Kurzfassungen und Statements - Impulskonferenz krisenfester Finanzausgleich

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KURFASSUNGEN UND STATEMENTS – IMPULSKONFERENZ „KRISENFESTER FINANZAUSGLEICH“ AM 9.6.2021

Kurfassungen und Statements – Impulskonferenz „Krisenfester Finanzausgleich“ am 9.6.2021 1

Session I

Dr. Michael Getzner (und Dr. Johann Bröthaler): Grundlagen zur Resilienz im Finanzausgleich Resilienz ist ursprünglich ein Konzept aus der Ökologie: Ökosysteme verknüpfen einzelne Elemente (Tiere, Pflanzen, Medien), Funktionen und Prozesse. Resilienz bedeutet hier, dass ein Ökosystem Schocks, d.h. plötzlich auftretende Ereignisse oder Entwicklungen, verarbeiten kann und zu dem ursprünglichen Zustand zurückkehrt oder sich einem neuen Gleichgewicht entwickelt. Aus Sicht der öffentlichen Finanzen heißt dies, dass einerseits die Stabilität der öffentlichen Finanzen (d.h. eine nachhaltige Einnahmen-, Ausgaben- und Schuldenpolitik), und somit die ausreichende Finanzierung der staatlichen Aufgaben, gewährleistet sein soll. Anderseits bezieht sich Resilienz insbesondere auf die Sicherung der Daseinsvorsorge, also der staatlichen Leistungen der Grundversorgung. Gemessen kann Resilienz im Ausmaß und der Geschwindigkeit der Rückkehr zum gewünschten Ausgangszustand. Jedoch ist das Resilienzkonzept nicht nur beschreibend (positiv) im Sinne einer, auch statistisch-ökonometrisch abgesicherten, Reaktionsfunktion, sondern auch normativ: Ist der Ausgangszustand auch tatsächlich jener, der wieder hergestellt werden soll, oder ergibt sich aus einer Krise nicht die Möglichkeit, einen besseren Zustand anzustreben? Realiter wird sich die Frage nach der Resilienz am ehesten bei kurzfristigen Schocks ergeben; für das Gesamtsystem ausschlaggebend sind Schocks, die alle Gebietskörperschaften gleichermaßen und in hohem Ausmaß betreffen – asymmetrische, lokal begrenzte Schocks sind für den Finanzausgleich sicherlich besser verkraftbar. Wichtige Aspekte der Resilienz des Finanzausgleichs sind sicherlich die Robustheit und Nachhaltigkeit, die Anpassungsfähigkeit und Flexibilität, die Wandlungsfähigkeit sowie Lernfähigkeit des Systems. Dies bedeutet, dass Resilienz ein multidimensionales, sowohl beschreibendes als auch normatives Konzept ist, welches auch einen Zustand als auch eine Dynamik beschreiben kann. Dr. Michael Thöne: Was kann ein Finanzausgleich zur Krisenbewältigung beitragen? Ansatzpunkte und Instrumente Finanzausgleiche sind nicht nur der finale Abschluss der Einnahmenverteilung im Mehr-EbenenStaat. Diese Sicht ist nicht falsch, aber verkürzt. Ein leistungsfähiger Finanzausgleich sorgt dafür, dass alle Gebietskörperschaften eine aufgaben- und bedarfsgerechte Finanzierung ihrer staatlichen Leistungen erhalten. Diese Finanzierung soll zudem die demokratische Selbstbestimmung und fiskalische Eigenverantwortung jeder einzelnen Kommune, jeden Landes und des Bundes stärken. Schon diese beiden Ansprüche miteinander zu vereinen, geht nur selten ohne Kompromisse und Mischlösungen auf. Tritt hier noch die Versicherungsfunktion als Dimension der Krisenreaktion und -bewältigung hinzu, steigen die Ansprüche an einen leistungsfähigen Finanzausgleich weiter. Das gilt umso mehr, als zwei sehr unterschiedliche Arten von Krisen zu bewältigen sind: Akute, mitunter auch überraschende Krisen wie die Corona-Pandemie verlangen nach flexiblen, auch im

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Spontanen noch angemessenen Reaktionen. Sich allmählich aufbauende, gewissermaßen chronische Krisen, wie der Klimawandel oder – in manchen Regionen – der demografische Wandel, sind hingegen seit langem so absehbar, dass das Krisenhafte im Zweifel noch dadurch zu wachsen droht, dass politische Systeme sich nicht zu angemessen schnellen Reaktionen genötigt sehen können. Der Beitrag betrachtet die Resilienz von Finanzausgleichen gegenüber diesen beiden sehr unterschiedlichen Krisentypen.

