Dokumentation der Ausgrabung gehört auch die Vermessung und Erstellung eines Mauerplans. Foto: Matthias Recke

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Eine Querstraße kann im nördlichen Abschluss von Areal 8 vermutet werden, eine schmalere, untergeordnete Parallelstraße im Westbereich des Areals. Dieses orthogonale Straßennetz gewährleistet die Verbindung der einzelnen Stadtviertel innerhalb der Stadt. Die architektonische Bebauung entlang der Straße weist einen urbanen Zuschnitt auf: Die Häuser stehen nicht isoliert voneinander, sondern besitzen durchgehend gemeinsame Außenwände. Dies spricht für eine übergeordnete Bauplanung und setzt eine regulative Instanz voraus. Bislang ist über Organisation und Struktur des Gemeinwesens jedoch nur wenig bekannt, da kaum schriftliche Zeugnisse gefunden wurden.

Methodisches Vorgehen Konkretes Projekt der Kooperation zwischen Gießen und Brüssel war die Nachuntersuchung eines im Jahre

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1980 von schwedischen Archäologen unter Paul Åström entdeckten Gebäudes („Haus C“). Der im Nordwesten von Areal 8 gelegene Bau war 1994 in einer zweiten Kampagne erneut untersucht worden und galt seither als fertig ausgegraben. Für die Endpublikation der Grabungsergebnisse, die seit 2009 in den Händen von Karin Nys liegt, waren aber einige abschließende Fragen zu klären und mit dem reichen Fundmaterial in Übereinstimmung zu bringen. Besonders die Baugeschichte des Hauses war von schwedischer Seite noch kaum bearbeitet worden. Um sie besser verstehen zu können, waren an mehreren Stellen Nachgrabungen in Form von Sondagen notwendig, die im Rahmen der Grabungskampag­ ne im Frühjahr 2011 geleistet werden sollten. Die von Matthias Recke geleitete Lehrgrabung des Gießener Instituts für Altertumswissenschaften (Abb. 8 und 9) dauerte vom 28. März bis zum 20. April 2011.

Abb. 9: Auch Reinigungsarbeiten sind Teil der Lehrgrabung. Foto: Matthias Recke

Abb. 10: Ansicht von Haus H und Haus C, im Hintergrund der Salzsee. Foto: Matthias Recke

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Abb. 11: Grundriss von Haus C und Haus H. Zeichnung: Philipp Kobusch

Aus organisatorischen Gründen war die Teilnehmerzahl auf vier Personen begrenzt, dazu kamen drei Studenten von der VUB; weitere Unterstützung erhielt das Team durch den Marburger Diplom-Geographen Andreas Ginau (Abb. 13 und 19). Zunächst galt es, den Bewuchs systematisch zu entfernen. Besonders beim Reinigen der Mauerkronen (Abb. 9) war Vorsicht geboten, da das Wurzelwerk der Pflanzen zum Teil tief in das Mauerwerk eingedrungen war. Die Entfernung des Bewuchses war also auch aus konservatorischen Gründen dringend erforderlich. In enger Zusammenarbeit mit dem Department of Antiquities, dem zyprischen Antikendienst in Nicosia, erfolgten umfangreiche Sicherungsmaßnahmen, bei denen die Mauerkronen gefestigt und versiegelt wurden, um einen erneuten Bewuchs zu verhindern. Anschließend wurden auch die Flächen zwischen den Mauern, also die Räume und Hofbereiche des Hauses, vom Bewuchs gereinigt und so der Zustand der Ausgrabung von 1994 wiederhergestellt.

„Haus C“ Bei dem Gebäude C handelt es sich um ein Haus mit einem zentralen Innenhof, um den sich die angrenzenden Räume gruppierten (Abb. 10 und 11). Alle Räume erhielten von dort Licht; Außenfenster sind nicht nachgewiesen. Die Raum­anordnung ist in der Regel einschichtig, das heißt ohne gestaffelte Raumfolgen. Lediglich bei einem einzigen Raum („Badezimmer“) ist eine weitere Raumebene fassbar; er ist aber, wie eine detaillierte Untersuchung zeigt, sekundär angebaut worden.

