Magazine_KVIN

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LONDON

ISTANBUL

FRÜHJAHR/SOMMER 2011

AFRIKA

AUSTRALIEN

Deutschland € 4,80 | Österreich € 5,20 | Schweiz SFR 9,60

UNTERWEGS IN DER WELT


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Ich höre Istanbul

Istanbul‘u dinliyorum

Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen. Zuers weht ein leichter Wind, Leicht bewegen sich Die Blätter in den Bäumen. In der Ferne, weit in der Ferne. Pausenlos die Glocke der Wasserverkäufer. Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen. Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen. In der Höhe die Schreie der Vögel, Die in Scharen fliegen. Die großen Fischernetze werden eingezogen, Die Füße einer Frau berühren das Wasser. Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen. Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen. Der kühle Basar, Mahmutpascha mit dem Geschrei der Verkäufer, Die Höfe voll Tauben. Das Gehämmer von den Docks her; Im Frühlingswind der Geruch von Schweiß. Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen. Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen. Im kopf den Rausch vergangener Feste. Eine Strandvilla mit halbdunklen Bootshäusern, Das Sausen der Südwinde legt sich. Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen. Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen. Ein Dämchen geht auf dem Gehsteig. Flüche, Lieder, Rufe hinter ihr her. Sie läßt etwas aus der Hand fallen, Es muß eine Rose sein. Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen. Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen. Ein Vogel zappelt an deinen Hängen. Ich weiß, ob deine Stirn heiß ist oder nicht, Ich weiß, ob deine Lippen feucht sind oder nicht. Weiß geht der Mond hinter den Nußbäumen auf, Ich weiß es von deinem Herzschlag. Ich höre Istanbul.

Istanbul‘u dinliyorum, gözlerim kapalı Önce hafiften bir rüzgar esiyor; Yavas yavas sallanıyor Yapraklar, agaçlarda; Uzaklarda, çok uzaklarda, Sucuların hiç durmayan çıngırakları Istanbul‘u dinliyorum, gözlerim kapalı.

Istanbul‘u dinliyorum, gözlerim kapalı; Kuslar geçiyor, derken; Yükseklerden, sürü sürü, çıglık çıglık. Aglar çekiliyor dalyanlarda; Bir kadının suya degiyor ayakları; Istanbul‘u dinliyorum, gözlerim kapalı. Istanbul‘u dinliyorum, gözlerim kapalı; Serin serin Kapalıçarsı Cıvıl cıvıl Mahmutpasa Güvercin dolu avlular Çekiç sesleri geliyor doklardan Güzelim bahar rüzgarında ter kokuları; Istanbul‘u dinliyorum, gözlerim kapalı. Istanbul‘u dinliyorum, gözlerim kapalı; Basımda eski alemlerin sarhoslugu Los kayıkhaneleriyle bir yalı; Dinmis lodosların ugultusu içinde Istanbul‘u dinliyorum, gözlerim kapalı. Istanbul‘u dinliyorum, gözlerim kapalı; Bir yosma geçiyor kaldırımdan; Küfürler, sarkılar, türküler, laf atmalar. Birsek düsüyor elinden yere; Bir gül olmalı; Istanbul‘u dinliyorum, gözlerim kapalı. Istanbul‘u dinliyorum, gözlerim kapalı; Bir kus çırpınıyor eteklerinde; Alnın sıcak mı, degil mi, bilmiyorum; Dudakların ıslak mi, degil mi, bilmiyorum; Beyaz bir ay doguyor fıstıkların arkasından Kalbinin vurusundan anlıyorum; Istanbul‘u dinliyorum.

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Istanbul ist chaotisch, bitter, süss, asiatisch, europäisch. Und in seiner Widersprüchlichkeit unendlich schön. Lauschen Sie dieser Stadt. Den Schreien der Möwen. Dem Muezzin. Dem Südwestwind.

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anchmal erinnert diese Stadt an einen ihrer Straßenköter: Istanbul ist nicht gestriegelt und herausgeputzt. Istanbul ist schorfig und heruntergekommen. Einen großen Bogen möchte man machen um so einen Bastard. Und trotzdem kann es passieren, dass man ihm in die Augen schaut, und dann ist es um einengeschehen. Istanbul, der Moloch. Die Stadt, die sich so lange einen feuchten Kehricht um den Rest des Landes geschert hat, bis der Rest eines Tages sagte: Dann kommen wir eben zu dir. Und jetzt sitzt die halbe Türkei in der Stadt, wartet auf das Glück und bekommt doch oft nur ein Leben zugedacht - so bitter wie der starke, türkische Tee. Ein Blick auf die Karte. In der großen Türkei ist Istanbul nur ein Klecks. So wie in der wuchernden Metropole von heute das alte Istanbul, das die Alteingesessenen als >>ihre<< Stadt akzeptieren, nur ein Klecks. Der schönste Fleck auf der Karte. Noch auf einer Weltkarte täte man sich schwer, einen schöneren zu finden. Das Herz ist der Bosporus. Welches Licht. Eine Zwischenwelt. Zwischenzeit. Er öffnet Blick und Horizont. Ist ein gleißender Spiegel, der an Manchen Tagen das Licht der Sonne, türkis gebrochen, ein zweites Mal auf das Antlitz der Stadt wirft und ihm ein kühles Flirren verleiht. Käme einer in die Stadt und hätte nur zwei Stunden Zeit, ich würde ihn auf eine Bosporusfähre setzen. Man treibt, schaut, meditiert.fahren Sie nicht nur hoch zum Schwarzen Meer, fahren Sie runter Richtung Marmarameer, fahren Sie geradewegs Richtung Nirvana! Es ist der Bosporus der dieser Stadt seine Seele verleiht.

