FLEXIBILITÄT
FLEXIBILITÄT Ja hresbericht 2021 Stif t ung Niedersachsen
INHALT
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Editorial der Generalsekretärin der Stiftung Niedersachsen, Lavinia Francke.
DIE VERWANDLUNG DES FESTEN FUNDAMENTS IN EINE FLEXIBLE SPHÄRE Essay von Prof. Dr. Julius Heinicke über das transformative Vermögen von Kunst und Kultur und die Folgen für kulturpolitische Staatsziele und Kulturgesetze.
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Zukunftsstrategien von Kulturförderung Ein Gespräch mit Lavinia Francke, Kirsten Haß, Kirsten Wagner und Dr. Matthias Stenger, moderiert von Katrin Brinkhoff.
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24x 2021 Emsland Moormuseum | LINK – Künstliche Intelligenz in Kunst und Kultur | reconstruct:alan_turing | Platz des Zusammensitzens | Über Wasser | Händel-Festspiele | Der Wal | sozioK_change | EMAF 2021 | INFECTUS HANNOVER | Patience Camp | Markt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen | TECHNO FAUNA | OIL | PEX für Niedersachsen | Literatur Labor Wolfenbüttel | Pattern in Movement | FENSTER AUF! Spektakel gegen das Erstarren | Raqs Media Collective | Internationaler Joseph Joachim Violinwettbewerb Hannover | SEUCHEN | Jahre des Aufbaus | STORIES | ORATORIO ELEKTRO
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Wirtschaftliche und rechtliche Daten Gremien der Stiftung Niedersachsen Impressum Bildnachweise
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EDITORIAL JAHRESBERICHT 2021
B
ei Erscheinen dieses Jahresberichts im Juni 2022 hat sich die geopolitische Lage Europas und der Welt grundle-
gend verändert. Der grausame Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der am 24. Februar begann, reicht weit über diese beiden Länder hinaus. Die seit 1990 gesetzte europäische Sicherheits- und Friedensordnung wird seitens der russischen Regierung grundsätzlich in Frage gestellt. Eine Krise dieser Größenordnung mit derart fundamentalen Folgen für alle Lebensbereiche hat es in den letzten siebzig Jahren in Europa nicht gegeben. Man muss zudem konstatieren, dass die westlichen Demokratien – trotz aller Geschlossenheit in der Haltung gegenüber dem Aggressor – wirtschafts-, energie- und sicherheitspolitisch nicht immer so handlungsfähig sind, wie es wünschenswert wäre. Demokratien sind fragil. Sie bedürfen unserer ständigen Unterstützung. Wir müssen die demokratische Öffentlichkeit, die in ihr stattfindenden Aushandlungs- und Verständigungsprozesse, nähren und mit Leben füllen, damit sie stark und wehrhaft sein kann. Angesichts einer Zeit großer politischer, ökonomischer und kultureller Veränderungen, die unser gewohntes soziales Gefüge herausfordern, müssen wir uns die Frage stellen, woher die Energie und die Ideen für die Gestaltung dieser fundamentalen Veränderungen kommen werden. Hier kommt der Kultur sowie ihren Institutionen und Künstler*innen eine zentrale Rolle zu. Bereits vor Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine, im zweiten PandemieJahr 2021, war unser aller Empathie und Flexibilität besonders gefordert. Auch und gerade in der Kulturszene musste man sich von Woche zu Woche, von Monat zu Monat auf
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veränderte Situationen mit neuen Regeln und Rahmenbe-
Außerdem haben wir drei Kolleg*innen aus der Kulturför-
dingungen einstellen. Dabei kam es mehr denn je darauf
derung — die Verwaltungsdirektorin der Kulturstiftung des
an, nicht zu verbittert, frustriert und spröde zu werden und
Bundes in Halle/Berlin, Kirsten Haß, die Geschäftsführe-
angesichts all der Anforderungen in Geist und Seele nicht
rin der nordmetall-Stiftung Hamburg, Kirsten Wagner,
zu sehr zu verhärten. Wem es gelang, berührbar zu bleiben
und Dr. Matthias Stenger, den Direktor der Ostfriesischen
durch die Schicksale anderer und interessiert an neuen Pers-
Landschaft in Aurich, gebeten, mit uns ein Gespräch über
pektiven, der konnte auch 2021 die Erfahrung machen, dass
zukünftige Strategien gelingender und nachhaltiger Kul-
Gemeinschaft durch Krisen trägt.
turförderung zu führen. Die repräsentierten Institutionen wählten wir bewusst unterschiedlich in Größe, Aufgaben
Zu den Orten, an denen sich eine Gesellschaft darüber
und finanziellen Möglichkeiten. Im Zoomiversum an un-
verständigt, wie ihre Bürger*innen leben wollen, gehören
seren Bildschirmen wurde dabei deutlich, dass Kultur von
Theater, Museen, Konzertsäle und Stadtteilzentren. Diese
Hüpfburg über Lotsenboot bis hin zu Traumwandelei viele
Foren gilt es zu fördern, sie brauchen gedankliche und
Assoziationen weckt und in ihrer fantasievollen Vielstim-
künstlerische Freiräume und ausreichende finanzielle Mit-
migkeit unverzichtbar ist.
tel, denn in ihnen verlaufen die diskursiven Adern unseres Gemeinwesens.
Schließlich haben wir Verantwortliche einiger von uns geförderten Projekte eingeladen, diese mit einem Foto und
Als Landeskulturstiftung stehen wir deshalb eng an der
einem kurzen Statement selbst in unserem Jahresbericht
Seite der niedersächsischen Kulturszene. Wir begleiten sie
zu präsentieren. Ausgewählt wurden Fotos von besonderen
inhaltlich und ideell sowie pro Jahr mit rund 5 Millionen
Objekten, Momenten oder Personen, die das geförderte Pro-
Euro finanziell. Dabei sind wir auch selbst gefordert, unsere
jekt repräsentieren. Entstanden ist ein buntes Kaleidoskop
eigene Förderpolitik und das Förderspektrum, das wir in
von Eindrücken, das einmal mehr zeigt, wie vielfältig und
unserer Arbeit abbilden, immer wieder neu zu überdenken.
facettenreich die kulturelle Landschaft in Niedersachsen ist.
In diesem Jahresbericht, der den Titel „Flexibilität“ trägt,
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre!
schreibt Prof. Dr. Julius Heinicke, Professor für Kulturpolitik und Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls „Kulturpolitik für
Ihre
die Künste in Entwicklungsprozessen“ an der Universität
Lavinia Francke
Hildesheim für uns über seine Perspektiven auf Kultur als
Generalsekretärin
Fundament und transformative Sphäre.
Editorial
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DIE VERWANDLUNG DES FESTEN FUNDAMENTS IN EINE FLEXIBLE SPHÄRE: das transformative Vermögen von Kunst und Kultur und die Folgen für kulturpolitische Staatsziele und Kulturgesetze
Essay Von Prof. Dr. Julius Heinicke
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D
ie Badewanne hebt sich vom
Gemeinsam mit Pina Bausch und
Boden und beginnt zu schwin-
Reinhild Hoffmann zählt Susanne
gen. Sie wird zur leichtfüßigen Part-
Linke zu den Pionier*innen des deut-
nerin der Tänzerin auf der Bühne und
schen Tanztheaters, welche Ballett,
wippt nahezu schwerelos. Die Szene
Tanz und Theater vor mehr als vierzig
aus „Im Bade wannen“ der Choreogra-
Jahren durchaus anknüpfend an die
fin Susanne Linke, die ich als fünfjäh-
Avantgarde – Linke studierte sowohl
riges Kind 1984 im großen Haus des
bei Mary Wigman in Berlin als auch
Wuppertaler Theaters gesehen habe,
bei Kurt Jooss in Essen – verwandelt
gehört zu meinen prägendsten Erinne-
haben. Die Badewanne auf der Bühne,
rungen. Ich war so sehr fasziniert, dass
die zu schweben beginnt, ist ein
ich meiner Mutter, die neben mir saß,
passendes Bild für diesen Aufbruch:
ganz aufgeregt meine Begeisterung
Kunst und Kultur vermögen es, Räume
kundtat. Mein Regelbruch, während
jenseits der Realität zu schaffen, in
der Aufführung zu plappern, wurde
denen Dinge und Weisen tradierter
von benachbarten Zuschauer*innen
Ordnungen enthoben werden und
mit missfälligem Räuspern und Kopf-
deren Gesetzmäßigkeiten entfliehen
schütteln quittiert, auch das war für
können. Das traditionelle Klischee
mich eine Erfahrung, die ich später
der schrubbenden Hausfrau wird de-
immer wieder machte. Wenn auch
konstruiert. Die Tänzerin bringt nicht
die Kunst auf der Bühne frei ist, so
nur die Wanne in Bewegung, sondern
herrscht in den Räumen drum herum
ordnet die sie umgebende Welt nach
ein scharfes Regiment.
ihrer eigenen Fantasie neu.
Vor dem Hintergrund dieses transfor-
Gruppen geschützt sowie erlebt und
lassen und nicht allein auf das Funda-
mativen Potenzials künstlerischen
können gleichzeitig
ment der Institution bauen.
Schaffens
Metapher,
neue Praktiken gefördert und initiiert
welche die Enquete-Kommission des
werden, die aktuelle Fragen aufgreifen
So sind einige Leitungen von Kunst
Bundestags „Kultur in Deutschland“
und den gesellschaftlichen Wandlun-
institutionen derzeit bemüht, die
irritiert
die
gegenwärtige
ihrem Abschlussbericht 2007 voran-
gen gerecht werden? Wer definiert
Metaphern und Symbole der Institu-
stellt: „Kultur ist kein Ornament. Sie
künstlerische Qualität? Welche Rolle
tionen zu öffnen oder aufzubrechen.
ist das Fundament, auf dem unsere
spielen hierbei Ausbildungsorte und
Stücke werden in Räumen jenseits der
Gesellschaft steht und auf das sie baut.
Förderinstitutionen? Die fast ambiva-
Theater gezeigt, Museen überdenken
Es ist Aufgabe der Politik, dieses zu
lent erscheinende Doppelmatrix des
ihre kuratorischen Traditionen und
sichern und zu stärken.“ Zwar wech-
kulturpolitischen Aufgabenfeldes ver-
diskutieren Strategien, erbeutete Ex-
selt in diesem Bild Kultur zu Recht
deutlicht sich ebenso in der UNESCO-
ponate zurückzugeben. Bibliotheken
die Rolle. Anstelle des schmückenden
Konvention über den Schutz und die
sollen, so der Plan der Ampelkoali
Beiwerks symbolisiert sie nun die
Förderung der Vielfalt kultureller
tion der Bundesregierung, zu Dritten
Grundmauern der Gesellschaft, doch
Ausdrucksformen, die 2005 verab-
Orten werden. Es ist viel in Bewegung,
die Metaphorik eines festgegossenen
schiedet wurde, und gedenkt, sowohl
es knirscht und ruckelt. Die Kultur-
Fundaments steht der tanzenden Bade-
das vielfältige Kulturerbe zu schützen
landschaften befinden sich in einem
wanne und vielen weiteren künstleri-
als auch innovative Formen künstleri-
Aushandlungsprozess teils gänzlich
schen und kulturellen Werken konträr
schen Ausdrucks zu fördern.
unterschiedlicher Annahmen, welche Vorstellungen eines festen Funda-
gegenüber. Das Motto der Stiftung Niedersachen
ments einerseits und einer flexiblen
Sicherlich haben Kunst und Kultur die
„Flexibilität“ ist an dieser Stelle sehr
Sphäre andererseits mit sich bringen,
Denkweisen und Traditionen von Ge-
passend. Ein Fundament ist nicht fle-
wie er vor langer Zeit schon einmal
sellschaften immer auch untermauert,
xibel und soll es auch nicht sein, denn
vonstattenging, als debattiert wurde,
doch mit Übertreibungen, Zuspitzun-
ein Gebäude soll nicht wackeln. Doch
ob die Erde eine Scheibe oder Kugel
gen, Parodien, Verfremdungen, Fanta-
gründen sich jüngste kulturpolitische
sei, oder später bei der Vertreibung
siewelten und Karikaturen haben sie
Herausforderungen vielleicht in den
dieser Erde aus der Mitte der Welt, was
dieses Fundament stets aufgebrochen
Metaphern selbst, die hierzulande
damals viele ärgerte. Auch heutzuta-
und verändert. Aus dieser Perspektive
vornehmlich mit Kunst und Kultur
ge werden empörte Rufe nach einer
ist es wohl eher Aufgabe der Politik,
verbunden werden: Theater, Oper, Mu-
Zementierung tradierter Ordnungen
den Freiraum des Verwandelns und
seum, Kino, Bibliothek – all diese Kul
laut, beispielsweise mit Forderungen
Aufbrechens zu sichern und zu stär-
turorte werden von feststehenden
nach einer Leitkultur oder kulturellen
ken. Kulturpolitische Akteur*innen
Gebäuden repräsentiert, deren Hierar-
Assimilierungsstrategien.
erhalten hier einen äußerst spannen-
chien und Mauern der gegenwärtigen
den und zugleich kniffligen Auftrag.
