Informationsbrief Februar 2015

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Aus dem Inhalt

Neues aus Kirche und Welt Aus Lehre und Verkündigung Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob Die Brüderpaare Ambrosius und Thomas Blarer und Johannes und Nikolaus Zwick Ein besonderes Gebot – Warum das sechste Gebot so wichtig ist Christentum und Islam Der »islamisierte« Abraham nach dem Koran Nikolaus Hausmann Matthäuspassion Aus Kirche und Gesellschaft Aus den Bekennenden Gemeinschaften Buchrezension

ISSN 1618-8306

Februar 2015 Nr. 290

Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium«


kurz+bündig Personen

Inhalt kurz+bündig Neues aus Kirche und Welt

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Aus Lehre und Verkündigung 5 Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob. Jahreslosung 2015

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An der Bruchstelle zwischen Luthertum und reformiertem Glauben Über die beiden Brüderpaare Ambrosius und Thomas Blarer und Johannes und Nikolaus Zwick, die vornehmlich in Konstanz ­reformatorisch wirkten Teil 1 von 2 7 Ein besonderes Gebot –– Warum das sechste Gebot so wichtig ist 12 Christentum und Islam Gegenüberstellung der theologischen Grundaussagen von Christentum und Islam in einzelnen Abschnitten Teil 4 von 9

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Der »islamisierte« Abraham nach dem Koran 18 Nikolaus Hausmann

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Matthäuspassion 24 »Gottes Erwählen im Alten und Neuen Testament« Bibelfreizeit im März 2015 26 Aus Kirche und Gesellschaft 27 Aus den Bekennenden Gemeinschaften 29 Buchrezension Heinz Schilling Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs. Eine Biographie 30

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Professor Walther Eisinger †

Walther Eisinger, langjähriger Professor für Praktische Theologie an der evangelischtheologischen Fakultät der Universität Heidelberg (1965– 1993) ist 86-jährig verstorben. Eisinger war auch Mitglied der badischen Landessynode und des Landeskirchenrats, Vorsitzender des Vereins für Kirchengeschichte in Baden und im Bundesvorstand des CVJM in Deutschland. Für mehrere Pfarrergenerationen wirkte er prägend. Eisinger kam es auf eine verständliche Darstellung des christlichen Glaubens an.

Professor Benrath †

Gustav Adolf Benrath, Professor für Historische Theologie in Mainz, ist an seinem langjährigen Wirkungsort im vergangenen November im Alter von 82 Jahren verstorben. Der Ordinarius, der auch an der Universität Heidelberg badische Kirchengeschichte unterrichtete, stand der Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« nahe. Er hatte einen mehrteiligen Aufsatz über Jan Hus und das Konstanzer Konzil für den Informationsbrief zugesagt, war dann aber schwer erkrankt, so dass wir leider auf seinen historischen Beitrag verzichten müssen.

Neuer Präsident der ­Europäischen Evangelischen Allianz: Frank Hinkelmann

Der in Kusel (Pfalz) geborene und jetzt in Öster-

reich lebende Kirchen- und Missionshistoriker Frank Hinkelmann (47, Petzenkirchen/Niederösterreich) ist neuer (ehrenamtlicher) Präsident der Europäischen Evangelischen Allianz (EEA). Seit 2003 steht er bereits an der Spitze der Österreichischen Evangelischen Allianz. Hauptberufliche ist Frank Hinkelmann europäischer Direktor des überkonfessionellen Missionswerks »Operation Mobilisation« (OM). Die EEA vertritt eigenen Angaben zufolge rund 15 Millionen Evangelikale in 35 Ländern. Ihr Generalsekretär ist der Schweizer Thomas Bucher.

Bibel Württem­bergische Bibelgesellschaft bekommt eine neue Leiterin

­Franziska Stocker-Schwarz (52), seit 2000 Pfarrerin in der Stuttgarter LudwigHofacker-Kirchengemeinde, wird neue Vorsitzende der Württembergischen Bibelgesellschaft. Sie folgt auf Pfarrer Klaus Sturm (56), der aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand trat. Stocker-Schwarz ist Mitglied der württembergischen Landessynode im evangelikalen Gesprächskreis »Lebendige Gemeinde« und Vorsitzende

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des Ausschusses für Kirche, Gesellschaft und Öffentlichkeit.

Theologische Ausbildung Jubiläum: FTH Gießen wurde 40

Bereits im vergangenen Jahr konnte die Freie Theologische Hochschule (FTH) Gießen auf 40 Jahre zurückblicken. Sie wurde kürzlich erneut vom Wissenschaftsrat akkreditiert. Die FTH sieht sich als Alternative zur liberalen Theologie an den Universitäten. Das Studium an der FTH ist wissenschaftlich und zugleich praxisnah.

Innere Mission

erreichen), wird Matthias Kerschbaum (38). Er folgt auf Matthias Büchle, der als Generalsekretär in den CVJMWestbund wechselt. Kerschbaum, ursprünglich Bankkaufmann, ist derzeit noch CVJM-Landesreferent in Württemberg und Ansprechpartner für Familienarbeit im Evangelischen Jugendwerk in Württemberg (ejw).

kurz+bündig

Personen +++ Kirchen +++ Glauben +++ »Modernes Leben«

Kirche weltweit Weg für Frauen ins Bischofsamt frei

Schon bald könnten in Großbritannien die ersten Frauen zu Bischöfinnen der Kirche

Wechsel bei der Geschäfts­ führung der dzm

Thomas Lang (39), in Siegen aufgewachsen und später in Wetter im Ruhrgebiet tätig, ist seit 1. Oktober 2014 neuer Geschäftsführer der Deutschen Zeltmission (dzm) in Siegen. Er folgt auf Thomas Röger, der nach längerer Zeit als Geschäftsführer bei der dzm zum Jahreswechsel ausgeschieden ist.

Kirche in Deutschland Baden: Neuer CVJMGeneralsekretär

Neuer Generalsekretär des CVJM-Landesverbandes Baden (65 CVJM-Ortsvereine die wöchentlich 11 000 Menschen

Ethik Verbot der Sterbehilfe

Für ein Verbot der Sterbehilfe haben sich christliche Mediziner und Ethiker ausgesprochen. Sie begrüßten die Initiative von Minister Hermann Gröhe, jede Form des assistierten Selbstmordes unter Strafe zu stellen, da ein Verbot kommerzieller Anbieter nicht ausreiche. Der Medizinhistoriker Professor Axel Bauer (Mannheim) warnte vor der »Illusion des selbstbestimmten Todes«. Schwerkranke Menschen bräuchten fachliche Hilfe und keinen assistierten Selbstmord. Ein holländischer Journalist berichtete über die negativen Folgen der Legalisierung der Sterbehilfe in seiner Heimat. Professor Manfred Spieker sprach davon, assistierter Suizid führe zur »Selbstentsorgung« kranker Menschen.


kurz+bündig von England ernannt werden. Nachdem die Generalsynode der anglikanischen Kirche Frauen bereits im Juli 2014 den Weg ins Bischofsamt erlaubt hatte, gab im November 2014 auch das britische Parlament seine Zustimmung zu diesen Plänen. Diese Entscheidung bedeutet das Ende einer seit 20 Jahren andauernden Debatte. Damals hatte die Church of England erstmals Frauen zum Priesteramt zugelassen.

Ökumene

Eröffnung einer internationalen Konferenz zum interreligiösen Dialog in Istanbul für die volle Anerkennung des Islam als gleichberechtigter Religionsgemeinschaft in Deutschland ausgesprochen. Dies gehöre zur »verfassungsrechtlich garantierten Freiheit in der Religionsausübung«. Wulff setzte sich bereits in seiner Zeit als Bundespräsident bis (2010–2012) für fremde Religionen ein. IS bedroht Oberlandesgericht

Das Stuttgarter Oberlandesgericht hat einen Drohbrief Kurienkardinal zum Wesen mit dem Logo einer Untergruppe des Islamischen Staates der Kirche Der im Vatikan für Öku(IS) erhalten, in dem es heißt, menefragen zuständige Kurt dass der Prozess gegen drei Kardinal Koch, hofft darauf, mutmaßliche IS-Unterstützer dass das Reformationsgedenken »nicht zu Ende kommen« 2017 »weitere Klärung« bei werde. »Dafür werden wir mit den konfessionell unterschiedeinem Kampfeinsatz sorgen.« lichen Vorstellungen über das Die Staatsanwaltschaft ermit»Wesen der Kirche« bringt. Der telt. Wie ein Sprecher dieser sagte, habe es eine solche »Grundlagentext« der EKD Gefährdung bislang bei keinem zum Reformationsjubiläum, »Rechtfertigung und Freiheit«, der Terrorprozesse in Deutschführe eine »Pluralisierung im land gegeben. abendländischen Christentum« als willkommene Fernwirkung Christenverfolgung der Reformation an. Er vertrat die Position: »Wo die Spaltung des einen Leibes Christi kein Religionsfreiheit weltweit Ärgernis mehr auslöst, wird immer stärker eingeschränkt Ökumene überflüssig.« Immer mehr Länder schränken die Religionsfreiheit ein. Davon besonders betrofIslam fen sind Christen. Ihre Lage hat sich nur in sechs von 116 Ex-Bundespräsident Wulff: verbessert, dafür aber in 55 verschlechtert. Am schlechtesIslam als gleichberechtigt ten steht es um die Religionsanerkennen Ex-Bundespräsident Chrisfreiheit im Irak, in Libyen, in tian Wulff (CDU) hat sich bei Nigeria, in Pakistan, in Syrien einem Aufenthalt anlässlich der und in Nordkorea. 4

Gesellschaft Eine Million Stasi-Zuträger

Rund eine Million Menschen lieferten der Staatssicherheit der DRR Informationen über ihre Mitmenschen. Das sind fünfmal so viele wie bisher angenommen. Damit war jeder 16. Einwohner eine »Auskunftsperson«.

Baden-Württemberg: Inzwischen etwas mehr Feuer- als Erdbestattungen

Nach Angaben der Bestatter gibt es in Baden-Württemberg inzwischen etwas mehr Feuer- als Erdbestattungen. Das Verhältnis sei zwar noch 50 zu 50 Prozent, jedoch mit einem leichten Vorsprung der Feuerbestattungen. »Das ist eine grundsätzliche Änderung in der Bestattungskultur.« Die Ursachen liegen vor allem in den höheren Kosten für klassische Gräber und darin, dass ein Urnengrab pflegeleichter sei.

Schule: Strafe für Eltern

Eltern, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken, dürfen bestraft werden. Eine entsprechende Strafnorm sei mit dem Grundgesetz vereinbar, so das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (Az. 2BvR920/14). Eine Klärung angestrebt hatte ein Elternpaar, das seine Kinder seit Jahren aus Glaubensund Gewissensgründen von der Schule fernhält.

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Aus Lehre und Verkündigung mm Ich bezeuge bei der Heiligen Dreifaltigkeit und ihrer unbefleckten Braut, der evangelischlutherischen Kirche, mit christlicher und ungeheuchelter Treue, dass ich Verfechter der unveränderten Augsburgischen Konfession und der Konkordienformel gewesen bin und sie öffentlich verkündet habe, dass ich sie verkünde und auch mit Hilfe des Heiligen Geistes immer verkünden werde.

Johann Valentin Andreae

mm Es ist nicht wahr, dass die Ewigkeitshoffnung die Christen zu Träumern und Phantasten macht. Im Gegenteil – je entschlossener wir auf die neue Welt warten, desto praktischer, nüchterner und schlichter wird sich unser Leben hier gestalten. Friedrich von Bodelschwingh d. Ä.

mm Wenn wir nicht unsere Stimme erheben, wenn die Religionsfreiheit bedroht ist und Christen verfolgt werden, dann beteiligen wir uns am Bösen. Wenn amerikanische Christen angesichts ungeheurer Verfolgung den Mund halten, wie wir es getan haben, dann werden wir vor Gott schuldig. Eric Metaxas

mm Viele Christen in ihrer oft weichen und süßlichen Art verzuckern die Bitternis des Schicksals durch eine allzu billige Vorstellung vom lieben Gott. Sie erweichen die Härte der Schuld durch eine fast beängstigende Kindschaftsromantik. Helmut Thielicke in einer Predigt 1956

mm In den 95 Thesen [Luthers zum Ablass vom 31. Oktober 1517] werden Fragen angesprochen, die jeden Christen bewegen. Der Ablass ist damals [zu Beginn des 16. Jahrhunderts] eines der wesentlichen, um nicht zu sagen das entscheidende Mittel der Heilssicherung, eigentlich: der Heilsversicherung, zu dem die Menschen in der Unruhe greifen, die sie umtreibt. Gewiss haben die meisten von ihnen nicht so tief mit dem Problem der Rechtfertigung gerungen wie Luther, der von der Frage nach dem gnädigen Gott bis zur Selbstzerstörung bewegt wird. Aber in ihnen allen ist diese Frage lebendig. Unzählige von ihnen haben mit allem Nachdruck eine Antwort darauf zu finden gesucht. Offensichtlich ist es auch ihnen, wenn auch gradweise unterschieden, so gegangen wie Luther, dass sie mit den herkömmlichen und üblichen Mitteln die Sicherheit, die Ruhe der Seele und des Gewissens nicht gefunden haben, nach der es sie so sehr verlangte. In der Antwort, die Luther vorträgt, finden sie die Antwort auf ihre Frage, finden sie ihr Suchen befriedigt. Diese Antwort ist anders als alle bisher gegebenen – deshalb ihre Wirkung. Nur so erklärt sich die explosive Kraft der reformatorischen Botschaft, nur so erklärt sich, dass an einer exegetischen Erkenntnis damals eine ganze Welt in Trümmer ging. Kurt Aland

mm Je mehr die Reformation als historisches Erscheinung gesehen wird und nicht als lebendige Kraft, umso größere Sorge muss man für das Christentum von heute empfinden. Kurt Aland

mm Wir können gegen Gott kein größeres noch besseres Werk tun noch einen edleren Gottesdienst erzeigen, als ihm danken. Martin Luther

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mm Wo zwanzig Teufel sind, da sind auch hundert Engel. Wenn das nicht so wäre, dann wären wir schon längst zugrunde gegangen. Martin Luther

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Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob. Römer 15,7 (Jahreslosung 2015) gerT KeLTer

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ie Kirchenvorstandsklausur stand – nicht ohne Grund – unter der Überschrift »respektvoll miteinander umgehen«. beim gemeinsamen mittagessen spricht der Pfarrer als tischgebet: »Herr ich danke dir, dass du vor mir einen tisch bereitet hast im angesicht meiner Feinde« (vgl. Psalm 23,5). Klar, der einstieg ist erfunden. aber so ganz aus der Luft gegriffen ist er nicht. Je höher unsere erwartung ist, dass es doch zwischen Christen immer harmonisch und respektvoll zugehen müsse, desto tiefer der absturz in die Wirklichkeit, die leider auch in christlichen Kreisen viel zu oft durch streit und Verletzungen vergiftet ist. Die Jahreslosung klingt zunächst wie eine fromme Variante von »seid nett zueinander!« aber war Christus nur »irgendwie nett« zu seinen nächsten, zu uns? Christus hat die menschen, hat uns geliebt! und zwar bis in die letzte