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Session II

Dr.in Karoline Mitterer: Krisenfeste Gemeindefinanzen: Status quo und Entwicklungsperspektiven Krisen prägen auch die Entwicklung der österreichischen Gemeindefinanzen und wirken sich auf Liquidität, Investitionstätigkeit und Verschuldung der Gemeinden aus. Resiliente Gemeindefinanzen sind möglichst robust gegenüber Krisen und weisen eine hohe Anpassungsfähigkeit auf. Inwieweit dies gelingt ist von mehreren Aspekten abhängig: Sind die Strukturen (Governance) geeignet? Gewährleisten die Finanzausgleichsinstrumente nachhaltige und stabile Gemeindefinanzen? Sind die Daseinsvorsorge und nachhaltige Investitionen gesichert? Eine Gesamtbeurteilung der Resilienz der Gemeindefinanzen ist aktuell noch ausständig. Erste Überlegungen dazu zeigen jedoch ein durchaus gemischtes Bild. So zeigen sich etwa Mängel im Bereich der Handlungsspielräume für Gemeinden und es fehlen Resilienzstrategien. Andererseits besteht eine hohe Einnahmendiversität der Gemeinden und die Fiskalregeln verhindern eine Überschuldung. Mehr Fokus sollte noch auf den Bereich Daseinsvorsorge und nachhaltige Investitionen gelegt werden. Resilienz sollte jedenfalls als wichtiges Thema in den nächsten Finanzausgleichsprozess einfließen. Hierzu wäre eine Evaluierung des Finanzausgleichs hinsichtlich seiner Resilienz notwendig, um eine Weiterentwicklung in einen stärker resilienten Finanzausgleich zu ermöglichen. Dr. Anton Matzinger: Reformen für eine verbesserte Resilienz der öffentlichen Finanzierung der Daseinsvorsorge In Österreich wurde durch Unterstützungen von Menschen und Wirtschaft die Basis für eine gute Startposition aus der Krise gelegt. Liquidität dafür kam für Bund und Länder über die ÖBFA. Für die Gemeinden wurden vom Bund insgesamt 2,5 Mrd. € bereitgestellt. Ein ErtragsanteileVorschuss von 1 Mrd. € in 2021 ist dabei systemisch interessant: Der Vorschuss ist gekoppelt mit einer Garantie, dass die Gemeinde-Ertragsanteile jedes Jahr steigen werden. Geben das die Steuererträge nicht her, tritt der Bund neuerlich in Vorlage. Damit wurde eine neue Nachhaltigkeitsdimension für den Finanzausgleich der Gemeinden geschaffen. Eine Überführung in den regulären Bestand des Finanzausgleichs würde dessen Resilienz dauerhaft erhöhen. Nach der Krise ist wieder Solidarität gefragt: Der Bund hat weit über seinen Anteil an der Finanzausgleichsmasse beigetragen. In § 4 F-VG ist festgelegt, dass die Finanzmittel in Übereinstimmung mit den öffentlichen Lasten zu verteilen sind. Die Zusammenarbeit und Solidarität muss erhalten bleiben, denn: Nach der Krise ist vor der Krise!

