joe08 - Wahnsinn

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NICHT ZU GLAUBEN. Sondern, um zu wissen.

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PRO MONAT

DiePresse.com/studentenabo


EDITORIAL

Editorial. Zur Ausgabe. Einfach wahnsinnig… sorry. Werkbericht. Ja bist du denn des Wahnsinns fette Beute? Das sagte damals schon mein alter Herr zu mir. Jetzt, Jahrhunderte später, kommen mir seine Worte im Angesicht dieser illustren Ausgabe wieder in den Sinn. Fröhlich quäke ich meinem Erzeuger durch die Zeit ein „Ja“ entgegen. Und verliere den Verstand. Womöglich auf dem Weg hierher. Die Tücken hießen: Geld, Geld und Zeit. Erneut. Geld und Geld haben wir mit Bravur bestanden. Zum ersten Mal in seiner ach so ruhmerfüllten Historie finanziert sich eine joe Ausgabe beinahe ausschließlich durch Inserate. Oder so ähnlich. Auf Terminabgaben, Erreichbarkeit und Verlässlichkeit gehe ich nicht weiter ein. Zeit ist Geld und beides haben wir nicht. Mitmachen. Dem Titel angemessen, haben wir auch in dieser Ausgabe einen neuen Rekord an Mitmachern aufgestellt. Wir sind noch größer, internationaler, vielschichtiger geworden. Das soll auch in Zukunft so bleiben, deshalb kann und soll und darf jeder mitmachen. Vollkommen gleichgültig, ob mit der Kamera oder dem Zeichenstift in der Bildredaktion, als Autorin mit Notizblock und gezücktem Kugelschreiber, als Lektor oder was auch immer eure Interessen sind. MACHT MIT! Schreibt ‘ne Mail oder sucht joe auf facebook.

Kontakt: joe@fh-joanneum.at Alle News und weitere Informationen unter: | joemagazin

Hubertus J. Schwarz, Chefredakteur

Titelfoto: Wolfgang Schnuderl Postproduktion: Christopher Eder Kostüm: Art+Event Theaterservice

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INHALT

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INHALT

EDITORIAL INHALT

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FH LIVE STANDORTKOLUMNEN STUDY ABROAD: STUTTGART SO SIND WIR: JPR

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ÖH JOANNEUM JOIN WIRD ÖH JOANNEUM TEAMADVENTURE TEAMBILDUNG

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JUGENDSTIL JU-BOOK GRAZY ABOUT TRENDS 18 WEGE ZUM WAHNSINN EIN SCHNEESTURM

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TITELTHEMA PARANOIDEHYPOCHONDAMEGALOMATIE I‘M BACK, AGAIN WIE WAHNSINNIG BIST DU? HALLO, ZINATION! EINE HOMMAGE AN DEN WAHNSINN WAHN | SINN WILDSAU WAHNSINN

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SINNLICHKEITEN BDSM-JUGEND GRAZ UND FÜHRE UNS NICHT IN... FOLTERGEFLÜSTER SINNVOLL / SINNLOS

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KULT WARUM EINSTEIN UNRECHT HATTE INTERVIEW: ALF POIER LIEBE IM LEOPRINT KEIN X IN ESPRESSO KULTWERT IMPRESSUM

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EH F DITORIAL LIVE

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EDITORIAL FH LIVE

„Ich habe Journalisten nie gemocht. Ich habe sie alle in meinen Büchern sterben lassen.“ - AGATHA CHRISTIE -

Foto: Wolfgang Schnuderl

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EH F DITORIAL LIVE

Zukunftsprägende Technik aus

Kapfenberg

Text: Birgit Goedl Illustration: Mac Krebernik

Von neuen Technologien, alten Werten und Innovations­trägern der FH JOANNEUM in Kapfenberg. Ein Ausflug in die Zukunft.

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m Jahr 2040. Das Verkehrsbild hat sich in den letzten Jahrzehnten drastisch geändert. Auf den Straßen gibt es inzwischen mehr Elektroautos als Benziner oder Dieselfahrzeuge. Fossile Brennstoffe sind so teuer geworden, dass fast alle Wagen gegen Elektroautos getauscht wurden. Auch der Umwelt zuliebe sind inzwischen viele auf diese schadstoff­ arme Technologie umgestiegen. In Graz sind die Straßenbahnen inzwischen mit Sonnen­kollektoren ausgestattet und in Wien fährt die U-Bahn sowieso nur noch mit Strom aus erneuer­barer Energie. Wind, Wasser, Solar – es ist selbstver­ ständlich geworden, reproduzierbare Ressourcen zu verwenden. So fahre auch ich mit meinem Elektroauto gerade zu einem Kundentermin. Auf der halben Strecke teilt mir eine Anzeige mit, dass ich demnächst den Akku des Motors aufladen soll. An sich kein Problem, doch wo ist die nächste Tankstelle? Ich habe Glück, mein

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Bordcomputer findet in 20 km eine freie Ladestation. Ich lasse sie mir von ihm vorsorglich reservieren. Nachdem ich mein Auto wieder aufgeladen habe, steht der Weiterfahrt nichts mehr im Wege. Ob in 28 Jahren nur noch Elektroautos unterwegs sein werden? Darauf gibt es keine sichere Antwort. Das System zum Auffinden der nächsten Tankstelle für das Elektroauto und die Reservierung der Ladestation sind allerdings schon heute vom technischen Standpunkt realisierbar. Das verdanken wir zwei Studenten des Studienganges Advanced Electronic Engineering (AEE). Die beiden haben mit dem Projekt “BALLADE” den Weg bereitet. Das Navigationssystem hilft beim Finden und die Software bei der Reservierung. Die beiden Elektroniker aus Kapfenberg haben für diese Stromtankstelle die Hard- und Software entwickelt. Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie für den Staatspreis Mobilität nominiert. An dieser Stelle: herzlichen Glückwunsch!


EDITORIAL FH LIVE

Rezept

für den Wahnsinn

Text: Cornelia Mayr Illustration: Mac Krebernik

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Als Gesundheitsmanagerin im friedvollen Kurort Bad Gleichenberg habe ich einmal über das Leben in unserer Gesellschaft nachgedacht und bin zu einem wahrhaftig (wahn)sinnigen Gedanken gekommen - Das Leben ist ein Kochbuch.

arum? Ganz einfach – es ist wie ein Kulinarik-Wälzer überfüllt mit Rezepten. Neben den Anleitungen zur Ernährung, gibt es zahlreiche weitere Ratgeber, die das Leben auf eine gewisse Art und Weise bestimmen wollen. Da gibt es zum Beispiel das Rezept für die langersehnte Liebe, das Rezept für einen günstigen Unternehmenserfolg, das Rezept für eine vielversprechende Karriere, das Rezept für eine unkomplizierte Kindererziehung, das Rezept für eine makellose Schönheit und viele mehr. Selbst die Gesundheit bleibt nicht außer Acht, denn auch für heilende Medikamente braucht man schließlich Rezepte. Hinzu kommt, was natürlich jeder Bad Gleichenberger Gesundheitsstudent wissen sollte, das Rezept für eine ausgeglichene Work-Life-Balance oder besser gesagt „Study-Life-Balance“. Sogar für einen perfekten, gesundheitsfördernden Lebensstil sind Rezepte für die richtige Bewegung und Sport im Alltag sowie für eine wohltuende Entspannung vorhanden. Darüber hinaus wird der Mensch bereits pränatal mit Rezepten indirekt konfrontiert, indem werdende Mütter Beratungen für eine babyförderliche Schwangerschaft erhalten. Ebenso gibt es ein Rezept für ein gesundes und reges Altern. Nun mal

ehrlich - welcher Bereich des Lebens wird noch nicht mit Gebrauchsanweisungen determiniert. Tausende belehrende so genannte „Rezepte“ werben mit Harmonie und Wohlergehen und schreiben uns mit oft inkongruenten Verhaltensregeln vor, wie wir zu leben haben. Kann der (Wahn)Sinn noch zu (s)toppen sein? Sind wir schon so unselbstständig und unwissend, dass wir für all unsere Lebensphasen Aufklärungen und Anleitungen zum richtigen Handeln benötigen? Vor lauter unterschiedlichen Unterweisungen sowie Ratschlägen weiß man bald paradoxerweise wirklich nicht mehr wie man leben soll. Eines steht fest, ein Rezept für den Wahnsinn wurde noch nicht erstellt, denn wahnsinnig wird der Mensch mit diesem Übermaß an meist instruktiv-irreführenden Lebensrezepten ja ohnehin von selbst.

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STUTT GART STATT GRAZ Als Steirer in Stuttgart fühlst du dich wie eine Tomate in einem Schaukelstuhl. Besonders, wenn du dort die nächsten sechs Monate deines Lebens verbringen sollst. Tomate? Schaukelstuhl? Genau, das ist der Punkt. Text: Clemens Wolf Foto: Max Sommer

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erlässt der Steirer sein natür­ liches Habitat und tauscht das grüne Herz Österreichs gegen den Stuttgarter IndustriemetropolenCharme, gibt es einiges zu vermissen, zum Beispiel: die Alpen, Kernöl oder das unverkennbare Flair einer Kleinstadt wie Graz. Es grünt so grün. Mit mehr als doppelt so vielen Einwohnern wie Graz ist Stuttgart um ein ganzes Stück größer als die Murmetropole. Auch seinen Ruf als Industriestadt kann es nicht verleugnen: Nicht nur die überlebensgroßen Plakate von Mercedes oder Porsche zeugen davon, dass hier beispielsweise

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zwei der größten Automobilbauer Deutschlands angesiedelt sind. Umso mehr überrascht eine Tatsache, die wohl jedes Steirerherz höher schlagen lässt: Stuttgart ist grün. Nein, nicht wegen des neu gewählten Oberbürgermeisters. Der ist zwar auch grün, aber mehr Freude bereiten dem Steirer wohl die vielen Wiesen und Wälder in und um Stuttgart. Des Königs neue Kleider. Großstäd­ tischer ist es da schon im Zentrum. Eine pittoreske Altstadt sucht der geneigte Steirer vergebens, stattdessen gibt es vorwiegend Nachkriegsarchitektur und vor allem eines: Geschäfte. Auch

die wohl imposanteste Straße in Stuttgart besteht praktisch nur aus Läden: die Königsstraße, die sich von der Stadtmitte bis zum berühmt-berüchtigten Hauptbahnhof zieht. Stichwort Hauptbahnhof: Bisweilen ist die Königsstraße nicht nur Schauplatz für Shoppingdramen, sondern auch für Demos gegen das umstrittene Projekt Stuttgart21. Mit Marschkapellen und Fackelzügen drücken dann die Stutt­ garter ihren Protest gegen das Mil­liarden­­­ projekt zum Bahnhofsausbau aus. Vom Austreten zum Ausgehen. Aber nicht nur Demonstrationen gibt es in Stuttgart nach Laden­ schluss,


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Eigentlich hab‘ ich Ihre Frage vorhin schon verstanden, aber es hat sich so charmant angehört, wie Sie versucht haben, das in Ihrem österreichischen Dialekt zu erklären.

auch sonst ist einiges los: Von der netten Bar nebenan bis zum hippen Ausgehschuppen hat die Innenstadt so ziemlich alles zu bieten. Besonders kurios: Sogar eine öffentliche Bedürfnis­anstalt wurde in Stuttgart zu einem Lokal umfunktioniert. So skurril wie der (stille) Ort ist übrigens auch sein Name. Welche Rückschlüsse man aus der Bezeichnung „Palast der Republik“ über Deutschland ziehen möchte, bleibt jedem selbst überlassen. Die Schwaben und der homo austria­ cus. Von voreiligen Schlüssen über die Deutschen sollte man trotzdem Abstand nehmen. Denn die Erfahrung zeigt: Man muss es schon darauf anlegen, um hier einen Beweis für österreichische Vorurteile über Deutsche zu finden. Wohl prominentestes Beispiel ist das angeblich gespannte Verhältnis

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zwischen Deutschen und „Ösis“. Als Österreicher wird man hier nicht etwa schief angeschaut – ganz im Gegenteil: die Reaktionen reichen von verhalten erfreut bis offen begeistert; beinahe genießt man eine Art „Exotenstatus“. Mittlerweile nehme ich es ohne weitere Notiz hin, wenn etwa die Friseurin meint: „Ach, du kommst aus Österreich? Wie süß!“ Oder der Professor sagt: „Eigentlich hab‘ ich Ihre Frage vorhin schon verstanden, aber es hat sich so charmant angehört, wie Sie versucht haben, das in Ihrem österreichischen Dialekt zu erklären.“ Und das Studium? Wer meint, Studieren wird hier fast zur Nebensache, der irrt. Für alle Medieninteressierten ist ein Auslandssemester an der Hochschule der Medien in Stuttgart wohl so etwas wie ein All-you-can-eat-Buffet in einem Haubenlokal – genießt man doch das

Privileg, Lehrveranstaltungen aus 16 verschiedenen Bachelorstudiengängen praktisch frei wählen zu können. Einzige Voraussetzung: Man muss in der gewünschten Veranstaltung auch einen Platz ergattern. Und da darf man sich nicht wundern, wenn es dann einmal heißt: „Sorry, aber Sie sind raus. Unsere eigenen Studenten müssen wir schon ein bisschen bevorzugen.“ Fazit: Als Steirer fühlst du dich in Stuttgart erst mal wie eine Tomate in einem Schaukelstuhl - vollkommen fehl am Platz. Doch bald wirst du merken, dass Land und Leute hier liebenswert, exzentrisch und ausgesprochen nett sind. Stuttgart ist also auf jeden Fall einen Besuch wert - egal, ob du nur mal eben vorbeirollst oder es dir für längere Zeit in deinem Schaukelstuhl gemütlich machen willst.


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Wir m端ssen reden. Text: Natanja C. Reitner Illustration: Johannes Mentasti

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Du fühlst dich von einem blinkenden Cursor in Microsoft Word verfolgt. Auf der Toilette überlegst du dir Slogans. Du hörst nicht auf den Inhalt eines Radiobeitrages, sondern suchst die Fehler darin. In deinen Träumen verfolgen dich Stimmen, die dich in die Medienhölle locken wollen. Willkommen beim Studiengang Journalismus und Public Relations (PR).

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as? JPR ist ein Studiengang, der zwei Kommunikationswege vereint und damit die Meinungen spaltet: Die Vereinigung der zwei entgegengesetzten Disziplinen Journalismus und Public Relations (früher sagte man salopp „Öffentlichkeitsarbeit“) war seit Beginn an verantwortlich dafür, dass sich Stirnen runzelten. Die PRler wollen den Journalisten Geschichten verkaufen, wollen ihre Auftraggeber ins mediale Sonnenlicht rücken, wollen ihre Botschaft durch die Medien verbreitet sehen. Die Journalisten sind der Wahrheit verpflichtet, recherchieren und wollen Informationen vermitteln, die nicht durch den Schleier der PR verdeckt oder verschönert sind. Unser Studium vermittelt Wissen und Einblicke aus beiden Welten und macht uns zu Allzweck-Kommunikatoren. Wer? Drei Jahrgänge groß wie Schulklassen, ein schlanker Lehrkörper und zahlreiche Gastvortragende sind die Menschen, die an unserem Studiengang umherwuseln. Die Jahrgänge sind bunt, laut und kritisch, also klar ausgesucht und angepasst an die Kommunikationswelt, die uns „da draußen“ erwartet. Grundsätzlich gilt: JPR ist ein bisschen Patchwork. Das zeigt sich bei den Studenten, wie auch bei den Lehrenden: Der hippe Ex-Chefredakteur des steirischen Falter, der jeden Tag zur Arbeit radelt trifft auf einen Oldschool-Wissenschaftler, dessen Büro von wissenschaftlichen Arbeiten, Fachbüchern und Zeitungs­ artikeln fast übergeht. So verschieden die Lehre und die Lehrmethoden auch sind, sie fördern Spannendes zu Tage und lassen die Köpfe rauchen. Um Außeneindrücke kümmern sich die Gastvor­ tragenden, die immer wieder an den Studiengang kommen: PR-Experten wie journalistische Edelfedern, Wissenschaftler wie Politiker kommen zu Besuch und versuchen uns –so gut es eben geht– auf die Arbeitswelt vorzubereiten. Darunter sind Karim El-Gawhary, Tarek Leitner, Hubert Patterer, Eugen Freund und noch viele weitere Fachleute aus den Bereichen PR und Social Media. Warum? Jeder von uns hat ein anderes Motiv, das ihn dieses Studium wählen ließ. Die Einen wären wahr-

scheinlich gern im PR-Team von David Beckham, Lady Gaga oder Channing Tantum (PR-Leute haben ihn zum „Sexiest Man Alive“ gemacht, nicht sein makelloser Körper. Aber das nur am Rande). Andere möchten ins Fernsehen oder ins Radio, um die Welt mit besserem Rundfunk zu bereichern. Wieder andere wollen investigativen Journalismus betreiben, sich tief in Geschichten hineinarbeiten und Missstände aufdecken. In unserem Studium bekommen wir das Handwerkszeug vermittelt, um später solche Berufe (oder Berufungen) auszuüben. Wie? Auf unseren To-do-Listen stehen neben den obligatorischen Prüfungen zahlreiche Abgaben von verschiedenen Arbeiten. Das können PR-Konzepte für eine Kontinenztagung sein (inklusive Fotoshooting am Almklo), Reportagen über entlassene Mörder oder Radiobeiträge über Poetry-Slams. Unserer Kreativität sind bei der Themenfindung meist keine Grenzen gesetzt. Das bedeutet konkret: willst du eine Geschichte über die Paarung von Wollschweinen in der Winterzeit schreiben, tu es. Du musst die Geschichte nur verkaufen können und das Besondere im Alltäglichen entdecken. Wo? Wir sind in Graz zuhause. Wenn es aber um die individuelle Gestaltung unseres Studiums geht, überschreiten wir gerne Grenzen. Auslandssemester in Oslo, New Castle oder Zürich; Praktika in Medienhauptstädten wie Hamburg, Wien oder München. Eben überall dort, wo kommuniziert wird. Wann? Nach drei Jahren geht unsere Studienzeit zu Ende. Wir sind dann vermeintlich bereit für die (ich möchte an dieser Stelle unseren Studiengangsleiter Dr. Heinz M. Fischer zitieren) „Medienhölle“. Aber nach unserer Ausbildung kommt uns die Medienwelt gar nicht mehr so höllisch vor. Schließlich konnten wir ja schon im sechsten Semester in unserem Pflichtpraktikum hineinschnuppern. Und selbst wenn es dort oft stressig und ein bisschen grob zugeht, sind wir irre und leidenschaftlich genug dafür. Es macht halt auch so verdammt viel Spaß.