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Die Stadt der zwei Gesichter Als Stadt auf zwei Kontinenten verbindet Istanbul zahlreiche Gegensätze aus Orient und Okzident. In der Metropole vermischt sich auch historisches Erbe mit junger Szene.

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tadtgeschichte: Um 600 v. Chr. gründeten die Griechen Byzanz (Byzantion). Nach einem kurzen Zwischenspiel als Nova Roma wurde die Stadt 324 n. Chr. in Konstantinopel umbenannt. Nach der Eroberung durch Mehmet II. 1453 setzte sich bei den Türken der Name Istanbul durch - offiziell erst 1930. Bis weit ins 19. Jahrhundert existierten alle drei Bezeichnungen nebeneinander. „Constantinopel, großer Karfunkel, auf drei Seiten in Diamanten des herrlichsten Wassers gefasst“, beschrieb der Orientalist Josef von Hammer-Purgstall 1822 die Stadt. Vom Bosporus, der 31 Kilometer langen Meerenge, wird sie in eine europäische und eine asiatische Hälfte geteilt. An seiner schmalsten Stelle liegen nur 660 Meter Wasser zwischen Orient und Okzident. Zwei Hängebrücken und reger Fährverkehr verbinden die Kontinente miteinander. Das 7,5 Kilometer lange Goldene Horn (Halic) unterteilt wiederum die europäische Seite: Stanbul, die Altstadt erstreckt sich über sieben Hügel im Süden: Galata, das heutige Genuesenviertel und heutige Beyoglu,liegt im Norden. Die ehemalige Grande Rue de Péra, die heutige Istiklal Caddesi, ist die Hauptachse der neustadt und endet am Taksim, dem Zentrum des modernen Istanbul. Von dort führt die Cumhuriyet Caddesi in die westlich geprägten Viertel der Stadt. Wie ein Symbol der Zweiteilung schneidet sich der Bosporus durch

stammen die Konstantin-Säule und das nach dem Vorbild des Circus Maximus in Rom errichtete Hippodrom. In der byzantinischen Epoche wurden viele Kirchen erbaut – darunter die weltberühmte Hagia Sophia. Die mächtige Kuppel der Hagia Sophia etwa zählt zu den wichtigsten Bauwerken der Spätantike. Erbaut als byzantinische Kirche, später zur Moschee umfunktioniert und heute als Museum genutzt, ist sie Paradebeispiel der bewegten Geschichte der quirligen Metropole.

Die Brücken verbinden nicht nur die zwei Hälften der Stadt, sondern auch Europa mit Asien und das Christentum mit dem Islam. Städtereisende, die mithilfe von Reiseführer und Reisetipps Istanbul erschließen, werden an einem Besuch des Galata-Turms nicht vorbei kommen. Der Turm besitzt eine Aussichtsgalerie, in der BesucherInnen einen wundervollen Ausblick auf die Altstadt genießen können, welche Weltkulturerbe der UNESCO ist. Der unermessliche Reichtum und Prunk osmanischer Kunst lässt sich im Topkapi-Palast betrachten. Ein weiteres Bauwerk, nahezu jeder Reisebericht Istanbul Urlaubern empfiehlt, ist die Blaue Moschee. Ihren Namen verdankt sie blauen Wandfliesen in der Kuppel und in einigen Mauerteilen. Neben antiken Bauwerken und orientalischen Traditionen, wie den riesigen Bazaaren ist Istanbul heute, insbesondere für die junge Generation, der Innbegriff modernen Life-Styles. Die Metropole am Bosporus ist zum Wirtschafts- und Medienzentrum der Türkei avanciert. Geschäftsviertel, wie das Leventviertel und Infrastrukturbauten, wie die Bosporus-Brücke, eine mautpflichtige Autobrücke, die von zwei Autobahnen erreichbar ist, zeugen vom wirtschaftlichen Fortschritt der Stadt. Zahlreiche Hochhäuser prägen die Skyline, große Kaufhäuser bieten westliche Ware an und die Jugend vergnügt sich in riesigen Nacht-Clubs, wie dem Reina, einem atmosphärischen Freiluft-Club, direkt am Bosporus gelegen. Mit zunehmender Modernisierung erfreut sich die bevölkerungsreichste Stadt der Türkei auch als Ausflugsziel immer größerer Beliebtheit. Und die Stadt reagiert auf die wachsenden Besucherzahlen mit entsprechenden Maßnahmen. So schreiben Reisetipps Istanbul mittlerweile eine gute Verkehrsanbindung zu. Darüber hinaus verfügt Istanbul über eine riesige Auswahl an Hotels verschiedener Preisklassen. Istanbul - Eine Kultur-Hochburg und ehemalige Hauptstadt antiker Weltreiche, die die Zeichen der Zeit erkannt hat.

„Constantinopel, großer Karfunkel, auf drei Seiten in Diamanten des herrlichsten Wassers gefasst“, beschrieb der Orientalist Josef von Hammer-Purgstall 1822 die Stadt. die Stadt, zwei mächtige Brücken symbolisieren gleichzeitig die Verbundenheit. Die Brücken verbinden nicht nur die zwei Hälften der Stadt, sondern auch Europa mit Asien und das Christentum mit dem Islam. Seit über 2.600 Jahren lebt die bevölkerungsreichste Stadt der Türkei mit und von dieser Bedeutungsvielfalt. Die Geschicke dreier Weltreiche wurden seither an diesem strategisch ideal gelegenen Ort gelenkt, der an der Verbindungsstelle von Mittelmeer und Schwarzem Meer liegt. Wer Istanbul besucht, bekommt die Geschichte und deren Hinterlassenschaften genauso zu Gesicht wie das moderne Leben, das in der Metropole der sonst eher konservativen Türkei pulsiert. Istanbul ist eine Stadt der Gegensätze, eine Stadt zwischen östlicher Tradition und westlicher Moderne. Die Kulturdenkmäler dreier Weltreiche treffen in Istanbul aufeinander. Aus römischer Zeit