Gesellschaft offensichtlich zu schaf-
Mit Blick auf den internationalen Kon-
Welche Rahmenbedingungen mögen
fen machen, da sie Machtmissbrauch
text lässt sich ebenso feststellen, dass
künstlerischen Freiraum und zugleich
und Exklusion fördern. Vielleicht
die See recht aufgewühlt ist. Ein Wett-
Existenzsicherung garantieren? Auf
lohnt es sich, zu überlegen, ob andere,
streit unterschiedlicher Strategien der
welche Art und Weise kann das kul-
ergänzende Bilder sinnvoll sein kön-
auswärtigen Kulturpolitik strapaziert
turelle Erbe der unterschiedlichen
nen, die sich flexibler mit den Räumen
die internationale Zusammenarbeit.
gesellschaftlichen und kulturellen
der lokalen Gesellschaft verknüpfen
China und Russland sind beispiels-
Essay: Die Verwandlung des festen Fundaments in eine flexible Sphäre
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weise bestrebt, mittels Kulturpolitik
zu selten wird heutzutage darauf
zementiert haben, wird mehr und
eigene Vorteile und Interessen in
verwiesen, welch hohes Potenzial in
mehr erforscht. Theater der kolonialen
anderen Ländern durchzusetzen, wäh-
dieser ästhetischen Kreativität und
Siedler*innen wurden nur Menschen
rend andere Teile der Welt zumindest
Freiheit liegt, da der Alltag sich bezüg-
weißer Hautfarbe zugänglich ge-
in ihrem kulturpolitischen Handeln
lich der Sinne (digital, analog, visuell,
macht, die Literatur in Schulen re-
versuchen, dem kolonialen Erbe ein
auditiv, physisch, abstrakt / Sprache,
präsentierte allein koloniales Gedan-
„post“ voranzustellen, um es zu reflek-
Schrift, Tweet, Bild, Musik, Körper,
kengut und verunglimpfte indigene
tieren oder auch Wege der Dekonst-
Video, Digitalität / Mehrsprachigkeit,
Traditionen, die öffentlichen Plätze
ruktion einzuschlagen. Ein Gestus, in
Multiperspektivität, Vieldimensiona-
wurden von Statuen kolonialer Erobe-
welchem sich das Fundament Kultur
lität) als recht komplex darstellt und
rer besetzt.
in eine Sphäre verwandelt hat, in der
dieser tagtäglichen Herausforderung
unterschiedliche Ansichten, Traditio-
im Kunstraum direkt begegnet wer-
Gegenwärtig lässt sich diese ambiva-
nen und Erfahrungen miteinander in
den kann.
lente gesellschaftspolitische Rolle von
Beziehung stehen. Was im Mittelpunkt
Kunst und Kultur ebenfalls feststellen.
ist, scheint nun eher eine Frage der
Das ästhetische Vermögen des Er-
Gemeinsames Singen und Musizieren
Perspektive zu sein.
schaffens von sinnlich erfahrbaren
auf den Balkonen, das in der Öffentlich-
Räumen jenseits der vermeintlichen
keit als großer Verlust wahrgenomme-
Die Beobachtungen innerhalb inländi-
Alltagsrealität und deren Regelwer-
ne Verbot, Ausstellungen, Kinos, eine
scher und auswärtiger Kulturpolitik
ken ist den Kunstschaffenden seit
Oper oder die gemeinsame Bandprobe
treten ebenso in anderen politischen
jeher Fluch und Segen zugleich. Die
zu besuchen, die Bedeutung, die Kunst
und
Kontexten
politischen und religiösen Eliten
nun auch von den von der Pandemie
zutage. An fast allen Orten der Erde
haben ihnen immer schon mal sehr
besonders gefährdeten Orten wie
befasst sich die Menschheit mit Trans-
skeptisch, mal sehr wohlwollend ge-
Krankenhäusern und Pflegeheimen
formationsprozessen und deren viel-
genübergestanden. Lange Zeit wurden
zugesprochen wird, vor deren Mauern
seitigen Folgen. Auffallend ist, dass
Schauspieler*innen – da vermeintlich
Posaunenchöre, Streichertrios, Solo
gesellschaftlichen
Kunst- und Kulturschaffende eine
moralisch unrein – außerhalb der
künstler*innen versuchen, solidarisch
Schlüsselrolle einnehmen und dies
Stadtmauer beerdigt, obgleich die
gegen Vereinsamung und Abschottung
auf ganz unterschiedliche Art und
Gegenreformation das Theater und
anzuspielen: All das zeugt vom gesell-
Weise. Sie sind meist die Ersten, die
seine Höllenmaschinen für ihre In-
schaftlichen Konsens über die Lebens-
in ihrer Arbeit Veränderungsprozesse
teressen nutzte. Die Kulturpolitiken
notwendigkeit von Kunst und Kultur.
aufnehmen und so Verhandlungs- und
der Barberini in Rom und Ludwig
Auf der anderen Seite wurde die prekä-
Erfahrungsräume schaffen. Sie blei-
des XIV. in Paris bzw. Versailles im 17.
re Situation ihrer Akteur*innen mehr
ben dabei – ich bemühe noch einmal
Jahrhundert sprechen Bände über die
als deutlich. Viele Künstler*innen und
das Bild der tanzenden Badewanne –
politische Instrumentalisierung von
Kulturschaffende leben regelrecht von
nicht auf dem Boden, sondern lassen
Kunst, deren gesellschaftskritische
der Hand in den Mund, der Spielraum
Welten jenseits tradierter Tatsachen
Stimmen auf dem Pariser Théâtre de
der Förderung der Kunstinstitutionen
oder realer Räume entstehen, häufig
la foire jedoch von der politischen Elite
seitens der Länder und Kommunen
jedoch bleiben sie mit den Fragen der
im frühen 18. Jahrhundert zensiert
ist bis zum Anschlag ausgeschöpft.
Gegenwart und somit dem Erdboden
wurden. Die perfide Art und Weise,
Die freien Szenen können schon gar
verbunden. Ausgehend von der Rea-
mit welcher Kolonisator*innen ihre
nicht auf langfristige Ressourcen
lität schaffen sie also einen flexiblen
Hierarchien beispielsweise mittels
zurückgreifen.
Raum, der sinnlich erlebbar ist. Viel
Literatur, Theater und Bildhauerei
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Dies ist umso erstaunlicher, als die
der Documenta nun ein und sorgt für
Räume von Kunst und Kultur in heu-
vielerlei Debatten im Feuilleton. Als
tigen Tagen der Pandemie nicht nur
Metapher für ihre Arbeitspraxis nutzt
lebensnotwendig erscheinen, da sie
es das indonesische Wort „Lumbung“,
vermögen, mit dem Unwissen und der
welches für eine traditionelle Reis-
Unsicherheit umgehen zu können.
scheune steht, in welcher der Über-
Sondern sie greifen darüber hinaus
schuss der Ernte – so beschreibt es das
auch – so zeigt es ein Blick in die Ge-
Kollektiv – solidarisch verteilt wird. Die
schichte – Schwingungen und (auch
gemeinschaftsstiftende und inkludie-
unbewusste) Stimmungen auf. Die Avantgarde, die auf die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs und die gesellschaftlichen Wandlungsprozesse des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts reagierte, ist ein Beispiel par excellence für die seismographische Bedeutung von Künsten und Kulturen. Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“ rhythmisiert regelrecht die Unruhe und Anspannung der Jahre unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg. Neben dieser
Erfahrbarmachung
gesell-
Viele Künstler*innen und Kulturschaffende leben regelrecht von der Hand in den Mund, der Spielraum der Förderung der Kunstinstitutionen seitens der Länder und Kommunen ist bis zum Anschlag ausgeschöpft.
rende Bedeutung von Kunstschaffen hat sowohl in der Konzeptentwicklung als auch in der Einladungspolitik eine bedeutende Rolle gespielt und so
manchen*manche
Kritiker*in,
Künstler*in und Galerist*in verärgert, da Kunst so eine gänzlich andere, eher soziale und gesellschaftliche denn ästhetisch-künstlerische Modellierung erfährt. Sicherlich sollte der künstlerische Weg, den Ruangrupa einschlägt, wie jegliche Kulturpraxis kritisch begleitet und die Einladungspolitik
schaftlicher eher noch unbewusster
öffentlich debattiert werden. Doch ist
Schwingungen eignen sie sich – nicht
es aus Sicht der gegenwärtigen kultur-
nur mit Blick auf die europäische Ge-
politischen Herausforderungen der
schichte – dafür, Wandlungsprozesse
Documenta und dem Museum Fride-
zu begleiten, indem sie Bewährtes mit
ricianum hoch anzurechnen, den Mut
Neuem, verschiedene Sichtweisen und
zu haben, einen ungewohnten Weg
Erfahrungsmuster vereinigen oder
zu gehen, nur so kann sich ein festes
manch Tradiertes über Bord werfen.
Fundament in eine flexible Sphäre
Auf diese Weise betreten sie das Ter-
verwandeln.
rain der Flexibilität, den Übergang von der Scheibe zur Kugel, und stellen
Das Hamburger Kampnagel ist bekannt
die eigene Perspektive auch mal in
dafür, Kollektive und Künstler*innen
den Hintergrund zugunsten weiterer
einzuladen,
Blickwinkel.
die
Neues
erproben.
Während Ruangrupas künstlerische Wirkungsweisen erst in naher Zu-
Das
indonesische
Künstler*innen
kunft umfassend analysiert werden
kollektiv Ruangrupa, welches die dies-
können, ist Kampnagels künstlerische
jährige Documenta fifteen kuratiert,
Bedeutung für die hiesige Kunstszene
fordert diesen Perspektivwechsel von
offensichtlich. Letztes Jahr war die in
Essay: Die Verwandlung des festen Fundaments in eine flexible Sphäre
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Zimbabwe aufgewachsene Künstlerin
im Verschiedensein Gemeinschaft
Nora Chipaumire in Hamburg zu
zu erfahren. Gerade, weil Menschen
Gast, die in ihren Performances nicht
heutzutage auf ein vielschichtiges he-
nur unterschiedliche Kunstgenres
terogenes Repertoire an Erfahrungen
verknüpft, sondern das Publikum
zurückgreifen und dieses mit ganz un-
aktiv mit einbindet. Tradierte Tren-
terschiedlichen Gruppen nur gemein-
nungen zwischen Publikum und
schaftlich teilen können, erscheint es
Bühne werden aufgehoben, darüber
sinnvoll, die Vielfalt und Diversität als
hinaus signalisiert ihre Technik, dass
gemeinschaftsstiftend anzuerkennen.
Ästhetik nur im gemeinsamen Tun
In Chipaumires Performance gelingt
kreiert werden kann, hierbei jedoch
dies. Die Künstlerin präsentiert un-
jede*r ihre*seine Eigenart einbringt.
terschiedliche musikalische Erfah-
Im Triptychon „#PUNK 100% POP
rungsräume ihrer eigenen Geschichte,
*N!GGA“ befragt Chipaumire nicht
zu denen die Teilnehmer*innen ganz
nur Stereotype und Hierarchien aus Gender- und Rassismus-Kontexten, sondern verwebt sie mit persönlichen Erfahrungen aus ihrer Jugend als junge schwarze Frau in Zimbabwe und eher global situierten Erfahrungen mit dem Punk einer Patti Smith oder dem Pop einer Grace Jones aus dieser Zeit. Die Zuschauenden werden nicht nur mit persönlichen Erlebnissen der Künstlerin konfrontiert, sondern sie werden bewusst als tanzende Körper in die Aufführung einbezogen, welche
Wenn die Freiheit der Kunst garantiert wird, dann sollten kulturpolitische Rahmenbedingungen so gestaltet sein, dass diese sich weder auf den inhaltlichen noch auf den künstlerischen Feldern einmischen ...
verschiedene
Anknüpfungspunkte
haben. Während wahrscheinlich die wenigsten in Hamburg Erlebnisse aus Zimbabwe mit ihr teilen können, kommen mit Patti Smiths Musik eigene Erinnerungen ins Spiel, die jedoch ganz unterschiedlich sind und doch in der Verschiedenheit Gemeinschaft erfahrbar machen. Kunst- und Kulturschaffen verfügt in seiner Multiästhetik über ein hohes demokratisches Potenzial, da es über
ebenso persönliche Erinnerungen mit
die diversen Wahrnehmungsebenen
den Musikstücken verbinden und so in
unterschiedliche Zugänge erschaffen
die Ästhetik einbringen.
und kombinieren kann, ohne dass sie von den Rezipient*innen in Gänze
Das künstlerische Vermögen, welches
verstanden, also kategorisiert werden
Chipaumires Aufführung generiert,
müssen. Auch ein Hineinfallen, eine Ir-
habe ich in den letzten Jahren mit
ritation oder ein Gefühl des Unwissens
Rückgriff auf Achille Mbembes Begriff
können ästhetische Erfahrungen sein.
der Entähnlichung in verschiedenen
Ob Musik, Performance, Malerei, Rap,
Arbeiten versucht, kulturpolitisch
Gaming, Clubs, all diese Kulturforma-
zu modellieren. Gegenüber den Stra-
te kreieren Sphären, die niederschwel-
tegien von Assimilation durchaus
lig sind und in erster Linie ein Erleben
konträr setzt Entähnlichung auf
zum Ziel haben, das zunächst keiner
Verschiedensein, jedoch mit dem Ziel,
Interpretation oder intellektuellen
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Verarbeitung bedarf. Literatur und
fältigen Recherche und Umsetzung,
garantiert wird, dann sollten kultur-
Sprechtheater bilden auf den ersten
inwieweit Kunst Anknüpfungspunkte
politische Rahmenbedingungen so
Blick eine Ausnahme, da hier zunächst
für potenzielle Rezipient*innen findet
gestaltet sein, dass diese sich weder auf
vorausgesetzt wird, dass die Sprache
und ästhetisch bewegt und überzeugt.
den inhaltlichen noch auf den künstle-
gesprochen bzw. gelesen werden
So sind insbesondere die Ausbildungs-
rischen Feldern einmischen, vielmehr
muss, aber spätestens seit dem Dada-
stätten in der Pflicht, Studierenden
neben der künstlerischen Förderung
ismus ist dies keine Grundbedingung
und Auszubildenden diese recht kom-
Strukturen stärken, mittels derer
mehr, um eine ästhetische Erfahrung
plexen und sich wandelnden Arbeits-
die Inhalte, Fragen und Debatten,
machen zu können. Vielleicht liegt in
weisen, Kompetenzen, Methoden und
die in den freien Räumen der Kunst
diesem multiästhetischen Vermögen
Fragen mit auf den Weg zu geben. An
gestellt und verhandelt werden, in die
von Kunst und Kultur ein Grund für
dieser Stelle kommen jedoch ebenso
gesellschaftlichen Räume getragen,
die Zurückhaltung, Kunst im Zuge
die Akteur*innen der Kulturpolitik
hier reflektiert und übersetzt werden
der Digitalisierung einfach nur zu
und Kulturförderung ins Spiel, da sie
können. Der Kulturpolitik und Kultur-
übersetzen. Aus heutiger Perspektive
die Rahmenbedingungen künstleri-
förderung werden so zwei Aufgaben-
scheint Digitalität nicht nur als Medi-
schen Arbeitens festlegen.