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Das Gebäude ist also stark auf den Innenhof ausgerichtet und orientiert sich nicht zur Straße. Dies mag Rückschlüsse auf die Gesellschaft zulassen, ist aber wohl in erster Linie dem im Sommer extremen Klima zuzuschreiben. Der Bautyp als solcher ist auch in der Levante nachgewiesen, besonders in Ugarit. Da bei den bisherigen Ausgrabungen in Hala Sultan Tekke keinerlei Reste von Dachziegeln gefunden wurden, ist anzunehmen, dass die Gebäude – wie in Ugarit auch – Flachdächer besaßen, die hauswirtschaftlich genutzt werden konnten. Diese Dachform stellt vor allem in der

Regenzeit eine gewisse Herausforderung dar. Um das kostbare Regenwasser zu sammeln und zu nutzen, wurden Flachdächer üblicherweise in den Hof entwässert. Im Gebäude C wurde das Regenwasser wohl – zumindest in einer späteren Nutzungsphase – unterhalb des Haupteingangs zum so genannten Vorhof geführt, wo sich eine große Zisterne befand, die bis in die letzte Siedlungsphase benutzt wurde. Meistens sind im Stadtgebiet jedoch Tiefbrunnen zur Wasserversorgung gegraben worden, die bis zu einer Tiefe von rund 15 Metern in den anstehenden Boden bis zum Grundwasser reichen können. Das Mauerwerk um den offenen Hof von Haus C ist aus ausgesprochen sorgfältig hergerichteten Quadern errichtet worden. An der Ostseite ist die Hofmauer in drei Lagen (Abb. 6) erhalten. Da die hier erreichte Höhe von rund 90 cm auch bei den übrigen Wänden des Hauses durchweg üblich ist und die Oberseiten auch der aus ungefügten Bruchsteinen errichteten

Abb. 12: Das so genannte Badezimmer mit dem neu entdeckten ­Brunnen. Foto: Matthias Recke

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Abb. 13: Aus Sicherheitsgründen konnte der Brunnen nicht bis zur Sohle ausgehoben werden. Foto: Matthias Recke

Mauern auffällig eben abschließen, ist anzunehmen, dass es sich hierbei um einen Steinsockel handelt, auf dem Lehmziegel und möglicherwei-

Abb. 14: Zahlreiche Abarbeitungen und Flickungen im Mauerwerk sind auf Umbaumaßnahmen zurückzuführen. Foto: Matthias Recke

Abb. 15: Mauer mit Erdbebenschäden und nachträglicher Reparatur. Foto: Matthias Recke

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se Holzfachwerk aufsaßen. Davon sind jedoch keinerlei Reste erhalten: Die ungebrannten Lehmziegel haben sich im Lauf der Jahrtausende völlig aufgelöst, das organische Material ist vergangen. An der westlichen Außenwand von Haus C ließ sich jedoch im Fußbodenbereich eine massive Drainageschicht nachweisen, die das vom Hang kommende Regenwasser abhalten und so den Mauerfuß trocken halten sollte, um das aufgehende Lehmziegelmauerwerk zu schützen. Eine sorgfältige Beobachtung der Mauertechniken und ihrer Verwen-

dung innerhalb von Gebäude C erlaubt es, verschiedene Bauphasen zu unterscheiden. Haus C wurde an das südlich gelegene, ältere Haus E angelehnt und nutzt somit dessen nördliche Außenmauer. Als ältestes Mauerwerk aus der ersten Bauphase von Haus C ist das zweischalige Quadermauerwerk im Hofbereich anzusprechen, das in der Technik des Läufer-Binder-Mauerwerks errichtet wurde (Abb. 6). Hierbei sind neben längs gerichteten Steinquadern („Läufer“) auch Mauersteine verwendet worden, die nur mit der Schmalseite nach außen zeigen, mit ihrer Breitseite aber in den Mauersockel einbinden und ihn so versteifen („Binder“). Putzreste wurden an keiner Stelle angetroffen, so dass es nicht unwahrscheinlich ist, dass das dekorativ anzusehende Quadermauerwerk ursprünglich sichtbar war. Ob dies auch für das anschließende Mauerwerk aus unregelmäßigen Hausteinen gilt, das die einzelnen Zimmerwände bildet, ist unbekannt. Wie