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Die Sultan-Ahmet-Moschee wird,wegen der Abertausenden Fayencen in ihrem Inneren von den Ausländern >>Blaue Moschee<< genannt, sie sollte Macht und Größe des Osmanischen Reiches feiern: Sie ist zwar nicht ganz so hoch wie die Hagia Sophia, besitzt dafür aber sechs Minarette - so viele wie damals nur die Moschee in Mekka.Die 260 bunt verglasten Fenster der Blauen Moschee sorgen für die lichte Eleganz des Gebetsraums. Die riesige Hauptkuppel mit einem Durchmesser von 23,5 Metern ruht auf gewaltigen Säulen. In der 1616 fertig gestellten Moschee beten die Gläubigen noch immer.

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Der Ruf des Glaubens „A

llahu akbar“, Gott ist groß, verkündet der Muezzin vom Minarett der Moschee. Neben dem Glaubensbekenntnis (sahadet), der Almosensteuer (zekat), dem Fasten (oruc) und der Wallfahrt nach Mekka (hac) ist das tägliche Gebet (salat) eine der fünf Säulen des Islam. Einmal ruft der Muezzin zur Andacht: vor Sonnenaufgang, „sobald man einen weißen von einem schwarzen Faden unterscheiden kann“; am Mittag; nachmittags; noch einmal nach Sonnenuntergang, „wenn der weiße nicht mehr vom schwarzen Faden zu unterscheiden ist“; zuletzt bei Einbruch der Nacht. 2397 Moscheen gibt es in Istanbul, die Stimme des Gebetsrufers ist fast überall zu hören. Wenn sie vom Tonband und über Lautsprecher abgespielt wird - was heute üblich ist -, ertönt sie noch lauter als live; in einigen ruhebedürftigen Stadtteilen wurden die technischen Hilfsmittel verboten. Über 1000 Muezzine verrichten ihr frommes Werk in der Stadt, ihr Berufsweg: Entweder haben sie die Mittelschule abgeschlossen und den Koran auswendig gelernt, oder sie haben eine Predigerschule (Imam-hatip-lisesi) besucht und ein Studium an der Theologischen Fakultät absolviert. Viele Muezzine arbeiten gleichzeitig als muezzin-kayim, als Moscheediener: Sie öffnen und schließen die Moschee und verrichten soziale Dienste, besuchen Kranke, Hochzeitsfeiern und Neugeborene oder schlichten im Familien- und Nachbarschaftsstreit.

mehr, als die Sultan-Ahmet-Moschee sechs erhielt. Eine spätere Legende besagt, dass Ahmet I. bei der Auftragsvergabe vom Architekten verlangt habe, die Minarette zu vergolden. Da das aufzuwendende Blattgold aber das ihm vorgegebene Budget vollkommen überschritten hätte, „verhörte“ sich Mehmet Ağa und machte aus dem türkischen Wort altın („Gold“) die Zahl altı („sechs“). Als kunsthistorisch bedeutsam gelten die Fliesen der Sultan-Ahmet-Moschee auf dem unteren Teil der Mauern und den Tribünen: Sie stammen aus der Blütezeit der Iznik-Fayencen und zeigen traditionelle Pflanzenmotive, bei denen Grün und Blautöne dominieren. Die Ausmalung des Innenraumes wurde auf Rosa geändert. Der Gebetsraum ist mit 53 m Länge und 51 m Breite fast quadratisch. Die Hauptkuppel hat einen Durchmesser von 23,5 m und ist 43 m hoch. Sie wird von vier Spitzbögen und vier flachen Zwickeln getragen, die wieder auf vier riesigen, 5 m dicken Säulen ruhen. 260 Fenster erhellen den Innenraum. Die bunten Glasscheiben sind moderne Nachbildungen der ursprünglichen aus dem 17. Jahrhundert. Moschee und Hof waren von einer Mauer umgeben. Davon existiert nur noch der Nordteil. Sie trennt die Moschee von den anderen Gebäuden der des Moscheegeländes ab, die es heute noch gibt. Im oberen Teil des Hofeingangs auf der Westseite befindet sich eine schwere Eisenkette. Diese diente angeblich dazu, dass der Sultan, der den Hof zu Pferde betrat, an dieser Stelle seinen Kopf neigen musste, wenn er nicht an die Kette stoßen wollte. Dies diente als ein symbolischer Akt, damit der Sultan nicht erhobenen Hauptes, also in der Pose vollen Stolzes, die Moschee betreten konnte. Im angrenzenden Schrein sind Ahmet I., seine Frau und drei seiner Söhne, Osman II., Murat IV. und Prinz Bayezit begraben.

2397 Moscheen gibt es in Istanbul, die Stimme des Gebetsrufers ist fast überall zu hören.

Die Sultan-Ahmet-Moschee in Istanbul ist nach dem Sultan Ahmet I. benannt. Sie wurde 1609 in Auftrag gegeben und bis 1616, ein Jahr vor dem Ableben des Sultans fertig gestellt. Der Baumeister ist ein Schüler des großen Architekten Sinan namens Mehmet Ağa. Sie wird auch „Blaue Moschee“ genannt aufgrund des äußeren blauen Erscheinungsbildes durch blau-weiße Fliesen, die die Kuppel und den oberen Teil der Mauern zieren, aber jünger als der Bau selbst sind. Die Ursprüngliche Absicht des Baus bestand darin, die unmittelbar gegenüber liegende Hagia Sophia in jeder Hinsicht zu übertreffen. Während das in der Grundfläche gelang blieb die frei hängende Kuppel geringfügig kleiner. Um die umgebaute Hagia Sophia auch hinsichtlich Minarette zu übertreffen, hat die Sultan-AhmetMoschee sechs Minarette, was einmalig zu jener Zeit in der Welt war. Die Geweihte Moschee in Mekka erhielt daraufhin eines

Die Sultan-Ahmet-Moschee ist heute, nach dem Umbau der Hagia Sophia, Istanbuls Hauptmoschee.