felder zugedacht: Erstens, Kunst und deren Akteur*innen und Institutionen
um, sondern auch als eigene Form und Sprache hinzuzukommen, die in den
Die Freiheit der Kunst wird im Grund-
im Sinne der Freiheit zu fördern, und
verschiedenen Kunstprojekten aufge-
gesetz garantiert. Allerdings gren-
zweitens, Räume und Strukturen der
griffen und reflektiert werden kann.
zen kulturpolitische Akteur*innen
Reflexion, Übersetzung und Vermitt-
Das reine Streamen von Kunst hat auch
die Freiheit immer wieder ein, da
lung zu unterstützen, welche nicht in
in der Pandemie relativ schnell seinen
sie beispielsweise über thematische
die Kunsträume eingreifen, jedoch das
Reiz verloren, währenddessen Produk-
Schwerpunkte und Besetzungen von
„Drumherum“ gestalten.
tionen, die mit Digitalität spielten und
Leitungspositionen, aber auch über
diese durchaus verfremdeten, äußerst
die Länge der Vorbereitungs- und Re-
Die
interessante Räume erschufen.
cherchezeit entscheiden. Vor dem Hin-
fordert in ihrem Koalitionsvertrag
amtierende
Bundesregierung
tergrund der eben skizzierten Projekte
„Kultur in ihrer Vielfalt“ als Staats-
Dabei haben die Kunstschaffenden
wird auch hier vermehrt eine große
ziel ein, welches zumindest in der
es selbst in der Hand, welche Bezüge
Portion an Selbstreflexion und Flexi-
dargestellten
sie innerhalb dieser flexiblen ästhe-
bilität gefordert. So verdeutlichen die
diversen Kulturlandschaft im Sinne
tischen Systeme schaffen und ob
Beispiele Documenta und Kampnagel,
einer flexiblen Sphäre hervorruft und
und auf welche Art und Weise sie die
dass Kulturinstitutionen durchaus
kein starres Fundament gießt. Damit
Erfahrungsräume in Orte möglicher
offen den Prozessen der Veränderung
diese Vision Wirklichkeit wird, sind
Erkenntnis und Reflexion verwandeln.
und der Reflexion eigener Haltungen
kulturpolitische Umsetzungsstrate-
So geht Chipaumires Performance-
und Arbeitsweisen gegenüberstehen,
gien vonnöten. Die gesellschaftliche,
abend über ein reines Clubtanzen
allerdings braucht es hierzu Mut, lan-
soziale und kulturelle Vielfalt sollte
Vision
Bilder
einer
hinaus, da sie dieses innerhalb eines
gen Atem und eine hohe Toleranz ge-
sich zunächst in den verschiedenen
postkolonialen Diskurses verortet und
genüber Möglichkeiten des Scheiterns,
Ausbildungsstätten kultureller und
ihre Biografie als Referenzrahmen in
da weder auf tradierte Erfahrungen
künstlerischer Praxis widerspiegeln,
den Mittelpunkt stellt. Es ist eine Frage
noch auf etablierte Rezipient*innen
was wiederum die Attraktivität der
der künstlerischen Arbeit und Schwer-
zurückgegriffen werden kann. Mehr
Tätigkeit im Kunst- und Kulturbereich
punktsetzung, jedoch ebenso der sorg-
noch: Wenn die Freiheit der Kunst
voraussetzt. Die eher mauen Perspek-
Essay: Die Verwandlung des festen Fundaments in eine flexible Sphäre
13
tiven auf langfristige Absicherung
Dies kostet Zeit, Nerven und Geld, von
mögen ein entscheidender Grund
denen alle zu wenig haben. Es wird
für das Zögern vieler Menschen sein,
auch schwerlich ein Konsens zu finden
eine Ausbildung oder ein Studium in
sein, da die Perspektiven und Wünsche
diesem Kontext aufzunehmen. Ein
zu divers sind. Gleichwohl sind sie für
anderer ist die persönliche Entfer-
die Zukunft der Gesellschaft in ihrer
nung von den etablierten Kultur- und
Mehrstimmigkeit unumgänglich. Ein
Kunstlandschaften. So spielen Künste
Staatziel Kultur der Vielfalt fordert
aufgrund der individuellen Geschich-
dies ein. Der Bund kann die Vielfalt
te oftmals keine Rolle im eigenen
garantieren und einen Schwerpunkt
Leben oder sind schlichtweg uninter-
auf marginalisierte Gruppen und
essant, da es wenig Möglichkeiten der
überregional bedeutende Kultur- und
Teilnahme und Mitgestaltung gibt; ein Phänomen, das sich übrigens durch alle gesellschaftlichen und kulturellen Gruppen zieht und nicht allein mit polaren Mustern wie mit bzw. ohne Migrations- oder bildungsferner Geschichte erklären lässt. Gegenüber beiden Vorbehalten kann Kulturpolitik
Maßnahmen
ergrei-
fen. Hier kommen das Staatsziel auf Bundes- und Kulturgesetze auf Landesebene ins Spiel. Die Verknüpfung mit Kunst und Kultur ab der frühkindlichen Bildung bis ins hohe Alter, die langfristige Sicherung für Kunstschaffende, all dies lässt sich mit Förder-,
Kultur ist nicht mehr das Fundament einer homogenen Gesellschaft, sondern eine Sphäre aus vielen kulturellen Planeten und Systemen, die in steter Aushandlung mitein ander stehen, sich verbinden und verbünden, voneinander entfernen, sich isolieren oder verschmelzen.
Kunstpraktiken setzen. Das Land kann den Schutz historischen Kulturerbes und die Förderung gegenwärtiger Erwartungen und Praktiken fokussieren und die Kommunen lokale Bedarfe in den Blick nehmen. Die Hoheit der Länder und Kommunen über die Kultur ist dabei keineswegs in Gefahr, der Bund mischt sich in erster Linie in das Wahren von Vielfalt ein, garantiert den Einbezug von Minderheiten und schafft über die auswärtige Kulturpolitik glokale Schnittstellen. Dabei sind die verschiedenen Ebenen im steten Austausch,
Zuständigkeiten
und
Aufgaben müssen über die Gesetze geregelt sein, was ebenfalls Zeit und
Bildungs- und kulturellen Struk-
Ressourcen kostet, anders jedoch eine
turmaßnahmen
Wenn
nachhaltige und gleichzeitig flexible
die kulturpolitischen Akteur*innen
Kulturlandschaft nicht umsetzbar ist.
umsetzen.
auf kommunaler, Landes- und Bundesebene, die Vereine, Organisati-
Ein Kulturgesetz in Niedersachsen
onen, Institutionen, Verbände und
beispielsweise mag auf Landesebene
Vertreter*innengruppen
von
ein wichtiger Schritt sein, wenn es das
Kunst- und Kulturschaffenden wie
doppelte Vermögen der Kunst, Vielfalt
Susanne Linke, Nora Chipaumire oder
zu verhandeln und gleichzeitig Kultur-
sich
Ruangrupa inspirieren lassen, können
praktiken zu wahren, fördert und da-
sie von dieser Warte multiästhetischer
rüber hinaus attraktive Perspektiven
Flexibilität aus gemeinsam Strategien
für Kunstschaffende gestaltet. Diese
entwickeln.
kreieren in ihren multiästhetischen
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Arbeiten immer häufiger transformative Sphären gesellschaftlicher und kultureller Aushandlung, welche Zugänge für sehr vielfältige Gruppen
PROF. DR. JULIUS HEINICKE
Vita
bieten und so gesellschaftliche Diversität erleb- und verhandelbar machen. Kultur ist nicht mehr das Fundament einer homogenen Gesellschaft, son dern eine Sphäre aus vielen kulturellen Planeten und Systemen, die in steter Aushandlung miteinander stehen, sich verbinden und verbünden, voneinander entfernen, sich isolieren oder verschmelzen. Um Wandlungsprozessen innerhalb der Gesellschaft nachhaltig begegnen zu können, sollten sowohl Staatsziel als auch Kulturgesetze die Existenz dieser vielseitigen Sphären und ihrer flexiblen Konstellationen und Bezüge stützen und sie in enger Kooperation gemäß den unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen von Kommunen, Ländern und Bund gemeinschaftlich fördern.
Julius Heinicke ist Professor für Kulturpolitik und Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls „Kulturpolitik für die Künste in Entwicklungsprozessen“ (UNESCO Chair in Cultural Policy for the Arts in Development) an der Universität Hildesheim. Von 2017 bis 2020 war er Professor für „Angewandte Kulturwissenschaften“ an der Hochschule Coburg und leitete das Wissenschafts- und Kulturzentrum. Seit 2018 ist er Projektleiter des Forschungsprojekts „Schnittstellen zwischen Hochkultur und Kultureller Bildung“. Von 2012 bis 2016 forschte und lehrte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter (PostDoc) am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität in Berlin zu den Themenfeldern angewandtes Theater, internationale Kulturpolitik und kulturelle Diversität in Deutschland und im südlichen Afrika (EuropeanResearch-Council-Projekt „The Aesthetics of Applied Theatre“). Nach dem Studium der Kultur- und Theaterwissenschaften / kulturellen Kommunikation promovierte er an der Humboldt-Universität zu Berlin über Theater, Kunst und Politik in Zimbabwe mit einem Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung. Neben seiner Lehr- und Forschungstätigkeit arbeitet Julius Heinicke seit vielen Jahren international. Er initiierte mehrere Kunst- und Kulturprojekte in Deutschland und im südlichen Afrika, war u. a. Company Manager beim Musical „Die Venus“ in Berlin, Produktionsleiter von Marianne Rosenbergs Jazz- und Chansonprogrammen und künstlerischer Koordinator des „Zimbabwe Arts Festival Berlin“, einer Kooperation mit dem Auswärtigen Amt.
Essay: Die Verwandlung des festen Fundaments in eine flexible Sphäre
15
ZUKUNFTSSTRATEGIEN VON KULTURFÖRDERUNG
Ein Gespräch mit Lavinia Francke, Kirsten Haß, Dr. Matthias Stenger und Kirsten Wagner, moderiert von Katrin Brinkhoff. Das Gespräch wurde am 3. Februar 2022 via Zoom geführt.
Katrin Brinkhoff: Herzlich willkom-
stark von Transformation geprägt ist?
men und vielen Dank, dass Sie an
Und sind da nicht Bilder stimmiger
diesem Austausch zu zukünftigen
oder auch Metaphern, die stärker eine
Strategien von Kulturförderung teil
Beweglichkeit mit sich bringen? Wel-
nehmen. Wir wollen uns darüber
ches Bild kommt Ihnen, wenn Sie an
verständigen, wie eine sinnvolle und
das Konstrukt Kultur denken?
nachhaltige Förderung von Kultur aussehen kann. Die Institutionen, die
Lavinia Francke: Also, wenn wir jetzt
Sie vertreten, sind unterschiedlich
wirklich über ein spontanes assoziati-
in Größe, Aufgaben und finanziellen
ves Bild reden, fällt mir als Symbol für
Möglichkeiten. Den Auftakt möchte
Kultur und ihre Rolle eine Hüpfburg
ich mit einem kleinen Gedankenexpe-
ein. Der Boden ist flexibel, aber man ist
riment machen. Prof. Heinicke nimmt
geschützt, und gleichzeitig wird man
in seinem voranstehenden Essay Bezug
eingeladen und aufgefordert, etwas
auf ein Zitat aus einem Dokument der
zu tun, sich zu bewegen, wird stark
Enquete-Kommission 2017: „Kultur ist
zur Eigeninitiative angeregt. Das steht
kein Ornament. Sie ist das Fundament,
für viele Aspekte von Kultur, die mir
auf dem unsere Gesellschaft steht und
wichtig sind.
auf das sie baut.“ Und er fragt: Dieses
16
stabile Bild von in Beton gegossenem
Kirsten Haß: Ich bin bei den Booten,
Fundament, ist das überhaupt zeitge-
also Tanker und Beiboot vielleicht.
mäß für die Welt, in der wir leben, die
Kultur hat für mich beide Facetten.
Der Tanker ist nichts ohne Beiboote,
Da können wir einerseits Kontinuität
mit denen man ihn verlassen kann,
bieten und ein verlässlicher Partner
schneller unterwegs ist, kurze Wege
sein. Andererseits haben Festivals
nehmen, Transfer und Lotsenfunkti-
die Eigenschaft, sich regelmäßig von
onen übernehmen kann. Das wären
innen heraus zu erneuern und Neues,
meine Bilder.
Experimentelles ins Land zu holen.
Kirsten Wagner: Mir fehlt bei Hüpf-
Katrin Brinkhoff: Frau Haß, wie erle-
burg und Booten noch das Disruptive.
ben Sie das auf der Bundesebene, was
Die Kraft der Kultur manifestiert sich
ist bewährt und sollte bleiben, wo gibt
auch in den Provokationen, mit denen
es Veränderungsbedarf?
sie gesellschaftliche Veränderungen
Mit Themen und Strukturimpulsen können wir viel bewirken, aber im Zentrum der Förderung sollte die Ermöglichung dessen stehen, was aus der Kunst selbst als Impuls kommt. Kirsten Haß
anstößt. Ich suche da noch nach ei-
Kirsten Haß: Ich glaube, was bleiben
nem geeigneten Bild.
muss, ist eine offene Förderung, in der beantragt werden kann, was in den
Dr. Matthias Stenger: Ich kreise assozi-
verschiedenen künstlerischen Sparten
ativ um Wachträume, Traumwandeln,
erdacht und erarbeitet wird. Mit The-
wenn ich ein Bild suchen soll. Kultur
men und Strukturimpulsen können
bietet die einmalige Möglichkeit, Neues
wir viel bewirken, aber im Zentrum
auszuprobieren, auch mal verrückt
der Förderung sollte die Ermöglichung
sein zu dürfen, in dieser Verrücktheit
dessen stehen, was aus der Kunst selbst
im Zweifelsfall auch Gleichgesinnte zu
als Impuls kommt. Dadurch gewinnt
finden. Und das Ganze ergebnisoffen
man Erneuerung und Experimente.
und gemeinschaftlich.
