Titel: Waschbär
K3 Literaturpreis 2012 Beitrag 17 Kennwort: Wolfsbarsch Codewort: "Wolfsbarsch"
Waschbär
Als meine Frau schwanger war, begann sich mit dem Fötus in ihrem Bauch auch ihr Geruchssinn zu entwickeln. Waren es vorerst vor allem Wohlgerüche, welche sie mit ihrer an sich schon sehr feinen Nase immer besser wahrnehmen konnte - sämtliche Mittagsmenüs im Gemeindebau zu erkennen war ihr ein Leichtes - so entwickelte sich allmählich auch die Empfindsamkeit für die nicht so feinen Gerüche des Lebens, was, wie man sich denken kann, zu mancherlei Problemen führte. Namentlich der Geruch des menschlichen Körpers begann ihr zunehmen Unbehagen zu bereiten, sodass es für mich - wollte ich ihre nahe sein, und das wollte ich häufig, sehr bald mit einmaligem Duschen am Tag nicht mehr getan war. Ich begann also, meine Körperpflege zu intensivieren. War es anfangs nur heißes Wasser mit den üblichen Duschzusätzen, mit dem ich mehrmals täglich meinen Körper zu desodorieren suchte, so ging ich bald dazu über, entsprechende Reagenzien der chemischen Industrie zu verwenden - das Geschäft in den umliegenden Drogeriegroßmärkten boomte. Bald war auch das ungenügend und es erwies sich als erforderlich, meinen Körper mit Bürsten und Tüchern zu malträtierte. Als auch das schon kurze Zeit später nicht mehr ausreichte, forcierte ich die thermische Behandlung, indem ich die Armaturen der Dusche so veränderte, dass das Wasser mit mindestens 80 Grad Celsius herausschoss. So war ich dann, wenn wir zusammen ins Bett gingen, vom heißen Wasser rot wie ein Krebs. Die von der chemischen Vorbehandlung aufgeweichte Haut hielt den Bürsten nur mehr ungenügend stand und hing mir in Fetzen von Leib. Obwohl die Wunden tagsüber im Büro heilten, vom gesundheitlichen Standpunkt also nichts gegen die befristete Fortführung dieser Praxis sprach, gab es bald ein weiteres Problem. Trotz intensivster Behandlung hielten sich offensichtlich immer noch 1
Titel: Waschbär
Kennwort: Wolfsbarsch
einige wenige Moleküle des "Geruches nach Mann" unter den Achseln und vor allem natürlich an einer anderen Stelle. Die Behandlung mit heißen Dampfstrahlen, zur technischen Reinigung von öligen Maschinen entwickelt, schuf hier vorübergehend Besserung. Bald hatte sich die Empfindlichkeit ihrer Nase soweit gesteigert, dass sie ihren eigenen Körpergeruch, trotz vergleichbar intensiver Körperpflege, als unangenehm wahrnahm. Damit hatten vorerst die Freuden der Geschlechtlichkeit ein Ende gefunden und wir saßen gemeinsam nächtelang mit glühendem Köpfen und mit glühenden anderen Körperteilen - der Hormonstau tat das seine - um eine Lösung zu finden. Endlich kam die rettende Idee. Wir kauften uns einen alten Waschkessel, füllten ihn mit Wasser und den schärfsten Waschmitteln, die wir finden konnten. Dann schürten wir darunter ein anständiges Feuer und einer von uns stieg hinein. Das endlich eliminierte jeden Körpergeruch, aber leider nur solange, als wir uns in dem Kessel befanden. Also mussten wir zu zweit hinein. Natürlich kostete es uns einige Zeit, die richtigen Zusätze zu finden. Optische Aufheller taten unserem Teint nicht gut und Weichmacher verbaten sich von selbst. Der Kessel war eng, aber mit intensiver Gymnastik gelang es uns, fast schon zu Schlangenmenschen geworden, trotz des immer größer werdenden Bauches meiner Frau, dieses Verfahren bis zum Ende der Schwangerschaft zu praktizieren. Die Geburt verlief unkompliziert. Bis auf ein paar aufsteigende Seifenblasen, welche die Hebamme in größte Verwunderung versetzten, uns aber in keiner Weise erstaunlich vorkamen, brachten wir einen prächtigen Jungen zur Welt. Dieser zeichnete sich besondere Reinlichkeit aus. Waschbär, wie er von seinen Freunden und bald auch von uns gerufen wurde, zeigte anfangs in der Schule nur mäßige Leistungen, glich dies aber durch Sauberkeit und Ordnungssinn aus, sodass er eines Tages die Reifeprüfung bestand. Trotz wesentlich besserer Aussichten - wir hätten ihm auch ein
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Titel: Waschb채r
Kennwort: Wolfsbarsch
Studium bezahlt - begann er, auf eigenen Wunsch, als Portier in einer Waschmittelfabrik zu arbeiten, welche er, nach vielen Zwischenschritten, f체nfzehn Jahre sp채ter als Konzernchef 체bernahm.
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