Gert Kelter Die anschrift des autors finden sie auf seite 30

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Konsequenz: er ist aus Liebe für uns am Kreuz gestorben. Das war nicht einfach nur »nett« von ihm. Paulus schreibt uns dieses Jahr ins stammbuch: »nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.« Genau genommen: Weil euch Christus angenommen hat. menschen, die in ihrer Kindheit nie Liebe empfangen haben, sind oft als erwachsene auch nur schwer in der Lage, Liebe zu schenken. sie haben immer den eindruck, von einem leeren Konto überweisen zu müssen. aber Christus hat uns unendlich geliebt. und zwar, als wir noch seine Feinde waren (römer 5,10). Wir vergeben uns nichts, kommen nicht zu kurz und können uns auch nicht »leer lieben«, wenn wir aus dieser Quelle schöpfen und weitergeben. einander annehmen – das heißt nicht gleich, für den anderen in den tod zu gehen. aber es heißt, Verständnis, barmherzigkeit, Geduld, nachsicht füreinander aufzubringen. es heißt für die schwachen, die starken nicht als Gegner und für die starken, die schwachen nicht als lästigen ballast zu sehen. sondern für alle miteinander: uns als von Gott geliebte und durch Christus erlöste Kinder des einen Vaters im Himmel zu erkennen. nicht, um dafür gelobt zu werden, sondern um Gott dadurch zu loben und den Frieden zu erfahren, der höher ist, als alle Vernunft. (aus: Feste-burg-Kalender 2015, FreimundW Verlag, neuendettelsau) Februar 2015

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Oberdeutsche Reformation

An der Bruchstelle zwischen Luthertum und reformiertem Glauben Über die beiden Brüderpaare Ambrosius und Thomas Blarer und Johannes und Nikolaus Zwick, die vornehmlich in Konstanz reformatorisch wirkten Teil 1 von 2 WaLTer rominger Hinführung

Eine wichtige Tat weniger: Vier Männer erreichen Weitreichendes Der mitbegründer der weltweiten methodistenkirche, der englische Pfarrer John Wesley (1703–1791), der von der anglikanischen Kirche herkam, soll sinngemäß gesagt haben: Gebt mir zehn männer, die zu allem entschlossen sind, und die Welt wird verändert. Die ganze Welt haben sie zwar nicht verändert, die vier aus dem süddeutschen Konstanz am bodensee, das etwa einhundert Jahre zuvor Konzilsstadt war (5.11.1414 – 2.4.1418), dessen Verhandlungen das lange währende päpstliche schisma beendeten, das sich jedoch, für Protestanten zumindest, mit der Verbrennung des Vorreformators Jan Hus (etwa 1369–1415) verbindet. Wenn sie auch nicht die ganze Welt veränderten, so wirkten sie doch in der einstigen Konzilsstadt Konstanz und den oberdeutschen Grenzgebieten zur schweiz hin und in diese hinein über Jahre hindurch segensreich, führten die reformation in dieser Gegend ein, die sich aber leider in Konstanz nicht über lange Zeit halten ließ. es sind dies die jeweils aus vornehmem Patri-

Walter Rominger Die anschrift des autors finden sie auf seite 30 InFormatIonsbrIeF 290

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zierhaus stammenden brüder ambrosius und thomas blarer sowie die brüder Johannes und nikolaus Zwick, die untereinander nahe verwandtschaftliche beziehungen hatten, waren sie doch Vettern. ambrosius blarer und Johannes Zwick sind dabei der evangelischen Christenheit wohl mehr bekannt als ihre brüder, was sich im Falle der Zwick-brüder leichter erklären lässt als bei den brüdern blarer: nikolaus Zwick, der jüngere bruder des Johannes, war gegen sein Lebensende hin nämlich Wiedertäufer und fiel damit wohl einem bewussten Vergessen, wenn nicht gar einer damnatio memoriae anheim; ambrosius blarer mag sich im bewusstsein des (interessierten) Kirchenvolkes deshalb besser gehalten haben, weil er die bekannteren Kirchenlieder schuf und neben seinem Vetter Johannes Zwick als der bedeutendste unter den oberdeutschen Liederdichtern der reformationszeit und als einer ihrer sprachmächtigsten überhaupt zu gelten hat. Im Folgenden sollen jedoch alle vier gewürdigt werden, auch der lediglich in Fachkreisen noch bekannte Konrad Zwick. Während das bekannte protestantische »Handwörterbuch für theologie und religionswissenschaft«, »Die religion in Geschichte und Gegenwart« (rGG³, tübingen 1957ff.) noch alle vier würdigt (blarer ambrosius und thomas, bd. 1, sp. 1318; Zwick Johannes und Konrad, bd. 6, sp. 1950), behandelt robert stupperich in seinem an sich verdienstvollen »reformatorenlexikon« (Gütersloh 1984, 239 seiten), in welchem er mehr als 300 deutsche und außerdeutsche reformatoren vorstellt, lediglich ambrosius blarer und Johannes Zwick. In seinem durchaus verdienstvollen buch »be7


kannte Lieder – wie sie entstanden« (Neuhausen-Stuttgart 1979, TELOS 2116, Hänssler-Verlag) würdigt Wolfgang Heiner sowohl Ambrosius (S. 66) und dessen Bruder Thomas Blarer (S. 74) als auch Johannes Zwick (S. 72).

Ambrosius Blarer: »Wie’s Gott gefällt, so g’fällt’s auch mir, ich lass mich gar nicht irren« (Ambrosius Blarer, EKG 281) Aus altem Konstanzer Patriziergeschlecht stammend, erblickte Ambrosius Blarer (gesprochen Blaurer) am 12. April 1492 in Konstanz das Licht der Welt. Bereits im Alter von 13 Jahren begann Ambrosius Blarer 1505 mit dem Studium in Tübingen. Nachdem er sich schon ab 1510 zeitweise im Benediktinerkloster Alpirsbach im oberen Kinzigtal im nördlichen Schwarzwald aufgehalten hatte, trat er 1510 diesem Orden bei und feierte in der bekannten romanischen Basilika seine Primiz, was seine Angehörigen nicht verhindern konnten. Ambrosius Blarer setzte im Kloster seine humanistischen Studien fort und wurde dann in jungen Jahren bereits Prior der Alpirsbacher Abtei und damit Stellvertreter des Abtes. Aufgrund seiner Sprachbegabung wurde er wiederum nach Tübingen zum weiteren Studium gesandt, woraus eine Freundschaft mit Philipp Melanchthon (1497–1560) entstand, der zu der Zeit als noch jugendlicher Professor für Griechisch in der Universitätsstadt am Neckar war. Es war indes der jüngere Bruder Ambrosius Blarers, Thomas Blarer (1499–1570), der spätere Mitreformator und Bürgermeister von Konstanz, der gerade in den Klosterjahren seines älteren Bruders in Wittenberg Theologie studierte und mit Martin Luther (1483–1546) als dessen Schüler in engem Kontakt war. Dieser unterrichtete Ambrosius Blarer nicht allein über die Vorgänge um Luther in Wittenberg, sondern ließ diesem auch dessen beiden wichtigen Schriften »Von der Freiheit eines Christenmenschen« (1520) und »Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche« (1520), zwei der so genannten reformatorischen Hauptschriften (neben der »Obrigkeitsschrift«: »An den christlichen Adel deutscher Nation und von des christlichen Standes Besserung«, 1520) 8

zukommen, die dieser nebst der Heiligen Schrift ab 1520 dann auch eifrig studierte, was nicht ohne ganz wesentliche Wirkung blieb. Er kam zur Überzeugung: »Es wird durch keine Lehre unser Herz so tief und wunderbar in Gott gestillt und befriedigt als durch ein starkes Vertrauen in die überschwängliche Barmherzigkeit Gottes, die uns in Christus erzeigt ist.« Es ist davon auszugehen, dass Ambrosius Blarer aufgrund seines Bedenkens von Heiliger Schrift und Luthers Schriften denn auch auf neue Weise, also evangelisch, im

Kloster predigte. Der Schnitt war deutlich: Ambrosius Blarer, der gelehrte Klosterbruder, der innerhalb kurzer Zeit einen steilen Aufstieg genommen hatte (zum Prior), verließ am 5. Juli 1522 (RGG³, Bd. 1, Sp. 1318; andere Datierung 8. Juli, so Wolfgang Heiner, S. 66) die Benediktinerabtei Alpirsbach und kehrte 30-jährig in seine Heimatstadt Konstanz zurück. Lebte er zunächst auch zurückgezogen, vertieft in Bibelstudien und von Ulrich Zwingli (1484–1531) beraten, so begann er dennoch, gerade aus der Stille heraus, für die Reformation in Konstanz zu wirken. In dem seinem »Wendejahr« (1522) folgenden verfasste er sein frühestes Lied, das von ihm ins Gesangbuch aufgenommen wurde und von einer großen Ergebenheit in Gottes Willen zeugt: »Wie’s Gott gefällt, so g’fällt’s auch mir« (EKG 281, sieben Strophen, im EG leider nicht mehr enthalten). Neben Ulrich Zwingli hielt er ebenfalls seit 1523 briefliche Verbindung zu Johannes Oekolampad (1482–1531), dem Basler Reformator; zudem verband ihn seit 1528 eine enge Freundschaft mit dem Straßburger Reformator Martin Bucer (1491–1551), der freilich auch Einfluss auf Ambrosius Blarers Theologie nahm. Dann war es der Konstanzer Stadtrat, der Ambrosius Blarer geradezu drängte, an jedem Samstag nach der Vesper eine deutsche Predigt zu halten. So wurde er zusammen mit seinem Bruder Thomas Blarer und seinem Vetter Johannes Zwick ab 1523 zum Reformator der Freien Reichsstadt am Bodensee. Eine Neuordnung des Gottesdienstes erfolgte in Konstanz 1527. Doch dabei sollte es nicht bleiben. Denn ab 1528, nach dem reformierten Kirchentag Februar 2015

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in Bern, wirkte Ambrosius Blarer bei der Reformation etlicher oberdeutscher Städte mit: Memmingen, Ulm, Geislingen (a. d. Steige), Esslingen (am Neckar), Biberach, Isny, von denen sich einige beim Augsburger Reichstag (1530) zur Confessio Tetrapolitana zusammenschlossen.1 Die Reformation im großen Umfang war in ihren frühen Jahren zunächst wenigstens eine Angelegenheit der Städte. Zu großer Bedeutung gelangte Ambrosius Blarer dadurch, dass der württembergische Herzog Ulrich (1487–1550), der aufgrund seines Versprechens, in Württemberg die Reformation einzuführen, aus seinem langjährigen Exil im burgundischen Mömpelgard (1519–1534) zurückkehren konnte, Ambrosius Blarer neben Erhard Schnepf (1495–1559) gewissermaßen zum Reformator Württembergs berief. Während Professor Erhard Schnepf, der aus Hessen nach Württemberg zurückkam, den nördlichen Teil Württembergs reformieren sollte, bestand Ambrosius Blarers Aufgabe darin, den südlichen Teil der Reformation zuzuführen. Indes rieben sich die beiden, die ab 1534 diese Aufgabe wahrnahmen, kräftig aneinander: der (steile) Lutheraner Erhard Schnepf, der überdies allem Anschein nach ein schroffer Charakter war, und der schon aufgrund seiner Nähe zur Schweiz und durch entsprechende (Brief)Freundschaften zu reformierten Theologen nicht unbeein-

flusst gebliebene Ambrosius Blarer, der, gut süddeutsch, einen mehr ausgleichenen Charakter hatte. Und so ging denn auch 1538 die Tätigkeit Ambrosius Blarers, der von Tübingen aus wirkte, neue Prediger einsetzen und das Klosterwesen neu ordnen musste, als vom Herzog bestellter oberdeutscher Reformtor nach vier Jahren zu Ende, da zudem das Verhältnis zum Herzog durch Ambrosius Blarers Verweigerung der Unterschrift unter die von Martin Luther verfassten Schmalkaldischen Artikel (1537) getrübt war. Hinzu kam, dass sich hauptsächlich Räte, die dem Enthusiasten Caspar Schwenckfeld (1489–1569) zuneigten, gegen ihn stellten und die Reformation der Universität Tübingen eine für ihn zu schwierige Aufgabe darstellte. Deshalb wurden Philipp Melanchthon und der Basler Philologie und Theologe Simon Grynaeus (1493–1541), der zwar an der Abfassung der Helvetischen Kirchenordnung2 beteiligt war, aber dennoch – letztlich vergeblich – die Schweizer zur Annahme der Wittenberger Konkordie (1536) bewegen wollte, und der »seit Erasmus [von Rotterdam], seinem Vorgänger [in Basel] als der größte Gelehrte galt« (Robert Stupperich, Reformatorenlexikon, S. 91) und dann vor allem Johannes Brenz (1499–1570) mit der Reformation der Universität Tübingen betraut. All das führte 1538 zu Ambrosius Blarers Entlassung. Seine anschließende Tätigkeit

Konstanz um 1493 Informationsbrief 290

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Das Benediktinerkloster Alpirsbach (Gemälde von 1839) im oberen Kinzigtal im nördlichen Schwarzwald. 1510 trat Ambrosius Blarer diesem Orden bei und feierte in der bekannten romanischen Basilika seine Primiz. Er wurde in jungen Jahren bereits Prior der Alpirsbacher Abtei und damit Stellvertreter des Abtes. in Augsburg endete bereits 1538, und blieb damit eine recht kurze Episode. Deshalb kehrte er in seine Geburtsstadt Konstanz zurück. Erst einmal nach Konstanz zurückgekehrt, hat er diese Stadt in den kommenden Jahren denn auch nur selten verlassen, bis er fluchtartig aus ihr hinweg musste. Zunächst bewährte sich Ambrosius Blarer im so genannten Pestjahr 1542 als Seelsorger. Der »schwarze Tod« verschonte die Freie Reichsstadt am Bodensee nicht; und ihr fiel eine Schwester des Konstanzer Reformators zum Opfer. Doch in den Jahren danach trat nicht unbedingt eine Beruhigung ein. Trotz der guten theologisch-kirchlichen Arbeit der Blarerund Zwick-Brüder ging Konstanz, veranlasst durch politische Umstände, für die Reformation auch bald wieder verloren. Mitverursacht wurde dies durch die Niederlage der Evangelischen im Schmalkaldischen Krieg (1546/47), wodurch das Selbstbewusstsein der Altgläubigen gestärkt wurde. Der damalige, aus Spanien stammende, Kaiser Karl V. (1500–1558), der von sich sagen 10

konnte, in seinem Reich gehe die Sonne nicht unter, ging auf die Bitte der Konstanzer nicht ein, sich die Reichsfreiheit erhalten zu dürfen und sich dem Augsburger Bekenntnis zu unterstellen. Er forderte vielmehr bedingungslose Unterwerfung, was die evangelisch gesonnenen Bürger von Konstanz jedoch ablehnten. Da­ raufhin überfielen am 6. August 1548 kaiserliche Truppen die Freie Reichsstadt am Bodensee. Zunächst konnten die Konstanzer Bürger in blutiger Auseinandersetzung die spanischen Soldaten des Kaisers zurückdrängen. Doch nach einer zweimonatigen Belagerung der Stadt durch spanische Truppen des Kaisers brach deren Widerstand. Ambrosius Blarer musste den Zusammenbruch der mit von ihm aufgebauten evangelischen Gemeinde mit ansehen, denn die Stadt unterwarf sich dem Interim (1549).3 Dadurch konnte er sich nicht länger halten; er floh in die nahe gelegene Schweiz und lebte dort, gewissermaßen für die restlichen 16 Jahre seines Lebens in der »Verbannung« – freilich nicht untätig in Winterthur und Biel und nahm Verbindung mit dem Genfer Reformator Johannes Calvin (1509–1564) auf. Berufungen nach Augsburg, Memmingen und in die Pfalz lehnte er ab. Aber wie ein »Wanderprediger« wirkte er in den Jahren seiner Schweizer »Verbannung« in verschiedenen Schweizer Gemeinden, unter anderem auch noch in oberdeutschen Städten. Am 6. Dezember 1564, ein knappes dreiviertel Jahr nach Johannes Calvin (27. März), verstarb Ambrosius Blarer in Winterthur. Anders als sein Vetter Johannes Zwick trat Ambrosius Blarer schriftstellerisch kaum hervor. Aber durch seinen umfangreichen Briefwechsel und auch durch seine geistlichen Lieder übte er über Jahrzehnte (durch die Lieder teils bis heute) Einfluss aus. Robert Stupperich beendet seine kurze Lebensbeschreibung Ambrosius Blarers damit: »Als entschiedener und aufrichtig frommer Mann hat er in den entscheidenden Jahren der oberdeutschen Reformation gute Dienste geleistet« (Reformatorenlexikon, S. 39). Dies ist, wie mir scheint, eine wahrlich schöne Würdigung eines der bedeutendsten süddeutschen Reformatoren. Der Hinweis auf Lieder Ambrosius Blarers, der neben seinem Vetter Johannes Zwick als einer der sprachmächtigsten oberdeutschen geistlichen Dichter anzusehen ist, vor allem deren Rezeption und Aufnahme, soll abschließend erfolgen. Während das Evangelische Kirchengesangbuch (EKG von 1953) noch drei Lieder Ambrosius Blarers in seinem Stammteil enthält (EKG 100: »Jauchz, Erd, und Himmel, juble hell, …«, neun Strophen; EKG 204: »Wach Februar 2015

