K3 Literaturpreis 2012 Beitrag 15 Codewort: "Lilly"
ES GIBT IMMER WAS ZU TUN. Ich bin zu Hause eingebettet in eine straff geführte Firma. Eine Firma mit all den Pflichten, Zwängen und kleinen Freiheiten, wie sie jeder andere auch hat --- da draußen in der großen weiten Business Welt. Freddy … ist mein heimlicher Schwarm. Soll es ja auch in einer FIRMA geben, so im Vorübergehen, quasi en passant. Ein flüchtiger Blick, ein kleiner Flirt, eine leise Berührung, eine flüchtige Liebkosung zwischen zwei terminlichen Verpflichtungen. Lilly … ist meine CHEFIN. Eine Bürokratin durch und durch. Eine Madame mit Prinzipien, mit Prioritäten, Sympathien, Antipathien, einem ausgeprägten Sinn, ja geradezu einer Verliebtheit in Pünktlichkeit und Ordnung und mit der Einforderung unbedingten Gehorsams seitens ihrer Mitarbeiter – sprich: dem Logistiker, der Masseuse, dem Fitnesstrainer, dem Einrichtungsklemptner, dem Gesundheitsdienst und der Pförtnerin. Und das bin ich. Alles in einer Person. Oh, Lilly findet das ausgesprochen praktisch. So kann sie Zeit einsparen. Denn sie weiß genau, an wen sie sich wofür wenden kann. Es beginnt schon morgens um 6. Wie alle erfolgreichen Unternehmerinnen ist sie eine Frühaufsteherin. – „Der frühe Vogel fängt den Wurm.“ So ihre Maxime. Es ist beleibe aber nicht immer nur ein Wurm, den sie in den frühen Stunden des ersten Taus fängt und auf dem Balkon oder vor meinem Bett ablegt. Was auch immer es ist – sie hat damit für die Ernährung ihrer Firmenangehörigen gesorgt – gleichsam – ihrer Meinung nach – das Beste, das sich Madame vorstellen kann – bereitgestellt und fordert nun das Erwachen ihrer Belegschaft. Sofort. Einschließlich Freddys, der als Einziger die Ruhe bewahrt. Ein routiniertes, allmorgendlich gleich lautendes und als solches untrüglich eindeutiges „Miaaaourrrr!“ lässt uns dagegen knieschlotternd, taumelig und morgentrunken in die als gemütliche Familienküche getarnte Firmenkantine torkeln um das erste Döschen und das erste Schälchen Wasser zu beschaffen.
In der Regel bin ICH das. Mein Bester hält sich mit den ersten Morgenpflichten immer noch mal zurück, wie es ja oft vorkommt – bei männlichen Untergebenen, die persönliche Probleme mit weiblicher Autorität haben. Freddy, der auch ihr nun mal nahesteht, schwänzelt munter mit mir mit und muss sich nun auch keine Sorgen mehr um seine erste Mahlzeit machen. Der Tag schreitet voran. Und Madame wird zur Kontrolleurin. Ihr Wahlspruch: „Alles läuft über meinen Schreibtisch.“ Sämtliche Warenzustellungen haben IHR ZUERST vorgelegt zu werden. Und sie prüft genau. Mit geradezu militärischem Stechschritt betritt sie die von mir in der Küche abgestellte Einkaufs-Bananenschachtel mit Waren. Sie braucht keine Ladelisten. Lilly, die Chefin, hat alles im Kopf, was wichtig ist. Sheba – “OK”. Hofer-Knabbersticks – “OK”. Whiskas-Bio … „Neeeein! Frau Helga! Wie oft habe ich Ihnen schon zu verstehen gegeben, dass ich dieses Zeug nicht mag. Sie lernen es NIE!“ Ein vernichtender Blick trifft mich aus den Winkeln ihrer herrlich grünen Augen. Also weiter! Hühnerflügerl – „Gut“. Vitaminpaste – „Meinetwegen. Legen Sie mir gleich ein Hühnerflügerl auf einem Teller an meinen Platz, ja, Frau Helga? Danke. So, und was haben wir sonst noch? MILCH!! – ABER FRAU HELGA! Davon bekomm ich doch Blähungen. Sie wissen das doch. Ach so, das ist für Ihren persönlichen Gebrauch. Naja gut. Das restliche Zeug ist wohl auch für Ihren persönlichen Gebrauch. Sie verschleudern Firmenkapital. Salat, Tomaten, Backpulver, Kaffee, Lauch, Zitronen. Du meine Güte. Konzentrieren Sie sich das nächste Mal besser auf die wesentlichen Dinge. Sooo dick haben wir´s auch wieder nicht. Die Chefin hat genug gesehen. Sie springt mit einer anbetungswürdigen Eleganz von der Küchenspüle. Ihr Körper, den sie sich täglich – auch da ist sie die personifizierte Disziplin – täglich am Kratzbaum und an der Gartentuje fithält, fängt den Sprung mühelos ab. Sie schüttelt ihren Balg und schreitet umgehend zum Futterteller, wo ich bereits in vorauseilendem Gehorsam das Hühnerflügerl bereitgelegt habe. Selbstverständlich genau ihren Bedürfnissen entsprechend. Zweimal eingeschnitten und exakt 8 sek. im Anwärm-Mikrowellengang von der Eiseskälte der Supermarkt-Kühlvitrine befreit. Sie ist zufrieden. Ich atme auf.
