ZEITDRUCK 1/97

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Ausgabe 1/97 - Herausgeber: KARUNA - Freizeit ohne Drogen Int. e.V.

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Straßenmagazin von jungen Ein- und Aussteigern

Thema: Lüge & Wahrheit Interviews u.a mit Berlins Innensenator Schönbohm und den Böhsen Onkelz

Preis: 3 DM - zwei davon an den Verkäufer


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Ich gehe los. Irgendeine Straße entlang. Ich erwarte nicht viel, suche nur etwas Neues und hoffe, daß ich es finden kann. Dann stehe ich wieder vor der Tür, die ich schon mal geöffnet hab’ und ich weiß, es fängt wieder dort an, wo es schon tausend Mal begann! ..........................................

Irina


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die eröffnung „Lüge und Wahrheit“ sollte das Leitthema dieser Ausgabe heißen. Vor allem weil Straßenkids in letzter Zeit medientechnisch arg gebeutelt wurden. Als Beweis und Einleitung entstand...

Kerstins Frusteditoral

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lle Jahre wieder kommen die Journalisten.”Falls mancher Leser jetzt Zweifel an seinem Gedächtnis bekommt, keine Angst, das Original lautet natürlich anders. Aber für uns - die Zeitdruckschreiber d.h. Stras­senkids und Ex-Straßenkids könnte dieses Weihnachtslied wirklich so anfangen. Pünktlich, jedes Jahr kurz vor Weihnachten, “tauchen” in der Redaktion und an den Szenetreffs Alex und Zoo Zeitungs- und Fernsehteams auf, um in der Vorweihnachtszeit ihr Publikum mit möglichst mitleiderregenden “Tränen­drü­sen­stories” zu versorgen und das Medienobjekt Straßenkind gut zu verkaufen. Leider nehmen einige Journalisten es mit der Wahrheit nicht so genau, um ihre Story möglichst spektakulär zu machen und vielleicht auch um mehr Geld zu verdienen. Mit einem besonders verlogenen und geldgierigen Exemplar der Spezies Schreiberling bekam ich es im Dezember 1996 zu tun. So kamen an einem kalten Dezembertag zwei junge Männer zu Zeitdruck, die sich als Christian Thiele und Axel Krull von der Münchener Abendzeitung vorstellten und eine Reportage über ein “echtes” Straßenkind schreiben wollten. Da ich zu diesem Zeitpunkt als einziger Vertreter dieser “Gattung” anwesend war, hat es also mich erwischt. Die beiden waren ziemlich nett, stellten auch nicht so dumme Fragen (wie z.B. Bist Du eigentlich auch vergewaltigt worden? Ja? Erzähl doch mal!”; Frage einer Fernsehjournalistin an ein fünfzehnjähriges Mädchen!) und verlangten auch keine unmöglichen Posen bei den Photos (andere Kids wurden von anderen Photographen gebeten sich mit dem Schlafsack mitten auf den Alex zu legen oder anzudeuten,wie man sich Heroin spritzt, obwohl sie gar keins nahmen). Wir dachten, daß die beiden wirklich sauber arbeiteten. Die Überraschung kam ungefähr vier Wochen später. Ich erfuhr durch Zufall, daß ein Artikel über mich in einer norddeutschen Zeitung erschienen war. Das machte mich stutzig, ich hatte dieser Zeitung ja gar kein Interview gegeben! Also zog ich nähere Informationen über diesen Artikel ein und oh Wunder: der Verfasser war kein anderer als CHRISTIAN THIELE!!! Einen Tag später habe ich ihn dann angerufen. Schade das Herr Thiele nicht vor mir stand. Ich hätte zu gerne gesehen, ob er bei

seinen frechen Lügen wenigstens rot geworden ist. Der saubere Herr Journalist war der Meinung, daß er mir schon vor dem Interview gesagt hätte, daß er freier Mitarbeiter der Münchner Abendzeitung ist und die Absicht hat die Reportage ungefähr DREIßIG Zeitungen anzubieten! Falls besagter Herr diese Ausgabe lesen sollte, kann ich ihm nur noch einmal mitteilen, daß mir und den Zeitdruck - Mitarbeitern (von denen einer bei dem Interview dabei war) diese Infos vor dem Telefonat nicht bekannt waren, wahrscheinlich hätte ich dann nicht “mitgespielt”. Ich bin keine Attraktion im Zirkus, sondern ein ganz normaler Mensch wie jeder andere. Ich weiß ja nicht wie es ihnen gefallen würde ... An diesem einfachen Beispiel kann man sehen, daß der Schein manchmal trügt und das Lüge und Wahrheit dicht beieinander liegen.

Kerstin

Werbung hat kurze Beine I

In dieser Ausgabe ...die Wahrheit über einen Freitag in der Zeitdruck-Redaktion............... 2 Sich selbst nicht belügen................. 5 „Wenn die jungen Leute sich zusammentun“ Interview mit Berlins Innensenator Schöhnbohm... 6 Ein Gedächtnisprotokoll................... 9 Wa(h)re Lüge ............................... 10 „Gefährlich, wenn die Leute schlafen!“ Gespräch mit dem New Yorker Grafiker Eric Drooker..................... 11 Der Sündenbock............................ 14 Der Clown..................................... 15 Die Böhsen Onkelz ZEITDRUCK-Exclusiv-Interview...... 16 Der Sumpfreiter . .......................... 18 ZEITDRUCK-TV - die Erste.............. 19 “Nein!“ schrie ich, “Ja!“ mein Arm.. 20 Das Schweigen............................. 22 Zahme Vögel singen von Freiheit wilde Vögel fliegen!....................... 23 Dany, machs gut!.......................... 24 Lebe ich?...................................... 25 ZEITDRUCK-Rechtsecke................ 26 „Von der Schizophrenie“ Zoras neuer Roman....................... 29 lyrics............................................ 30 „Wie das Leben so läuft...“ ........... 32 Impressum................................... 33


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Sugar, die eigentlich Claudia heißt (was aber kaum jemand weiß) ist seit kurzem der gute Geist bei ZEITDRUCK. Sie enthüllte...

...die Wahrheit über einen Freitag in der Zeitdruck-Redaktion E

igentlich beginnt der Arbeitstag zu einer recht angenehmen Zeit, 10.00 Uhr. Wenn man die Redaktionsräume betritt, sieht man Karsten schon heftig arbeiten, da er als Familienvater jeden Morgen sehr früh anfängt, um den Nachmittag und Abend Zeit für seine Kids zu haben. Er bastelt gerade an einer seiner Anti-Werbeanzeigen (siehe unten). Erstmal werden die Fenster aufgerissen (eine Lieblingsbeschäftigung von Jörg, der dann meist das ausgekühlte

Areal schleunigst verläßt) um genug Sauerstoff für den Tag hineinzulassen und die Rauchschwaden des vergangenen Tages zu verscheuchen. Wenn dann die erste Kaffeekanne gefüllt ist, mit dem für manche Leute unverzichtbaren Getränk, kann der Tag beginnen. Ralf opfert sich für eine der zahlreichen SozialpädagogikstudentInnen, die einer völlig neuen Inspiration folgend, ihre Hausarbeit mal über ein ganz anderes Thema schreiben will (nämlich über Straßenkinder), um willig all die

Fragen über Projekte, Straßenkinder, Straßenkinderprojekte, Kinderprojekt Straße ... zu beantworten. Frekkl verschanzt sich heimlich, still und leise hinter seinen Vertriebs­abrech­nun­gen. Würfel betritt, sofern sie die erste Cola bereits getrunken hat, gut gelaunt die Redaktion (sollte sie keine Cola im Haus gehabt haben, nehmt Euch vor ihr in Acht!). Auch unser family-Duo Zora (18) und Sidney (0,5) kommt im blauen Rennwagen - mit Penatenwerbung - früh am Morgen in die Redaktion gerauscht. Wenn dann


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Werbung hat kurze Beine II die Glöckchen klingeln, sind unsere morgendlichen Redaktionsmitglieder komplett. Und los geht’s. Die Telefone klingeln. Die Computer werden angeworfen, um die ersten Meisterschaften im Solitaire auszutragen oder um, wie Silvio, die Redaktion per Surfmouse schnell gen Internet zu verlassen.

Glöckchen schüttelt ein wunderbares und trauriges Sonnen­blumengedicht aus dem Stift und Nina kocht lecker Früchtetee. Langsam, aber stetig füllen sich die Räume...jedoch nicht mit unseren anderen Redaktionsmitgliedern, sondern mit Menschen, die uns öffentlich machen wollen. Vom Grundsatz eine sehr ehrenwerte Angelegenheit, aber im Überfluß wird alles schlechter. Und so verziehen sich die Mundwinkel bei der Ansage, daß Medien kommen, schon lang nicht mehr nach oben, sondern nach unten. Doch sie werden auch an diesem Tag, trotz drehbarer Kameratürme, Kisten voll Technik und endlos künstlichem Licht, wieder oben ankommen. Tatsächlich verändert sich im Laufe des Nachmittags das Verhältnis Presseleute und Redaktionsmitglieder zugunsten der Redaktion, so daß unbeirrt von Mikros und Kameras unsere Redaktionssitzung beginnen kann. Dank Karsten haben die Texte und Geschichten, die in den letzten Wochen entstanden sind, bereits die Form der neuen Ausgabe zum Thema Lüge und Wahrheit angenommen und mit In-

teresse wird der Hefter durchgeblättert und gelesen. Jeder will natürlich etwas dazu sagen und das allgemeine Stimmengewirr muß manchmal mit lauterer Stimme unterbrochen werden. Pepsi´s Sumpfreiter kommt sehr gut an, Zora´s Fortsetzungsroman erinnert an Steven King, muftie´s Comic ist Klasse und Kathrin wird noch einen Bericht über ZEITDRUCK-TV schreiben. Über Lob und Kritik an der Redaktionsarbeit landen wir bei der Entscheidung, daß das Thema für die nächste Ausgabe “Gestern und Heute” sein wird und erste Ideen für Interviews und Texte entstehen. Kerstin und Antje wollen Christiane F. interviewen, Jule möchte lieber zum Thema “schön und häßlich” schreiben. Nach der Diskussion, wer welche Tasse abwaschen muß oder bereits abgewaschen hat, wird es in den Räumen wieder ruhiger. Der blaue Penaten­renn­ wagen fährt vom Hof, da das Babybett ruft, die Mädels sind mit Freunden und Freundinnen verabredet und so schließen wir die Computerprogramme, wischen schnell noch das Klo und geben als kleine Wochenwiedergutmachung den wackeren, tapferen Pflanzen Wasser, die bestimmt froh sind, daß für 48 Stunden die Raucher (nein, vorrangig Raucherinnen) nicht da sind. Und Tschüß Zeitdruck, bis Montag. Sugar


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Wahrheit auf der Straße

Sich selbst nicht belügen Zum Thema Lüge & Wahrheit befragten wir Jörg und Uwe, die auf der Straße neben der Obdachlosenzeitung Motz auch ZEITDRUCK verkaufen.

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enkt Ihr, das Ihr mit der Wahrheit weiterkommt im Leben oder das es mit Lügen einfacher ist klarzukommen?“ Uwe:Ich denk mit der Wahrheit kommt man weiter - erstmal für sich selber und auch, um im Leben weiterzukommen. Jörg: Man sollte bei der Wahrheit bleiben, mit sich selbst und seinem nächsten gegenüber, aber muß auch um im Leben weiter zu kommen immer wieder Notlügen anwenden und auch andere Leute belügen. Im privaten Bereich sollte man aber immer versuchen, ehrlich zu bleiben - vor allem seinen Kindern gegenüber und wenn ich sage so und so ist es, daß ich dann auch dabei bleibe. Und egal wie die Leute ausschauen, sag ich ihnen auch, wenn ich sie möglicherweise verletzte, was ich denke... und das ist manchmal natürlich unbequemer, aber danach weiß

ich wenigstens, wo ich steh, wenn ich die Reaktion der Leute bemerke. Na, und dann gibt es natürlich den großen Unterschied zwischen Lügen und Schwindeln (lacht). Und dann ist die Wahrheit für mich besonders wichtig, wenn ich Zeitungen verkaufe. Ich sage ihnen, welche Zeitung ich verkaufe, was die Zeitung für einen Sinn hat und wer ich bin und welchen Sinn das für mich hat. Daß die Gelder für ein Obdachlosenprojekt genutzt werden und auch mein Leben finanziell unterstützen. Ich sag den Leuten, daß sie die Zeitungen nicht wegschmeißen sollen, sondern lesen und weitergeben sollen, weil, manchmal haben sie auch kein richtiges Interesse, sondern Mitleid und nehmen nur deshalb die Zeitung. Uwe: Ja, aber man merkt ganz schnell, ob es denn Mitleid ist in dem Sinne, ob der Mensch wirklich mit einem Leidet, oder sie nur deshalb “Mitleid” haben, weil sie denken, daß sie etwas Besseres sind. Da habe ich mal einer Frau eine ZEITDRUCK verkauft für zwei Mark und die hat die Zeitung genommen, da stand aber noch die alte Adresse drinnen und als ich ihr das Blatt geben wollte mit der neuen Adresse, da sagte sie nein, nein, das brauch ich nicht und wollte weitergehen und da hab ich gesagt, warten Sie mal geschwind, ich geb Ihnen die zwei Mark zurück und Sie mir die Zeitung. Und da sagt sie tatsächlich zu mir ”Was denn, Stolz hast du auch noch?”. Ich antwortete ihr, daß ich zwar obdachlos bin, aber deshalb trotzdem nicht meinen Stolz verloren habe, die hat sich nicht mehr umge-

dreht die Frau. Und das mein ich, ich brauch zwar das Geld, aber ich muß nicht mich selbst belügen und will meinen Stolz behalten können. Und ich halte nichts von den Leuten, die Zeitungen in der Bahn verkaufen und die unmöglichsten, unwirklichsten Geschichten erzählen. Da hab ich auch mal in der U-Bahn einen Typen mit einem völlig kranken Auge erlebt, der erzählt hat, daß er das Geld bräuchte für eine Augenoperation, die ganz dringend gemacht werden muß. Und da denk ich, daß sich das ja so anhört, als müßte er seine Operation selber bezahlen und das könnte der doch gar nicht, von dem Geld was er kriegt und der muß doch aber auch von irgendwas leben und essen und ich würde es viel ehrlicher finden, wenn er gesagt hätte ‘Du ich bin ein armes Schwein und ich bräucht was zum Überleben, weil ich Hunger hab’ eben ganz spontan die Wahrheit sagen und natürlich sein. Und das machen eben viele Leute, die wollen was sein und schieben was vor sich her und werden doch nie so sein. Jörg: Mir passiert es aber auch, daß die Leute denken, na der hat es doch gar nicht nötig, der ist doch groß und stark, soll er doch arbeiten gehen. Und da muß ich schon sagen, mal ein bißchen langsam, mir sieht man es zwar nicht an, aber ich bin schwerbehindert und zeig ihnen meinen Schwerbehindertenausweis, und ich verkaufe lieber die Zeitungen und tu etwas, um mir ein paar Mark zu verdienen und helfe damit ja auch anderen Obdachlosen, wenn mit dem Geld für die Zeitungen Projekte unterstützt werden.

