BILDERRÄTSEL
K3 Literaturpreis 2012 Beitrag 28 Codewort: "Bilderrätsel"
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Bilderrätsel „Sag, gefall ich dir so?“ schreckt ihn ihre Frage auf. „Natürlich, Schatz!“ brummt er zurück. Sie ist nicht überraschend, nicht zum ersten Mal gestellt, fast schon tägliches Ritual, und doch ... er stutzt. Sie scheint ihm diesmal etwas anders zu sein, lauernder, fordernder. „Du schaust ja nicht einmal her!“ schmollt sie. „Doch“, lässt er von seiner Zeitung ab und wirft einen flüchtigen Blick auf sie. „Du gefällst mir sogar sehr!“, entgegnet er seufzend und will schon weiterlesen, als sie nicht locker lässt „besser oder schlechter als vorher?“, diesmal schon etwas ungeduldiger. Jetzt ist er alarmiert. Nun gilt es, aufzupassen! Was heißt hier „vorher“? Vor was? … Und vor allem: Was heißt hier „so“? Was sollte früher gewesen sein und was jetzt? Wie sollte er denn das wissen? Ist das ein Spiel „ich seh etwas, was du nicht siehst?“ – oder gar eine Falle, ein Partnerschafts-Aufmerksamkeits-Test? Was meint sie da überhaupt? Vorsichtig, um sich nicht vorzeitig festzulegen, antwortet er „Liebling, du gefällst mir so, wie du bist!“ „So sag schon, besser oder schlechter?“ insistiert sie, nun schon mit diesem gewittrigen Unterton, den er nur allzu gut kennt. „Du weißt doch, mir kommt es auf den Inhalt an und nicht auf die Verpackung!“ versucht er neuerlich mit Diplomatie seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, jedoch …. „Besser oder schlechter als vorher?“ wird ihre Stimme nun kompromissloser. Jetzt gibt es keine Ausflüchte mehr. „Na?“ stößt sie nach. Jetzt heißt es, Farbe bekennen. Nun fällt die Münze, Top oder Flop. Nun gilt es, sich entscheiden, ... jedoch - für was? Schweißtropfen glänzen bereits auf seiner Stirn, als er endlich todesmutig antwortet „ … besser!“ Jetzt, wusste er, war es heraußen, gab es keine Ausflüchte mehr, nun liegen die Karten auf dem Tisch! Aber immerhin, er hatte sich geäußert, klar, deutlich und unmissverständlich! Die Situation war gerettet! Befreit lehnt er sich zurück und wendet sich erleichtert wieder seiner Lektüre zu, … als ihn neuerlich, diesmal noch unerbittlicher als zuvor ihre Frage trifft: „Was?“ Erschrocken schaut er auf. „Was heißt ‚was’?“ versucht er, Zeit zu gewinnen. Doch immerhin, … fasst er Mut, immerhin war ihre Entrüstung ausgeblieben, das war ja schon was. Also schien seine Antwort nicht ganz falsch gewesen zu sein. „Was gefällt dir besser als vorher?“ lässt sie nicht locker, in einem schon inquisitorischen Tonfall, der dem nichts Gutes verhieß, der sich der Antwort verweigerte. Doch wie um alles in der Welt sollte er denn wissen, was sie meint? Warum war sie bloß so schrecklich vage? Typisch Frau, nur nicht präzise sein! Warum kann sie nicht klar formulieren: ‚Schau, ich habe dann und dann dies und jenes geändert, was meinst du dazu? Wenn sie eine fundierte Antwort wollte, warum könnte sie nicht zusätzlich als Hilfestellung ein Foto von zuvor zum Vergleich vorzeigen - und somit klare Entscheidungsgrundlagen schaffen? Aber nein, nun sollte er auch noch Gedanken lesen können! Noch dazu ihre, die ihm doch schon immer so viele Rätsel