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Dr. Lukas Reiss: Fiskalische Risikoteilung und Umverteilung zwischen den österreichischen Bundesländern Seit der Rezession 2012/13 im Euroraum gibt es verstärkt Diskussionen darüber, wie die fiskalische Risikoteilung im Euroraum erhöht werden könnte, möglichst ohne gleichzeitig permanente Umverteilung zwischen den Euroraum-Mitgliedstaaten zu generieren. In diesem Zusammenhang werden hier die Ausgleichsmechanismen zwischen den österreichischen Bundesländern analysiert. Ähnlich zu anderen Fiskalföderationen werden auch in Österreich etwa 1/10 der regionalen BIP-Schocks über die Fiskalpolitik geglättet. Während dies überwiegend auf die Budgets des Bundes sowie der Sozialversicherungsträger zurückgeht, leisten auch die Ertragsanteile an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben einen signifikanten Beitrag. Dank bestimmter Abweichungen dieses Systems von reinen Bevölkerungsschlüsseln weist es gleichzeitig im Vergleich zu anderen Risikoteilungsmechanismen eine relativ geringe Umverteilungswirkung zwischen den Bundesländern auf. Die langjährige Existenz eines Systems mit diesen Eigenschaften ist aus einer europäischen Perspektive sehr interessant, wenngleich das Ertragsanteilssystem dank seiner Anreizprobleme kein wirkliches Vorbild für eine etwaige europäische „Fiskalunion“ sein kann. Dr. in Monika Köppl-Turyna: Resilienz im Föderalismus Die Corona-Krise hat nicht nur die Bundesfinanzen, sondern auch Finanzen der Länder und Gemeinden massiv unter Druck gesetzt. Ein föderales System im Allgemeinen und der Finanzausgleich im Speziellen soll zwei Ziele der Wirtschaftspolitik unter einem Hut bringen: Versicherung gegen Krisen und Beibehaltung einer Marktdisziplin. Diese Ziele sind widersprüchlich, denn ein stärkerer Fokus auf die Versicherungswirkung bringt unter Umständen falsche Anreize mit sich – das sogenannte Moral Hazard, welches auch aus den Versicherungsverträgen bekannt ist. Dies ist in Österreich stärker der Fall als in föderalen Systemen mit höherer Abgabenautonomie. Ein weiteres Problem des österreichischen Systems, insbesondere hinsichtlich der Bundesländer, ist die wenig diversifizierte Finanzierung, starke Transferabhängigkeit sowie Konjunkturabhängigkeit der Finanzen. Das Fehlen echter Finanzautonomie erschwert die Reaktion auf regional asymmetrische Wirtschaftsentwicklungen sowie die Durchführung angepasster regionalpolitischer Maßnahmen. Mögliche Reformvorschläge sind eine stärkere Autonomie sowohl hinsichtlich der Finanzen als auch der Entscheidungen und Verstärkung des Ressourcen- und Lastenausgleiches im Finanzausgleich. Darüber hinaus denkbar wären anreizkompatible Verschuldungsinstrumente insbesondere für die Gemeinden. Mag. Tobias Schweitzer: Resiliente soziale Infrastruktur Die COVID Krise zeigt aufs Neue die Bedeutung der sozialen Infrastruktur. Für die Bekämpfung der Pandemie ist sie essentiell. In der Krise wurden bekannte Probleme virulenter und völlige neue wurden erst sichtbar. Die Institutionen der sozialen Infrastruktur und insbesondere ihre MitarbeiterInnen haben in den vergangenen Monaten hervorragende Leistungen vollbracht. Fragen der Effizienz müssen künftig mit Fragen der Resilienz abgewogen werden, denn diese Krise zeigte deutlich, wie schnell Ausstattung und Personalkapazitäten am Limit waren. In Zukunft werden vermehrt Reservekapazitäten für kommende Krisen bereitgestellt werden

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müssen. Es gilt einen Kompromiss zwischen Widerstandsfähigkeit und Effizienz zu finden und künftige Investitionsentscheidungen danach auszurichten. Ebenso kann die soziale Infrastruktur eine entscheidende Rolle zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen und der Krise am Arbeitsmarkt spielen: einerseits in der Schaffung neuer Arbeitsplätze und von Impulsen zur wirtschaftlichen Erholung, anderseits in der Erhöhung der Resilienz gegen mögliche Krisen, egal ob Klima, Gesundheit, Naturkatastrophen, etc.

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Session III

Dr. Michael Thöne siehe Session I. Dr. Anton Matzinger siehe Session II. MMag. Armin Tschurtschenthaler „Das Zusammenspiel aller finanzpolitischen Instrumentarien muss auch in der Krise zu einer angemessenen Lastenverteilung führen. Klare Strukturen und hinreichend bestimmte Finanzierungsregelungen sind nötig, um rasch und effizient handeln zu können. Flexibilität hingegen braucht es an jenen Stellen, wo durch Verwerfungen im Finanzierungsgefüge Einzelne an ihre Leistungsgrenze stoßen.“ Dr. Thomas Weninger „Die österreichischen Städte und Gemeinden haben sich in der Krise als wichtige Stütze des öffentlichen Lebens erwiesen. Nunmehr zeigen sich aber immer deutlicher die katastrophalen Auswirkungen auf die kommunalen Haushalte. Zu den Rückgängen bei den Ertragsanteilen kommen noch Ausfälle bei den Fremdenverkehrsabgaben und der Kommunalsteuer. Die bisherigen Hilfspakete des Bundes müssen ergänzt werden.“ Dr. Walter Leiss „Die Pandemie hat nicht unbedingt neue, sondern die bestehenden Problemlagen im Finanzausgleichsgefüge verdeutlicht – etwa die Unterfinanzierung des ländlichen Raums, die häufig fehlende Mitsprache der kommunalen Ebene oder auch die immer höher werdenden Pflicht-Ausgaben (Ko-Finanzierungen, Umlagen und steigende Qualitätsstandards), die den Gemeinden bundes- oder landesgesetzlich vorgegeben werden.“

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