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Wenn die jungen Menschen sich zusammentun... ZEITDRUCK-Interview mit Berlins Innensenator Schöhnbohm ZEITDRUCK: Woher kommen Sie eigentlich, Herr Schönbohm? Innensenator Schönbohm: Ich bin Brandenburger, geboren in Bad Saarow am Scharmützelsee, hab da meine Kindheit verbracht bis 45. Dann ist meine Mutter mit mir und meinen 4 Geschwistern geflohen und wir sind dann in die Lüneburger Heide gekommen. ZD: Wie verlief ihre politische Laufbahn? I. Sch.: Ich habe 57 Abitur gemacht in Kassel, dann bin ich von der Bundeswehr als Wehrpflichtiger eingezogen worden. Das hat mir Spaß gemacht. Da ich noch jünger als 21 war, mußte mein Vater seine Zustimmung geben. Ich wurde dann Offizier, später

General­stabsoffizier. Höhepunkt war die Übernahme der Nationalen Volksarmee am 3. Oktober 1990. Danach wurde ich dann Inspekteur des Heeres und von dort aus Staatssekretär. Dann hat mich der regierende Bürgermeister Diepgen gefragt, ob ich nicht als Innensenator nach Berlin kommen will. ZD: Was qualifiziert sie ihrer Meinung nach zu diesem Beruf? I. Sch.: Meine reichhaltige Erfahrung, knapp 40 Jahre im öffentlichen Dienst, im militärischen sowie nichtmilitä­ rischen Bereich. Ich war auf der Harthöhe politiknah für Wörner, Scholz, Stoltenberg, Rühe in unterschiedlichen Aufgaben eingesetzt. Dann mein Engagement für Berlin, meine

Fähigkeit, Menschen zu führen, zu entscheiden, nicht zu lange zu zögern und Dinge, von denen ich überzeugt bin auch durchzusetzen ZD: Haben Sie Kinder? I. Sch.: Drei Kinder und zwei Enkelkinder. ZD: Wie alt sind die? I. Sch.: 35 bis 27 Jahre. ZD: Hatten Sie manchmal Probleme mit den Kindern, insbesondere in der Pubertät? I. Sch.: Wir haben mit den Kindern viele Diskussionen gehabt, um Probleme zu verhindern. Und es ist so, daß wir alle zwei bis drei Jahr e umgezogen sind. Das war für die Kinder nicht einfach. Und in der Pubertät, auch später... Meine Tochter hatte z.B. Henna-Farbe in den Haaren und meinte: ” Ja, das is´ so”. Wir haben das akzeptiert und festgestellt, das wächst sich raus. Wenn man dabei im Gespräch bleibt und versucht, den Kindern seine Ansichten zu erklären... Meine Frau und ich sind erst alleine in den Urlaub gefahren als die aus dem Haus waren. ZD: Hatten Sie als Jugendlicher rebellische Tendenzen oder haben Sie mal daran gedacht, wegzulaufen? I. Sch.: Ja klar, das sind Gedanken die jedem mal durch den Kopf gehen, und wir waren ja fünf Kinder. Ich habe mir mein Geld verdient, im Straßenbau, im Getränkegroßhandel, indem ich Kisten auf- und abgetragen hatte, Nachhilfestunden... Ich hab´ drei Jahre nur einen Anzug gehabt, das war der von der Tanzstunde. Da stellt man sich die Frage, ob es richtig ist,


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Innensenator’s Wahrheit in die Schule zu gehen nicht gleich Geld zu verdienen. Gott sei Dan, hat mein Vater gesagt, ‘Junge mach erst Abitur, dann kannst du machen was du willst’. Es ging nicht so sehr ums Weglaufen sondern ums Geldverdienen und Unabhängigsein. Gott sei Dank hab´ ich ein Elternhaus gehabt, wo wir viel miteinander gesprochen haben. Das ist auch wichtig, gerade für junge Menschen, daß die auch einen Ansprechpartner haben. ZD: Warum gibt es Ihrer Meinung nach so viele Obdachlose? Und warum so viele Kinder? I. Sch.: In Berlin gibt es, wenn ich es richtig sehe, knapp über 10 000 Obdachlose. Für sie gibt es Obdachlosenunterkünfte und andere Möglichkeiten. Es wird einiges getan. Man könnte mehr tun, aber das ist alles ein bißchen schwierig zu organisieren und auch zu bezahlen. Der Grund für Obdachlosigkeit hängt aber im wesentlichen damit zusammen, daß ein Teil dieser Menschen nicht bereit ist, sich in die Gemeinschaft - sagen wir, ins normalen Leben - zu integrieren. Mit normalem Leben meine ich, wenn man in einer Wohnung wohnt und dann Miete zahlt, weil es ja Wohngeld gibt und Sozialhilfe und alle Möglichkeiten. ZD: In der Theorie... I. Sch.: Das ist eine Entscheidung, die die Menschen selber getroffen haben. Sie akzeptieren die Situation in der sie leben, haben keine Energie mehr, da selber rauszukommen. Warum das so ist? Also bei Jugendlichen hängt das zusammen mit dem Faktor Elternhaus. In welchem Elternhaus sind

sie großgeworden? Sind sie in einer Gemeinschaft herangezogen worden? Wie haben sie ein gewisses Sozialverhalten gelernt? Wenn sie 16,17 sind hängt das auch damit zusammen, daß sie keinen Lehrplatz bekommen haben, weil sie Schwierigkeiten hatten - bisher haben aber alle, die einen wollten, einen bekommen. Oder weil sie sich ausklinken, sei es als Folge des Elternhauses, oder anderer Dinge, die schwer zu beurteilen sind. Ich glaube, ein ganz wichtiger Punkt ist, wie der Zusammenhalt in der Familie, wie die Betreuung durch die Familie ist. ZD: Wir haben eigentlich die Erfahrung gemacht, daß es gar nicht so ist, daß sie nicht wollen. Was sie sich am meisten wünschen ist eine Wohnung. I. Sch.: Aber, daß sie auch arbeiten für ihre Wohnung? ZD: Ja, sie sind wirklich zu jung gewesen, die haben das alles gar nicht so gelernt. O.k., sie geben vielleicht zu schnell auf, aber sie haben das auch nicht so gelernt. Die wünschen sich ‘ne Wohnung, die wünschen sich eine Familie, die wünschen sich auch ‘ne Arbeit... Aber zur nächsten Frage: Sehen sie eigentlich einen Zusammenhang zwischen den enormen Kürzungen im Sozialbereich und der steigenden Zahl von Obdachlosen, Drogenabhängigen und Arbeitslosen? I. Sch.: Nein, ich sehe da gar keinen Zusammenhang. Ich sehe einen Zusammenhang zwischen dem nachlassenden Zusammenhalt in der Familie und der gemeinsamen Verantwortung füreinander. Die Sozialleistungen, die zurückgehen, also daß Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe abgesenkt werden, Zahn­ersatz und so, also alles aus verschiedenen Bereichen, Gesundheit und Soziales, da kann es gar keinen Zusammenhang geben. Wenn die Betreuungsmöglichkeiten für Obdachlose schlechter werden, kann das nicht dazu führen, daß es mehr Obdachlose gibt. ZD: Ich meine im Vorfeld, daß sie dadurch erst ihre Arbeit verlieren. I. Sch.: Ich glaube, Obdachlosigkeit hängt mit einer anderen Frage zusammen: Sinnhaftigkeit, Gemeinsamkeit, z.T. fehlende Ziele, - wissen sie - daß nicht jeder weiß, was er im Leben erreicht. Da dümpelt man dann fast vor sich hin. Das wären dann für mich die wichtigere Erklärungen als die Frage des Sozialbudgets. Betreuung ist wirklich wichtig, das ist richtig! ZD: Meinen Sie nicht, daß Jugendkriminalität, Drogen usw. in dem Zusammenhang eine Rolle spielen? I. Sch.: Also, das ist hier die berühmte

Hundert-Dollar-Frage, ‘ne Hunderttausend-Dollar-Frage... Wenn man darauf die richtige Antwort hat, dann hat man die Lösung. Ich glaube, ich kann die Frage nicht so recht beantworten. Das bedarf eines Bündels von Erklärungen warum sich Jugendliche so verhalten. Ich muß dazu aber sagen, im Bereich Jugend habe ich die Zahlen nicht, weil ich dafür nicht zuständig bin. Ich bin der Auffassung, wir müssen versuchen, in dem Bereich mehr ehrenamtliches Engagement zu bekommen. Das kann nicht alles der Staat machen, die Bürger tragen da Mitverantwortung.... Wo wir sparen, ist der große Streitpunkt. Ob Hunderttausend Mark mehr oder weniger ist für mich nicht die Frage. Für uns ist die Frage, was wollen wir eigentlich damit erreichen? Wie kann man den Menschen helfen? Da brauchen wir mehr ehrenamtliches Engagement. Wenn ich das schlichtweg aus der Sicht der Jugendarbeit sehe, dann werde ich da vermutlich sagen können, ich brauche noch mehr Geld. Wenn ich dann aber sehe, wo ich dann das Geld wegnehme, dann sieht die Sache wieder ganz anders aus. Und daraus ergibt sich die Schwierigkeit, daß sie aus ihrer persönlichen Erfahrung sagen: wir brauchen mehr. Das glaube ich ihnen dann auf´s Wort. Die Situation ist eigentlich sehr schwierig. ZD: Was versprechen Sie sich davon, die Obdachlosen, Punks usw. von den öffentlichen Plätzen an den Stadtrand verbringen zu lassen? I. Sch.: Das ist auf jeden Fall kein Vorschlag von mir. Es geht darum, daß am Breitscheidplatz gedealt wird... Es gibt auch Jugendliche, die vom Hauptbahnhof in die Stadt gehen und damit in Berührung kommen. Da haben sich ja Szenen entwickelt. Wenn sie mal durch Berlin gehen, sagen wir mal Alexanderplatz, auch Breitscheidplatz, Stuttgarter Platz, Kottbusser Tor, können sie feststellen, da haben sich überall Punks versammelt. Die Punks machen ja nichts Rechtswidriges, die Sache wird nur dann interessant, wenn sie rechtswidrige Dinge machen, wie z.B. mit Betäubungsmitteln zu handeln usw. Aber sie bestimmen z.T. das Bild - wie zum Beispiel am Alexanderplatz - mit den Hunden stärker, als ich es mir wünschte. Und stärker als es sich die wünschten, die dort leben und arbeiten. Aber es gibt keinen Grund, jemandem das zu verbieten, weil die anderen ihn nicht mögen. Von daher bezieht sich das nur auf diese Bereiche. ZD: Aber was versprechen sie sich davon konkret? Problemlösung für 2 Stunden oder Abschreckung? Die Foto: Daniel Rosenthal


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Leute verschwinden ja nicht, die sind ja nur woanders. Vielleicht brauchen sie 2 Stunden, um mit der Bahn zu fahren, aber dann sind sie ja wieder da!? I. Sch.: Also, es geht darum, auf den Plätzen, wo sich eine große Zahl von Menschen aufhält und vorbeigeht, sicherzustellen, daß sie nicht angelabert werden oder angemacht werden mit Drogen oder : ‘Haste mal ne Mark?’ Daß die Menschen nicht verschwinden, weil sie abgeschoben oder weggedrängt werden, ist mir völlig klar, aber deshalb neue Plätze oder Auffangplätze einzurichten, das geht ja gar nicht. Die entscheiden ja selber, wo sie hingehen, ist ja ihre persönliche Freiheit. Aber ich verspreche mir davon, daß diese Plätze wie der Breitscheidplatz, ich war zwar 14 Tage nicht mehr da... ZD: Die stehen jetzt 2 Straßen weiter... I. Sch.: Das kann sein...(wird jetzt viel lauter)...also Ihr Vorschlag ist , es so zu lassen, überall? ZD: Man könnte es ja so machen wie am Alex, wo alle Projekte, die dort Sozialarbeit machen, mit der Polizei nach Lösungen suchen. Die Polizisten vor Ort sehen das ähnlich wie wir. Sie bringen die Leute dort weg und zwei Stunden später sind sie wieder da. Es gibt ja auch die Idee, gleich vor Ort einen Kontakt- und Beratungsladen einzurichten. I. Sch.: Auch da gibt es, glaub ich, keine Patentlösung. Jede Lösung, die uns hilft, den Menschen zu helfen, der Sache Herr zu werden, müßte man probieren, wenn man sie bezahlen kann, also keine utopische Lösung. Eine Beratungsgruppe einzurichten, wäre in Ordnung. Wenn die Beratungsstelle aber zur Verfestigung der Struktur führt und zu einem Nachziehen von außen, daß das sozusagen Sogwirkung hat, dann muß man woanders eine Beratungsgruppe einrichten. Das sind alles Dinge, die man sich überlegen muß, die kann ich jetzt so abstrakt nicht beantworten. ZD: Also, wir sehen das aus der Sicht der Jugendlichen. Die sind ja nicht drogenabhängig, wenn sie nach Berlin kommen... I. Sch.: Da gebe ich Ihnen Recht. Wir müssen jetzt aber weiter machen, ich muß nämlich gleich mit meinen bayerischen Kollegen telefonieren... ZD: Der Jugendnotdienst als Anlaufstelle für Minderjährige ist hoffnungslos überlaufen. Deshalb stellten leerstehende Häuser immer noch eine Alternative zur Straße

dar. Auf Grund der zahlreichen Räumungen ändert sich das zunehmend. Das Ergebnis sind wieder mehr Kinder und Jugendliche auf der Straße. Wie stehen Sie zu diesem Widerspruch? I. Sch.: Alle Häuser, die wir geräumt haben, da haben wir den Bewohnern im Zusammenhang mit den Räumungen Angebote gemacht, vorher. Jetzt gibt es unter den Hausbesetzern verschiedene Gruppen. Die eine Gruppe möchte die Hausbesetzung als politisches Kampfmittel nutzen. Dann gibt es eine andere Gruppe von Jugendlichen, die ein Haus besetzen, weil sie woanders keinen Wohnraum gefunden haben. Ich kann nur sagen, alle Häuser, die wir bis jetzt geräumt haben, haben wir so vorgefunden, daß man nur sagen kann, das dürfte man gar nicht zulassen nach dem Gesichtspunkt der Hygiene... ZD: Aber es gibt auch andere Beispiele! I. Sch.: Es gibt in Berlin ungefähr 70 legalisierte Häuser, das find ich auch vollkommen in Ordnung. Es gibt drei Möglichkeiten: Erstens, das Haus wird legalisiert durch Verhandlungen zwischen den Besetzern und den Besitzern. Die zweite Möglichkeit ist, daß die Besetzer freiwillig ausziehen und sich andere Wohnungen suchen. Es gibt ja ‘ne ganze Menge Wohnungen, die verfügbar sind, die auch bezahlbar sind, auch mit Unterstützung oder Sozialhilfe, und die dritte Möglichkeit ist dann die Hausräumung. Wir haben in ganz konkreten Fällen den Hausbesetzern Angebote gemacht über die Wohnungsbaugesellschaft Friedrichs­­­hain,

günstige Mietverträge. Die haben gesagt ‘Nein, wir wollen ein Haus’. Auf Dauer ist es nicht hinnehmbar, daß ein Teil von Jugendlichen das Eigentumsrecht des anderen außer Kraft setzt. Es mag Notsituationen gegeben haben, aber die gibt es jetzt nicht mehr. ZD: Was sehen Sie für Alternativen für die Leute, die sich wirklich ernsthaft Wohnraum schaffen wollen, bereit sind dafür zu arbeiten schlicht aus der Notwendigkeit, ein Obdach zu haben? I. Sch.: Das ist ganz unterschiedlich. Wenn diese jungen Menschen sich zusammentun, feststellen, wieviel Geld sie haben, was sie aufbringen können und dann über die Sozialbehörden mit einer Wohnungsbaugesellschaft in Verhandlungen treten, dann kann ich mir vorstellen, daß es Gegenden und Bereiche gibt, wo die Wohnungsbaugesellschaft sagt: okay, dieses Haus ist in einem Zustand, wir müßten soundsoviel investieren, um das wieder auf Vordermann zu bringen. Wir geben euch das für einen niedrigen Mietzins unter der Bedingung, ihr müßt die und die Arbeiten machen. So wie es das bei der Legalisierung von 70 Häusern gegeben hat. ZD: Wir könnten Geld für den Ausbau eines Hauses für obdachlose Jugendliche bekommen. Haben Sie einen Tip, wie unser Projekt ein Haus zur Pacht bekommen könnte? I. Sch.: Nein, das kann ich nicht. Aber wenn Sie mir kurz einen Brief schreiben und sagen, wieviel Personen Sie sind und welche Mittel es gibt, versprech’ ich ihnen, kümmer ich mich darum. Ich sprech mit meiner Kollegin vom Sozialressort darüber und dann komme ich wieder auf sie zurück, das kann ich ihnen zusagen. ZD: Wie sieht ein Berlin 2000 nach Ihren Vorstellungen aus? I. Sch.: Vielfältig. Vielfältig in der gesamten Ausprägung der Stadt, vielfältig in der Zahl der Nationalitäten, die hier leben und vielfältig in dem Lebensangebot. Der zweite Punkt ist, es wird auch eine Hochleistungsstadt sein. Berlin muß Hochleistungen bringen, um wettbewerbsfähig zu sein mit den anderen großen Städten Europas. Es wird eine sehr lebhafte Stadt sein, und von daher gesehen wird es eine echte Großstadt sein, mit pulsierendem Leben und mit Randzonen, wo sie nicht glauben, daß sie in einer Großstadt sind, das wird so sein. ZD: Vielen Dank, daß Sie sich die Zeit genommen haben. (Auch wenn wir über eine Stunde warten mußten) Das Interview führten Zora & Ralph


