Option einer governance-orientierten Reform des Finanzausgleichs - Zusammenfassung

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Option einer governanceorientierten Reform des Finanzausgleichs Strategische Überlegungen Endbericht – Zusammenfassung und Schlussfolgerungen 10.12.2019 verfasst von Dr. Helfried Bauer Dr.in Karoline Mitterer Dalilah Pichler, MSc Qualitätssicherung Mag. Peter Biwald

KDZ Zentrum für Verwaltungsforschung Guglgasse 13 · A-1110 Wien T: +43 1 892 34 92-0 · F: -20 institut@kdz.or.at · www.kdz.or.at


Studie im Auftrag des Parlamentsklubs JETZT Lรถwelstraร e 12 1017 Wien


INHALT

Inhaltsverzeichnis I

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen ................................................................... 4 1

Governance zur Regelung von Strukturen und Prozessen staatlichen Handelns im

Kontext von FĂśderalismus- und Finanzausgleichsreformen .................................................. 4 2

Option einer governance-orientierten Reform von Finanzausgleich und fĂśderaler

Beziehungen ........................................................................................................................... 7 3

Erfahrungen und Einschätzungen von Vertreterinnen und Vertretern der Praxis ....... 9

4

Erkenntnisse und Schlussfolgerungen ....................................................................... 12

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ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

I

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Nach Jahrzehnten des Zurückdrängens staatlicher Intervention in Wirtschaft und Gesellschaft der entwickelten Länder erleben wir nach der großen Bankenkrise, den Migrationswellen, der anhaltenden Arbeitslosigkeit einzelner Bevölkerungsgruppen und der anstehenden Klimakrise wachsenden Druck auf staatliches Handeln aller Ebenen – von der supranationalen bis zur kommunalen. In der Zeit einer Verunsicherung vieler Menschen und zahlreicher Wirtschaftssektoren richten sich Erwartungen und Forderungen an die EU und an den Sozialstaat, d.h. an Bund, Länder, Städte und ländliche Regionen. Sie gelten etwa besserer Bildung für die jungen Generationen, der Sicherung von Gesundheit und Pflege für die Älteren, mehr Investitionen in die Infrastruktur, Klimaneutralität beim Wohnen und Umverteilungsfragen. Allerdings erweisen sich die Organisationen des öffentlichen Sektors – nicht nur in Österreich – wegen der bestehenden Schwächen in Planung, Umsetzung und Finanzierung bei der Aufgabenerfüllung nur eingeschränkt handlungsfähig, um sich den globalen Herausforderungen sowie den Erwartungen der Bevölkerung stellen zu können. Die Idee einer zumindest auf gemeinsamen Grundwerten ausgerichteten Aktivierung des Staates liegt nahe. Dies umfasst Systemreformen von Basiseinrichtungen und Steuerungsprozessen einer demokratischen Republik, also auch der föderalen Organisation und des Finanzausgleichs. Diese beiden Grundlagen des staatlichen Handelns sind zwar nicht die einzigen – jedoch wegen nicht vorankommender Reformen – hochgradig erneuerungsbedürftig. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, zu untersuchen, inwieweit mit Public Governance alternative Reformstrategien für den Finanzausgleich im Mehr-Ebenen-System, daher innerhalb des föderalen Systems, beschrieben werden können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Finanzausgleich und die föderale Ordnung mehrfach miteinander verknüpft sind. Denn beide sind essentiell für Demokratiequalität und die Effektivität des staatlichen Handelns, ebenso bedingen sie sich gegenseitig – jedenfalls partiell. Schließlich sollen sie auch auf den gesellschaftlichen Wandel Bezug nehmen und politischen Prioritätensetzungen für künftiges Handeln dienlich sein. Theoretische Klärungen und bereits erprobte Konzepte von Public Governance liefern hierfür Ansatzpunkte. Denn Public Governance ist nicht nur eine „wissenschaftliche Kopfgeburt“1, sondern verleiht auch einer veränderten Realität Ausdruck. Mit „Good Governance“ als einem auch hierzulande verbreiteten normativen Konzept wird ein Handlungsrahmen zur gegenwärtig in Gang befindlichen Transformation des „hoheitlichen Interventionsstaates“ in verschiedene Formen des „Gewährleistungsstaates“ bzw. eines „kooperativen Staates“ geboten. Dieser Handlungsrahmen ist bisher für eine grundlegende Reform des Finanzausgleichs und des damit auch verbundenen föderalen Systems kaum genützt worden.

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Governance zur Regelung von Strukturen und Prozessen staatlichen Handelns im Kontext von Föderalismus- und Finanzausgleichsreformen

Public Governance kommt vor allem deshalb ins Spiel, weil es zunehmend auf die Bewältigung von Interdependenzen bei der Erbringung kollektiver Leistungen und Wirkungen in diversen Regelungsfeldern ankommt. Governance wirkt – wie Mayntz2 vor mehr als zehn Jahren ausführte 1 2

Nach Benz. Mayntz: Governance Theory, 2005, S. 46.