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EDITORIAL Ö H JOANNEUM

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ÖH JOANNEUM EDITORIAL

„Du hast mir noch gar nicht gesagt, wie du heißt.“ - SCREAM-

Foto: Wolfgang Schnuderl

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ร H JOANNEUM

www.oeh-joanneum.at

join wird

รถh joanneum Text: Patrick Grill

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Ein Schritt nach vorne.


ÖH JOANNEUM

Liebe Studierende! Das Wintersemester ist voll im Gange und die Prüfungen beherrschen bei den meisten auch schon den Alltag. Mit dieser wahnsinnigen Ausgabe von joe hoffen wir von der öh joanneum, dass wir euch die grauen Winter- und Lerntage etwas erheitern können, damit die Zeit schneller vorüber geht. Mit unseren neuen Projekten wie teamADVENTURE, teamBILDUNG und teamSPORT möchten wir euch auch einiges bieten. Mit neuem Namen, neuer Website und einer wahnsinnig engagierten Truppe sind wir in dieses Semester gestartet und werden auch im neuen Jahr für euch da sein. In diesem Sinne wünsche ich euch, gemeinsam mit der öh joanneum, eine wahnsinnige Zeit an der FH JOANNEUM. Stefan Hecker, Vorsitzender öh joanneum

„ÖH?… das kenn ich, das steht für… ahm“

„JOIN? Das sind diese Politiker!“

Wir möchten uns gerne mal vorstellen: Wir sind die Studierendenvertreter an der FH! Entgegen vieler Meinungen ist die ÖH keine Behörde oder gar eine politische Partei. ÖH, das steht für Österreichische HochschülerInnenschaft. Sie ist die gesetzlich verankerte Studierendenvertretung für über 310.000 Studierende aller Fachhochschulen, pädagogischen Hochschulen und Universitäten in Österreich. Die ÖH vertritt nach dem Hochschülerschaftsgesetz HSG die allgemeinen und studien­bezogenen Interessen ihrer Mitglieder.

Nein, um Gottes Willen! JOIN steht für JOanneum INteressensvertretung und war der Grundstein zum Eintritt in die ÖH. Philipp Hense ist der Gründervater von JOIN. Während seiner Zeit an der FH JOANNEUM entfachte sich sein Interesse für die Rechte der Studierenden. Die Arbeit hat sich ausgezahlt. Durch sein Engagement gibt es heute deine Studierendenvertretung. Danke Phillipp!

name vs. fame Mit der Umbenennung von JOIN in öh joanneum möchten wir Philipp’s Werk nicht zertrümmern, ganz im Gegenteil! Wir möchten die Studierendenvertretung auf das nächste Level bringen, deren Erscheinung und Effizienz verbessern, um noch mehr für uns Studierende an der FH JOANNEUM zu bewirken.

mission to mars. Unsere Ziele sind einfach und schnell erklärt: Wir wollen das Bestmögliche für uns Studis herausholen und allen ein tolles Service rund ums Studium an der FH JOANNEUM bieten. Aßerdem machen wir uns für die Rechte der Studierenden stark.

Und was genau ist die öh joanneum? Sie stellt deine lokale Studierendenvertretung an der FH JOANNEUM dar. Wir repräsentieren dich vor der ÖH oder den Entscheidungsträgern an deiner Fachhochschule.

Projektmanagement. Leider kann man nur einen Bruchteil unserer Arbeit sehen. Das eine oder andere Projekt an den drei Standorten in Graz, Kapfenberg und Bad Gleichenberg hast du aber sicherlich schon miterlebt. Sei es ein Sportevent, ein Filmeabend, ein Ausflug oder eine Party. Vielleicht hast du uns sogar schon tatkräftig dabei unterstützt? Genau das ist es, was wir wollen – deine Ideen und Mithilfe! Schau einfach auf www.oeh-joanneum.at und schenke uns einen like auf facebook!

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ÖH JOANNEUM

TeamADVENTURE Raus aus der FH, rein ins Vergnügen TeamADVENTURE - eine neue Rubrik der öh joanneum, die Studierenden die Chance bieten soll, süchtig nach dem Duft neuer (Ausflugs-)ziele zu werden. Text: Martina Hierzer Foto: oeh-joanneum.at

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ommer 2012: fünf Referate wird es in Zukunft im Bereich der Studierendenvertretung geben, eines davon trägt den hochoffiziellen Namen: Projekt- und Veranstaltungsreferat. Studierende mit diesem Namen ansprechen? Eine Beziehungsintensität wie zwischen der Motte und dem Licht scheint praktisch nicht vorhanden. Also: ein ‚gscheiter‘ Name muss her! Aber was wollen wir eigentlich? Die Überraschungs-Ei Attribute Spiel, Spaß und Spannung sind schon mal ein guter Ansatz, aber da fehlt noch was: raus aus der FH, denn die Beziehung mit jener ist schon intensiv genug, und rein ins Vergnügen. Wir wollen Neues entdecken, Dinge erleben, die man alleine eher nicht macht und uns dabei gut fühlen - ja, wir wollen den kleinen Indiana Jones in uns wecken. Gratulation, TeamADVENTURE ist geboren! Soweit, so gut. Name gefunden, Ziele definiert, aber bevor die Partystimmung Überhang nimmt, wo soll es eigentlich überall hingehen? Einige von euch brachten ihr eigenes Adventure schon hinter sich: Die Umsiedlung nach Graz, um das gewählte Studium zu absolvieren. Ein absolutes ‚must‘ für das neue Semester ist die Ent­deckung des neuen Wohnortes, oder? Genau! Das dachten wir uns auch. Aus diesem Grund gab es zwei Cabriobus Sightseeing Touren inklusive Touristenführer quer durch Graz. Ein weiterer Fixtermin ist die Kombination von süßen Verlockungen in der kalten Jahreszeit, internationalen Exportschlagern und der schönen Steiermark: Exkursion zum Schokoladeparadies. Zotter verköstigt. Und das Beste kommt zum Schluss: ÖH ist, was du draus machst! Also sei kreativ und schlag uns deine AdventureTräume vor, denn zusammen ist man weniger alleine.

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TeamBILDUNG Ich glaub, ich bin im Film!

TeamBILDUNG – Wie alles begann. Einblicke in das Leben, die Arbeit und die Gedanken eines Studierendenvertreters. Text: Patrick Grill Fotos: Andreas Eymannsberger

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ie dröhnende Hitze der Stadt liegt mir im Nacken. Es fühlt sich an, als würde mich mein enormes Gehirn erdrücken. Die Klimaanlage brüllt auf Hochtouren, vergeblich. Innen- und Außentemperatur konvergieren. Schwitzen wird zum Bestandteil der Tagesordnung. Um nicht zu dehydrieren, trinke ich einen Schluck. Es wirkt, langsam geht’s mir besser. Durchatmen! Mir wird wieder bewusst, dass ich mich in einer Vorsitzenden-Konferenz in Wien befinde, meiner ersten überhaupt. Ein Ende ist in Sicht, die Agenda verlangt nach einem der letzten Punkte; Berichte der Vorsitzenden. Ich muss einen Bericht schreiben? Wusste ich nicht, Zeit für Improvisation. Zum Glück habe ich Unterstützung aus dem alten Vorsitzteam dabei, er greift mir bestimmt unter die Arme.

„Liebe Kolleginnen und Kollegen“. Nach meinem spontanen Vortrag, lehne ich mich entspannt zurück und freue mich bald wieder in Graz zu sein. Wenn ich so nachdenke, ist der Tag eigentlich schon wieder viel zu lange. Die Worte des nächsten Redners lassen mich aufhorchen: „Unsere Kino-Abende kommen super bei den Studis an…“ Kino? Starke Idee, ich will so eine Filmveranstaltung auch bei uns an der FH machen! Eine Woche später habe ich bereits ein erstes Konzept ausgearbeitet und präsentiert. Ich bin sehr erfreut über die Rückmeldungen meiner Kollegen; „Spitzen­ idee“, „das machen wir“, „saustark!“. Das Projekt wird jedoch vorübergehend auf Eis gelegt, es finden sich wichtigere Themen, die in der vorlesungsfreien Zeit erledigt werden wollen. Viele haben ja gar keine Ahnung, mit welchen Angelegenheiten und Prob­ lemen man sich im Zuge der ehrenamtlichen Arbeit als Studierendenvertreter beschäftigt.

Die Sommerferien neigen sich dem Ende zu, und das Projekt Kinoabend taut wieder auf, die Planung geht in die heiße Phase. Die Rechnung von Aufwand zu Ertrag stelle ich besser gar nicht erst an, allein der Inhalt meines Mail-Accounts könnte eine eigene Enzyklopädie füllen. 17. Oktober 2012, 17:00 Uhr. Ich sitze tatsächlich in der Regie im Audimax. Die Besucher sitzen, blicken erwartungsvoll auf das Standbild, das auf die Leinwand projiziert wird. Meine Hand liegt angespannt auf dem Bedienpult für Beleuchtung und Beamer. Langsam dimme ich das Licht, es wird finster, letztlich stockdunkel, nur der grelle Scheinwerfer des Projektors wirft „TeamBILDUNG, Film: plastic planet“ an die Wand. Mir wird bewusst, wie wichtig mir der Abend eigentlich ist. Mein Finger zittert, ein letzter Blick auf die Uhr, ich drücke auf „Play“. Die Uhr zeigt 20:35, der letzte Student verlässt das Audimax, Ruhe kehrt ein. Entgegen meiner Erwartung dauerte das ganze sogar etwas länger als geplant, die Diskussionsrunde nahm knapp eine ganze Stunde in Anspruch. Mit so viel Resonanz der Studierenden habe ich nun wirklich nicht gerechnet. Vom Buffet sind ganze fünf Brötchen geblieben, perfekt. Kurz um: der Abend war ein voller Erfolg! Die Idee. TeamBILDUNG, die Veranstaltungsreihe der öh joanneum umfasst Vorführungen von Filmen zu aktuellen Themen unserer Zeit. Das Ziel ist es, den Studierenden diese Themen näher zu bringen, gepaart mit der einmaligen Gelegenheit in einer anschließenden Diskussionsrunde mit geladenen Experten die Inhalte debattieren zu können. Ebenso sollen dabei Kontakte zwischen den einzelnen Studiengängen, Universtäten sowie Unternehmen und Instituten entstehen. Ganz nach dem Motto: „im Team erreichen wir mehr“.

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EUGENDSTIL J DITORIAL

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JUGENDSTIL EDITORIAL

„Ich bin der Schatten, der die Nacht durchflattert. Ich bin der Wahnsinn, der hinter dunklen Ecken lauert.“ - DARKWING DUCK -

Foto: Wolfgang Schnuderl

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EDITORIAL

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JUGENDSTIL

Die Göttin der

(Schnäppchen)Jagd Text: Angela Mader & Ines Abraham Fotos: Mariella Marx

In den obersteirischen Wäldern begleitet sie ihren Vater auf der Jagd, in Graz sind Flohmärkte ihr Revier. Dort ergattert Julia Schneeberger die Teile, die ihren Stil unverwechselbar machen. Mit ihrer modischen Ausbeute hat es Julia nicht nur zum eigenen Blog, sondern auch in die „miss“ Redaktion geschafft.

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aute Couture“ und „Prêt-à-porter“ mag für Laien nach einem französischen Fischgericht klingen. Kein Wunder, denn die Modewelt erscheint Außenstehenden wie ein unergründbarer Ozean, in dessen Tiefen sich so manches Ungeheuer verbirgt. Während sogenannte „Fashionvictims“ dem Modediktat bedingungslos folgen, stellen sich bei Modemuffeln die Nackenhaare auf, wenn Magermodels ausdruckslos in Size Zero über Laufstege stolzieren. Für die einen ist Mode fast eine Art Religion -für die anderen purer Wahnsinn.

interviewed worden!“, sprudelt sie los. „Wie kann man nach einem Tag voller Vorlesungen so munter sein?“, fragen wir uns, da wir selbst schon etwas müde sind. Bald jedoch werden wir von Julias guter Laune angesteckt. Fröhlich erzählt sie uns von dem Projekt, das sie im April 2011 ins Leben gerufen hat, ihrem eigenen Fashionblog jubook.com. Dort präsentiert die Informationsdesign-Studentin ihre extravaganten Stylings. Dafür kombiniert sie neue Trends mit Fundstücken aus ihrem Kleiderschrank und Secondhand-Teilen. Julias Freund steht ihr bei der Arbeit am Blog tatkräftig zur Seite, obwohl er Julia Schneeberger, Fashionbloggerin und freie ihre Leidenschaft für die Modewelt gar nicht teilt. „miss“-Mitarbeiterin sieht diesen Zwiespalt ganz „Beim Outfit muss ich oft nachhelfen“, lacht Julia. locker: „Mode ist keine Lebenseinstellung, sondern Dann steckt sie ihren Freund in Hemd und Sneakers, ein Hobby!“, erklärt sie und pfeift auf Designer­ denn einen Mix aus elegant und sportlich à la Bradley klamotten - Julia stöbert lieber auf Flohmärkten. Cooper findet sie besonders interessant. Wir treffen die 20-Jährige an ihrer Fachhochschule. Sie selbst trägt heute eine dünne Sommerbluse mit Erwartungsvoll sitzt sie auf einem roten Ledersofa. einem Pullover. „Wäre doch schade, die Sommer­ Als sie uns erblickt, springt sie sofort auf und begrüßt sachen im Winter aus dem Schrank zu verbannen“, uns strahlend. „Wie spannend! Ich bin noch nie erklärt sie uns und streicht sich eine Strähne aus dem

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01 Meine Lammfelljacke: ich liebe sie! Eines meiner Lieblingskombinationen: Hemd mit Skinny Jeans und Hut. Ein zeitloses Outfit, das fast immer passt!

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02 Ein Lieblingsteil zu finden, fällt mir wirklich nicht leicht. Diesen Pullover habe ich mir letztes Jahr für die MISS Style Challenge noch schnell bei Forever21 gekauft. Seitdem ist es nicht nur mein „Glückspullover“, sondern auch mein Lieblingsteil, den ich zu Hosen, Kleidern und Rücken individuell kombiniere.

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03 Ja, das ist er, mein Kasten! Klein aber oho würde ich sagen! Mein Motto: Schlichten mit Sinn! Die Kleider nach Farben sortiert, die Stapel nach „Thema“ sortiert und nur saisonale Sachen dürfen dabei bleiben.

Gesicht. Ihr schwarzer Hut bedeckt den Großteil ihrer blonden Kurzhaarmähne - „Weil ich heute einen Bad-Hair-Day habe!“

„Die Neonkäppis der Krocha hatten durchaus Stylepotential“, findet Julia. „Heute ist Neon total in!“ Auch sie hat schon einige Modephänomene mitgemacht: Ob Emo-Frisur oder Skaterschuhe – Julias Mit ihren außergewöhnlichen Outfits punktete sie Spiegel hat schon vieles gesehen. Egal war ihr das auch beim Miss Style Award 2011 und holte sich den Aussehen aber nie. Schon im Kindergarten suchte sie Titel. Bald darauf ergatterte sie ein zweimonatiges die exakt passende Strumpfhose zum Rock aus. Praktikum bei dem österreichischen Mode-und Life- Als wir Julia nach ihren Zukunftsplänen fragen, style Magazin. „Das war das beste Praktikum meines zögert sie kurz: „Darf ich träumen?“ Klar. „Na Lebens!“, findet sie heute. Die Redaktion war von der dann“, sagt sie, „sehe ich mich in fünf Jahren als Grazerin so begeistert, dass die junge Praktikantin Mode­journalistin bei Vogue oder Glamour!“ auch heute noch als freie Mitarbeiterin tätig ist. Ein Jahr lang suchte sie die neue „miss Style“ in Graz, indem sie coole Streetstyles auf www.miss.at veröffentlichte. Das war gar nicht so leicht, denn Graz an „Ju“ Schneeberger hinkt laut Julia modetechnisch hinterher. „Hier trauen sich viele nicht, sich auffällig zu kleiden. Ich komm’ IN MEINER HANDTASCHE IST MEIN STIL IN 3 WORTEN ... IMMER ... mir auch manchmal overdressed vor“, meint sie. charmant, vielseitig, weiblich

7 Fragen

Ihr (Life-)Style wirkt mondän und städtisch, aber sie kann auch anders: Julias Familie ist sehr traditionell, daher verbringt sie viel Zeit in der Obersteiermark, wo ihre Eltern ein Haus besitzen. Dort kann man Julia schon mal im Dirndl oder auf der Jagd mit ihrem Vater antreffen. Neben ihrer Begeisterung für die Natur, ist sie eine große Kunstliebhaberin. „Auch Mode ist Kunst“, meint Julia. Demnach sind der Kreativität auch keine Grenzen gesetzt. Manchmal kann man selbst seltsam anmutenden „Antitrends“ etwas abgewinnen.