Was sich vielleicht künftig ändern muss, sind die formalen Voraussetzun-
Katrin Brinkhoff: Danke. Hüpfburg,
gen, die erfüllt sein müssen, um eine
Lotsenboote, Träume. Das sind sehr
Förderung zu erlangen. Bei uns in der
schöne Bilder, die zeigen, Kultur ist in
allgemeinen Projektförderung muss
Bewegung oder wie Julius Heinicke es
mindestens eine Ko-Finanzierung ge-
zusammenfasst: Kultur ist nicht mehr
sichert sein in Höhe von 20 Prozent der
das Fundament einer homogenen
Gesamtkosten bei Antragstellung. Das
Gesellschaft, sondern eine Sphäre
ist für die freie Szene oftmals schwer
aus vielen kulturellen Planeten und
zu leisten. Die Frage ist, ob wir dabei
Systemen. Wie kann und muss Stif-
bleiben wollen und damit das Feld
tungsarbeit darauf reagieren? Was ist
möglicher Antragsteller*innen enger
traditionell in Ihrer Stiftungsarbeit
machen.
wirksam und gut? Katrin Brinkhoff: Frau Wagner, Herr Lavinia Francke: Traditionell wirksam
Stenger, das Wesen von Innovation ist
und gut ist sicherlich die Festivalför-
Fehlerkultur, Offenheit für Neues, Mut.
derung, die wir landesweit betreiben.
Wie erleben Sie dieses Spannungsfeld?
Gespräch: Zukunftsstrategien von Kulturförderung
17
Katrin Brinkhoff
Lavinia Francke
Kirsten Haß
Kirsten Wagner: Wir sind eine Stif-
entstanden: die Stärkung des Ehren-
t ung mit dem Auftrag, die Gesell-
amtes in der Kultur – das ist auch ein
schaft ein bisschen besser zu machen.
großes Anliegen der Landschaften –,
Ich könnte mir vorstellen, dass wir in
der Ausbau von Beratungsstrukturen
unserer Projektförderung zukünftig
zu Fördermöglichkeiten, die Verein-
bestimmte formale Vorgaben machen,
fachung von Förderverfahren und die
die gesellschaftliche Themen aufgrei-
Regionalisierung der Förderung.
fen, also etwa hinsichtlich Nachhaltigkeit oder Ansprache eines diversen
Scheitern kann man auch als Stif-
Publikums. Dies könnte ein wichtiger
tung, indem man Förderprogramme
innovativer Impuls sein und Räume
auflegt, die ihr Ziel verfehlen. Aber
öffnen für Experimente. Außerdem
scheitern kann natürlich auch jede*r
wollen wir einen konstruktiven Um-
Antragsteller*in mit einem Projekt.
gang mit Scheitern ermöglichen.
Es wäre lohnend, darüber nachzudenken, inwieweit wir Scheitern eigentlich
Dr. Matthias Stenger: Eine Leitlinie
bei Projekten zulassen? Wie könnte
von Kulturpolitik sollte es sein, den
man gerade, wenn man innovative ex-
Diskurs mit den Kulturschaffenden,
perimentelle Projekte fördern möch-
mit der Szene zu führen, um daraus
te, auch dieses Scheitern ermöglichen?
dann Programme zu entwickeln. Das ist in Niedersachsen 2018 und 2019
Kirsten Haß: Ich würde sagen, dass
von Landesseite in verschiedenen
inhaltliches Scheitern fast schon zum
Regionalkonferenzen versucht wor-
Wesen von Projektförderung gehört.
den. Daraus sind viele Anregungen
Man fördert ja kein fertiges Projekt,
18
Wir messen den Erfolg eines Projektes ja nicht nur am Endprodukt, sondern auch an den Prozessen, die zu diesem geführt haben. Die können wichtig und wertvoll sein, auch wenn das Ergebnis dann nicht in jeder Hinsicht überzeugt. Lavinia Francke
Kirsten Wagner
Wenn man Inno vation auf ein wirklich neues Niveau heben möchte, dann müsste man diesen Gedanken des Scheiterns vielleicht miteinbinden, so wie es beim Einsatz von Risikokapital in der Wirtschaft geschieht, dessen Verlust einkalkuliert ist. Dr. Matthias Stenger
Dr. Matthias Stenger
das schon realisiert wurde, sondern
Die können wichtig und wertvoll sein,
man trifft die Entscheidung auf Basis
auch wenn das Ergebnis dann nicht
eines Antrags. Was später heraus-
in jeder Hinsicht überzeugt. Wir ver-
kommt, das kann gelungen oder we-
suchen, solche Fälle konstruktiv zu
niger gelungen sein. Aus meiner Sicht
begleiten und daraus für die Zukunft
ist das mit der Kategorie Scheitern
zu lernen.
nicht zu greifen. Manchmal scheitern Kooperationen zum Beispiel wegen zu
Kirsten Wagner: Inhaltliches Schei-
großer kultureller Unterschiedlich-
tern hat aber auch immer mit misslin-
keit in der künstlerischen Arbeit oder
gender Kommunikation zu tun. Bei
an den administrativen Rahmenbe-
einer Förderung gab es bei uns einmal
dingungen. In unserem Fonds Turn,
ein
da geht es um Kooperationen zwischen
Museum meinte Menschen, die noch
Institutionen in Deutschland und in
nicht in ihrem Haus waren, und wir
afrikanischen Ländern, gab es einige
meinten Menschen, die noch nie in
Projekte, die letztlich abgebrochen
einem Museum waren. Uns ist es wich-
werden mussten.
tig, vorab Ziele und Erwartungshal-
solches
Missverständnis.
Das
tungen zu klären und abzustimmen Lavinia Francke: Ich glaube auch, dass
und den Projekten auch beratend zur
der Begriff „Scheitern“ im Kulturbe-
Seite zu stehen. Darin sehen wir unse-
reich selten hilft. Wir messen den
re Aufgabe und da liegt auch unsere
Erfolg eines Projektes ja nicht nur am
Kompetenz.
Endprodukt, sondern auch an den Prozessen, die zu diesem geführt haben.
Gespräch: Zukunftsstrategien von Kulturförderung
19
Kirsten Haß: Wir legen in unseren
durch Mut und durch Verlassen ver-
Strukturprogrammen, also zum Bei-
trauter Wege. Das betrifft in Deutsch-
spiel bei 360° – Fonds für Kulturen
land auch sehr stark das Thema
der neuen Stadtgesellschaft, immer
Digitalisierung. Markus Hilgert, Ge-
ein Begleitprogramm auf. Das umfasst
neralsekretär der Kulturstiftung der
einerseits Beratung der Projektträ-
Länder, schrieb dazu kürzlich: „Wir
ger*innen, Vernetzung untereinander,
haben in der Kultur die Relevanz und
aber in diesem Fall auch eine beglei-
transformative Kraft der Digitalisie-
tende Evaluation. Wir schauen, wie
rung bisher in unverantwortlicher
laufen die Prozesse an den Häusern,
Weise verschlafen und geglaubt, uns
und die Ergebnisse können sofort
am Status quo festhalten zu können.“
wieder zurückgespielt werden an die
Stimmen Sie ihm zu?
beteiligten Einrichtungen, damit sie nachsteuern können. Das ist ein gutes
Lavinia Francke: Das kommt sehr
Mittel, um Schwierigkeiten sichtbar
darauf an, wo man in der Kultur
zu machen und es nicht zum Scheitern
hinschaut. Es gibt inzwischen viele
kommen zu lassen.
Einrichtungen, die auch für den digitalen Raum produzieren und das, was
Dr. Matthias Stenger: Ich kann allem,
Markus Hilgert so schön sprechend
was auf meine Idee geantwortet
„Snackable Content“ nennt, immer
wurde, nur zustimmen und habe
mit bedenken. Trotzdem gibt es Kultur
einiges davon auch selbst erfahren
erlebnisse, die digital nicht möglich
dürfen, also gerade was Projektbeglei-
sind. Es ist ein großer Unterschied,
tung anbelangt. Mein Impuls mit dem
ob ich ein bestimmtes Kunstwerk auf
Scheitern ging eher in die Richtung,
dem Bildschirm sehe oder in einem
Risikokapital bereitzustellen. Wenn
Museum. Wir dürfen nicht alles über
man Innovation auf ein wirklich neues
einen Kamm scheren. Es gibt Dinge,
Niveau heben möchte, dann müsste
die sind nur analog möglich. Das heißt
man diesen Gedanken des Scheiterns
aber nicht, dass wir die Digitalisie-
vielleicht miteinbinden, so wie es
rung verschlafen. Es gibt einfach be-
beim Einsatz von Risikokapital in der
stimmte Kulturerlebnisse, die stellen
Wirtschaft geschieht, dessen Verlust
sich digital nicht her.
einkalkuliert ist. Dies aber nur als Anregung, die die Idee der Innovati-
Kirsten Wagner: Ich sehe das ähnlich
onsförderung ein bisschen pointiert
wie Lavinia Francke. Kein Kunstwerk
auf die Spitze treibt.
lässt sich durch eine Onlineführung in seiner ganzen Wirkung zeigen. Gleich-
Katrin Brinkhoff: Das ist ja ohnehin
zeitig denke ich, gibt es Menschen, die
eine Grundsatzfrage, die uns alle be-
so in den sozialen Medien verhaftet
schäftigt: Wie kommt das Neue in die
sind, dass sie mit neuen Mitteln für
Welt? Durch Fehlerkultur, aber auch
Kultur interessiert werden müssen.
20
Im digitalen Raum gelten außerdem ganz andere Kriterien für Qualität. Das muss man respektieren. Ich finde es gut, wenn Kultur auch in Häppchen vermittelt wird, aber an solche „Snacks“ darf man dann eben nicht die gleichen Maßstäbe anlegen wie an ein Konzert in einem akustisch perfekten Konzertsaal. Kirsten Wagner
Kirsten Haß: Ich glaube nicht, dass
den: weil es schlicht und ergreifend
Kirsten Haß: Für mich geht es dabei
gerade die jungen oder jüngeren Men-
so viel Arbeitszeit und damit Kosten
sehr stark um Flexibilität versus Orien-
schen, die Hilgert hier nennt, ohne
bindet. Digitalisierung bedeutet einen
tierung und Perspektive, und zwar im
Content zu gewinnen sind. Snackable
dauerhaften Prozess, der dauerhafte
Hinblick auf unsere Verantwortung
Content heißt ja immer noch Content.
Förderung oder Mittelsteigerungen
den Kulturschaffenden gegenüber.
Was wir sicher in der Förderung nicht
nötig macht.
Wir wollen Innovationen anregen
genügend berücksichtigt haben, sind
und neue Wege anstoßen, ohne eine
digitale Medien, die an der Grenze zur
Lavinia Francke: Ich würde gerne noch
permanente
Kreativwirtschaft sind. Das Thema
eine weitere Facette ergänzen. Wir
Strukturinnovation zu erzeugen, die
Gaming etwa. Das ist ein interessanter
haben ein Förderprogramm, das sich
letztendlich alle so auspowert, dass
Randbereich, der die Künste berührt
dem Einsatz von KI in der Kultur wid-
der Drive dann fehlt. Diese Balance
Überforderung
mit
und den wir nicht weiter ausklam-
met, LINK. Die Erfahrungen, die wir
hinzukriegen, das müssen wir als För-
mern sollten.
da machen, sind überaus spannend,
derer klug bewerkstelligen.
weil sich beispielsweise die Teams Dr. Matthias Stenger: Ich bin der Mei-
aus IT-Leuten und Künstler*innen
Bei der Kulturstiftung des Bundes
nung, dass man die Digitalisierung
erstmal finden müssen – sowohl in
haben wir uns deswegen sehr mit der
in der Kultur nicht verschlafen hat,
der Kommunikation als auch in der
Frage beschäftigt, wie der Bereich Ver-
sondern größtenteils ganz vernünftig
Kooperation, denn die Denkweisen
mittlung ins Digitale überführt wer-
damit umgeht. Was Frau Francke ge-
und auch die Sprachen sind doch sehr
den kann. Nach den Erfahrungen der
sagt hat, kann ich nur unterstreichen:
unterschiedlich. Die Produkte, die ent-
letzten zwei Jahre ist es zudem sicher
Manches Kulturerlebnis stellt sich nur
stehen, sind zum Teil noch gar nicht so
interessant zu gucken, was war mehr
ein, weil es im Moment passiert, weil
interessant, aber die Prozesse dahinter
Krücke und was hat neue Perspekti-
es einmalig ist, weil es unwiederbring-
sind es. Wir stoßen da an Grundfragen
ven eröffnet. Zurzeit sind wir aber
lich ist und weil es in Gemeinschaft
des Menschseins: Was ist überhaupt
noch in der Beobachtungs- und Erpro-
stattfindet. Ich glaube, man sollte da
diese berühmte Schöpfungshöhe, an
bungsphase und letztendlich müssen
auch in der Vermittlung zweigleisig
die wir das Urheberrecht knüpfen?
die Kultureinrichtungen selbst die
fahren. Wir brauchen weiter das Pro-
Was ist ein Werk? Ist KI bereits kreativ
Impulse setzen. Für uns als Förderer
grammheft und den Flyer, wir brau-
oder imitiert sie nur Kreativität?
steht da immer der Dialog mit den Institutionen und Kulturschaffenden
chen aber beides auch digital. Wir müssen die sozialen Medien genauso
Katrin Brinkhoff: Ein Impuls von LINK
bedienen wie die Zeitungen. Ein ganz
scheint mir der interdisziplinäre Aus-
wichtiger Punkt für mich ist hierbei,
tausch zu sein. Informatiker*innen
Kirsten Wagner: Im digitalen Raum
dass Digitalisierung sehr viel Geld
vernetzen sich mit Kunst- und Kultur-
gelten außerdem ganz andere Kriteri-
kostet. Ich würde es ganz wunder-
schaffenden und überwinden auch
en für Qualität. Das muss man respek-
bar finden, wenn wir Millionen von
Vorurteile über das jeweils andere
tieren. Ich finde es gut, wenn Kultur
im Mittelpunkt.