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Die Galata Brücke Oben sitzen die Angler, unten liegen die Kissen. Die Galata-Brücke verbindet die traditionelle Altstadt mit dem modernen Istanbul. Die Galata-Brücke überspannt das Goldene Horn zwischen den Istanbuler Vierteln Eminönü im Stadtteil Fatih und dem Hafenviertel von Karaköy im Stadtteil Beyoglu. Sie ist rund 480 Meter lang und 42 Meter breit. Sie ist zweigeschossig gebaut. Das obere Geschoss ist den Fahrzeugen vorbehalten, die das Bauwerk Tag und Nacht nutzen, im unteren Geschoss hat man eine Reihe von Geschäftsflächen angelegt, auf denen täglich jede Menge Händler und Passanten zu finden sind. Die zweigeschossige und moderne Konstruktion wurde 1992 fertig gestellt. Sie wurde nach einem Entwurf des deutschen Bauingenieurs Fritz Leonhardt von einem Konsortium unter Beteiligung der Firma Thyssen auf 114 Pfeilern errichtet, und ist die erste fest im Untergrund verankerte Brücke an dieser Stelle. Nachdem die unter der Fahrbahn gelegenen Geschäftsflächen jahrelang ungenutzt leer gestanden hatten, ist seit 2002 auch dieser Teil der Brücke in Betrieb: es finden sich dort zahlreiche Restaurants und Cafés. In den gemütlichen Kissenlandschaften lässt sich das Lebensgefühl der Stadt buchstäblich einsaugen. Vor allem um Wasserpfeife zu rauchen zieht es die Einheimischen hierher. Der Ausblick auf das Goldene Horn, den Galataturm und die Moscheen ist atemberaubend - besonders während des Sonnenuntergangs.

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Während es unten auf der Brücke geschäftig, oft hektisch zugeht, ist der Rhythmus oben gemächlicher. Die Angler sind auch weiterhin ein fester Bestandteil der Galata-Brücke.

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Hagia Sophia/Ayasofya Einst größte Kirche der Christenheit und heute Museum, ist die Hagia Sophia eines der eindrucksvollsten Kulturdenkmäler überhaupt

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rung Konstantinopels im Jahr 1453 wurde die Kaiserkirche zur Moschee des Sultans erklärt. In der Apsis der Kirche steht das mihrab, die nach Mekka weisende Gebetsnische. Rechts davon ist der minbar, die Kanzel des Imam. Am auffälligsten sind die im Durchmesser 7,5 m großen Holzschilder auf der Höhe der Galerien, die als Kalligrafien die acht heiligsten Namen des Islam tragen. Bei näherem Hinsehen können Sie allerdings noch etliche Kunstwerke aus byzantinischer Zeit erkennen, vor allem Überreste der berühmten Mosaiken. Die ersten davon befinden sich in den Vorräumen zum Hauptgebäude, das bekannteste ist ein Mosaik aus dem 10. Jh. direkt über dem so genannten Kaisertor. Es zeigt den thronenden Christus. Weitere Mosaiken befinden sich in der Apsis und an den Wänden der Emporen, auf die übrigens sowohl in byzantinischer als auch in osmanischer Zeit die Frauen verbannt wurden. Das beeindruckendste Mosaikmotiv ist ein Andachtsbild, eine Deesis, das Jesus mit Maria und Johannes dem Täufer zeigt.Im Garten der Hagia Sophia stehen drei Mausoleen, in denen die Sultane Mehmet III., Selim II. und Murat III. ihre letzte Ruhestätte fanden. Rund um das Bauwerk sind in den 1980ern Reste der Fundamente der Vorgänger-

ie eine Kröte mit hoch gewölbtem Rücken und dicken Beinen hockt die Hagia Sophia, die „Kirche der Heiligen Weisheit“, über der Altstadt von İstanbul. Mit ihrem rötlich schimmernden Mauerwerk und den später in osmanischen Zeiten angebauten vier Minaretten gehört das gut 1400 Jahre alte Monument immer noch zu den prägenden Erscheinungen der İstanbuler Silhouette und ist bis heute ein Wahrzeichen der Stadt. Die im Altertum größte Kirche der Christenheit bietet Besuchern, sobald sie das Hauptschiff betreten, ein beeindruckendes Bild: Statt massiv und gedrungen, scheint die mächtige Kuppel in lichten Höhen zu schweben, als irdischer Spiegel des Himmels. Ein Kranz von 40 Fenstern im unteren Rand der Kuppel führt das Sonnenlicht geschickt ins Innere des großen Bauwerks und verstärkt den Eindruck der Schwerelosigkeit. Dieser Effekt wurde von den Architekten Anthemios von Tralles und Isidoros von Milet dadurch erzielt, dass sie die Hauptkuppel durch weitere Halbkugeln abstützten und die Pfeiler, die das Gewicht der Kuppeln auffangen, in die Seitenschiffe verbannten. Dadurch entstand ein riesiges freies Mittelschiff. Dieser für die damalige Architektur revolutionäre Ansatz wurde später auch zum Vorbild der Moscheebautent Istanbuls und der Hagia Sophia gegenüberliegenden Blauen Moschee. Auftraggeber für den Bau der Hagia Sophia war Kaiser Justinian, der die Kirche nach einer sensationell kurzen Bauzeit von nur 5 Jahren und 10 Monaten am 27. Dezember 537 weihte. Das statische Experiment der im Durchmesser 31 m großen Kuppel, die im Scheitelpunkt 49 m über dem Boden schwebte, stieß jedoch bald an seine Grenzen. Mehrere kleinere Erdbeben führten dazu, dass die Kuppel Risse bekam und 21 Jahre nach ihrer Fertigstellung im Mai 558 einstürzte. Da beide Architekten bereits tot waren, beauftragte der 76-jährige Justinian den Neffen Isidoros‘, Isidoros den Jüngeren, mit dem Wiederaufbau der Kuppel. Dabei wurden die äußeren Stützpfeiler verstärkt, was zu dem äußerlich gedrungenen Eindruck führt, und die Kuppel um noch einmal 7 m angehoben. Diese Form der Kuppel, 56 m hoch und lediglich von außen durch weitere Pfeiler abgestützt, ist bis heute erhalten. Keine andere byzantinische oder osmanische Kuppel erreichte je wieder diese Höhe. Die heutige innere Ausstattung der Hagia Sophia, die 1935 zum Museum erklärt wurde, ist bestimmt durch die 500 Jahre, in denen sie als Moschee diente. Bereits drei Tage nach der Erobe-

