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Kindheitserinnerung

 Meine frühsten Erinnerungen sind die besten die ich habe. Sie sind geprägt von fröhlichen Gesichtern, die mir sinnfreie Laute zurufen und von jeder Menge toller Sachen, die mich umgeben und die es zu erforschen galt. Doch das schönste daran war die Sorglosigkeit, die mit steigendem Alter allmählich verschwand oder Umschwung in eine leichte Verbittertheit, die mich tag-täglich umgibt. Die schlimmen Ereignisse der Kindheit, sind diejenigen welche gar nicht existieren. Sie sind einfach von meinem Gedächtnis in eine dunkle Ecke verbannt worden um mir eine schöne Kindheit vorzugaukeln. Um diese Kindheit sorgenfrei zu machen, dass auch der Erwachsene, der aus dem Kind wird, keine Schäden davon trägt und das Leben meistern kann. Schließlich ist das Leben schwer genug, auch ohne dieses Extra-Paket, welches man nicht nur mit sich rumschleppt und auch zu bearbeiten, zu beheben versuchen muss. Der Kampf im Kampf, und ein leichtes schönes Leben scheint eine Ewigkeit entfernt zu sein. Diese Erinnerungen sollte man in seinem Versteck lassen, wo man sie als Kind weise verstaut hat, doch sie einfach an der nächsten Ecke liegen lassen und weiterleben kann man leider nicht. Sie sind da, dass spürt man, aber das ist auch schon alles was man darüber weiß. Also mit meinen verstauten, höchstwahrscheinlich grauenvollen und deswegen verdrängten Erinnerungen im Gepäck, zog ich weiter auf meinen Weg durch die unbewusst schöne Kindheit Richtung Teenagerhölle. Dazwischen war viel das mich prägte für mein weiteres Leben. Dinge, die ich zu vergessen versuchte, aber die anscheinend nicht schrecklich genug dafür waren. Was wohl immer wichtig war für mich aber auch für so gut wie alle anderen Kinder waren neben unbegrenzten Zugang zu Süßwaren und Spielzeug, natürlich nur das neueste und modernste, waren Freunde mit denen man alles teilen konnte, oder auch nicht. Es gab natürlich auch in meinen Freundeskreis ein Kind, welches nicht geben sondern nur nehmen wollte. Einen kleinen Roadie, der am liebsten kleine zarte Seelen ausnutzte, die keine Freunde hatten und sich insgeheim ungeliebt fühlten. Diese galt es für das Roadie Kind zu bestechen unter dem Motto `Deine Süßigkeiten für meine Freundschaft`. Dieses Konzept zieht sich meistens durchs ganze Leben, die Einen unterdrücken die Anderen. Starke und schwache Menschen oder einfach Leute mit mehr Selbstvertrauen und solche die weniger gesegnet sind. Ich war immer sehr verwirrt von dieser Rangordnung am Spielplatz, darum wollte ich gleich ganz darauf verzichten. Meine Strategie war es mich einzusperren und mit niemanden zu reden um mich nicht ausnutzen zu lassen. Später merkte ich, dass ich mir vielleicht doch etwas anderes überlegen hätte sollen. Denn so wurde ich immer mehr zum Stubenhocker und verlernte oder erlernte nie soziale Kontakte zu haben und diese zu pflegen. Meine beste Freundin war meine Cousine, die ich jeden zweiten Monat einmal sah und auch mein Hamster und mein Fernseher lagen mir sehr am Herzen. Letzter weil ich mich immer unterhalten fühlte, ich konnte lachen und weinen, Gefühle empfinden ohne selbst etwas zu unternehmen. Und ich lernte wie andere Kinder sich verhielten oder sich zu verhalten hatten. Insgeheim hoffte ich im Alter würde alles leichter werden und Freundschaften sowie Beziehungen würden sich von allein ergeben, ich müsse

