K3 Literaturpreis 2012 Beitrag 38 Codewort: "Kordula"
Wer spricht hier von Chaos? Die große Stadt am Rande der Pyramiden fasziniert vor allem durch ihre Kulturvielfalt und Sehenswürdigkeiten, durch die Farbenpracht und den Duft von Gewürzen und Parfüms im Basar, das Glitzern von Schmuck und Souvenirs, das multilinguale Anpreisen von Waren und Feilschen der Händler. Die kleinen Kaffeehäuser, in denen einheimische Männer Wasserpfeife rauchen, die vielen Restaurants, worin man stets gut isst, sowie die Neugier und geschäftige Freundlichkeit der Bewohner, die es niemals eilig zu haben scheinen, runden diese Faszination ab. Unsagbarer Lärm, Schmutz und Staub sind von dieser Stadt ebenso wenig wegzudenken, wie Tausende Müllmenschen und jene, welche auf Friedhöfen wohnen. Ein Hauch von Wüste und 1001 Nacht sind ebenso allgegenwärtig, wie der pünktlich zum Gebet rufende Muezzin. Den Reiz der 15 Millionen Einwohner zählenden Stadt übt nicht zuletzt die Bevölkerung selbst aus, die sich weniger vom Aussehen, als durch die fremdartige und oft unverständlich anmutende Mentalität von uns unterscheidet. Sogar der Verkehr, der an Dichte von anderen Städten kaum zu überbieten sein dürfte, funktioniert hier einzigartig: Man fährt auf zweispurigen Straßen in drei Spuren, auf dreispurigen mindestens vierspurig. Egal ob Auto, Pferdewagen oder Eselskarren, alle haben gleiche Rechte, was soviel heißt wie: Vorfahrt hat jeweils der Lenker, der am schnellsten reagiert. Auch die Abbiegeregeln sind einfach: Man schlägt jene Richtung ein, in die man fahren möchte. Höflich ist es, dabei die Hand aus dem Fenster zu strecken, um diese anzuzeigen. Der Mindestabstand zwischen den Fahrzeugen soll so groß sein, dass sie sich nicht berühren. Fußgänger schlängeln sich beim Überqueren der Straße zwischen stehenden und fahrenden Autos durch, obwohl dafür kaum Platz vorhanden ist. Überquert man die Straße bei fließendem Verkehr, muss man möglichst gleichzeitig Bauch und Hinterteil einziehen und je nachdem, aus welcher Richtung gerade wieder ein Auto kommt, einen Sprung nach vorne oder nach hinten machen. Auf jeden Fall sind solche Aktionen spannender Zeitvertreib, denn es kann schon zehn oder zwanzig Minuten dauern, bis man erfolgreich auf der anderen Straßenseite landet. Für Fußgänger wird grundsätzlich nicht gebremst. Sie haben aber das Recht, die Autofahrer zu beschimpfen. Die wichtigsten im Straßenverkehr benötigten Körperteile für Letztere sind der Gasfuß und die Huphand. Ob eine Ampel grün oder rot zeigt, scheint meist ohne Belang. Als Gast dieser Stadt hält man sich am besten an die Fahrphasen der Einheimischen. Slalomfahren scheint nicht nur erlaubt, sondern Pflicht zu sein. Regeln Polizisten Kreuzungen, stehen sie wohlweislich am Rande und nicht in der Mitte derselben, weil sie anderenfalls Gefahr liefen, wie Fußgänger behandelt zu werden. Durch schrilles Pfeifen und entsprechende Armzeichen geben sie den Wechsel der vorrangigen Fahrtrichtung an. Mittels lang anhaltenden Hupens tut man kund, dass man es eilig hat. _________________________________________________________________________________________ _ Kordula; Seite 1/2
Der gesamte Straßenverkehr funktioniert relativ geschmeidig und fließend, wenn auch für nicht einheimische Beobachter ohne System, an das sich aber dennoch alle zu halten scheinen. Unfälle passieren äußerst selten. Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass - obwohl sich die Verkehrsteilnehmer gegenseitig beschimpfen - sie dies lachend tun und dabei stets gut gelaunt sind. Offenbar sehen sie den Straßenverkehr als eine Art Sport an. Und Sport soll ja schließlich Spaß machen!
Codewort: KORDULA
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