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Wahrheit von Amts wegen

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Ein Gedächtnis­protokoll

m Mittwoch, dem 8. Januar trafen sich 8 der Besetzer der ehemaligen K 9 (die jetzt übrigens über 3 Monate leersteht), um zur regulären Sprechzeit der Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (13.00 bis 18.00 Uhr) bei Frau Havenstein vorzusprechen. Wir wollten nach 3-monatiger Obdachlosigkeit nach der 2-4 RaumWohnung fragen, die man uns versprochen hatte. Gegen 15 .30 Uhr hatte jeder von uns eine Anstellnummer gezogen (182....189) und - neben vielen anderen Wohnungssuchenden - ordnungsgemäß im Warteraum Platz genommen. Eine Viertelstunde später - bis dahin war keine unsererer Wartenummern aufgerufen worden - erschien Frau Havenstein bei uns im Warteraum und meinte, wir hätten bei unserer letzten Vorsprache schon die „guten Mieter” vertrieben, würden außerdem zu viel Zeit in Anspruch nehmen (8 Nummern x 12 min Sprechzeit = 1.30 h) und sollten doch gefälligst am nächsten Morgen um 9 Uhr wiederkommen. Daraufhin wiesen wir zunächst auf die ganz normale Sprechzeit hin. Wir erklärten, daß wir als Gruppe die uns zustehenden 90 Min. nicht in Anspruch nehmen würden. Und falls uns Frau Havenstein sowieso nur wieder erzählen könne, daß es die versprochene

Wohnung nicht gibt (wie immer !!) bräuchten wir keinen Termin und keine 10 Min. Ein paar der anderen Wohnungssuchenden wiesen Frau Havenstein darauf hin, daß wir keinerlei Randale gemacht und ganz normal gewartet hätten. Im folgenden war Frau Havenstein nur noch als geschäftige Dame von einem Raum in den anderen unterwegs, ignorierte alle anderen Wartenden und rief die Polizei - wie wir 15 min später bemerkten. Die Beamten (ca. 12 an der Zahl ) forderten uns auf, den öffentlichen Wartesaal für Wohnungssuchende zu verlassen, was wir erseinmal nicht taten. Auf unsere Frage, welcher Tatbestand, welcher § uns dazu nötigt/ zwingt, wußten sie auch keine Antwort, wiederholten aber ihre Aufforderung. Sechs unserer Leute waren total angenervt und gingen. Zwei von uns (u.a. ich) blieben jedoch, denn wir haben trotz Obdachlosigkeit auch nicht die Zeit, jedenTag 1-2 Stunden bei der WBF auf abschlägige Bescheide zu warten. Dies brachte Frau Havenstein sowie einige der Polizisten in arge Bedrängnis, denn es lag nichts gegen uns vor, und die anderen Wartenden stellten sich teilweise offen auf unsere Seite. Frau Havenstein bewies ihre Inkompetenz dann vollends, als sie in den Wartesaal hineinfragte, wer dafür sei, daß die Hausbesetzer bleiben. Einige Hände erhoben sich, worauf sie fassungslos sie in den Raum schrie: „Dann gehen eben alle, für heute wird geschlossen”! (Um 16 Uhr, zwei Stunden vor der offiziellen Zeit!). Wir beide gingen dann mit dem Hinweis, daß diese Taktik dazu diene, die Bürger gegen uns aufzubringen. Draußen ließen wir uns die Dienstnummer des Einsatzleiters geben und benachrichtigten Herrn Wesner vom Sozialen Dienst über den Termin Donnerstag 9.00 Uhr. Wir selber sehen uns im Augenblick nicht in der Lage, weiterhin mit dieser diskriminierenden Amtsperson zu reden. Herr Wesner war am Donnerstag um 9.00 Uhr bei Frau Havenstein, um sich sagen zu lassen, daß es keine 2-4 Raum Wohnung für uns gibt. Wie immer! A. M. Gietl


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Wa(h)re Lüge A

n diesem Tag war der kleine Junge echt froh. Er hüpfte neben Mutti, als sie die Straße entlang gingen. Sie würden das große Warenhaus besuchen. Kleidereinkäufe standen auf dem Programm, es war aber nicht deshalb, daß sich der Junge so freute. In dem großen Warenhaus gab es ja auch die Spielzeugabteilung mit der elektrischen Eisenbahn. Jedes Weihnachten hoffte der kleine Junge, daß sein Geschenk ein elektrischer Zug wäre. Bisher war sein Wunsch noch nie erfüllt worden.

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ieKleidereinkäufedauertenlange,aberalsMut ti schließlich damit fertig war, gingen sie zusammen in die Spielzeugabteilung. Dort waren Teddybären auf den roten Teppich gemalt. Großäugig sah der kleine Junge die Puppen, die Feuerwehrwagen, die Pistolen.... Im Innersten der Spielzeugabteilung, auf einer Erhebung, lag die elektrische Eisenbahn. Stundenlang stand der kleine Junge dort und starrte die Züge an. Wenn jemand den Knopf drückte, veränderten die Züge ihre Richtung oder hielten an den Bahnhöfen.

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lsderkleinejungeruhigdastand,glaubteMutti, daß sie ihn ohne Risiko ein paar Minuten verlassen könnte. Der Vetter hatte bald Geburtstag. Sie sagte ihrem Sohn, daß er da auf sie warten sollte. Der kleine Junge nickte und betrachtete die Züge. Als er da allein stand, kam ein Mann und sprach mit ihm. In seiner linken Hand hatte der Mann ein kleines grünes Spielzeugauto. Dieses Auto ließ er in die Tasche des Jungen gleiten, ohne daß der Junge etwas davon ahnte.

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ie Alarmanlage heulte, als Mutti und ihr Sohn aus dem großen Warenhaus hinausgehen wollten. Alle Taschen Muttis wurden untersucht und nichts wurde gefunden. Deswegen durchsuchten die Wachen auch die Taschen des kleinen Jungen. Dort fanden sie ein kleines grünes Spielzeugauto. Niemand glaubte dem kleinen Jungen, als er zu erklären versuchte, daß er keine Ahnung habe, woher das Auto käme. Mutti schämte sich für ihn, das konnte er sehen. Aber alle Leute hatten ihm ständig gesagt, daß er immer die Wahrheit sagen sollte. Er durfte nicht lügen. Aber niemand glaubte ihm. Mutti war sehr verärgert und sie schämte sich furchtbar. Ihr Sohn log !

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achlangenAusfragengabderJungeaufundlog. Er log und sagte, daß er das kleine Spielzeugauto gestohlen hätte. Die Wachen waren damit zufrieden und ließen Mutti und den kleinen Jungen nach Hause gehen. Mutti war aber noch sehr verärgert. Sie schalt ihn aus. Er war ein Dieb und Lügner! Zum Schluß wußte der kleine Junge nicht mehr, was Lüge war, und wie sie sich von

von Karin Nilsson


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Interview

Gefährlich, wenn die Leute „schlafen“! ZEITDRUCK führte ein Exklusiv-Interview mit dem amerikanischen Maler und Grafiker Eric DrooZEITDRUCK: In Deinen Arbeiten steht Du sehr kritisch zu technischen Dingen, andererseits hast Du eine Homepage im Internet? E.D.: Computer sind an sich neutral. Die neuen Technologien sind nur ein Werkzeug, wie ein Schraubenzieher oder ein Hammer, sie könnten für jeglichen Zweck verwendet werden - ein Haus bauen oder jemanden über den Kopf schlagen. In diesem Bild zeige ich Menschen, die an Computern sitzen und völlig isoliert sind. Es gibt die Gefahr, daß man mit einem Computer immer nur in seinenm Zimmer bleibt, nicht raus geht, nicht mit anderen Leuten spricht und keinen Kontakt sucht. Darum geht es in diesem Bild, es zeigt die Gefahren und auch die Ironie: Trotz Computern, die eigentlich ein Werkzeug der Verständigung sind, sehe ich, daß viele Menschen durch die Computer isoliert sind.

ZD: Bezugnehmend auf Dein Ikarusbild: Warum vergleichst Du Ikarus mit Kurt Cobain? E.D.: Dieser griechische Ikarusmythos ist noch sehr lebendig. Er erzählt etwas über die menschliche Natur. Junge Menschen, Teenager, haben es oft sehr eilig, irgendwo hinzukommen, wegzulaufen. Manchmal tun sie das mit Hilfe von Drogen oder anderen Sachen wie Skateboards, alles, was ein bißchen gefährlich ist. So war das auch mit Ikarus. Er flog zu nah an die Sonne, seine Flügel schmolzen, und er ertrank. Das erinnerte mich an Kurt Cobain. Er war jung und offensichtlich hat die Musikindustrie seine Flügel verbrannt. Er flog zu nahe und zu schnell an die Sonne heran, wenn man es auf eine poetische Art und Weise ausdrückt. Oder auch Tupac Shakur erst vor kurzem,

oder James Dean, halt Rock ‘n Roll. Ich denke auch, daß die Flügel ein Symbol für die neuen Technologien sind, wenn wir mal zurück ans Internet und all die Technik denken. Technologie soll uns eigentlich befreien, aber wir müssen vorsichtig sein, und nicht zu nah an die Sonne fliegen. Technik kann gefährlich sein, wenn wir sie mißbrauchen. ZD: Du warst Hausbesetzter in New York. Wir haben den Eindruck daß die Hausbesetzer bei Euch eher zu friedlichen Mitteln greifen: friedliche Demos und Singen statt Mollis. E.D.: Manchmal gab es schon gewaltsame Konfrontationen mit der Polizei. Aber in den letzten 2 Jahren kam die Polizei mit Maschinengewehren an. Es ist wahrscheinlich kein so guter Gedanke, Steine nach Polizisten zu werfen, die Gewehre haben. Die


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Leute wissen nicht genau, was sie machen können, also ist es mehr symbolisch. Sie stehen da und weigern sich zu gehen, so wie hier. ZD: Hat diese Gefängniserfahrung nach einer Räumung etwas bei Dir verändert an Deiner Einstellung zur Art des Widerstandes? E.D.: Im allgemeinen scheint Gewalt ja nicht viel auszurichten. Es schien

dem ich diese Zeichnungen als Straßenplakate öffentlich zeige. ZD: In der Bildergeschichte „Flood“, gehst du sehr kritisch mit der Geschichte Amerikas um. Siehst du einen Weg, diese Kritik an eine größere Öffentlichkeit zu bringen.Du machst Diashows hauptsächlich in Besetzerobjekten. Diese Leute wissen jedoch Bescheid, die kennen das Problem.

ZD: Warum sagst Du, daß Du aus New York geflüchtet bist? E.D.: New York ist, wie auch Berlin, sehr gefängnishaft, es gibt nicht viele Bäume. Alles ist aus Stahl, Beton und Plastik und ich komme nicht sehr oft raus. Es schön, mal rauszukommen, auch wenn ich nur in einer anderen Großstadt bin. Es ein gutes Gefühl, mal abzuhauen. Auch mal aus den USA rauszukommen. Die Leute dort

eher so, daß die Polizei uns provozieren wollte. Sie hätte es gerne gesehen, wenn wir Gewalt angewendet hätten, als Ausrede für sie, richtig gewalttätig zu werden und uns als Terroristen abzustempeln. Gewalt war in unserer Situation keine Lösung. Das Problem ist eher, Menschen zu organisieren. Es sind nicht genug. Es gibt nicht genug Unterstützung von Leuten, die nicht Hausbesetzer sind. ZD: Deine Art des Widerstands ist es, Erfahrungen und Erlebnisse aufzuzeichnen? E.D.: Ja, das ist meine Art, Widerstand zu leisten, meine Art zu kommunizieren, meistens durch Kunst und Kultur. Das kann ich am besten. Wenn ich gut schreiben könnte, oder gut Leute organisieren könnte, würde ich halt das tun. Aber ich merke, daß ich am wirksamsten bin, wenn ich Bilder zeichne und versuche, die sozialen Probleme klarzumachen, in-

Aber die andere Öffentlichkeit? E.D.: Ich versuche schon, auch an die andere Öffentlichkeit heranzutreten. Ich mache diese Diashow in verschieden Schulen in den USA. Das ist am wichtigsten, an junge Leute in den Highschools heranzutreten. Es stimmt schon, in den besetzten Häusern würde mir jeder zustimmen. Das ist das Problem der Linken, letztendlich reden wir nur miteinander, es ist so wie zu schon Bekehrten zu predigen. Effektiver ist es, Plakate auf der Straße anzubringen, man kann viele Leute erreichen, gerade in einer überfüllten Stadt wie New York. Ich kommuniziere dadurch mit Tausenden: mit Jung und Alt, reichen und armen Leuten, Schwarzen und Weißen. Auch durch meine Bücher und Kalender, sie werden überall im Land verkauft. Ich versuche auch, über diese Sachen bei jeder Gelegenheit zu reden.

sind nicht sehr kritisch mit ihrer eigenen Geschichte. Die Leute mit denen ich hier in Deutschland gesprochen habe, scheinen sich ihrer Geschichte mehr bewußt zu sein und bereit zu sein, darüber zu sprechen und zu streiten. Bei uns ist es den Leuten viel weniger bewußt. ZD: Wo hast Du Zeichnen gelernt? E.D.: Ich bin ein paar Jahre lang zur Kunstschule gegangen. Aber richtig habe ich es mir selbst beigebracht. Auf der Hochschule kann man Kunst nicht erlernen, man muß es sich selbst beibringen. Richtig ernst wurde es erst, nachdem ich die Kunsthochschule abgeschlossen hatte. ZD: War Frans Masreel ein Vorbild für Dich, einige Deiner Zeichnungen scheinen sehr ähnlich zu sein. E.D.: Ja, auf jeden Fall, besonders in „Flood“. Er hat mich auch poli-

Grafiken: Eric Drooker


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tisch beeinflußt, er bezeichnete sich wohl selbst als einen anarchistischen Kommunisten. ZD: Zu dem Bild auf dem Rummel, mit dem tätowierten Mann. Wurdest Du von dem Buch „Der illustrierte Mann“ von Ray Bradbury inspiriert? E.D.: Ja, ein bißchen. Ich habe dieses Buch als Teenager gelesen. Ich bekam die Idee, als ich am Fluß saß, da hat es mich plötzlich überkommen. Manchmal werde ich auf diese Weise inspiriert, wenn ich nah am Wasser bin. Deshalb mag ich Amsterdam und Hamburg, weil es nah am Wasser ist. Diese Szenen bei dem tätowierten Mann, das ist die Geschichte, die uns in Amerika nicht beigebracht wird, über die nicht gesprochen wird. ZD: Kriegst Du auch Meinungen von Leuten zu hören, die Deine Art von Kritik nicht mögen? E.D.: Nicht allzuviel, manchmal schon - wütende Briefe und so. Wenn ich Zeitungsillustrationen (von denen ich meinen Lebensunterhalt bestreite) mache, bekomme ich Briefe. Sie mögen die politischen Inhalte nicht. ZD: Weil Du die Wahrheit sagst? E.D.: Vielleicht. Vielleicht mögen sie auch einfach die Bilder nicht. Hier bekamen wir Probleme mit unserem Diktiergerät. Es fehlen wohl ein paar Fragen, wie die zu den Techniken, die er anwendet (weißes Wachs auf schwarzer Fläche), daß er Zeitdruck die Abdruckgnehmigung für alle seine Sachen erteilt, daß er fast nie Geld dafür sehen will, außer für das Plattencover von Faith No More. ZD: Zum Bild mit dem Bettler: Ist das in NewYork? E.D.: Ja, aber es könnte jede Großstadt sein. In New York findet man sehr reiche Leute und sehr arme Leute, die in der gleichen Stadt leben, es gibt halt die Extreme. Es könnte auch Berlin sein, oder Hamburg oder London. ZD: Kannst Du über solche Sachen in der New York Times mit Deinen Zeichnungen berichten? E.D.: Normalerweise sind meine Sachen ein bißchen zu stark für sie. Aber manchmal kann ich schon Sachen dort veröffentlichen. Normalerweise zeige ich es ihnen und sie sagen dann: ‘Nein. Das ist ein bißchen zu deprimierend’, oder ‘So was brauchen wir jetzt nicht’. Aber manchmal nehmen sie es schon. Viele meiner Zeichnungen waren auf der Titelseite des New