AUSSERHALB DER MODE­ WELT MAG ICH ... Reisen, Kochen, meine Familie und Freunde, Malen, Musik WAS NUR WENIGE ÜBER MICH WISSEN ... ... dass ich in einer sehr tradi­ tionellen Familie aufgewachsen bin! Meine Eltern haben in der Obersteiermark ein Haus gekauft. Tracht, Fischen und Jagen zählen dort zur Tages­ ordnung! STAMMGAST BIN ICH BEI ... H&M!

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Handy mit Kopfhörer, Lippenbalsam, Schlüssel, Geldtasche, Kaugummi, leider habe ich keinen Taschenspiegel, so etwas würde ich eigentlich brauchen... MEIN NOTFALLPLAN FÜR EINEN BAD-HAIR-DAY ... ... ein Hut!

DIESE MODESÜNDE BEREUE ICH NOCH HEUTE ... die verschiedenfarbigen Schnürsenkel in neongrün und orange in meiner Skaterphase.


JUGENDSTIL

GRAZy

about

Trends

Sind die aktuellen Trends der Modemetropolen London, Paris und New York auch auf den Straßen der Murmetropole zu finden? Eine Streetstylerecherche über die Stilsicherheit der Grazer, ausgefallene Trends und mutige Looks. Text und Fotos: Angela Mader & Ines Abraham Illustration: Simone Wenth

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ie beeindruckende Wandlung von der Ton­ warenfarbe zum Statement Look ist der Farbe Kobaltblau zuzuschreiben. Kobaltblau? Selbst eingefleischte Modefanatiker scheitern beim Versuch einer näheren Analyse und Definition dieser Farbe. Ingrid, unser Streetstyle-Model, besitzt ihren Kobaltchic hingegen schon länger. Nach dem Motto der Fashionrevivals wird die knallige Farbe auch in den Königshäusern und Modemetropolen wieder salonfähig gemacht.

Big is beautiful - Oversize. Dass auch Designer wie Jil Sander diese Saison auf Oversize setzen, wusste David nicht, als er morgens seinen übergroßen, grünen Parka aus dem Schrank holte.

Lila Laune. Ob elegante Abendroben, hippe Party­ kleider oder Keyaccessoires, Violett wurde seinem Ruf als Farbe der Magie bei den Fashionshows mehr als gerecht und zog die Zuschauer in ihren Bann. Auch Karin, die mit ihrem Mantel und Statementschal modisch brandaktuell ist, ist begeistert von der Trendfarbe, die laut Farbenlehre Originalität und Kreati­ vi­tät ausstrahlen soll. Violett rules – dies gilt auch für Graz – neben tristen, schwarzen Winter­jacken ist die Farbe weit verbreitet und versprüht gute Laune.

MUSTERgültiges Styling - Statement Trousers. Graz ist multikulturell – und das hat auch zur Folge, dass sich weltweite Trends ab und zu doch in unser kleines Städtchen verirren. Sha kommt aus China und weiß, was modern ist „Natürlich hab ich die Hose bewusst gewählt, weil das heuer in ist!“, erklärt sie. Der Trend der „Statement Trousers“, einst von J. Crew losgetreten, hat es geschafft, uns vom Sommer in den Herbst zu be­gleiten!

Was früher Hip-Hoppern in schlabbernden Jeans vorbehalten war, schaffte es heuer nämlich auf die internationalen Catwalks. Mit dem Wissen, nun eine Stilikone zu sein, schreitet David jetzt umso stil- und selbstbewusster durch die Straßen von Graz.

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JUGENDSTIL

18 Wahnsinn

Wege zum

Der Nachbarin eine Lektion erteilen oder den Professor ärgern? Den Ruhepuls der Kollegen erhöhen oder andere Verkehrsteilnehmer aufwühlen? 20 Tipps verraten, wie es gelingt, seine Mitmenschen in den Wahnsinn zu treiben… Text: Sandra Schieder Foto: Wolfgang Schnuderl

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Verlasse das Kopiergerät an deinem Arbeitsplatz mit folgenden Einstellungen: 300% verkleinern, A3 Papier und 200 Kopien. Schreibe „Für sexuelle Gefälligkeiten“ in die Ver­wendungszweck-Zeile deiner Überweisungen. Beginne während einer Prüfung zu stöhnen. Frage deine Mitmenschen welches Geschlecht sie haben. Spiele in deiner Wohnung nachts Basketball. Mit einem Medizinball. Entdecke deine Vorliebe zu Death-Metal. Ebenfalls nachts. Erwidere jeden Satz deines Professors mit einem „Hab ich schon einmal gehört.“. Beginne während einer Lesung selbst laut aus einem Buch vorzulesen. Antworte auf jeden Satz deines Gegenüber mit einem „Wie bitte?“. Versuche während einer Prüfung besonders laut und schnell zu atmen. Borge dir einen Taschenrechner aus und gib einen Kugelschreiber zurück. Lerne steppen. Nachts. Tippe einen Passanten von hinten an, rufe laut „Du bist dran!“ und laufe weg. Verwende beim Schreiben von Briefen weder Punkte noch Beistriche. Halte jedem dein neues iPhone vor die Nase und betone wie toll Apple ist. Versuche Passanten am Überqueren von Straßen zu hindern. Verdrehe auf jede Aussagen deiner Kollegen die Augen. Stelle deinen Müll vor die Wohnungstür deines Nachbarn. Für negative Auswirkungen und Konsequenzen sowie persönliche Schäden nach Anwenden eines oder mehrerer Tipps übernimmt die Autorin keine Haftung.

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JUGENDSTIL

Ein Schneesturm als Spielverderber

Gefangen im eigenen Auto, das nach und nach vom Schnee bedeckt wird. Bestenfalls mit einem Beifahrer. An ein Weiterkommen ist nicht zu denken. An Unterhaltung auch nicht. Oder doch? Eine Anleitung für das Glück im Unglück. Text: Christoph Sammer Illustration: Simone Wenth

1. Froh zu sein, bedarf es wenig. Um 4. In den letzten Jahren hat sich einigenau zu sein nur diese vorangegan­ gene Zeile aus dem bekannten Kinderlied: Takt für Takt kannst du die Langeweile wegsingen und einen Kanon der Superlative einstudieren. Und wenn du froh bist (und somit König), dann kann doch mal wieder der gute, alte Bruder Jakob besungen werden. Spaßfaktor: 100%. Oder so.

2. Vom (Schnee-)Regen in die Traufe.

Solch triste Worte können nur ein Thema einleiten: das österreichische Fußballnationalteam. Steigerung hin oder her: Österreich hat nicht nur einen Teamchef, sondern knapp acht Millionen. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen. Stift raus und die Wunschelf aufstellen.

3.

Masturbieren.

ges an Müll unter deinem Autositz angehäuft? Toll, denn das ist die Vorlage für das optimale Gesellschaftsspiel: Greif unter deinen Autositz und versuch nur anhand der Form das Ding zu identifizieren. Aufpassen, wenn die Möglichkeit besteht, dass Maden oder Spinnen in deinem Auto leben.

5.

Das extrem belustigende Gesellschaftsspiel „Stadt, Land, Fluss“ muss die fast schon gekippte Stimmung wieder ins Positive kehren. Kleiner Tipp: In Nordrhein-Westfalen gibt es eine Stadt namens Xanten und der Beruf Yogalehrer ist stark im Kommen.

6.

Mehr als 26 Buchstaben hat das deutsche Alphabet nun mal nicht. Grenzenlos ist hingegen die Musik.

Was uns wieder zu Punkt 1.) bringt. Ist der Gesang wohl schon ausgefeilt genug? Wer sich der Perfektion nähert, kann kanontechnisch eine Stufe zulegen und Klatschen ins fidele Musizieren integrieren. Der Spaßfaktor wird unfassbar hoch sein. Garantiert!

7.

Wiederholung von Punkt 3.

8 Kurios: Laut österreichischem Ge-

setz darf man nackt mit seinem Auto fahren. Warum dann nicht unbekleidet im Auto sitzen und die Sitzheizung genießen? Blicke der vorbeifahrenden Autofahrer einfach erwidern. Sollten ausgerechnet jetzt gelbe Engel eintrudeln oder Wunder passieren, dann lies bitte „10 gute Ausreden, die dir immer helfen.“ Der Mehrwert dieser Tipps ist ähnlich hoch wie bei diesem Text. Versprochen.

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24 STUNDEN

24 Stunden Text und Fotos: Angelika Golser & Stefanie Tomaschitz

09:00

So klein und gemütlich Graz auch sein mag - Kuriositäten und Besonder­heiten gibt es hier zuhauf. Auch abseits der typischen Hotspots lassen sich außergewöhnliche Plätze ausfindig machen. Eine Anleitung für einen ungewöhnlichen Tag in der Landeshauptstadt.

Wahnsinnig:

SKURRIL Nicht nur für die Gläubigen unter uns ist die Stadtpfarrkirche Graz in der Herrengasse einen Abste-cher wert. Die bunten Glasfenster über dem Altar zeigen - versteckt, aber doch erkennbar - zwei Per-sonen, die dort wohl niemand erwarten würde: Hitler und Mussolini. Der Salzburger Künstler Albert Birkle schuf die Fenster in den 50er-Jahren und löste damit einen Skandal aus.

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11:00 Wahnsinnig

WOLLIG Eine Lösung für kalte und gelangweilte Ohren: Die Mützenmafia kreiert nach persönlichen Wün-schen und Vorstellungen selbstgehäkelte Beanies und Hauben. Auf Anfrage gibt die „Mützenmama“ und Initiatorin der „Mützenmafia“, Kristina Forstlechner, auch Häkel-Unterricht in ihrem eigenen Wohnzimmer in der Stigergasse. In ihrer kleinen, aber feinen „Häkelstube“, zeigt sie, wie man Melonen, Erdbeeren oder Häschen für den Kopf fertigt.


24 STUNDEN

13:00 Wahnsinnig

SPANNEND Wahnsinnig Wer einmal tiefer in die Welt der Kriminologie eintauchen möchte und keine Angst vor spektakulären Mordfällen oder Tatwerkzeugen hat, ist im Kriminalmuseum genau richtig: Tatwaffen, Schädeldecken von Opfern, Gifte und vieles mehr werden hier ausgestellt. Wieso Frauen besonders gerne mit Arsen mordeten und Männer Leichenteile in Keramiktürmen versteckten, erfährt man im Keller der Uni-versität Graz. Tipp: viel Zeit nehmen ... Und besser nicht allein nach Hause gehen!

SCHARF Wer es gerne etwas schärfer mag, ist bei „Curry & Fritz“ am Glockenspielplatz an der richtigen Adresse. Nicht ohne Grund ist an der Tür die Aufschrift „Die schärfste Kiste Österreichs“ zu lesen. Der Imbiss bietet seinen Gästen neben Burgern und Snacks aller Art auch eine Currywurst in 10 ver-schiedenen Schärfestufen an - von „Österreichmittelscharf“ (Stufe 1) bis „Unbesiegbarscharf“ (Stufe 10). Trau dich und probier’s aus! Übrigens: Ab Stufe 9 ist der Verzehr auf eigene Gefahr...

17:00 Wahnsinnig

ROMANTISCH All jene Verliebte, denen es nicht reicht, mit ihrem Herzblatt bei Nacht durch das schöne Graz zu spazieren, können ihre Liebe auch noch durch ein Vorhängeschloss mit ihren Initialen an der Hauptbrücke zum Ausdruck bringen. Der romantische Trend, der ursprünglich aus Italien stammt, hat be-reits vor einiger Zeit Graz erreicht. Inzwischen zieren hunderte gravierte oder beschriftete Schlösser das Brückengeländer. Love is in the air!

22:00

20:00

Wahnsinnig

GEMÜTLICH Wer Lust auf ein kühles Bier in WohnzimmerAtmosphäre hat, aber dennoch nicht zu Hause bleiben möchte (oder einfach kein Bier hat) findet gemütliches Flair im den Räumlichkeiten des Lokals “blendend” in der Mariahilferstraße im Bezirk Lend. Gute Musik, bequeme, heimelige Sofas und Blümchentapete - fast wie zuhause. Mit einem einzigen Unterschied: es gibt keine Toiletten...

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EDITORIAL Titelthema

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Titelthema EDITORIAL

„Und Gott sah, daß es gut war.“ - 1. BUCH MOSE, KAP. 1 -

Illustration: Christopher Eder

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Titelthema

Paranoide hypochondra megalomatie Der Wahnsinn in seinen verschiedenen Ausdrucksformen war den Menschen schon immer ein treuer, aber ungewollter, oft auch unerkannter Begleiter. Größenwahn, Krankheitswahn, Verfolgungswahn. Das sind drei Paradebeispiele für den Irrsinn. Der Versuch sich in die Situation der Betroffenen hinein zu versetzen. – Eine dreifaltige Selbsteinschätzung. Text: Hubertus J. Schwarz Fotos: Bastian Meier

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egalomanisch - Der Größenwahn.Vorhang auf, die Bühne ist Palast. Barocker Himmel über Marmor, Samt und Gold. Er ist angefüllt mit Rängen und Namen von Edlen und Damen. Sie hofieren sich und ihre Nächsten. Schmieden Ränke und sind in ihrer glänzenden Pracht nur durch ihre Redseligkeit noch zu übertreffen. Alle sind meiner Einladung gefolgt. Natürlich. Wollen diesem Schauspiel beiwohnen. Livrierte Pagen huschen durch den hochkarätigen Pfuhl aus blauem Blut und bleicher Haut. Sie sind fahrig. Wissen darum, dass ich jeden ihrer Schritte beobachte. Dennoch mischt sich in das Summen der Gespräche an diesem Abend oft das Klirren der Gläser, die zwischen Gästen zerschellen. Überall im Saal umringen Gruppen geiler Junker die Gestelle der Kleider in denen irgendwo verborgen jungfräuliche Erbinnen staken. Die Maiden hoffen, erkoren zu werden. Hoffen es so sehr in ihrem verdreht romantischen Denken. Das Gewirr aus Stoff ist für die Paarungswilligen kaum Hindernis. So wie ein maroder Zaun für Hengst und Stute nicht mehr ist als einfach lästig. Opulente Gewänder. Edle Stoffe. Reich an allem, Spitze, Falten, Farben und Ziergestein. An diesem Abend tanzen die Liebestollen ihren neckischen Reigen mit wenig Zurückhaltung.

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Titelthema

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Titelthema

Die eitlen Väter stehen Abseits. Beäugen das Treiben ihrer Zucht. Gepudert bis zur Unkenntlichkeit, in Gicht und Gier und falschem Glanz begriffen, lauern sie wie die Geier, bereit ihren Segen jedem zu verwehren, der Mitgift und Ansprüchen nicht gerecht wird. Oder dagegen lohnende Partien in den Stand der Ehe zu drängen. Am besten vom Fleck weg. Die Mütter der Kitze kümmern sich kaum. Sie sitzen trunken an den Tischen. Zocken ihre Gatten in den Ruin. Tratschen und sind sich ihrer Oberflächlichkeit in wohligem Maße bewusst. Alkohol ertränkt alle Nervosität. Nur das schrille Kichern, das ab und an aus der Kakophonie des Banketts emporsteigt, stört die aufgesetzte Ausgelassenheit. Die Luft in dem großen Festsaal ist schwanger von den Aromen der Menschen. Ein Sud aus Parfüm, Riechsalz, Schweiß, den Düften der Speisen und Kerzen. Bis unter die himmelhohen Decken stapeln sich die Gerüche. Mengen sich und wabern als schwere Wolke über den Perücken der Feiernden. Erlesendes wird gereicht. Dem Alkohol immer mehr zugesprochen. Die Menschen warten. Warten auf mich. Der Pfuhl aus blauem Blut steht angespannt im festlichen Saal. Meine Anwesenheit liegt in der Luft. Lässt die Kinder nun doch leiser werden und auf die Schöße der Ammen flüchten. Vergällt den buhlenden Böcken aus Hohem Haus ihr Ziehen und Zerren um die Töchter. Ich gebe einem der Diener ein kaum merkliches Zeichen. Sie alle haben zu verstehen gelernt, mir jeden Wunsch, jeden Befehl von den Lippen zu lesen, noch ehe ich aussprechen muss. Es knallt. Heroldsstab auf Boden. Schlägt ein, zwei, dreimal. Bis sich die Häupter der Menge zu dem neuen Klang gewandt haben. Die Köpfe recken sich zu mir, hoch auf der großen Empore am Kopf des Saales. Gespräche verstummen. Sie alle sehen mich und ich sehe sie. Dann bricht ein Beifallssturm los. Ich muss nichts sagen, nichts tun, außer nur für sie zu strahlen. Der Blick nach unten, in das Meer aus

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Titelthema

erregten Gesichtern ist grandios. Nein, ich bin grandios. Die Menge spiegelt in ihrem frenetischen Jubel nur meine Herrlichkeit. Ich bin so unverzichtbar für sie, wie die Sonne. Und wie das gleisende Zentralgestirn überstrahle ich alles und jeden um mich herum. Ohne mich wären sie nichts, ohne mich wären sie verlorene einsame Seelen, verirrt in der Finsternis. Aber ich bin ja da. Tauche die Welt in meinen Glanz und lasse sie so prachtvoll erscheinen, wie es meinen Augen angemessen ist. Das Sein in seiner ganzen Schönheit dient nur allein dem einen Zwecke: mir zu gefallen. Denn ich bin großartig.

