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Darmstadt im Zeichen der Industrialisierung gegen Ende des 19. Jh.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stand Darmstadt ganz im Zeichen einer raschen Industrialisierung. Während 1815 nur wenige "industrielle" Betriebe und im Handwerk gerade einmal 850 Meister und noch weniger Gesellen aufzuweisen waren, zählte ein Darmstadtführer bereits 1836 mehrere Manufakturen auf. Darunter waren eine Tapeten-, eine Hemden-, eine Hut-, eine Spielkarten- und eine Zündholzfabrik sowie eine Maschinenbauanstalt. Die von dem Apotheker Heinrich Emanuel Merck begründete chemisch-pharmazeutische Fabrik produzierte ab 1842 auf dem Gartengelände am heutigen Mercksplatz. 1853 wurde die Bank für Handel und Industrie, die spätere Darmstädter Bank, gegründet, die vornehmlich den Kreditbedarf der Industrie decken sollte. Ein großer Teil ihres Kreditvolumens wurde in Darmstadt platziert. In den folgenden drei Jahrzehnten wurden zahlreiche neue Fabriken gegründet, darunter noch heute klangvolle Namen wie Goebel, Roeder und Schenck. Einen für Jahrzehnte bedeutenden Industriezweig stellte die Möbelindustrie mit Firmen wie Bechtold, Glückert, Alter und Trier dar.

Beginn moderner Stadtentwicklung und modernen Städtebaus Vorbereitet und begleitet wurde die wirtschaftliche Entwicklung Darmstadts von weitreichenden Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur. Diese zielten auf die Modernisierung des Verkehrswesens, die Verbesserung der Energieversorgung und die Berücksichtigung zeitgemäßer Hygienestandards. So wurde im August 1846 der Main-NeckarBahnhof eröffnet und die Bahnstrecke Heidelberg-DarmstadtFrankfurt für den Verkehr freigegeben, womit die Stadt Anschluss an das Eisenbahnnetz erhielt. 1858 folgten die Bahnstrecken nach Mainz und Aschaffenburg, 1869 die Odenwaldbahn und 1871 die Riedbahn von Darmstadt nach Worms. Weitere Verbesserungen der

Gaswerk an d. Landwehrstraße (heute Julius-Reiber-Str.), eröffnet 1855 (Aufnahme 1902) Infrastruktur erfolgten durch die

Einführung der neuen Energieformen Gas und Strom.

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Den wachsenden innerstädtischen Verkehrsproblemen und dem gestiegenen Bedürfnis nach Mobilität begegnete man 1886 mit der Einrichtung der Dampfstraßenbahn, welche Eberstadt, Arheilgen und Griesheim mit Darmstadt verband. Mit dieser Straßenbahn fuhren täglich zahlreiche Schulkinder und Berufspendler nach Darmstadt und zurück. Sie war jedoch zu schwer und zu groß für den Innenstadtverkehr. Daher wurde ab 1897 das steigende Verkehrsaufkommen in der Innenstadt durch die elektrische Straßenbahn bewältigt (Bild auf der Startseite der Geschichtsseiten), die ihren Strom aus dem 1888 errichteten Elektrizitätswerk in der Schuchardtstraße erhielt. Dampfstraßenbahn Durch die Zunahme der Bevölkerung und der Gewerbe- und Industriebetriebe hatte Darmstadt schon seit der Jahrhundertmitte unter einem allmählich unerträglich werdenden Wassermangel zu leiden, der auch zu untragbaren hygienischen Zuständen führte. Mit der Einführung der zentralen Wasserversorgung und der gleichzeitigen Einrichtung einer Schwemmkanalisation seit 1880 entschärfte sich die Situation rasch. Auch auf dem Bildungssektor trug man der Entwicklung Rechnung. Zur bereits 1821/22 errichteten Realund Technischen Schule kam 1836 schließlich eine Höhere Gewerbeschule, die später zur Polytechnischen Schule und 1877 schließlich zur Technischen Hochschule erhoben wurde. Die Einwohnerzahl steigt weiter Bedingt durch die Industrialisierung wuchs die Bevölkerung stetig. Von rund 32.500 Darmstädtern im Jahr 1861 stieg die Zahl der Einwohner auf 88.000 im Jahr 1907, was umfangreiche städtische Bauplanungen zur Folge hatte. In wenigen Jahrzehnten entstanden neue Wohnviertel mit Mietwohnungen wie das Johannesviertel (ab 1871) und das Martinsviertel (seit etwa 1880), nach der Jahrhundertwende das überwiegend villenartig bebaute Tintenviertel im Südosten und die Gartenvorstadt am Hohlen Weg (Komponistenviertel). Auch im 1888 eingemeindeten Bessungen fanden viele Darmstädter adäquaten Wohnraum. Leidtragende der Entwicklung waren die Bewohner des alten Stadtkerns, der erst im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts mit der Stadterweiterung durch Moller zur Altstadt wurde. Wohlhabende Beamte, Kaufleute oder Handwerker zogen in die Neustadt. Die Altstadt wurde das Wohnviertel der kleinen Handwerker und Tagelöhner, gegen Ende des Jahrhunderts zunehmend das der Industriearbeiter. In den engen Gassen herrschten drangvolle Enge und bedenkliche hygienische Verhältnisse. Durch Straßendurchbrüche und Niederlegung von Häusern versuchte die Stadtverwaltung der Altstadt Luft zu verschaffen. Blick über die Dächer der nördlichen Altstadt