Yorker, welches eine sehr bürgerliche Mainstream-Zeitschrift ist. ZD: Deine Bilder veranlassen nachzudenken, und es kann gefährlich werden, wenn Leute anfangen nachzudenken. E.D.: Ja, es ist Ihnen nicht so bewußt. Leute aus der Mittelschicht haben Angst, über diese Dinge nachzudenken. Es ist ihnen unangenehm. Sie denken nicht über Politik nach. ZD: In Deinen neueren Werken zeigst Du auch positivere Seiten, freundlichere Bilder und Geschichten, zum Beispiel diese alte Dame, die aus dem Balkon sieht oder auch im Park wo man musiziert. Wie kam es zu dieser Entwicklung, durch die Politik oder persönliche Stimmungen? E.D.: Ich wurde mir bewußt, daß ein Teil der politischen Kunst, die ich gemacht habe, so deprimierend war, daß sie eigentlich nicht viel ausgerichtet hat. In der Kunst ist es wichtig, den Leuten einen Grund zu geben, weiter zu leben. Viele Leute sind soweit, sich umzubringen, auf verschiedenste Art und Weise, normalerweise ganz langsam. ZD: Also mehr ein positiver Protest? E.D.: Ja, das ist meine neue Strategie. Das Leben ist so häßlich zur Zeit, und die meisten Leute sind so deprimiert, und es gibt soviel Angst, daß ich denke daß es fast revolutionär ist, etwas Schönes und Fröhliches zu zeigen und trotzdem die Wahrheit zu sagen. Ich denke, daß Humor sehr wichtig ist. Manchmal haben politisch engagierte Menschen nicht genügend Sinn für Humor. Humor kann eine

gute Waffe sein, eine gute Art, den Menschen was beizubringen, Menschen werden dann offener. ZD: Wie verhalten sich Amerikaner bei Demos? E.D.: Die meisten Leute bleiben abseits und ignorieren das einfach. Das bedeutet nicht, daß sie reaktionär sind oder so, sie denken einfach, daß es sie nichts angeht. Ihr Leben ist zur Arbeit gehen, nach Hause kommen, Fernsehen gucken und Schlafen gehen. Am nächsten Tag gehen sie wieder zur Arbeit, kommen nach Hause, sehen fern und gehen schlafen. Das größte Problem ist einfach, daß die Leute nicht wach sind. Es kann sehr gefährlich sein wenn Leute „schlafen“. ZD: Das wird den Leuten aber so eingebleut. Kindergarten, Schule, Arbeiten. Ist Arbeiten dafür da, eine Wohnung auszustatten, in der man gar nicht lebt, weil man ja den ganzen Tag arbeitet? E.D.: Ja, das ist immer der Anfang. Man muß über sein eigenes Leben nachdenken, da fängt es an. Und der logische Schritt ist dann, über eine größere soziale Situation nachzudenken. Man muß sich zuerst selbst verändern, denke ich. ZD: Ja das stimmt, wenn man zuerst über sich nachdenkt und dann über die Gesellschaft. Dann kann man sich überlegen wie man an andere Leute herankommt, um die Leute darauf zu bringen, auch mal darüber nachzudenken. E.D.: Ja man muß Wege finden, mit anderen Menschen zu kommunizieren. ZD: Danke sehr für das Interview und du hast 10 Minuten, um uns noch eine exklusive Zeichnung zu malen... (Das Interview führten Jule, Muftie, Katrin, Ralf, Frekkl, Anne uvm.)


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D Der Sündenbock von Senta Mattern

Zieh endlich, Deutschland!!!

er Bahnsteig der U-Bahn füllte sich mehr und mehr mit Menschen. Gerade hatte eine monotone Stimme über den Lautsprecher verkündet, daß der nächste Zug mit 10 Minuten Verspätung kommen würde. Ich wollte auf der Bank vor mir Platz nehmen, bemerkte jedoch, daß einer der beiden Männer, die dort saßen, angetrunken war. Er sah nicht so aus, als hätte er ein Zuhause, wo er ein Bad nehmen, in einem Bett schlafen und seine Kleidung reinigen konnte. Vermutlich war sein abgetragener Mantel sein Zuhause - und die Flasche die er gerade wieder zum Mund führte. Er wischte mit der Hand über die dunklen Bartstoppeln, streifte mich mit einem kurzen Blick aus wässrig-blauen Augen und wandte sich dann seinem Nebenmann zu. Ungeniert starrte er den kleinen schmächtigen Mann mit der dunklen Hautfarbe, den braunen Augen und dem tiefschwarzem Haar an. Die distanzlose Unverschämtheit, mit der mein Landsmann den Fremden fixierte, beschämte mich, und ich wollte mich entfernen. Doch laute Worte hielten mich zurück: „Was hast du hier zu suchen, heh? Dies ist mein Land, kapiert? Hau ab hier! Geh dahin zurück, wo du hergekommen bist!” Neugierig schauten die wartenden Menschen zu uns herüber. Ich blieb un-

schlüssig vor der Bank stehen: würde der Fremde nach dieser Beschimpfung aufstehen und weggehen? Doch er blieb sitzen und starrte auf seine Schuhe. So blieb auch ich, denn wäre ich jetzt gegangen, hätte ich signalisiert: Nur nicht einmischen, diese Sache geht mich nichts an. Hier aber war ein Mensch, der die Würde eines anderen mit Füßen trat - und das ging mich etwas an? Schon grölte mein Landsmann erneut: „Hast du nich’ verstanden, was ich gesagt hab’? Du sollst verschwinden? Deinetwegen hab‘ ich keine Arbeit, und weil ich keine Arbeit hab, hab ich auch keine Wohnung! Aber du - du hast bestimmt ‘ne Wohnung, stimmt’s? Ihr Ausländer nehmt uns ja alle Wohnungen weg! Die Wohnungen und die Arbeit!“ Der Beschimpfte zog den Kopf zwischen seine Schultern, als habe man ihn geschlagen. Seine kleine Gestalt sackte in sich zusammen, schien sich unsichtbar machen zu wollen. Eine Woge von Mitgefühl stieg in mir hoch, denn ich wußte: eine solche Haltung konnte nur jemand einnehmen, der es gewohnt war, gedemütigt zu werden. Jeder Mensch mit gesundem Selbstbewußtsein wäre aufgestanden und weggegangen , um sich die Beleidigungen nicht länger anzuhören. Der Fremde aber saß still da und krümmte sich unter den feindseligen Worten, die auf ihn niederprasselten. Er diente meinem Landsmann als Sündenbock, als Zielscheibe für den Haß, den er über ihn ausschüttete. In den Gesichtern der wartenden Menschen machte sich eine Schadenfreude breit, die mich frösteln ließ. Ich war eine Frau von Mitte 50 und dem jüngeren Stadtstreicher körperlich nicht gewachsen, doch diesem Spuk mußte ich ein Ende bereiten?Glockenhell hörte ich mich fragen: ”Kennen sie den Mann?” Der Tippelbruder riß den Kopf herum: “Was fragst du mich das?” Ich ließ mich auf sein Duzen ein und behauptete honigsüß: ”Weil es mich interessiert! - Kennst du ihn?” „Nee ich kenn ihn nich’? Warum?” Ich säuselte: „Wenn du ihn nicht kennst, wieso hat er dir dann die Arbeit weggenommen?“ „Weil er ein Kanake is’” „Was ist ein Kanake?”, stellte ich mich dumm. „Du weißt nich was‘n Kanake is‘? Das is’n Ausländer? Einer der herkommt um abzusahnen!” „Und wo kommt er her?”, fragte ich mit Blick auf den Fremden. „Weiß ich nich!” „Und woher weißt du dann, daß er absahnt?” „Weil alle Kanaken absahnen“ „Alle?” „Jawohl, alle!” Mit leicht glasigem Blick sah er mich an.


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Weinen & Lachen ”Das glaub ich nicht!“, widersprach ich. „Sieh dir an, wie mager er ist. Bestimmt hat er Hunger? Vielleicht hat er jahrelang imGefängnis gesessen, weil er etwas gegen seine Regierung gesagt hat. Vielleicht ist er auch gefoltert worden. Kann doch sein - oder?” Mein Gerede verwirrte den Stadtstreicher: Doch genau das war meine Absicht gewesen. Ich spürte, wie meine Sätze im Kopf Wurzeln schlugen. Neugierde verdrängte seinen Haß. Unsicher blickte er den schmächtigen Mann neben sich an. „Eh du - warst du im Gefängnis?” Der Fremde senkte den Kopf noch tiefer. “Er antwortet nicht, weil er Angst hat,” sagte ich. „Er hat bestimmt Furchtbares erlebt. Deshalb sitzt er so da und sagt nichts. Kannst du das verstehen?” „Klar kann ich das verstehen. Wo er doch im Gefängnis war!” „Ja vielleicht. Vielleicht auch nicht. Aber ganz bestimmt ist er aus Angst aus seinem Land weg und hierher gekommen. Er sieht nicht so aus, als wenn er absahnen will. Glaubst du nicht auch?” Eindringlich sah ich meinen Landsmann an. Der nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Flasche. Die halbe Portion, die da zusammengekauert hockte, erweckte mit einem Mal sein Mitleid. Ich setzte nach: „Er ist noch sehr jung vielleicht 25. Bestimmt möchte er auch lieber in seinem Heimatland leben, zu Hause bei seiner Mutter oder bei0 seiner Freundin. Möchte doch jeder - was meinst du?” „Ich kann auch nicht bei meiner Mutter leben, die ist tot. Und eine Freundin hab ich nicht.” „Aber du kannst wenigstens in deiner Heimat leben - oder? Stell dir vor, du müßtest in ein fremdes Land und die Leute dort sagen zu dir: Verschwinde! Du kannst aber nicht verschwinden, weil du sonst ins Gefängnis kommst. Kein Wunder, daß er so viel Angst hat.” Da geschah etwas Wunderbares: Der Tippelbruder rutschte zu dem “Kanaken” und reichte ihm die Schnapsflasche. „Hier, nimm ‘n Schluck? Ich weiß, wie das is‘ im Gefängnis! Ich war auch mal drin. Hab geklaut und bin erwischt worden. Da haben sie mich eingebuchtet. Und da hab ich meine Arbeit verloren und dann die Wohnung. Und nun penn ich auf der Straße? - Wo pennst du?” In diesem Augenblick kam die Bahn. Der Fremde sprang auf, hastete zum letzten Wagen und huschte durch die Tür. Auch ich zwängte mich in den Wagen: Bevor die Türen sich schlossen, rief uns der Stadtstreicher nach: „Ich hab sofort gesehen, daß er NICHT absahnt? Sofort!” Der kleine Fremde stand neben mir im Gedränge, sah zu mir hoch und sagte kaum hörbar: „Danke! Vielen Dank?” In seinen Augen standen Tränen.

Der Clown Der Clown ist immer zu Scherzen aufgelegt. Immer lustig, nie ernst. Und auch nie zurückhaltend. Er hat das Lachen, das alle mitreißt. Er steht im Mittelpunkt. Plötzlich beginnt er nachzudenken, über sich und die Welt. Er zieht sich zurück, wird stiller und ernster. Doch keiner merkt es. Keiner merkt, was in ihm vorgeht. Niemand versteht ihn. Nicht einmal der beste Freund. Und der Clown bekommt plötzlich Angst. Furchtbare Angst davor, daß keiner für ihn da ist, wenn er Hilfe braucht. Der Clown bin ich !

Katja


Pepsi sprach im Auftrag von ZEITDRUCK mitStefan Weidner, dem Kopf einer der umstrittensten Rockbands Deutschlands. Er meint, sie seien nicht „einzukategorieren“...

ZEITDRUCK: Wie kommt Ihr auf Eure Texte? B.O.: Also in erster Linie schreibe ich für mich selber, in zweiter Instanz für die Fans. Wenn man merkt, daß man als Musiker gewissen Einfluß hat und die Leute zum Denken anregen kann, dann finde ich es nur legitim, das auszunutzen. ZD: Ihr habt in Euren Liedern eine ziemliche Selbstverherrlichung. Ist das echt oder Ironie B.O.: Da ist schon ‘ne Menge Ironie dabei. Wir haben uns diese Märtyrer-Rolle aber nicht selbst aufgedrückt, oder uns dieses Image bewußt angeeignet. Wenn du so angefeindet wirst, wie unsere Band, kommt man ganz schnell zu diesem Ding: was wollt Ihr dennn eigentlich. Mit diesem Gefühl kommt natürlich auch diese Ironie und diese Selbstverherrlichung, die letztendlich nicht so gemeint ist. Wie spielen auch mit diesem Stilmittel Ironie. Ich meine, ich kann mich nicht auf eine Stufe mit Gott stellen. Das ist natürlich sehr bildlich und ironisch gemeint. ZD: In Euren Liedern ist auch immer ein ziemlicher Stimmungswandel Warum? B.O.: Ich glaube, solche Stimmungen durchläuft jeder. Ich kann zwar nicht sagen, daß ich unbedingt der Depressive bin, aber wenn ich mit gewissen Gedanken spiele, dann kommt schon mal so ein Gefühl in mir hoch. Das schlägt sich dann auch in den Liedern nieder. Ich versuche, den Text damit zu transportieren: ‘ne aggressivere Stimmung, wenn es ein aggressiver Text ist, oder eine melancholischen Stimmung, wenn es eine gefühlvollere Geschichte ist.

ZD: Eure Texte sind sehr zwei- oder mehrdeutig: Ich finde, daß sich jeder ‘rauspicken kann, was er will. Macht Ihr das bewußt? B.O.: Das mache ich bewußt, denn es schon wichtig, dem Hörer Platz für eigene Emotionen, eigene Gefühle oder eigene Interpretationen zu lassen. Was nicht heißt, daß ich nicht einen konkreten Gedanken habe beim Schreiben des Textes habe.Aber ich will keine Vorgaben geben. Meine Empfindungen sind meineEmpfindungen, durch was die ausgelößt wurden, spielt keine Rolle. Wichtig ist, daß ich sie aufarbeite. ZD: Seid Ihr wirklich böse? B.O.: Das kommt drauf an, wer vor einem steht. Wir sind nicht ganz so böse, wie man uns immer darstellt, aber wir können schon böse werden. ZD: Laßt Ihr Euch in eine Schublade stecken. B.O.: Man hat lange versucht, uns in Schubladen zu stecken. Alles, was nicht in Schubladen gesteckt werden kann, macht der Gesellschaft Angst. Das nun keiner was mit uns anfangen kann und uns keiner so richtig einkategorieren kann, das ist eine Sache, die mir sehr gut gefällt und die mir auch wahnsinnigen Spaß macht. Ich habe mich lange genug selbst limitiert, indem ich mich ganz am Anfang mit dem Punkding auseinandergesetzt habe und dann später mit den Skins. Diese ganze Uniformiererei, die ging mir dann irgendwann ziemlich auf den Sack, und ich habe auch keinen Bock mehr auf dieses Schubladendenken.