Paranoid - Der Verfolgungswahn. Ein gehetzter Blick über die Schulter. Zu flüchtig, um wirklich bestätigen zu können, was hinter mir liegt. Dabei doch eindrucksvoll genug, um der Furcht neue Nahrung zu geben. Es rauscht in meinen Ohren. Mein gespannter Herzmuskel pocht schnell, beinahe schmerzhaft. Das Dunkel kommt von allen Seiten auf mich zu. Ich spüre unzählige Augen, boshafte Blicke, die sich in meinen Rücken bohren, und die Angst. Die Angst ist mein stetiger Begleiter. Ein Schatten, der in jeder Sekunde meines Lebens über mir schwebt. Drohend, übermächtig. Es ist die Furcht vor denen, die mich verfolgen. Es gibt keinen Freund mehr auf der Welt. Niemanden, dem ich trauen kann. Sie alle wissen es. Beobachten mich. Ich merke es an der Art und Weise, wie man mir auf der Straße begegnet. Passanten machen einen Bogen um mich. Zeitungsleser, die in ihrem krampfhaften Bemühen mich nicht zu beachten doch genau das gegenteilige Tun beweisen. Die beiläufigen Bemerkungen meiner Freunde: „Geht es dir gut“, „Was hast du erlebt, was unternommen.“ – Heuchler! Sie alle wissen es genau. Fragen nur, um mich in Sicherheit zu wiegen. Aber ich habe sie durchschaut und jetzt, wo ich das System erkannt habe, wundert mich nichts mehr. Der Feind hat jeden Winkel meines Lebens infiltriert. Ich bin nirgendwo mehr sicher. Habe niemanden mehr. Ich bin allein.

Hypochondrisch - Der Krankheitswahn. Die Welt ist ein einziger gigantomanischer Pfuhl. Voll von Erregern, Bakterien, Viren, Insekten, Viechern, Dreck, Schmutz, Menschen, Abschaum, ekelhaftestem Gekreuch. Und inmitten dieses dysfunktionalen Molochs stake ich. Gesund im Geist und krank am Leib muss ich miterleben, wie ich zugrunde gehe und niemand mir Glauben schenken mag. Dabei ist es doch so klar und offenkundig. Da, der braune Fleck auf meiner Schulter. Gestern war er noch nicht dort. Und dieses ständige Ziehen in den Waden und dann noch das grässliche Sausen in den Ohren. Oh, ich fürchte das Schlimmste: Pest, Syphilis, Malaria, womöglich alles zusammen. Würmer habe ich mit Sicherheit auch. Es ist schrecklich. Ärzte, diese Handlanger des Bösen. Kurpfuscher, Quacksalber alle miteinander! Sie können mir alle gestohlen bleiben mit ihren beeindruckend dilettantischen Diagnosen. Keine sichtbaren Beschwerden – von wegen! Ich bin im Siechtum begriffen. Sensenmann und ich tanzen ein feistes Ringelrein. Der Sensenheini ist es sicher nicht, der schon mächtig außer Puste ist…

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Titelthema

Wahnsinn

Text: Susanne Nahold Illustration: Tanja Gahr

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definiert

ine klare Definition für Wahnsinn gibt es nicht, da er sich nur schwer eingrenzen lässt. Ein Wahn zeichnet sich meist durch eine falsche Überzeugung aus, die trotz Zeugnis von außenstehenden Personen krankhaft aufrechterhalten wird. Ab wann ein Mensch wirklich als verrückt gilt, ist schwer zu sagen. Das Wort Wahnsinn ist eine Rückbildung vom Wort „wahnsinnig“, welches auf dem althochdeutschen Vorbild „wahnwitzig“ (wanwizzi) aus dem 15. Jahrhundert basiert. Es bedeutet „leer, mangelhaft“ und führt zur eigentlichen Bedeutung ohne Sinn bzw. Verstand sein. Synonyme sind Irrsinn und Verrücktheit. Historisch gesehen gibt es eine Vielzahl an Arten des Wahnsinns, Tendenz steigend. Die wichtigsten Arten sind der nützliche Wahnsinn (Ekstase, Raserei), Unvernunft nach Kant, Melancholie, Manie und Hysterie. Gefolgt von den heute bekannteren wie Größenwahn, Liebeswahn, Verfolgungswahn und weiteren. Durch diese Anzahl an Formen ist die Interpretation der Symptome unterschiedlich. Das Verhalten bewegt sich außerhalb der akzeptierten Norm. Meist folgt ein Kontrollverlust der Affekte, die Folge ist ein ungehemmtes, triebgesteuertes Ausleben der Gefühle. Die Wahrnehmung der Realität ist gestört. Häufige Therapieformen sind heutzutage Psychopharmaka, Verhaltenstherapien oder stationäre Behandlungen, wodurch Patienten aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Da eine genaue Diagnose wichtig und zugleich sehr schwer zu stellen ist, erweist sich eine Therapie nicht immer zwingend als erfolgreich.

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Titelthema

Text: Hubertus J. Schwarz & Manuela Glinz Illustration: Tanja Gahr

Das Problem: Kokain. Die Therapie: Entzug in der Klinik. Einblicke in das Tagebuch eines Drogenkranken.

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I’m back, again. Tag 0. Bin wieder da. Raus aus der Ambulanz, der Vorbereitung für den Entzug, und hinein in die selbst gewählte Isolation. Nur mit Sporttasche und einem Müllsack voll mit meinem Zeug stehe ich vor dem Eingang der Klinik. Yippie ya yeah Schweinebacke. Yippie. Ya. Yeah. Die Aufnahme ist wie beim letzten Mal. Meine Sachen werden durchleuchtet. Ich fühl mich dabei selbst irgendwie ausgezogen. Ist vielleicht aber auch, weil ich grad nichts eingeworfen hab. Dann der Test. Becher vollmachen für die Analyse und dabei auch noch Publikum haben. Toll. Bin gespannt, was sie alles in meiner Pisse finden. Substitol und mein liebes Kokain. Schneeweißer Freund, der zum Gegner geworden ist. Dennoch ein Gefährte, in guten wie in schlechten Tagen. Wobei die schlechten überwogen haben. Ich kenne nur noch Scheißtage und Ok-Tage. Dazwischen gibt es nichts. Heute war definitiv ein Scheißtag.

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Titelthema

Tag 1. 65 Stunden ohne Pulverschnee. Davon 48 in der Klinik. In mir brodelt es. Wenn ich ans Essen denke, kommt’s mir gleich hoch. Dabei ist überhaupt nichts mehr drinnen, was hochkommen könnte. Schlafen und trinken kann ich auch nicht. Dabei hab ich so verdammt Durst. Zwischen Fieberwahn und Schweiß und Kotze versucht ein Pfleger mir Wasser und Tabletten einzuflößen. Ich brech ihm alles auf seinen scheißweißen Kittel. Irgendwie witzig. Aber Lachen geht grad auch nicht. Ich zittre wie ein panischer Welpe. Heiß und Kalt wechseln sich ab wie beim Ping Pong. Es ist wie die ärgste Grippe, nur noch schlimmer. Und es hört nicht auf. Tag 2. … Tag 3. … … Tag 4. … …… Tag 5. Ich kann wieder schreiben. So halbwegs. Die letzten Tage waren Horror­trip. Mein Kopf Beton, die Welt um mich der Presslufthammer. Tag 6. Bevor ich in die Ambulanz und dann hier in die Klinik gekommen bin, habe ich Dinge gesehen. Insekten, die unter meiner Haut krabbelten. Konnte spüren, wie sie sich bewegen die Arme hinabkrabbeln und sich dann an den Fingerkuppen aus meinem Fleisch wühlen. Sie waren überall. Kamen am Ende immer mit dem SchneeflockenFreund. Die Erinnerung daran, was ich alles getan habe, als die Insekten da waren, ist schlimm. Die dunklen Flecken meiner Tränen in den Kissen sind stille Zeugen meines Versagens. Dann kommt der Pfleger und gibt mir etwas, um das Kokain und die Viecher zu vergessen. Tag 7. Es dämmert. Tagelang. Die Vorhänge in meinem Zimmer sind zugezogen. Ich verstecke mich vor allem. Den Geräuschen, den Gerüchen, dem Geziefer, den Gesichtern der anderen Menschen. Ich verstecke mich. Tag 8. Noch immer sehe ich weiß. Noch immer sehe ich Schneeflocken. Ich habe nichts zu tun, außer zu schwit-

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zen, zu schlafen und wenn es schlimm wird zur Ausgabe zu gehen und mir etwas geben zu lassen. Ich denke nach, über alles, woran ich mich erinnern kann. Den ersten Kick mit 16. Über das Ausprobieren, das Süchtigwerden. Dann der totale Absturz. Gedealt, gezockt, verloren und festgenommen. Gefängnis und der erste Entzug mit Methadon. Tag 9. Als ich vor ein paar Jahren aus dem Knast kam, war ich das erste Mal seit der Pubertät wieder clean. Neuer Job, neue Wohnung, neue Freundin, alte Bekannte. Und mit den alten Kumpels kamen auch vergangene Versuchungen wieder. Als dann etwas schief lief, suchte ich Trost bei Schneeflocke. Und meine Liebe nahm ich mit. Es dauerte nur ein paar Wochen, dann war

ich wieder einer der Blaulippenzombies. Zuhause gab sich jetzt auch die Freundin den Schuss. Tag 10. Irgendwann ging es nicht mehr. Freundin weg, Job auch. Niemand braucht einen zitternden Zombie in Führungsposition. Ich war da schon wieder auf Substitol. Das war billiger, sauberer als Schneeflocke. Hab mich dann eingeschlossen. Alle Drogen das Klo runtergespült und gewartet. Ein Kalter Entzug ist heftig. Von Ersatzdrogen wie Substitol runter zu kommen ist viel krasser als von Kokain. Bei Substitol fängt der Spaß nach vier Tagen erst an. Epileptische Anfälle, Hirnschläge, der ganze Zirkus kommt mit den Substitutionsmitteln. Daran bin ich beinahe krepiert. Durchgehalten hab ich auch nicht lange.


Titelthema

Irgendwann hab ich dann von der Klinik gehört. Von Walkabout. Tag 11. Hier gibt es statt Substitol Methadon. Flüssigkeit statt Tablette. Und jedes Mal, wenn ich zur Ausgabe komme, gibt es etwas weniger davon für mich. Ein warmer Entzug. Mein Zimmer ist kahl. Krankenhausbett. Schreibtisch, Sessel, kleiner Schrank. Der Luxus: ein eigenes Bad. Alles Schmucklos. Es wirkt so, als ob man hier nicht lange sein wird. Das gibt mir Hoffnung. Tag 12. Die Umstellung ist verdammt hart. Jetzt, nach etwa 12 Tagen hab ich das Gefühl, es wird besser. Wobei besser auch nur heißt, dass ich mich nicht mehr mit dem nächstbesten spitzen Gegenstand, der mir in die Finger kommt,

abstechen möchte. Ich habe Angst. Alles wirkt so nah und so verdammt laut. Ich verkrieche mich unter meine Decken. Schalte die Welt ab, wenigstens für einen Moment. Tag 13. Langsam begreife ich wieder, warum ich hergekommen bin. In den letzten Tagen habe ich abwechselnd das Methadon, die Pfleger oder mich verflucht. Draußen wäre ich entweder an einem Eigenentzug verreckt, oder schon längst wieder drauf und voll bis obenhin. In der Klinik ist etwas, das mich davon abhält. Vielleicht die Medikamente, vielleicht die Gesichter der anderen Patienten, vielleicht die Ärzte und Pfleger, oder die Klinik selbst. Wahrscheinlich alles zusammen. Wenn es hinkommt noch eine Woche, dann bin ich clean. Ein Ok-Tag.

Tag 14. Gespräche mit der Psychologin, den Therapeuten. Jeden Tag bekomme ich etwas weniger von der Ersatzdroge. Und jeden Tag wirkt dafür die Welt um mich herum realer, näher, intensiver. Ich beginne wieder zu fühlen. Und das macht genau so viel Angst, wie es aufregend ist. Tag 15. Ich bin clean. Darf vom Entzug in den Entwöhnpart der Klinik. Hier bekomme ich einen Stundenplan, Kurse und Termine für Gruppentherapien oder Einzelgespräche. Ich vermisse weder das Handy, noch das Notebook oder die Blaulippen aus der Szene. In ein paar Monaten kann ich ein neues Leben beginnen. Einmal mehr. Und dann vielleicht für immer ohne den Schneeflocken-Freund.

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Titelthema

Infobox Drogensucht. Durch regelmäßigen Konsum eines Suchtmittels hervorgerufene physische und/oder psychische Abhängigkeit. Substitutionsmittel. Zuführung von normalerweise im Körper vorkommenden Substanzen zur Behandlung oder Verhütung von Mangelsymptomen. Ersatzdrogen sind Substitutionsmittel, die den Drogenkranken den Entzug erleichtern sollen. Methadon. Synthetisches Opioid, das zur Schmerzbehandlung und zur Substitutionstherapie bei Morphinoder Heroinsucht verwendet wird. Entzugssymptome sind wesentlich milder. Wirkt als Analgetikum. Substitol. Österreichischer Handelsname für ein Morphin, das als Ersatzdroge genutzt wird. Es wird gegen schwere Schmerzzustände verschrieben. Als Sub­ stitutionsmittel stark umstritten, da die Einnahme zu starken Nebenwirkungen, wie etwa Erbrechen, Euphorie, Inkontinenz, Sedierung oder Atemnot führt.

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Warmer Entzug. Umgangssprachliche Bezeichnung für eine Sucht-Entziehungskur mit therapeutischer und ärztlicher Betreuung, in der man auf ein leicht zu reduzierendes Substitutionsmittel umgestellt wird, um eine lang­ same und schonende Entwöhnung zu gewährleisten. Kalter Entzug. Umgangssprachliche Bezeichnung für eine Sucht-Entziehungskur ohne therapeutische oder ärztliche Betreuung. Da sich die Drogenkranken meist unvorbereitet und ohne medizinische Kenntnisse zu behandeln versuchen, können die auftretenden Mangelerscheinungen schwere Depressionen, Psychosen und akute Selbstmordgefährdung hervorrufen. Walkabout. Eine Therapiestation für Drogenkranke des Ordens der Barmherzigen Brüder, die im Jahr 2004 am Grazer Stadtrand gegründet wurde. Der etwa dreiwöchige Entzug wird rund um die Uhr von Ärzten und Pflegepersonal betreut. Angebote aus den Bereichen Sozialberatung, Klinische Psychologie, Sport-, Kreativ-, Ergo- und Physiotherapie unterstützen die Patienten bei der Wiederwahrnehmung von sich selbst und der Umgebung. Für den Entzug stehen 10 Plätze, für die Entwöhnung 20 Plätze zur Verfügung.


Titelthema EDITORIAL

Text: Michael Morgenbesser Illustration: Anna Spindler

paranoid

nymphomanisch

pseudomanisch

chronisch verlogen

manisch

megalomanisch

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Titelthema

Hallo,

Zination! Text: Simone Steurer Illustration: Anna Spindler

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Florian Wadl bekommt fast jede Nacht Besuch. Nein, nicht etwa von einer Verehrerin, die durchs Fenster klettert. Sondern wie jeder andere Mensch auch – von seinen Träumen. Bloß, dass seine Traumfiguren gerne einen Ausflug in die Realität machen.


Titelthema

H

inter der Tür steht jemand. Eigentlich ist Florian schon am Einschlafen, aber er kann seinen Blick nicht von der Gestalt abwenden. Es ist ein dunkler Schatten, dort, wo normalerweise der Kleiderständer steht. Er bewegt sich. Mit müden Augen verfolgt Florian die dunklen Umrisse, die von der Tür weggehen, auf ihn zu. Vor der Bettkante macht sie halt, die Kreatur der Finsternis. Gesicht und Körper sind kaum zu erkennen, und doch spürt Florian den Blick auf sich ruhen. Dann schläft er ein. Florian Wadl ist 21 Jahre jung und studiert Sport und Physik an der Karl-Franzens-Universität in Graz. Er stammt aus einer Sportler­ familie und das sieht man seinem Körper auch an. Seit dem Kindesalter trainiert er fast täglich, 2002 wurde er Staatsmeister in Kunstturnen gemeinsam mit der Mannschaft, seit fünf Jahren ist er selbst Turntrainer, und im Oktober durfte er zur Europameisterschaft im Teamturnen nach Dänemark reisen. Florian ist ein kommoder Typ. Er kennt viele junge Menschen, geht gerne feiern und fängt auch mit Fremden schnell offene Gespräche an. Sein Leben ist bunt und abwechslungsreich, die Tage, wie auch die Nächte. In den meisten Nächten empfängt Florian nämlich Gäste. Doch das nicht immer freiwillig. Florian sieht Menschen. Und Dinge. Und Tiere. Und komische, abstrakte Sachen. Dinge, die außer ihm niemand sieht. Doch deshalb ist er nicht verrückt oder gar schizophren. Schließlich redet er ja noch nicht mal mit diesen Dingen. Sie sind einfach da. Sie sind da, ohne Absicht, ohne Grund. Sie stehen im Raum, gehen umher, sehen ihn an, oder bewegen sich einfach. Es sind Traumgestalten, die es in die Wirklichkeit geschafft haben. Zumindest in die Wirklichkeit von Florian. „Mit 15 oder 16 wurde es stärker“, erinnert sich Florian. „Ich weiß, dass ich es auch schon früher hatte, aber seit ungefähr vier Jahren kommt es öfter. Und ich habe angefangen es zu realisieren, zu merken, was es ist.“ Mit „es“ meint Florian die Nachtbesuche seiner Figuren. Man könnte „es“ auch „Wahnvorstellungen“ oder „Halluzina­ tionen“ nennen. Aber „Halluzinationen“ klingt nach einer psych­ ischen Krankheit. Und krank ist Florian nicht.