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auf, wach auf, ’s ist hohe Zeit, …«, elf Strophen; EKG 281: »Wie’s Gott gefällt, so g’fällt’s mir auch, …«, sieben Strophen) sind in dessen Nachfolgegesangbuch, dem Evangelischen Gesangbuch (EG von 1996), lediglich noch zwei abgedruckt (EG 127: »Jauchz, Erd, und Himmel, juble hell, …«, und hiervon auch nur sieben Strophen; EG 244: »Wach auf, wach auf, ‘s ist hohe Zeit, …« , und hiervon auch nur zehn Strophen). Schade ist, dass Ambrosius Blarers zumindest bekanntes erstes Lied, gedichtet im Jahr nach seinem »Wendejahr« 1522: »Wie’s Gott gefällt, so g’fällt’s auch mir, …« nicht mehr aufgenommen ist. Die Begründung dafür, dieses zur Ergebenheit in den Willen Gottes ermahnende Lied nicht mehr aufzunehmen, wüsste man gerne.

Thomas Blarer: »Du hast uns Leib und Seel gespeist« (EKG 164, EG 216) Thomas Blarer, der jüngere Bruder des Ambrosius Blarer, wurde 1499 ebenfalls in Konstanz geboren. In Wittenberg studierte er Jura. Dennoch darf er als Schüler Luthers und Melanchthons gelten. Er erlebte in Wittenberg die Verbrennung der Bannandrohungsbulle (am 15. Juni 1520 erschienen) und des römischkatholischen Kirchenrechts an der Elbe vor dem Elstertor durch Luther. 1521 gehörte er zu den Begleitern Luthers zum Reichstag in Worms. Dass er seinen Bruder Ambrosius, der zu der Zeit Prior im Benediktinerkloster Alpirsbach war, mit wichtigen Lutherschriften »versorgte«, und es dadurch bei diesem zu einer reformatorischen Gesinnung und als Folge dieser zum Austritt aus dem Kloster kam, fand bereits Erwähnung. In Konstanz war er dann Mitreformator neben seinem Bruder Ambrosius und seinem Vetter Johannes Zwick, wobei auch dessen Bruder Konrad Anteil daran hatte. Diese vier gaben im Jahr 1727 eine Zuchtordnung heraus (andere Datierung 1531), die sich zum Guten für die Stadt auswirkte. Thomas Blarer, der Jurist, war Ratsmitglied in der Freien Reichsstadt Konstanz und von 1536 bis 1548 deren Bürgermeister. In die Zeit, in der er dieses Amt innehatte, fiel auch das bereits erwähnte Pestjahr 1542, in welchem der »schwarze Tod« die Schwester Margarete der Blarer-Brüder, die in großer Entsagungsbereitschaft Pestkranke pflegte, ereilte ebenso den Mitreformator Johannes Zwick, obschon dieser zu der Zeit Pfarrdienste in der nahegelegenen Schweiz versah. Die Schlacht bei Mühlberg im April 1547 wirkte sich für Konstanz schlecht aus. Dabei Informationsbrief 290

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hat Thomas Blarer als Reichsvogt dem Kaiser in Augsburg die Unterwerfung von Konstanz angeboten. Es war ihm auch gelungen, die Bürgerschaft zum Widerstand gegen das Interim zu gewinnen, aber die katholisch gesonnene Partei hatte an Einfluss und schließlich sogar die Oberhand gewonnen. Zwei Tage vor der Kapitulation der Konstanzer Bürger am 8. Oktober 1548 hielt Thomas Blarer auf dem Marktplatz zu Konstanz eine Rede, worin er deren Bürger geradezu zum Ausharren beschwor. Doch der Widerstand in der Stadt war erlahmt; die Hungersnot war groß und die Bürger verzagt. So fiel die Freie Reichsstadt am Bodensee und wurde Österreich untertan. Das österreichische Heer vollzog die Reichsacht an der Stadt, die von jetzt an ja Österreich unterstand. Auch nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 gab es für Konstanz keine Religionsfreiheit. Thomas Blarer, der versucht hatte, soviel und solange wie möglich die Stadt, die ein reformatorisches Bekenntnis hatte (Konstanz hatte 1530 die Confessio Tetrapolitana unterzeichnet) zu halten, musste nun fliehen; sein Bruder Ambrosius hatte die Stadt bereits etwas früher verlassen. Der vor dem Interim und dessen Folgen geflohene Konstanzer Bürgermeister Thomas Blarer kam bei einer verwitweten Schwester in Thurgau in der Schweiz unter. Er verstarb sechs Jahre nach seinem älteren Bruder Ambrosius ebenfalls in der »Verbannung«, im schweizerischen Exil, im Jahre 1570 in Grießenberg bei Winterthur. Im Evangelischen Kirchengesangbuch (EKG von 1953) waren zwei Sakramentslieder von ihm abgedruckt, beides kurze und eher unbekannte Lieder; zur Taufe: »Gelobet sei der Herre Gott, ein Vater unser aller, …« (EKG 148, zwei Strophen) und zum Abendmahl: »Du hast uns Leib und Seel gespeist, …« (EKG 164, eine Strophe). Im Evangelischen Gesangbuch (EG von 1996) findet sich nur noch sein einstrophiW ges Abendmahlslied (EG 216). Eine Fortsetzung, in der die beiden Brüder Johannes und Nikolaus Zwick behandelt werden, folgt im Informationsbrief für April 2015. 1) Confessio Tetrapolitana (lat.) »Vierstädtebekenntnis«; von Bucer und Capito für den Augsburger Reichstag 1530 verfasstes Bekenntnis der vier Reichsstädte Straßburg, Konstanz, Lindau, Memmingen. 2) Confessio Helvetica prior (lat.) »Erstes [reformiertes] Schweizer Bekenntnis«, 1536 von Bullinger, Mykonius, Grynaeus u. a. verfasst und von den zur Reformation übergegangenen Orten angenommen. 3) Augsburger Interim, Reichsgesetzt vom Mai 1548, mit dem Kaiser Karl V. nach seinem Sieg über den Schmalkaldischen Bund bei der Schlacht bei Mühlberg, 1547, seine religionspolitischen Ziele im Heiligen Römischen Reich durchsetzen wollte. Allerdings lehnten sowohl Katholiken als auch norddeutsche Lutheraner das Augsburger Interim gleichermaßen ab.

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Ein besonderes Gebot Warum das sechste Gebot so wichtig ist JoHannes FreY Konflikt um Sexualethik In unserer Gesellschaft tobt ein Kampf um das Verständnis von sexualität. In baden-Württemberg wird laut bildungsplan 2015 zum gemeinsamen Ziel des schulunterrichtes in allen Fächern erklärt: Die schüler sollen die unterschiedlichen Formen von sexualität wie Homosexualität, bisexualität, transsexualtität usw. anerkennen. Wohlgemerkt: nicht nur kennen, sondern anerkennen, also als gleichwertig ansehen. Im Pfarrerdienstgesetz der evangelischen Kirche in Deutschland wird das evangelische Pfarrhaus für alle diese Formen sexueller beziehungen geöffnet. Die regierungspartei sPD will das volle adoptionsrecht für Homosexuelle. und das bundesverfassungsgericht scheint das zu unterstützen.

Christen uneinig? Zahlreiche Christen treten diesen entwicklungen öffentlich entgegen. andere Christen wenden sich dagegen, dem sechsten Gebot ein so großes Gewicht beizumessen. es sei doch nur eines von zehn. man dürfe es nicht höher bewerten als die anderen neun.

Johannes Frey Die anschrift des autors finden sie auf seite 30

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These: Es geht um das Wesen des Menschen aber beim Verständnis der sexualität geht es nicht nur um einen beliebigen aspekt von moral. es geht überhaupt nicht um moral. es geht nicht um das, was man tut oder nicht tut. beim Verständnis der sexualität geht es um das Wesen des menschen – als ebenbild Gottes. Begründung eine christliche sexualethik kann nur die von Jesus Christus sein.

Schöpfung als Maßstab als Christus nach dem Verhältnis von mann und Frau gefragt wurde, da verwies er auf den schöpfungsbericht als maßstab (matthäus 19, 3–6): »Der im anfang den menschen geschaffen hat, schuf sie als mann und Frau.«

Ehe als Abbild der Trinität In 1.mose 1,27 geht den von Jesus zitierten Worten unmittelbar voraus: »Gott schuf den menschen zu seinem bilde.« als mann und Frau also ist der mensch das bild Gottes. nicht ein mensch für sich kann das Wesen Gottes widerspiegeln. Das kann nur der mensch in der beziehung der Liebe, die zwei unterschiedliche Personen eins werden lässt. Damit spiegelt der mensch den dreieinigen Gott wieder. Gott ist in sich selbst Liebe – Liebe des Vaters zum sohn in der einheit des Heiligen Geistes. Da ist nicht ein Gott und noch ein Gott. sondern Gott ist ein Gott in der Verbindung der unterschiedlichen Personen Vater und sohn, die eins sind in dem einen Geist, der beiden gemeinsam ist. nicht der Vater für sich ist Gott und nicht der sohn für sich und nicht der Heilige Geist für Februar 2015

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sich. Sondern Gott ist nur Gott als der Vater des Sohnes und der Sohn ist nur Gott als der Sohn des Vaters und der Heilige Geist ist nur Gott als der Geist des Vaters und des Sohnes. Diese Einheit kann nicht von Mann und Mann und nicht von Frau und Frau abgebildet werden, sondern eben nur von Mann und Frau, die sich in ihrer Unterschiedlichkeit durch die Liebe zu einer Einheit und Ganzheit verbinden und ergänzen. Wenn der Mensch als Bild Gottes bezeichnet wird, dann heißt das also nicht, dass der Mensch aussieht wie Gott, sondern dass er in seinem geistigen Wesen dem geistigen Wesen Gottes entspricht. Bild Gottes bezieht sich aber nicht nur auf das Wesen des Menschen. Es bezieht sich auch auf den Auftrag des Menschen, Gott in dieser Welt zu vertreten. Eine Parallele dazu findet sich in der Funktion von Bildern politischer Machthaber. Die Bilder bringen die Herrschaft des Herrschers zum Ausdruck. Darum wurden nach der Befreiung des ehemaligen Ostblocks überall die steinernen und ehernen Lenins und Stalins und Kalinins und wie sie sonst geheißen haben, umgestürzt und weggeräumt. Eine weitere Parallele bildet die Funktion eines Botschafters oder eines gewählten Vertreters im demokratischen Staat: Ein solcher Mensch vertritt seinen Staat bzw. sein Volk. Und der Staat bzw. das Volk handelt durch diese Personen.

Bild als Repräsentanz Diese Bedeutung des Menschen in Bezug auf Gott verdeutlicht der folgende Vers, 1.Mose 1,28: »Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: ›Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet …‹« Gott gibt dem Menschen – als Mann und Frau – zwei Aufträge, in deren Erfüllung sie zwei unterschiedliche Seiten des Wesens Gottes repräsentieren.

Der Schöpfer Für unser Thema spielt vor allem der erste der beiden Aufträge eine Rolle: »Seid fruchtbar!« Damit wird der Mensch zum Repräsentanten Gottes als des Schöpfers ernannt. Dass der Mensch diesen Auftrag nur als Mann und Frau erfüllen kann und nicht in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung, liegt auf der Hand. In der Fruchtbarkeit der Menschen handelt Gott selbst als Schöpfer weiterer Menschen. Entsprechend sind wir aufgefordert, Vater und Mutter zu ehren. Denn in ihnen ehren wir Informationsbrief 290

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den Schöpfer, der uns durch sie geschaffen hat. Dieses Gebot ist für die Sexualethik vielleicht noch grundlegender als das sechste. Es wird in der Reihe der Gebote gleich zweifach herausgehoben: Zum einen ist es das erste der Gebote, die sich mit der Beziehung zu den Menschen befassen. Die Gebote steigen gleichsam in konzentrischen Kreisen stufenweise vom Himmel auf die Erde hinab. Auf der ersten Tafel geht es unmittelbar um Gott. Auf der zweiten Tafel geht es schrittweise zunehmend um den Menschen. Das Elterngebot hat nun als das erste den herausragenden Platz auf der zweiten Tafel und gehört doch durch seinen Bezug auf das Schöpferhandeln Gottes durch die Eltern auch noch zur ersten Tafel. Wohl auch darum wird es durch eine Verheißung unterstrichen: »Auf dass es dir wohl gehe und du lange lebest« (vgl. Epheser 6,2).

Der Herr Mit dem zweiten Auftrag ernennt Gott den Menschen zu seinem Repräsentanten als des Herrn der Welt: »Herrschet!« – wohlgemerkt: Als Mann und Frau. So wie Gott als Vater und Sohn, als Schöpfer und Erlöser die Welt regiert, so will er diese Herrschaft auch durch den Menschen als Mann und Frau ausüben. Die Spannung zwischen Gleichheit und Unterschiedenheit, der wir urbildlich in der Beziehung von Gott dem Vater und Gott dem Sohn und abbildlich in der Beziehung zwischen Mann und Frau begegnen, wird wunderbar anschaulich in der Erzählung von der Erschaffung des Menschen in 1.Mose 2,18–25, vor allem in Vers 23, wo der Mann der Frau einen Namen gibt. Zuerst hat er den Tieren Namen gegeben. Damit kam seine Herrschaft über sie zum Ausdruck. Aber bei der Frau geht das nicht. Denn sie ist wie er. Hier ist also nicht Herrschaft angesagt, sondern Partnerschaft. Wenn er dieses Wesen benennen will, kann er es nur mit seinem eigenen Namen tun. Aber sie ist bei aller Gleichheit anders als er. So kann er der Beziehung zur Frau, in die Gott ihn gestellt hat, nur dadurch gerecht werden, dass er ihr seinen eigenen Namen gibt, »Mann« (hebräisch: »Isch«) – doch in abgewandelter Form: »Männin« (hebräisch: »Ischáh«). Doch der Schöpfungsbericht führt uns in Vers 24 noch einen Schritt weiter.