Museumsobjekten, wie Herr Hilgert
Feld. Daran würde ich gerne meine
auch in Häppchen vermittelt wird,
es fordert, digital inventarisieren
nächste Frage anknüpfen: Wie könn-
aber an solche „Snacks“ darf man dann
würden. Aber es gibt ja einen Grund,
ten wir aus Ihrer aller Sicht in Zukunft
eben nicht die gleichen Maßstäbe
warum diese Millionen von Objekten
Digitalisierung in der Kultur sinnvoll
anlegen wie an ein Konzert in einem
auch in den vergangenen Jahrzehnten
nutzen?
akustisch perfekten Konzertsaal. Aus
nicht mal analog inventarisiert wur-
meiner Sicht ist es aber wichtig, einen
Gespräch: Zukunftsstrategien von Kulturförderung
21
Teil des Anspruchs abzulegen und
Entwicklung von Sehgewohnheiten
dass da mit vielerlei Maß gemessen
etwa auf das Computerspiel Battlefield
zu tun und dem größeren Angebot in
wird bei der Beurteilung von Projekten,
zu verweisen, wenn es um Kriegssze-
der Stadt. Es gibt keine eindeutige Ant-
weil die auf dem Land teilweise auch
nen auf einem Renaissance-Gemälde
wort darauf, nur eine komplexe. Und
andere Funktionen erfüllen. Ich bin
geht, wie es die Kunsthalle Bremen tut.
die heißt dann für uns als Förderer,
in diesem Zusammenhang gespannt,
Eine Kultur des Ausprobierens ist da
auch sehr fein ziseliert die Förderin-
wie die Digitalisierung der Arbeitswelt
ein Stichwort. Neugier zu etablieren.
strumente zu entwickeln, mit denen
sich auf die Bevölkerungsstruktur und
Das ist mir wichtig.
man an diese Frage herangehen will.
damit langfristig auch auf die Kultur im ländlichen Raum auswirken wird.
Dr. Matthias Stenger: Ich erlebe das
Lavinia Francke: Das ist eine Frage,
Was bedeutet eine neue Urbanisierung
natürlich auch an mir selbst, dass man
die uns als Stiftung Niedersachsen
des ländlichen Raumes für die Kultur?
in der digitalen Welt ganz anders kon-
tagtäglich beschäftigt, weil Nieder-
Wie wird sich die anfangs genannte
sumiert als in der analogen. „Snack
sachsen ein Flächenland ist. Qualität
Sozialstruktur auf dem Lande dadurch
able“ ist zwar ein Happen Inhalt, aber
ist für uns kein statischer Begriff,
wandeln?
keine schwere Kost. In der Kultur ha-
er speist sich aus unterschiedlichen
ben wir es aber häufig inhaltlich mit
Aspekten und wir bewerten Dinge an
Katrin Brinkhoff: Vielen Dank. Zum
schwererer Kost zu tun. Ich sehe noch
verschiedenen Orten unterschiedlich.
Abschluss möchte ich Sie zu einer
nicht, wie es gelingen kann, diese
Wenn wir irgendwo auf dem Land eine
kurzen, knackigen Zeitreise einladen:
schwere Kost ins Digitale zu übertra-
Person oder eine Institution haben, die
Was wäre für Sie 2030 ein attrakti-
gen. In der digitalen Welt ist es kein
kulturelle Alleinversorgung betreibt
ves Szenario der dann bestehenden
Problem, daran vorbeizukommen.
und das sehr erfolgreich, dann schät-
Kulturförderlandschaft?
In einem Konzert höre ich mir alles
zen und begleiten wir das als Stand-
an. Digital bleibt es oft bei den zwei
ortstärkung und legen nicht über jede
Dr. Matthias Stenger: Vergangenheit
Lieblingsliedern.
Veranstaltung das scharfe Raster der
sind: Spartendenken, Antragsfristen.
Qualitätsprüfung. Insofern ist unser Katrin Brinkhoff: Bleiben wir mal bei
Qualitätsbegriff vielschichtig.
dem Kriterium Qualität, das Sie ja alle
Kirsten Haß: Bedarfe kennen, Prozesse ermöglichen. Aus dem Prozess lernen.
in Ihren Förderentscheidungen leitet.
Dr. Matthias Stenger: In ländlichen
Wie schätzen Sie das mit Blick auf die
Räumen und in Ballungsgebieten
unterschiedlichen Regionen ein? Dazu
haben wir ja auch eine andere soziale
Kirsten Wagner: Relevanz künstleri-
die etwas provozierende Frage: Gibt es
Bevölkerungsstruktur. Da unterschei-
schen Schaffens und kollaboratives
unterschiedliche Qualitätsbegriffe in
den sich Stadt und Land nun mal. Es
Arbeiten der Akteur*innen.
der Stadt und auf dem Land?
gibt zum Beispiel im ländlichen Raum
Das Gelernte wieder anwenden.
nur sehr wenige Universitäten. In
Lavinia Francke: Verbindung von
Kirsten Haß: Ich könnte in beide
Städten habe ich eine sehr viel größere
künstlerischer Praxis und politischem
Richtungen antworten und sagen: Ja,
Angebotsvielfalt und von daher auch
Raum, digital und analog.
das ist so, und nein, das ist so nicht.
einen sehr viel größeren kulturellen
Grundsätzlich glauben wir daran, dass
Wettbewerbsdruck, den es auf dem
Katrin Brinkhoff: Das sind doch star-
Qualität auf dem Land genauso gut
Land in der Form nicht gibt. Und
ke Visionen für die Zukunft! Ich danke
funktioniert wie in der Stadt. Qualität
deshalb finde ich das ganz richtig und
Ihnen für dieses Gespräch.
hat aber sicher auch etwas mit der
wichtig, was Frau Francke gesagt hat,
22
Personen und Institutionen
LAVINIA FRANCKE
KIRSTEN HASS
Lavinia Francke studierte Jura und Theaterwis-
Kirsten Haß ist Germanistin und Publizistin.
senschaften in Gießen, München und Montpel-
Sie war lange Geschäftsführerin des Landesver-
lier. Sie arbeitete als Kulturmanagerin für das
bandes Freier Theater in Niedersachsen und in
Beck Forum München und das Haus der Kulturen
Niedersachsen auch Sprecherin der Freien Kultur-
der Welt Berlin. Von 2002 bis 2009 leitete sie das
verbände. Seit 2008 ist sie in unterschiedlichen
Vorstandsbüro und den Programmbereich der
Positionen bei der Kulturstiftung des Bundes
2002 neu gegründeten Kulturstiftung des Bundes
tätig, unter anderem als Leiterin der Abteilung
in Halle und Berlin. Lavinia Francke war von 2010
Förderung und Programme. Seit zwei Jahren
bis 2015 Geschäftsführerin des internationalen
ist sie die Verwaltungsdirektorin und bildet ge-
Festivals Theaterformen in Hannover und Braun-
meinsam mit der Künstlerischen Direktorin den
schweig und ist seit Herbst 2015 Generalsekretä-
Vorstand der Stiftung.
rin der Stiftung Niedersachsen. Kulturstiftung des Bundes: Die Kulturstiftung Stiftung Niedersachsen: Als Landeskulturstif-
des Bundes fördert Kunst- und Kulturvorhaben
tung stärkt die Stiftung Niedersachsen durch die
im Rahmen der Zuständigkeit des Bundes. Sie
Förderung gemeinnütziger Projekte die Vielfalt
entwickelt eigene Förderprogramme mit nationa-
der Kultur in Niedersachsen und trägt zur Profi-
lem und internationalem Modellcharakter und
lierung des Kulturstandortes bei. Wichtig ist ihr
fördert auf Antrag und in allen Sparten Projekte
dabei insbesondere die Auseinandersetzung mit
im internationalen Kontext. Künstlerische Exzel-
zeitgenössischen Entwicklungen in Kunst und
lenz und engagierte Zeitgenossenschaft haben
Kultur. Die Stiftung verwirklicht ihren Zweck
sich seit ihrer Gründung im Jahr 2002 gleicher-
zudem operativ mit eigenen Programmen, wie
maßen als Ausweis der Stiftungsarbeit etabliert.
LINK – Künstliche Intelligenz in Kunst und
Mit ihren Programmen lädt die KSB kulturelle
Kultur und dem Joseph Joachim Violinwett-
Akteur*innen sowie Kulturinstitutionen dazu
bewerb. Neben den Programmen fördert die Stif-
ein, sich innovativ mit zentralen Themen unse-
tung Niedersachsen jährlich rund 200 Projekte
rer Gesellschaft zu befassen, gesellschaftliche
aus den Sparten Musik, Kunst, Theater und Tanz,
Debatten kontinuierlich durch Positionen aus
Soziokultur, Literatur, Bildung und Wissenschaft.
Kunst und Kultur zu bereichern und auf diese
Wichtige
Projektförderung
Weise auch kulturpolitische Impulse zu setzen.
sind Qualität, Ausstrahlung, Kooperation und
Kriterien
der
Die Kulturstiftung des Bundes verfügt derzeit
die Teilhabe unterschiedlichster Gruppen. Die
über einen Jahresetat von 36 Millionen Euro,
Stiftung Niedersachsen stellt pro Jahr rund 5 Mil-
die ihr aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung
lionen Euro für Kulturförderung bereit.
gestellt werden.
Gespräch: Zukunftsstrategien von Kulturförderung
23
KIRSTEN WAGNER
Kirsten Wagner ist Geisteswissenschaftlerin. Sie
DR. MATTHIAS STENGER
hat zehn Jahre bei der Hamburgischen Kulturstiftung gearbeitet und ist seit mittlerweile elf Jahren bei der nordmetall-Stiftung in Hamburg
Dr. Matthias Stenger studierte Geschichte, Ger-
tätig. Sie engagiert sich u. a. beim Bundesverband
manistik und Romanistik in Erlangen, Tübingen,
Deutscher Stiftungen und als Gastgeberin beim
Rom und Coimbra. Während Studium und Promo-
Webtalk #ImpulseStiften.
tion arbeitete er u. a. für das Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart und das Haus
nordmetall -Stiftung:
der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
wurde vor 18 Jahren vom Arbeitgeberverband der
in Bonn. 2011 übernahm er die Leitung des ost-
Metall- und Elektroindustrie mit einem Grün-
Die nordmetall-Stift ung
friesischen Teemuseums in Norden und stellte das
dungskapital von 75 Millionen Euro errichtet. Sie
Haus baulich und inhaltlich völlig neu auf. Seit
fördert in den fünf norddeutschen Bundesländern
Januar 2021 ist Dr. Matthias Stenger Direktor der
Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, im nord-
Ostfriesischen Landschaft in Aurich.
westlichen Niedersachsen und in MecklenburgVorpommern. Die Förderung in den Bereichen
Ostfriesische Landschaft: Die Ostfriesische
Wissenschaft, Bildung und Kultur erfolgt unter
Landschaft ist ein höherer Kommunalverband
der Klammer „Talente fördern, Zusammenhalt
der Landkreise Leer, Wittmund, Aurich und
stärken, den Norden bereichern“. Für die Kultur-
der Stadt Emden. Sie ist Interessensverwalterin
förderung stehen jährlich rund 400.000 Euro zur
Ostfrieslands und in dieser Funktion auch his-
Verfügung.
torisch begründet eine wichtige Anlaufstelle für in Ostfriesland lebende Menschen. Die Ostfriesische Landschaft nimmt Aufgaben insbesondere im Bereich Kultur, Wissenschaft und Bildung sowohl für die Kommunen als auch für das Land Niedersachsen wahr. Hierzu zählt auch die Aus-
KATRIN BRINKHOFF
gabe der regionalen Kulturförderung des Landes Niedersachsen. 2022 waren dies gut 180.000 Euro, mit denen 50 Projekte gefördert wurden. Hinzu kommen seit 2017 das Investitionsprogramm für kleine Kultureinrichtungen und seit 2020 die Ausgabe von Corona-Sonderprogrammen des Landes Niedersachsen. Fördern kann die Landschaft zudem aus Erträgen mehrerer Stiftungen, die größte ist die Ostfrieslandstiftung.
Katrin Brinkhoff ist Medienpsychologin und arbeitet als Prozessmoderatorin. Sie studierte neben Psychologie Anglistik und Kunstgeschichte. Die gebürtige Niedersächsin lebte zwei Jahre in Schottland und England und arbeitete unter anderem als Kulturjournalistin für das ZDF Landesstudio Berlin. Seit mittlerweile 20 Jahren unterstützt sie Kultur- und Medienorganisationen in Veränderungsprozessen und arbeitet als Coach und Facilitator. Ihre Schwerpunkte sind dabei die Themen Innovationskraft und Ideenentwicklung sowie Führung und Transformation. Katrin Brinkhoff lebt in Berlin.