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Titelthema

Zwei bis drei Mal die Woche kann es vorkommen, dass die Kreaturen auftauchen. „Es kommt immer darauf an, wann ich schlafen gehe“, erklärt der Sportler. „Wenn ich früh schlafen gehe und noch nicht so müde bin, dann kommt es eher, als wenn ich sehr müde bin und ins Bett falle. Dann schlaf‘ ich weg und merk‘ es natürlich nicht.“ Der Zeitraum des Geschehens ist also genau jener, in dem Florian vom Dösen ins Schlafen übergeht. „Es ist nicht nur ein Traum. Ich schlafe ja noch nicht, wenn es kommt. Es ist kurz vorher. Ich stell mir das wie eine Ebene vor, in der sich Wach- und Schlafphase überschneiden.“ Man könnte Florian eine blühende Fantasie zuschreiben, eine Welt, die er für sich erschafft, oder eher: die sich für ihn erschafft. Einbildung ist es schließlich nicht, was diese Kreaturen zum Leben erweckt, erklärt Florian. „Ich will mir diese Dinge ja nicht vorstellen. Sie sind einfach da.“ Es kann zum Beispiel sein, dass dort, wo eben noch der Kleiderständer stand, eingetaucht in die Dunkelheit der Nacht, plötzlich eine Figur steht. Ein Regal wird so zum Samurai mit roter Kutte, ein Stuhl zu einer Katze, die am Boden sitzt und um sich blickt. Diese Gestalten sind aber nicht wie Möbel, fest an einem Platz, sondern sie können sich bewegen, umher gehen, sich vor Florians Bett stellen, ja sogar nach ihm greifen. „Ich sehe es total echt. Jedes Detail, jede Bewegung“, sagt Florian. „Es ist wie real.“ Dass diese Dinge trotzdem bloß für ihn sichtbar sind und keine echten Menschen und Tiere in seinem Zimmer herumgeistern, dessen ist sich Florian aber immer bewusst. „Ich weiß, ich bin in meinem Zimmer, ich weiß, ich liege im Bett und ich weiß, da ist jetzt etwas, was nicht da ist.“ Also wieder einmal Besuch. „Oft haben die

Ich weiß, ich bin in meinem Zimmer, ich weiß, ich liege im Bett und ich weiß, da ist jetzt etwas, was nicht da ist.

Figuren auch komische Gewänder an oder sehen etwas seltsam aus – einmal war es zum Beispiel ein Clown. Es sind also nicht so ganz normale Menschen, sondern ich merke, dass es eine ‚Erscheinung‘ ist.“ Kein Grund also, sich zu fürchten. Auch das musste der Student erst mit der Zeit lernen. „Am Anfang war es ein bisschen komisch“, erinnert er sich. „Weil ich ja nicht gewusst habe, was mit mir los ist und warum ich solche Sachen sehe. Aber es ist nichts Schlimmes.“ Mit der sinkenden Angst sind auch jene Figuren verschwunden, die nach ihm gegriffen oder sich über ihn gebeugt haben. Und jetzt? „Finde ich es eigentlich interessant. Ich schau‘ die Figur an und denke mir: ‚Was ist denn das jetzt?‘“ Die Halluzinationen dauern auch nur ein paar Sekunden, nie länger als eine halbe Minute. Für diese kurze Zeit beobachtet Florian sie. Und wenn er sie nicht mehr sehen will, dann verschwinden sie auch. „Wenn ich zum Beispiel einen Polster hinüber schmeiße oder mit der Hand hin greife, dann ist es weg.“ Die Traumgestalten stören den 21-Jährigen nicht. Er hat sich an ihre Anwesenheit gewöhnt, er weiß, dass sie nichts zu bedeuten haben. „Es mag für Außenstehende schlimm und gruselig klingen, weil man es sich nicht vorstellen kann“, sagt Florian. „Aber ich weiß, dass es eigentlich nur ein Traum ist, der ein bisschen übergreift, sozusagen. Und das ist es dann auch schon. Da ist nichts dabei.“ Ob er weiß, was die Kreaturen von ihm wollen? Er lacht. „Nein, ich hab‘ sie nicht gefragt. Vielleicht sollte ich das mal machen.“

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Titelthema

Eine H mmage an den Wahnsinn Man muss die Darbietung mitdenken, um „hinter den Sinn“ zu kommen, so ein deutscher Philosoph über Rammstein. Bei Konzerten kriechen Bandmitglieder, an Ketten gefesselt, auf allen Vieren, Kunstblut spritzt, Zähren fließen und der Sänger reitet auf einem riesigen Phallus die Bühne entlang. Um hinter den Sinn zu kommen, muss man erst den Wahn erleben. Text: Maximilian Tonsern

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om Wolkendach fällt Feder­ fleisch / Auf meine Kindheit mit Gekreisch. Rammstein. Bühnen­ show. Lindemanns Stimme kriecht aus den Lautsprechern, kraftvoll, tief. Die Gitarren setzen ein, Kruspe und Landers stehen neben­ einander. Es geht nicht nur um Narben allein, es geht um die Schatten in den Narben, und davon gibt es viele. Der Bass gleicht einem Grollen, Riedel atmet schwer. Die Menge tobt, befindet sich im Wahn. Das Schlagzeug rattert, Schneider ist in seinem Element. Lindemann verharrt auf der Bühne, seine Zunge baumelt aus dem Mund, Speichel tropft ihm vom Kinn. Inszenierte Alptraumwelten, vor denen wir die Augen verschließen. Bück dich, befehl ich dir / Wende dein

Antlitz ab von mir. Im Werk von Rammstein gibt es keine Tabuthemen. Lindemann singt über Folter, Sado­ masochismus und Missbrauch. Egal ob im brachialen Lied Mein Teil, ob in dem an Fritzl angelehnten Song Wiener Blut, Rammsteins propagierter Wahnsinn blickt tief in die furchtbarsten Geheimnisse unserer Gesellschaft: Inzest, Flagellation, Verstümmelung, Mord, Vergewaltigung. Die Kehrseiten der Menschheit finden nicht nur in Liedern Anklang, sondern werden auch auf der Bühne zur Schau gestellt. Lindemann simuliert brutalen Analverkehr mit Keyboarder Lorenz und die Fans der Band lassen sich begeistert in das Gesicht spritzen, wenn Lindemann nach dem Akt einen Plastik­penis auf die Zuseher richtet.

Rammstein - eine wahnwitzige Sa­ botage der faschistischen Utopie? Vergiss uns nicht / weißt du noch, im März. Die Gruppe polarisiert, ihre Musik wird geschätzt oder verachtet. Seien es Veteranen in Moskau, die beim Konzert emsig die Lyrik mitlesen, oder begeisterte Mexikaner, die Reichskriegsflaggen in Mexiko City zum Konzert mitbringen, Fans gibt es überall. Doch wo Sinn, da auch Wahn und Hass. Kritiker bemängeln einen Rückgang in der musikalischen Qualität, verurteilen die Pyro-Effekte und schwingen die Faschismus-Keule. Rammstein stehen für Materalismus par excellence, für begeisterte Massen und einen Dirigent. Für Flaggen, Balkenkreuz-Symbolik und Videomaterial von Riefenstahl. Manche der Vorwürfe sind gerechtfertigt, einige entbehren jeder Grundlage. Mit Links 2, 3, 4 bekannte sich Rammstein klar zu einem linken Bewusstsein, jeglicher Kontakt zur rechten Szene wird dementiert. Dennoch ist der Vorwurf, dass Rammstein mit diesem, von den Medien angedichteten Image spielen, durchaus gewichtig. Wer Rammstein verstehen will, muss den Wahnsinn überwinden. Ohne dich kann ich nicht sein / Mit dir bin ich auch allein. Der Versuch, bei Rammstein zwischen den Zeilen zu lesen, ist durchaus spannend, muss aber nicht gelingen. Wie ein roter Faden jedoch erscheint der Wahnsinn in jedem Lied. Romantische Balladen werden durch Wendungen und Doppeldeutigkeit der Perversion unterzogen, Gehässig­ keit und Völlerei treiben philo­ sophische Ausflüge bis an die Spitze der Seelenstörung. Wer Rammstein verstehen will, muss den Wahnsinn überwinden, hinter die Kulissen blicken. Lindemann selbst versteht Rammstein als einen Weg der Katharsis, der Selbstreinigung. Der Wahnsinn schneidet sich somit selbst ins Fleisch, verdrängt sich. Ladies and Gentlemen: Rammstein. Thank you.

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Titelthema

Der Wahn ist immer ohne Sinn. Nichtsdestotrotz sind Anbetung und Bewunderung von „Vorbildern“ tief in unserer Gesellschaft verankert, nicht zuletzt dank einer Jugend, die in einer PseudoOrientierungslosigkeit lebt. Eine sinnvolle Betrachtung von Dingen, die es nicht verdienen, bewundert zu werden: Menschen. Text: Christoph Schattleitner Illustration: Lilly Mörz

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ie Vorbildwirkung ist seit Gedenken das Argument, um fanatisches Handeln zu rechtfertigen oder es sogar gutzuheißen. Das ist falsch, denn auch die Vorbildwirkung birgt Potential zum Wahn. Besonders dann, wenn nicht mehr die einzelne Leistung im Vordergrund steht, sondern die ganze Person. Sprich, Justin Bieber aufgrund seines Gesangs zu bewundern, ist ok. Ihn zu bewundern, weil er Justin ist, ist brandgefährlich. Selbst ein Bieber ist kein perfekter Mensch und macht Fehler, in oder außerhalb seines Berufs. Eh klar? - Wenn man einmal eines seiner Konzerte gesehen hat, wo kreischende Mädchen beinahe ohnmächtig werden, muss man sich die Frage stellen, inwiefern Fans ihre Vorbilder noch realistisch bewerten können. Der Wahn hat sie blind für jegliche Kritik an ihrem Idol gemacht. Woran man glauben soll. So ein Tunnelblick ist gefährlich, weil er Realitätsverweigerung und Intoler­ anz fördert. Ein Held, nämlich meiner, ersetzt dann irgendwann alle anderen Orientierungsstützen des Lebens. Zuflucht findet man nicht mehr im persönlichen Umfeld, sondern im wehmütigen Blick auf ein ausgebleichtes Poster an der Wand. Dieses wird einem aber nicht helfen, seine Probleme zu lösen. Beute des Wahnsinns. Aber nicht nur die nahezu religiöse Vergötterung einer Person ist bedenklich, sondern auch die selbstverliebte Darstellung so mancher Stars und Sternchen. Nur nicht neidisch werden! – Promis führen kein besseres Leben als man selbst. Zu glauben, dass Bekanntheit und Reichtum die Kriterien für ein erfülltes Leben sind, ist eine sogenannte selbsterfüllende Prophezeiung: Wenn man es glaubt, tritt es ein. Um kein Opfer des Wahnsinns zu werden, ist es deshalb wichtig, sich selbstbewusst auf seine eigenen Stärken zu konzentrieren: Lieber Star, ich möchte nicht genau so sein wie du. Ich bin (in etwas anderem) besser.

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Wahn

Sei dir selbst dein größter Fan.


Titelthema

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Sinn

Ich will so sein wie du, Maestro Mädchen und Frauen kreischen, Männer starren voller Vorfreude auf die Bühne. Elvis Presley stimmt den ersten Song an, einige Frauen fallen in Ohnmacht. Was es in den 70er Jahren gab, gibt es heute auch noch: Anhänger und Fans. Doch wo steckt der Sinn in Verherrlichung, Anbetung und nahezu willenloser Treue? Text: Maximilian Tonsern

ie Ultras brüllen und klatschen, bengalische Fackeln verbreiten ein kräftiges rotes Licht. Sie sind die wildesten Fans, und ich bin mitten drin anstatt nur dabei. Ich gehöre zu ihnen, wir haben denselben Glauben an eine Mannschaft. Jubeln begeistert, seufzen dramatisch. Wir sind eins, und das ist gut so. Zugehörigkeitsgefühl, nur ein positiver Grund, um Fan zu sein. Man genießt das Zusammensein mit Gleichgesinnten. Doch muss es nicht immer Fußball sein. Ich genieße Stars. Sowohl auditiv als auch visuell. Und das gefällt mir. Ein stressiger Tag, ein Haufen Arbeit, verbranntes Mittagessen. Zeit für eine meiner Lieblingsplatten, eine Tasse Tee und ein gemüt­ liches Sofa. Sobald die Musik erklingt, fühle ich mich geborgen und merke, wie ich immer ruhiger werde. Ich lasse mich fallen, vergesse den Scheißtag. Entfliehe der Realität, und das gefällt mir, solange ich nicht total den Bezug zum Jetzt verliere. Es ist nicht nur die Musik, es ist der Künstler selbst, der Musiker, das Genie. Welch grandiose Lyrik. Und was für ein Frauenschwarm, zumindest damals. Vorbildfunktion? Durchaus und liebend gerne. So wie er ist, so möchte ich auch sein, teilweise bin ich auch schon so. Ich kleide mich wie er, kopiere seinen Stil, schmeiß‘ mir Gel ins Haar. Färb mir die Haare. Ein bisschen Star steckt auch in mir. Stolz erzähl‘ ich jedem, der es hören will, was ich über ihn durch lange Recherchen in Erfahrung gebracht habe. Und punkte damit, natürlich. Ich weine, lache, fühle mit, sie nennen mich fanatisch. Der Held flüstert seine letzten Worte, dann stirbt er. Seine Geliebte schluchzt auf, und ich greife nach dem nächsten Taschentuch. Was für ein grandioser Schauspieler, was für ein epischer Moment, welch wunderbare Leistung des Darstellers. Der ist übrigens auch privat ein netter Mensch, hat immer einen guten Spruch parat und spendete zuletzt für ein Kinderheim. Sämtliche Filme mit ihm habe ich gesehen. Durch ihn lebe ich Freude, durch ihn lebe ich Trauer. Geht es mir nicht gut, sehe ich mir seinen humorvollsten Film an. Und geht es mir wunderbar, mute ich mir sogar zu, den traurigen noch einmal zu sehen, den, wo er zuletzt stirbt. Verherrlicht, ehrt und zeigt Respekt. Fallt in Ohnmacht, kreischt, werdet rot vor Freude. Wir sind dazu geboren, um zu lieben, um zu vergöttern, wir wurden dafür geschaffen, um zu verherrlichen. Denn damit ehren wir nicht nur unsere Vorbilder, wir ehren schlussendlich auch uns selbst.

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Wildsau Wahnsinn Text: Stefanie Tomaschitz & Stephanie Schiller Fotos: Christoph Schattleitner

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er härteste Lauf seiner Art in Österreich – so werben die Veranstalter des Wild Sau Dirt Run für die jährliche Veranstaltung, bei der sich die Teilnehmenden über Stock und Stein (durch Schlamm und Dreck) fortbewegen müssen. Wer eine echte Wildsau sein will, muss den 10-­Kilometer-Geländelauf sowie einen Hindernis­ parcours inklusive Stromschläge durchstehen. Jene, die nach den ersten Hürden nicht mindestens bis zur Unterhose dreckig sind, haben die Richtlinien wohl falsch verstanden.

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Wir erlebten diesen Wahnsinn hautnah mit. Nicht am Rande der Laufstrecke, sondern live dabei und mitten drin im Gatsch – just for joe! Wir, das sind: ­Stephanie mit ph und Stefanie ohne ph. Der erste Schritt zur Wildsau. ­Stilvoll gekleidet und mit Gartenhandschuhen ausgestattet, laufe ich über die Startlinie, die Laufschuhe noch weiß, ja sie strahlen fast, und schon nach zwei Minuten frage ich mich, wieso in aller Welt ich auf die glorreiche Idee gekommen bin, hier mit zu machen.