Ein Fleisch »Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und sie werden sein ein Fleisch.« Der Sinn dieser Worte wird verfehlt, 13


wenn »ein Fleisch werden« auf die sexuelle »Vereinigung« reduziert wird. Im Geschlechtsakt kommt es wohl zu einer äußerst engen und intensiven Vereinigung. Aber hinterher sind es doch immer noch zwei Menschen. Und die können – leider – auch wieder getrennte Wege gehen. Aber der Geschlechtsakt zielt nicht nur auf die Begegnung zweier Menschen. Wir erinnern uns an Kapitel 1, Vers 28. In dieser Begegnung sollte tatsächlich ein Mensch entstehen, in dem Mann und Frau gleichermaßen enthalten sind. Indem Gott durch Mann und Frau sein Schöpferwerk tut, werden diese beiden nun tatsächlich für immer und absolut untrennbar vereinigt. Die Bezogenheit des Menschen auf das andere Geschlecht ist also nicht eine Option, die man wählen kann oder auch nicht. Sie ist auch nicht eine zeitbedingte Lebensform, die vom gesellschaftlichen Wandel überholt werden könnte. Sondern in ihr offenbart sich das Wesen des Menschen als Ebenbild des dreieinigen Gottes und seine Bestimmung als Repräsentant des Schöpfers und Herrn dieser Welt.

Verlust Gottes und der ­Menschlichkeit In Römer 1 beschreibt Paulus, wie Gott der Abkehr von ihm und der Vergötzung vergänglicher Wesen die Konsequenzen folgen lässt, die ihr entsprechen. Nach der Betrachtung des Schöpfungsberichtes können wir verstehen, warum der Apostel die Homosexualität als die Hauptkonsequenz des Abfalls von Gott beschreibt. Sie ist nicht, wie oft behauptet wird, ein zufällig gewähltes Beispiel, das seine Plausibilität obendrein nur aus zeitbedingten Moralvorstellungen des antiken Judentums bezieht und heute durch andere, zeitgemäße Beispiele ersetzt werden müsste. Die Befürworter einer Anpassung der Ethik an die moderne Zeit sagen: Was Paulus sagen wollte, ist eine wichtige Wahrheit. Es ist verwerflich, wenn ein Sexualpartner den anderen zum Objekt macht. Aber dass er die Homosexualität dafür als Beispiel heranzieht, ist leider völlig verfehlt. Er wusste es nicht besser, weil er den Vorstellungen seiner Zeit verhaftet war. Das sind wir nicht mehr. Darum hat Homosexualität für uns nichts mehr mit Sünde zu tun, wenn sie nur in »Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und gegenseitiger Verantwortung« praktiziert wird. Das Gegenteil ist wahr: Keine andere Verkehrung bringt das Wesen der Sünde als – eben nicht moralische Verfehlung, sondern – Verlust der Einheit mit dem Ursprung und Urbild des 14

menschlichen Wesens so grundlegend zutage wie eben die Verkehrung der Geschlechtlichkeit. Denn unsere Geschlechtlichkeit ist untrennbar mit dem Wesen des Schöpfers als des dreieinigen Gottes verbunden. Darum ist unser Umgang mit ihr ebenso untrennbar mit unserer Gottesbeziehung verbunden. Deshalb ist der Kampf gegen die Relativierung der schöpfungsgemäßen Sexualität weder Ausdruck einer Fixierung auf Sex noch einer Verhaftung an traditionellen Moralvorstellungen. Sondern dieser Kampf ist unvermeidlich, weil an dieser Stelle wie an keiner anderen die Menschlichkeit des Menschen auf dem Spiel steht, die in seiner Gottesebenbildlichkeit besteht.

Einwände Es wird gegen diese Erwägungen eingewandt werden, das sei alles doch dem Gesetz verhaftet und die Berufung auf die Schöpfungswirklichkeit führe in einen verwerflichen Biologismus. Als Christen seien wir aber dem Evangelium verpflichtet. Und unter dem Evangelium seien alle Gesetze und Normen abgetan. Es gelte nur noch die Liebe. Und damit sei jeder Lebensentwurf gleichermaßen legitim, der von »Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und gegenseitige[r] Verantwortung« (so definiert das neue Pfarrerdienstgesetz die Kriterien für das ansonsten wie auch immer orientierte »familiäre Zusammenleben« im evangelischen Pfarrhaus) geprägt sei. Damit werden allerdings die christliche Freiheit und das Ziel der Erlösung und die Liebe, die sich in Christus offenbart, vollkommen verkannt.

Die Ehe: Bild des Heils Die Erlösung, die in der Heilsgeschichte des Alten Bundes vorbereitet und durch Christus vollbracht worden ist, zielt auf die Wiederherstellung der ursprünglichen Gottesebenbildlichkeit. Christliche Freiheit ist also keineswegs die Freiheit von Gott und die Freiheit, sich autonom, das heißt unabhängig von Gott, nach Belieben zu verwirklichen. Christus hat uns nicht dazu befreit, der- oder diejenige zu sein, der oder die wir sein wollen. Diese heute vielfach propagierte Freiheit erweist sich ohnehin bei näherem Hinsehen als die Verpflichtung, der zu sein, den bestimmte pressure groups gerne haben wollen. Christus aber hat uns dazu befreit, der zu sein, der wir nach Gottes Willen durch sein Schöpferhandeln sind. Als Christen müssen wir uns nicht selbst erfinden. Wir dürfen das entdecken und Februar 2015

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uns das aneignen und das in unserem Leben verwirklichen, was der Schöpfer in uns hineingelegt hat. Christliche Freiheit besteht im Einswerden mit dem Willen des Schöpfers. Durch die Gabe des Heiligen Geistes werden wir in die liebevolle Einheit des Vaters mit dem Sohn hineingenommen. So wie der Heilige Geist das Band der Liebe zwischen Gott dem Vater und dem Sohn ist, so ist er auch das Band der Liebe zwischen dem Christus und seiner Gemeinde. So ist die Ehe nicht nur ein Abbild der Trinität. Sie ist auch Abbild der Einheit der Heilsgemeinde mit ihrem Erlöser. So ist die schöpfungsgemäße Sexualität nicht nur geadelt durch ihre Entsprechung zum Wesen des Schöpfers. Das wird durch die Erlösung in Christus nicht aufgehoben, sondern noch viel mehr vertieft.

Denn in Christus wird die Ehe noch zusätzlich gewürdigt, seine Gemeinschaft mit seiner Gemeinde darzustellen. Paulus führt in Epheser 5 aus, wie Mann und Frau in ihrer Unterschiedlichkeit aufeinander bezogen sind und gerade darin die Beziehung zwischen Christus und seiner Gemeinde widerspiegeln. So ist die schöpfungsgemäße Sexualität nicht nur mit der Schöpfung und dem Schöpfer verbunden. Sie ist ebenso untrennbar mit der Wahrheit des Evangeliums verknüpft. Und auch darum ist sie nicht nur eine Moralfrage unter anderen, sondern für Christen zentral und unaufgebbar. Wir müssen also tatsächlich auf diesem Aspekt christlicher Ethik vor allen anderen bestehen – um Gottes und um der Menschen willen. W

Christentum und Islam Gegenüberstellung der theologischen Grundaussagen von Christentum und Islam in einzelnen Abschnitten –– Teil 4 von 9 Hanns Leiner Das Menschenbild In beiden Religionen ist der Mensch Gottes besonderes Geschöpf, aber doch wird das Gottesverhältnis des Menschen und sein Wesen ganz anders gesehen.

Das christliche Menschenbild Der Mensch ist geschaffen als »Gottes Ebenbild«, und zwar ausdrücklich beide Geschlechter, Mann und Frau. Von daher ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau von Anfang an biblisch begründet. Der Mensch ist von

Hanns Leiner Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30 Informationsbrief 290

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daher be­ stimmt zur Gemeinschaft mit Gott, er soll als Partner und Stellvertreter Gottes auf Erden leben. Er soll der »Gott entsprechende Mensch« (Eberhard Jüngel) sein. Diese Beziehung des Menschen zu Gott ist grundlegend für sein Wesen und macht seinen Adel aus: »Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt« (Psalm 8,5f.). Nur von Gott her können deshalb der Mensch und sein Wesen richtig verstanden werden. Gott will sogar unser Vater heißen und wir dürfen seine Kinder, sei­ne Söhne und Töchter sein. Der Kirchenvater Au­gustin hat diese Urbeziehung des Menschen zu Gott in seiner gebetsartigen Antwort bestä­ tigt: »Du, Gott, hast uns zu dir hin geschaffen, und unser Herz ist unruhig in uns, bis es Ruhe findet in dir.« Sören Kierkegaard fasste dies Verhältnis des Menschen zu Gott in einem scheinbar paradoxen Satz zusammen: »Gottes zu bedürfen ist des Menschen größte Vollkommenheit.« Das christliche Menschenbild darf jedoch nicht einlinig nur als Gottes Ebenbild gezeich15


net werden, sondern es muss in seiner geschichtlichen Entwicklung in drei Phasen gesehen werden: als ursprüng­liches Geschöpf, als gefallener Sünder und als erlöster neuer Mensch: 1. Von der Schöpfung her ist der Mensch Gottes wichtigstes Geschöpf, das nicht zufällig am Ende der Werke Gottes steht und im Zentrum der Betrachtung (s. o.!). 2. Der Mensch hat jedoch dieser seiner Bestimmung zur Gemeinschaft mit Gott nicht entsprochen, sondern er hat Gott misstraut, sich von ihm getrennt und wollte selbst wie Gott sein. Er ließ sich von einer verführerischen Stimme verlocken: »Ihr werdet sein wie Gott …« (1.Mose 3,5). So wurde er zum von Gott abgefallenen Sünder. Damit veränderte sich sein ganzes We­ sen. Deshalb ist nach christlichem Verständnis mit dem Menschen et­was grundlegend nicht in Ordnung. Er ist nicht nur getrennt von Gott, sondern auch vom Mitmenschen, von den übrigen Geschöpfen und gespalten in sich selbst. Er wurde zum »Menschen im Widerspruch« (Emil Brunner). Das bezeugt die Bibel an vielen Stellen: »Als aber der Herr sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar …« (1.Mose 6,5). Das bekennt auch David in seinem Bußpsalm (Psalm 51). Darüber klagt auch der Apostel Paulus: »Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen, das tue ich nicht …« (Römer 7,18f.). Und diese demütigende Erkenntnis musste auch Luther machen in seinen Klosterkämpfen, und das hat darum auch seinen Nie­derschlag gefunden in unserem Augsburger Bekenntnis: »Dass alle Menschen von Mutter Leib an voll böser Lust und Neigung sind und von Natur aus keine wahre Gottesfurcht, keinen wahren Glauben an Gott haben können …« (Artikel 2). Kurz und hart zusammen­gefasst bekennt sich Luther dazu so: Ich bin »ein verlorener und verdammter Mensch« (Kleiner Katechismus). Darin besteht die eigentliche Not und Tragödie des Menschseins. Das wird heute oft übersehen und geleugnet. Darum musste ich es hier ausdrücklich und ausführlich erwähnen. 3. Das vermögen wir von uns aus nicht mehr rück­ gängig zu machen. Darum bedarf der Mensch der Rettung und der Erlösung. Darauf ist der Sünder Mensch unbedingt angewiesen. Die Sünde ist so schwer­ wiegend, dass keine Selbsterlösung des Menschen möglich ist. Die Rettung geschieht eben durch Jesus Christus, der als erster und einzig wahrer Mensch auf Erden ge­lebt und das von Gott gewollte Bild des Menschen wiederhergestellt hat. Das ist ge16

Die Erzählung von der Versuchung des Menschen und vom Sündenfall kommt im Koran an mehreren Stellen vor. meint mit der Aussage über ihn: Er blieb trotz aller Versuchung ohne Sünde, das heißt ungetrennt von Gott. Er kann und will denen, die ihm nachfolgen und an ihn glauben, den Weg zurück zu Gott bahnen und uns wieder mit Gott versöhnen. Er büßt für unsere Sünden, er nimmt sie uns ab und vergibt uns. Damit schenkt er uns seine Ge­rechtigkeit und will uns verändern, erneuern, neu schaffen. Wir sollen ihm gleichgestaltet werden (Römer 8,29). Das wird auch ausgedrückt mit dem Bild unserer Wiedergeburt (Johannes 3,5) oder sogar mit einer Neuerschaffung: »Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur …« (2.Korinther 5,17). Der Mensch ist nicht unrettbar verloren, sondern er kann der durch Christus gerettete, wieder angenommene, neu geschaffene Erlöste werden. Der Mensch wird im christlichen Menschenbild unter diesem dreifachen Aspekt gesehen: Als der von Gott zu seinem Ebenbild Geschaffene, als der von Gott abgefallene Sünder und als der im Glauben an Christus Erlöste und ErFebruar 2015

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Satan genau dazu verführen und werden aus dem Garten ver­trieben: »Hinfort mit euch! Der eine sei des anderen Feind und auf der Erde sei euch eine Wohnung … « (Sure 2,34). Das wird jedoch anders verstan­den als in der Bibel. Es handelt sich nur um eine einmalige Sünde, nicht um einen Sünden­ fall, d. h. das Islamisches Menschenbild Verhältnis zu Gott wird dadurch nicht grund1. Der Mensch als Allahs besonderes Geschöpf: sätzlich verändert. Es ist kein Fall, sondern ein Die Aussagen des Koran über die Erschaffung kleiner »Ausrutscher« oder Fehltritt, der durch des Menschen erinnern an einigen Stellen an die nach­folgenden Gehorsam wieder gut gemacht biblische Schöpfungsgeschich­te. Adam wird von werden kann. »Und sie aßen von ihm … und Allah aus Erde geschaffen und Adam ward ungehorsam wider zum Statthalter eingesetzt: »Sie- mm Von einer Gott­ seinen Herren und ging irre« he, ich will auf der Erde einen ebenbildlichkeit des (Sure 20,119). Das über­ windet einsetzen an meiner Statt« (Sure Allah aber sofort, indem es anMenschen ist hier 2,28). Die Menschen werden schließend heißt: »Alsdann erauch hier deutlich über die an- nirgends die Rede und kieste [erwählte] ihn sein Herr deren Geschöpfe erhoben: »Und auch nicht von einer [Allah] und kehrte sich zu ihm wahrlich, wir zeichneten die Kinund leitete ihn« (Sure 20,120). der Adams aus … und bevorzug- Gotteskindschaft. Offenbar ist Adam immer ten sie hoch vor vielen unserer Auch Adam gilt hier noch in der Lage, dieser Leitung Geschöpfe« (Sure 17,72). Das nur als ein Diener oder Allahs zu folgen: Denn »wer wird im Koran mehrfach durch dann meiner Leitung folgt, der eine merkwürdige, außerbiblische Sklave Allahs. soll nicht irre gehen und nicht Überlieferung ver­anschaulicht: Dass die Engel elend werden« (Sure 20,122). Und fast wortvon Allah gezwungen werden, Adam zu huldi- gleich heißt es in Sure 2: »Und wenn zu euch gen, was auch alle Engel außer Iblis (Satan) tun: von mir eine Leitung kommt, wer dann meiner »Alsdann sprachen wir [Allah] zu den Engeln: Leitung folgt, über den soll keine Furcht kom›Wer­fet euch nieder vor Adam!‹ und nieder war- men und nicht sollen sie traurig werden« (Sure fen sie sich außer Iblis …« (Sure 7,10). 2,36). Eine Anmerkung in der Reclam-Ausgabe Damit kommt dem Menschen im Islam zwar des Koran er­klärt dazu: »Der Islam kennt keine eine Sonderstellung zu, aber er drückt diese Erbsünde; trotz der Ausstoßung aus dem Paradeutlich schwächer aus als das Christentum. dies bleibt dem Menschen die Möglichkeit, auf Von einer Gottebenbildlichkeit des Menschen Gottes Pfad zu wandern.« ist hier nirgends die Rede und auch nicht von Genau so verhält es sich tatsächlich im Iseiner Gotteskindschaft. Auch Adam gilt hier nur lam: Das Wesen des Menschen ändert sich nicht als ein Diener oder Sklave Allahs: »Ihr Kinder durch Adams Ungehorsam. Es entsteht dadurch Adams: Dienet nicht dem Satan, sondern die- keine Verlo­renheit des Menschen. Das Verhältnis net mir, das ist ein rechter Pfad!« (Sure 36,60f.) zu Allah ist nicht grundsätzlich gestört. Damit Das Verhältnis des Menschen zu Allah ist das wird die Sünde nicht wirklich ernst genommen. eines Knechts zu seinem Herren. Damit unter- Deswegen kennt der Islam nur Tatsünden und schätzt der Islam die dem Men­schen von Gott keine Wesens- oder Personsünde. Darum muss gegebene Würde und bestreitet das christliche, man ihm den Satz von Anselm von Canterbukindliche Vertrauensver­hältnis zu Gott und ver- ry vorhalten: »Du hast noch nicht bedacht, von wandelt es wieder in ein Knechts- und Unterta- welcher Schwere die Sünde ist!« Er unterschätzt nenverhältnis wie in vielen anderen Religionen. die Sünde. Außerdem fehlt die grundsätzliche Gleichstel3. Deshalb meint der Islam auch, dass der lung von Frau und Mann. Mensch in der Lage sei, den Willen Allahs von 2. Auch von der Sünde des Menschen weiß der sich aus zu tun und deshalb keine Erlösung und Islam etwas. Die Erzählung von der Versuchung keinen Retter nötig zu haben. Er sei selbst bei des Menschen und vom Sündenfall kommt im gutem Willen dazu fähig, Allah zu gehorchen Koran an mehreren Stellen vor: »Und wir spra- und damit vor ihm zu bestehen. Das vermag der chen: ›O Adam, bewohne du und dein Weib den Mensch angeblich so­gar noch nach seinem UnGarten und esset von ihm … Aber nahet euch gehorsam. In dieser Hinsicht über­ schätzt der nicht jenem Baum, sonst seid ihr Ungerechte‹« Islam den Menschen und seine Möglichkeiten W (Sure 2,33). Die Men­schen lassen sich aber von bei weitem. neuerte; darin besteht die zugleich ern­ste und realistische, aber auch hoffnungsvolle christliche Anthropologie. In allen drei Teilen gibt es deutliche Unterschiede zwischen Christentum und Islam.