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Abb. 16: Der Phasenplan lässt modellhaft die Stadtentwicklung erkennen. Neben der Ausdehnung nach Norden fällt die Erschließung der rückwärtigen Bereiche auf. Diese Entwicklung lässt sich auch auf der anderen Straßenseite nachweisen. Zeichnung: Philipp Kobusch

in mehreren Sondagen der Kampagne 2011 gezeigt werden konnte, wurden diese Wände aber, anders als die Quadermauern, nicht auf einem breiten Steinfundament errichtet, sondern ruhten lediglich auf einer massiven Schicht gestampften Lehms. Zentral in den Hof ragt ein Raum, der offenbar erst nachträglich errichtet und an die Rückwand des Hauses angebaut wurde. Zum Hof hin zeigt er eine Front aus großen Quadern, doch fehlen hier die so genannten Läufer, wie sie für die Mauern aus der ersten Bauphase charakteristisch sind. In einer dritten Bauphase wurde die Rückwand des Hauses nach außen hin durchbrochen und ein neuer Raum angefügt. Aufgrund seiner Mauerweise mit großen, hochkant gestellten und sorgfältig geglätteten Steinplatten erhielt dieser Raum von den schwedischen Archäologen den Namen „Badezimmer“ (Abb. 12). (Ein vergleichbar ausgestatteter Raum in einem anderen Gebäude in Hala Sultan Tekke wies eine Verfugung der Platten mit geschmolzenem Blei auf, um Boden und Wände wasserdicht zu machen.) Das „Badezimmer“ von Gebäude C ist also als Annex an den bestehenden Raumkörper des Hauses angefügt worden und erweitert den Bau nach außen. Der Bereich der massiven Außenwand des Hauses, der damit nun Teil des neuen Raumes wurde und als Innenwand fungierte, wurde hierfür mit dünnen Steinplatten verkleidet. Dadurch bekam die ursprünglich aus groben Bruchsteinen errich-

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tete Wand in diesem Bereich dasselbe Erscheinungsbild wie die sorgfältigen Steinplatten des Anbaus. Das nur durch den vorgelagerten, tiefen Raum erreichbare Zimmer muss relativ dunkel gewesen sein. Seine ursprüngliche Nutzung ist noch unbekannt. Eine besondere Überraschung barg die südöstliche Ecke des Raumes, wo bei Reinigungsarbeiten unmittelbar unter dem Fußbodenniveau ein bislang unbekannter Brunnen entdeckt wurde (Abb. 13). Seine Mündung ist auf allen Seiten von Steinen gefasst und schneidet zum Teil in das Fundament der angebauten Steinplatten ein. Er ist also mit Sicherheit noch später als diese Bauphase entstanden und nicht in der ursprünglichen Erweiterung geplant gewesen. Da er nachträglich angelegt worden ist, lässt er keine Rückschlüsse auf die ursprüngliche Raumnutzung zu.

Der Brunnen wurde 2011 bis zu einer Tiefe von 1,50 Metern ausgegraben, ohne die Sohle zu erreichen, die bei rund 8–15 Metern Tiefe zu erwarten ist, wie vergleichbare Brunnen im Stadtgebiet nahe legen. Aus Sicherheits- und Zeitgründen musste die Ausgrabung an dieser Stelle jedoch vorerst eingestellt werden. Einzelne mykenische Scherben in der Verfüllung bestätigen aber die spätbronzezeitliche Nutzung des Brunnens. Die Aufgabe des Brunnens hängt möglicherweise mit der letzten erkennbaren Umbaumaßnahme in diesem Bereich zusammen. Dabei wurde der Boden des Raums rund 70 cm hoch aufgeschüttet, die Seitenwände des „Badezimmers“ im oberen Bereich grob abgearbeitet und ein dicker Estrichboden eingezogen (Abb. 12). Der so umgearbeitete Raum befindet