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24x 2021 Einblicke in die Programmund Projektförderung
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FORSCHUNG ZUR SOZIALGESCHICHTE IM NORDWESTDEUTSCHEN RAUM ZU ZEITEN DER ÖDLANDKULTIVIERUNG
Emsland Moormuseum
Josef Diek gehörte zu den wenigen Betriebsschlossern, die seit den 1960er Jahren in vielen Ländern Europas arbeiteten, um Maschinen zu reparieren und einzufahren. Obwohl er keine Fremdsprachen beherrschte, kam Diek im Ausland überall durch seine freundliche, gewinnende Art zurecht, wenn auch in Russland mit einem Dolmetscher. Das Foto zeigt Josef Diek, Bildmitte, 1992, auf seiner letzten Auslandsreise in Russland. Er nahm eine Eigenkonstruktion seines Arbeitgebers, eine Weißtorfstechmaschine, in Betrieb, um sie nach der Einweisung an den Kunden zu übergeben. Ansgar Becker, Kurator & stellvertretender Museumsleiter
Das Emsland Moormuseum ist mit seiner umfangreichen Sammlung eines der größten Moormuseen in Europa. Die Ausstellungen geben Auskunft über den Lebensraum Moor und dessen Besiedlung. Anhand erhaltener Torfabbau- und Verarbeitungsmaschinen wird die mühselige Arbeit im Moor, aber auch der technische Fortschritt im Widerstreit mit dem Naturschutz dokumentiert. Die Stiftung Niedersachsen fördert ein Projekt zur Erforschung der Sozialgeschichte der Arbeiter*innen der lokalen Torfindustrie.
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LINK – KÜNSTLICHE INTELLIGENZ IN KUNST UND KULTUR Stiftung Niedersachsen
Mensch versus Maschine? Nein, Robotik und KI erweitern das Spektrum künstlerischen Schaffens menschlicher Künstler*innen. #KulturgestaltetZukunft Dr. Tabea Golgath, Referentin für Kunst & Museen
Das Programm „LINK – Künstliche Intelli-
eingereichten Projektskizzen wurden die
genz in Kunst und Kultur“ stand 2021 im
multimodale Theaterinstallation „ANA –
Zeichen des dritten Programmelements,
eine empathische Theaterinstallation zu
den LINK-Masters. Gemeinsam mit der
gemeinsamer Geschichtsimprovisation“,
VolkswagenStiftung fördert die Stiftung
die Theaterproduktion „DANCET RONIC –
Niedersachsen drei wegweisende KI-Pro-
Baroque Meets Robotics“ und die Perfor
jekte zwischen Kunst und Wissenschaft
mance „Patterns in between Intelligences“
mit je 150.000 Euro. Aus insgesamt zehn
ausgewählt.
Programm- und Projektförderung 2021
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RECONSTRUCT: ALAN_TURING Starb der Mathematiker Alan Turing tatsächlich an dem halb angebissenen Apfel, der auf seinem Nachttisch gefunden wurde? Die Polizei versäumte es, den Apfel auf Spuren von Gift zu untersuchen, mit dem sich Alan Turing laut offizieller Annahme das Leben nehmen wollte. Miriam Wendschoff, Leitung & Dramaturgie
Büro für Eskapismus
Das Büro für Eskapismus lies das Publi-
selungsverfahren Enigma und trug so
kum in einem „Fictional Reality Game“
maßgeblich zum Sieg der Alliierten bei.
an der Schnittstelle von immersivem
Aufgrund seiner Homosexualität wurde
Theater, Installation und Escape Room
er später aber ausgegrenzt, juristisch ver-
die Todesumstände des genialen Mathe
folgt und letztlich zur Zwangskastration
matikers Alan Turing ermitteln. Im
verurteilt. In Folge dieser nahm er sich
Zweiten Weltkrieg entschlüsselte der
(höchstwahrscheinlich) das Leben.
Brite Turing das deutsche Verschlüs-
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PLATZ DES ZUSAMMENSITZENS Cameo Kollektiv
Mit unserem Projekt haben wir Menschen dafür begeistert, sich mit dem eigenen Sitzplatz in der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Diesen Platz zu kennen, erleichtert das Zusammensitzen. Als Team konnten wir im Projekt selten physisch zusammensitzen. Aber wenn, dann nahmen wir alle auf diesem Stuhlmodell Platz ... Sebastian Cunitz, Mitglied der Geschäftsführung
Das Cameo Kollektiv ist eine der vielversprechendsten jungen Initiativen Hannovers. Mit dem „Platz des Zusammensitzens“ wurde ein soziokultureller Designprozess initiiert und ein Platz geschaffen, um gemeinsam Ideen für die Zukunft entwerfen, diskutieren und realisieren zu können. Die ersten Projektphasen VERSTEHEN, BEOBACHTEN und ZUSAMMENFÜHREN wurden im Magazin „Auf die Plätze“ reflektiert. Nun geht es ans IDEENSAMMELN, GESTALTEN und TESTEN.
Programm- und Projektförderung 2021
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ÜBER WASSER Museum Industriekultur Osnabrück
Die Ausstellung „Über Wasser“ entstand in Kooperation mit über 70 Akteur*innen aus der Region Osnabrück, die ihre Perspektiven in Form von rund 120 gestalteten Wassereimern einbrachten. Besonders beeindruckend waren die Beiträge verschiedener Flüchtlingshilfeorganisationen, darunter die Gips installation einer Aktivistengruppe der Seebrücke Osnabrück e. V. Hier wurde die globale Dimension des Themas besonders deutlich: Wasser verbindet und vernetzt nicht nur, sondern stellt in diesen Zeiten auch eine unüberwind bare oder gar tödliche Hürde auf der Flucht in menschenwürdige Lebensumstände dar. Gleichzeitig wird es immer mehr zu einem Fluchtgrund: Während Wasser in den Industrieländern meist selbstverständlich und jederzeit in beliebiger Menge und guter Qualität zur Verfügung steht, haben rund 2,1 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser. Die Versorgung eines großen Teils der Weltbevölkerung mit hygienischem und gesundheitlich unbedenk lichem Trinkwasser sowie mit einer ausreichenden Menge an Nutzwasser stellt eine der größten Herausforderungen der Menschheit in den nächsten Jahrzehnten dar. Dr. Vera Hierholzer, Direktorin
Von Frühjahr bis Herbst 2021 zeigte das
Netzwerke geknüpft und das Thema parti-
Museum Industriekultur (MIK) in Osna-
zipativ mit unterschiedlichsten Partnern
brück die Ausstellung „Über Wasser“. Die
bespielt. So waren unter anderem die Fo-
Ausstellung verband einen lokalen Blick
tografische Gesellschaft Osnabrück, das
auf die Ressource Wasser mit dem Ziel,
Literaturbüro Westniedersachsen und
die globalen Folgen zu veranschaulichen.
das Unabhängige Filmfest Osnabrück
In der Region Osnabrück wurden dazu
beteiligt.
Programm- und Projektförderung 2021
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100 JAHRE HÄNDEL-FESTSPIELE GÖTTINGEN
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Internationale Händel-Festspiele Göttingen
100 Jahre Internationale Händel-Festspiele Göttingen – und plötzlich steht ein Elefant im Raum: Wie schafft man es, den Bogen zu Oskar Hagens Göttinger „Rodelinde“ von 1920 zu schlagen und gleichzeitig den Aktualitätsbezug zu wahren? Dorian Dreher (Regie) und Hsuan Huang (Bühnenbild und Kostüme), die den für den Jahrestag der Göttinger Händel-Renaissance eigens ausgerufenen Regieteamwettbewerb für sich entschieden, fanden darauf 2021 in ihrer Inszenierung der Jubiläumsfestspiel-Oper „Rodelinda“ ebenso klare wie überraschende Antworten. Etwa durch diesen, dem großen Surrealisten Max Ernst – genauer: dessen Werk Celebes aus dem Jahr 1921 – nachempfundenen Dickhäuter. Jochen Schäfsmeier, Geschäftsführender Intendant
Die Händel-Festspiele gehören zu den
macht, darunter historische Fotos, Pla-
weltweit ältesten Festivals für Barockmu-
kate, Programmhefte, Regiepartituren,
sik. Sie sind vor mehr als 100 Jahren aus
Pressespiegel und Korrespondenzen. Das
dem Engagement vieler Göttinger*innen
Projekt eröffnet so einen einmaligen
hervorgegangen. Zum Jubiläum 2020
Blick in das Kulturgeschehen der Zeit
(verschoben auf 2021) beschenkte das
außerhalb der großen Metropolen.
Festival die Öffentlichkeit mit einem beispielhaften Digitalisierungsprojekt:
Die Stiftung Niedersachsen begleitet
Alle Archivbestände aus den Jahren
das Festival verlässlich und hat auch
1920 bis 1950 wurden wissenschaftlich
hier gerne fördernd zur Realisierung
erschlossen und digital zugänglich ge
beigetragen.
Programm- und Projektförderung 2021
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DER WAL
Theater zwischen den Dörfern
Das Mikrophon. Das (bis heute) einzige Medium, mit dem die Existenz unseres real existierenden Wales nachgewiesen wurde. Wir erfassen den Bruchteil einer fremden Wirklichkeit. Wir fühlen fast körperlich, wie schwer es fällt, die Leerstellen nicht zu füllen mit vermeintlichem Wissen oder Mutmaßungen. Und trotzdem oder gerade deshalb wird er uns zur Projektionsfläche unserer eigenen Sehnsucht. Das Mikrophon im Blau war das erste assoziative Bild, mit dem wir arbeiteten, als wir für den Finanzierungsantrag unser Inszenierungsvorhaben formulierten. Und es ist genauso wie auf diesem Bild Bühnen- und Szenenbild geworden. Noa Wessel, Regie, Schauspiel, Musik & künstlerische Leitung
„Der Wal“ ist eine digitale LivestreamPerformance für Kinder ab vier Jahren. Erzählt wird die (wahre) Geschichte des einsamsten Wals der Welt. Der soge nannte 52-Hertz-Wal singt auf einer für ihn charakteristischen Frequenz, kann dadurch aber mit anderen Walen nicht kommunizieren. Das fantasievolle Theaterstück des Theaters zwischen den Dörfern lädt Kinder zu einer spannenden Entdeckungsreise in die Tiefen des Meeres ein. Das Stück wurde 2021 für das Best OFF Festival Freier Theater der Stiftung Niedersachsen im Mai 2022 nominiert.
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SOZIOK_CHANGE Stiftung Niedersachsen
sozioK_change: Die Kraft der Veränderung! Volle Fahrt voraus in Richtung Zukunft! Daniela Koß, Referentin für Theater, Tanz & Soziokultur
Wie kann der Generationenwechsel ge-
15 soziokulturelle Einrichtungen einen
staltet werden? Wie wird neues Publi-
Changeprozess, um sich „fit für die Zu-
kum begeistert? Wie können Abläufe
kunft“ zu machen. Das Förderprogramm
und Strukturen langfristig verändert
„sozioK_change“ wurde am 2. Juni 2021
und die Digitalisierung vorangetrieben
mit einer großen, gemeinsamen digita-
werden? Mit diesen und weiteren Fragen
len Tagung abgeschlossen.
durchliefen von 2015 bis 2021 insgesamt
Programm- und Projektförderung 2021
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EMAF 2021: AUSSTELLUNG POSSESSED In der altarartigen Videoinstallation „Madre Drone“ (2020) der chilenischen Künstlerin Patricia Domínguez liefen viele der thematischen Bezüge des Festivals zusammen: Sie verband Mythen, Symbole und Rituale mit Gedanken zu Extraktion und indigenem Bodenrecht, kultureller Aneignung und der Zerstörung der Natur. Gleichzeitig steht diese Arbeit auch exemplarisch für ein Ausstellungskonzept, das direkt auf die Umstände der Pandemie reagieren sollte: wenige großflächige, ortsspezifische Installationen, die sich erleben ließen, ohne dass etwas berührt werden musste (wie z. B. Kopfhörer), und die viel Abstand ermöglichten. So konnten sich trotz aller Umstände sowohl sinnliche Erfahrungen wie auch eine gewisse Entschleunigung einstellen. Inga Seidler, Ausstellungskuratorin
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European Media Art Festival (EMAF) Das EMAF in Osnabrück zählt zu den
Fragen nach Waren- und Besitzlogik
Die für das Publikum geschlossene
bedeutendsten Foren der internati-
des Kunstmarkts insbesondere der Me-
Ausstellung wurde mit einem virtu-
onalen Medienkunst. 2021 wurde
dienkunst in den Mittelpunkt stellen.
ellen Rundgang zugänglich gemacht.
aufgrund der pandemiebedingten Ein-
Wem (und in welcher Form) gehört
Beteiligte Künstler*innen boten in
schränkungen eine außergewöhnliche
eine Kunst, die sich potenziell unend-
Audioformaten besondere Einblicke in
hybride Festivalausgabe umgesetzt.
lich vervielfacht, die auf unterschied-
ihre Arbeiten.
Unter dem Titel „possessed“ waren in
lichen Trägermedien und in multiplen
der Kunsthalle Osnabrück in der Festi-
Präsentationskontexten gleichzeitig
valausstellung Werke zu sehen, die die
gegenwärtig sein kann?
Programm- und Projektförderung 2021
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INFECTUS HANNOVER Ensemble Megaphon
Auf dem Foto ist der Liebestanz des Todes mit dem Virus abgebildet, in dem das Virus aufreizend und sinnlich den Tod verführt. Diese Figuren waren die Hauptprotagonisten unserer Aufführung. Unsere Produktion bewegte sich tänzerisch zwischen Fakten, Fiktion und Kunst und bot uns in Form eines Straßentheaters eine Möglichkeit zur direkten Konfrontation und dem Austausch mit unserem Publikum und nichts ahnenden Passant*innen. Lenka Ẑupková, Künstlerische Leitung
Das Ensemble Megaphon nahmen die Pandemie zum Ausgangspunkt, sich mit der Seuchengeschichte Hannovers zu befassen. In einem Musiktheaterspaziergang mit szenischen Interventionen nahmen die Zuschauer*innen an Ritualen teil, interagierten mit den Künstler*innen und wurden so selbst zu Akteur*innen. Geschichte wurde multisensorisch er fahrbar und es entstand eine Verbundenheit unserer Gesellschaft mit historischen Stadtgesellschaften.