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– in doppeltem Sinn, bezieht es sich doch „sowohl auf eine Handeln regelnde Struktur als auch auf den Prozess der Regelung“. Governance – dies wird im Kapitel II.3 behandelt – unterstützt die Weiterentwicklung staatlicher Strukturen und Handlungsweisen. Begründungen dafür sind die Notwendigkeit, effektivere, effizientere und demokratiefördernde Leistungen und Wirkungen zu erzielen und dabei mit den vielfachen Interdependenzen des öffentlichen Handelns (in inhaltlicher, institutioneller und strategischer Hinsicht) zu Rande zu kommen. Dafür sind formalisierte Vereinbarungen zwischen dem Bund und den subnationalen Ebenen, ebenso zwischen diesen und den aus dem staatlichen Verwaltungsbereich ausgegliederten Trägern für Teile öffentlicher Aufgaben (z.B. Betrieb öffentlicher Krankenanstalten als Kapitalgesellschaften) erforderlich. Auch andere Regelungsstrukturen, wie Setzen von Wirkungs- und Leistungszielen, Benchmarking, Korruptionsprävention und Beteiligungsmanagement zwischen Politik und Aufgabenträgern außerhalb der öffentlichen Verwaltungen sind wohl teils in Einführung, teils harren sie noch der Konzeption und/oder der Umsetzung. Der angesprochene Wandel verlangt – tendenziell zumindest – nicht-hierarchische, netzwerkartige und kooperationsfördernde Beziehungen zwischen den genannten Akteuren, besonders zwischen den einzelnen staatlichen Ebenen bei gemeinsamer Aufgabenerfüllung. Diese müssen jedoch auch formalisiert werden. Es geht deshalb um veränderte institutionelle Strukturen und Regelungsprozesse, vor allem um • die Suche nach Win-win-Lösungen anstatt dem Beharren auf unterschiedlichen Interessen und bescheidenen Kompromissen, • gegenseitige Rücksichtnahme statt Verweisen auf gesetzliche Regelungsbefugnisse aus früheren Epochen, • Einrichtungen wie Dialogplattformen, Planungsregionen, Benchmarking, • teilweisen Ersatz von Hierarchie als Steuerungsmechanismus durch gleichberechtigte partnerschaftliche Beziehungen sowie durch Vergleichen und Lernen voneinander, • Aufbau von mehr Vertrauen zwischen Regierten und Regierenden bzw. innerhalb der Regierungen und Parlamente. Generell zeigt sich in der Literatur über Governance-Netzwerke Konsens, dass gemeinsam getragene Werte, Haltungen, Konsense bezüglich der gewünschten gesellschaftlichen Wirkungen hilfreich für mehr Demokratie wären. Gleiches gilt für Diskussions- und gemeinsame Lernprozesse von gleichberechtigten Gebietskörperschaften und zivilgesellschaftlichen Institutionen. Allerdings führt das zu Spannungen zwischen repräsentativer Demokratie und Formen direkter Demokratie. Darauf verweisen auch Klijn/Koppenjan: “It can be argued that governance networks are often based on alternative sources of democratic legitimacy“3. Die OECD4 gliedert das System von Public Governance in drei miteinander verknüpfte Teilbereiche, nämlich „values, enablers und instruments/tools“. Teile des politisch-administrativen Systems und seiner Akteure in Österreich folgen jedoch nach unseren Beobachtungen und Analysen zu wenig diesen drei verschiedenen Zugängen: Verwaltungsreform, Bundesstaatsreform oder Finanzausgleichsreform werden fast ausschließlich als Frage von

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Klijn; Koppenjan: Governance networks in the public sector, 2016, S. 208. OECD: Policy Coherence for sustainable development, 2019.

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Kompetenzen, Institutionen, Ressourceninput sowie von bürokratischen Regelungen verstanden.5 Dies wird auch aus den kurzen Betrachtungen zu Status quo und Reform des Finanzausgleichs und des föderalen Systems in der vorliegenden Arbeit ersichtlich. Kapitel II.1 beschäftigt sich mit dem Finanzausgleichsbegriff, den Finanzströmen, dem Reformbedarf und den zuletzt neuerlich gescheiterten Reformansätzen. Dabei werden u.a. konträres Verständnis von Begriff und Aufgaben eines Finanzausgleichssystems seitens Politik und Verwaltung einerseits und von Finanzwissenschafterinnen und -wissenschaftern andererseits sichtbar. Einige Staaten (z.B. Kanada, Schweden, Schweiz) zeigen, dass mit verschiedenen Reformen vielfach funktionierende Verknüpfungen von föderalem/dezentralem System mit verteilten Aufgaben, mit substanziellen eigenen Abgaben und eingeschränkter gemeinschaftlichen Finanzierung sowie mit verschiedenen Steuerungsgrundsätzen funktionieren. In Österreich fehlen hingegen Regelungen für gemeinsam festgelegte und überprüfbare Leistungs- und Wirkungsziele auf allen staatlichen Ebenen ebenso wie für Ergebnisverantwortung in den einzelnen Leistungsbereichen. Es besteht zudem eine ziemlich unterschiedliche Ausstattung (nicht nur aus Mitteln des Steuerverbundes) der subnationalen Ebenen für Aufgaben, die gemeinschaftlich wahrgenommen werden. Andere Schwachstellen sind ungenügende Absicherung der Autonomiebereiche der subnationalen staatlichen Ebenen und ausstehende Reformen in anderen Teilbereichen des Finanzausgleichssystems, wie z.B. der Abbau der zahllosen Transfers oder das Berücksichtigen von unterschiedlichen (Sonder-)Lasten im tertiären Finanzausgleich. Im Kapitel II.2 wird die Widersprüchlichkeit zwischen Kompetenzen und garantierten Autonomiebereichen sowie zwischen den föderalismusbezogenen Bestimmungen des B-VG und der Realverfassung des föderalen Systems behandelt.6 Daraus resultiert u.a., dass ein Bedarf nach teilweiser Entflechtung und/oder Neuordnung der Aufgabenzuständigkeiten im föderalen Staat und etwa nach politischer Koordinierung der Ziele in horizontaler, vertikaler sowie in regionaler Hinsicht besteht.7 Darüber hinaus erscheinen uns dynamik- und demokratie-fördernde institutionelle und prozessbezogene Innovationen erforderlich, die für Bürgerinnen und Bürger nützlich wären, wie z.B. Planungsregionen, Partizipation in Bürger-, Schüler- und Seniorenräten, im Pflege-, Gesundheits- und im Bildungsbereich. Hierfür braucht es allerdings „Regelungen, die nicht behindern, sondern ermöglichend und legitimierend wirken.“8 Auch Vergleichswettbewerbe für Lebensqualität, ästhetische Gestaltung und klimaneutrale öffentliche Dienstleistungen zwischen Regionen, Städten und Gemeinden erscheinen uns wichtig. Auf eine solche Entwicklung des föderalen Systems sollte auch der Finanzausgleich – beispielsweise durch ausgewogene Ziele und/oder durch angemessene Anreize – ausgerichtet werden.

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Siehe z.B. die Zusammenstellung der Vorstellungen der politischen Parteien zum föderalen System (Quelle: Standard 12.9.2019: Wo kann man Bürokratie vermeiden?) Eine pointierte Zustandsbeschreibung lieferte dazu Neisser (Perspektiven der österreichischen Bundesstaatsreform, 2011, S. 35): Die Praxis des österreichischen Föderalismus ist durch „wenig transparentes Political Bargaining (geprägt), in dem die politischen Akteure ziemlich ungehemmt versuchten, ihre politischen Interessen durchzusetzen (…) Auf Seiten des Bundes hindern bornierte Positionen der Verantwortlichen einen Fortschritt, auf Seiten der Länder erweisen sich Engstirnigkeit und Provinzialismus als Hemmschuh“. Siehe Biwald; Prorok: Vorwort, 2019, S. 14: „Verstärkte Notwendigkeit von Koordination und Abstimmung auf Augenhöhe zwischen den Akteuren aus Politik und Verwaltung ist eine zentrale Herausforderung für ein staatliches Gemeinwesen“. Hill: Trends und Treiber der Verwaltungsentwicklung, 2019, S. 28. Es braucht jedoch nicht nur Freiräume zum Denken, Handeln und Experimentieren, sondern auch Führung, „die deutlich macht (…), dass sie dahinter steht, offen ist für neue Ansätze und auch Fehler und Sackgassen toleriert“ (Hill: Wie geht Innovation, 2017, S. 271).