Auffällig sind die acht großen Holzschilder, die aus dem 19. Jahrhundert stammen. Auf ihnen stehen die Namen Allahs, Mohammeds, seiner Enkel Hasan und Hüseyin sowie der ersten vier Kalifen.

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er 1348 von der genuesischen Kolonie in Konstantinopel erbaute Galata-Turm liegt im Stadtviertel Karaköy und war seinerzeit das höchste Glied einer die Siedlung umrahmenden Befestigungsanlage. Er erhebt sich 62 m hoch über dem Goldenen Horn und besitzt unterhalb der Turmspitze eine offene Galerie, von der aus man einen wunderbaren Blick auf die ehemals europäische Altstadt und die berühmte Kulisse von Sultanahmet und Beyazıt hat - ein beliebter Platz für Filmproduktionen! Die Aus sichtsplattform ist tagsüber gegen Eintrittsgeld öffentlich zugänglich. Die beiden Ebenen im Obergeschoss werden tagsüber und abends auch gastronomisch genutzt. Fahren Sie mit dem Aufzug hinauf, an einem Restaurant vorbei geht es dann noch eine Treppe zur Aussichtsgalerie hoch. Die Aussichtsplattform ist tagsüber gegen Eintrittsgeld öffentlich zugänglich. Eine atemberaubende Aussicht über ganz Istanbul erwartet Sie. Lassen Sie sich in den Bann Istanbuls ziehen.

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i a k t SM Auf der

istiklal caddesi, eine Fussgängerzone, mit der wiederaufgebauten alten Straßenbahn, der Straße der Unabhängigkeit, prallt Tag und Nacht millionenfach alles aufeinander, was in der Türkei nicht zusammengehört: fromme Fundamentalisten und Überschminkte Transsexuelle, verschleierte Frauen und russische Prostituierte, die Jeunesse dorée der Stadt und bitterarme Straßenkinder, Zigeuner und Konsulatsbeamte. Sie fängt am Galata Hügel an, am Tünel, (einer der ältesten U-Bahnen) und an den Botschaftspalais‘ vorbei, und endet am

taksim platz,

dem verkehrsreichsten Platz der Stadt, benannt nach der Wasserverteilungsanlage aus dem 18 Jh. Auch heute ist die Istiklal Straße ein Treffpunkt das den Istanbulern ein großes Angebot von kulturellen Möglichkeiten, Geschäften, Lokalen, usw bietet.

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Orient/Okzident Istanbul verbindet Welten ein unvergessliches Erlebnis für einen Wochenend-Ausflug.

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er Taxifahrer gibt Gas, und es scheint, als gehe es um sein Leben. Dabei sorgt man sich eher ein wenig um sein eigenes. Diskussionen sind zwecklos, denn es ist Freitag morgen, der Chauffeur sagt freundlich lächelnd, dass ein Wochenende für Istanbul viel zu kurz ist („Die Moscheen, die Paläste, die Basare - wie wollen Sie denn das alles anschauen?“) und dass er einen deswegen besonders schnell ins Hotel bringen wird. Nebenbei erfährt man, dass Istanbul seine Formel-Eins-Rennstrecke bekommen hat (was den Hobby-Rennfahrer freut) und dass Deutsche und Türken Brüder sind („Oder gab es mal einen Krieg? Nein!“). Am Ziel gibt es nicht nur gute Wünsche für den Aufenthalt, sondern auch ein kleines Geschenk: Ein „nazar boncugu“, ein kleiner blauer Glasstein mit einem stilisierten weißen Auge darin. Der hilft vor dem bösen Blick (aber nur, wenn man das Auge geschenkt bekommt). Danke. Ein großzügiges Trinkgeld ist dem Mann sicher. Istanbul. Was der Reiseführer an Gelehrtem schreibt haben wir schon im Flieger gelesen. Über Griechen und Römer, über Osmanen und Araber. Morgen ist Zeit für das Alte in der Stadt, das, was in Istanbul von Byzanz und Konstantinopel übrig geblieben ist. Jetzt heißt es die neue Stadt entdecken, die manchmal gar nicht türkisch zu sein scheint. Jedenfalls nicht so, wie man sich das hier in Deutschland manchmal vorstellt. Man muss nur einmal durch Beyoġlu bummeln, eines der Viertel auf der europäischen Seite der Stadt. Hier zeigt sich Istanbul ziemlich Multi-Kulti und liberal. Auf der zwei Kilometer langen Einkaufsstraße Istiklal Caddesi flanieren die jungen Türkinnen im Designer-Outfit bauchfrei, tätowiert und gepierct - und natürlich ohne Kopftuch. Ein paar Meter weiter zupfen alte Frauen zwar noch Baumwolle auf der Straße, doch viele Bars rund um den Taksim-Platz sind mindestens so hip wie ihre Verwandten in anderen europäischen Großstädten.