BÖHSE ONKELZ: Die Band aus Frankfurt existiert seit Beginn der 80er Jahre und begann mit Punk. Sie wurde überregional bekannt durch den “Soundtrack zum Untergang”-Sampler. Die Texte handelten zunächst von Partys, Alkohol usw. Aber es gab auch Töne, in denen die Onkelz stolz auf ihr Land, die Fahne usw. verkündeten und sich dies auch nicht durch “12 dunkle Jahre” (Zitat Liedtext “Stolz”) ausreden lassen wollten. Ihre erste CD “Der nette Mann” wurde von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften wegen gewaltverherrlichender Zeilen indiziert. Die Band erreichte bei rechtsorientierten Jugendlichen Kultstatus. Es entstanden Lieder, wie z.B. das umstrittene “Türkenvolk”, das jedoch nur auf Demo-Tapes erhältlich sein dürfte. Ab Ende der 80er Jahre versuchten die Onkelz, das Image als “Faschoband” abzulegen. Große Teile der Medien stehen ihnen stark ablehnend gegenüber. Ihre Umkehr wird nicht ernst genommen. Von vielen Musikhändlern werden die Onkelz boykottiert. Ly

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ZD: Seid Ihr eine politische Band? B.O.: Ich würde das nicht als politisch bezeichnen obwohl einige Aussagen, die wir machen, schon als politisch bezeichnet werden können. Aber ich sehe uns nicht als eine Politrockband, im Sinne von Ton-Steine-Scherben in den 70ern. Sicherlich machen wir auch politische Aussagen, aber in destruktiver Form, also in dem Sinne, daß wir Politik nicht mögen Wir halten sie nicht für menschlich und auch für nicht durchfürbar, dafür aber für korrupt und verlogen. ZD: Wie geht Ihr mit Toleranz um. B.O.: Es ist natürlich schwierig, jeden Moment in seinem Leben tolerant zu sein. Ich war zu lange intolerant. Ich habe mich jetzt selbst zu stark bekämpft um intolerant zu sein. Ich versuche, Toleranz zu üben, so weit mir das möglich ist, und ich erwisch mich täglich dabei, wie ich mal hier und mal da drüber schimpfe. Aber ich denke, ich lerne. ZD: Was habt Ihr für Drogenerfahrungen. B.O.: Wir haben an Drogen so ziemlich alles probiert, was es so gibt. Es ist aber nicht so, daß wir das alles so uneingeschränkt weiterempfehlen können. ZD: Habt Ihr Probleme mit anderen Bands wie z.B. den Toten Hosen, Ärzten oder so? B.O.: Also ein richtiges Problem will ich das nicht nennen. Es war in der Vergangenheit schon so, daß man uns von deren Seite kräftig ans Bein gepißt hat. Das konnten wir auch nicht unkommentiert auf uns sitzen lassen. Deshalb auch der Song auf dem letzten Album (???). Also ein Problem sind sie in dem Sinne nicht, da gibt es ganz andere Probleme. ZD: Wie geht Ihr mit Randgruppen wie Ausländern, Obdachlosen um. Was denkt Ihr über die Kids, die jetzt da stehen und Euch nach ‘ner Mark anschnorren? B.O.: Ich habe früher mal selber da gestanden und hab nach einer Mark gefragt. Deshalb kann ich mich sehr gut in die Situation ‘reinversetzen. Es ist nicht so, daß wir mit goldenen Schallplatten geboren worden sind, sondern das war wahrscheinlich ein glücklicher Zufall. Randgruppen sind wahrscheinlich die Leute, die wir ansprechen wollen, die wir auch als unsere Fans sehen. Ich kann mich auch viel mehr

mit ihnen identifizieren als mit Politikern oder den Schauspielern. Wir kommen ja nicht so viel mit ihnen zusammen, aber ich fühl mich eher zu denen hingezogen, als zu irgendjemand anderem. Zumal ich das aus meiner eigenen Jugend kenne. Ich bin in Hochhäusersilos großgeworden. Ich weiß, wie es ist, in der Scheiße großzuwerden. Von daher gesehen, ist das auch nicht so weit weg von mir. ZD: Wie geht Ihr mit Gerüchten um Euch um? B.O.: Mit Ignoranz, was bleibt uns anderes übrig. Es wurde schon so viel Schwachsinn über uns erzählt, erfunden und geschrieben, daß das schon gar nicht mehr in tausend Bücher passen würde. Von daher gesehen, wird man der ganzen Sache etwas kälter gegenüber. Es gibt aber immer noch Momente, wo man sich schon sehr verletzt und verarscht fühlt. Wir kommen uns manchmal vor, wie ein Spielball. ZD: In einem Lied hast Du Sehnsucht nach der Nadel. Wart Ihr mal drauf gewesen? B.O.: Unser Sänger war bis vor einem Jahr noch schwerstens heroin- und alkoholabhängig. Wir sind jetzt froh, das wir ihn da ‘runterbekommen haben. Er nimmt zur Zeit Methadon. ZD: Wiso spielt Ihr eigentlich nicht in Berlin? B.O.: Wir spielen erstens sowieso nur 2-3 Konzerte in diesem Jahr. Und dann haben wir auch noch so unsere Schwierigkeiten mit Berlin. Ich glaube, es gibt dort noch einige Vorbehalte gegen uns, und darauf haben wir keinen Bock mehr. ZD: Aber viele Leute aus der Szene hier hören doch Eure Musik? B.O.: Um die Leute gehts mir auch gar nicht. Ich weiß auch, daß unsere Musik sehr viele Leute aus der Hafenstraße hören, von denen erwarten wir auch nicht mehr so viel Streß. Ich meine, mehr von politischer Seite, wie von den Grünen oder der SPD. Ich persönlich würde sehr gerne mal in Berlin spielen. Zumal wir da auch sehr viele Fans haben. Außerdem möchte ich den Ärzten schon mal ein paar Texte um die Ohren hauen. Ich denke, das letzte Wort ist darüber auch noch nicht gesprochen, aber vor 99 wird das nichts mehr. ZD: Schönen Dank für das Interview


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ZEITDRUCK wollte unbedingt auch Leute befragen, die ihren Lebensunterhalt mit der Wahrheit verdienen. Folgender Text entstand nach einem Gespraäch der ZD-Kids mit einem Astrologen....

Es war einmal ein Sumpfreiter, der lebte vor langer Zeit, im Jahre 1200; er, der einzige, der sich im weiten grauenhaften Nebel der hiesigen Sümpfe bewegen konnte, ohne dem lauernden Tod in die schlammigen Hände zu fallen. So trug es sich zu, daß zu dieser Zeit ein junges Mädchen der Hexerei bezichtigt, gefesselt, geknebelt, mit Steinen beschwert und den grausamen Fängen der brodelnden Tiefen ausgeliefert wurde. Doch wie das Schicksal es wollte, erreichten den Bezwinger der tödlichen Sümpfe die stummen Schreie der Verzweiflung der Ausgestoßenen. So eilte er herbei und rettete die Ärmste vor den sicheren Fängen des Todes. Ohne ein Wort des Dankes entschwand sie aus seinem Leben und ward nicht mehr wiedergesehen. Heute ist unser Sumpfreiter Parapsychologe, Astrologe, Reiki-Lehrer und Reisender in die Unterwelt, von wo er sich eingesperrte, kranke Seelen als Reiseandenken mitnimmt und ins Regal stellt und nebenbei immer noch auf seine Hexe wartet. Ein Märchen? Oh nein, die Geschichte eines Astrologen, der Kraft seines Berufes im Branchenbuch steht, und den wir als interessierte Zeitung gerne zum Thema Lüge und Wahrheit befragen wollten. Empfangen wurden wir zu meinem Erstaunen recht freundlich. Wir betraten einen spärlich eingerichteten Raum aus dem leise, ruhige Musik

erklang. Etwas betreten sah ich mich um und stellte erstaunt fest, daß aus allen Weltregionen Gegenstände aufgestellt waren, vom Christenkreuz über Buddha bis hin zur afrikanischen Voodoopuppe. Sogleich begannen wir mit unserem Interview, und meine anfänglichen Erwartungen, daß wir uns nur über Sternbilder unterhalten würden, wurden schnell umgestoßen. Denn schon bald fing er an, Dinge zu erzählen, die sogar mich, als eifrige Esoterikerin, stark zum Zweifeln brachten. Nach einer kurzen Lektion über Horoskope klärte er uns über die Parapsychologie auf und erzählte uns, daß er an Phänomene wie Geister und andere Erscheinungen glaube und diese untersuchen würde. Sollte es spuken irgendwo, würde er mit seinem Trupp dorthin eilen, um die Sache zu klären. Zur Zeit beschäftigt er sich mit den Kelten, die sehr „in“ seien, momentan, aber um den richtigen Effekt beim Erproben keltischer Rituale zu erreichen, müsse man damalige Verhältnisse (Wald) schaffen, was er vortrefflich mit Schwarz­licht und blaubemalten Gläsern in seinen heiligen Räumen schafft. Sogleich berichtete er von Reisen in die Unterwelt, von der er eine in einem Stein gefangene Seele mitgebracht hatte. Auf die Nachfrage ob er das nicht für Quälerei halte, antwortete er ausweichend (wie des öfteren an diesem Abend), daß er nicht

wüßte, ob die Seele überhaupt noch darin wäre. Auf unsere Frage, ob er den Stein nicht einfach zurückbringen könnte, meinte er nach kurzem Zögern, daß er diesen Ort leider erst nach Jahren wieder besuchen könne. Irgendwie hatten wir das Gefühl, auf mystische Art und Weise leicht verwirrt worden zu sein (oder hat er sich gar selbst verwirrt?). So schimpfte er stetig und emsig über die Wissenschaft und Technologie, die im Nichtglauben schwelgt und über den Urknall philosophiert, wo er doch weiß, daß jegliche Energien des Kosmos von dem uns allen bekannten Punkt Omega abstammen (den wir auch Gott oder Börek nennen könnten). Nachdem wir 180 volle kosmische Minuten unseres unwissenden Lebens den übersinnlichen Worten des scha­ma­nischen Reikilehrers gelauscht hatten, verabschiedete er uns mit den Worten: “Und Kinder, tut mir den Gefallen: Haltet euch von Teufelssekten fern!“ Aus Respekt und Furcht vor dem Zorn unseres Gesprächspartners stoppen wir diesen unglaublich unwürdigen Text und wollen hoffen, daß er auf seinen Wanderungen nicht gerade unseren Seelen begegnet, für den Fall, daß er unglaublich wütend wird und unwürdige Taten begeht. Davon soll jetzt jeder halten was er will. UND TUT MIR EINEN GEFALLEN: HALTET EUCH VON TEUFELSSEKTEN FERN!!!!!! Pepsi

Grafik: Würfel


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ZD-TV

W

as für ein Tag! Praktisch ein halbes Jahr hatte ich mit wechselndem Erfolg versucht; die verschiedenen Besucher der Zeitdruck- Redaktion für unser TV- Projekt zu motivieren. Einiges war vorproduziert, d.h. wir hatten trotz widriger Umstände (uns stand nur sehr sporadisch die Kamera der Medienwerkstatt maz & movie zur Verfügung) doch ein paar Szenen

V T K-

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von trin

Ka im Kasten und diese auch schon zu fertigen Clips verarbeitet (Danke, Marikka !). Und nun diese “Meute”. An die 20 Leute, vorwiegend recht aufgedrehte Jugendliche veranlaßten auch den Medienassistenten Frank schon nach wenigen Minuten, nachdem der von uns mitgebrachte Hund zwischen die Kabel gekotzt hatte, zu dem Vergleich mit dem Sack Flöhe, der ja wohl leichter zu hüten sei... Während er versuchte, uns die technische Ausstattung des großen Studios zu erklären, waren manche mit Rauchen, andere mit Einkaufen beschäftigt. Von denen, die dabei standen, hörten einige gar nicht hin, sondern lästerten lieber, was natürlich dazu führte, daß sie später null Durchblick

Telefonanruf-durchstellen funktioniert. Zwei recht ratlose MedienassistentInnen standen geraume Zeit vor dem Tonmischpult, bis sie sich auf irgendeine Lösung einigen konnten. Nun konnte unsere Tonfrau die Sache übernehmen und schon war es 19 Uhr!!! Auweiha, leider war der für die eingespielten Clips zuständige Mensch noch nicht zur Stelle und so mußte ich einspringen. Die Folge war, daß nicht unser ZEITDRUCK-Trailer als erstes abgespielt wurde, sondern ein achtminütiger Beitrag über die Redaktion (seufz). Das brachte wiederum unsere Moderatorin etwas aus dem Konzept, die nun frisch geschminkt und gepudert erstmal untätig und etwas verwirrt in Position saß. Dann ging es aber doch noch weiter und im Laufe der Sendung wurde auch die Ansagerin zusehens lockerer. Allerdings waren ihre Beiträge kürzer als erwartet ausgefallen, so daß unser Programm für die ganze Stunde schon nach genau der halben Zeit abgelaufen war. Glücklicherweise hatten wir aber sozusagen “open end”, denn die restliche Zeit sollte sowieso für Anrufe zur Verfügung stehen. Naja, schon klar, daß auch das nicht so einfach ging, wie wir gehofft hatten. Diesmal lag es aber wenigstens nicht an uns, denn die Anrufer waren leider meist entweder feindlich gesonnen oder einfach nur bescheuert oder beides (Sieg Heil! und so’ne Scheiße). Das brachte unsere Tonfrau dermaßen auf die Palme, daß sie zeitweise wutentbrannt den Hörer daneben legte, so daß die zwei im Studio natürlich denken mußten, keiner ruft sie an. So vergingen auch im letzten Teil einige Schweigeminuten, in der die Luft buchstäblich mit einem großen Fragezeichen erfüllt war. Es gab aber auch noch ein paar nette oder interessante Anrufe, einige kamen leider erst nach der Sendung durch (Hallo, Jörg!). Okay. Technisch war es auch alles andere als perfekt, aber es war ein Super-Tag und ich fand es toll, daß so viele gekommen sind. Natürlich machen wir weiter, das ist schon klar und wir werden immer besser.(Tschuldigung, Zora, daß Deine Nachrichten von unten vergessen wurden. Wir machen es wieder gut, versprochen)

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hatten und noch mal alles erklärt haben wollten. Auch der Hinweis von Frank, die Kameras bitte nicht mit Gewalt bewegen zu wollen, sondern lieber zu gucken, wie es richtig geht, wurde mit allgemeinem Gemurre aufgenommen. Da wir durch eine Verzögerung im Band- und Instrumententransport schon eine Stunde zu spät mit der Einführung begonnen hatten, wurde nun allmählich die Zeit

etwas knapp. Das bemerkten vor allem die Leute, die den Sketch spielen wollten, den sie nämlich bis zu dieser Minute noch nie geübt hatten. Es existierte lediglich ein sehr vages “Drehbuch”. Auch die Einrichtung der Mikrofone, die Beleuchtung und die Dekoration mußten ja noch erledigt werden und wie durch ein Wunder passierte das dann doch ganz fix. Der Soundcheck unserer „Hausband“ HALB und HALB dauerte sicher eine dreiviertel Stunde. Das gab jedoch den Kameraleuten und der Bildregie schon mal die Möglichkeit, ein bißchen zu üben. Eine halbe Stunde vor Sendebeginn gab es plötzlich größere Probleme mit dem Ton, als wir gerade ausprobieren wollten, wie das mit dem

Mit dabei waren: Irina, Kerstin, Ralf, Nina, Rudi, Kerstin N., Yvonne, Daisy, Kathrin, Jule, Pepsi, Würfel und „HALB und HALB“)


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“Nein!“ schrie ich, “Ja!“ mein Arm. Köln, Städtisches Krankenhaus ...und zwei Mädchen saßen auf der Bank. Auf der Bank vor dem “ Ufa-Kino” am Friesenplatz. Die eine war blond, die andere rothaarig. Es war ein Sommernachmittag, schön, wie es sie nur selten in diesem Jahr gab und in diesem Jahr auch nicht mehr geben würde - zumindest nicht in den Herzen der beiden Mädchen. Eine wunderbare Ruhe umgab die zwei, bis auf einmal - wie ein Peitschenknall auf dem Rücken eines Pferdes - die Stimme der Blonden die Stille durchbrach: “Heute setze ich mir wieder einen Druck.” Die eben noch so angenehme Ruhe wandelte sich in beklemmendes Schweigen, das mit Messern gespickt schien, so scharf war die Luft auf einmal. Tausend Gedanken schossen der Schwarzhaarigen durch den Kopf. Die Schwarzhaarige war ich, und ich glaube, da hat es angefangen.