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Option einer governance-orientierten Reform von Finanzausgleich und föderaler Beziehungen

Die im Teil III entwickelte Option für eine governance-orientierte Reform des Finanzausgleichssystems, die zumindest bei den Grundwerten und Basisprozessen des Föderalismus gleichermaßen erforderlich erscheint, umfasst vier Teilbereiche (siehe Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.). Diese Gliederung basiert auf dem dreiteiligen Verständnis von Governance der OECD und berücksichtigt die verschiedenen (institutionellen, sachlich-fachlichen, interpersonellen) Interdependenzen, die auch mit dem Finanzausgleich zu adressieren wären. Zum Unterschied von der gegebenen Praxis versteht sich die hier vorliegende Option nicht als strukturell angelegte Mittelverteilung, sondern als System der Steuerung mehrerer verknüpfter Reformelemente. Tabelle 1: Eckpunkte einer governance-orientierten Finanzausgleichsreform Teilbereich

Bezug des Teilbereichs * Wertebasis des Agierens (z.B. Föderalismusmodell, Art der Kooperation) * Zielqualität (z.B. mehrere Zieldimensionen, Werte und Ziele für strategische Ausrichtung) den Finanzausgleich * Evaluierungen

Ansatzpunkte für Finanzausgleichsreformen * Stärkung des kooperativen Föderalismus gleichberechtigte Partnerschaft (Bund, Länder, Gemeinden) * Verknüpfung von Aufgabensteuerung und finanzpolitischen Entscheidungen * Einbezug von Leistungs- und Wirkungszielen * gebietskörperschafts-übergreifende Zielsteuerung * aufgabenorientierte Finanzierung

* Zuständigkeiten (Kompetenzverteilung) und Accountability * Ausmaß/Art an Kooperation Agieren in mehreren * Berücksichtigen von Handlungsfeldern Interaktionen * Organisationsprinzipien Formen/ (z.B. Hierarchie oder Mechanismen der Netzwerk) Steuerung * Demokratiequalität

* Verknüpfen von Föderalismus- und Finanzausgleichsreform * Entflechten und Neuordnen der Kompetenzen * Schaffen von Accountability * Stärken der gemeinschaftlichen Aufgabenerbringung * Sichern der finanziellen Autonomie der subnationalen Ebenen * Koordination der Parlamente der drei staatlichen Ebenen

* Aufdecken und Bearbeiten Instrumente der funktionaler/ Mehr-Ebenenorganisatorischer Defizite Governance * ergänzende Instrumente Quelle: Eigene Darstellung 2019.

* mehr Netzwerk und Abbau von Hierarchieelementen * dosierter politischer Wettbewerb (Benchmarking) * Stärken direktdemokratischer Elemente * bessere vertikale und horizontale Beziehungen * verbesserte Koordination bei gemeinschaftlicher Aufgabenerfüllung * Planung im regionalen Kontext * mehr Augenmerk auf Verhandlungsdesign und -prozess

Als wesentliche Reformelemente sind hervorzustreichen: 

Die laufende Erfüllung gegebener gemeinschaftlicher Aufgaben einschließlich der Finanzierung aus Mitteln des Steuerverbundes möglichst anhand von Leistungskriterien (=Aufgabenbezug); einzelne Projekte/Programme bei spezifischen gemeinschaftlichen Aufgaben mit politischer Priorität (hinsichtlich Qualität und Quantität der Versorgung, Decken von Nachholbedarf, Mittelumschichtungen zu Gunsten neuer/prioritärer Verfahren), wofür pauschale oder leistungsbezogene Mittelzuweisungen an die Träger von Teilaufgaben und/oder an temporäre Fonds geeignet erscheinen;

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das Sichern der Autonomiebereiche („eigene Aufgaben“) der beiden subnationalen Ebenen in Bezug auf die Verfügbarkeit eigener Ressourcen, das Stärken der horizontalen Abstimmung im Interesse von Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit; generell vermehrte indirekte Steuerung über die Mechanismen des Vergleichens und von Qualitätswettbewerben (in verschiedenen Formen, z.B. durch Einschätzungen der Leistungsempfänger/Nutzer, durch Vergleichen von Nutzen/Kosten) sowie durch Berücksichtigen der Ergebnisse aufgabenkritischer Evaluierungen und des Lernens voneinander; Design und Management der Verhandlungen, Organisation der Meinungsbildung zu Problemlagen, zu möglichen Lösungen, Risiken und zu Fragen zukünftiger Herausforderungen.

Es bestehen dabei Verknüpfungen bei mehreren Dimensionen:   

funktionell zwischen Aufgaben und deren Finanzierung; wertbezogen zwischen föderaler Partnerschaft und fairer Ausstattung mit Ressourcen im Weg des Finanzausgleichs; prozessbezogen zwischen den Akteuren, die sich nicht um Machterhalt, sondern um nachhaltige Lösungen für die Gemeinschaft engagieren.

Besonderes Gewicht wird der Konzeption und dem Ablauf der Verhandlungsprozesse sowie der Verhandlungsführung mit den verschiedenen Akteuren aus Politik, Verwaltung, Interessenvertretungen und Bürgerschaft in den unterschiedlichen Phasen der Reformprojekte beizumessen sein. Die Phasen betreffen die Aufbereitung des Status quo, die Festlegung eines strategischen Rahmens von Aufgaben- und Finanzierungszielen („Grundstrategie“, „institutionelle Architektur“), Autonomiebereiche und deren finanzielle Absicherung, gemeinschaftliche Aufgaben und Finanzierung sowie Folgenabschätzung für die mittelfristige Geltungsperiode. Weiters wäre auch die Differenzierung zwischen nationalen und regionalen Aufgaben- und Finanzierungsregelungen zu berücksichtigen. Ergänzend geht es unserem Verständnis nach um Konsultationen oder Abstimmungen zwischen Vertreterinnen und Vertretern der Regierung, des Nationalrates und der regionalen/kommunalen Ebene. Weiters wären Interessenvertretungen und die Zivilgesellschaft ernsthaft miteinzubeziehen. Hierfür sind Regeln für das Verhandeln, für das Beiziehen von Expertinnen und Experten sowie zur Festlegung der benötigten empirischen Evidenzen und Bedarfsschätzungen zu entwickeln und/oder zu vereinbaren. Zu betonen ist, dass eine solche grundlegende Reform eines Systems der aufgaben-orientierten Finanzierung im nationalen oder regionalen Kontext nur in Schritten bei jedem der angeführten Systemteile konkretisiert und umgesetzt werden kann und so als „work in progress“ zu qualifizieren ist.