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Recke, Nys

sich nun auf dem Fußbodenniveau des im Westen anschließenden Hauses H und stellt eine Verbindung mit diesem Gebäude dar. Dieses ist nachträglich an Haus C angelehnt worden – wie Haus C sich an Haus E lehnt – und war offenbar ursprünglich von einer Parallelstraße im Westen her zugänglich. Als der Eingang von Haus H später zugemauert wurde, war das Gebäude wohl nurmehr über das „Badezimmer“ betretbar und somit Teil von Haus C. Der Höhenunterschied zum zentralen Hof von Haus C wurde durch eine nachträgliche Treppe im vorgelagerten Raum überwunden. Weitere Umbaumaßnahmen lassen sich an zahlreichen Stellen von Gebäude C nachweisen. So wurde etwa die nördliche Hofmauer zu einem noch unbekannten Zeitpunkt teilweise abgebaut, um den Hof nach Norden zu erweitern (Abb. 14). Da nur zwei der ursprünglich insgesamt drei Quaderschichten entfernt wurden, zeigt dies, dass das Fußbodenniveau zu diesem Zeitpunkt bereits um 30 cm angestiegen war. Tatsächlich lassen sich durch die Sondagen der Grabung 2011 im Hofbereich unterschiedliche Nutzungsniveaus nachweisen, deren genaue Zuordnung zu den verschiedenen Baumaßnahmen und Siedlungsphasen noch zu erfolgen hat. Eine besondere Schwierigkeit stellt dabei die Sy n c h r o n i sierung der verschiedenen Baumaßnahmen dar. So lassen sich in manchen Bereichen des Hauses bis zu sechs Bauphasen nachweisen, ob diese aber überall gleichzeitig stattfanden, ist nicht erwiesen. Manche Baumaßnahmen sind offenkundig Reparaturmaßnahmen von Erdbebenschäden. Besonders deutlich wird dies im Ostbereich

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Abb. 17: Statuette eines Stieres aus Kalkstein. Figürliche Darstellungen aus Stein sind in der materiellen Kultur des spätbronzezeitlichen Zyperns extrem selten. Foto: Matthias Recke

des Hauses, wo die ursprüngliche Läufer-Binder-Mauer stark verworfen ist (Abb. 15). Lücken im Mauerwerk wurden durch Füllsteine geschlossen, abgebrochene Quader notdürftig ergänzt, um ein ebenes Auflager für die neue Außenmauer zu schaffen, die in reiner Läufertechnik errichtet wurde. So ist an dieser Stelle eine zeitliche Abfolge der verschiedenen Mauertechniken fassbar. Andere Baumaßnahmen, besonders im Norden und Westen, zielten auf eine Erweiterung des Gebäudes. Dazu wurden bestehende Mauern abgerissen und neue Wände an bestehende Bauteile angefügt, was sich anhand klarer Baufugen erkennen lässt (Abb. 14). Den gewaltigsten Einschnitt stellt dabei sicher die oben skizzierte Anbindung von Haus H in den Komplex von Gebäude C dar.

Abb. 18: Als rituelles Bauopfer war diese Silberschale im Fundament einer der späteren Hofmauern verbaut. In Keilschrift ist der Name des Besitzers eingepunzt. Foto: Hala Sultan Tekke-Grabungsarchiv

Als späteste Umbauten sind wohl die schmalen Mäuerchen zu verstehen, die an verschiedenen Stellen die großen, repräsentativen Räume unterteilen. Ohne besondere Fundamentierung lehnen sie sich an die massiven Steinsockel. Ihre Tragfähigkeit ist begrenzt; sie greifen daher wohl auch nicht in die bestehende Dachkon­struktion ein. Sie zeugen von einer Phase des Niedergangs kurz vor Aufgabe der Stadt.