Ulrike Hermann


mich nur hübsch zurecht gemacht vor die Haustür setzen, der Rest würde sich ergeben. Naja, auch hier hatte ich wohl einen Denkfehler gemacht. Doch diese Hoffnung brachte mich durch schlechte Zeiten, also setzte wieder mein geliebter Selbstschutz ein. Diesen würde ich noch brauchen. Die Zeit im Kindergarten genoss ich sehr, sie war zurückblickend der erholsame Teil meiner Kindheit. Ich war zwar auch hier nicht sehr aktiv aber ich war auch nicht gänzlich aus den Geschehnissen ausgegrenzt. Es gab auch bei mir Geburtstagsfeiern und Spielnachmittage zu denen ich von anderen Kindern eingeladen wurde. So normal ich mich verhielt, hatte ich doch immer das Gefühl anders zu sein und aufpassen zu müssen um nicht aufzufallen. Ich wusste nicht wie man sich normal verhält und sah mich eher als Mensch, der dazugehören musste, als das Kind, das ich war. Es könnte sein, dass meine ständige Angst davor anders zu sein von meinen verdrängten Erinnerungen kommt. Meine Kindergartenzeit war trotz ihrer Leichtigkeit im Vergleich anderer Lebensabschnitte doch überschattet von einem Gefühl der Angst. Wenn ich mich selbst als das kleine Mädchen nochmal ansehe, welches ich war, als objektiver Erwachsener, muss ich weinen weil ich die Angst in ihren Augen sehe und die Verzweiflung, weil man sie nicht ernst nimmt und ihre Ängste als kindliche Übertreibung abtut ohne sie zu hinterfragen. Ich möchte diesen Mädchen helfen, da es sonst niemand tat. Woher diese Angst genau kam wusste ich selbst nicht, doch sie war einen gewissen Menschen gegenüber da. Weder die Nähe noch die Vorstellung ihn zu sehen ertrug ich. Mein Elend war Groß und meine Depression breitete sich immer weiter aus. In meinen Träumen verfolgten mich Szenen, bei denen ich nicht wusste ob sie nicht wirklich so geschehen waren und auch im wachen Zustand spürte ich Hände, die nicht da waren. Diese Hände kamen aus dem Nichts und berührten mich auch. Stimmen hörte ich manchmal, die meinen Namen riefen. Wenn so etwas passierte versteckte ich mich unter einer Decke und betete zu Gott, dass er mich beschützen solle, bis alles vorbei war. Ich wusste nicht ob diese Dinge real waren, ob ich von Geistern verfolgt wurde oder ob mein Kopf mir einen Streich spielte. Lange Zeit traute ich mich nicht darüber zu reden und als ich es endlich meiner Mutter erzählte, meinte diese, dass es sich um die armen Seelen handelte, die mich verfolgten, ich müsse eine Messe für diese Seelen zahlen und sie würden in den Himmel gehen. Diese Geschichte war zwar wie ein Faden im Labyrinth für mich, doch ich konnte und wollte mir nicht vorstellen, dass eine Geldspende an die Kirche die Lösung meiner Ängste sei. Neben der Tatsache, dass ich noch ein Kind war und kein Geld besaß entschloss ich mich gegen ihren Ratschlag und dieses Thema wurde auch nie wieder aufgegriffen. Immer wenn ich versuchte mich meinen Ängsten zu stellen und Erinnerungen hervor zu rufen setzte meine Migräne ein. Ich leide an sehr starker Migräne so lange ich denken kann. Sie setzt einmal im Monat ein und dauert dann einen ganzen Tag lang an. An einen solchen Tag kann ich nichts unternehmen, da es mir sogar schwer fällt zu denken oder gar mich zu bewegen. Mein Körper erleidet solche Schmerzen, dass ich mich im Stundentakt übergeben muss und dazwischen wieder schmerzen erleide. Auch meine spätere Therapeutin entdeckte einen Zusammenhang zwischen meinen Schmerzen und meinen verdrängten Erinnerungen. Sie versuchte mit Hilfe von Hypnose meine Erlebnisse wieder hervor

Ulrike Hermann


zu holen, doch mein Körper reagierte sehr stark darauf, dass sie den Versuch abbrechen musste. Nach dieser Sitzung musste ich mich im Warteraum hinlegen und konnte erst eine Stunde später nach Hause fahren. Meine inneren Dämonen wollten weder zum Vorschein kommen, noch wollten sie sich besiegen lassen. Das einzige was ich unternehmen kann, ist zu akzeptieren was in der Vergangenheit geschehen ist und weiter zu machen. Das Leben ist nie einfach und jeder Mensch hat zu kämpfen um seine bösen Geister zu besiegen. Dadurch, dass die Welt kleiner geworden ist, seit wir Internet besitzen, sind die Menschen mit zu viel Information versorgt und werden immer mehr abgestumpft gegenüber den Problemen ihrer Mitmenschen. Wahres Beileid und Verständnis für andere sind Fremdwörter geworden. Niemand der sensibel ist, kann es lange in einem kundenorientierten Beruf aushalten, ohne abgestumpft zu werden oder zu zerbrechen. "Jeder ist sich selbst der nächste" ist nicht eine Redensart sondern eine Tatsache. Wenn man sich nicht daran hält wird man sich im Leben immer hinten anstellen müssen. Doch seine Schmerzen kann man für sich nutzen, indem man stärker wird und stolz seine Narben zeigt nachdem die Wunden verheilt sind. Ich bin getrieben durch meine inneren Stimmen. Diese brachten mich genau hier her, wo ich jetzt sitze, im Hörsaal einer Universität für Psychologie und höre den Professor zu, der über frühe Kindheitserinnerungen spricht.

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