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Bürgerservice zu einem Ort der Begegnung entwickeln

BÜRGERSERVICE „NEU“ DENKEN?

Stadt Wittstock (D) 34

(Foto: Stadtverwaltung Wittstock) Ein zum Büro umgebauter Einsatzwagen der Feuerwehr fährt regelmäßig alle 18 Ortsteile an. Auf diese Weise entfallen in der dünn besiedelten Stadt für die Bürgerinnen und Bürger die teilweise langen Wege (weiteste Entfernung: 25 km vom Ortsteil Zempow nach Wittstock/Dosse) zur Verwaltung. Seit Projektstart im Juli 2012 bis Ende September 2013 wurden von 775 Bürgern die Anliegen bearbeitet. Im Jahr 2012 haben sich 547 Bürger an den Mobilen Bürgerservice gewandt (begründet durch die Straßenumbenennung im Juli 2012). Im Jahr 2013 waren es 228 Bürger. Der Mobile Bürgerservice bietet das gesamte Leistungsspektrum des Bürgerbüros an. Dies beinhaltet das Melde-, sowie Pass- und Ausweiswesen, den Formularservice (Wohngeldanträge, Formulare Lohnsteuerjahresausgleich etc.), das Friedhofwesen und das Fundbüro. Seit November 2012 übernehmen sie auch einen Teil der Kfz-Zulassungsstelle (z. B. Abmeldungen, Adressänderung in der Zulassung). Zudem werden seit April 2013 sämtliche Anfragen bezüglich der Beantragung eines Schwerbehindertenausweises bearbeitet. Dazu gehört auch das gemeinsame Ausfüllen der Anträge und die Beantwortung von Fragen. Die Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter nutzen die Touren auch dafür, Aufgaben des Ordnungsamtes in der Fläche zu erledigen, z. B. werden Schriftstücke im Bedarfsfall unmittelbar erstellt und im Hausbriefkasten hinterlassen. Weiterhin können Straßenschlaglöcher vor Ort dokumentiert und sofort an die zuständige Stelle weitergeleitet werden. (Quelle: https://www.kgst.de/rathaus-auf-radern-das-mobile-burgerburo [2019-05-08])

Bürgerservice zu einem Ort der Begegnung entwickeln

Stand zu Beginn der Bürgerservicediskussion vor allem das Ziel, den Bewohnerinnen und Bewohnern einer Kommune den Zugang zum örtlichen Verwaltungssystem zu erleichtern und die Verwaltungsorganisation und deren Leistungen auf die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger hin auszurichten, so erkennen wir gegenwärtig einige sich ergänzende interessante neue Entwicklungen: In der Landeshauptstadt Linz sind beispielsweise schon die Mehrzahl der Zweigstellen der Stadtbibliothek gleichzeitig auch Bürgerservicestellen mit einem breiten Angebot an Serviceleistungen. 35 Die Stadtverwaltung kommt damit näher zu den Bürgerinnen und Bürgern und nutzt gleichzeitig gut erreichbare, bestehende Infrastruktur (und auch Personal) und ergänzt diese um neue Services. Diese Idee einer Mehrfachnutzung (bestehender) kommunaler Einrichtungen hat insbesondere für ländliche Gebiete ein erhebliches Potenzial, um etwa bestehende Serviceangebote aufzuwerten und von der Schließung bedrohte dezentrale Bürgerservicestellen durch eine Integration in bestehende Einrichtungen dauerhaft abzusichern. Warum also nicht auch die örtliche Bücherei, die Volksschule, die örtliche Tourismusinfo oder auch das von Gemeinden getragene Regionalmanagement bzw. andere Einrichtungen in der Gemeinde für Bürgerservices nutzbar machen? In Aarhus (Dk) 36 ist unlängst mit dem so genannten „Dokk 1 “ das derzeit vielleicht eindrucksvollste Beispiel einer neuen Art von kommunalen Serviceeinrichtungen entstanden. Das 2015 eröffnete Multimedia-Haus, gilt als Prototyp der Bibliothek der Zukunft. Im Mittelpunkt