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Der »islamisierte« Abraham nach dem Koran Eberhard Troeger

Vorbemerkung Abraham spielt im Islam eine große Rolle als vorjüdischer Gottgläubiger und Gesandter Allahs. Der Koran spricht sehr oft von ihm. Auf religiöse Harmonie bedachte Christen meinen, dass Abraham für Juden, Christen und Muslime eine einigende Rolle spielen könnte. Die entscheidende Frage heißt jedoch, ob der »muslimische Abraham« mit dem in der Bibel bezeugten Abraham identisch ist, oder ob der Koran von einem »anderen Abraham« redet.

Die Herkunft der koranischen ­Aussagen über Abraham Nach muslimischer Überzeugung erhielt Muhammad seine Informationen über Abraham durch Eingebungen des Engels Gabriel. Gläubige Muslime sind deshalb der Überzeugung, dass die koranische Abraham-Geschichte wahr ist und die biblischen Texte verfälscht sein müssen, wenn sie dem koranischen Text widersprechen. Wenn wir die koranischen Aussagen über Abraham mit den Aussagen der jüdischen Lehrtradition (dem Talmud) vergleichen, fallen manche Parallelen auf. Deshalb kommen Religionshistoriker zu dem Ergebnis, dass der Verkündiger des Koran sein Wissen von Abraham zum großen Teil auf mündlichem Wege von den Juden seiner Umwelt erhalten haben muss. Er hat diese Informationen allerdings in seinem Sinne umgedeutet, indem er Abraham zum Gewährsmann für seine eigene Verkündigung machte. Er verstand Abraham als einen Boten Allahs – wie sich selbst. Die Predigt Abrahams nach dem Koran ist im Grunde die Predigt Muhammads.

Eberhard Troeger Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30

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Auch in der jüdischen Literatur erscheint Abraham als Prediger des Eingottglaubens. Muhammad nahm diesen Gedanken auf, aber er verkannte die Tiefe und Dramatik der biblischen Abraham-Geschichte. Abraham erscheint bei ihm vor allem als Kämpfer für den Eingottglauben und gegen den Götzendienst – als Muslim, Prophet und Gesandter Allahs. Dabei ist zu vermuten, dass sich das Abraham-Bild des koranischen Verkündigers Schritt für Schritt entwickelte. Anfangs war ihm Abraham als Zeuge des Schöpfergottes wichtig. Im Zuge der Auseinandersetzungen mit seinen heidnischen und jüdischen Gegnern wurde Abraham für ihn zum Kämpfer für Allah und damit zum vorbildlichen Muslim. Obwohl der Verkündiger des Islam kein klares Geschichtsbild hatte, war ihm bewusst, dass Abraham vor Jesus und vor Moses gelebt hatte und dennoch ein vollkommener Gottgläubiger war. Muhammad schloss daraus, dass er selbst nicht Jude oder Christ werden müsse, um ein guter Gottgläubiger zu sein. In Sure 3,67 heißt es deshalb: »Abraham war weder Jude noch Christ. Er war vielmehr ein [Gott] ergebener Hanîf, und kein Heide.«1 Da die Juden und Christen in der Umgebung Muhammads seine Verkündigung ablehnten, erklärte er den Islam zur wahren »Religion Abrahams« sowie Judentum und Christentum zu verdorbenen Formen dieser Religion. Um das zu beweisen, ließ er Abraham in Mekka auftreten, wofür es weder biblische noch profangeschichtliche Anhaltspunkte gibt.

Das Leben Abrahams nach dem Koran Der Koran kennt keine zusammenhängende Geschichte Abrahams, sondern nimmt in insgesamt 25 Suren auf ihn Bezug. Dabei ist zu beachten, dass sich der Koran als – durch einen Engel vermittelte – Anrede Allahs an Muhammad versteht. Allah erinnerte Muhammad gewissermaßen an Abraham und seine Treue zum Eingottglauben in einer heidnischen Umwelt und stellte ihn damit als großes Vorbild hin. Februar 2015

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Die Sippe Abrahams Muhammad konnte die Abraham-Geschichte geschichtlich nicht einordnen. Vage spricht der Koran von den »Leuten Abrahams« (21,52) oder vom heidnischen »Volk Abrahams«, das sich beim Götzendienst auf seine Vorfahren berief (21,53). Abrahams Verkündigung von dem einen Gott stieß auf heftigen Widerstand, aber Allah rettete Abraham »in das Land, das wir für die Menschen in aller Welt gesegnet haben« (21,71). Es ist unklar, ob Muhammad unter diesem »gesegneten Land« das biblische Land Kanaan oder Mekka verstand. Auf jeden Fall war der »koranische Abraham« – ähnlich wie später Muhammad – am Ende erfolgreich. Er konnte seine Sippe für den Allah-Glauben gewinnen, denn nach Sure 3,33 war die »Sippe Abrahams« von Allah erwählt worden. Abraham als Gottgläubiger Der Koran schildert Abraham als einen guten Muslim. Er bekannte sich zu Allah als dem »Herrn der Menschen in aller Welt« (37,87), hielt sich vom Götzendienst fern, betete ­allein zu Allah und vertraute auf seinen Beistand (19,48). Denn Allah hatte ihm seine Herrschaft gezeigt, und Abraham hatte sich überzeugen lassen (6,75). Dies geschah durch eine Beobachtung der Gestirne. Ein vergehender Stern kann nicht Allah sein (6,76). Ebenso lehnte Abraham den Mond als seinen Herrn ab und bat Allah um »Rechtleitung« (6,77). In gleicher Weise verhielt sich Abraham im Blick auf die Sonne (6,78). Er wandte sich dem Schöpfer zu und erwies sich damit als »Gottgläubiger« (Hanîf) und nicht als Heide (6,79). Er bekannte sich vor den Heiden als von Allah »geleitet« (6,80), weil er ihm Sicherheit gibt (6,81). Nach Sure 2,258 bekannte sich Abraham im Streit mit einem anmaßenden Heiden zu Allah, der lebendig macht, sterben lässt und die Sonne aufgehen lässt. Er bat Allah um einen Beweis dafür, dass er Tote lebendig machen kann. Daraufhin machte Allah vier von Abraham geschlachtete und in Stücken verteilte Vögel wieder lebendig (2,260). Abrahams Nachkommenschaft Im Koran spielt die biblische Dramatik der Verheißung von Nachkommenschaft und ihre Erfüllung keine Rolle. Etliche Verse nehmen vage darauf Bezug, dass Allah dem Abraham Nachkommen ankündigte. Diese »Erzählfetzen« erscheinen beliebig kombiniert. Inhaltlich wird die Macht Allahs betont. Der Sohn Abrahams von der Nebenfrau Hagar, Ismael, erscheint als frommer Muslim, Informationsbrief 290

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Abrahams Opfergang. Fresko aus dem Haft Tanan Museum, Schiraz, 18. Jahrhundert. Prophet und Gesandter Allahs (38,48; 21,85f.; 19,54; 6,86; 4,163; 3,84; 2,133). Dass Ismael im Vorgriff auf Gottes Wunder und deshalb im Unglauben gezeugt wurde (1.Mose 16; vgl. Galater 4,24–28), weiß der Koran nicht. Abraham lobte Allah lediglich dafür, dass er ihm im hohen Alter noch »den Ismael und den Isaak geschenkt hat« (14,39). Erst in der späten und judenfeindlichen 2. Sure wird Ismael zum Gewährsmann des arabischen Islam emporgehoben (s. u.). In Sure 51,24–37 finden sich Bezüge auf 1.Mose 18. Allah erinnert Muhammad an die »Geschichte von den ehrenvoll aufgenommenen Gästen Abrahams« (24), die von Abraham bewirtet wurden (26f.), obwohl er Angst vor ihnen hatte (25 u. 28). Sie kündigten Abraham »einen klugen Jungen« an (28). Abrahams Frau schrie auf und wies auf ihre Unfruchtbarkeit hin (29), aber die Boten bestätigten die Wahrheit der Ankündigung (30). Ähnliche Bezüge finden sich in Sure 15,51–55 und 11,69–73. Nach Sure 11,71 lachte Abrahams Frau bei der Ankündigung eines Sohnes, der hier Isaak genannt wird. Sure 11,73 betont, dass Allah nichts Merkwürdiges tut, vielmehr Abraham und die »Leute des Hauses« – damit könnte die Kaaba gemeint sein – segnet. Das Strafgericht über die »Leute Lots« Der Koran nimmt vage auf den Untergang von Sodom und Gomorra sowie auf Lot Bezug (51,31–37; 29,31–35; 15,58–77; 11,74–83). Die Gottesboten waren zu einem sündigen Volk 19


gesandt worden (51,32), um das Gericht über »die Einwohner dieser Stadt« (29,31) anzukündigen. Abraham setzte sich zugunsten der »Leute von Lot« ein und gab die »Hoffnung auf die Barmherzigkeit seines Herrn« (15,56) nicht auf. Obwohl Abraham mild, empfindsam und bußfertig war (11,75), war seine Fürsprache vergeblich (11,76). Nur Lots Familie wurde – bis auf seine Frau – gerettet (15,59f.). Abrahams Opfergang In Sure 37,99–113 nimmt der Koran umrisshaft auf die Bereitschaft Abrahams Bezug, seinen Sohn zu opfern. Abraham hatte Allah um einen »rechtschaffenen« Erben gebeten (100). Daraufhin verkündigte Allah ihm die Geburt eines »braven« Jungen (101). Weder wird die Geburt berichtet noch ein Name des Sohnes genannt. Als er »so weit war«, dass er mit seinem Vater »den Lauf machen« konnte – eventuell eine Anspielung an den zur Wallfahrt gehörenden Lauf zwischen Al-Safâ und Al-Marwa in Mekka –, eröffnete Abraham seinem Sohn, dass er im Traum gesehen habe, dass er ihn »schlachten werde«. Der Sohn solle sich dazu äußern. Indem er den Sohn über sein Vorhaben aufklärte und ihn fragte, ob er bereit sei, nahm Abraham die Spannung aus der Erzählung heraus. Der Sohn erwies sich als Allah ergebener Muslim (102). Daraufhin ergab sich auch Abraham in Allahs Willen und setzte zur Schlachtung an (103). Doch Allah griff ein und sagte Abraham, dass er durch seine Bereitschaft den Traum bereits wahr gemacht habe und Allah ihm seine Frömmigkeit vergelte (104f.). Abraham hatte die Prüfung bestanden (106), und Allah löste den Sohn »mit einem gewaltigen Schlachtopfer« aus (107). Es fällt auf, dass in Vers 112 ein Nachtrag erfolgt, der auf Vers 101 Bezug nimmt und dem Abraham jetzt überraschend »Isaak« verkündigen lässt. Dafür könnte es zwei Erklärungen geben: Entweder nahm Muhammad einen jüdischen Einwand auf und sagte, dass Isaak der zu opfernde Sohn gewesen sei, oder er wollte nachträglich Isaak als den zweiten Sohn Abrahams von dem ersten (Ismael) – nicht mit Namen Genannten – abheben. In diesem Sinne wird im Islam gelehrt, dass Ismael der zu opfernde Sohn gewesen sei. Und in diesem Sinne erscheint in Vers 113b eine kritische Bemerkung über die Juden als die Nachkommen Abrahams und Isaaks, unter denen es fromme und frevelhafte Menschen gibt. Auf jeden Fall dürften die Verse 112f. eine Auseinandersetzung mit jüdischen Gesprächspartnern Muhammads widerspiegeln und damit auch ein Licht auf die komplizierte 20

Entstehungsgeschichte der koranischen Texte werfen.

Abraham als Gesandter Allahs Sein Kampf gegen den Götzendienst Das wichtigste Thema ist im Koran die Auseinandersetzung Abrahams mit dem Götzendienst. Es erscheint in vielen Variationen. Ein typischer Text ist Sure 21,51–71. Er besagt, dass Allah Abraham zum wahren Gottesglauben geführt habe (51), weshalb er die Götzenbilder seines Vaters und seiner Sippe kritisierte (52). Die Beschuldigten verteidigten sich mit dem Hinweis auf die Tradition, aber Abraham hielt ihnen ihren Irrtum vor (53f.). Daraufhin unterstellten sie Abraham Unaufrichtigkeit (55), aber dieser bekannte sich zu Allah, dem Schöpfer (56), und kündigte an, die toten Götzen zu überlisten (57). Er zerschlug die Götzenbilder bis auf eins (58). Man verdächtigte einen jungen Mann (!) namens Abraham des Frevels und stellte ihn zur Rede (59–62). Abraham gebrauchte eine Lüge, um die toten Götzen zu verspotten, und verursachte dadurch einen Streit unter den Götzendienern (63f.). Wieder verkündigte Abraham den Glauben an den einen Gott und erklärte Götzendienst für Dummheit (66f.). Daraufhin wollten seine Gegner ihn verbrennen, aber Allah kühlte das Feuer ab und rettete Abraham. Die Gegner wurden dagegen vernichtet (68–70). Verschiedene Verse thematisieren die Ausei­ nandersetzung Abrahams mit seinem Vater Azar. Abraham kritisierte seinen Götzendienst (6,74) und rief ihn auf, ihm auf »einen ebenen Weg« zu folgen (19,43). Er mahnte ihn, nicht Satan zu dienen (19,44) und warnte ihn vor der Strafe Allahs sowie vor der Freundschaft mit Satan (19,45). Umgekehrt mahnte Azar seinen Sohn, die Götter nicht zu verschmähen, drohte ihm mit Steinigung und wollte ihn nicht mehr sehen (19,46). Azar war deshalb ein Feind Allahs (9,114), und Abraham hätte deshalb Allah nicht um Vergebung für ihn bitten dürfen. Das hatte er angekündigt (19,47) und auch getan (26,86), um seinen Vater vom Irrtum wegzuführen. Die unterschiedlichen Aussagen des Koran zur Fürbitte für irrende Angehörige sind auffällig. Abraham argumentierte in seiner Predigt, dass Götzen Gebete nicht erhören (26,72) und weder nützen noch schaden können (26,73). Deshalb ermahnte er »seine Leute«, Allah zu dienen, weil Götzendienst Lüge ist und Götzen im Gegensatz zu Allah keinen »Lebensunterhalt« geben können (29,16). Die Götzendiener Februar 2015

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seien zwar jetzt untereinander Freunde, aber am Tag der Auferstehung werden sie sich streiten und verfluchen (29,25). Sie kommen in die Hölle, wo ihnen niemand hilft.