Keine Zeit zum Denken: Es geht bergauf. Die erste Steigung. Ich merke, wie mit jedem Höhen(zenti)meter mein Pegel für Enthusiasmus, Begeisterung und Motivation drastisch sinkt. Die erste Aufwärmrunde ist nach etwa 15 Minuten überstanden. Stephanie und ich sehen uns tief in die Augen und wissen: jetzt geht es erst richtig los. Erste Station: das „Saubad“. Oder: Spring in eine 30 Zentimeter tiefe Schlammgrube, wühle ein bisschen herum und zwänge dich unter Holz-


Titelthema

Der Wild Sau Dirt Run in Obertriesting, 35 K ­ ilometer südlich von Wien, ist ein besonderer Laufsportevent, bei dem die T ­ eilnehmenden an ihre p ­ hysischen und psychischen Grenzen stoßen. An einem nebeligen ­Oktobermorgen ­stellen wir uns g­ emeinsam mit rund 1500 ­Irren der ­Herausforderung: werd dreckig und hab Spaß dabei. Stromschläge, ­Schlammgruben und der ­„Arschberg“ ­erwarten uns. Ein w ­ ahnsinniger ­Selbstversuch.

hindernissen durch. Bevor ich nun wirklich meine wunderbaren Laufschuhe ruiniere, beneide ich den Läufer vor mir um seine Taucherbrille, die er vorsichtshalber schon aufgesetzt hat. Die „Hühnerleiter“ ist ein weiteres liebevoll aufgebautes Hindernis: Schmale Holzbalken, angelehnt an einen horizontal befestigten Baumstamm. Klingt simpel, ist es mit Schuhen, aus denen beidseitig der Schlamm heraus trieft, leider nicht. Das mit Abstand „reizendste“ Hindernis ist die Qualle. Auf den ersten Blick

nur eine Menge weißer Fäden, die an Bäumen befestigt bis zum Boden reichen. Beim genaueren Betrachten sticht mir ein gelbes Band mit dem Hinweis „Achtung, Starkstromkabel“ in die Augen. Jetzt verstehe ich die vielen schmerzerfüllten Schreie der Teilnehmer vor mir. Augen zu und durch, ist meine Devise. Sofort muss ich meine Augen wieder aufreißen, um den Weg durch die Folter-Qualle zu finden. Schon mal einen Weidenzaun auf der Alm unabsichtlich berührt? Man stelle sich dieses Gefühl zum Quadrat multi-

pliziert mit den 50 Quallen-Tentakeln vor. Beim nächsten Hindernis fühle ich mich wie bei Takeshi‘s Castle. Ich versuche, eine mit Plane – damit es auch schön rutschig ist – bespannte Holzrampe hinaufzurobben. Mit viel Anlauf und kollegialer Hilfe von anderen ist alles möglich. Inzwischen stelle ich im Kopf eine Synonym-Liste für den Ausdruck „Ich will nicht mehr“ zusammen. Meine Einfälle könnten glatt ein Buch füllen.

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Titelthema

Der Wald selbst ist das Hindernis. Nass, dreckig, blaue Knie und schmerzende Glieder – der Hindernisparcours ist geschafft. Nun liegt nur mehr der Querfeldeinlauf vor uns. Auf die Frage, ob dort keine Hindernisse mehr seien, antwortete der Veranstalter kryptisch: „Der Wald selbst ist das Hindernis“. Aber was kann nach Gatschlacken, rutschigen Baumstämmen und Elektro­ schocks noch Schlimmeres kommen? Schon bald sollten wir das am eigenen Leib erfahren. Rein in das Ungeheuer Wald. Die erste Passage: ein mittelsteiler Hügel. Ich beginne zu ahnen, dass dies tatsächlich die härtesten zehn Kilometer mei-

Lichtblick kommt, als vor mir der Gipfel auftaucht. Was ich noch nicht weiß: das ist bloß der erste von geschätzten zehn. Es folgt die „Talfahrt“, wobei „-fahrt“ wortwörtlich zu nehmen ist, denn laufen kann man bei diesem Gefälle längst nicht mehr. Die Lösung: Hinsetzen und ab geht die Post. Ungläubig schaue ich Stefanie an, die mir einen ebenso entsetzten Blick zurückwirft. „Des duad doch weh!“ jammre ich. Von hinten folgt sogleich die Aufforderung: „Gemma Mädels. Des is eh no da schöne Teil.“ Augen zu und durch.

nes Lebens werden sollen. Schon nach wenigen Metern werde ich langsamer, die Atmung dafür umso schneller. Meine Füße heben sich von Schritt zu Schritt schwerer bis ich schließlich nur noch dahintrotte. Es wird steiler. Ich gehe nicht mehr, ich kraxle auf allen Vieren. Der erste

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Wildsau-Fütterung. Endlich ist die erste überlebenswichtige Auftankstation in Sicht. Frisches Wasser, Tee, Mannerschnitten, Bananen und Traubenzucker werden einem hier praktisch direkt in den Mund gestopft – was für ein Service! Es folgen erneute Aufstiege durch schroffe Schluchten, wo uns Bäche aus Schlamm entgegen strömen, und noch steilere „Abfahrten“. Nach zwei qualvollen Stunden, in denen ich mich nicht nur einmal frage, warum wir uns den Wildsau-Wahnsinn antun, erreichen wir den letzten Anstieg, den berüchtigten „Arschberg“. Und ja, der Name ist berechtigt. Ein Berg, gefühlte 5 Kilometer hoch,

an dem uns Läufern wortwörtlich Steine in den Weg gelegt wurden, und zwar nicht wenige. Zu den schon vorherrschenden Schmerzen in Armen und Beinen gesellen sich bleierne Ermüdungserscheinungen. Die Stimmung meiner Kameradin ist eindeutig am Tiefpunkt angelangt. „I mog zu meiner Mama!“, ist das einzige, das sie noch hervorbringen kann. Dank motivierender Zusprüche anderer Läufer, schaffen Stefanie und ich es dann doch irgendwie nach oben. Den letzten, einigermaßen flachen Abstieg bewältigen wir dann sogar im lockeren Lauftempo, getragen von den applaudierenden Rufen des Publikums. Die mittlerweile eingetretene Gefühls­ losigkeit in den Beinen lässt uns wie auf Wolken schweben. Ein letztes Mal den Hindernisparcours, auf den ich mich nach dieser Tortur regelrecht freue. Endlich die Zielgerade: Der Moderator verkündet unsere Namen, das Publikum tobt und wir, wir sind einfach nur überglücklich, diesen wahnsinnigen Lauf unversehrt gemeistert zu haben. Immerhin erreichen wir die Plätze 166 und 167 und sind damit echte Wildsäue, zum ersten und sicherlich auch letzten Mal.


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EDITORIAL S INNLICHKEITEN

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SINNLICHKEITEN EDITORIAL

„Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt.“ - JOHANN WOLFGANG VON GOETHE, DER ERLKÖNIG -

Foto: Wolfgang Schnuderl

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Schmerz muss nicht immer böse sein Text: Anna Felber Foto: Ulrike Mayrhuber

Sexuelle Fantasien hat – ganz ehrlich – jeder. Was eine Gruppe junger Erwachsener in Graz vom Durchschnitt unterscheidet? Sie treffen sich regelmäßig beim Stammtisch der BDSMJugend. Und ihre Fantasien sind ihre Realität.

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as Bild, das Populärliteratur wie „Shades of Grey“ von BDSM vermittelt, wird von der tatsächlichen Szene oft belächelt. Peitschen und Fesseln seien nicht notwendig, manchmal improvisieren junge BDSM-ler mit Artikeln aus dem Baumarkt – und geben gute Basteltipps beim Stammtisch weiter. Lackklamotten zieht von ihnen niemand an. Und neben den klassischen Rollen „Dom“ (der dominante Part) und „Sub“ (der untergeordnete Part) gibt es auch Personen, die beides ausleben, also „switchen“. Anstatt des geläufigen Begriffs SM (Sadomaso) verwenden die Stammtischbesucher lieber den Ausdruck BDSM, da dieser ein weiteres Gebiet umfasst. „Es gibt unglaublich viele verschiedene Spielarten, manchmal geht es nur um Dominanz und Unterwerfung ohne körperliches Handeln“, erklären sie.

Vorurteile gegenüber Personen mit anderen Lebensstilen. Aber es wäre schön, wenn uns diese Toleranz auch entgegengebracht würde.“ Ihr größtes Argument für BDSM? „Es macht einfach Spaß“, so der Konsens der Stammtischbesucher.

Porträt eines Erotikshops. Paare haben nicht immer nur im Schlafzimmer Sex. Manche tun es in der Küche, manche im Freien. Und manche Paare suchen und finden Gesellschaft im Kinolabyrinth des Erotikshops „Moulin Rouge“ in der Jakoministraße. Dort gibt es seit vier Jahren DVD-Kabinen, Räume zum Kuscheln, eine Liebesschaukel (ähnlich einer großen Hängematte) und einen SM-Raum; dieser wird vor allem von älteren Paaren benutzt, die ihr Sexleben aufpeppen wollen. In allen Ecken des Kinos stehen Fernseher, auf denen Pornos laufen – unter anderem ein Avatar-Porno in 3D.

Grundsätzliche Regeln für das Praktizieren von BDSM findet man auf der Homepage der BDSMJugend: Achtung und Respekt vor dem Sexualpart- Die Räume können individuell zugesperrt werden, ner sind essenziell, seine körperliche und seelische aber: „In einem Sexkino wollen die Gäste Begegnung Gesundheit ist zu erhalten und sein Wille zu befolgen. mit anderen, sonst würden sie sich ein Hotelzimmer Die genauen Limits legen die Paare immer individuell nehmen“, erklärt der Eigentümer Christian Weswaldi. fest, diese Grenzen werden keinesfalls überschritten. Die Treffen Gleichgesinnter werden oft über das ei„Das Problem ist, dass viele Menschen Schmerz prin- gene „Moulin Rouge“-Forum organisiert. Der Unzipiell als etwas Böses sehen - das ist er nicht“, stellen terschied zu anderen Sexkinos besteht im Publikum: die Mitglieder fest. Von der Möglichkeit, in Sex­kinos Viele junge, auch homosexuelle Pärchen und keine zu „spielen“, sind die eingefleischten BDSM-Fans „grindigen“, lüsternen Männer. Der Trend bei Erotik­ nicht begeistert. Der „SM-Raum“ im Erotikshop shops und Sexkinos geht zu mehr Offenheit der „Moulin Rouge“ beispielsweise sei mit einem Kreuz, Kunden: „Durch Dildo- und Dessous-Partys und die einem gynäkologischen Stuhl und Fesseln „zu soft“ Weiterentwicklung von Sex-Toys wurden Sex-Shops ausgestattet. Außerdem habe es keinen Reiz, von Un- öffentlichkeitstauglich. Die Kunden sind lockerer, bekannten, die nicht mit dem Gebiet vertraut sind, lassen sich beraten und fragen auch – vor allem seit beobachtet zu werden. „Wir haben prinzipiell keine „Shades of Grey“ – nach SM-Produkten“, so Weswaldi.

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„Und führe uns nicht in

Versuchung,…“ Text: Nadine Motz Illustration: Ulrike Mayrhuber

Sexuelle Vorlieben gibt es viele. Auch „Kein Sex vor der Ehe“ zählt dazu, beruht aber nicht auf Frigidität und gilt heute als konservativ. Marina ist 20, studiert in Wien und möchte sich ihr erstes Mal für einen ganz besonderen Menschen aufheben. Für sie ist Enthaltsamkeit ganz und gar nicht langweilig.

sondern erlöse uns von dem Bösen“. Marina* Niederösterreich fühlte sie sich durch ihren Vater, der schlägt die Bibel auf und betet. Es ist Sonn- ebenfalls Mitglied einer freikirchlichen Gemeinde tag und sie sitzt inmitten ihrer Glaubensge- war, sehr zu dieser Glaubensrichtung hingezogen. nossen, bei denen sie sich so geborgen fühlt, als wäre Ihre Mutter war ebenfalls immer schon gläubig, sie im Kreise ihrer Familie. Diese Gemeinschaft ist allerdings streng katholisch. Der regelmäßige Gang eine evangelikale Gemeinde in Wien, die der Religion zur Kirche war für Marina mehr Zwang als Vergnüder christlichen Freikirche angehört. Sie existiert be- gen. Als sie dann alt genug war, um wichtige Entreits seit mehreren Jahrzehnten und wurde im Laufe scheidungen zu treffen, nahm sie ihr Leben selbst in der Zeit um zahlreiche Mitglieder bereichert – ver- die Hand. Sie schloss sich einer kleinen Gemeinde treten sind dabei alle Altersgruppen, vor allem junge in ihrem Heimatort an und machte bei Diskussions­ Familien. abenden und Jugendkreisen ihre ersten eigenen Marina ist überzeugt von ihrer Grundeinstellung – Erfahrungen mit der Freikirche. Die Begeisterung sie lebt enthaltsam und monogam und wartet, bis der übermannte sie bereits am ersten Abend. Prinz am weißen Schimmel an ihre Tür im Studentenheim klopft. Blödsinn, genau so eine Person ist Mari- Trotz ihres Enthusiasmus würde sie ihre Einstellung na eben nicht. Sie ist offen gegenüber dem Leben und zur Sexualität aber niemandem einreden wollen. Dem genießt ihre Zeit als Single. Einen Freund hatte sie Thema BDSM steht sie allerdings eher skeptisch gebisher nicht, weil es einfach noch nicht gepasst hat, genüber. Prinzipiell habe sie nichts dagegen, doch sie erklärt sie. Bevorzugen würde sie allerdings schon findet, dass man sich den Umgang mit dem eigenen einen Mann aus ihrer Gemeinde. Diese Gemeinsam- Körper gut überlegen sollte, da dies auch eine Auskeit würde verbinden und die Situation um einiges wirkung auf die Psyche hat. Dennoch ist SM nicht erleichtern, etwas „anders“ als andere zu leben. Den- völlig undenkbar für sie. Sie könnte sich vorstellen, noch hat Marina natürlich auch Interesse an Sex. Sie in ihrer Ehe auch mal „verrücktere“ Sachen, wie zum denkt gelegentlich daran und stellt sich vor, wie es Beispiel Bondage, auszuprobieren. Die Voraussetzung wäre, körperliche Zärtlichkeiten auszutauschen. Pro- ist allerdings, dass es für beide Partner angenehm ist. bleme, ihren Sexualtrieb zu zügeln, hatte sie bislang allerdings nicht. Sie freut sich eher darauf, wenn sie Genau kann sie ihre Leidenschaft zum „Extrem“ Entdiesen besonderen Moment eines Tages mit einer haltsamkeit nicht begründen. Ihr Lebensstil ist keine bestimmten Person erleben darf – ihrem zukünftigen Kleidergröße, die man genau zuordnen kann. „Es Ehemann. fühlt sich einfach richtig an“, sagt sie. Die überzeugte Christin ist eine schlanke, rothaarige Frau Anfang 20 und wohnt wahlweise und aufgrund ihres Studiums in Wien. Bereits in ihrer Heimat in *Name von der Redaktion geändert

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SINNLICHKEITEN

ZUR PERSON Johannes Grenzfurthner Geboren am 13. Juni 1975 in Wien K端nstler, Autor, Kurator, Regisseur und Lehrender der FH JOANNEUM Gr端nder Kunst- und Theoriegruppe monochrom Juror des steirischen Herbstes Initiator und Regisseur des Film-Projektes Sierra Zulu

Foltergefl端ster Text: Hubertus J. Schwarz & Johannes Grenzfurthner Fotos: Gerulf D旦singer

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SINNLICHKEITEN

Es stinkt nach Urin, Angst, Lügen und Wahrheit. Der Ort: ein karger Verhörraum. Die Protagonisten: Ein Offizier und Johannes Grenzfurthner, der Initiator des Film-Projektes Sierra Zulu. Ein Freigeist, dem seine Vision einer sowjetischen Mikrorepublik bis in die Realität gefolgt ist – Ein Interview der etwas anderen Art.

KOMMISSAR MOLOSHNIKOV REGISSEUR GRENZFURTHNER

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KOMMISSAR MOLOSHNIKOV REGISSEUR GRENZFURTHNER KOMMISSAR MOLOSHNIKOV

Genosse Grenzfurthner! Bitte unterbrechen Sie die Urination in ihrer Zelle. Es ist Zeit. beendet Urination, packt sein Glied zurück in die Unterhose. Also, ich habe keine Ahnung wer Sie sind, aber ... bekommt Ohrfeige ... Ich bin Kommissar Moloshnikov vom Sowjet-Unterzögersdorfer Büro für Völkerverständigungsproblematik, Abteilung Kulturmechanik und Differenzdoktrin. Sind sie verwandt mit dem Genossen Gennadyi Moloshnikov, dem Sowjet-Unterzögersdorfer Wirtshausbetreiber und Hypertext-Experten? Mein Bruder, der einzige Blogger unseres schönen Landes, steht hier nicht zur Debatte. West-Genosse Grenzfurthner, was denken Sie, warum Sie hier sind? Ich will sofort mit General Gogov sprechen! Meine Behandlung hier ist eine Zumutung! Ich bin immerhin ein Freund Ihres Landes! Da fahre ich nichtsahnend mit meinem 3erGolf die Windmühlgasse entlang, da wird mit der Weg von einem katalysatorlosen Kleinlieferwagen verstellt, Ihre Milizionäre springen raus, und das nächste, an das ich mich erinnern kann, ist auf einem total verschimmelten Kellerfußboden aufzuwachen! Ich habe eine Allergie! Behandelt man so befreundete Kräfte aus dem Ausland? Ihr großmäuligen Westler und euer karges Immunsystem! gibt Ohrfeige. Aua! Wir sind unzufrieden über den Fortschritt Ihres -- unseres! -- Projektes. Liest ihre politische Führung keine E-Mails? Ich schicke zweiwöchentlich Updates, sogar UTF-8 kodiert! Wir haben auch anderes zu tun. Also, erklären Sie sich! Sie meinen unser Projekt „Sierra Zulu“? Selbstverständlich. Wir sind im vierten Jahr der Planung. Es gibt leichte Verzögerungen. Das Projekt soll schon 2013, laut 5-Jahres-Plan, abgeschlossen sein! Sie unfähiger Hund! Ja, so lasse ich mit mir aber nicht ... bekommt Ohrfeige ... Scheißdreck! Ich will General Gogov ... bekommt Ohrfeige ... aua! Ich habe das Recht ... bekommt Fußtritt ... hmmpf. Ich ... bekommt Kopfnuss. Ok. Das Projekt ist leider ins Stocken geraten. Wir haben um Filmförderung beim Österreichischen Filminstitut angesucht, und wurden in erster Instanz abgelehnt. Film? Sie wissen gar nicht, dass es sich um einen Film handelt? Elaborieren Sie.