Ich gebe ihr keine Schuld ...Nein, angefangen hatte es auf den Rheinwiesen, auf einer Decke, ein Gespräch in der Dunkelheit. Ein Gespräch, in dem meine Neugier mich Fragen über ihr früheres Leben stellen ließ, ihr Leben früher, als sie drauf war. Sie fand ihr damaliges Leben schön, und ich ließ es mir schönmachen. Und es war am Ende nur noch eine Frage der Zeit, wann wir losziehen würden, um das zu tun, worüber wir stundenlang redeten. Ich gebe ihr keine Schuld, ich bin für mich selbst verantwortlich und ich wußte Bescheid. Nur wollte ich lieber darauf hören, als auf das, was meine Augen gesehen und meine Ohren gehört hatten. Und an diesem Sommertag, als wir auf der Bank saßen und nur alte Freunde von ihr besuchen wollten, wollte ich wissen, was es für ein Gefühl ist, für das sich Menschen, die ich liebhabe, kaputtmachen, kaputtmachen wollen... Diesmal war es meine Stimme, die das beklemmende Schweigen unterbrach: “Gut, laß uns mal zusammen machen.”.

Wir stellten uns vor das “UfA-Kino” und bekamen das Geld schnell, beängstigend schnell zusammen. Ich konnte es kaum erwarten. Ich glaube, ich stellte mir so etwas wie ein Wunder vor. Später trafen wir auch ihre alten Freunde. Ein Pärchen, die beide drauf waren, und die ich eigentlich nett fand. ...Im ersten Moment dachte ich, ich müßte sterben, würde einfach umfallen und in diesem Klo liegen bleiben. Ich glaubte, alle Leute dort draußen müßten wissen, daß wir hier saßen und sie mir einen Druck machte. Später saßen wir wieder auf einer Bank, auf der Domplatte, ich kotzte einmal, war todmüde und dachte, was nun das eigentliche Gefühl dabei war. Aber es blieb in meinem Kopf hängen...und zwei Tage später standen wir wieder vor dem “UfA-Kino”. Wir schliefen bei einer Freundin des Pärchens - wenn man in diesem Zusammenhang das Wort “Freund” benutzen kann. Wohl kaum. Nach meinem dritten Druck wachte ich morgens auf und meinte: “Ich werde krank, mir tut alles weh.” Sie lachte nur. In dieser Zeit begriff ich, glaube ich, gar nicht richtig, was ich tat, erst als ich nach kürzester Zeit eines nicht mehr konnte: Lachen. Ich hatte in rasanter Schnelle meine Fröhlichkeit verloren, das was immer am Wichtigsten gewesen war! Aber ich machte weiter, ich machte weiter und sah zu, wie ich mich immer mehr veränderte ...und wie sie sich veränderte. Sie, die ich doch so lieb hatte, begann allmählich mich ganz gewaltig auszunutzen. Das alles wollte ich nicht wahrhaben. Sie schlief, während ich schnorrte und wir stritten zum ersten mal. Wir stritten wegen Geld und Drogen. Welche Freundschaft läßt sich mit Geld und Drogen aufwiegen? Geld und Drogen gegen Liebe? “Ey” sagte ich, “von keiner Droge laß ich mir meine Persönlichkeit nehmen.” ...und wir liefen los, Arm in Arm, und ich glaube, es war das letzte mal, daß wir Arm in Arm liefen, weil wir uns lieb hatten. Wir suchten die Schuld bei allen, aber nicht bei uns. Und es verstrichen 8 Tage, in denen wir uns kaum sahen und ich mir schwor, nie wieder eine Spritze in die Hand zu nehmen.


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Drogenlügen & -wahrheiten

Aber mein Hirn sagte etwas anderes. Die Tage hatte ich Depressionen, ich grub in meinem Kopf mühselig nach einem Grund, loszulaufen und es wieder zu tun! Bilder schossen mir vor die Augen, Bilder der Leute, die ich kennengelernt hatte, Bilder von einem Typen, mit dem ich was hatte... Und als ich vor “McDonalds” am Hauptbahnhof schnorrte, wußte ich genau wofür, obwohl ich es nicht wahrhaben wollte, ich wollte nicht, ich wollte nicht eine dieser armseligen Leichen werden, eingefallen mit totem Blick, nur noch lebend für das Eine. “Nein !” schrie ich, und “Ja!” mein Arm. Als ich endlich meinen lächerlichen, völlig lapidaren Grund gefunden hatte, lautete er “Ich verarsche mich nur noch selbst.” Tja, und dann gingen wir einkaufen...

Ein großer Krater Mein Kumpel, dem ich eigentlich völlig vertraue, hatte mir vorher erzählt, wie hinterhältig sie sei. Er erklärte mir, wie es aussehen würde, würde ich nochmal anfangen. Ich habe ihm zwar, außer in Bezug auf sie, geglaubt, es aber trotzdem getan, weil ich gar keine Vorstellung hatte, was die ganze Sache für ein widerwärtiger, grauer Sumpf ist. Wir waren jetzt nicht mehr am Friesenplatz, sondern am Neumarkt, zuerst mit drei anderen zusammen, dann gingen wir allein schnorren. Wegen dem Geld, weil es langsam immer schwerer wurde, das Geld für uns beide aufzutreiben. Dann konnten wir nicht noch zu fünft schnorren. Ich veränderte mich immer mehr und auch sie veränderte sich furchtbar. So sehr, daß ich immer mehr Haß auf sie bekam. Richtigen Haß. Wie ich ihre Gier merkte, wie sie anfing, auch mir gegenüber Egoismus zu entwickeln und sogar anfing, mich abzulinken und total auszunutzen. Wir schnorrten vor dem “N & R” auf der Ehrenstraße und je mehr Zeit verstrich, desto deutlicher wurde mir klar, wie schlimm das Zeug eigentlich wirklich ist. An manchen Tagen brachten wir total schwer das Geld zusammen, standen in der Kälte und die Leute gaben uns nichts, weil sie sahen, daß wir es brauchten. Da standen wir, uns ging´s echt mies, jeder Knochen schmerzte, wir kotzten Galle und lachten, wir lachten und lachten, ein hysterisches, panisches Turkey-Lachen, und wir wurden immer hysterischer und kränker im Kopf. Langsam bekam ich diese milchig-durchsichtige Junkee-Haut und dunkle Augenringe. Und manchmal gab es diese Momente, diese Momente, als ich

zum Beispiel auf dem Klo war, das durch flackerndes Neonlicht beleuchtet wurde. In den Ecken klebte Dreck und Blut, Pumpen und Alkoholtupfer lagen herum, es stank nach chemischen Reinigungsmitteln. Manchmal lag jemand in der Ecke und ich saß da, mit der Pumpe im Arm und bitter schlich sich immer wieder der Gedanke ein: “Scheiße, ich bin ein Junkee.”. Ich begann die Leute zu sehen, wie sie wirklich waren und ich begann, mich selbst zu hassen, weil ich mich so verändert hatte. Und ich haßte sie, wir stritten nur und als ich endlich meine Wohnung bekam, wo wir zuvor im totalen Dreck und Ekel wohnten, begann sie auch die vollzusiffen, obwohl ich dort sauber leben wollte. Aber wir machten weiterhin zusammen, obwohl ich wußte, sie nutzt mich nur noch aus. So oft war ich allein schnorren und habe immer mit ihr geteilt, bis es mir nach viel zu langer Zeit endgültig reichte, aber da kam ohnehin ihr Freund aus dem Knast, sie brauchte mich nicht mehr, verbreitete noch ein paar Lügen und zog ab. So ging dadurch eine erst wunderbare Freundschaft kaputt, wurde auseinandergerissen und hinterließ einen großen Krater. Ich ging allein schnorren und dosierte mich total hoch. Ich hatte überhaupt keinen Nerv mehr auf dieses Leben, diese Lüge, den ständig gleichen Lauf der Dinge. Irgendwann war ich nur noch fertig, kam weder mit mir, noch mit meinem Leben klar und ging zur Drogenberatung, nachdem ein Arzt mir versprochen hatte, mich ins Pola-Programm zu bringen, was nicht funktionierte und er auch abstritt. Irgendwie dachte ich wirklich, jetzt ist es völlig vorbei. Dann fing es an, daß ich alles, was ich aß oder trank wieder auskotzte, auch wenn ich nichts aß oder trank, am Ende sogar Blut. Als ich wirklich nicht mehr konnte, ging ich zum Gesundheitsbus. Krankenhaus, Hepatitis A. Jetzt liege ich hier und mache einen warmen Entzug. Ab morgen bekomme ich nichts mehr, aber ich weiß, daß ich durch diesen Dschungel aus Depressionen und ständigem Denken an den Stoff durch muß, daß ich den Teil in meinem Kopf, der danach verlangt, sterben lassen muß, damit ich wieder so werde wie früher und mir ein neues Leben aufbauen kann. Es ist nicht leicht, aber es liegt an mir, es zu überwinden. Schließlich bin ich selber schuld. Ich kann auch nicht genau beschreiben, was bei dieser ganzen Geschichte in mir vorging, denn ab einem gewissen Punkt sind Worte sinnlos. e Angelina, 16 Jahr


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Nina


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Zahme Vögel singen von Freiheit wilde Vögel fliegen!

S

ie war eine Sonnenblume, die jetzt verwelkt ist. Sie hatte so viele Träume, die nicht wahr wurden und auch niemals wahr werden können .Sie lebte ein ungelebtes Leben. Wie oft träumte sie vom Leben und von den vielen schönen Sachen, die das Leben mit sich bringen könnte. Doch bald wurde alles ein Alptraum, der niemals zu enden schien. Doch als er ein Ende nahm, wünschte ich mir, daß es anders wäre. Sie ließ mich allein’ zurück in einer kalten, grausamen Welt, die nur aus Angst besteht. Ich hoffe, sie ist jetzt da, wo sie immer sein wollte - Paradies! Ich weiß nicht, ob es ein Paradies gibt, aber ich denke, egal wo sie jetzt ist, wenn es noch kein Paradies gibt, wird sie eben eins schaffen. Ich hoffe, daß es dort eine Sonne gibt, denn sie liebte nichts mehr, als die Sonne und den Himmel. Wird sie mich kennen, wenn wir uns im Paradies treffen? Vielleicht sollte ich nicht zu lange damit warten!

Irina


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Dany ist tot.

Eine Überdosis Heroin beendete ihr Leben. Wir hatten Dany im November 1995 in der Haftanstalt Plötzensee kennengelernt. Später arbeitete sie bei ZEITDRUCK mit. Wir drucken an dieser Stelle noch einmal ihren Text „Wer an der Suchthilfe spart“ von 1996 ab, der nun aktueller denn je erscheint.

Wer an der Suchthilfe spart...

Statt eines Nachrufes

Meine Eindrücke zu einem Gespräch im BerlinerDrogenreferat (am 14. 3. 96)

Dany ist tot. Sie starb im Dezember 1996 an einer Überdosis Heroin.Dany hat es aus eigener Kraft nicht geschafft, sich von dem starken Suchtmittel zu befreien. Die Ursachen, die zur Sucht führen, sind komplex. Pharmakologen zufolge umfaßt die Süchtigkeit drei Stufen: Toleranzentwicklung, Abhängigkeit und zwanghafte Suche nach Drogen. Ehemals Abhängige nehmen nach langer Abstinenz und eingehenden Bemühungen um eine soziale und berufliche Rehabilitation oftmals ihren Heroinkonsum wieder auf und sind innerhalb weniger Wochen erneut voll abhängig. Einige Wissenschaftler glauben, daß das zwanghafte Drogen­such­verhalten einen biologischen Hintergrund hat: daß also bei jemandem, der opiatsüchtig wird, physische Veränderungen auftreten, die ihn für immer von Opiaten abhängig machen so wie ein Diabetiker seiner täglichen Dosis Insulin bedarf. Andere Wissenschaftler halten das zwanghafte Dro­­gen­such­verhalten für ein soziologisches Phänomen. Ihrer Theorie zufolge fallen die ehemals Abhängigen nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus in ihre alten Lebensgewohnheiten zurück, weil sie einfach keine andere Art zu l e - ben kennen. Wieder in ihrer alten Um­g ebung kom­men sie fast sofort mit ihrem freundlichen “Pusher” aus der Nachbarschaft in Kontakt. Nach heutigem Erkenntnisstand kann keine der beiden Erklärungsmög­ lich­keiten ausgeschlossen werden. Wissenschaftlich ist das Problem erkannt; ethisch-moralische Verantwortung tragen die PolitikerInnen. Wer Menschen keine Chancen und Perspektiven gibt, sondern Sozialraub betreibt, braucht sich über Drogentote nicht zu wundern. Die Opfer von Sparmaßnahmen in der Suchthilfe sind in letzter Konsequenz immer die Schwächsten. Drogenabhängige Menschen. Dany. Frekkl für die Redaktion

Ich war letztens beim Drogenreferat, wo viele Leute waren, die Suchtarbeit leisten. Nette Sitzung - komische Unterhaltung! Eine Frau hat sich da hingesetzt underzählt, daß viele Dro­genbera­tun­ gen, ambulante und stationäre Therapien, weggespart werden, denn Suchtarbeit soll ein Luxus sein und nicht gesetzliche Pflicht. Ich war in dem Raum wohl die einzigste Suchtbetroffene und fand das ganz schön hart, daß da keiner was gesagt hat. Also, mir gibt das ganz schön zu denken, wenn nicht mal mehr einer was dazu sagt oder sich wehrt! Es wurde auch gesagt, daß vor allem im Westen gespart wird. Genau der Spruch hat mich richtig genervt. Überall in den Zeitungen stand letztens erst, das alle ja soooo froh sind, weil entgegen allen Befürchtungen, die Dro­genproblematik nicht so extrem in den Osten übergeschwappt ist. Wenn das so ist, dann frage ich mich, warum dann im Westen die Suchtarbeit zerstört wird!? Mir ist das ein Rätsel, ich bin drogensüchtig und mache gerade die ersten Schritte um wirklich nicht mehr rückfällig zu werden und genau an diesen Hilfestellungen soll weggespart werden. Wenn ich jetzt keine Möglichkeit mehr hätte, mir von einer Drogenberatung helfen zu lassen, dann koste ich alleine den Staat Tausende von Mark. Die ganzen Diebstähle, die ich dann wieder machen würde, die Knastzeit, das alles kostet viel mehr, als wenn ich eine Therapie machen würde. Vor der Therapie müßte ich eben zur Drogenberatung und auch das wäre noch billiger, als das, was ich sonst anstellen würde! Wenn ich Drogen nehmen würde, dann richte ich wahrscheinlich jeden Tag einen so großen Schaden an, als wenn ich mir ein Jahr lang helfen lasse. Mir sagt das, daß die Verantwortlichen wieder mal gar keinen Plan vom wirklichen Leben haben, sondern nur das bequemste machen und eben an dem Schwächsten sparen! Außerdem bin ich echt enttäuscht von den Leuten, die da t saßen, denn keiner hat sein Maul aufgemacht - keiner! Naja, ich brauch mich gar nicht so sehr darüber aufregen, denn was jetzt an uns eingespart wird, kommt zehnfach auf die Verantwortlichen zurück, denn Drogensucht läßt sich nicht wegsparen!!! Dany

Ich schreibe in grün, doch Ihr lest schwarz.. Grün - die Hoffnung, die ich habe. Schwarz - die Trauer in mir - um Dany; nicht nur um Dany, auch um all die anderen, die von uns gingen. Es sind nicht nur die Sparmaßnahmen, die grün zu schwarz werden lassen, sondern Zwänge, gegen die wir nicht ankommen. Mann - Frau auch -, hofft auf Hilfe, nach der überall, vor allem im Knast, gesucht wird. Der Kampf gegen die kalten Gitter gelingt fast allen... Aber draußen all das, was man sich zum Ziel gemacht hat, ohne die nötige Hilfe zu verwirklichen... ? Ich habe Angst ... Isa, Plötzensee

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Tod & Leben

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N Wie oft wollte ich ein Engel sein... Und doch sitze ich heute hier in der Zeitdruck-Redaktion und lebe.