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PATIENCE CAMP Unsere Reise dauerte insgesamt 635 Tage. 635 Tage, an denen wir keinen anderen Menschen sahen. An jedem dieser 635 Tage waren wir der Verzweiflung nah. Aber wir hatten unsere Arbeit. Und wir hatten das Banjo. „Patience Camp“ erzählt von der total gescheiterten Antarktisexpedition unter der Leitung von Ernest Shackleton, die alle Expeditionsteilnehmer*innen überlebt haben. Wir nehmen an, dass das Überleben mit dem Banjo zu tun hatte. Thomas Matschoß, Leitung, Regie, Text & Spiel
Jahrmarkttheater Das Jahrmarkttheater holte mit „Patience Camp“ die Antarktis nach Bostelwiebeck. Vor über 100 Jahren scheiterte die Antarktisexpedition „Endurance“ des britischen Polarforschers Ernest Shackleton grandios (das Schiffswrack des Polarforschers wurde erst Anfang 2022 wiederentdeckt). Die 28-köpfige Crew konnte sich auf Eisschollen retten und trieb monatelang im ewigen Eis. Das Stück nach einer wahren Begebenheit ist eine Krisenüberwindungsgeschichte, eine Geschichte von den Tugenden der Zivilisation und der heilsamen Kraft von Theater und Fußball, denn alle Crewmitglieder überlebten dieses insgesamt zweieinhalb Jahre dauernde Abenteuer. Programm- und Projektförderung 2021
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MARKT FÜR NÜTZLICHES WISSEN UND NICHT-WISSEN
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Nicht immer gelingt es, sich das gewünschte Gegenüber für ein Gespräch zu erhandeln; dann hilft es, sich zu beschweren und mit anderen das Wissen der Welt auf dem „Markt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen“ zu tauschen. Dr. Gesa Schönermark, Referentin für Musik, Literatur, Bildung & Wissenschaft
Stiftung Niedersachsen Am 12. September 2021 luden die Stif-
samen Diskursraum, in dem Lernen und
tung Niedersachsen und das Staatsthea-
Verlernen, Wissen und Nicht-Wissen,
ter Hannover zum „Markt für nützliches
Lebens- und Überlebensstrategien auf
Wissen und Nicht-Wissen“. Im Rahmen
nicht institutionellem Weg ihre „Be
des international erprobten Konzeptes
sitzer*innen“ wechselten. In Hannover
boten 64 Expert*innen ihr Wissen in
wurde Wissen rund um das Thema „HAB
30-minütigen Vieraugengesprächen an –
UND GUT. Eigentum, gemachte Armut
parallel, inszeniert und doch sehr indivi-
und eine Welt, die wir teilen“ angeboten.
duell. Der Markt schaffte einen gemein-
Programm- und Projektförderung 2021
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TECHNO FAUNA Liliana Barros
Das Objekt, das ich ausgewählt habe, ist ein Metallstab, der mit dem Körper verschmelzen kann. Es war ein entscheidendes Element und Material, mit dem ich im Prozess und bei der Schaffung von „TECHNO FAUNA“ gearbeitet habe. Für mich drückt dieses Metall alles aus, was dem Fleisch und dem Organischen entgegensteht, und ist gleichzeitig ein Symbol für die Entwicklung und Technologie unserer Zeit. Wenn ich über den Körper der Zukunft spreche, war dies der Schlüssel, um über Transformation und Hybridität zu sprechen und um zu spekulieren, wohin sich der menschliche Körper entwickeln könnte. Liliana Barros, Tänzerin & Choreografin
„TECHNO FAUNA“ spekuliert über die Zukunft der menschlichen Existenz, über ihre Transformation und Anpassung. Es erforscht die Grenzen des Körpers, seine Archäologie und die Möglichkeit, mit seiner Umgebung zu verschmelzen. Die Zukunftsfantasien der unabhängigen Tänzerin und Choreografin, Liliana Barros hatten 2021 Premiere und überzeugten die Jury des Best OFF Festivals Freier Theater. Im Mai 2022 präsentierte sie die Produktion daher im Rahmen des Festivals in Hannover.
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OIL
Kunstmuseum Wolfsburg
Einer der Höhepunkte unserer Ausstellung „Oil. Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters“ war sicherlich die beeindruckende, über 13 Meter lange Installation „Expanded Dreams Tableau“ des indonesischen Künstlers Entang Wiharso, die sowohl die mit Öl verbundenen Freiheitsversprechen thematisierte als auch die Kehr seite der Medaille. Nach dem Aufwand des Transportes und des Aufbaus der komplexen Arbeit war es für uns alle eine wunderbare Überraschung, dass uns der Künstler das große Werk für die Sammlung geschenkt hat. Dr. Andreas Beitin, Direktor
Welche Bedeutung hat Öl für uns? Es
Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigte
Kanon der westlichen Moderne wie aus
ist ein wichtiger Rohstoff und Ener-
2021 die weltweit erste Retrospektive
Ölregionen rund um den Globus mit
gieträger, zugleich aber auch Auslöser
der globalen Erdölmoderne und warf
Naturwissenschaft und Technik, mit
von Kriegen und Umweltkatastrophen.
einen spekulativen, poetischen Blick
Wissen, Praktiken und Apparaten aus
Heute ist uns dies bewusster denn je.
auf die seit rund 100 Jahren andauern-
Chemie, Bohrwesen und Geologie, aus
de Ära. Die Ausstellung konfrontierte
Arbeitsalltag und Popkultur.
künstlerische Werke sowohl aus dem
Programm- und Projektförderung 2021
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PEX FÜR NIEDERSACHSEN
Landesverband Freier Theater in Niedersachsen
Das Projekt „PEX für Niedersachsen“ fand nach einer sehr gut besuchten, mitreißenden digitalen Auftaktveranstaltung und einem intensiven Peer-toPeer-Beratungsprozess seinen krönenden Abschluss beim PEX-Kongress am 10. und 11. September 2021 im Jahrmarkttheater in Bostelwiebeck. Das Projekt soll ab Herbst 2022 fortgesetzt werden. Martina von Bargen, Geschäftsführerin
Das Austauschprogramm „Performing
tragen in ihrer Region maßgeblich zur
zu unterstützen, beispielhafte oder in-
Exchange (PEX) für Niedersachsen“
Belebung bei und wirken häufig als
novative Formate überregional sicht-
stand im Kontext des immer stärker
Kommunikationsanker in der Fläche.
bar zu machen und aktuelle Bedarfe
werdenden Interesses an ländlichen
Ziel des Förderprogramms PEX war es
für die kulturpolitische Arbeit von
Räumen: seitens der Kulturpolitik wie
daher, vernetzende Begegnungen der
Interessenvertretungen zu bündeln.
auch der in unterschiedlichen Räu-
Künstler*innen zu ermöglichen, freie
men und Regionen produzierenden
Theater in ländlichen Räumen bei
Künstler*innen. Freie Theatergruppen
ihrer Vermittlungsarbeit nachhaltig
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LITERATUR LABOR WOLFENBÜTTEL Stiftung Niedersachsen
Ikonisch beim LiLaWo: Stoppuhr und Süßes. Der Zuckergenuss beförderte zwanzig Jahre lang außergewöhnliche Erzählungen und Gedichte, die über das literarische Nachwuchsförderprogramm hinaus erfolgreich in die Literaturwelt getragen wurden. Dr. Gesa Schönermark, Referentin für Musik, Literatur, Bildung & Wissenschaft
20 Jahre lang bot das „Literatur Labor Wolfenbüttel“ – kurz: LiLaWo – jugendlichen Autor*innen in der Bundesakademie für Kulturelle Bildung in Wolfenbüttel einen professionell begleiteten und geschützten Raum, in dem sich die Laborant*innen in der Gemeinschaft ausprobieren, ihre Texte vorstellen und voneinander lernen konnten. 2021 wurde es beendet. Im Rahmen des Literaturfestes Niedersachsen der VGH-Stiftung wurde es mit einem Lese reigen von ehemaligen Stipendiat*innen verabschiedet.
Programm- und Projektförderung 2021
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PATTERN IN MOVEMENT Voktett Hannover
Mit unserer außergewöhnlichen Konzertreihe „PATTERN IN MOVEMENT“ haben wir atmosphärische und innovative Vokalmusik in ganz Niedersachsen aufführen können. Die Kombination von geistlicher und weltlicher Musik und das Zusammenwirken von Vokalensemble und Cello ist in den wunderschönen niedersächsischen Kirchen, in denen wir zu Gast sein durften, wunderbar zur Geltung gekommen. Der Hoffnung stiftende Kerzenständer vor der blau beleuchteten Kuppel der Stiftskirche Bad Gandersheim ist uns in besonderem Maße in Erinnerung geblieben. Justus Barleben, Tenor & Management
Pattern sind rhythmisch geprägte und sich wiederholende musikalische Elemente. Durch eine lebendige Ausführung können diese beim Hörenden eine psychedelische Wirkung entfalten. Dem Voktett Hannover gelangen acht eindrucksvolle Konzerte mit außergewöhnlichen Klangerlebnissen zeitgenössischer Kompositionen von Anna Clyne, Caroline Shaw, John Tavener und Knut Nystedt in Verbindung mit Musik von Johann Sebastian Bach.
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FENSTER AUF! SPEKTAKEL GEGEN DAS ERSTARREN Literarisches Zentrum Göttingen
Ziemlich hervorragend sei das Ganze gewesen, twitterte Saša Stanišić über das Spektakel „FENSTER AUF!“. Das fand das Publikum zum Glück auch. Über 600 Leute waren es, die sich auf der gesperrten Göttinger Nikolaistraße und dem Nikolaikirchhof versammelten, um Musik und Texte „gegen die Erstarrung“ zu hören – vorgetragen aus den Fenstern des noch im Umbau befindlichen neuen Literaturhauses und live übertragen auf eine LED-Leinwand im Kirchhof. Dr. Anja Johannsen, Geschäfts- & Programmleitung
FENSTER AUF! hieß es im Sommer 2021
und szenisch gelesen von Akteur*innen
im neuen Literaturhaus in Göttingen. Das
des freien Theaters boat people projekt.
Literarische Zentrum lud gemeinsam mit
Stargäste des Abends waren Saša Stanišić
dem boat people projekt zu literarisch-
und Mithu Sanyal. Ein Spektakel gegen
theatralen Lesungen ein. Aus den Türen
das pandemiebedingte Erstarren und die
und Fenstern ertönten kleinere Musik-
Vereinsamung.
stücke und gelesene Texte. Gesprochen
Programm- und Projektförderung 2021
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RAQS MEDIA COLLECTIVE Kunstverein Braunschweig
Wenn in Indien ein Shamiana (ein traditionelles Festzelt) zu sehen ist, ist das immer auch eine Einladung, zusammenzukommen, um gemeinsam Zeit zu verbringen. In diesem Sinne inszenierte das Raqs Media Collective eine Atmosphäre der Geselligkeit und Gastfreundschaft im Kunstverein, über dessen Eingangsportal das Motto SALVE HOSPES steht. In Zeiten der Pandemie ist das Zusammenkommen mit anderen alles andere als selbstverständlich. Umso mehr müssen wir es zelebrieren! Dr. Jule Hillgärtner, Direktorin
Raqs Media Collective (1992 in Neu-Delhi gegründet) gilt als eines der dynamischsten Kollektive internationaler zeitgenössischer Kunst. Für seine Ausstellung im Kunstverein Braunschweig entwickelte das Kollektiv ein Programm, das eigene Kunstwerke mit Werken anderer sowie mit Workshops und Gesprächen verknüpfte. Inhaltlicher Ausgangspunkt war dabei die Figur des Till Eulenspiegels, der unter anderem in Braunschweig gewirkt haben soll.
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JOSEPH JOACHIM VIOLINWETTBEWERB Stiftung Niedersachsen
Vorhang auf. Nichts ist für Künstler*innen wichtiger als eine Live-Performance vor echtem Publikum. Das haben wir gerade in den letzten Monaten immer wieder erfahren und erleben dürfen. Der Wettbewerb ist so konzipiert, dass die Finalist*innen auf dem Weg zu einem Preis fünf Konzerte vor Publikum spielen dürfen. Daher war es 2021 unser wichtigstes Bestreben, den Violinist*innen diese Möglichkeit zu bieten. 90 Performances vor immerhin rund 3.800 Gästen gab es in zwei Wochen. Tanja Scheimann, Organisatorische Leiterin Internationaler Joseph Joachim Violinwettbewerb Hannover
Ein Forum für das Konzertleben. Antje Weithaas und Oliver Wille präsentierten 2021 als neues künstlerisches Leitungsduo ihren ersten „Joseph Joachim Violinwettbewerb“. Sie boten den jungen Ausnahmetalenten
eine
Bühne,
um
sich dem Publikum und ausgewählten Konzertveranstalter*innen in einem vielseitigen Wettbewerbsprogramm zu präsentieren. Beim großen Finale im NDR Sendesaal überzeugte die Jury am 10. Oktober die 25-jährige Maria Ioudenitch. Sie gewann den mit 30.000 Euro dotierten Hauptpreis Joseph Joachim.
Programm- und Projektförderung 2021
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SEUCHEN. FLUCH DER VERGANGENHEIT – BEDROHUNG DER ZUKUNFT
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Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim
Infektionskrankheiten stellen neben dem Klima wandel die größte Bedrohung der Menschheit dar. Heute können viele dieser Krankheiten geheilt werden. Den Grundstein dafür legte Paul Ehrlich mit der Entwicklung des Salvarsans. Mit diesem Präparat, das das Resultat seiner 606. Versuchsreihe war, bekämpfte er Treponema pallidum, den Erreger der Syphilis. Es war das erste Mal, dass es gelang, einen Krankheitserreger in seinem menschlichen Wirt zu töten. Damit stehen alle anderen heute verfügbaren Antiinfektiva in der Tradition des Salvarsans. Die Entdeckung Paul Ehrlichs war somit nicht nur für die Medizin-, sondern für die gesamte Menschheitsgeschichte von außerordentlicher Bedeutung. Daher haben wir diesen bedeutsamen Ort detailgenau wiedererstehen lassen. Dank der Unterstützung des Paul-Ehrlich-Instituts und zahlreicher weiterer Leihgeber konnten wir das Labor zudem teilweise mit originalem Inventar ausstatten. Oliver Gauert, Kurator
Eine Ausstellung, die schneller von ihrem
im Roemer- und Pelizaeus-Museum in
Thema eingeholt wurde als gedacht. Der
Hildesheim zeichnete bis Mai 2022 die
Ausbruch von COVID-19 hat uns vor Augen
Geschichte der Seuchen durch die Jahr-
geführt, wie schnell ein Virus das Leben
hunderte nach und gab einen Ausblick auf
in der modernen vernetzten Welt zum
die Zukunft. Die große Aktualität, aber
Stillstand bringen und die Existenz von
auch spektakuläre Ausstellungsobjekte,
Millionen von Menschen bedrohen kann.
wie das komplette historische Labor von
Die Ausstellung „SEUCHEN. Fluch der
Paul Ehrlich, machten die Ausstellung
Vergangenheit – Bedrohung der Zukunft“
zum Besucher*innenmagnet.