Im Eiltempo verstaue ich die Einkäufe. Denn schon ist es Zeit für die Fellpflege. Hat sich doch ein Floh erdreistet, sich in den Luxuspelz der Chefin einzunisten. „Heute die Drahtbürste, Frau Helga, ja?“ Ist das erledigt, muss noch eine Runde Staniolball-Golf gespielt werden. Ich forme eine – selbstverständlich – neue, die alte ist gestern im Gartenbeet gelandet – eine neue Staniolkugel, die ich so lange durchs Wohnzimmer werfe, der sie dann mit Schwung und unternehmerischer Ausdauer nachjagt – bis das Pensum des Tages erledigt ist – … und ich auch. Nun habe ich frei. Und kann meinen eigenen Dingen nachgehen. Madame geht auf Inspektionstour durch den Garten und die Nachbarschaft. Sie erachtet dies als stets wiederkehrende und oberste Pflicht und unumgänglich. Die Konkurrenz schläft nie. Und sie will das Terrain selbst sondieren. Ich stürze mich unterdessen voll Dringlichkeit auf meine liegengebliebenen Arbeiten. Waschen, putzen, kochen, bügeln. Ich habe wenig Zeit. Madame könnte ja bald wiederkommen. Diese Zeitspanne ist unangenehm ungewiss. Mal ist sie nach 5 min. wieder da, mal ist sie erst am Abend wieder in der Firma. Sie nimmt sich diese Freiheit wie selbstverständlich. WENN sie dann kommt, ist das nächste Döschen fällig und DAVOR hab ich an der Terrassentür ihren Blick zu erhaschen, umgehend zur Tür zu stürzen und zu öffnen. Frau Lilly hat 10 cm daneben eine Katzenklappe. Aber DIE wird selbstverständlich nur in Notfällen benutzt. Man MUSS von seinen Mitarbeitern immer mal wieder zwischendurch Ergebenheit einfordern und ihnen zeigen wo ihr Platz ist. Sie verlieren sonst jeglichen Respekt. Ich verstehe ihre Ansichten durchaus. Frau Lilly möchte trinken. Ich hatte schon heute morgen, bevor Madame erschien, das allmorgendliche Wasserschälchen bereitgestellt. „Aber Frau Helga! Ich betehe auf Trinkwasserqualität. Das ist eine warme Plürre. Es hat 35 Grad draußen. Sie wollen wohl, dass ich mir einen Virus einhandle.“ Noch während sie sich an der schnell herbeigeschafften, frischen Wasserschüssel delektiert, vermeine ich Ausläufer ihres ach so oft verharrenden Unmutes zu verspüren, die in meine Richtung strömen. Was aber auch natürlich einer kleinen Ängstlichkeit meinerseits entspringen kann. Ich bin … ich muss zugeben … ein BISSchen verliebt in meine Chefin. Oh, ganz in Ehren … ich
bewundere ihre Stärke, ihr Selbstvertrauen, ihre Eleganz und ihre Weltgewandtheit, ihre Unerschrockenheit und ihre Todesverachtung. Letztere hat sie schon mehrmals gegen Killerkater Adolf aus der Nachbarschaft unter Beweis gestellt. Ja, Madame verteidigt ihre Firma bis zum letzten Barthaar. Dafür lieben wir sie ja. Und sind ihr dankbar. Sie erhält durch ihre bloße Anwesenheit unseren Arbeitsplatz. Und so viel Selbstlosigkeit MUSS doch bewundert werden. ENDE