Ergebnisse Auch wenn die Synchronisierung der verschiedenen Bauphasen und die Zuordnung der (meist keramischen) Funde noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird, sind erste Ergebnisse bereits jetzt zu fassen. So lässt die detaillierte Untersuchung der Baugeschichte von Haus C Rückschlüsse auf die generelle S t a d t e n t w i c klung von Hala Sultan Tekke zu (Abb. 16). Ausgangspunkt sind offenbar die Hügelkuppen des Stadtgebietes, von denen aus die Bebauung sich hangabwärts erweitert. Wenn diese Vorstellung zutrifft – und dafür sprechen neben den Beobachtungen in Areal 8 auch die Tatsache, dass auf der Hügelkuppe in Areal 6 am Nordrand der Stadt die bislang ältesten

Justus-Liebig-Universität Gießen


Hala Sultan Tekke

Abb. 19: Das Gießener GrabungsTeam (M. Recke, Ph. Kobusch, T. Wollmann, Th. Freihube) und K. Nys von der Vrije Universiteit Brussel. Foto: Matthias Recke

Funde innerhalb der Siedlung gemacht wurden – ist die Stadt aus mehreren unabhängigen Ansiedlungen entstanden, die sich sukzessive ausdehnten und sich nach und nach zu einem urbanen Ganzen zusammenschlossen. Besonders im Bereich von Areal 8 lässt sich die Richtung dieser Entwicklung entlang der Hauptstraße und der untergeordneten Straßenzüge auf einem begrenzten Ausschnitt gut nachvollziehen. Eine der künftigen Aufgaben wird es daher sein, die Grundzüge der Siedlungsgeschichte im größeren Kontext der innerstädtischen Entwicklung von Hala Sultan Tekke als solches zu untersuchen. Auch im Detail gibt es bemerkenswerte Ergebnisse. So weist Haus C in seiner architektonischen Form engste Parallelen mit dem syro-levantinischen Bereich auf. Dass dies möglicherweise nicht nur der geographischen Nachbarschaft geschuldet ist, zeigen zwei herausragende Funde, die im Hofbereich gemacht wurden und die wohl als rituelle Bauopfer zu verstehen sind. So wurde bereits 1994 eine zierliche, 13,5 cm messende Silberschale (Abb. 18) gefunden, die mit der Öffnung nach unten im Mauerfuß verborgen war. Die engsten Parallelen hat das Gefäß in Funden aus Megiddo (Palästina). Eine Besonderheit ist die in Keilschrift auf der Außenseite eingepunzte kanaanäische Inschrift, die das Gefäß als „Schale des Aky, Sohn des Yiptahaddou“ bezeichnet. Unmittelbar neben dem Fundplatz der Silberschale wurde an einem der letzten Grabungstage der Kampagne 2011 eine kleine Tierstatuette gefunden. Sie

Spiegel der Forschung · Nr. 2/2011

ist aus Kalkstein gefertigt und stellt einen Stier dar. Obwohl Statuetten aus Ton im spätbronzezeitlichen Zypern geläufig sind, gibt es praktisch keine Analogien aus Stein. Auch hier weisen Stil und verwendetes Material der Statuette in den levantinischen Bereich. Obwohl die materielle Kultur der spätbronzezeitlichen Fundplätze Zyperns generell die geographische Situation der Insel im Zentrum des östlichen Mittelmeers widerspiegelt und diese günstige Lage maritime Kontakte mit allen umliegenden Regionen, besonders mit Syrien und Ägypten, Anatolien und dem mykenischen Griechenland, förderte, lassen sich im Befund von Hala Sultan Tekke die internationalen Kontakte besonders ausgeprägt fassen. Es ist zu vermuten, dass sich hier, in der wohl wichtigsten Hafenstadt Zyperns, Vertreter der unterschiedlichsten Völker trafen und friedlich miteinander lebten. Da der Fundplatz nicht überbaut wurde, steckt hier ein enormes wissenschaftliches Potential für künftige Forschungen, nicht nur für die Analyse der kulturellen Vielfalt der Stadt selbst, sondern auch für das Ende der bronzezeitlichen Kultur Zyperns. Die Gießener Archäologie kann und will sich hier weiter engagieren. •

Dank Die Grabungskampagne wurde vom zyprischen Antikendienst unter der Leitung von Dr. Maria Hadjicosti freundlicherweise genehmigt und in vielfältiger Weise unterstützt. Ihr und ihren Mitarbeiterinnen Dr. Despo Pilides und Eftychia Zachariou vom Cyprus Museum Nicosia gilt unser besonderer Dank. Für ihre finanzielle Förderung sind wir der Gießener Hochschulgesellschaft und der Maria und Dr. Ernst RinkStiftung Gießen zu aufrichtigem Dank verpflichtet.