Der Islam als die »Religion Abrahams« In der Auseinandersetzung mit Juden und Christen behauptete Muhammad nach Sure 2,135, dass die Glaubensgemeinschaft (arab. milla) Abrahams die wahre Religion sei, weil er Abraham als Diener Allahs ein Gottgläubiger (arab. hanîf) und kein HeiViele Koranstellen sagen, dass Abraham sich de war. Folglich müssen die Araber nicht Juden als Muslim bekannte (z. B. 2,131), der seine Söh- oder Christen werden, sondern Muslime, die ne ermahnte, ebenfalls Muslime zu sein (2,132). der Glaubensgemeinschaft Abrahams folgen Bezeichnend ist die Aufzählung (3,95). Denn die Religion Abrain Sure 26,77ff.: Abraham glaub- mm Da Abraham vor hams ist die »bessere Religion« te an den »Herrn der Menschen Mose und Jesus lebte, (arab. dîn) (4,125). Demnach in aller Welt« (77), d. h. an Allah, entstand der Islam nicht durch der ihn geschaffen hat und »recht betont der Koran poMuhammad, sondern war bereits leitet« (78), ihm zu essen und zu lemisch, dass er weder die dem Abraham »anbefohletrinken gibt (79), von Krankheit Jude noch Christ war ne« Religion (42,13). Nach Sure heilt (80) sowie sterben lässt und 22,78 verkündigte Muhammad auferwecken wird (81). Abraham (2,140). Deshalb sei ein den Arabern, dass die Religionshoffte, dass Allah ihm am Tag der Streit über Abraham gemeinschaft »eures Vaters AbAuferstehung seine Sünden vereine nicht bedrückende überflüssig; Thora und raham« geben wird (82), bat Allah um Religion sei. Nur Toren würden Urteilskraft und Aufnahme unter Evangelium seien erst die milla Abrahams, des von Aldie Rechtschaffenen (83) und um nach ihm offenbart lah Auserwählten, verschmähen einen »guten Ruf unter den spä(2,130). teren« Menschen (84). Er erbat worden (3,65). sich von Allah, »Erbe des Gartens Abraham als Offenbarungs­der Wonne« (des Paradieses) zu sein (85), bat ­empfänger und »Schriftprophet« um Gnade am Tag der Auferstehung (87) und Abraham hatte einen »höheren Rang« als erkannte, dass am Tag des Gerichtes weder Ver- seine Zeitgenossen (6,83). In verschiedenen mögen noch Söhne etwas nützen (88), sondern Zusammenhängen sagt der Koran, dass Abnur ein »gesundes Herz« (89). raham ein prophetischer Gesandter für seine Nach dem Koran war Abraham ein »einsich- Sippe war (9,70) und göttliche Offenbarungen tiger Diener« Allahs (38,45), der die Menschen erhielt (2,136), die als »Blätter von Abraham« an die jenseitige »Behausung« erinnerte (38,46) sogar schriftlich festgehalten wurden (87,19). und deshalb im Jenseits zu »den Auserwählten Genau wie später Muhammad sollte Abraham und Frommen« gehört (38,47). Sein Bekennt- als Gesandter Allahs nur die göttliche Botschaft nis zu Allah hatte unter seiner Nachkommen- ausrichten, auch wenn sie von den Zeitgenossen schaft Bestand (43,28). Abraham leitete die »für Lüge erklärt« wurde (29,18); denn Allah Seinen nach Allahs Befehl, tat gute Werke, nahm auch von dem Propheten Abraham »eine verrichtete das (rituelle) Gebet und entrichte- feste Verpflichtung« entgegen (33,7). Deshalb te die Armenabgabe (21,73). Nach Sure 60,4 ist er ein »Imam« (Vorbild, Vorbeter) für die war er ein »schönes Beispiel« für die Muslime, Menschen (2,124). weil er und die Seinen sich vom Götzendienst ihrer Landsleute lossagten. Dadurch kam es al- Abraham mit Ismael in Mekka lerdings zu »Feindschaft und Hass« zwischen Nach dem Koran war Abraham der Begründer ihnen »für alle Zeiten«, sofern sie sich nicht be- des Allah-Kultus an der Kaaba in Mekka. Eine kehren. Abraham diente Allah in einem Maße, Zusammenfassung findet sich in der späten Sure dass Allah als der »Gott Abrahams« bezeichnet 2. Nach Vers 125 war »das Haus« (d. h. die Kawerden konnte (2,133). aba) eine Stätte der Einkehr für die Menschen, Da Abraham vor Mose und Jesus lebte, be- ein Ort der Sicherheit und als Gebetsstätte ein tont der Koran polemisch, dass er weder Jude »Platz Abrahams« – ein Haus, das Abraham und noch Christ war (2,140). Deshalb sei ein Streit Ismael für die Wallfahrer reinigen sollten. Abraüber Abraham überflüssig; Thora und Evan- ham bat Allah um Segen für die Muslime Mekgelium seien erst nach ihm offenbart worden kas (V. 126), nachdem Abraham und Ismael »die (3,65). Abraham sei wahrhaftig »Prophet« ge- Mauern des Hauses« errichtet hatten (V. 127). wesen und »in der Schrift« (welcher?) angekün- Abraham bat Allah, dass er und Ismael sowie ihre digt worden (19,41). Nachkommen als gute Muslime leben und ihnen Informationsbrief 290

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ihre (Wallfahrt, Fasten, rituelles Gebet) gezeigt werden (V. 128). Nach Vers 129 bat Abraham Allah sogar um einen »Gesandten aus ihren eigenen Reihen«, womit wahrscheinlich Muhammad gemeint ist. Damit verknüpfte Muhammad Abraham mit sich selbst. Bereits frühere Texte zeigen Abraham als Beter an der Kaaba. Er bat Allah, Mekka sicher zu machen und ihn sowie seine Söhne vor dem Götzendienst zu bewahren (14,35). Nach 14,37 siedelten die Nachfahren von Abraham im unfruchtbaren Tal (Mekka) bei »deinem geheiligten Haus« (der Kaaba) und baten Allah um Gunst bei den Einwohnern.

Konsequenzen Muhammad und der Islam haben Abraham gewissermaßen »den Juden weggenommen« und ihn den Muslimen als ihren großen Ahnherrn zugeeignet, denn nach Sure 3,68 stehen die Muslime und Muhammad Abraham am nächsten. Im Grunde deutete Muhammad damit die ganze göttliche Heilsgeschichte, wie sie die Heilige Schrift Alten und Neuen Testamentes bezeugt, in seinem Sinne um, indem er sich selbst zum Zielpunkt dieser Heilsgeschichte machte. Darin sehe ich das eigentlich Dämoni-

sche hinter Muhammad und dem Koran. Leider scheinen viele Christen im Westen diese Täuschung nicht zu erkennen bzw. um der religiösen Harmonie willen zu verdrängen. Mit Hilfe der Abraham-Projektion machte Muhammad die biblische Heilsgeschichte von Abraham bis Jesus im Grunde bedeutungslos. Während in der Bibel die Linie des göttlichen Heils von Abraham über Isaak, Jakob und Mose zu Jesus Christus hin verläuft, machte Muhammad Ismael an Stelle von Isaak zum wahren Erben des Glaubens Abrahams. Deshalb kann Abraham keine gemeinsame Plattform für den Gottesglauben von Juden, Christen und Muslimen sein. Die Islamisierung Abrahams ist vielmehr eine Abkehr von dem in der Bibel bezeugten Gott Israels und Vaters Jesu Christi. Der biblische Abraham war kein Kämpfer für den Monotheismus, sondern erlebte Gott als eine lebendige Wirklichkeit. Er erfuhr, dass Gott seine Versprechen wahr macht und trotz menschlichen Versagens an ihnen festhält. Die mit Abraham begonnene Geschichte des Heils ist die Geschichte des treuen Bundesgottes, die ihr Ziel im Neuen Bund in Jesus Christus erreicht. W 1) Koranzitate jeweils nach Paret 2001.

Nikolaus Hausmann Karl-Hermann Kandler Als 1538 die kurfürstlichen Visitatoren auf Bitten von Herzog Heinrich nach Freiberg kamen, um das kirchliche Leben in der Stadt und seiner Umgebung nach Einführung der Reformation zu ordnen, setzten sie D. Jakob Schenk ab, der sich als zu autoritär gezeigt hatte und die von Luther abweichende Lehre des Antino-

Karl-Hermann Kandler Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30

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mismus vertrat. Er verneinte also die bleibende Geltung des alttestamentlichen Gesetzes. Auch die Zehn Gebote hätten für Christen keine Bedeutung. Vorerst nahm Magister Leonhard, der Zwickauer Superintendent, die Aufgabe eines Freiberger Superintendenten wahr, doch ein eigener Superintendent musste schnell gefunden werden. Er hatte die Aufgabe, auf die Pfarrer zu achten und dafür zu sorgen, dass sie nicht ohne vorhergehendes Examen ordiniert und in ihr Amt eingesetzt werden. Sie sollten ja der Heiligen Schrift gemäß predigen und die Sakramente Taufe und Abendmahl verwalten. Schließlich wurde in Nikolaus Hausmann der geeignete Mann für diese Aufgabe gefunden. Er stand freilich schon im 60. Lebensjahr. Geboren 1478/79 als Sohn eines Freiberger Ratsherrn und zeitweiligen Bürgermeisters und auch Münzmeisters, studierte er in Leipzig. Februar 2015

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Nachdem er Magister artium geworden war, der Gemeinden vor Einführung der Reformation wurde er 1503 zum Priester geweiht und am- war. Darum hatte er die Einrichtung von Visitatierte zunächst in Altenburg. Aber schon 1519 tionen empfohlen. Ebenso gab er Anregungen war er ein Freund Luthers und predigte refor- dazu, die reformatorische Lehre kurzgefasst in matorisch in Schneeberg. Im Katechismen für die GemeinFebruar 1521 veranlasste der deglieder und für die Pfarrer Zwickauer Stadtvogt den Rat, darzulegen. So entstanden den gemäßigten und behutsaLuthers Kleiner und Großer men Lutheraner als Pfarrer an Katechismus. Mit beiden AnSt. Marien zu berufen, waren regungen hat er die Reformadoch durch Auseinandersettion entscheidend gefördert. zungen mit Thomas Müntzer Luther widmete ihm 1526 und seinen Anhängern, den seine Schrift Formula misZwickauer Propheten, und sae et communionis: Dem in dem humanistisch geprägten Christus hochwürdigen Herrn Stadtpfarrer Sylvius Egranus Nicolaus Hausmann, dem Unruhen in der Stadt entPfarrer der Gemeinde zu Zwistanden. Als Müntzer immer ckau, dem Heiligen in Chriswieder den Rat angriff, verantus, wünscht Martin Luther lasste Hausmann, dass dieser Gnade und Friede in Christus. die Stadt verlassen musste. Hausmann hatte schon zwei Doch auch Hausmann geJahre vorher den Wunsch riet in Konflikt mit dem Rat, nach einer reformatorischen weil dieser sich in kirchliche Gottesdienstordnung Luther Belange einmischte. Luther Luther widmete Nikolaus Hausgegenüber geäußert. Immer musste ihm mehrmals den mann 1526 seine Schrift »Formula wieder haben beide, Luther Rücken stärken gegen die missae et communionis: Dem in und Hausmann, ihre Gedanhartherzigen Zwickauer, die Christus hochwürdigen Herrn ken gegenseitig ausgetauscht Räuberhöhle, wie Luther die Nicolaus Hausmann, dem Pfarrer und immer wieder griff LuStadt nannte. Behutsam etab- der Gemeinde zu Zwickau, dem ther Anregungen Hausmanns lierte Hausmann das reforma- Heiligen in Christus, wünscht auf, so zu Fragen der Ehe, der torische Kirchenwesen in der Martin Luther Gnade und Friede Taufe und der Ordination der Stadt. Nach der Visitation in in Christus«. Geistlichen. Zwickau, die er selbst angeSchließlich wurde im regt hatte, wurde er 1529 ihr erster Superinten- Herbst 1538 Hausmann nach Freiberg als Sudent. Hausmann forderte von Luther gemein- perintendent berufen. Als er beim Einführungsdeordnende Maßnahmen und erstritt gegen den gottesdienst am 3. November auff der hohen Rat der Stadt das Recht der Besetzung kirch- Cantzell im Thurm, der später so genannten licher Stellen. Dieser hatte nämlich ohne Füh- Tulpenkanzel, seine erste Predigt hielt, stieß ihm lungnahme mit ihm drei Geistliche entlassen. ein jehlinger Schwindel und Ohnmacht mitten Hausmann stand auch in Kontakt mit den in der Predigt zu, also, dass man ihn mit grosser Lehrern der Stadt, zu Stephan Roth, Geor- Mühe von der Cantzel tragen mußte, starb auch gius Agricola und schließlich Johann Rivius. Er noch selbigen Tages an den Folgen dieses Schlagselbst gab der Stadt 1523 eine Schulordnung, anfalls im Haus seines Bruders, des Münz- und offensichtlich in Zusammenarbeit mit Rivius. Bürgermeisters. Man wagte es zunächst nicht, Drei Jahre später wurde er auf Luthers Emp- dem erkrankten Luther dies mitzuteilen. Als fehlung hin nach Dessau berufen, um im Fürs- dieser vom Tod seines Freundes erfuhr, klagte tentum Anhalt die Reformation einzuführen er: Das ist mir wahrlich gar ein lieber Freund und das Kirchenwesen zu ordnen. Es kommt hier gewesen. D. Hieronymus Weller schrieb: Doct. der fromme Mann Mag. Nikolaus Hausmann. Lutherus erzeigete keinem Doctor noch Pfarr… Er ist ein treu Herz und sittiger Mann, der herrn, wenn sie zu ihm kamen, solche Ehre und Gottes Wort fein still und züchtig lehrt und lieb Reverentz, als dem Herrn Nicolao Haußman, hat. … Was wir lehren, das lebt er, urteilte Lu- wegen seiner Tapfferkeit und erbarlichen Wanther über ihn. dels. Schließlich wusste er aber den Freund in Hausmann, selbst an sich milde und unpole- Gottes Hand. Hausmann wurde im Freiberger misch, hat in seinen verschiedenen Stellen erfah- Dom begraben. Ein Stück seiner Grabplatte ist W ren, wie katastrophal die geistliche Versorgung heute noch erhalten. Informationsbrief 290

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Matthäuspassion S a r a R i ll i n g

Hinführung zur kurzen Betrachtung von Sara Rilling: Matthäuspassion (Kapitel 44 in: »Mein Vater Helmuth Rilling«, Hänssler-Verlag)

Johann Sebastian Bach (1685––1750) In diesem Jahr hat die Christenheit wieder Gelegenheit, in besonderer Weise an den bekannten langjährigen Leipziger Thomaskantor Johann Sebastian Bach zu denken. In diesem Frühjahr, am 21. März, sind es 330 Jahre, dass Johann Sebastian Bach, der auch der »fünfte Evangelist« genannt wird, in Eise­ nach geboren wurde. Er verstand sich selbst als überzeugter Lutheraner, der aber dennoch nicht konfessionell verengt werden soll, sondern allen gehört, die vom Evangelium, der frohmachenden Kunde von Jesus, dem Christus erweckt und zu neuem Leben gekommen sind und diesem nachfolgen. Bachs Kantaten, Motetten, Oratorien und Passionen berühren auch heute noch, Jahrhunderte nach ihrer Entstehung. Ein zentrales Werk, das Bachs theologische Anschauung zeigt und auch Zeugnis seines persönlichen Glaubens ist, stellt die Matthäuspassion dar. Über den bekannten Musiker, den weltbekannten Bach-Interpreten Helmuth Rilling (81), hat vor etlichen Jahren dessen Tochter Sara ein Buch mit dem Titel: »Mein Vater Helmuth Rilling« verfasst. In einem gesonderten Kapitel (44) kommt sie dabei auch auf die Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach zu sprechen und es wird deutlich, was Bachs Anliegen bei diesem musikalischen Werk war, das gewissermaßen ein Schlüsselwerk in Bachs großem Œuvre ist. Wir drucken gekürzt dieses Kapitel ab (S. 142–144). Unser Dank für die Abdruckerlaubnis gilt der Autorin Sara Rilling und dem HänsslerVerlag in Holzgerlingen bei Stuttgart.