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Siehe dazu auch das Beispiel der Stadt Wittsock: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2017/10/2017-10-13-entwicklunglaendlicher-raeume.html [2018-07-30]. 35 Z. B. gibt es dort: Aktivpässe, An-, Ab- und Ummeldungen des Wohnsitzes, Bewohnerparkkarten, Fund- und Verlustmeldungen, Hundeanund -abmeldungen, Kirchenaustritte, Lebensbestätigungen, Meldeauskünfte, Meldebestätigungen, Privathaushaltsbestätigungen, Wünsche,

Anregungen und Beschwerden an die Stadtverwaltung. 36 Siehe dazu: https://dokk1.dk/english/citizens-services [2018-05-03] bzw. https://www.visitaarhus.de/de/dokk1 -gdk1077504 [2018-05-03].

BÜRGERSERVICE „NEU“ DENKEN?

stehen jedoch die Schalter der kommunalen Verwaltung, um die herum sich Veranstaltungsräume, Cafés, Seminarräume, Bastelecken, Lounges, Spielzonen, Kuschelwinkel und Stillecken für Mütter gruppieren. Und irgendwo stehen dann auch noch Bücher. Das „Dokk1“ überstrahlt (architektonisch) alle anderen Gebäude der Stadt und verbindet das Meer mit der Stadt. Es bietet sehr viel Raum für unterschiedliche Funktionen und macht das Bürgerservice zu einem Ort der Begegnung. Ein Aspekt, der seinerzeit –wenn auch in kleinerem Maßstab –bei der Entwicklung eines neuen Stadtservices der Stadt Weiz 37 ein wichtiges Element der Konzeptentwicklung war. 38 So wurden im neuen Stadtservice eben auch Räumlichkeiten für Sprechstunden (PVA etc.) oder kleinere Veranstaltungen innerhalb des Stadtservice geschaffen. 39

Beispiel: Aarhus „Dokk1“ - Bibliothek und Bürger-Service 40

(Quelle: https://www.visitaarhus.com)

(Quelle: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/themen/die-zukunft-derbibliothek-das-dokk1-in-aarhus-13834316.html 2019-05-08) An der neuen Hafenfront in Aarhus gibt es mit dem „Dokk1 “ seit kurzem ein Multimediahaus, das alle anderen Gebäude der Stadt überstrahlt. In zentraler Lage ist es prädestiniert als Bindeglied zwischen dem Meer und der Stadt und mit einer Gesamtfläche von 28 000 m2 steht genügend Raum für all die Funktionen zur Verfügung, welche die Einrichtung erfüllen soll. Das „DOKK1 “ enthält die Bibliothek der Zukunft, die nicht nur Bücher enthält, sondern in hohem Maße auch Vermittlung durch Technologie und Medien in den Mittelpunkt stellt. Außerdem ist hier auch der Aarhuser Bürgerservice untergebracht. Für Besucherinnen und Besucher mit eigenem Fahrzeug stehen im „Dokk1 “ 1000 vollautomatische Parkplätze zur Verfügung. Sie können „Dokk1 “ jedoch auch bequem mit Fahrrad, Bus, S-Bahn und natürlich auch zu Fuß erreichen. Das große Gebäude ist für die ganze Familie gedacht. Es gibt große Spielflächen für die Kleinsten, eine Lounge-Area für Teenager und natürlich Lesesäle, in denen die erforderliche Ruhe herrscht, wenn Sie sich in ein Buch vertiefen möchten.

Der Gong läutet immer dann, wenn ein neuer Bewohner in Aarhus geboren wird; er ist mit einem Klöppel versehen, den frisch gebackene Eltern von der Geburtsstation des Aarhuser Universitätskrankenhauses aus aktivieren können, wenn ihr Kind das Licht der Welt erblickt hat.

Der große Mehrzwecksaal in der Mitte des Gebäudes ist für Konzerte, Theatervorstellungen, Vorträge und Bürgerversammlungen vorgesehen. Das Café lädt zu einer gemütlichen und entspannen Tasse Kaffee mit der Familie oder Freunden ein.