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aufgegeben haben! „Na, ja“, probiert er es noch einmal, „du siehst irgendwie … besser aus, … als …“ schluckt er hilflos „… als vorher!“ „Es ist dir also aufgefallen? freut sie sich. „Na selbstverständlich!“ bestätigt er völlig ahnungslos, doch mit dem Brustton der Überzeugung. Er atmet schon erleichtert auf, nun ist ja alles gut, … als sie nachfragt „ … Was?“ „Na, hör mal“, gibt er sich selbstbewusst „du siehst jetzt wirklich gut aus, … ich meine, … schicker!“ Da sollte nichts schief gegangen sein, hofft er verzweifelt. Welche Frau könnte auch so einer Feststellung widersprechen? Doch diese Hoffnung war trügerisch. „Wie meinst du das?“ hakt sie nach. „Na, ja, du bist … anders halt, … als zuvor.“ „Meinst du, es steht mir so auch?“ versucht sie es noch einmal. „Schon wieder dieses verflixte ‚so‘!“ Nun geht seine Seele auf Nadeln. Weshalb fragt sie? Weshalb fragt sie so? Verunsichert betrachtet er sie noch einmal genau, von Kopf bis Fuß, von Fuß bis Kopf, versucht, herauszufinden, was sie denn meinen könnte. Doch so sehr er sich auch bemüht, es fällt ihm nichts auf! Er ist ratlos. Sie ist sie! - Reicht das nicht? Was kann sie bloß gemeint haben? Wie war sie denn eigentlich vorher gewesen? Er zermartert sein Gedächtnis. Wie könnte sie da bloß ausgesehen haben? – Und vor allem … was könnte jetzt anders sein? Wie bei einem Bilderrätsel, „das rechte Bild unterscheidet sich vom linken durch 5 Fehler!“. Darin war er schon immer schlecht gewesen – und nun sollte der Vergleich sogar unter erschwerten Bedingungen erfolgen, mit einem ohnehin bloß nur noch vage vorhandenen Bild in seiner Erinnerung! … Er war chancenlos! Nochmals mühte sich sein Blick von oben nach unten, von unten nach oben, … doch nein! Es fiel ihm nichts auf, gar nichts. Verflixt! Sie war sie, das war klar, doch im Detail? Was könnte sie da bloß meinen? Natürlich nahm er sie wahr, war sogar froh, sie zu sehen, doch er unterzog sie doch nicht bei jeder Begegnung einer sorgfältigen Sichtkontrolle auf Identität, auf etwaige Abweichungen, auf Verbesserungen oder – wollte sie das wirklich? – auf zwischenzeitlich entstandene Mängel! Wusste sie, was sie dadurch heraufbeschwören könnte? Dass sie dadurch die Büchse
der
Pandora
öffnen
könnte?
Bei
jeder
Begegnung
eine
pedantische
Bestandsaufnahme, womöglich mit einem kritischen Vergleich, wie sie in ihren besten Zeiten gewesen war, oder, schlimmer, wie sie idealer Weise sein könnte – oder, sogar noch schlimmer, wie sie im Vergleich mit weiblichen Idealen abschnitt? Sie war sie, pasta! - Das sollte doch reichen! Ja, natürlich schaute er sie an! Na, gut, wenn man es negativ ausdrücken wollte, bloß flüchtig, doch - so rechtfertigt er sich still - doch in Wahrheit wohl eher so, wie man einen lieb gewordenen Menschen ansieht, ihn mit einem einzigen Blick zweifelsfrei erkennend, seine Präsenz erfreut registrierend „ja, das bist du, schön, dass du da bist!“ - Das reicht doch, das sollte doch reichen!