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A

n die Matthäuspassion hat sich Helmuth [Rilling] erst sehr spät gewagt. Im Jahr 1970, mit 37 Jahren, führte er sie zum ersten Mal auf. Es bereitete ihm etliche Schwierigkeiten, dieses große, bedeutende Werk so zu studieren, dass er es im Kopf behalten konnte. Besonders schwer daran waren nicht die Chöre und Arien, sondern die umfangreichen Rezitative. Wie hatte Bach den Wortrhythmus ausgeprägt, und vor allem, auf welche Textsilben kamen die begleitenden Akkorde des Continuo? Für Helmuth sind die Erzählungen des Evangeliums, die Rezitative, der Motor der Passion. Um als Dirigent auf den Fortgang des Passionsberichtes Einfluss nehmen zu können, musste er die Rezitative lernen. Damals hatte sich mein Vater eine scheinbar skurrile Methode zurechtgelegt: Er nahm die kleine Taschenpartitur, aus der er lernte, unter den Arm und ging damit im Warmbronner Wald [bei Leonberg im Großraum Stuttgart] spazieren. Nun versuchte er, die Texte und die darunter liegenden Akkorde im Kopf zu behalten. Im Laufe seines Spaziergangs legte er die Partitur in einen Busch und ging weiter. Dies zwang ihn dazu, wenn er nicht weiterwusste, wieder zurückzukehren um nachzusehen, wie das Stück weiterging. Das tat er wochenlang, bis er die Rezitative im Kopf hatte. Aber vor jedem Konzert mit diesem Werk sieht er die Partitur nochmals intensiv an und bemüht sich stets um ein tieferes Verständnis und den Bezug auf aktuelle Fragestellungen. Ich bin überzeugt, dass viele Menschen heute Aufführungen der Matthäuspassion besuchen, weil Bachs Musik über das hinausgeht, was Worte sagen können. Sie lassen sich von einer Sprache erreichen, die vom christlichen Glauben geprägt ist, existenzielle menschliche Grundprobleme nicht negiert, aber auch von ihrer Lösung durch Gottes Autorität spricht. In der Matthäuspassion gibt es zwei Chöre und zwei Orchester. Bach hätte, wenn er schon so viele Musiker zur Verfügung gehabt hätte, immer alles spielen lassen können; aber das tat er nicht. Es gibt Partien, in denen nur wenige Musiker aktiv sind. Helmuth kam zu dem Schluss, dass Bach damit bewirken wollte, dass auch die Musiker zuhören. Februar 2015

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Wenn er dies im Gesprächskonzert erklärt, werden die Personen auf der bühne tatsächlich zu Zuhörern. Die schranke zwischen den aktiven und Passiven, den musikern und dem Publikum, ist geschwunden. am ende des ersten Passionsteils gibt es zu den Worten »so ist mein Jesus nun gefangen« ein Duett. Die sopran- und altsolisten beklagen die Gefangennahme Jesu, der rhythmus des ersten orchesters beschreibt die unerbittlichkeit der situation. In dieses Duett hinein schreit der zweite Chor verzweifelt: »Lasst ihn, haltet, bindet nicht.« aber bach lässt das Duett hiervon unbeeindruckt weitergehen. »Kann einem so etwas nicht auch im heutigen Leben begegnen?« fragte Helmuth das Publikum in einem Gesprächskonzert. Die Judasgeschichte hat mein Vater einmal so gedeutet, dass es wohl im Leben jedes menschen etwas gibt, das er bereut, aber nicht wiedergutmachen kann. Ich beobachtete, wie die

menschen den Worten meines Vaters lauschten, und fand es tröstlich zu spüren, dass jeder für sich und doch alle zusammen in einem raum dachten und fühlten – eine Predigt mit bachs musik. Für Helmuth ist die matthäuspassion eine Kathedrale des Glaubens. ein Werk, das die Passionsgeschichte auf vielerlei arten beweint, aber dadurch auch trösten kann wie sonst kaum ein musikstück. Wenn ich traurig bin, höre ich sehr oft teile aus diesem stück, die mir unendlich viel Kraft geben. andererseits kann die matthäuspassion unter Helmuths Leitung auch – wie ein Konzertbesucher sagte – spannend wie ein Krimi sein, bei dem man doch die ganze Zeit hofft, dass es gut ausgehen möge. Die genaue Vorstellung, die der Dirigent von der dramatischen struktur über die sätze hinweg hat, lässt den musikern oft kaum Zeit zum umblättern. Die Dramatik W der Passion wird unmittelbar erfahrbar.

In diesem Frühjahr, am 21. März, sind es 330 Jahre, dass Johann Sebastian Bach in Eisenach geboren wurde. InFormatIonsbrIeF 290

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»Gottes Erwählen im Alten und Neuen Testament« Einladung zur Bibelfreizeit der Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« mit Pfarrer Hansfrieder Hellenschmidt vom 21. bis 28. März 2015 im Christlichen Gästehaus Bergfrieden in Oberstdorf (Allgäu) Mit Gottes Erwählen des einen Mannes aus Ur in Chaldäa hat die Geschichte Gottes zum Heil der Völker begonnen. Sie ist Ausdruck seines Liebeswillens und gilt Israel und den Völkern in gleicher Weise. Schon die prophetische Verkündigung im Alten Testament lehrt uns, Gott als den Herrn aller Völker zu erkennen. Menschen aus allen Völkern sollen Anteil an Gottes Königsherrschaft gewinnen und an ihrem Frieden und ihrer Gerechtigkeit teilhaben. Was mit dem Erwählen Abrahams begonnen hat und in der Geschichte Israels durch viele Brüche und Behinderungen gelaufen ist, kommt mit der Erwählung Jesu Christi dennoch zum Ziel. Denn Christus ist der von Gott erwählte Messias Israels und der Heiland der Welt. Ihn hat Gott gesandt, die Geschichte, die mit Abraham begonnen hat, der Vollendung zuzuführen. Als der Erwählte tritt Jesus durch seine Boten unter die Völker und ruft Menschen unter die Königsherrschaft Gottes. Gerade auch die Weisung, mit der Jesus seine Jünger bis heute in die Welt hinaussendet, macht noch einmal den universalen Charakter des göttlichen Heils offenbar. Denn Gott ist nicht nur der Gott der Juden, sondern auch der Heiden (Römer 3,29). Mit Jesu Werk hat

die Einheit der einen Gemeinde aus Juden und Heiden bereits begonnen (Epheser 2,15), denn der verheißene Segen Abrahams (1.Mose 12,3) ist in der endzeitlichen Gemeinde schon gegenwärtig. Angesichts dieser Tatsache erweist sich jeder ideologische oder religiöse Versuch, selbst das Heil der Welt zu schaffen, als ein Widersprechen gegen Gottes Willen und Plan mit den Völkern und ihren Menschen. Ein solch törichtes Unterfangen in der Kirche, mit der so genannten abrahamitischen Religion Frieden und Gerechtigkeit zu schaffen, wird keinen Bestand haben und ist als ein religiöser Unsinn, der keiner theologischen Betrachtung standhält, abzuweisen. Dem Erwählen Gottes durch Jesus Christus nachzudenken und darüber froh und dankbar zu werden, soll die Freizeit dienen. Im Verlauf der Arbeit wird auch auf den christlichen Antijudaismus und Luthers Stellung zu den Juden seiner Zeit eingegangen. Es ist nötig, da, aus welchen Gründen auch immer, eigentlich nie oder nur sehr verhalten und selten auf Luthers positive Aussagen zum Judentum und sein Ringen mit ihm eingegangen wird.

Die Anmeldungen sind zu richten an: Christliches Gästehaus Bergfrieden Oytalstraße 4, Oberstdorf www.bergfrieden-oberstdorf.de Telefon (08322) 95980

Preise: Die je einzelnen Zimmerpreise können bei der Anmeldung im Gästehaus in Oberstdorf erfragt werden.

Anfragen und Auskunft: Hansfrieder Hellenschmidt Telefon (07158) 69569 Fax (07158) 9157494 E-Mail: hans.hellenschmidt@gmx.de

Weitere Freizeittermine: 18. bis 25. Mai 2016 3. bis 10. Juni 2017

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Aus Kirche und Gesellschaft Thema Homosexualität und der Umgang damit bringt Freikirchen in die Nähe der Zerreißprobe Offenbar gehen bundesrepublikanische Freikirchen denselben verhängnisvollen Weg wie die Landeskirchen, wenn auch zeitlich etliche Jahre später, wie sich etwa auf der Bundestagung der größten deutschen Freikirche, dem Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (Baptisten- und Brüdergemeinden, zu ihr gehören insgesamt 803 Gemeinden mit 81 470 Gemeindegliedern) Anfang Juni auf deren Bundestagung (Synode) in Kassel zeigte. Bei dieser Bundestagung erklärten deren Präsident Hartmut Riemenschneider und Generalsekretär Christoph Stiba in ihrem gemeinsamen Bericht, dass Gemeindeglieder verschieden sein dürfen: in ihren theologischen Erkenntnissen und in ihren ethischen Konsequenzen, wiewohl es dabei Bereiche gibt, in denen eine einheitliche Ansicht herrschen muss, da man ansonsten von den Geboten wie auch dem Geist der Heiligen Schrift abweicht. Ausdrücklich wurde nämlich von den beiden Repräsentanten gesagt, dies gelte auch für Fragen der Homosexualität. Man gestehe sich in der Freikirche zu, »dass wir – alle mit der Bibel in der Hand und dem Geist Gottes im Herzen – zu unterschiedlichen Erkenntnissen gelangen«. Und darauf folgte, was immer wieder betont wird, aber nicht zu Ende gedacht wird: Wichtig sei bei allem, dass Christus in der Mitte stehe. Aber kann es denn sein, dass Christus in der Mitte steht, wenn Homosexualität ein Verhalten ist, das vom Reich Gottes ausschließt (1.Korinther 6,9; Galater 5,21). Wie weit die Ansichten auseinandergehen und wie in entscheidenden ethischen Fragen die größte deutsche Freikirche von einem unguten Pluralismus beherrscht wird, auch wenn ansonsten die meisten Entscheidungen mit großer Mehrheit gefällt wurden, zeigte sich auf der Bundestagung überdeutlich. 100 von 877 Geistlichen des Bundes im Dienst und im Ruhestand hatten in einer Erklärung unter dem Motto »Unser Ja zu Gottes Ebenbild als Mann und Frau« erklärt, dass praktizierte Homosexualität in der Heiligen Schrift stets als Sünde bezeichnet werde. Wer homosexuelle Neigungen habe, solle sexuell enthaltsam leben. Zugleich stellen die Unterzeichner – darunter sind die drei früheren Bundesdirektoren Gerd Rudzio, Eckhard SchaInformationsbrief 290

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efer und Manfred Sult einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel fest. Auslöser der Debatte war ein offener Brief des Präsidiums vom Februar 2013, worin sich das Leitungsgremium der Freikirche für die ehrenamtliche Mitarbeit homosexuell lebender Mitglieder ausgesprochen hat. Darauf gab es laut Präsident Hartmut Riemenschneider zahlreiche Rückmeldungen. Die über 300 Mitglieder zählende Baptistengemeinde Stadtoldendorf forderte in einem Antrag, festzuhalten, dass »Homosexualität nach Maßgabe des Wortes Gottes Sünde ist«. Der Antrag wurde nach einem Beschluss der Delegierten nicht zur Abstimmung zugelassen, da, so die bei näherer Betrachtung seltsame Begründung, es einem Gemeindebund nicht zustehe, zu entscheiden, was Sünde sei. Die Angelegenheit wurde an die Gemeinden abgeschoben mit dem Hinweis, jede Gemeinde müsse für sich diese Frage beantworten. Abgelehnt wurden aber auch Anträge der Gemeinde Korbach, den offenen Brief des Präsidiums von der Internetseite zu nehmen und im Internet ein Forum für Pastoren und Gemeindeglieder zum »Umgang mit Homosexualität in Gemeinden und Bund« zu eröffnen. Der Leiter der Biblisch-Theologischen Akademie Wiedenest, Horst Afflerbach erklärte, nötig sei, auch Homosexuellen die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes zu vermitteln. Pastor Heinrich-Christian Rust, der in der mit 1000 Mitgliedern größten Gemeinde der Freikirche tätig ist, meinte, das Thema Homosexu­ alität könne man nicht nur theoretisch mit der aufgeschlagenen Bibel behandeln. Es sei fraglich, wie man von homosexuellen Christen erwarten könne, enthaltsam zu leben, wenn Sexu­ alität zur Schöpfung gehöre. Michael Noß, Pastor der mehr als 600 Mitglieder zählenden Gemeinde Berlin-Schöneberg, erklärte, dass seine Gemeinde nach dem Motto »Bei Gott sind alle willkommen. Alle« arbeite. Das habe dazu geführt, dass sich viele Homosexuelle der Gemeinde angeschlossen hätten. Selbst in der Gemeindeleitung arbeite ein Homosexueller mit. Vor einer Zerreißprobe könnte eine andere Freikirche wegen desselben Themas stehen, die Herrnhuter Brüder-Unität. In ihr geht es um die Segnung homosexueller Partnerschaften. Bei der Herrnhuter Brüder-Unität ist das Thema indes so neu nicht. Deren Provinzialsynode hatte bereits im Jahr 2000 beschlossen: 27