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Ein Nacht im Gefängnis

Ein Gefühl wie an der Seine

Dabei haben die engen Gassen durchaus ihren eigenen Charme bewahrt, und wer sich für ein Glas Tee ins Café am Straßenrand setzt, hat genügend Programm für die nächste halbe Stunde. Erst zieht der Haselnussverkäufer vorbei, dann sind Pflaumen im Angebot, der Kleinlaster mit den Melonen hat die melodischste Hupe des Viertels (weshalb er sie auch gerne und exzessiv einsetzt) und außerdem gibt es ja noch die Schuhputzer, die so lange freundlich fragen, bis sie einem für einen Euro das Leder aufpolieren dürfen.Später am Nachmittag, nun mit perfekt glänzenden Schuhen, geht es weiter mit dem Rundgang durch Beyoġlu. Eine amerikanische Fast-Food-Kette hat einen „McTurk“ im Programm und ist doch chancenlos gegen die Übermacht des Döner-Imperiums. Kontraste, wohin man blickt: Auf der einen Seite stehen halb verfallene Gebäude, ein paar Schritte weiter glänzen die Fassaden in rotem und gelben Ocker. Die Cezayir-Straße (wie sie auf dem Stadtplan heißt) heißt nur noch „Fransız Sokak“ - die französische Straße. „Wenn man nichts tut, werden viele alte Gebäude bald einfach verschwinden und nur noch auf Postkarten weiterleben“, sagt Atalay Taşdiken, der mit seinem Bruder Mehmet die Idee für das Projekt hatte und auch Investoren fand. Dank Patisserie, Antiquitätenladen und Kunstgalerie fühlt man sich am Rand Europas plötzlich wie an der Seine.

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Abends dann hofft man auf ein wenig französisch inspirierte Kochkunst, verbunden mit den Gewürzen des Orients - und wird nicht enttäuscht. Er hat das French Culinary Institute in Manhattan besucht, mit vielen Starköchen experimentiert: Umut Özkanca. „Im `Borsa´, dem Restaurant meines Vaters, servieren wir klassische türkische Küche. Doch ich wollte etwas Anderes probieren und im `Loft´, meinem neuen Restaurant, die Stile ein wenig vermischen.“ Das Konzept scheint aufzugehen: Wer am Wochenende einen Tisch reservieren möchte, sollte sich zwei Wochen im Voraus darum kümmern. Bis in den Herbst hinein hat das „Loft“ seine Räume im Messezentrum verlassen und ist auf die Dachterrasse umgezogen - von hier aus blickt man hinab auf ein erleuchtetes Häusermeer und die Schiffe auf dem Bosporus. Später dann geht es noch ins „Nardis“, in dem Önder Foncan und seine Frau Zuhal die besten Jazz-Musiker der Stadt auftreten lassen. Sie war schön, die Nacht im Gefängnis. Wären sie alle so, die türkischen Gefängnisse, gäbe es dann diesen Ärger mit der Europäischen Union… Nein, natürlich hat man nicht hinter Gittern geschlafen, aber bis in die 1970er Jahre war dieses Gebäude ein Kerker für Dichter und Denker. Heute sind die Matratzen weich, die Ausblicke grandios (ohne Gitter vor den Fenstern) und das Essen zählt zum Besten, was die Stadt zu bieten hat. Der freundliche Concierge im „Four Seasons“ (das in den letzten Jahren ständig unter die Top-Ten der besten Hotels der Welt gewählt wird) empfiehlt für heute einen Spaziergang durch den Stadtteil Sultanahmet, ein einziges großes Freilichtmuseum. Eines, das noch immer von Leben erfüllt ist (was man schon morgens um fünf Uhr bemerkt hat, als der Muezzin durch scheppernde Lautsprecher inbrünstig zum Gebet rief). Schon beim Frühstück auf der Hotel-Terrasse hat man gleich die erste Sehenswürdigkeit im Blick: die Hagia Sophia, vor dem Bau des Petersdoms in Rom die größte Kirche der Christen (heute ist sie ein Museum). Daneben die Blaue Moschee mit ihren schlanken Minaretten. Eine grandiose Szenerie.


„Nachtigallennest“ und die „Lippen der Schönen“

Wer allerdings in diesen historischen Gebäuden zu viel Zeit verbringt hat später im Topkapi-Palast das Nachsehen. In den Harem des Sultans kommt man(n) heute nicht mehr hinein, sorry, man(n) muss draußen bleiben. Das liegt, die Zeiten haben sich doch geändert, nicht daran, dass die Eunuchen den Eingang besonders streng bewachen. Sondern daran, die Führungen im Sommer oft schnell ausgebucht sind. Doch mit Schatzkammer und hundert weiteren Räumen bleibt trotzdem genügend zu bestaunen: Der Blick vom goldenen Baldachin auf die Stadt hier speiste einst der Regent - ist das Eintrittsgeld schon wert. Der große Basar nebenan hat keine Einlassbeschränkung (ist aber sonntags geschlossen). Zwar ist hier vieles ein wenig teurer als anderswo in der Stadt, und nirgendwo anders lernt man so schnell nette Freunde kennen, die einem einen Teppich verkaufen wollen. Aber das Epizentrum der Geschäftigkeit ist einfach faszinierend, stundenlang kann man hier bummeln: Orientalische Gerüche und mobile Teeverkäufer, Plastikblumen und Goldschmuck, echt gefälschte Handtaschen und das Bauchtanzkostüm, das man schon immer mal haben wollte (versucht einem jedenfalls der Besitzer einzureden). Mit dieser Karriere wird es indes nichts, und das liegt an Erdoġan Bilim und seiner Mannschaft: Am Ufer des Bosporus tischen sie im Restaurant „Feriye“ das auf, was die Sultane früher aßen (und die scheinen gut und reichlich gegessen zu haben). Wenn nicht allzu viel Betrieb herrscht (also selten), dann erklärt der Kellner auch, wie die türkischen Namen für die Speisen zustande kommen, die für deutsche Ohren doch recht ungewöhnlich klingen: „Nachtigallennest“ und „Lippen der Schönen“, „Der Imam fiel in Ohnmacht“ und „Frauenschenkel“.