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Blick über die freigelegte Trasse der Landgraf-Georg-Straße in die Altstadt und auf die Stadtkirche in Vorkriegsgestalt Darmstadt unter seinem letzten Großherzog Ernst Ludwig 1892-1918 Der letzte Darmstädter Großherzog Ernst Ludwig (1892-1918) war ebenso wie Ludewig I. durch Neigung und Begabung mit den Künsten verbunden. Er malte, komponierte und schrieb Gedichte. Die entscheidende Bedeutung Ernst Ludwigs für die Kunst liegt jedoch in der Berufung von sieben Künstlern nach Darmstadt und der Gründung einer Darmstädter Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe. Künstler formierten sich im Jugendstil in ganz Deutschland zu Produktionsgemeinschaften, den sogenannten Künstlerkolonien. Sie wollten so dem Qualitätsverfall im Kunstgewerbe, herbeigeführt durch die Industrialisierung, entgegen treten. Die erste Ausstellung der Künstlerkolonie Ernst Ludwigs machte Darmstadt zum Zentrum des deutschen Jugendstils. In dieser Ausstellung wurden 1901 sämtliche Bereiche der Kunst, wie Architektur, Raumkunst, Malerei, Bühnenkunst und Gartengestaltung, mit einbezogen. Der Großherzog Die folgenden Ausstellungen zeigten jedoch noch deutlicher, dass die neue Form auch zur Belebung von Gewerbe, Industrie und lokalem Handwerk eingesetzt wurde, was besonders an der Darmstädter Möbelindustrie zu erkennen war. Das Ziel der Künstlerkolonie war eine Ästhetisierung des Lebens. Nicht nur damit ist sie im Kontext der sogenannten „Lebensreform“ zu sehen, einer Reformbewegung der Zeit um 1900, die eine Rückkehr zu naturgemäßen Lebensweisen propagierte und für die Darmstadt zu einem wichtigen Ausgangspunkt wurde.

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Zeitgenössische Postkartenabbildung der Mathildenhöhe 1914; Löwentor von Hötger an ursprünglicher Stelle Ernst Ludwig wurde wegen seiner europäisch-liberalen Einstellung von seinem Umfeld stark kritisiert. Dabei sah er, als einer der Wenigen, die Krise des veralteten Systems und erkannte wohl eher als der Kaiser selbst, dass dynastische Beziehungen in der Politik der Nationalstaaten keine Rolle mehr spielten. Er akzeptierte die Revolution von 1918 und konnte aufgrund seiner Beliebtheit auch nach der Absetzung seine angesehene Stellung und die seiner Familie in den Jahren des Volksstaates Hessen (1918-1933) behalten.

Schlange vor der Metzgerei Wilhelm Reitinger in der Soderstraße während des ersten Weltkriegs, ca. 1916 Ein Stadtplan Darmstadts aus dem Jahre 1902 findet sich hier

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