KONTAKTE Dr. Matthias Recke Justus-Liebig-Universität Institut für Altertumswissenschaften, Klassische Archäologie Otto-Behaghel-Straße 10, Haus D 35394 Gießen Telefon: 0641 99-28053 Matthias.Recke@archaeologie.uni-giessen.de Prof. Dr. Karin Nys Mediterranean ­A rchaeological Research Institute (MARI) Vrije Universiteit Brussel Pleinlaan 2 B-1050 Brussel Karin.Nys@vub.ac.be

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Lernen durch Lehren: Studis spielen den Prof Gründung der „Hermann-Hoffmann-Akademie für junge Forscher“

A

nfang November war es so weit: Die Gründung der neuen „Hermann-Hoffmann-Akademie für junge Forscher“ stand an der Justus-Liebig-Universität Gießen auf dem Programm. Zwei Fliegen mit einer Klappe wollen die Initiatoren, Prof. Dr. Volker Wissemann, Institut für Botanik, und Prof. Dr. Hans-Peter Ziemek, Institut für Biologiedidaktik, damit schlagen. Diese neue Einrichtung des Fachbereichs Biologie und Chemie will einerseits Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit geben, unter Anleitung von Studierenden aktiv im Bereich Biologie zu forschen. Didaktisch und methodisch werden dabei innovative Konzepte der pädagogischen Arbeit an außerschulischen Lernorten erprobt und evaluiert. Ler-

Dinos konnte man im Jahr 2010 in der gesamten Innenstadt von Gießen studieren …

nen durch Lehren heißt jetzt außerdem die Devise für Studierende der Lehramtsfächer: Die Hermann-Hoffmann-Akademie ist inneruniversitär primär eine Einrichtung für die Studierenden der Biologie, die dort schon möglichst früh in hoher Eigenverantwortung eine praxisnahe Vermittlung von Wissen lernen und so auch frühzeitig erkennen sollen, ob die pädagogische Arbeit mit Gruppen oder ganzen Klassen tatsächlich der Beruf ist, auf den sie hinarbeiten wollen. Der Namensgeber der neuen Akademie, der Botaniker Heinrich Karl Hermann Hoffmann (1819–1891), wirkte fast 50 Jahre an der Universität Gießen. Er ist Begründer der so genannten Blühphänologie, und auf ihn gehen die über 70 Phänologischen Gärten und Beobachtungsstellen zurück, die heute noch existieren. Die Blühphänologie ist ein wichtiges ökologisches Merkmal von Pflanzen. Blühzeiten sind für die Bestäubung

und die Samenproduktion von Pflanzen und damit für die Reproduktion der verschiedenen Arten von Bedeutung. Das Blühverhalten ist genetisch bestimmt und wird von klimatischen Faktoren mehr oder weniger stark beeinflusst. Damit ist der Blührhythmus ein wichtiger Indikator der Umweltbedingungen. Ziel der Justus-Liebig-Universität ist es, in Verbindung zwischen dem Botanischen Garten der Universität, dem Implantarium – der „Grünen Schule“ – und der Hermann-Hoffmann-Akademie für junge Forscher ein bundesweit einzigartiges Zentrum aufzubauen zur Vermittlung didaktischer und fachwissenschaftlicher Kompetenz in den Bereichen Biologie, Biodiversität und Evolutionsbiologie. Das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst fördert die Initiative mit einer Gesamtsumme von 1,4 Millionen Euro aus dem Strukturund Innovationsfond. Lau

Foto: Holger Laake

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