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REGISSEUR GRENZFURTHNER

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Aber... ok. Gut. Vor vier Jahren traten wir mit dem obersten Sowjet Ihres Landes, Sowjet-Unterzögersdorf, in Verbindung, weil wir die glorreiche Geschichte der letzten Sowjet­ republik auf dem Planeten Erde in Form eines Spielfilms erzählen wollen. Also eine Art Spielfilm-Doku über den... äh... stolzen Kampf Ihres kleinen Landes Sowjet-Unter­ zögersdorf. Ich verstehe. Wird darin auch unsere ruhmreiche Vergangenheit erzählt? Natürlich! Dass Ostösterreich von 1945 bis 1955 sowjet­ ische Zone war, und dass nach Abzug der Alliierten mit Unterzeichnung des Staatsvertrags aber nicht alle Sowjets wirklich abgezogen waren, sondern in einem unbewohnten kleinen Dorf namens Unterzögersdorf sesshaft geworden waren. Eine stolze, sowjetische Enklave in den Tiefen des niederöster­reichischen Weinviertels. Genau. 2009 begannen wir die Arbeit an einem Spielfilm. Ein Film über transnationale Politik und die Informationsund Mediengesellschaft des 21. Jahrhunderts! Aber ist das nicht anachronistisch? Ein Film über die Infor­ mationsgesellschaft? Nein! Was mich interessiert ist, dass Ihr Kuhdorf bekommt Ohrfeige … aber das meine ich ja positiv! Also Ihr Kuhdorf bekommt Ohrfeige kann die kommunistische Utopie in die Gegenwart retten… weil es nicht mehr ernst genommen zu werden braucht, und sich deswegen von der Schwere der eigenen Zwangsutopie befreit hat. Und die Handlung? Eine bunt gemischte UN-Friedenstruppe betreibt ein kleines Camp im Niemandsland zwischen Österreich und dem ruralen Mikrostaat Sowjet-Unterzögersdorf. Eine Explosion mitten im sowjetischen Territorium zieht das Team in eine bizarre Verschwörung aus Industriespionage, Medienwahnsinn und politischer Intrige. Und die Informationsindustrie? Opfer sind unvermeidlich. Das klingt doch besser... aber ist das unterhaltsam und belehrend? schluckt. Ja! Film ist ein großartiges Trägermedium. Es ist so augenweitend und berührend. Deswegen liebe ich Film, ver­schlinge ihn und gestalte ihn. Film ist eine sugar-coated bullet. Das gilt natürlich auch für Sierra Zulu – denn unser Film ist trotz aller bitterer theoretischer Farce eine erquickliche, praktische Komödie. Ach halten Sie das Maul. Warum ist der Film noch nicht fertig? Die Finanzen! Die Finanzen! Wir müssen Fördergeber beeindrucken um den Rest des doch großen Budgets aufzutreiben! Zu diesem Zweck haben wir den Kurzfilm „Earthmoving“ gedreht. Es handelt sich um ein sogenanntes „Prequel“, also die Vorgeschichte von „Sierra Zulu“. Wir konnten den Kurzfilm im Jänner 2012 in nur eineinhalb Drehtagen fertig­ stellen! Ach ja? Wenn das Ding so beeindruckend war, warum gibt’s dann keine Fördergelder? Die Jurymitglieder des Österreichischen Filminstituts ... bekommt Ohrfeige ... haben ... bekommt Ohrfeige ...


SINNLICHKEITEN

KOMMISSAR MOLOSHNIKOV REGISSEUR GRENZFURTHNER

KOMMISSAR MOLOSHNIKOV REGISSEUR GRENZFURTHNER KOMMISSAR MOLOSHNIKOV REGISSEUR GRENZFURTHNER

KOMMISSAR MOLOSHNIKOV

Skepsis... bekommt Fußtritt ... ja lassen Sie bekommt Ohrfeige mich bekommt Ohrfeige doch bekommt Ohrfeige mal bekommt Ohrfeige ausreden! Gut. Als wir die Ablehnung des Österreichischen Filminstitus auf Facebook, Twitter und anderen Social-Media-Plattformen verkündet hatten, gab es einen Aufschrei! Unsere Fans wollten uns jetzt sogar finanziell unterstützen! Wir brauchen keine Social Media! Wir brauchen Socialist Media! Äh. Ja. Und Crowdfunding. Krautfunding? Crowdfunding! Wir haben das Projekt und Sowjet-Unterzögersdorf auf Kickstarter einer Online-Plattform zur verteilten Spendeneintreiberei vorgestellt. Wir konnten in 27 Tagen 52,000 US-Dollar für das Projekt bekommen bekommt Ohrfeige ... Verfluchtes Westgeld!

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SINNLICHKEITEN INNVOLL & SINNLOS

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Ja, aber es zeigte den Fördergebern, dass sich viele Leute für das Projekt interessieren! Wired, Boing Boing, io9, Libération, und viele andere internationale Magazine haben berichtet! Der Stern von Sowjet-Unterzögersdorf strahlt also heller denn je! Nicht zuletzt auch wegen der wunderbaren Schauspielerinnen und Schauspieler, die wir bislang gewinnen konnten! Jello Biafra, der Ex-Sänger der Dead Kennedys, Robert Picardo, bekannt als Hologramm in Star Trek Voyager, Amber Benson, bekannt als Tara in Buffy the Vampire Slayer, die wunderbaren Pranksters The Yes Men, aber auch österreichische Prominenz wie Gerald Votava, Michael Ostrowski und Alfons Haider ... bekommt Ohrfeige ... Angeber. Sagen Sie es doch gleich... Sie brauchen also noch Zeit! Es läutet das Telefon spricht ins Telefon. Ja, ja? Gerne. Ja. Ich komme dann auch auf einen Tee vorbei, General. Ja. sieht Schlüssel in Moloshnikovs Hosentasche, nimmt ihn an sich und versucht die Handschellen zu öffnen. Grmm... grmmm. Dreck. zu Grenzfurthner Aber Herr Genosse! Das ist ja stümper­ hafte Arbeit. Aber Sie haben Glück! Man hat mir gerade mitgeteilt, dass unsere Führung bereit ist, Ihnen noch Zeit einzuräumen.Wir kümmern uns inder Zwischenzeit um das Arschloch Haneke. Manchmal besuche ich Ihren General Gogov und bringe ihm West-Pralinen mit, auf die er dann spucken darf. Dann bin ich unglaublich stolz! Darf ich jetzt gehen? Sie dürfen.


SINNVOLL & SINNLOS

Sinnvoll& Sinnlos

Der Begriff Wahnsinn mag zwar negativ behaftet sein, aber er ist garantiert nicht sinnlos. Ob es aber sinnvoll ist, sich im Internet dem Wahnsinn hinzugeben, ist eine andere Sache...

Text: Andreas Leitner Illustration: Carina Lex

Wahnsinn in bewegten Bildern

Ist es normal, dass...

Manche Sportler scheinen eine ganz einfache Devise zu haben: Höher, schneller, weiter, oder einfach nur spektakulärer. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie auf Skates, Mountainbikes, oder Skiern unterwegs sind, oder einfach nur von Klippen oder aus Flugzeugen springen, es kommen meist ziemlich starke Videos zustande. Eine tolle Auswahl gibt’s hier zu sehen. >>> extreme.com

Es gibt sie immer, diese Momente, in denen man irgendetwas tut, und sich prompt die Frage stellt: „Verdammt, ist das denn eigentlich normal?“ Auf dieser Seite beantwortet dir eine Community Fragen von: „Ist es in Ordnung vom Freund des jüngeren Bruders zu stehlen?“ bis zu: „Ich wasche meine Haare bis zu dreimal täglich. Ist das normal?“ >>> isitnormal.com

Warnung: Informationsgehalt gleich Null

Dinge, die die Welt (nicht) braucht

Manchen Leuten auf dieser Erde ist tatsächlich so langweilig, dass sie mit großem Ehrgeiz und kompromissloser Kontinuität die hirnrissigsten Nachrichten erfinden und damit ihre etwas seriöseren Kollegen gewaltig auf die Schaufel nehmen. Eine Kurznachricht zum Einstimmen: ++++ Klotz am Bein: Mafia beseitigt Kronzeugen ++++

Es gibt sie noch vereinzelt auf dieser Erde, die Daniel Düsentriebs, die Dinge entwerfen, von denen die Welt nicht wusste, dass sie sie je brauchen würde. Zum Beispiel eine schalldichte Plexiglaskugel mit einem Durchmesser von 1,80m zum Chillen, oder einfach nur ein beheiztes Mauspad für kalte Zocker-Abende.

>>> blog.ausgefallene-ideen.com

>>> www.derpostillon.com

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EDITORIAL K ULT

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EDITORIAL KULT

„Kaffee dehydriert den Körper nicht - ich wär sonst schon Staub.“ - FRANZ KAFKA -

Foto: Wolfgang Schnuderl

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KULT

Warum

Text: Levin Wotke Illustration: Lisa Hauser

Einstein

Unrecht 70

hatte.


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Socken werden in unserer Gesellschaft häufig zum reinen Gebrauchskleidungs­ stück degradiert und dementsprechend wenig Aufmerksamkeit genießen sie auch in unserem Alltag - zu Unrecht. Ein Pamphlet für den Sockenkult.

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s ist schon seltsam. Oft sind es die Dinge, mit denen wir Tag für Tag konfrontiert sind, denen wir am wenigsten Aufmerksamkeit schenken. Beim morgendlichen Anziehen wägen viele bei jedem Stück ab: Welches T-Shirt darf es sein? Und der Pulli darüber? Passt der wohl dazu? Und dann erst die Schuhe... Nur ein Kleidungsstück wird dabei viel zu oft schlichtweg vergessen. Wenn es nämlich um die Socken geht, dann werden die erstbesten passenden Strümpfe aus der Schublade gekramt und übergezogen. Während das mit Mottos bedruckte T-Shirt den Ausdruck der eigenen Gefühlslage ersetzen soll und die alten Leinen-Basketballschuhe zur Lebenseinstellung werden, sind Socken lediglich Mittel zum Zweck. Auf den ersten Blick macht dieser Gedanke auch Sinn. Den halben Tag steckt das Strickwerk so oder so in den Schuhen und im Gegensatz zur Unterwäsche entbehren Socken auch jeglicher sexueller Spannung (eher sollte man sich im Falle das Falles möglichst schnell ihrer entledigen). Menschen wie ich, denen der wahre Wert der Socke bekannt ist, wissen jedoch, wie falsch jene liegen, die den Strümpfen ihre kulturelle Rolle absprechen wollen. Denn gerade die Tatsache, dass nur Wenige die Socken anderer überhaupt jemals erblicken, gibt ihnen umso mehr Bedeutung. Nur wo man sich wohl fühlt, wo man länger verweilt und das Schuhwerk am Eingang zurücklässt, können Mitmenschen die eigene Sockenpracht begutachten. Deshalb ist es fast schon sträflich, wenn sich das Strumpfrepertoire lediglich aus Familienpackungen schwarzer (oder noch schlimmer: weißer) Strümpfe der billigsten Kleidungskette rekrutiert. Genauso falsch liegen jene, die meinen, dass Strumpfware, die mit Schriftzügen bekannter Marken verziert wird, etwas daran ändern würde. Nein, Socken sind mehr als nur ein Gebrauchsgegenstand, sie können Ausdruck einer Haltung sein. Dabei sind sie immer noch Understatement, nie übertrieben. Geringelt, kariert oder mit popkulturellen Verweisen gespickt sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Außerdem erfüllen Socken eine gesellschaftliche Rolle: Denn wo sich in der Arbeit oder auf Bällen uniformierte Anzugträger tummeln, dort ist die Socke ein

beinahe subversives Element. Wenn man ein noch so winziges Star Wars-Sujet auf einer fremden Socke hervorlugen sieht, dann weiß man: „Hier befindet sich ein Gleichgesinnter.“ Ein Code unter Fremden, wenn man so will. Nun höre ich schon die Kritiker: „Aber Einstein war doch auch Sockenverweigerer!“, ich werde doch nicht diesem Genie widersprechen wollen. Darauf kann ich nur antworten, dass ich Albert Einstein ebenso wenig bei modischen Diskussionen zu Rate ziehe, wie ich Herrn Joop als Experten zur allgemeinen Relativitätstheorie befragen würde. Und wenn ich höre, wie Nate Ruess, Chef der Indie-Truppe fun. verlautbart, er „glaube nicht an Socken“, weiß ich schon jetzt, dass Nate und ich - alles Musikalische beiseite – wohl niemals Freunde werden. Fernab jeglichen Fetischs sollten wir uns also auf die kulturelle Bedeutung der Socken besinnen und gerade in der kalten Jahreszeit lernen, über die Adjektive „atmungsaktiv“ und „schweißdurchlässig“ hinaus zu denken. Und zuletzt noch ein großes Dankeschön an meine Großmutter, ohne deren Stopfkünste meine Lieblingssocken schon vor langem das Zeitliche gesegnet hätten. Mögen sie mich noch lange auf meinen Wegen begleiten.

Facts.

Die kulturelle Bedeutung der Socken ist geschichtlich weit zurück zu verfolgen. Die alten Ägypter, Griechen und Römer kannten allesamt sockenähnliche Kleidungsstücke, die oft aus Tierhaar oder Leder hergestellt wurden. Gegen Ende des Mittelalters wurden Socken durch die Erfindung der Strickmaschine zur Massenware. Spezielle Strümpfe gehörten unter anderem zum Krönungsritual des römisch-deutschen Kaisers. Heutzutage gibt es immer wieder kleinere Socken-Trends, wie die Loose-Socks, die Mitte der 90er Jahre bei japanischen Schülerinnen populär waren. Und mittlerweile sind Socken bei vielen US-amerikanischen Sportlern Teil eines peniblen Aberglaubens. Die Tennisspielerin Serena Williams etwa trägt während einem Turnier ständig dasselbe Paar Socken und der Baseball-Profi Nyjer Morgan trägt bei jedem Spiel unter seinen normalen Strümpfen Socken mit einem schottischen Argyle-Muster, weil er glaubt, dass sie ihm einen Sieg bescheren. Mit den Boston Red Sox benannte sich eine Major League Baseball-Mannschaft sogar nach der Farbe ihrer Socken. Dem nachempfunden nennt sich ein lokales Grazer Baseball-Team übrigens Dirty Sox.

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Der Wahnsinn lauert vor seiner Haustür Sich selbst bezeichnet er als steirischer Comedyalptraum und Botschafter für Bewusstsein, Scheißdreck und Kunst. Kabarettist Alf Poier polarisiert wie kein anderer Künstler in Österreich. Sein Markenzeichen: Der Wahnsinn. Interview: Sarah Koller Fotos: Wolfgang Schnuderl

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In einem Interview mit der Kleinen Zeitung sagten Sie, dass Sie den Leuten ihren „eigenen Wahnsinn“ vorspielen. Wie meinen Sie das? Ich habe das Gefühl, dass ich ein ganz normaler Mensch bin. Ich halte alles in Ordnung, meine Steuer ist total auf der Reihe. Aber wenn ich mir die Welt so ansehe, habe ich das Gefühl, der Wahnsinn herrscht außerhalb von meiner Wohnung und geht von außen in mich rein. Das müssen Sie näher erklären. Mich macht beispielsweise dieser ganze Konsumwahnsinn verrückt. Heutzu­ tage gibt es Menschen, die sich 24 Stunden um ein Handy anstellen. Sie holen sich Ihre Inspiration also vor der Haustür? Ich hab mit dem Wahnsinn schon sehr oft zu tun gehabt, weil ich immer wieder sehr eigenartige Freundinnen habe. Ich hatte Frauen, die haben ihre Möbel ans Plafond gehängt oder hielten zu Hause in der Wohnung Stinktiere, Ratten, Fische, Frösche oder Vögel. Irgendwie ziehe ich immer wieder solche Wahnsinnigen an. Vielleicht, weil die glauben, ich bin so wie sie. Aber ich bin nicht so! Gibt es denn Gemeinsamkeiten zwischen „Bühnen-Alf“ und dem privaten Alf? Der Bühnen-Alf, der so wahnsinnig rüber kommt, hat mit dem privaten Alf überhaupt nichts zu tun hat. Natürlich hängt alles, was ich auf der Bühne mache mit dem privaten Alf zusammen. Vielleicht bin ich privat einfach zu feige, meinen Tuscher zu zelebrie-

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ren. Auf der Bühne traue ich mir alles zu, privat bin ich eher der Unscheinbare. Als Kind war ich beim Spielen immer der Jüngste und habe alles tun müssen, was die anderen von mir wollten. Gegen das werde ich mich auf der Bühne ein Leben lang wehren. Es sieht auf der Bühne oft so aus, als würden Sie sich einfach gehen lassen. Hat Ihre Hemmungslosigkeit ein Konzept? Alles, was ich mache hat ein Konzept. Also ich weiß schon ganz genau, wann ich was mache. So wie ich auf der Bühne zeitweise auszucken kann, das kann ich privat nicht. Das kann ich weder zuhause, noch beim Proben. Das kann ich nur vor Leuten. Ist der Wahnsinn ein wiederkehrendes Element, das Sie bewusst in Ihre Shows einbauen? Die Leute erwarten von mir, dass ich in jedem Programm mal ein bisschen

auszuck’. Eigentlich ist es aber so, dass ich es nicht aushalte, immer nur still zu sitzen und nichts zu tun. Ich bin endorphin- und adrenalinsüchtig und muss immer an meine Grenzen gehen, um mich ruhig und gelassen zu fühlen. Wenn ich nach der Show von der Bühne runterkomme, bin ich der glücklichste Mensch der Welt. Hat der Wahnsinn, den Sie auf der Bühne verkörpern auch Grenzen? Die Grenzen gibt der gesellschaftliche Konsens an, nicht ich. Wo die Grenzen sind, weiß ich mittlerweile. Ich hatte genug Probleme mit Leuten, die mich auf der Bühne nicht tolerieren wollten. Wie darf man das verstehen? Auf mich hat es schon Säureattentate gegeben. Es hat auch Morddrohungen gegeben. Der Wahnsinn hat Ihnen beim Eurovision Song Contest 2003 trotz allem


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Auf der Bühne traue ich mir alles zu, privat bin ich eher der Unscheinbare.“

den sechsten Platz gebracht – das beste Abschneiden für Österreich seit 1989. Das was zum Beispiel eine Nadine Beiler gemacht hat, war halt nicht besonders kreativ. Bei dem Gewinsel hat man ja das Gefühl, dass dem letzten bengalischen Tiger die Zähne ausfallen. Genauso, wie bei Mariah Carey. Diese Leute sind einfach ersetzbar. Wir leben in einer Zeit, in der die Wiederholung immer präsenter wird. Was Neues zu erfinden, wird immer schwieriger. Ich hatte das Glück, das meine Nummer individuell und anders war.