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Man muss einen Menschen doch nicht ständig hinterfragen, ihn zu einem Objekt herabwürdigen, das eine kritisch-distanzierte Ist-Zustandsbewertung erfordert. Er sieht sie an, nicht gleichgültig, interesselos, nicht wie ein Möbelstück, sondern wie man eben Vertrautes, lieb Gewordenes ansieht - und nicht wie ein Buchhalter, der Inventur macht! Sie war sie, das war festgestellt und bestätigt, eine nähere Prüfung erübrigt sich doch! … Und dann fragt sie so!“ Die Natur muss sich doch etwas dabei gedacht haben, wenn wir so sind, wie wir sind, verteidigt er sich insgeheim, und dass wir die Details nicht mehr bewusst wahrnehmen von dem, was uns bereits gut vertraut ist! So wie ein Geldschein, der, beinahe täglich in der Hand gehalten, seit Jahren, Jahrzehnten verwendet, nicht mehr im Detail registriert wird, dessen Wahrnehmung auf die Bestätigung seiner Präsenz reduziert ist „er ist da - wie beruhigend“, aber der doch nicht jedes Mal kritisch beäugt und analysiert wird – wozu denn auch? Er könnte wetten, dass auch sie nicht in der Lage wäre, die Vorder- und Rückseite eines Geldscheines zu beschreiben oder wenigstens deren Motive! Heißt das, dass er deshalb weniger wert, weniger geschätzt ist? Es wäre doch vielmehr ein negatives, ja ein bedenkliches Zeichen, ein Ausdruck tiefen Misstrauens, würde man ihn stets aufs Neue akribisch betrachten und prüfen: „Ist er wirklich echt? Ist wirklich noch alles so, wie es sein sollte? Soll ich mit einer hinterlistigen Fälschung getäuscht werden?“ Wir prüften doch nur, wenn wir Betrug vermuten müssten, zur Selbstverteidigung, als Schutz vor Schaden und Enttäuschung, doch nicht in einer vertrauensvollen Begegnung! Es ist doch kein Zeichen der Geringschätzung, wenn man den Bilderrätsel-Test nicht besteht, argumentiert er weiter. Ist es denn wirklich erforderlich, sie jedes Mal erkennungsdienstlich zu begutachten, auf Veränderungen, neue Falten, graue Haare oder die Anspannung ihres Hosenbundes „Schatz, ich merke, deine Hose ist eingegangen!“ Ist es nicht sogar positiv zu werten, wenn er sie bereits auf den ersten Blick erkennt, wenn schon von weitem ihr Anblick seine Gefühle erklingen lässt, noch ehe sie im Detail erfasst ist, als ob die Seelen auf Resonanz gestimmt wären und sie zwischen ihnen ein unsichtbares Band spannte? Natürlich bemerkte er sie, die Zeichen der Veränderung, die Signatur der Jahre, die Fältchen, die sich in ihre Haut graben, ihre syssiphosischen Schmink-Retuschen, die Haare, die allmählich grauer werden - und doch macht er sich dies nicht ständig bewusst, hat er noch immer ihr Bild vor sich, von damals - und wird es wohl weiterhin haben, trotz der Bearbeitung durch den Bildhauer Zeit. Sie war doch seine Freundin, die er noch immer liebte wie beim ersten Treffen, als er entbrannte, als es ihn durchfuhr „die oder keine!“ - und das war schon … also, mindestens … genau genommen, … kurz gesagt, … na, ja, … wenn man es bedenkt … immerhin … jedenfalls schon … sehr lange her. Sie gefiel ihm immer noch,
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und jetzt sollte die Antwort auf so eine verzwickte Frage fehlerlos sein und zum Beziehungstest werden? Noch immer wartet sie, inzwischen mit in die Hüfte gestemmten Händen, erwartungsvoll, auffordernd, ihm im Stillen zuschreiend, „siehst du denn nicht, was doch so offensichtlich ist, dass ich beim Friseur war, dass ich mir die Haare schneiden ließ?“ Hin und her gerissen zwischen Vorwurf und Enttäuschung, mit an den Boden gerammten Beinen steht sie da, klagen ihn ihre Augen an „Bin ich dir denn schon so gleichgültig geworden? Ist das denn alles, was noch übrig geblieben ist: Nur mehr Gleichgültigkeit, Geringschätzung und Ignoranz?“ Sie schwankt noch zwischen Aggressivität und Resignation, als er sich langsam erhebt, die sich spröde Versteifende in den Arm nimmt und ihr ins Ohr flüstert „Weißt du, ich sehe dich mit meinem Herzen! Ich finde dich noch immer so begehrenswert wie damals. Für mich warst und bist du wunderschön, vorher – und jetzt!“ Die Worte verlöschen die Glut ihres Zornes, besänftigen die Woge der Enttäuschung und lassen die Anklage in ihren Augen verblassen. Wortlos erwidert sie, wieder weicher geworden, seine Umarmung - und ein befreites, erlösendes Lachen lässt ihr Gesicht erstrahlen und klingt allmählich in einem glücklichen Lächeln aus, das sie so besonders liebenswert macht – und nun ist er ihr gar nicht mehr so wichtig, der Bilderrätsel-Test.
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