Jürg von Ins
Lyriker & Ethnologe
juuergvonins.blogspot.com vonins@inschrift.ch
Podiumsbeitrag im Rahmen des Zyklus von Christina Hemauer und Roman Keller
Lʼenergia siamo noi – Die Geschichte der Verschwendung Studio Frauenfeld | Neuer Shed im Eisenwerk 3. September 2008, 19.30 | studiofrauenfeld.info
Highlights einer eurozentrischen Ritualgeschichte der Verschwendung
PD. Dr. Jürg von Ins Lyriker und Ethnologe Studium der Kulturwissenschaft, Religionsgeschichte und Philosophie. Habilitation: Der Rhythmus des Rituals; Grundlagen einer ethnologischen Ritualsemiotik. Soeben erschienen: Ich hab kein Wort verloren (Gedichte, 2008)
2/3
Verschwendung bezeichnet in Ökonomie und Ökologie ein Verhalten, das begrenzte Ressourcen nutzlos verbraucht. Ein Blick auf Ethnografie und Kulturgeschichte zeigt jedoch, dass jede Sozietät auf spezifische Formen der Verschwendung angewiesen ist.Verschwenderisch ist überdies auch die Natur. So richtig verschwenden kann man nur, was knapp ist. Verschwendung setzt eine Ökonomie des Mangels, eine Kultur der Kapitalbildung oder eine Gesellschaft unter dem Joch des Sparzwangs voraus. Im Überfluss ist beim besten Willen zur Extravaganz nichts zu verschwenden – da bleibt ja immer noch genug. Erst in der Ökonomie des Mangels oder ihrer Simulation – der Kultur des Sparens – gewinnt Verschwendung ihr charakteristisches, moralisch verwerfliches Profil. Verschwendung hat in der Evolution ebenso ihren Platz wie in der Schöpfung: Die Entstehung grosser Öl- , Kohle- und Gasreserven setzt ein Massensterben voraus, eine gewaltige Verschwendung von Biomasse. Und nach dem Zeugnis des Buches Genesis verschwendete Gott die erste Schöpfung an die Sintflut. Vielleicht handelt es sich um ein und dasselbe Ereignis – doch Spekulation apart: Was hat die Bibel mit Erdöl zu tun? Die von Cutler J. Cleveland 2004 herausgegebene ‚Encyclopedia of Energyʼ nennt zwei Stellen im Alten Testament , wo von Asphalt die Rede ist: Sowohl Noahs Arche (hebr. teba, Gen. 6,14) als auch das Körbchen, in dem Moses auf dem Nil ausgesetzt wird (hebr. teba, Ex. 2,3) werden mit Asphalt wasserdicht gemacht. Asphalt heisst bei Noah hebräisch kophär, bei Moses chemar. Vielleicht verlangt jedes life saving vessel nach seinem spezifischen Erdölprodukt. Beide aber, das Schiff und das Körbchen, heissen teba. Durch Asphalt o.ä. wird das Leben in der teba gegen das Wasser abgeschottet. Wasser aber hat symbolisch in den ersten Büchern des Alten Testaments mit langen Zeiträumen, mit Gewöhnung, Vergessen, Knechtschaft und Normalität zu tun. Die Arche muss nach Gottes Anweisung innen und aussen mit kophär bestrichen werden. Der zugrunde liegende Verbalstamm kaphara bedeutet bestreichen, schmieren. Kofär ist das Löse- oder Schweigegeld. Der Plural kippurim heisst Sühnung, daher jom kippur, jom ha-kippurim, der Versöhnungstag, das wichtigste Fest im jüdischen Kalender, da alle Schuld im Opfer des Sündenbocks gesühnt wird. Doch zurück zur Sündflut. Gott beschliesst in beispiellos verschwenderischer Laune, die gesamte Schöpfung aufgrund menschlichen Fehlverhaltens zu fluten. Noah soll zusammen mit Vertretern aller Tierarten überleben. Damit das gelingt, muss das Schiff mit Asphalt wasserdicht gemacht werden. Aussen und innen, das heisst: Zugleich muss auch Noah ‚verpichtʼ, d.h. schuldlos sein, seine Schuld durch Opfer gesühnt, er und die Seinen mit dem gewaltbereiten Gott versöhnt. Das Opfer ist ein Ritual; Sühne und Versöhnung sind rituelle Wirkungen. Sie machen Noah immun gegen die Zerstörungswut Gottes, wie Asphalt das Schiff wasserdicht macht. Ritual kommt von (lat.) rite, richtig. Der wirksame Ritualvollzug setzt ein spezifisches Wissen voraus. Ein Wissen darum, wie man es richtig macht, dass die angestrebte Wirkung eintritt. Wie Cleveland die Geschichte der Energie als Geschichte des technischen Fortschritts schreibt, so liesse sich diese auch als Geschichte des Vergessens, der Barbarisierung, des Verlustes rituellen Wissens anlegen. In Ngalagne zum Beispiel, einem Dorf im senegalesischen Sahel, wird der Saltige verachtet und baldmöglichst ersetzt, wenn es nach dem AussaatRitual nicht regnet. Als ich da war regnete es allerdings in Ngalagne immer nach dem Ritual. Und zwar ausschliesslich in Ngalagne. In allen umliegenden Dörfern blieb die Erde trocken. Die haben keine Saltiges mehr. Talente werden selten. ./.
3/3
Rituelles Wissen umfasst aber auch rationale Aspekte. Schon 2800 v.Chr. (Datierung nach Cleveland 2004) schien es den Aegyptern wichtig, die Tempel des Sonnengottes kosmisch nach dem Lauf der Sonne auszurichten. Rituelles Wissen umfasste astronomische Beobachtungen, naturwissenschaftliche Erkenntnis, und natürlich auch ein hoch entwickeltes Ingenieurwesen. Rituelles Wissen ist integrativ, wissenschaftliche Erkenntnis exklusiv. Das vielleicht fatalste Ereignis in der Geschichte des technischen Fortschritts bzw. des rituellen Rückschritts markieren Pioniere der säkularen Eintunnelung des Menschen wie Roger Bacon (1214 - ca.1292), die zwischen rituellem Wissen (tradition) und rationaler Erkenntnis einen elementaren Gegensatz stipulierten . Seither scheint das Rituelle unnütz . Das setzt der Verschwendung freilich kein Ende – es raubt ihr lediglich den Sinn. Fossile Brennstoffe zum Beispiel – nach alttestamentlicher Auskunft kostbarer Bestandteil unseres Survivalkits – werden in rasender Gier gefördert, um verbrannt und an den Otto-Motor verschwendet zu werden. Blinde Verausgabung tritt an die Stelle des Opfers, genauer: unstillbare Sehnsucht nach totaler Verausgabung. Denken wir an den Bugatti Veyron mit 1001 PS – eine Blech gewordene Fantasie orientalischer Üppigkeit, rastlos unterwegs zwischen Geilheit und Tod. I can get no satisfaction – This shall be thy law. Der Rest der Geschichte ist eine Maschine, deren Wirken wir in faustischer Verzweiflung beobachten, ohne eingreifen zu können. Wir haben das Wissen verschwendet, das uns retten könnte. Wir sind nicht die Energie, wir sind die Maschine. Die nächste Sintflut kommt bestimmt. Wir sehen uns vielleicht auf der Arche, falls einer sie dicht kriegt.
* * ** *
1 Von Cleveland absurderweise auf 6000 v.Chr. datiert 2 Hebräisch ha-saïr ha-chaja, d.h. der lebendige Bock, erst im Griechisch der Septuaginta apopompaios, der Unheil Abwendende. Im attischen Griechisch heisst der Sündenbock in einem vergleichbaren Ritual pharmakos. 3 serer: Seher und Regenmacher 4 Roger Bacon ist Clevelands Wahl 5 Vgl. zum Wert des Unnützen Georges Bataille, Die Aufhebung der Ökonomie (La notion de dépense, Paris 1967)
17.08.2008 © by Jürg von Ins