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Erfahrungen und Einschätzungen von Vertreterinnen und Vertretern der Praxis

Zu der hier vorgestellten Option einer governance-orientierten Reform des Finanzausgleichs wurden auch Stellungnahmen und Einschätzungen von Führungskräften der Praxis eingeholt und in einem weiteren Teil dieser Studie aufgearbeitet.9 Hierfür sind 16 meist 1,5 stündige Interviews mit 22 Vertreterinnen und Vertretern10 öffentlicher Institutionen zu drei Themen geführt worden:   

zum Zusammenhang zwischen Föderalismus- und Finanzausgleichsreform, zu inhaltlichen Fragen einer Finanzausgleichsreform sowie zu Strategien und Instrumenten von Governance zur Umsetzung einer solchen Reform.

Die Ergebnisse bieten teils stark differenzierte, teils mehrheitlich ähnliche Einzelmeinungen, erheben jedoch keinen Anspruch auf Repräsentativität. Eine Zusammenfassung der Auswertung der Informationen zu Thema 1 „Zusammenhänge von Föderalismus und Finanzausgleich sowie Entwicklungsrichtung des föderalen Systems“ ergibt auf Basis weniger Aspekte immerhin ein „Bild“, das bei mehreren Antworten eine skeptische Grundhaltung über die Umsetzbarkeit erkennen lässt. Abbildung 1: Umsetzbarkeit von Föderalismusreformen – veränderte Steuerungsbereiche

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Anzahl Nennungen 12 14

Sichern von Autonomiebereichen aller Ebenen

Stärkeres Regeln von Teil-Verantwortlichkeiten bei Gemeinschaftsaufgaben

bessere Balance zwischen Autonomie/Demokratiequalität und Ökonomie/Effizienz

bessere Balance zwischen Regierung und Parlament

Sinnvoll und umsetzbar

Sinnvoll, aber nicht / schwer umsetzbar

Nicht sinnvoll

keine Angabe

Quelle: KDZ, eigene Darstellung; auf Basis: Unterstützungsbögen zu den Interviews, 2019.

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Für weitere Hinweise zur Methode siehe Kapitel IV. Insgesamt wurden 14 Erhebungsbögen befüllt.

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Konkret betrifft dies: Finanzausgleichsreform ohne Bezug zur Weiterentwicklung des föderalen Systems macht keinen Sinn; eine häufig genannte Entwicklungsmöglichkeit ist, künftig subnationalen Ebenen bei der Aufgabenerfüllung (hinsichtlich Trägerschaft und Ressourcenbedarf) mehr Gewicht einzuräumen; dies gilt jedoch nicht bei sämtlichen Aufgaben (z.B. Spitäler); mehrheitlich wird das Modell einer gleichberechtigten Kooperation zwischen den drei staatlichen Ebenen befürwortet, jedoch unter Bedingungen wie Reformen von Gemeindestrukturen, adäquate Verantwortlichkeit für eigene Einnahmen, verstärkte horizontale Kooperation; bei gemeinschaftlicher Aufgabenerfüllung wären klareres Definieren von Teilverantwortlichkeiten, gemeinsame Strategien bei einzelnen Aufgaben und Spielräume für den Vollzug auf den einzelnen Ebenen erforderlich; Demokratie- und Leistungsqualität wäre in besseren Einklang zu bringen; Parlamente könnten mehr mitreden; faktenbasiertes Entscheiden wäre besser als machtpolitisches Bargaining.

 

 

Eine Zusammenfassung der Antworten zu Fragen des Themas 2 „Finanzausgleich“ ergibt folgende Vielfalt an Argumenten: Abbildung 2: Umsetzbarkeit von Reform-(oder Entwicklungs)potenzialen des Finanzausgleichs(systems) 0

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Anzahl Nennungen 12 14

Verknüpfung Aufgaben und Mittel Schaffen ausgewogener Ziele unter Berücksichtigung mehrere Zieldimensionen Bessere Abstimmung der Instrumente (eigene Steuern, Steuerverbund, Transfers) Wirkungsorientierung Sinnvoll und umsetzbar

Sinnvoll, aber nicht / schwer umsetzbar

Nicht sinnvoll

keine Angabe

Quelle: KDZ: eigene Darstellung; auf Basis: Unterstützungsbögen zu den Interviews, 2019.

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Mehrheitlich wird die Notwendigkeit einer Finanzausgleichsreform betont, jedoch bestehen geteilte Meinungen hinsichtlich einer schrittweisen oder einer Reform aus „einem Wurf“. Für eine Gesamtreform plädiert ein Interviewpartner mit dem Hinweis auf das gegebene teils widersprüchliche System zwischen dem bundesweit geltenden Finanzausgleich und einzelnen landesinternen Finanzausgleichen. Für eine Teilreform spricht z.B. das von einigen vertretene Argument, wonach es vorrangig um die vertikale Mittelverteilung gehen sollte.


ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

Woran bisherige (strategische) Reformanläufe scheiterten, wurde unterschiedlich beantwortet: etwa wegen mangelndem politischen Einsatz/Engagement und/oder unzureichend definierten Reformzielen, teils wegen ungenügendem Verhandlungsdesign (keine Verknüpfung von Aufgaben und Ressourcenverteilung, unzureichende bzw. intransparente Entscheidungsgrundlagen). Hinsichtlich der Weiterentwicklung des Finanzausgleichssystems wurde mehrfach der Wunsch nach stärkerem Verknüpfen von Aufgaben mit Mitteln genannt („Geld folgt den Aufgaben“). Weitere häufig genannte Zukunftsvorstellungen betreffen den Ausbau der subnationalen Abgabenautonomie (dies trifft klar auf die Gemeindeebene zu, bei den Ländern gab es unterschiedliche Einschätzungen), ausgewogene und zwischen den Ebenen abgestimmte Ziele, die Wirkungsorientierung und eine bessere Abstimmung der Finanzausgleichsinstrumente (insbesondere Reduzieren der Zuschüsse und Umlagen).