Individuell und anders ist auch Ihr aktuelles Programm „Backstage“. Es scheint so, als würden Sie jetzt ein bisschen ruhiger treten. Die „Auszucker“ sind weniger geworden. Mein aktuelles Programm spielt ja auch backstage. Backstage ist quasi meine Bühne und die Bühne selbst ist hinter der Bühne. Auf was sollte sich das Publikum da einstellen? Niemand weiß, was hinter der Bühne los ist und wie der Alltag eines Berufs-

kasperls eigentlich aussieht. Es ist alles Mögliche von dem im Programm, was man backstage eben so macht und was nicht jeder unbedingt hören sollte (lacht).

BACKSTAGE live: 29.11. Stadtsaal Judenburg 03.12. Orpheum Graz 05.02. Orpheum Graz

Mehr Infos unter: www.alfpoier.at

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Liebe im Leoprint Gehen ein baldiger Infodesigner und eine zukünftige Journalistin zusammen in die Oper. Auf der Bühne ein halbnackter Gigolo, der sich genüsslich in seiner hawaiianischen Badehose duscht. Nein, das hier ist kein Witz, sondern vielmehr das, was mich nach jahrelanger Abstinenz bei der Aufführung „l’elisir d’amore“ erwartet hat. Text: Jennifer Polanz Foto: Werner Kmetitsch

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ch mag die Grazer Oper. Schon als Kind haben mich die herausgeputzten Menschen fasziniert, die älteren Pärchen in duftschwadenbehangenen Pelzmänteln, und die rotsamtenen Klappsesseln, auf denen ich mich trotz geringer Größe stets erhaben fühlte. Obwohl seit meinem letzten Besuch einiges an Zeit vergangen ist, senken mein Begleiter und ich den Alters­ durchschnitt beträchtlich. Aber gut, es ist ja auch Mittwochabend. Der Kronleuchter dunkelt pünktlich ab, die Stimmen senken sich, und nur noch das Rascheln einer Chipstüte dringt aus einer der Logen. Kaum dass sich der Vorhang geöffnet hat, wird mir klar, dass die Oper ihr verstaubtes Image längst aufpoliert hat: Die moderne Inszenierung von Tristan und Isolde spielt sich auf einem italienischen Badestrand ab. Erkennbar sind eine Bar, Liegestühle, ein Rettungsschwimmerturm, ein Beachvolleyballnetz und zwei Dutzend Statisten, die sich fröhlich mit Sonnenmilch eincremen und in Badebekleidung herumhüpfen. Meine Aufmerksamkeit erregt vor allem ein junger Mann in viel zu enger Badehose, der grinsend Turnübungen nachahmt. Oh. Ich habe mir zwar nichts Bestimmtes erwartet, aber das hier auch wieder nicht. Die weibliche Hauptperson Adina ist eine aufgestylte Blondine in schwarz-pinkem Leoprintminikleid. Sie gehört zu der Art von Frauen, die jedem mindestens einmal im Leben über den Weg läuft – und auf die man gut verzichten könnte: hübsch aber eingebildet, und jemand, der gekonnt mit den Herzen seiner Ver-

ehrer jongliert – Kollateralschäden inbegriffen. Als ich sie über die Bühne stöckeln sehe, sehne ich mich das erste und einzige Mal etwas trotzig nach den klassischen antiken Roben zurück. „Es ist halt modern“, denke ich mir, und fühle mich dabei richtig alt. Nemorino ist dafür jemand, der in mir einen mütterlichen Beschützerinstinkt weckt (okay, JETZT fühle ich mich wirklich alt!). Bis über beide Ohren ist er in Adina verliebt – sie jedoch erhört nur Sergeant Belcore, der selbst von einer weiblichen Schaar umschwärmt wird. Um Adina doch für sich zu gewinnen, gibt der verzweifelte Nemorino sein letztes Geld für einen vermeintlichen Liebestrank aus, der ihm aber maximal zu einem Magengeschwür verhelfen könnte. Als die Zeit drängt und Adina mit Belcore vermählt werden soll stirbt glücklicherweise Nemorinos kranker aber reicher Onkel. Nun, wo er, der von dem glücklichen Todesfall noch gar nichts weiß, von der informierten, raffgierigen Frauenwelt belagert wird, erkennt Adina gerade noch rechtzeitig ihre Gefühle für ihn und die beiden finden zueinander. Das Publikum klatscht sich zufrieden die Hände wieder munter und erhebt sich von den Klappsitzreihen. Der große Bühnenvorhang verschluckt die Strandszenerie hinter sich. Ein überraschend modernes Stück hat sein unüberraschendes Ende gefunden – neben meinen Erinnerungen an alte Pelzmäntel finden sich seit heute auch halbnackte Männer und eine Schaumparty – eine Kombination, die mir gar nicht so schlecht gefällt.

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X Espresso Kein

in

Kaffee ist Koffeinlieferant und Genussmittel, doch den Spagat zwischen Aufputschpragmatik und delikatem Geschmackserlebnis schafft er selten – weder Zuhause, noch im CafÊ. Wie beim Wein gibt es mit jedem Schluck neue Welten zu entdecken: Von einem Zitronenhain im Herzen Afrikas bis zum Kaffeefriedhof im FH-Kaffeeautomat. Text: Nils-Leo Nienstedt Illustration: Bernhard Resch

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ine Zürcher Flaniermeile an einem sonnigen Tag Anfang Oktober. Ich sitze in einem gemütlichen Café. Die Bänke mit rotem Samt bezogen, auf eine sympathische Art veraltet, ruhige Musik und der himmlische Geruch von frisch gerösteten Kaffeebohnen. In der Karte stöbernd finde ich ihn, den Jamaica Blue Mountain, angeblich einer der edelsten Kaffeesorten der Welt. Nach der Bestellung endet jedoch mein Glück: Das Luxusgut ist verbrannt, schlecht zubereitet und dafür zu teuer. Vergewaltigung am Konsumenten. Kaffee ist im allgemeinen ein Produkt, dessen Weg die meisten Verbraucher nicht kennen wollen. Würde jedoch der Kaffee ausbleiben, gäbe es wahrscheinlich eine Krise mittelschweren Ausmaßes - obwohl die Kaffeebohne kein Monopol auf Koffein hat. Dennoch

würden sicher die meisten von uns behaupten, Kaffee für den Alltag zu brauchen. Kaffee wird gleichgesetzt mit einem Benzin für Menschen, Energie tanken to go. Die Unterscheidung zwischen Produktivität und Genuss war gestern. Wir haben ja keine Zeit! Den Pappbecher in der Hand, eilen wir von einem Termin zum nächsten. Wir hetzen dem schwarzen Getränk hinterher, schneller werden wir dadurch aber auch nicht. Österreich ist stolz auf seine Kaffeegeschichte und spaltet sich, wie so oft, auch beim Thema des Kaffeegenusses. Traditionalisten berufen sich aufs altehrwürdige Kaffeehaus, junge Leute sammeln sich in Coffeeshops nach amerikanischem Vorbild. Ein Richtig wird hier jedoch nicht auftauchen, ob ich in große Ohrensessel geschmiegt meinen Kaffee aus edlem Porzellan trinke, das Ambiente als Mittelpunkt, oder ihn auf

unbequemen Hockern als perfekten Cappuccino mit cremigem Milchschaum genieße, wo der Geschmack zählt und das Drumherum zweitrangig ist. Die Kombination – guter Kaffee in gemütlichem Ambiente – bleibt die Ausnahme. Ausnahme ist auch die genüssliche Pause, hinsetzen, durchatmen, fokussieren. Kaffee bleibt Treibstoff. Ob morgens schwarz in der Tasse oder als Melange in Kaffeehaus. Wir wollen ihn. Wir brauchen ihn. Dass er mehr als nur Koffeinlieferant sein kann, ist für die meisten noch ein Geheimnis. Die Abrechnung. Wer hat denn schon einmal guten Kaffee getrunken? Die Wenigen erkennt man daran, dass sie wählerisch geworden sind. Halbeingeweihte trinken zu Hause Espresso aus der Mokkakanne, dem eisernen Turm für die Herdplatte. Aus dieser Kanne

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rinnt Magengift als Espresso, gnadenlos verbrannt, geht ja auch kaum runter ohne Zucker. Andere trinken jeden Tag einen großen Caffé Latte mit extra Milch, um den Geschmack vom Kaffee zu verstecken. Einen ordentlich gebrühten Kaffee zu bekommen ist allerdings auch nicht einfach - wäre falsches Zubereiten der Bohne strafbar, wären 95% aller Gastro­betriebe Verbrecher. Wie wäre es – angesichts der Hochkonjunktur der Verbote – mit einer Verordnung gegen schlechten Kaffee in der Grazer Öffentlichkeit? Damit würde verhindert, dass alle weiterhin glauben, Kaffee müsse schwarz und bitter sein. Oder sind andere Lebensmittel, die schwarz und bitter auf den Tisch kommen, wie verkohltes Schnitzel, verbrannte Bratkartoffeln oder auf dem Herd vergessenes Gemüse, super gesund? Ein anderer Verbrecher ist der Lebensmittelmarkt. Hier wird die Bohne geröstet, eventuell gemahlen, verpackt und dann drei Monate gelagert, bevor er eine Chance hat, in die Regale zu wandern. Das einzige, wonach dieser

Coffee Delicious

Kaffee noch schmecken kann, ist wahrlich bitter und verbrannt. Guter Kaffee schmeckt oft über­ raschend anders. Richtig zubereitet halten herbe und fruchtige Aromen sich die Waage. Manch eine äthiopische Bohne verführt mit frischen Citrusnoten. Andere Sorten erinnern an Blaubeeren, Karamell oder Maroni. Herkunft, Sorte, Röstung und Zubereitung beeinflus-

sen den Geschmack und jede Tasse ist einzigartig. Wie schaffen wir es, dass Kaffee gut schmeckt? Wie können wir mehr aus ihr heraus holen, aus der beliebtesten Bohne der Welt? Zu Hause kann man mit kleinen Veränderungen große Schritte machen, in der Gastronomie hilft leider nur Verbraucherbewusstsein, um dem Wahnsinn ein Ende zu setzen.

Neun Tricks

für besseren

Kaffee

Verpackung. Guter Kaffee ist luftdicht verpackt, hat aber ein kleines Einwegventil, damit die Bohnen noch auslüften können. Gute Röster sind dazu übergegangen, nicht das Mindesthaltbarkeitsdatum auf die Verpackung zu schreiben, sondern das Röstdatum. Kaffeesorten. Die beiden Hauptunterscheidungsmerkmale für Kaffee sind Sorte und Anbaugebiet. Es gilt: Generell Arabica besser als Robusta, Ausnahmen be­ stätigen die Regel. Anbaugebiet. Jedes Anbaugebiet hat bestimmte Geschmacks­ merkmale. Kaffees aus einer Region schmecken prägnanter, während Kaffeemischungen (Blends) versuchen, einen besonders „runden“ Kaffeegeschmack zu erzielen. Röster. Jeder Röster hat seine eigenen Profile fürs Rösten. Es gilt aber auf jeden Fall: Kleine Röster sind meist besser als große Röster.

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Aufbewahrung. Kaffee gehört nicht in den Kühlschrank. Luftdicht und dunkel sollte er gelagert werden. Nicht umfüllen, sondern die Verpackung mit den Bohnen in den Behälter geben, um Luftkontakt zu vermeiden. Mühle. Eine Kaffeemühle mit Mahlwerk ist ein Muss. Brühmethode. Hier ist Geschmack gefragt. Am nächsten an Espresso kommt die Aeropress, eine Neuheit aus den Staaten. Der seit über hundert Jahren ungeschlagene König des Kaffeegenusses ist aber der Filter. Da wird das morgendliche Brühen zu einem Ruhepol. Wie der letzte Atemzug der Nacht – versetzt mit dem Geruch von Kaffee. Wassertemperatur. Das Wasser im Kaffee sollte nicht kochen. 90° ist eine gute Richttemperatur. Experimentieren. Drei Faktoren kann man beim Brühen beeinflussen: Mahlgrad, Wassertemperatur und Verhältnis von Kaffee zu Bohne. Nur durch regelmäßiges Probieren und Anpassen kann man seinen persönlichen Lieblingskaffee finden.


KULT

Kultwert mit

John Gabriel Borkman von Henrik Zwischen Selbstverkennung, Größenwahn und Einsamkeit jongliert Helmuth Lohner den gescheiterten Bankier John Borkman im Grazer Schauspielhaus. Text: Sophie-Kristin Hausberger Foto: Helmuth Lohner (c) Erich Reismann

D Helmuth Lohner in der Rolle des gescheiterten Bankiers John Borkman. Mehr Infos: www.schauspielhaus-graz.com

er einsame Wolf heult schon wieder.“ Der ehemalige Bankdirektor John Gabriel Borkman hatte nach waghalsigen Transaktionen seine Bank in den Ruin getrieben. Die jahrelange Haftstrafe ist für ihn nicht Sühne genug, für acht Jahre zieht er sich in totale Isolation zurück, abgeschieden von seinem Sohn Erhard und seiner Frau. Doch obwohl sich der „einsame Wolf“ jeden Tag selbst für seine Tat richtet, ist er sich sicher: „Der Einzige, gegen den ich mich vergangen habe, bin ich selbst.“ Denn getrieben von Machtgier, opferte Borkman vor vielen Jahren seine große Liebe, um den Posten als Bankdirektor ergattern zu können. Die Inszenierung von Elmar Goerden könnte während der andauernden Wirtschaftskrise nicht aktueller sein. Sie zeigt den schmalen Grat zwischen Erfolg und Verlust im Privat- und Berufsleben auf. „Glaubst du wirklich, dass dieser Gewinn ein Sieg für dich war?“. Der Kampf um Borkmans Sohn Erhard, der den Ruf der Familie wieder „reinwaschen“ soll, zeigt, wie die Gier nach Ruhm und Ehre auch auf einen Menschen projiziert werden kann. Sowohl Mutter, als auch Tante sehen Erhard als Besitz an, der ihre Träume ver-

wirklichen soll: „Ich muss dieses Kind haben“. Knallhart verhandeln die beiden Frauen über den jungen Mann wie mit wirtschaftlichen Transaktionen. Der Wahnsinn liegt somit nicht nur, wie anfangs vermutet, beim egozentrischen Protagonisten Borkman, der nach wie vor darauf wartet, dass ihn jemand von seiner selbst gewählten Isolation befreit. „Ohne diese Gewissheit, dass sie zu Kreuze kriechen und mich bitten, wieder Bankdirektor zu werden, hätte ich mir schon die Kugel gegeben.“. Sondern vor allem bei Borkmanns Frau, die durch die Spekulationen ihres Mannes sämtlichen Besitz verloren hat und nun krankhaft an ihrem Sohn, ihrem Eigentum, klammert. Erst als Borkman sich nach acht Jahren wieder dem Leben stellt, zerplatzt seine geschaffene Wirklichkeit. Die Nüchternheit der von ihm geliebten Aktenschränke und die Kälte der Realität lähmen ihn zu Tode. Die Einsamkeit der Protagonisten zeigt sich anfangs auch in der statischen Inszenierung, somit ist es auch nicht verwunderlich, dass das Stück trotz der Dreifachnominierung für den NESTROY 2012 leer ausging.

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MAC KREBERNIK JOHANNES MENTASTI SIMONE WENTH TANJA GAHR ANNA SPINDLER LILLY MÖRZ CARINA LEX LISA HAUSER BERNHARD RESCH

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EDITORIAL

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