Relaxen und Party am Bosporus

Es ist Samstagabend, und vom „Feriye“ sind es nur ein paar Hundert Meter zu den angesagten Bars und Clubs der Stadt, die im Sommer und Herbst fast alle am Bosporus-Ufer die Nacht zum Tag machen. „Reina“ heißt der berühmteste - in einem halben Dutzend Restaurants kann man hier auch essen, bevor die Stühle beiseite geräumt werden und sich Tausende von Menschen zu türkischem Pop und europäischer Partymusik bewegen. Mehr ein Club als eine Bar ist „Anjelique“ - bis vier Uhr nachts tanzt man hier mit Blick auf Asien. Die skurrilste Location haben indes die Fotografin Lal Dedoglu und der Designer Ender Sanal geschaffen: „buzADA“ heißt das schwimmende Dock auf dem Bosporus. Tagsüber kann man hier in einem Schwimmbad seine Bahnen ziehen - das, so viel steht fest, ist das Programm für den morgigen Sonntag. Abends verwandelt sich „buzADA“ dagegen in eine Restaurant-Insel. Später in der Nacht wird einen Özgür Meriçten vom Boutique-Hotel „Bosphorus Palace“ mit seinem Boot hier abholen, das macht er für seine Gäste. Doch zunächst heißt es die Szenerie genießen. Und sich bewusst werden, wie einzigartig dieser Ort ist. Denn wo sonst kann man mitten auf der Grenze zwischen Europa und Asien dinieren? Wo sonst kann man, wenn in den frühen Morgenstunden der DJ seine Platten auflegt, wo sonst kann man zwischen zwei Kontinenten bis um vier Uhr morgens die Nacht durchtanzen?

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Schweigen in stockfinsteren Straßen Der Straßenverkehr in Istanbul entspricht ziemlich genau Dantes Beschreibung der Vorhölle. Das kann jeder bestätigen, der die Stadt einmal durchquert hat. Außer er fährt im Taxi zu Lokalen, in denen schöne Frauen ihre Nabel kreisen lassen.

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er Taxifahrer Mustafa ist ein cooler Typ. Im Menschengewühl vor dem Flughafen Istanbul lässt er seinen gelben Murat 124 vor mir ausrollen. Ein kurzer Blickkontakt, eine lässige Handbewegung Richtung Stadtzentrum, und schon sitze ich im Fond seiner Klapperkiste. Auf der Uferstraße schnalzt Mustafa leise mit der Zunge und hebt das Kinn an. „Danke, Schwester“, unterstreicht er diese verneinende Geste mit einem bedauernden Unterton, „ich rauche nicht.“ Ich ziehe die Hand zurück, mit der ich ihm Zigaretten hingehalten habe. Mustafa fährt zielbewusst über eine Kreuzung, deren Ampel gerade auf rot steht. Dann legt er eine Erklärung

dafür nach, warum er die Zigarette abgelehnt hat: „Du musst nämlich wissen, Schwester, das Einzige, was mich im Leben interessiert, sind Frauen.“ „So ein Glück „, sage ich mit ehrlicher Freude. „Dann bist du genau der Mann, den ich brauche. Du kannst mich zu den schönsten und aufregendsten Frauen bringen, die es in Istanbul gibt. Ich bin nämlich da, um Bauchtänzerinnen zu interviewen.“ Mustafa strahlt. Aber nicht lange. Denn ich spreche ihn auf Sulukule an. Das ist ein Zigeunerviertel an der alten Stadtmauer. Dort soll Nacht für Nacht die Hölle los sein. Musik von Trommeln, Pfeifen und Geigen, die intravenös in den Blutkreislauf einschießt. Üppi-

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ge Zigeunermädchen, die tanzen wie der Teufel. „Fährst du mich nach Sulukule?“, frage ich Mustafa. Vor Schreck bremst er abrupt und überlässt wahrscheinlich zum ersten Mal in seinem Leben einem Rechtskommenden den Vorrang. Heute Abend kann er nicht, sagt er. Da muss er seine Schwiegermutter vom Spital abholen. Aber morgen. „Ich komme um 20 Uhr zum Hotel“, sagt er. „Ehrenwort.“ Dann ist Mustafa die Wolke. Und der Mann an der Rezeption des Divan Oteli schüttelt energisch den Kopf, als ich ihn bitte, mir ein Taxi nach Sulukule zu organisieren: „Nichts zu machen. Dorthin fährt kein Mensch freiwillig.“ Also bleibt mir nichts ande-

halben Stunde hat sie ihren nächsten Auftritt in einem Hotel. Für ein längeres Gespräch ist keine Zeit. „Sorry“, sagt sie. „Time is money.“ Inzwischen ist Ayla aufgetreten. Groß, schlank, trauriger Blick. Jede einzelne Bewegung sitzt perfekt. Von den Zimbelschlägen der Finger bis zur Drehung der Hüfte. Ayla ist jetzt 25. Lange wird sie nicht mehr tanzen können. Für diesen Beruf muss man sehr jung sein. Vielleicht wird sie heiraten. Mustafa spitzt die Ohren. Und verfällt gleich wieder. Es müsste aber ein Künstler sein. Ein anderer Mann würde ihr das Tanzen übel nehmen. Schließlich lebt sie in der Türkei. Professionelle Bauchtänzerinnen gibt es in der