Lebe ich?

a ja, ich bin zumindest nah dran. Nä her, als vor ein paar Wochen. Mit zwölf habe ich angefangen zu kiffen. Das fand ich damals ziemlich cool. Ich fing an, die Schule zu schwänzen und machte eigentlich nur das, was ich nicht machen sollte. Natürlich erfuhr meine Mutter von den Aktionen und es gab Streß. Sie ist total ausgeflippt. Sie kam nicht auf die Idee, daß ich die Schule schwänzte, um mit meinen Freunden was unternehmen zu können. Nach der Schule ging das nicht, weil ich sofort nach Hause mußte. Mit dreizehn haute ich ab und kam in ein Heim.Da war ich dann nur noch am kiffen und saufen, ging aber wieder zur Schule.Nach einem Jahr flog ich dann da raus und kam in ein neues Heim, wo ich nach zweiMonaten wieder raus flog. Dann kam ich in ein Heim, wo es mir ganz gut gefiel. Dort klappte es auch ganz gut, bis ich erfuhr, daß sich mein Bruder umgebracht hat. Er war der einzige aus meiner Familie, mit dem ich mich echt gut verstanden hatte. Das hat mich dann wieder total aus der Bahn geworfen. Ich ging nicht mehr zur Schule, fing wieder an, mich zu besaufen und nahm auch sonst alles, was ich kriegen konnte. Irgendwann steckten mich die Betreuer nach Brandenburg in eine Psychiatrie. Sie waren der Meinung, daß ich von al-

len möglichen Sachen süchtig wäre.Ich bekam ziemlich schnell mit, daß dort Kiff und Trips verkauft wurden. Als eine Urin-Kontrolle gemacht wurde, haben sie mich auf die Geschlossene gesteckt, wo ich von alten Frauen umgeben war. Die waren echt krank. Einmal bin ich an den Medikamentenschrank gekommen, wo ich mich auch ordentlich bedient habe. Irgendwann habe ich dann die Tabletten genommen. Ich wurde gefunden, und kam auf ‘ne Intensivstation. Kurze Zeit später wurde ich nach Spandau in die Psychiatrie gebracht. Irgendwie kam ich dann auf Heroin. Zuerst war ich total begeistert von dieser Droge. Ich habe geglaubt, endlich frei zu sein. Irgendwie hab ich übersehen, daß ich immer abhängiger wurde. Ich hatte bald nichts mehr, wo ich pennen konnte. Meine Freunde wollten nichts mit Schore zu tun haben. Ich schlief in Krisenwohnungen und Tankstellen-Klos. Solange ich Dope hatte, war es mir egal, wo ich pennen mußte. In der Zeit lernte ich meinen Freund kennen, der mir meine Sucht finanzierte.Wenigstens brauchte ich nicht mehr schnorren zu gehen. Fast immer, wenn ich breit war, nahm ich mir fest vor, zu entziehen. Dieser Gedanke hielt meistens solange an, wie das Dope. Wenn ich mal wieder aufhören wollte, ging ich zur Drogenberatung. Die hat mir dann einen Vorstellungstermin in der Villa Störtebeker (betreutes Wohprojekt des KARUNA e.V. - Anm. d. Redaktion) besorgt. Nach meinem ersten Termin in der Villa war ich so begeistert, daß ich am liebsten sofort eingezogen wäre. Leider waren meine Mutter und meine Jugendfürsorge nicht meiner Meinung. Als wir nach drei Monaten die Unterschrift von meiner Mutter und die Kostenübernahme hatten, merkten die Menschen von der Villa, daß ich noch drauf war. Sie waren bereit, mich einziehen zu lassen sobald ich entgiftet habe. Ich bemühte mich um einen Platz und war ein paar Tage später imCountDown. Nach einer Woche Entgiftung, kam ich endlich in die Villa. Ich bin jetzt drei Wochen hier und hoffe, daß ich es endlich mal schaffe, clean zu bleiben.

Irina


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Manchmal kann man den Ungerechtigkeiten des Lebens entgehen, wenn man seine Rechte kennt, und damit meine ich nicht nur die, die einem vorgelesen werden, sondern auch die für die kleinen Dinge des Lebens. So, liebe Leute, und deshalb diese Seite, die heute unter anderem Euren täglichen und nächtlichen Begleitern gewidmet sein soll, die Freund und Familie ersetzen (können) und auch sonst viel Freude machen, aber manchmal eben auch für diversen Ärger mit Vermietern, Nachbarn, Anwohnern etc. Sorgen...

Kurz gesagt: Hunde

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er Hund ist als Tier ja auch im BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) nun mittlerweile keine Sache mehr, sondern wird im Gesetz nur “entsprechend” als solche angesehen. Siehe §§ 94, 94 a BGB. Das vorab.Wenn Ihr also vorhabt, einen Hund zu Euch zu nehmen und das Glück habt, eine Wohnung Euer Eigen zu nennen, dann solltet Ihr, um dem Ärger im Vorfeld zu entgehen, den Vermieter um eine Genehmigung der Hundehaltung bitten. Denn nach den Vorschriften des Mietrechts ist die Haustierhaltung, die über Meerschweinchen und Wellensittich hinaus geht, genehmigungspflichtig. Und da beginnt oft das Problem. Ihr habt nämlich möglicherweise einen Mietvertrag unterschrieben, der in einer Klausel vorsieht, daß die Hundehaltung verboten ist und Ihr meint, ja sowieso keine Genehmigung von dem Vermieter zu bekommen. Das ist aber nicht so, da der Vermieter die Haltung eines Hundes eigentlich genehmigen müßte, da “das Halten von Hunden nach den hiesigen tradierten soziokulturellen Vorstellungen als Inhalt eines ord-

nungsgemäßen Wohnens anzusehen ist.” Denn die Haltung eines Hundes kann “nicht nur kommunikative, sondern auch pädagogische und medizinische Bedürfnisse” erfüllen. So. Und dazu gibt es natürlich eine Gerichtsentscheidung, die Ihr in die Diskussion mit Eurem Vermieter einwerfen oder bei Interesse auch in der Bibliothek (zB. Stadtbibliothek oder Bibliothek der Humboldt-Uni) nachlesen könnt: AG Köln, Urteil vom 13.07.1995 - 222 C 15/95 Falls Euer Hund jedoch besonders bellfreudig sein sollte, müßt Ihr wissen, das dies nicht zur unzumutbaren Belästigung für Eure Nachbarn werden darf, weil das im schlimmsten Fall zu einer Kündigung Eurer Wohnung führen kann. Da aber jeder Hund auch mal bellen muß, wegen Einbrechern, Türklingeln, Einsamkeit ..., darf er das - aber nicht länger als drei Stunden am Tag. Übrigens gibt es nach dem Tierschutzbericht 4,8 Millionen Hunde in Deutschland.


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Schwarzfahren

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ine andere Geschichte, die das Leben schreibt: nach einer schwarzen Fahrt, die ihr plötzliches Ende mit einer Kontrolle findet, flattert ein Brief von Schimmelpfeng ins Haus und der Betrag, den diese Firma haben will, ist ziehmlich hoch. Die Inkassofirma Schimmelpfeng hat aber keinen Anspruch auf all das viele Geld, denn ihnen stehen die 60,00 DM zu und 26,80 DM für ihre Kosten. Insgesamt dürfen sie also nur 86,80 DM von Euch verlangen, die Ihr bezahlen müßt. Diese Rechnung ergibt sich daraus, daß das “erhöhte Beförde­rungsentgeld” von 60,00 DM der Streitwert ist. Der Streitwert ist Grundlage für die Berechnung der Gebühr der Bearbeitung für einen Rechtsanwalt und eben auch das Inkassobüro und diese Gebühr entspricht bei 60,00 DM nach der Gebührentabelle 26,80 DM. Ihr solltet Euch nicht wundern, wenn vorher keine Mahnung kommt, denn eine zusätzliche Mahnung ist nicht erforderlich, da mit dem Zahlschein, den Ihr in der Regel bei der Kontrolle bekommt, wird Euch eine Frist zum Bezahlen

Medien

U

nd zum Schluß noch etwas zum Thema Medien. Die Medien aller Art sind vom Thema Straßenkinder restlos begeistert und versuchen möglichst sensationell darüber zu berichten. Es kann Euch, wenn Ihr interviewt werdet, passieren, daß die Dinge, die Ihr gesagt habt, verfälscht dargestellt werden oder andere Unrichtigkeiten verbreitet werden. Nach § 10 des Berliner Pressegesetzes ist jeder verantwortliche Redakteur oder Verleger einer Zeitung oder Zeitschrift verpflichtet, eine Gegendarstellung von Euch abzudrucken in der Zeitung oder Zeitschrift, in der die unwahre Tatsachenbehauptung erschien. In dieser Gegendarstellung solltet Ihr schreiben, was genau falsch dargestellt wurde und wie es sich in Wirklichkeit verhält.

Wichtig ist, daß Ihr so schnell wie möglich eine Gegendarstellung an die Zeitung schickt, da diese “unverzüglich” an die Zeitung zu richten ist, damit der Anspruch auf Abdruck der Gegendarstellung nicht erlischt.

So, Leute, das wars für´s erste. Gebt ZEITDRUCK Bescheid, wenn Ihr besondere Wünsche für die §§ - Seite der nächsten Ausgabe habt. Sugar


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Wie es aussah, hatte sie es geschafft und sie bekam tierisch Bock darauf, sich die neue Haarfarbe auf den Kopf zu klatschen. Gedacht, gesagt, getan! ‘Ne Stunde später hatte sie pechschwarze Haare. Jetzt war sie wohl nicht mehr so auffällig, dachte sie, aber in den Nachrichten hatte es sich herumgesprochen, daß schwarze Haarfarbe geklaut worden war und die Täterin demnach wohl schwarze Haare haben mußte. In den nächsten Stunden wurden alle schwarzhaarigen Frauen der Stadt einkassiert, um zu überprüfen, ob sie für den Überfall in Frage kämen. Sie saß gerade in der S-Bahn, als sie dies erfuhr. Eben wollte sie aussteigen, als der Schaffner sie schon entdeckte. Es war zu spät, um noch wegzurennen. So blieb sie ganz ruhig sitzen, vielleicht ließ er sie ja in Ruhe weiterfahren. Er kam auf sie zu und forderte sie auf, an der nächsten Haltestation auszusteigen, da alle Frauen mit schwarzgefärbten Haaren kontrolliert würden, um festzustellen, ob sie für den Überfall auf die Drospa-Filiale in Frage kämen. Als die S-Bahn hielt, stieg sie in Begleitung des Schaffners aus. Flüchten war zwecklos, denn der Schaffner ließ sie unauffällig aber bestimmt keinen Moment aus den Augen. Sie mußte sich in eine Reihe von schwarzhaarigen Frauen stellen. Dann marschierten sie im Gänsemarsch in I. Kapitel Richtung einer bereitstehenden Polizeikette um überprüft zu werden. eise schlich sie durch die Drospa-Kaufhalle Ein Stimmengewirr, teils spanisch, türkisch, isund schaute sich mißtrauisch nach allen Sei raelisch, usw., ertönten. Das einzige, was alle ten um. Ringsum leuchtet es bunt und Frauen gemeinsam hatten, waren ihre schwargrell: Kaufen, Kaufen, Kaufen!!! Sie hatzen Haare. Sie schaute sich jetzt genauer um. te aber kein Geld und - unter uns gesagt - auch Überall standen diese sinnlosen, grünen, Sparkein’ Bock, für irgendwelchen Scheiß aus dem gelersatzteile (genannt Bullen) um die Frauen Drospa Geld auszugeben. Sie schaute sich weiherum und beobachteten sie unauffällig aber ter um; merkwürdig, keiner beobachtete sie, bestimmt. oder doch...?! Langsam rannen ihr die Schweißperlen herunDa sprang es ihr direkt ins Auge: Färbung ter. Was sollte werden, wenn sie jetzt aufflog? für´s Haar in Töpfen! Blitzschnell Sie sah sich schon wieder im schnappte sie sich drei Stück, und Plötzlich hörte sie Knast. Oh nein, sie wollte zuwollte sie gerade einstecken, da Schritte. Sie näherten mindest nichts unversucht erklang eine schrille Stimme: “Du lassen, zu entkommen. An ihr Diebin, leg das sofort wieder in´s sich aus der Richtung sollen sich die Bullen noch die Regal zurück!” PANIK!! So schnell des kleinen Hügels... Zähne ausbeißen!!! sie konnte rannte sie quer durch Gut, wo standen sie nun überall? die Halle, Richtung Kasse. Die Standen sie auch wirklich überKassiererin, ebenfalls panisch, ergriff, als sie all? Schauen. Anscheinend konnten sie ihre Gedie auf sie zustürmende Gestalt erblickte, die danken lesen, da sie ihr mehr Aufmerksamkeit Flucht. Die Chance!! Ein schneller Griff in die zuwendeten, als den anderen. War sie vielleicht Kasse und schon hatte sie so viele Geldscheine schon enttarnt? Aus einem Funkgerät hörte sie: in der Hand, wie schon lange nicht mehr. Sie “...die Täterin soll ca. 1,54 m groß sein und - wie wußte im Augenblick nicht, wieviel und was es schon bekannt - schwarze Haare haben...” für Scheine waren, aber es war ‘ne Menge Geld. Okay, jetzt ganz ruhig bleiben! Intensiv redete Doch jetzt nichts wie raus! sie sich ein, daß sie unschuldig war und zu UnDie Flucht erschien ihr total leicht, hinter ihr recht hier gefangengehalten wurde. Gebrüll: “Stehenbleiben!”. Vor ihr freie Bahn. Tatsächlich schien sie so einen unschuldigen AusImmer nur rennen, bloß nicht stehenbleiben. druck in den Augen zu haben, daß die Bullen nun Endlich, keine Rufe mehr. Ausruhen. nicht mehr so genau auf sie achteten. Wie ein