»Die Herrnhuter Brüdergemeine sieht sich als eine Kirche, in der auf Dauer angelegte Partnerschaften von Liebe und Treue zwischen zwei Männern oder zwei Frauen ebenso respektiert werden wie andere Partnerschaften zwischen erwachsenen Menschen. […] Grundsätzlich brauchen alle auf Dauer angelegten Partnerschaften von Liebe und Treue den Segen Gottes.« Zwölf Jahre später, 2012, bat die Synode die Theologische Kommission unter dem Vorsitz von Volker Schulz, Material zum weiteren Gespräch in den Gemeinden zusammenzustellen. Im September des darauf folgenden Jahres legte die Theologische Kommission den Synodalen und der Direktion eine Stellungnahme vor. Im Vorwort heißt es unter anderem: »Wir wollen auch deutlicher als bisher sagen, dass wir die Möglichkeit von Segenshandlungen für gleichgeschlechtliche Part­ner­schaften in der Brüdergemeine für theologisch legitim und wünschenswert halten.« Diese Theologische Kommission räumt zwar durchaus ein, es sei unstrittig, dass einzelne Bibelstellen bestimmte homosexuelle Praktiken verurteilten. Doch – und damit stellt sich die Theologische Kommission gegen die Heilige Schrift – offen sei die Frage, inwieweit diese für das Leben von Christen heute noch verbindlich sein könnten; vielmehr seien sie im Gesamtkontext der Bibel zu verstehen, wobei dieser gegen homosexuelle Partnerschaften gerichtet ist, und eben niemand sagen kann, dies oder jenes aus der Heiligen Schrift gelte heute eben nicht mehr. Bei derartigen Argumentationen, wie sie die Theologische Kommission der Herrnhuter vorbringt, weiß man sich an die unsägliche EKD-»Orientierungshilfe« zu Ehe und Familie vom Sommer 2013 erinnert. Freilich sind damit nicht alle Herrnhuter Repräsentanten einverstanden: So etwa der 79-jährige lutherische Pfarrer Eenok Haamer aus Mustvee (Estland), der seit 2002 Hauptältester (Leiter) der Brüdergemeine in Estland ist. Ihm bleibt unerklärlich, weshalb nicht mehr Herrnhuter klar gegen solche Segenshandlungen Stellung beziehen. Doch habe ihm ein Synodaler aus Deutschland gestanden, dass er zwar genauso denke wie er, das aber nicht laut sagen könne, wobei es hier besser und ehrlicher wäre, statt könne wolle zu sagen. Nun hat die Synode der Europäisch-Festländischen Brüder-Unität Ende Juni in Zeist (Niederlande) beschlossen, dass in Europa künftig auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften gesegnet werden können. Dem Beschluss zufolge sollen künftig die Gemeinden, Ältestenräte und Gemeinhelfer (Pfarrer) darüber entscheiden, ob gleichgeschlechtliche Partnerschaften bei ihnen gesegnet werden dürfen, was nichts anderes be28

deutet, als dass sich Kirchenleitungen bei wichtigen Entscheidungen letztlich um die Letztentscheidung drücken und diese an die Gemeinden und in deren Entscheidungen abschieben. Dem jetzigen Beschluss, der, wie aus der Herrnhuter Brüdergemeine mitgeteilt wurde, »mit großer Mehrheit« gefasst wurde, war ein 20 Jahre dauernder Diskussionsprozess vorangegangen. Widerspruch dagegen kam vor allem aus Afrika, der Karibik und dem Baltikum – und hier vor allem von dem Hauptältesten, dem estländischen Pfarrer Eenok Haamer, der sich im Vorfeld zur Synode in einem Brief an die Unitätsleitung gewandt hatte mit der Befürchtung, weil ein derartiger Beschluss der Heiligen Schrift widerspreche, könne es zu einer Spaltung kommen. Aus gesundheitlichen Gründen musste er jedoch eine Teilnahme an der Synode absagen. Auch ist ansonsten kein Vertreter aus Estland gekommen, was vom Pressesprecher der Herrnhuter Brüdergemeine, Erdmann Carstens, bedauert wurde. Auch wenn er die Sicht Eenok Haamers als »keineswegs repräsentativ« einstufte, so musste er doch einräumen, die Entscheidung müsse behutsam kommuniziert werden: »Wir müssen sehr darauf achten, dass die Verbundenheit und die Einheit mit den Geschwistern in Afrika und anderswo nicht leidet.« (Quellen des Berichts: ideaSpektrum 23/2014 vom 4. Juni 2014, S. 8f. und S. 24f.; ideaSpektrum 26/2014 vom 25. Juni 2014, S. 8 und S. 44)

Papst Franziskus: Katholiken und Evangelikale können voneinander lernen Für eine enge Zusammenarbeit zwischen der römisch-katholischen Kirche und der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA) hat sich Papst Franziskus ausgesprochen. Beide Seiten könnten sich inspirieren und voneinander lernen. Der Dialog der weltweiten Vertretung der Evangelikalen habe bereits »neue Perspektiven eröffnet, Missverständnisse ausgeräumt und Wege zur Überwindung von Vorurteilen gewiesen«. »Die Wirksamkeit der christlichen Verkündigung wäre zweifellos größer, wenn die Christen ihre Spaltungen überwinden und gemeinsam die Sakramente feiern, das Wort Gottes verkündigen und die Nächstenliebe bezeugen könnten.« Der Generalsekretär der WEA, George Tunicliffe (New York), ermutigte Papst Franziskus, bei seinen Reisen auch künftig Vertreter der evangelikalen Bewegung zu treffen. (Quelle der Nachricht: Wochenendmail aus Bretten vom 7. November 2014, nach idea)

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Neuer Vorsitzender des ­ Rates der EKD Heinrich Bedford-Strohm folgt auf ­Nikolaus Schneider Mit 106 Ja-Stimmen, elf Nein-Stimmen und acht Enthaltungen wurde, wie erwartet, der bayerische Landesbischof Heinrich BedfordStrohm (54, München), Schüler des früheren Heidelberger Sozialethikers und späteren Bischofs von Berlin und Ratsvorsitzenden der EKD, Wolfgang Huber, zum Nachfolger von Nikolaus Schneider (Berlin), der wegen der Krebserkrankung seiner Frau vorzeitig aufhört, als Vorsitzender des Rates der EKD auf deren Jahrestagung im vergangenen November in Dresden, gewählt. Wird Bedford-Strohm zu-

nächst wenigstens nur für ein Jahr bis zum Ende von Schneiders regulärer Amtszeit die EKD repräsentieren, so gilt er dennoch als Favorit für die 2015 anstehende turnusmäßige Wahl, an die sich eine sechsjährige Amtszeit anschließt. Bedford-Strohm, Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SPD), wie seine Vorgänger Huber und Schneider auch, lässt allerdings seine Parteimitgliedschaft zurzeit ruhen. Er will, dass die evangelische Kirche sich in die großen ethischen Debatten 2015 einbringt. Der neue Ratsvorsitzende gilt als medienerfahren und mit den digitalen Medien vertraut. Seine Wahl hatte Zustimmung von der Politik bis zu Evangelikalen gefunden. (Quellen der Nachricht: Südwestpresse vom 12. November 2014, S. 1 und S. 3, nach dpa und epd; ideaSpektrum 46/2014 vom 13. November 2014, S. 6f.)

Aus den Bekennenden Gemeinschaften Gedenket eurer Lehrer … Pfarrer Fritz Grünzweig wäre 100 Jahre alt geworden Er war in Pietismus – dem er von seiner Frömmigkeitsausprägung zugehörte – und Kirche, ja selbst in der akademischen Theologie gleichermaßen angesehen: der langjährige Geistliche Vorsteher der evangelischen Brüdergemeinde Korntal bei Stuttgart, Pfarrer Fritz Grünzweig (1914-1989). Der Theologe, der bereits vor 25 Jahren im Alter von 75 Jahren verstarb, wäre im vergangenen November 100 Jahre alt geworden. Grünzweig, der als wichtiger Vermittler zwischen dem landeskirchlichen Protestantismus und pietistischen Gemeinschaften gelten darf, wurde am 5. November 1914 in Bissingen an der Teck (bei Stuttgart) geboren. Von 1948 bis 1979 war er in der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal tätig, ab 1952 als deren Geistlicher Vorsteher. Vor seiner theologischen Ausbildung hatte er eine zum Notar gemacht und war seit Kriegsbeginn Soldat; 1943 vor Leningrad verwundet. In der Zeit, in der er Geistlicher Leiter in Korntal war, wurde die Verbindung zur württembergischen Landeskirche neu geregelt. So können Mitglieder der Brüdergemeinde zugleich Mitglied der Landeskirche sein und an deren Synodalwahlen teilnehmen. Wenn sie in Korntal wohnen, zahlen sie keine Kirchensteuern, sondern einen Beitrag direkt an die Gemeinde. Grünzweig legte auch Informationsbrief 290

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Wert darauf, trotz theologischer Spannungen die Einheit mit der (Landes)Kirche zu erhalten. Seit 1963 arbeitete er im Leitungskreis der Ludwig-Hofacker-Vereinigung mit, die sich heute Christusbewegung Lebendige Gemeinde nennt. Von 1965 bis 1979 war er deren Vorsitzender. Über einige Jahre war er Vorsitzender der Konferenz Bekennender Gemeinschaften (1980–1986). Neben der Mitherausgabe der »Lutherbibel erklärt« und des Dokumentationsbandes »Weg und Zeugnis« Band 1 hat er auch Bibelkommentare für die Gemeinde verfasst. Da ihm die Ausbildung schriftgemäßer Theologen am Herzen lag, gehörte er in den so turbulenten 1968er Jahren – zu den Gründern des Tübinger Albrecht-Bengel-Hauses. Er setzte sich dafür ein, dass dieses in der Nähe der evangelisch-theologischen Fakultät eingerichtet wurde und nicht abgelegen im Schwarzwald. Ihm war es ein Anliegen, dass künftige Theologen den Weitblick der Wissenschaft bekommen und sich intellektuell mit der Universitätstheologie auseinandersetzen können. Für sein Bemühen um die Verbindung von Theologie und Gemeinde verlieh ihm die evangelisch-theologische Fakultät der Universität Tübingen 1982 den Ehrendoktortitel. (Quellen der Nachricht: ideaSpektrum 46/2014 vom 13. November 2014, S. 33, Südwest; Württembergisches Pfarrerverzeichnis, Ausgabe 1988, S. 50; Peter Beyerhaus, Der Weg der Konferenz Bekennender Gemeinschaften, in: Johann Hess [Hrsg.], Unter Gottes Führung, Walsrode 2013, S. 16-36, hier: S. 31f.)

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Buchrezension eine stattliche anzahl biographien über den reformator liegt bereits vor. Werden dann neue nicht überflüssig, weil bereits alles gesagt ist? Für so manche Luther-biographie mag dies zutreffen, nicht jedoch für die angezeigte. Heinz schilling (geboren 1942), inzwischen emeritierter Professor für europäische Geschichte der frühen neuzeit und Verfasser einiger historischer standardwerke, beschreibt in gut lesbarer Form die größeren Zusammenhänge, in denen Luther und die Wittenberger reformation zu sehen sind; außerdem behandelt er auch gut Hintergründe und Querverbindungen bei Luthers Wirken und dessen ratschlägen: etwa im bauernkrieg, bei Philipp von Hessens Doppelehe oder den Judenschriften des Wittenberger reformators. mitstreiter und mitarbeiter, etwa Philipp melanchthon, Georg spalatin und andere theologen, aber auch Lucas Cranach werden gewürdigt, ebenso Luthers Gegenspieler (nicht allein Päpste und theologen der Kurie, sondern auch erasmus von rotterdam) seien diese nun aus der Partei der altgläubigen oder auch abweichler, die ursprünglich aus den eigenen reihen kamen, etwa thomas müntzer. Das macht Heinz schillings Luther-biographie wertvoll und lesenswert. Doch auch ansonsten besticht die biographie schillings durch viele Detailinformationen. Fleißig hat der Historiker zur reformationszeit geforscht (27 titel von ihm sind im Literaturverzeichnis aufgeführt) und ergebnisse historischer Forschung zu diesem Zeitabschnitt der letzten Jahrzehnte gesammelt, ausgewertet und verwertet. Dass er nicht allein

Luther würdigt, wie dies bei (evangelischen) Kirchenhistorikern häufig geschieht, sondern die gesamten Zeitverhältnisse, das macht seine biographie, die zudem recht preisgünstig ist, so lesenswert. Walter Rominger Heinz schilling martin Luther. rebell in einer Zeit des umbruchs. eine biographie münchen 2012 Verlag C. H. beck 720 seiten, gebunden, 29,95 euro Isbn 978 3 406 63741 4

Mitarbeiter an diesem Heft: Kirchenrat, Professor Dr. Karl-Hermann Kandler enge Gasse 26 09599 Freiberg telefon (03731) 23545 Fax (03731) 218150

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Propst Gert Kelter Carl-von-ossietzky-straße 31 02826 Görlitz telefon (03581) 412861 e-mail: goerlitz@selk.de studiendirektor Pfarrer Hanns Leiner †

sara rilling Walter rominger mehlbaumstraße 148 72458 albstadt telefon und Fax (07431) 74485 e-mail: w.rominger@t-online.de

Pfarrer eberhard troeger elsterweg 1 51674 Wiehl telefon (02262) 751793 Fax (02262) 751795 e-mail: troeger-wiehl@t-online.de

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Weitere Exemplare des Informationsbriefes für Juli 2013, Heft 279 und für Juli 2014, Heft 286 sowie das Traktat »Falsche Propheten sind unter uns« können –– auch in größerer Stückzahl –– bei der Geschäftsstellte bestellt werden. Geschäftsführender Ausschuss Stellvertretender Vorsitzender Pfarrer Johannes Frey ofener Weg 3 28816 stuhr telefon (04 21) 5 22 89 10 e-mail: johannes.frey@kabelmail.de Schriftführer Walter rominger mehlbaumstraße 148 72458 albstadt telefon und Fax (0 74 31) 7 44 85 e-mail: w.rominger@t-online.de

Weitere Mitglieder des Geschäftsführenden Ausschusses Gabriele reimer beurhausstraße 31 44137 Dortmund telefon (02 31) 5 84 46 96 Fax (02 31) 5 89 36 37 e-mail: Gabriele.reimer@gmx.de martin schunn Hölderlinstraße 9 75334 straubenhardt telefon (0 70 82) 2 02 75 e-mail: m.schunn@kvst-nb.de

Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« e. V. Geschäftsstelle: Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (07431) 74485 E-Mail: w.rominger@t-online.de www.keinanderesevangelium.de

Kassenwart Hans Lauffer osterstraße 25 70794 Filderstadt telefon (0 71 58) 48 31 Fax (0 71 58) 94 78 73 e-mail: hans.lauffer@t-online.de

Mit Fragen bezüglich der Spendenbescheinigungen wenden Sie sich bitte an unseren Kassenwart Hans Lauffer. Sie erreichen ihn telefonisch unter (0 71 58) 48 31, per Fax 94 78 73 oder per E-Mail hans.lauffer@t-online.de. Bankkonten Volksbank Filder e. G., (bLZ 611 616 96) Konto-nr. 65 500 016 Iban De34 6116 1696 0065 5000 16 bIC (sWIFt)-Code: Geno De s1 nHb Postgirokonto schweiz: Postgiroamt bern nr. 30-195 56-2 Iban CH21 0900 0000 3001 9556 2 bIC PoFICHbeXXX

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Lass uns nicht sündgen wider dich; zum Tempel weih uns ewiglich, lehr uns mit Glauben beten, dass Jesus Christus hier auf Erd durch dich in uns verkläret werd; all Schwachheit wollst vertreten. Der Welt Art stark noch in uns ist, und unser Fleisch danach gelüst’; drum wollst uns täglich strafen um Sünd und um Gerechtigkeit und um Gericht mit Gütigkeit, dass wir in Gott entschlafen. Ambrosius Blarer Evangelisches Kirchengesangbuch Nr. 100, Strophe 9


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