Die Meinungen zum Thema 3 „Eignung von Governance-Ansätzen“ lassen sich wie folgt zusammenfassen: Abbildung 3: Umsetzbarkeit von Governance-Ansätzen

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Anzahl Nennungen 12 14

Ziele und Strategien Grundlagen zur Entscheidungsfindung weniger Hierarchie - mehr Netzwerke GK-übergreifende Zielsteuerung aufgabenkritische Instrumente Regeln für Koordination Verhandlungsdesign und Projektmanagement Vertragslösungen Schaffen von Innovationsräumen Institutionen der Mehr-Ebenen-Steuerung vertrauensbildende Maßnahmen Sinnvoll und umsetzbar

Sinnvoll, aber nicht / schwer umsetzbar

Nicht sinnvoll

keine Angabe

Quelle: KDZ: eigene Darstellung; auf Basis: Unterstützungsbögen zu den Interviews, 2019.

Das gegebene Verständnis von Governance (Grundwerte, Ziele, Verfahren) erscheint eher begrenzt zu sein, da eine Mehrheit der Befragten weitere Erläuterungen zu Begriff, Mechanismen und zu den Ansätzen der Mehr-Ebenen-Steuerung nützlich fänden. Die Frage nach einer Erweiterung der Governance-Mechanismen (z.B. neben Hierarchie auch Wettbewerbs- und netzwerkorientierte-Konsenspräferenz und damit ein bottom-up Gegengewicht zum herrschenden Top-down-Mechanismus), wird zwar bevorzugt, doch sehen mehrere Interviewpartner erhebliche Umsetzungsprobleme. Vordergründig wird primär auf das Machtdenken der Politik, fallweise jedoch auf gegenseitige Abhängigkeiten der Akteure im föderalen System verwiesen. Wirkungsorientierung wird

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als deutlich wichtiger angesehen, wenngleich hierbei erhebliche strategische Schwächen in der Anwendung etwa beim Bund bestünden. Bezüglich des teils wenig bekannten/angewendeten Instrumentariums zeigt sich eine schwache Mehrheit interessiert an Regeln für Koordination und Zielabstimmung, für vertrauensbildende Maßnahmen und für konsensförderliches Verhandlungsdesign. Für Aufgabenkritik, Benchmarking und Innovationen gibt es eher beschränktes Interesse, obwohl diese Instrumente schon seit Jahren als nützlich propagiert werden. Der Ansatz der Mehr-Ebenen-Steuerung wird zwar grundsätzlich als nützlich angesehen, ist aber wohl zu wenig bekannt. Insgesamt erfahren die von der OECD forcierten Analyse- und Handlungsraster zu wenig Aufmerksamkeit. Diese beziehen sich u.a. auf Informations- und Kapazitätsmängel sowie auf eine verbesserte Zielabstimmung der Entscheidungsträger bei gemeinschatlicher Aufgabenerfüllung und auf verschiedene Formen innerstaatlicher Verträge.

Erkenntnisse und Schlussfolgerungen

Abschließend werden die bisherigen Erkenntnisse zusammengefasst und Eckpunkte einer alternativen Reformstrategie für den Finanzausgleich im Mehr-Ebenen-System herausgearbeitet. Wir gehen hierbei von drei Etappen aus. Zu Beginn gilt es, Governance als Lösungsansatz anzuerkennen und zu kommunizieren. Darauf aufbauend benötigt es Analysen über das Scheitern von Reformprojekten sowie von Evaluierungen des Status quo, um aus Vergangenem und Bestehendem zu lernen. Schließlich sollte daraus eine alternative Reformstrategie entwickelt werden. Unter Berücksichtigung der Governance-Perspektiven umfasst dies eine Optimierung des Reformprozesses, eine aufgabenorientierte Neukonzeption des Finanzausgleichs-Modells sowie verbesserte, kooperationsbezogene Interaktionen zwischen den Akteuren. Abbildung 2: Etappen und Eckpunkte einer alternativen Reformstrategie im Finanzausgleich

Quelle: KDZ: eigene Darstellung 2019.

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GOVERNANCE ALS LÖSUNGSANSATZ 1. Anerkennen der Eignung von Governance-Ansätzen Governance bietet mehr Erfolgsaussichten für grundlegende Reformen im Finanzausgleich und in der föderalen Kooperation als bisher verfolgte Ansätze und verwendete Methoden. Diese bestehen – verkürzt gesagt – meist aus Versuchen, die Komplexität zu reduzieren (etwa durch eine beschränkte Zahl der Beteiligten), durch frühzeitige Selektion von Lösungsoptionen, durch Vorgabe von „roten Linien“ und Nebenbedingungen u.a.m. Bestätigt wird deren Erfolglosigkeit mit dem seit Jahrzehnten kaum vorankommendem Entflechten bzw. Neuordnen der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern sowie mit nur punktuellem Vereinfachen des grundsätzlich hierarchisch angelegten und zu wenig auf Aufgabenlasten sowie künftige Erfordernisse abstellenden Finanzausgleichs. Governance setzt dagegen vor allem bei der Bewältigung von Interdependenzen an, welche die kollektive Erbringung von Leistungen und Wirkungen nachhaltig erschweren. Diese gegenseitigen Einflüsse und/oder Abhängigkeiten bestehen nicht nur zwischen einzelnen öffentlichen Aufgaben, sondern auch zwischen Akteuren und Organisationseinheiten aus Politik und Verwaltung sowie externen Akteuren. Schließlich spielt auch strategische Komplexität eine Rolle, weil die verschiedenen Akteure nicht vorhersehbaren Strategien folgen (können), wodurch die Entscheidungen auch unberechenbare oder unerwartete Ergebnisse mit sich bringen. Governance arbeitet deshalb mit einem Mix von Ansätzen, um angemessen mit den Interdependenzen umzugehen. Dazu gehören etwa das sorgfältige Abstimmen politischer Ziele der einzelnen Aufgabenträger, das Fördern von gegenseitigem Problemverständnis und Lernen voneinander, das Einsetzen von Vermittlern, das Verknüpfen von Lösungen mit Zusatzvereinbarungen u.a.m. Bei föderaler Staatsorganisation mit teils autonomer und teils gemeinschaftlicher Erfüllung von öffentlichen Aufgaben braucht es auch eine effektive und partnerschaftliche Mehr-EbenenSteuerung. Diese befasst sich mit dem Sichern von Kapazitäten für wirkungsbezogenes Koordinieren der Akteure auf und zwischen den einzelnen Ebenen. Weiteres Augenmerk wird auf verschiedene Ansätze für aufgabenorientierte Finanzierung von (vielfach) unterschiedlich erforderlichen öffentlichen Leistungen gelegt. Schließlich geht es um gemeinsames strategisches Handeln teil-autonomer Akteure mit oft divergierenden Problemverständnissen, Zielen und Lösungsansätzen. Unabhängig von den institutionellen Regelungen verlangt eine Mehr-Ebenen-Steuerung im Interesse der Lösungen für die Bürgerschaft auch mehr gegenseitiges Vertrauen und Bereitschaft zu Kooperation als bisher. Denn soziale Spannungen nehmen überall zu – im öffentlichen wie im privaten Sektor, national und international. Diese indirekt wirkenden Maßnahmen sollen Bedingungen schaffen helfen, „which enhance learning processes between parties focused on joint image building, on accomplishing enrichment and goal intertwinement, and on strategic and institutional learning processes (…) for increased cognitive reflection and substantive variety“.11 Damit versucht man demokratische Legitimation, Wirkungs- bzw. Nutzen-/Kosten-Relationen, nachhaltige Effizienz und Effektivität möglichst gut und kombiniert zu fördern. 11