37 Siehe dazu: http://www.weiz.at/service/stadtservice/service-die-reportage und http://www.weiz.at/service/stadtservice/stadtservice-teil-2 [2018- 07-31]. 38 In der Partnerstadt der Stadt Weiz –Offenburg (D), wurde im Zuge des Relaunch die Tourist-Information in das Bürgerbüro integriert und hierfür ein attraktiver Ort des Verweilens geschaffen. Siehe dazu: https://www.offenburg.de/html/buergerbuero.html?& [2018-07-31]

Dies war in Weiz ursprünglich auch vorgesehen, konnte aus verschiedenen Gründen aber noch nicht verwirklicht werden.

39 In der Partnerstadt der Stadt Weiz –Offenburg (D), wurde im Zuge des Relaunch die Tourist-Information in das Bürgerbüro integriert und hierfür ein attraktiver Ort des Verweilens geschaffen. Siehe dazu: https://www.offenburg.de/html/buergerbuero.html?& [2018-07-31]

Dies war in Weiz ursprünglich auch vorgesehen, konnte aus verschiedenen Gründen aber noch nicht verwirklicht werden. 40 Siehe dazu: https://dokk1.dk/english/citizens-services [2018-05-03] bzw. https://www.visitaarhus.de/de/dokk1 -gdk1077504 [2018-05-03].

BÜRGERSERVICE „NEU“ DENKEN?

Die gezielte Schaffung von Orten der Begegnung ist aber nicht nur eine Herausforderung für größere Städte/Kommunen. Gerade in ländlichen Regionen verschwinden in den letzten Jahrzehnten immer mehr soziale Treffpunkte wie etwa Gasthäuser oder kleine Geschäfte. Gleichzeitig wird Vereinsamung als wachsendes gesellschaftliches Problem erkannt. 41

Und so überrascht es vielleicht wenig, wenn aus Bürgerservicestellen kleinerer ländlicher Gemeinden vielfach berichtet wird, das vermehrt ältere Menschen die Bürgerservicestellen aufsuchen, um persönliche Ansprache zu finden, Probleme des Alltags (z. B. für sie unverständliche Formulare) zu besprechen und weniger, um eine ganz konkrete Erledigung im Sinne der Leistungsprogramme der Bürgerservicestellen zu machen. Bürgerservicestellen könnten sich somit –dem Leitgedanken der offenen Bürgerkommune 42 –zu niederschwelligen offenen Treffpunkten, zur verbesserten Teilhabe benachteiligter Gruppen oder auch der Integration entwickeln. Vielleicht könnte ein Entwicklungspfad der Bürgerservicestellen in Österreich das weiterdenken, was in Deutschland mit gemeinsam getragenen Dorfläden/Nachbarschaftsläden bereits bekannt ist. Neben der Schaffung bzw. Erhaltung eines örtlichen Nahversorgers sind diese Einrichtungen in hohem Maße auch soziale Treffpunkte. Im Dorfladen kann man somit einkaufen, gemeinsam beim Kaffee sitzen und plaudern und gleich auch noch private Dienstleistungen (Post aufgeben/abholen, Wäsche in die Putzerei geben etc.) in Anspruch nehmen. 43

Warum dann nicht auch gleich noch ausgewählte öffentliche Leistungen aus dem Bürgerservice anbieten?

Denn wenn aus ökonomischen oder praktischen Gründen weder die Aufrechterhaltung von dauerhaft besetzten Außenstellen, noch der Aufbau von mobilen Services als Lösungen infrage kommen, dann könnte die Nutzung vorhandener Infrastruktureinrichtungen im Ort eine echte Alternative zum ansonsten drohenden Verlust von Bürgerservicestellen sein.

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43 Siehe: https://www.nachrichten.at/nachrichten/gesundheit/Einsamkeit-wird-ein-Politikum;art114,2802042 [2018-07-31].

Siehe dazu: https://www.kgst.de/buergerkommune [2018-05-03] Weitere Infos unter: http://dorfladen-netzwerk.de/

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