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prosaische Wahrheit geölter Blitz rannte sie los. Sie lief und lief, ohne Noch ein bißchen warten, vielleicht ist der noch einmal zurückzuschauen. Es kam ihr vor, Hausherr auf dem Klo. Bei dem Gedanken, daß als wenn sie durch ganz Berlin rennen würde. der vielleicht gerade auf der Kloschüssel hockte Endlich erreichte sie atemlos einen ruhigen und n´ Schiß abließ, durchlief sie ein Schaudern. Spielplatz und ruhte sich in einem der kleinen Es tat sich immer noch nichts. Neben der Tür Holzhäuschen aus. Weit und breit war kein Bulbefand sich ein kleines Fenster. Sie duckte sich le mehr zu sehen. Sie seufzte auf. Nun wußten davor und schaute vorsichtig, ob sich jemand die Bullen natürlich, daß sie die Übeltäterin war. darin befand und vielleicht nur Angst hatte, Schließlich war sie ja weggelaufen. Aber die wäaufzumachen. Drinnen war nicht viel zu erkenren früher oder später sowieso darauf gekomnen. Sie drückte ihre Nase gegen die Scheibe, men, dachte sie sich. um deutlicher sehen zu können, da stellte sich Plötzlich hörte sie Schritte. Sie näherten sich heraus, daß das Fenster nicht ganz geschlosaus der Richtung des kleinen Hügels, der sich sen war. Hier konnte sie hineinklettern. Es gab vor der Holzhütte befand. Erkein langes Überlegen. Sie riß schrocken schaute sie auf. Die Tränenblind lief sie das Fenster blitzschnell auf und Schritte kamen immer näher. In über den Spielplatz stieg durch den Rahmen. Als sie der Tür der Hütte erschien eine drin war, schloß sie das Fenster Gestalt... Aber es war nur ein klei- und stolperte.... hinter sich. nes Mädchen, das vorbeirannte. Sie schaute sich um und stellErleichtert atmete sie tief ein und aus. te fest, das sie sich in der Küche befand. Es Sie mußte sich überlegen, was jetzt zu tun war. stank furchtbar. Besonders ordentlich waren Das die Bullen sie suchen würden, war ihr klar. die Hausbewohner anscheinend nicht. In der Aber wo sollte sie hin? Und überhaupt, wie Spüle befand sich Geschirr, das von einer undekonnte man sich über so einen kleinen Überfall finierbaren Schicht aus Schimmelpilzkulturen so aufregen? Sie hatte niemanden verletzt und und sonstigem Dreck überzogen war - einfach die paar Mark Verlust würden die schon überwiderlich. leben. Sie fühlte, wie ihr die Kotze hochstieg und überSie überlegte zunächst angestrengt, wo sie heugab sich. Schnell rannte sie raus aus der Küche. te Nacht pennen sollte. Aber sie konnte sich Sie betrat den Flur und entdeckte eine Wendelnicht darauf konzentrieren. Sie mußte furchttreppe, die einmal hinunter in den Keller führbar lachen bei dem Gedanken, im Knast zu sein. te aber auch eine Etage höher. Sie stieg nach Komisch, nicht?! oben, um festzustellen ob nicht doch jemand Sie stand auf und verließ die Holzhütte. Nieim Haus war. Nach wenigen Stufen bemerkte mand war zu sehen. Vor lauter Freude begann sie einen bestialischen Gestank. Je höher sie sie, eine Weile vergnügt herumzuhampeln. Sie kam, um so stärker wurde der Geruch. Neugiewar frei und das mußte sie auskosten. Als sie rig kam sie oben an. Von dem Flur gingen drei sich beruhigt hatte, fing sie an zu heulen. Die Türen ab, wobei eine Tür leicht geöffnet war. Wohnung, Arbeit und Freunde waren nun für´n Sie ging durch die erste Tür, hier befand sich ein Arsch, auf Nimmerwiedersehen, tschüss... Badezimmer, im Moment hatte sie kein InterAngst stieg in ihr auf, Bilder von Straßenpenesse dafür. Sie betrat das Zimmer nebenan, das nern kamen ihr in den Sinn. Tränenblind lief sie muß wohl ein Kinderzimmer sein und dementüber den Spielplatz und stolperte. Sie fiel in den sprechend unordentlich war es auch. Nun, benassen Sand und blieb erst mal liegen. vor sie irgendwelche weiteren Nachforschungen Merkwürdigerweise tat es ihr sogar gut, so daanstellte, mußte sie sich vergewissern, daß sich zuliegen. Sie fühlte sich jetzt so wohl, wie schon auch wirklich niemand im Haus befand. lange nicht mehr. Aber - sie mußte nun weiter. Also verließ sie den Raum und ging zum nächsten. Sie sah sich um. Hinter dem Spielplatz lief eine Jetzt war der Gestank schon fast unerträglich und Straße entlang. Vorsichtig ging sie zum Straes drehte ihr schon wieder den Magen um. Doch ßenrand, schaute, ob sich irgend etwas näherte sie mußte rein. Langsam machte sie die Tür auf und überquerte die Fahrbahn. Auf dieser Seite und betrat den Raum. Zunächst bemerkte sie ein befanden sich Reihenhäuser, in Pastellfarben elegantes Doppelbett. Ihr Blick wanderte weiter gestrichen. Sie verzog das Gesicht und grübelte durch den Raum bis sie auf dem Boden etwas rostdarüber nach, was für Menschen wohl in diesen braunes bemerkte. Sie ging näher zu dem Fleck, er komischen Häusern wohnen würden. ging bis zur anderen Seite des Bettes. Als sie zöSie trat auf das erste Haus zu, überlegte und gernd hinters Bett schaute, stockte ihr der Atem. klingelte dann. Sofort begann sie zu bereuen, Ein Fettklops von einem Typen lag dort mit weit daß sie geklingelt hatte. Was sollte sie denn saaufgerissenem Maul auf der Erde und seine glasigen, wenn jetzt die Tür geöffnet wurde? Aber gen Augen starrten ins Leere. sie blieb trotzdem vor der Haustür stehen und Obwohl er hier schon längere Zeit unentdeckt wartete ab. liegen mußte, sah er doch aus, als wenn er gleich Doch es tat sich nichts. aufstehen und sie anfallen würde. Fortsetzung folgt


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Reich

Klug?

Sag mir, wie alt bist Du? Hast Du die Welt in Dir gefunden, Deine Träume geträumt Und die widerlichen Gespenster wirklich verjagt? Wirst Du die Welt in Dir auch mit der wahnsinnigen graubunten Unruhe da draußen verbinden können? Aus diesen beiden ein Ideal Dir schaffen, Dein eigenes Königreich? Dann bist Du endlich alt genug.

Aleks

Der Wind wird gewalttätig genannt. Er knickt die Bäume. Der Regen wird gewalttätig genannt. Er knickt die Antennen. Die Sonne wird gewalttätig genannt. Sie knickt das Gras. Der Löwe wird gewalttätig genannt. Er knickt das Steppentier. Das Unkraut wird gewalttätig genannt. Es knickt den Kohl. Wir Menschen SIND gewalttätig. Wir knicken einander. Und wir halten uns für so klug. dAisy

Ich bin Ich und Du bist Du. Doch wer bin Ich und wer bist Du? Und Du läufst weiter ohne Mich und Ich bleibe stehen und such’ mein Ich !

Irina

„Ich liebe dich.” „Lüg mich nicht an!” „Na gut, ich mag dich.” „Lügst du auch nicht?” „Ich bin fremdgegangen.” „Du hast gelogen, ich wußte es.” „Aber ich habe dir doch gerade die Wahrheit erzählt!” „Verpiß dich!” „Lüg mich nicht an.” sugar & muftie


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Energieverschwendung Ich glaube ich komme mit eurer Auffassung von Leben nicht zurecht... Ihr redet in Momenten, wo es nicht angebracht ist. Ihr redet stundenlang und ich frage mich, woher ihr diese Energie nehmt. Ich rede oft und ich schweige oft, doch das Schweigen überwiegt. Ich rede laut und ich rede leise, doch ich rede mehr leiser. Ihr redet sogar übers Wetter laut, aber schweigt, wenn Ungerechtigkeiten geschehen. WAS IST? Ist euch da auf einmal die Energie ausgegangen??? muftie

Schritt ins Leben Die Sonne scheint, doch ich kann sie nicht sehen, ihre Wärme nicht spüren. Ich sehe keinen Mond und auch keine Sterne. Ich atme, aber lebe nicht. Ich suche Leben, doch werde ich es auf diese Weise niemals finden . Ich suche Freiheit, aber ich merke nicht, daß ich mich immer abhängiger mache. Nicht nur abhängig von Menschen oder Meinungen auch von einem Gift, wo ich denke, daß es Leben und Freiheit ist. Ich lebe in einer Welt aus Illusionen. Ich kann nicht mehr wahrnehmen, nicht mehr lachen und nicht mehr weinen. Ich befinde mich in einem Kreislauf. Ich glaube, kein Weg führt hier raus . Doch ich habe es geschafft, mich nicht mehr nur im Kreis zu drehen. Ich habe es geschafft, einen Schritt nach vorn zu gehen. Den Schritt ins Leben . Irina

Kind eurer Liebe Ein Kind habt ihr aufgezogen. Ein Kind, dem all eure Liebe zuteil wurde Einen Menschen, den ihr zu kennen glaubtet Und nun? Ein Wesen vom anderen Stern. Steht nur da, wißt nicht, was werden soll. Zu schwer zu verstehen, daß dieses Kind keine Wahl hatte? Zu schwer zu verstehen, daß ihr ihm seinen Weg erleichtern könnt? Einen Weg, voller Gefahren. Einen Weg, der mit Haß gepflastert ist. Ahnt ihr wirklich nicht, daß ihr etwas Großartiges erfahren durftet? Erfahren, daß Leben aus Vielfalt besteht. So wir ihr ist dieses Kind Teil unserer Welt. Ein Mensch, der gegen den Strom schwimmt. Ein Mensch, der nicht zur Schlachtbank läuft, wenn der Metzger brüllt! Im Lauf der Zeit weitet sich euer Horizont. Im Lauf der Zeit lacht ihr über eure Zweifel. Zweifel die verschwinden, wenn ihr den Menschen annehmen könnt, wie er ist. Denn er ist,-“ das Kind eurer Liebe“.

M. Kreft


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»Wie das Leben so läuft...«

A

lso, ich bin die Anny, komm aus demOstenBerlins(bininBerlinFriedrichshain geboren) und werd‘ im Dezember 21 Jahre alt. Meine ganze Familie kommt eigentlich aus Thüringen. Als meine Mutter mit mir schwanger war, sind wir nach Berlin gezogen, da mein Vater hier arbeiten mußte. Ich hab noch einen Bruder, der 10 Jahre älter ist als ich. Ich weiß nicht mehr wie alt ich war - auf jedenfall noch sehr klein - haben sich meine Eltern das zweite mal scheiden lassen. Damals war mein Vater noch schwerer Alkohliker, was ihm allerdings niemand so recht glauben wollte, selbst nicht als er im Delirium lag. Im Osten gab es solche Dinge wie Alkoholiker oder Vergewaltigung offiziell nicht. So lebten wir denn also nicht mehr zu viert, sondern zu dritt in einer 3-Zimmer-Wohnung eines für die DDR typischen Neubaus. Die Jahre gingen so dahin und inzwischen ging ich auf eine für den Osten normale Polytechnische Oberschule.Wir lebten ein mehr schlechtes als rechtes Familienleben, ich glaube meine Mutter hat sich nie so recht wohlgefühlt in der Stadt. Auf jeden Fall hat sie bis heute die Stadt nicht richtig nutzen gelernt. Ich wurde älter und es wurde immer deutlicher, daß ich mit vielen Sachen

einfach nicht klarkam. Schon in der Unterstufe (heute: Grundschule) sagte man mir oft, ich hätte zuviel Phantasie. Ich kam auf die verrücktesten Iddeen, und ich glaube das Landleben wäre mir besser bekommen. Bis zur fünften Klasse war ich sehr gut in der in der Schule, danach gings bergab. Ich merkte immer mehr, daß ich mit den Leuten, mit den Sitten der Schule und auch meiner Familie überhaupt nicht mehr klar kam.Mit meiner Mutter war so gut wie überhaupt keine Verständigung mehr möglich, wir stritten uns fast jeden Tag. Und auch mein Bruder wurde mir immer fremder. Da war nicht nur der große Altersunterschied, sondern auch die zu unterschiedlichen Interessen. Mein Bruder war schon immer so ein totaler Computerfreak, was ihn, denk ich, total weltfremd hat werden lassen. Und ich schleppte jede Woche neue Tiere zu Hause an, was meiner Mutter über den Kopf wuchs, da sie Tiere nicht sonderlich mochte und schon gar nicht in‘ner Stadtwohnung. So steigerte sich die Entfremdung zu meiner Familie, zu meinen Klassenkameraden von Jahr zu Jahr. Als ich in die Pupertät kam, litt ich so dermassen unter den Lebensumständen, daß ich nur noch hoffte, bald

von zu Hause weggehen zu können. Ich lebte so eingesperrt und verkümmerte langsam unter den Neurosen meiner Mutter, die mit der Stadt ja überhaupt nicht klarkam. Und ich hatte meine großen Phantasien im Kopf, die ich null ausleben konnte. Mein Vater formulierte das ganze einmal so: „Du wolltest immer ,aber durftest nicht.” Aber auch er hielt sich aus allem schön raus, da er mit sich selbst warscheinlich genug zu tun hatte. Aus meiner Ohnmacht wurde tiefer Haß, den ich meine Mutter und meinem Umfeld auch deutlich spüren ließ. Ja, ich fing an, meine Mutter am meisten von allen zu hassen. Das Unverständnis wuchs von Tag zu Tag auf beiden Seiten. Mein einziger Gedanke war nur noch, daß ich weg will. Wo ich 13 war, kam die Wende und zwei Jahre später kam sie auch für mich. Ich ging weg von zu Hause. Meine erste Anlaufstelle war der Alex, wo ich mit anderen Punks das Schnorren anfing. So gondelte ich durch Berlin, schlief mal hier mal dort und machte die warscheinlich ersten richtig aufregenden Erfahrungen in meinem Leben. So auf Trebe will ich natürlich nicht ewig weiterleben. Foto: Peter Granser


„Dieses Buch sollte zur Pflichtlektüre für alle Eltern und Politiker erklärt werden“ 35 UNICEF Deutschland

Suchen tut mich keiner Texte, Protokolle und Interviews von Straßenkindern in Deutschland Zu bestellen unter 030 - 55 48 95 28 / ISBN-Nr.: 3-932003-00-4

Impressum: ZEITDRUCK erscheint derzeit vierteljährlich, Häusliche Anschrift: Kaskelstr. 15, 10317 Berlin, Tel.: 030 - 55 48 95 28 o. 55 48 95 26, Tel./Fax: 030 - 55 48 95 27 Internet-Adresse: http://www.snafu.de/~karuna, E-Mail an: karuna@berlin.snafu.de Redaktion: Katrin, Würfel, Nina, Aleks, Zora, dAisy, Irina, Pepsi, Kerstin, Ralf, Silvio, Karsten, Jörg, Claudia Ray (V.i.s.P.) u.v.a. Layout: Karsten Schützler; Belichtung und Druck: AAD-Trescom Druck & Verlag GmbH, Herausgeber: KARUNA Freizeit ohne Drogen Int. e.V. (Träger der freien Jugendhilfe, als gemmeinnützig anerkannt), ZEITDRUCK ist ein Zweckbetrieb, Erlöse werden zu gemeinnützigen Zwecken verwendet, Vertrieb: Frekkl, Technik: Silvio Patzer Alle Nachdruckrechte beim ZEITDRUCK-Verlag beim KARUNA Freizeit ohne Drogen Int. e.V., Veröffentlichungen widerspiegeln nicht immer die Meinung des Herausgebers, Spendenkonto: Bank f. Sozialwirtschaft 35-406-07, BLZ 100 205 00


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ZEITDRUCK - das Straßenmagazin von jungen Ein- und Aussteigern

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ier in Berlin Hauptstadt der BRD, einem der reichsten Länder Welt, gibt es ca. 3000 obdachlose Jugendliche (in ganz Deutschland sind es ungefähr 200 000 Kinder und Jugendliche). Ihre Gründe, die Obdachlosigkeit der familiären Sicherheit vorzuziehen, sind sehr unterschiedlich. Die meisten sind auf der Suche nach Geborgenheit und Aufmerksamkeit. Dabei sind sie nicht völlig auf sich selbst gestellt, denn es gibt verschiedene Anlaufstellen und Projekte, die ihnen das Straßenleben etwas erleichtern und versuchen ihnen zu helfen, damit sie ein selbständiges Leben führen und von der Straße wegkommen können. Eines dieser Projekte hier in Berlin ist Zeitdruck. Zeitdruck macht eine Zeitung, in der nichtseßhafte und seßhafte Jugendliche zusammenarbeiten und ihre Gedanken und Meinungen zu verschieden Themen aufschreiben. Dieses Zusammenkommen ermöglicht gegenseitiges Kennenlernen, was den Einstieg ins Nicht-Straßenleben erleichtern kann. Das Schreiben bringt auch noch etwas viel wichtigeres: Wenn ein selbstverfaßter Artikel veröffentlicht und von vielen Leuten gelesen wird (und vielleicht auch Resonanz bekommt), dann ist man stolz auf sich, man ist ein bißchen stärker und mutiger. Das ist die Basis für Selbstbewußtsein, man weiß, daß man etwas geschafft hat, und das gibt einem Kraft, noch viel mehr zu schaffen, auch im Alltag. Man bekommt Aufmerksamkeit und Anerkennung. Außerdem kann man hier essen und duschen. Auch wir (die Schreiber) arbeiten in der Zeitdruck-Redaktion mit. Wir, das sind Aleks (18) und dAisy(17). Wir sind momentan beide seßhaft und gehen zur Schule. Wir hoffen, daß Zeitdruck weiterhin so bestehen bleiben wird, weil dieses Projekt einen positiven Lichtblick in diese graue geldbeherrschte Welt bringt und vielen Jugendlichen eine Hilfe ist. ZEITDRUCK-Verlag, Kaskelstr. 15, 10317 Berlin

ausschneiden, auf eine Postkarte kleben und senden an: Zeitdruck-Verlag Kaskelstr. 15 10317 Berlin, Tel.: 030/55 48 95 28, Fax: 55 48 95 27 Ja, ich möchte Zeitdruck abonnieren: 6 Zeitungen zum Preis von DM 30 DM in Deutschland DM 60 DM innerhalb der EU einschließlich Porto und Versandkosten. Mein Abonnement kann innerhalb von 7 Werktagen widerrufen werden. Name, Vorname: Straße: PLZ/Ort:

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