Klijn; Koppenjan: Governance networks in the public sector, 2016, S. 300 ff.

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Daraus kann eine erste Schlussfolgerung gezogen werden: Die hier behandelte Option einer strategischen, governance-orientierten Finanzausgleichsreform böte ausreichende Grundlagen und Ansatzpunkte für einen weiteren Versuch zur Weiterentwicklung eines stärker aufgabenorientierten und kooperationsbetonten Finanzausgleichssystems. 2. Governance-Ansätze konkretisieren und kommunizieren: Schaffen eines gemeinsamen Verständnisses von neuen Governance-Formen und Regelungsbereichen In den Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern der Praxis zu den Ausarbeitungen und Vorschlägen der vorliegenden Studie wurde mehrfach fehlendes Wissen oder Skepsis über die Umsetzbarkeit von Governance geäußert oder diese ist erkennbar geworden. Daraus kann eine zweite Schlussfolgerung gezogen werden: Das Wissen über die analytischen Potenziale von Governance wäre zu verbreiten und zu stärken. Konkret betrifft dies die koordinierenden, vermittelnden und regulierenden Möglichkeiten, insbesondere in Verbindung mit Steuerungsmechanismen, wie politischer Wettbewerb und Verhandlungen zwischen gleichwertigen Partnern auf Augenhöhe.12 Auch der GovernanceTeilbereich von Werten, Haltungen und Zielen wäre anzusprechen. Kurzfristige Lösungen sind hier zwar nicht zu erwarten, allerdings sollte ein vielfältiges Bemühen um Annäherungen und besseres gegenseitiges Verständnis bei unterschiedlichen Haltungen und Einstellungen erbracht werden, was auf längere Sicht vorteilhaft erscheint. Jedenfalls gilt es, Vorbehalte bzw. negative Einstellungen zu „weicher, indirekter Steuerung“, zu neuen Regeln und Institutionen (wie Dialog-Plattformen), zur oft vernachlässigten Berücksichtigung empirischen Fakten und zu Überlegungen über mögliche künftige Entwicklungen abzubauen. Denn zu den heute dominierenden Verhaltensweisen trugen früher verwendete Entscheidungsmechanismen, Institutionen und Regeln bei. GOVERNANCE-ANALYSEN DES STATUS QUO

3. Lernen aus bisherigem Scheitern: Analysieren gescheiterter Projekte substanzieller Kompetenzentflechtungen und eines aufgabenorientierten Finanzausgleichs Trotz nützlicher Ergebnisse und Erkenntnisse der Beratungen des Österreich-Konvents, ist bisher zu wenig Nachdruck in die Aufarbeitung und Evaluierung dieses einmaligen, aber gescheiterten Reformansatzes13 gelegt worden. Auch der Versuch, Pilotprojekte für eine aufgabenorientierte Regelung des Finanzausgleichs im Bereich der Elementarbildung zu determinieren, ist an unzureichenden politischen Vorgaben und an zu wenig Bemühungen, Interessensgegensätze aufzulösen, gescheitert.14 12

Hammerschmid; Wegrich verweisen etwa darauf, dass „political rationality will always be a key driver of decision-making, and the task of (governance) reforms is to increase the quality of political decision-making…” (Infrastructure Governance, 2016, S. 53. Immerhin wurde mit der Reform der Verwaltungsgerichte ein Schwerpunktthema umgesetzt. Am 1.Jänner 2014 nahmen neun Landesverwaltungsgerichte, ein Bundesverwaltungsgericht sowie ein Bundesfinanzgericht ihre Arbeit auf. 14 Siehe Bauer et al.: Ergebnisse und Erkenntnisse, 2019, S. 176: „Als zentrale Reformhindernisse werden die hohe Komplexität der Steuerung im Finanzausgleich, Mängel im Zielentwicklungsprozess und ein nicht erfolgter Interessenausgleich im Verhandlungsprozess identifiziert“. 13

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Das Lernen aus dem Scheitern von Veränderungsprojekten und das Ableiten von weiteren Reformkonzepten erscheint uns jedoch nützlich und bringt wohl eher weniger Transaktionskosten mit sich, als die Opportunitätskosten für das weitere Hinnehmen längerfristig ineffizienter und ineffektiver Regelungen. Daraus kann eine dritte Schlussfolgerung gezogen werden: Es sollten ehestens Evaluierungen des gescheiterten Reformansatzes zur Aufgabenorientierung im FAG 2017 angestellt werden. Ebenso erscheinen uns kritische Analysen („gap analysis“) über die Stärken und Schwächen der gegenwärtigen Mehr-Ebenen-Steuerung in einzelnen Aufgabenbereichen (z.B. Bildung, Pflege) nützlich. Auch Gemeinschaftsprüfungen dieser Thematik durch den Rechnungshof und einzelne Landesrechnungshöfe könnten zur Aufarbeitung der Problematik beitragen. Immerhin ist die nachträgliche Annullierung der über viele Monate behandelten Aufgabenorientierung als Versagen politisch-administrativer Führungsarbeit zu qualifizieren. Über kurz oder lang wird erneut mit politischem Druck zu Gunsten von Optionen eines aufgabenorientierten Finanzausgleichs und vielleicht von grundsätzlichen Strategien zur Verknüpfung von Aufgaben und deren Finanzierung zu rechnen sein. Als ein Indiz für die Berechtigung dieser Schlussfolgerung kann das in den Interviews festgestellte Interesse von verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern von Politik und Verwaltung an dieser Frage gewertet werden.