Musik von Trommeln, Pfeifen und Geigen, die intravenös in den Blutkreislauf einschießt. Üppige Zigeunermädchen, die tanzen wie der Teufel. res übrig, als auf den nächsten Abend zu warten. Tatsächlich erscheint Mustafa um 20 Uhr. Er ist voll Tatendrang. Im Auto nimmt er sofort die türkische Taxifahrer-Haltung ein: linke Schulter vorgezogen, linker Ellbogen am Fenster, linke Hand an der Hupe, rechter Fuß ohne Unterbrechung am Gaspedal. So gelangen wir vom Taxim-Platz hinunter ans Goldene Horn und stechen Richtung Aksaray-Platz durch. Mustafa kennt ein „Gazino“, in dem Bauchtänzerinnen auftreten. Er hat es eilig, dort hin zu kommen. Das macht ihn zum König der Straße. Wenn er zum Überholen ansetzt, und es kommt auf der Schnellstraße gerade ein Esel entgegen, lässt er sich nicht beirren. Er hat gehupt, das muss reichen. Soll der Esel ausweichen. Das Gazino „Gar“ ist Restaurant und Music Hall in einem. Im Lokal ist Platz für 300 Personen. Sie sitzen an langen Tischen im Halbrund um die Bühne. Busladungen Touristen. Einheimische sieht der Chef des Lokals, ein Gynäkologe, nicht gern. Wenn sie einmal mit dem Raki anfangen, meint er, werden sie unberechenbar. Pünktlich erscheint die erste Bauchtänzerin auf der Bühne. Nilgün trägt ein lachsfarbenes Kostüm. Sie tanzt exakt zehn Minuten, lässt die langen Fransen an der Hüfte und am Busen rotieren, bewegt sich mit der Sicherheit einer Schlangenfrau. Während das Publikum noch applaudiert, ist sie schon backstage. In der winzigen Garderobe schlüpft sie in Jeans und Lederjacke. In einer

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Türkei zu Tausenden. Viele von ihnen stammen aus Sulukule. Einmal oben, können sie es weit bringen. Viele haben Terminkalender wie Manager. Sie werden mit Privatjets zu Veranstaltungen geflogen, scheffeln für Auftritte in Feriendörfern oder Luxushotels riesige Summen. Mit dem sozialen Ansehen ist es schwerer. Denn der türkische Mann verehrt die Bauchtänzerin, aber er ehrt sie nicht. Weit nach Mitternacht erklärt sich Mustafa doch noch bereit, mich nach Sulukule hinauszufahren. Als wir die alte Stadtmauer erreichen, herrscht im Wagen gespanntes Schweigen. Plötzlich eine stockfinstere Straße. Rechts von uns die ausgerissenen Umrisse der byzantinischen Mauer. „Türen verriegeln“, ruft Mustafa, als die ersten düsteren Straßenlampen auftauchen. Sie beleuchten eine Reihe niedriger, schäbiger Häuser. Am Straßenrand flackern Feuer. Finstere Figuren werfen lange Schatten. Musik von Trommeln und Pfeifen weht von weit her. Wir kommen zum ersten Haus. Aus dem Eingang stürzen Menschen. Sie werfen sich auf das Auto, reißen an den Türen. „Eine Journalistin“, ruft Mustafa einer alten Zigeunerin zu. „Die will nur mit euch reden.“ Die Alte kommt ganz nah an sein Fenster. „Ich gebe dir einen Rat, mein Sohn“, zischt sie. „Verschwindet, so schnell ihr könnt.“ In Sulukule habe ich keinen Bauchtanz gesehen. Dafür weiß ich jetzt, dass der Taxifahrer Mustafa nicht nur ein cooler Typ, sondern auch ein weiser Mann ist.


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o bedeutend wie die U-Bahn für Paris, London oder St. Petersburg ist für die grösste Stadt der Türkei denn auch das Feribot – Passagierfähren, die Stadtteile miteinander verbinden, ja, ganze Kontinente, denn Istanbul liegt halb auf europäischem, halb auf asiatischem Festland. So pendeln nicht wenige Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt täglich per Schiff von ihrem Wohnort in Asien zu ihrem Arbeitsplatz in Europa oder umgekehrt, und wer in Istanbul zu Besuch ist, kann mit dem Feribot herrliche Spazierfahrten über den Bosporus oder zu den Prinzeninseln unternehmen. Bevor man sich ins Nachtleben stürzt, empfiehlt es sich, noch eine kleine Reise nach Asien zu unternehmen und gegen Abend per Schiff ins Quartier Üsküdar zu fahren. Dort, am Ufer des Bosporus, hat man erstens einen Blick auf das gegenüberliegende Europa, zweitens eine wunderbare Gelegenheit, die Sonne im Westen untergehen zu sehen und drittens auch noch den sagenumrankten Leanderturm im Blickfeld. All dies geniesst man gemütlich auf weichen Kissen sitzend, an grosse Treppenstufen gelehnt, umgeben von türkischen Pärchen und Familien, während man sich in kleinen Gläschen starken, süssen Tee servieren lässt...

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Wer in Istanbul zu Besuch ist, kann mit dem Feribot herrliche Spazierfahrten 端ber den Bosporus oder zu den Prinzeninseln unternehmen.

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