Programm- und Projektförderung 2021
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JAHRE DES AUFBAUS Im März 1946 brachte das Präsidium des Regierungsbezirks Osnabrück eine Broschüre heraus – diese sollte ein „Wegweiser“ sein: „Sie soll den Leser einführen in die Gedankengänge demokratischer Verwaltung, soll ihm zeigen, wie das deutsche Volk sein Schicksal selbst lenken und leiten kann.“ Sie richtete sich ausdrücklich an die „Männer und Frauen“, die sich in der ersten Phase des Wiederaufbaus für ein Amt zur Verfügung gestellt hatten bzw. als Beamt*innen tätig waren. Burghardt Sonnenburg, Museumsleiter
Stadtmuseum Meppen Das Stadtmuseum Meppen beleuch-
republik, erste Hälfte der 1950er
schüre aus dem Jahr 1946 heraus. Der
tete in der Sonderausstellung „Jahre
Jahre). Dabei ging es vor allem um die
sprechende Titel „Wiedergeburt der
des Aufbaus. Meppen in der Nach-
Lebenswirklichkeit und den Alltag
Demokratie“ zeichnet zusammen mit
kriegszeit 1945 –1955“ die politischen,
der Menschen in der Notzeit 1945 bis
dem Bild der aufgehenden Sonne den
gesellschaftlichen und wirtschaft
1948 und im sich dann entfaltenden
Weg „der Deutschen“ aus dem Dun-
lichen Verhältnisse in Meppen in der
Nachkriegsboom. Unter den vielen
kel – Naziregime, Diktatur, Krieg und
unmittelbaren Nachkriegszeit (Kriegs-
spannenden Exponaten stach die auf
Völkermord – in das Licht der demo-
ende, Besatzungszeit, frühe Bundes-
den ersten Blick unscheinbare Bro-
kratisch verfassten Bundesrepublik.
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STORIES Das Foto entstand 2020 bei ersten Überlegungen, wie wir die Marktkirche umgestalten könnten und die Bühne wohl aussehen könnte. So baute unsere künstlerische Leiterin Anna-Sophie Brüning mit Legof iguren und diversen Utensilien zu Hause eine Miniaturbühne. Ein rundum kreativer und humorvoller Ansatz, künstlerisch zu denken und zu planen. Anne Marie Harer, Konzertmeisterin und Projektmanagement & „la festa musicale“
Was bleibt für uns übrig, wenn KI nun
la festa musicale
„Pygmalion 4.0 – eine musikalische
alles kann? Das Barockensemble „la festa
Suche nach Künstlicher Intelligenz, Ideal
musicale“ wagte sich mit seinem neuen
und Irrsinn“ lud zu einer musikalischen
Projekt „STORIES“ an die Verbindung von
und inhaltlichen Exkursion über den
barocker und Neuer Musik mit Künst-
Menschen, der sich selbst zum Schöpfer
licher Intelligenz. Der Konzertabend
macht.
Programm- und Projektförderung 2021
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ORATORIO ELEKTRO
Es ist ein wirklich sehr eindrucksvolles und gewichtiges Werk und es hat uns tief bewegt. Es ist originell, spannend komponiert und grandios analog, virtuell und digital umgesetzt. Stimme eines*r Besuchenden
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Christof Littmann mit Tänzer*innen von Landerer&Company, Alex Mayr, Valeria Lampadova & dem Voktett Hannover Das interdisziplinäre Projekt „ORATORIO ELEKTRO“ – ein Oratorium für Vokalensemble, Performance und Künstliche Intelligenz – verhandelte die Suche nach Spiritualität in Zeiten des Social Distancing. Im Calder-Saal des Sprengel Museums Hannover wurden die Distanzierung und mögliche Konsequenzen für das Erleben von Kunst für das Publikum unmittelbar spürbar: Der von Christof Littmann computergestützt erschaffene Liederzyklus für das Voktett Hannover war live hör-, aber nur eingeschränkt sichtbar. Vier Tänzer*innen des Ensembles von Landerer&Company erweiterten performativ den Grat zwischen Nähe und Distanz.
Programm- und Projektförderung 2021
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WIRTSCHAFTLICHE UND RECHTLICHE DATEN
Die Stiftung Niedersachsen wurde 1987 als Stiftung bürger-
Seit ihrer Gründung hat die Stiftung 3.600 Projekte mit
lichen Rechts mit Sitz in Hannover gegründet. Sie fördert
119 Millionen Euro gefördert. 2021 wurden 4,8 Millionen
Kunst, Kultur, Bildung und Wissenschaft in Niedersachsen
Euro für Förderzwecke ausgeschüttet.
und trägt mit der Unterstützung von Projekten Dritter und eigenen Programmen zur Entwicklung des Landes im Inter-
Gemäß ihrer Satzung verwaltet die Stiftung Zuwendungen,
esse des Gemeinwohls bei.
die mit einer besonderen Zwecksetzung versehen sind. Durch die Übernahme solcher treuhänderischer Stiftungen
Zum 31. Dezember 2021 betrug das Stiftungskapital 56 Mil-
unterstützt sie mit ihren Erfahrungen privates auf Gemein-
lionen Euro. Es ist im Wesentlichen in festverzinslichen
wohl bezogenes Engagement. Mit der Konrad Liebmann-
Wertpapieren, Aktien und Alternative Investments angelegt.
Stiftung, die ein umfangreiches Dürer-Konvolut umfasst,
Seit 2020 richtet die Stiftung ihre gesamte Kapitalanlage
und der Richard und Dietrich Moderhack-Stiftung, die die
an Nachhaltigkeitskriterien aus und nimmt so ihre gesell-
Forschung zur niedersächsischen Landesgeschichte fördert,
schaftliche und ökologische Verantwortung auch im Bereich
befinden sich zwei treuhänderische Unterstiftungen in der
Vermögensmanagement wahr.
Obhut der Stiftung Niedersachsen.
Neben den Erträgen aus ihrem Vermögen in Höhe von
Im Eigentum der Stiftung befinden sich auch Kunstwerke
1,1 Millionen Euro partizipierte die Stiftung 2021 gemäß
im Wert von 7,8 Millionen Euro, die als Dauerleihgaben die
dem Niedersächsischen Glücksspielgesetz in Höhe von
Sammlungen und die Arbeit von Museen, Bibliotheken oder
5,4 Millionen Euro an der Glücksspielabgabe.
Hochschulen stärken. Zusätzlich verleiht die Stiftung fünf hochwertige Streichinstrumente als Stipendien an begabte Student*innen der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover.
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GREMIEN DER STIFTUNG NIEDERSACHSEN Präsident
Senat
Dr. Gunter Dunkel
Michael Becker Prof. Dr. Ulrike Beisiegel
Generalsekretärin
Dr. Jan B. Berentzen
Lavinia Francke
Heinz-Günter Bongartz Dr. Gunter Dunkel
Verwaltungsrat
Corinna Fischer
Dr. Gunter Dunkel, Präsident
Lavinia Francke
Prof. Dr. Yasemin Karakaşoğlu, Vizepräsidentin
Kirsten Gerberding
Jörg Waskönig, Schatzmeister
Prof. Dr. Yasemin Karakaşoğlu Dr. Thomas Köhler Dr. Karl-Hinrich Manzke Belit Onay Prof. Dr. Susanne Pfleger Dr. Immo Querner Monika Schnetkamp Björn Thümler Prof. Dr. Thomas Vogtherr Jörg Waskönig
2021 sind aus dem Senat ausgeschieden: Maria Bruns Edelgard Bulmahn Dr. Annette Schwandner
Die Stiftung Niedersachsen
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IMPRESSUM Geschäftsstelle der Stiftung Niedersachsen Lavinia Francke | Generalsekretärin Monika Drees | Stiftungssekretariat Dr. Gesa Schönermark | Musik, Literatur, Wissenschaft und Bildung Daniela Koß | Theater und Soziokultur Dr. Tabea Golgath | Kunst und Museen Katharina Nitsch | Presse und Kommunikation Dr. Matthias Dreyer | Leiter Verwaltung Claudia Thiesing | Assistentin Verwaltung Gabriele Kranz | Sachbearbeiterin Verwendungsnachweise Tanja Scheimann | Projektmanagerin Violinwettbewerb, Verwaltung
Stiftung Niedersachsen
Realisation
Sophienstraße 2 | Künstlerhaus
Dievision · Agentur für Kommunikation GmbH, Hannover
30159 Hannover Telefon: +49 (0)511 9 90 54-0
Druck
Telefax: +49 (0)511 9 90 54-99
Gutenberg Beuys Feindruckerei GmbH, Langenhagen
info@stnds.de | www.stnds.de Auflage Redaktion
700 Exemplare
Katharina Nitsch Redaktionsschluss Korrektorat
9. Mai 2022
Apostroph Germany, Ahrensburg Papier Transkription
Umschlag: Papiersorte Rives Design (natur),
Stefanie Saier, Berlin
Innenteil: Munken Pure (gelblichweiß)
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BILDNACHWEISE S. 4:
siehe folgende Bildnachweise
S. 6:
Porträt Lavinia Francke. Foto: Andreas Greiner-Napp
S. 8: S. 18/19:
S. 42:
TECHNO FAUNA. Copyright: Liliana Barros S. 43:
(Wagon Series, Ausschnitt), 2011.
Copyright: Die Hoffotografen
310 x 1327 x 186 cm (Gesamtmaß). Harz, Grafit, Farbpigment, Faden, vulkanische Asche, Schein-
Screenshots Gespräch via Zoom vom
werfer, Autolack, Glühbirnen, Stahlstange, Kabel, Holz, digitale Datei. Kunstmuseum Wolfsburg,
Weißtorfgrabemaschine Diek.
Schenkung des Künstlers, 2021 Courtesy A3
Copyright: Familie Diek-Münchow S. 27:
Arndt Art Agency. Copyright: Entang Wiharso,
Projekt „AIDIOPHONICS LINK-Masters“. Foto: Sebastian Voigt, Design+Robotics
S. 28:
Foto: Marek Kruszewski S. 44:
Grafik zum Projekt „reconstruct:alan_turing“. Copyright: Miriam Wendschoff, 2019
S. 29:
Stuhl. Copyright: Cameo Kolletiv e. V.
S. 30:
Rettung. Gipsinstallation von Lisa Dogan, Thomas Krochmann und Louisa Peters, Ausstellung „Über Wasser", 2021. Foto: Museum Industriekultur Osnabrück Händel-Festspiele Göttingen, Aufführung
S. 45:
S. 35:
S. 46: S. 47:
S. 36/37:
S. 48:
S. 39:
Siebdruck 450x450cm. Courtesy Raqs Media Collective und Kunstverein Braunschweig, Foto: Stefan Stark S. 49:
Vorhang, Internationaler Joseph Joachim Violinwettbewerb Hannover. Foto: Christian Burkert
S. 50/51:
Ausstellung „SEUCHEN“ im Roemer- und Pelizaeus-Museum. Labor Paul Ehrlich.
Patricia Domínguez (Chile)
Copyright: Christian Gossmann S. 52:
Ausstellung „Jahre des Aufbaus“ Broschüre
Osnabrück, 2021. Foto: Angela von Brill
„Wiedergeburt der Demokratie“. März 1946,
INFECTUS HANNOVER. Copyright: Hans Krause,
Leihgabe: Emslandmuseum Lingen.
Lena Castrup, Oren Lazovski
Copyright: Schöning Fotodesign Meppen,
Szene „Patience Camp“. Copyright:
Stadtmuseum Meppen
Jahrmarkttheater, Foto: Bert Brüggemann S. 40:
Ferment (shatter), 2021 Zeltdach (Shamiana),
Videoinstallation „Madre Drone“ von EMAF-Ausstellung „possessed“ Kunsthalle
S. 38:
„FENSTER AUF! Spektakel gegen das Erstarren“. Copyright: Jörg Linnhoff
Motive für die Arbeitsgruppe Theater. Copyright: Annett Melzer
Stiftskirche Bad Gandersheim. Copyright: Voktett Hannover
Copyright: Theater zwischen den Dörfern Kulturverein Platenlaase e. V.,
Stoppuhr und Süßes im LiLaWo. Copyright: Olaf Kutzmutz
„Rodelinda“. Copyright: Alciro Theodoro da Silva S. 34:
Tagung PEX 2021. Copyright: Landesverband Freier Theater in Niedersachsen e. V.
Jonathan Becker, Marianne Clausmeyer,
S. 32:
Entang Wiharso. Expanded Dreams Tableau
Porträt Julius Heinicke.
3. Februar 2022 S. 26:
Stab-Requisite der Tanzproduktion
S. 53:
la festa musicale. Bühnenmodell Projekt
Markt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen.
„STORIES“. Copyright: la festa musicale,
Copyright: Schauspiel Hannover,
Anna-Sophie Brüning
Kerstin Schomburg
S. 54/55:
„ORATORIO ELEKTRO“ im Calder-Saal, Sprengel Museum Hannover. Foto: Eric Nagel
59
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