4. Bestehende Best-Practice-Beispiele nutzen: Aufarbeiten innovativer institutioneller Strategien und Steuerungsprozesse im öffentlichen Bereich Es liegen in einzelnen Bundes-, Landes- und Städteverwaltungen durchaus Beispiele für innovative Lösungen von Schnittstellenproblemen, von Koordinierungsprozessen und von Lösungsansätzen zu zukünftigen Problemlagen vor. Daraus kann eine vierte Schlussfolgerung gezogen werden: Es gilt, sich auf die Suche nach Best-Practice-Beispielen zu machen und dabei Erfolgsfaktoren (z.B. Ergebnisverantwortung und Rechenschaftspflicht) und notwendige Voraussetzungen (z.B. organisationskulturelle Innovationsbereitschaft) zu explorieren.

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ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

ENTWICKELN ALTERNATIVER REFORMSTRATEGIEN

5. Optimieren des Reformprozesses: Verhandlungsdesign und Reformprozess unter Berücksichtigung von Governance-Ansätzen neu gestalten „Wicked problems that confront governments, private companies, and societal groups in the current complex society (…) require a shift from a more traditional top-down way of problemsolving to a more horizontal cooperative approach, which is often referred to as the shift from government to governance.”15 Geht man von gleichberechtigten und teils gegenseitig voneinander abhängigen Verhandlungspartnerinnen und -partnern für Reformen aus, die sich mit besserem Problemverständnis, unsicheren Zukunftserwartungen und neuen Lösungsansätzen auseinandersetzen wollen oder müssen, gilt es zuerst das Design und das Management der Verhandlungsprozesse darauf auszurichten. Dies bedeutet etwa inhaltliche Gestaltungsfragen und tradierte bzw. vorgefasste Lösungsansätze vorerst zurückzustellen. Vor allem deshalb, um gegenseitige Verständigung über die Reformziele, für den Umgang mit Interessensgegensätzen und für gegenseitiges Vertrauen zu erzeugen. Darüber hinaus wird man sich mit den Formen und Mechanismen von Governance unter Netzwerk-Bedingungen, um Kooperations- und Koordinationsbereitschaft (trotz der Möglichkeiten oportunistischem Verhaltens) in dynamischen Verhandlungssituationen und diesbezüglicher Regelungen bemühen müssen. Im Fokus stehen aber auch Regelungen16 zu Agenda und Ablauf der Verhandlungen, zur Zusammensetzung der Verhandlungsgruppen, zur Abstimmung sowie über Prozesse zur Konfliktlösung. Es geht dabei darum, nicht nur Stillstand der Verhandlungen zu vermeiden, sondern Win-win-Lösungen hervorzubringen. Als Erfolgsfaktoren können genannt werden:  die für Entscheidungen befugten Politikerinnen und Politiker wirken im Reformprozess bis zum Schluss selbst mit;17  einvernehmlich akzeptierte Statusberichte und andere Entscheidungsgrundlagen liegen vor;  Analysen von unzureichenden Koordinationskapazitäten und Transparenzdefiziten werden erstellt sowie strategisches Verständnis der Akteure liegen vor (z.B. gemeinsame Wirkungsziele, gemeinsames Lernen).

15

Klijn; Koppenjan: Governance networks, 2016, S. 4. Klijn; Koppenjan verweisen diesbezüglich auf „agreements about the structuring of the interaction, which means structuring via sub-arenas, task division, inclusion of research, and experts, symmetrical representation, and the choice of work methods (Governance networks, 2016, S. 298.) 17 Siehe hierzu Lienbacher (Verfassungsreform durch Konventsmethode, 2005, S. 51), der argumentiert, dass „die Konventsmethode für Verfassungsreformen bestimmten Funktionsbedingungen unterliegt, ohne die sie zu scheitern droht“. Zu diesen zählt er u.a. Engagement und Mitwirkung der Politik, Einbeziehen von Expertisen, die ständige Rückkoppelung zwischen Politik und Expertinnen/Experten, Einbindung von Bürgervertretungen. 16

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ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

Die aus diesen Argumenten zu ziehende fünfte Schlussfolgerung lautet: Föderalismus- und Finanzausgleichsreformen wären zu verknüpfen. Es bedarf eines überlegten Vorgehens, beginnend etwa mit einer grundlegenden Bereitschaft zu Kooperation, mit schrittweiser Aufarbeitung einiger weniger Aufgabenbereiche. Dem Management der Verhandlungen zur Lösung komplizierter Probleme sollte mehr Bedeutung verliehen werden. Besonderes Augenmerk ist dabei auf folgende Aspekte zu legen: 

   

Erstellen strategischer Grundkonsense (daher gemeinsame, gebietskörperschaftsübergreifende Ziele und Strategien, Betonen der Nutzen für Bürgerschaft und Gesellschaft insgesamt); verbesserte Entscheidungsfindung (z.B. gemeinsam anerkannte empirische Fakten und deren Einschätzungen); mehr Netzwerk, weniger Hierarchie (gleichberechtigtes Agieren); Regeln für Verhandlungsdesign und Projektmanagement (z.B. zeitnahe Bereitstellung der Unterlagen, kleinere Verhandlungsrunden); vertrauensbildende Maßnahmen.

Damit wäre zwei offensichtlichen Schwachstellen von Reformen beizukommen: a) Begnügen mit dürftigen Kompromissen anstatt dem Annähern strategischer Einstellungen der Akteure zu Gunsten von Win-win-Lösungen und des Lernens miteinander und voneinander b) Vermeiden von hohen Transaktionskosten des Scheiterns von Verhandlungen und des Prolongierens des Status quo

6. Konzeption eines aufgabenbezogenen Finanzausgleichs-Modells: Unser strategischer Reformansatz zum Finanzausgleich und die Stellungnahmen aus der Praxis zeigen in einigen Punkten Übereinstimmung Eine inhaltliche Annäherung über die instrumentelle Ausgestaltung braucht zuerst ein gemeinsam getragenes Problemverständnis und die Bereitschaft, den Finanzausgleich als Verteilen von Aufgaben, Ausgabenlasten und Einnahmen zu verstehen und dazu die einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse anzunehmen. Die Umsetzbarkeit von strategischen Reformen im Finanzausgleich hängt schließlich von der Akzeptanz der Praktikerinnen und Praktikern ab. In Tabelle 2 werden unseren Vorschlägen für Optionen einer governance-orientierten Finanzausgleichsreform (Kapitel III) die Einschätzungen zur Akzeptanz aus Praxissicht (Kapitel IV) gegenübergestellt. Der Fokus liegt dabei auf der inhaltlichen Ausgestaltung des Finanzausgleichsmodells. In der letzten Spalte der Tabelle erfolgt eine Einschätzung, wie hoch die Akzeptanz für eine Umsetzbarkeit der einzelnen Maßnahmen ist. Dabei erfolgt eine Einschätzung nach zwei Kategorien: eine vergleichsweise hohe Übereinstimmung (++) oder eine beschränkte oder nur teilweise Übereinstimmung (+/-).

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ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

Tabelle 2: Teilbereiche der Finanzausgleichsreform und ihre Akzeptanz in der Praxis Teilbereiche der Finanzausgleichsreform

Hauptaspekte

Akzeptanz der Praxis

(1) Werte und Ziele für den Finanzausgleich Modell des gleichberechtigten/kooperativen

Partnerschaft aller drei

Föderalismus

Gebietskörperschaftsebenen,

++

Stärken der horizontalen Kooperation Verknüpfen von Aufgaben und Finanzierung

aufgabenorientierte Mittelverteilung

++

vermehrte dezentrale

+/-

Aufgabenerfüllung verlangt zusätzliche Mittel Kohärenz nationaler und regionaler Regelung

keine Widersprüche

+/-

Balance von Demokratiequalität und

je nach Aufgabe

+/-

Effektivität/Effizienz Einbezug von Wirkungs- und Leistungszielen

über alle Ebenen abgestimmte Ziele

++

Wirkungsorientierung

+/-

Entflechten und Neuordnen von Kompetenzen

Stärken von Verantwortlichkeiten

++

Besseres Regeln der gemeinschaftlichen

Festlegen von Teil-

++

Aufgabenerbringung

Verantwortlichkeiten

Sichern der finanziellen Autonomie der

mehr Abgabenautonomie der

(2) Agieren in mehreren Handlungsfeldern

subnationalen Ebenen Stärken der Demokratiequalität

++

Gemeinden mehr Abgabenautonomie der Länder

+/-

bessere Balance zwischen Regierung

+/-

und Parlamenten (3) Formen/Mechanismen der Steuerung Mehr Netzwerk und Abbau von

gleichberechtigte Partnerschaft

+/-

Suche nach win-win Lösungen

+/-

Anreize für Verbesserungen

+/-

Gap-Analysen für bessere vertikale und

Feststellen von institutionellen

++

horizontale Beziehungen

Schwachstellen

verbesserte Koordination bei

Regeln für Koordination,

gemeinschaftlicher Aufgabenerfüllung

Schaffen gemeinsamer

Hierarchieelementen Besseres Verhandeln (vertikale Verteilung von Aufgabenträgerschaft und Ressourcen) Dosierter politischer Wettbewerb, Lernen voneinander (horizontale Koordination) (4) Instrumente der Mehr-Ebenen-Governance

++

Steuerungsinstitutionen Instrumente der Koordination

optimierte räumliche Planung und

+/-

Abstimmung Schaffen von Innovationsräumen

+/-

Differenzierte Leistungs-

nach regionalen Präferenzen

+/-

/Finanzierungsverträge

(Notwendigkeiten)

Quelle: KDZ: eigene Darstellung 2019.

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ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

Die aus dieser Übersicht zu ziehende sechste Schlussfolgerung lautet: Teilweise bestehen bereits Übereinstimmungen zwischen Praxis und theoretischen Konzepten. Eine Neuausrichtung des Finanzausgleichs sollte daher jedenfalls die folgenden Elemente enthalten:  Modell des gleichberechtigten/kooperativen Föderalismus;  stärkeres Steuern mit Zielen (gebietskörperschaftsübergreifend, Wirkungsziele);  Verknüpfen von Aufgaben und Finanzierung;  Ausbau der subnationalen finanziellen Autonomie;  Stärken der Verantwortlichkeiten durch klare Kompetenzabgrenzungen insbesondere bei Gemeinschaftsaufgaben;  verbessere Koordinierungsinstrumente und -prozesse (vertikal und horizontal, mehr Netzwerk). Zentral wird bei der Umsetzung dabei die Einigung auf die jeweils allokativen, verteilungs- und demokratiepolitischen Ziele sein. Dies gilt insbesondere für die landesinternen Finanzausgleiche. Generell gilt es auch, die Einstellung zu Innovation als „Werthaltung“ durch verstärktes Bearbeiten von „Zukunft“ zu fördern. 7. Partnerschaftliches Agieren im Netzwerk Finanzausgleich und Föderalismus sollten, wie einleitend postuliert, heute im Sinn von Empfehlungen von Governance, insbesondere als Netzwerk gleichberechtigter Partner weiterentwickelt werden. Entscheidend für Reformen in beiden politischen Handlungsfeldern ist daher, ob sich die Akteure gegenüber den neuen Perspektiven von Governance aufgeschlossen zeigen und politische Kultur und Mut mitbringen.18 Gleichzeitig gilt es, die positiven Seiten des fest verankerten traditionellen Politik- und Managementverständnisses zu bewahren, nämlich mit ausreichender demokratischer Legitimation, Augenmaß und sozialem Verantwortungsbewusstsein. Es ist nämlich klar, dass auch Netzwerke ihre Schattenseiten aufweisen können, indem undurchsichtige Verflechtungen um sich greifen, indem offene Verhandlungsprozesse nicht immer zu Ende gebracht werden. Deshalb lautet die siebente Schlussfolgerung: Um den zunehmenden Herausforderungen gerecht zu werden, bedarf es einer stärkeren Interaktion in Netzwerken. Die gemeinschaftliche Aufgabenerbringung ist dabei als Stärke des österreichischen Föderalismus wahrzunehmen. Um jedoch Schnittstellenprobleme zu reduzieren, braucht es einer näheren Betrachtung und Lösung bestehender Lücken in der Zusammenarbeit. Insgesamt bedeutet dies ein stärker partnerschaftliches Agieren im Netzwerk – mit Augenmaß und Empathie.

18

Thienel (gegenwärtiger Präsident des Verwaltungsgerichtshofes) führt mehrere Gründe für die Schwierigkeiten von (Verwaltungs-)Reformen an und plädiert für institutionelle Änderungen zur Stärkung der politischen Entscheidungsträger sowie für mehr politische Kultur und Mut zur Überwindung von Widerständen (Verwaltungsreformen in Österreich, 2017, S.20).

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