Informationsbrief Dezember 2015

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Aus dem Inhalt

Neues aus Kirche und Welt Aus Lehre und Verkündigung »Die vergessenen Opfer« Eine Meditation zu Matthäus 2,13 bis 18 Der Mensch als Bild und Gleichnis Gottes und die Leit- und Leidbilder des Menschen Christentum und Islam Jan Hus – Spätmittelalterlicher Kirchenreformer und Märtyrer der Christenheit Hieronymus Weller Wir lassen uns nicht gendern Pfarrer Hansfrieder Hellenschmidt, der langjährige Vorsitzende der Bekenntnis­bewegung ist heimgegangen Aus den Bekennenden Gemeinschaften

ISSN 1618-8306

Dezember 2015 Nr. 295

Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium«


kurz+bündig Kirche in Deutschland Nordkirche und Gemeinschaftsverbände rücken näher zusammen

Der Pietismus und die seit 2012 bestehende EvangelischLutherische Kirche in Norddeutschland rücken enger zusammen. Ein Vertrag, den Vertreter der drei Gemeinschaftsverbände in SchleswigHolstein, Mecklenburg und Vorpommern (etwa 4000 Mitglieder und regelmäßige Besucher) mit der Kirche geschlossen haben, regelt das Miteinander, etwa bei Amtshandlungen, der Seelsorge und dem Konfirmandenunterricht. So beruft jetzt der Leitende Bischof, Landesbischof Gerhard Ulrich, die Prediger der Gemeinschaften zur öffentlichen Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung. Zuvor meldeten die Gemeinschaften ihren neuen Prediger beim ­Landeskirchenamt.

Kirche weltweit Rom: Ein Platz dem Reformator

Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Italien (CELI) und die Siebenten-Tags-Adventisten nahmen vor sechs Jahren das Jubiläum der Romreise Luthers (1510/11) zum Anlass, im römischen Magistrat den Antrag zu stellen, in Rom eine Straße oder einen Platz nach dem Reformator und Romreisenden zu benennen. Mit Erfolg: Auch wenn mit dem Platz im ColleOppio-Park im Herzen der 2

Welthauptstadt des Katholizismus sichergestellt ist, dass es Martin Luther auch in Zukunft nicht als römische Postadresse gibt, so ist nach Meinung von Italiens Lutheranern die Platzbenennung dennoch ein kirchengeschichtlicher Meilenstein.

Christenheit ohne Christus, eine Vergebung ohne Buße, eine Erlösung ohne Wiedergeburt, eine Politik ohne Gott und ein Himmel ohne Hölle.«

Pietismus/ Evangelikalismus AB-Verein: Prediger heißen jetzt Pastoren

Jubiläum: Seit 150 Jahren Heilsarmee

Seit 1865 helfen »Soldaten Christi« unter dem Motto »Suppe, Seife, Seelenheil« weltweit Menschen in Not. Wie Patrick Naud, Leiter des Territorialen Hauptquartiers für Deutschland, Litauen und Polen, anlässlich dieses Jubiläums sagte, will die Freikirche seit jeher dort sein, wo Menschen in Not sind. Wie der Leiter des Internationalen Hauptquartiers der Heilsarmee, General André Cox sagte, hat sich an den Befürchtungen, die Heilsarmee-Gründer William Booth für das 20. Jahrhundert hatte, bis heute nichts geändert. Booth hatte zu Beginn seiner Arbeit im verarmten Londoner Osten erklärt, was geradezu prophetisch klingt und heute Beachtung finden durfte: »Ich bin der Überzeugung, dass die größten Gefahren, die dem kommenden Jahrhundert bevorstehen, folgende sind: eine Religion ohne den Heiligen Geist, eine

Die Prediger des pietistischen Evangelischen Gemeinschaftsverbandes AB (früher Evangelischer Verein für Innere Mission Augsburgischen Bekenntnisses – A. B.-Verein; seit 1849, ältester pietistischer Gemeinschaftsverband in Baden; rund 300 Gemeinschaften, Gemeinden und Hauskreise, womit etwa 4500 Menschen erreicht werden) heißen jetzt aus zwei Gründen Gemeinschaftspastor oder Gemeinschaftsprediger: der Begriff Prediger werde außerhalb der Gemeinden und Gemeinschaften nicht mehr verstanden und zum andern habe die wachsende Gemeindearbeit die Tätigkeit von Predigern stark verändert und ausgeweitet und umfasse heute fast den gesamten pastoralen Dienst, auch Abendmahl, Taufen, Trauungen und Beerdigungen. Württembergischer Christusbund hat theologischen Leiter

Der bisherige Studienleiter an der Theologischen Fachschule Breckerfeld (15 Jahre lang), Klaus Eberwein,

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entlastet als theologischer Leiter den Vorsitzenden und Geschäftsführer des Württembergischen Christusbundes (früher Bibelbund), Matthias Köhler. Eberwein soll die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter von 50 Gemeinden und Gemeinschaften »mit biblischer Lehre zurüsten«.

2015 war er Geschäftsführer der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal und ihres Gesamtwerkes einschließlich deren Diakoniegesellschaft. Beim ERF folgt er Ulrich Rüsch auf dem Geschäftsführerposten.

Mission

Neubesetzung und Wechsel

Missionsgeneralsekretär der VEM wechselt zum LWB

Der Generalsekretär der Vereinigten Evangelischen Mission, Fidon Mwombeki, wird im Januar 2016 Direktor der Abteilung Mission und Entwicklung des Lutherischen Weltbundes (LWB, Genf, 144 Kirchen in 79 Ländern über 72 Millionen Kirchenmitglieder). Mwombeki, ordinierter Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania, ist seit 2009 als erster Afrikaner Mitglied im Rat der EKD. Laut LWB bringt er »einen fundierten Hintergrund in Finanzmanagement und Führungsqualitäten auf nationaler und internationaler Ebene« mit. Neuer Geschäftsführer beim ERF

Seit September ist der Betriebswirt Thomas Wosch­ nitzok Geschäftsführer im ERF-Vorstand an der Seite des Vorstandsvorsitzenden Dr. Jörg Dechert. Woschnitzok ist Diplom-Sparkassenbetriebswirt und war zuletzt Geschäftsführer der Stiftung »Zukunft und Leben«. Von 2012 bis Anfang

kurz+bündig

Personen +++ Kirchen +++ Glauben +++ »Modernes Leben«

Theologische Ausbildung Achim Reinstädter wurde Direktor für pastorale Ausbildung im Theologischen Zen­ trum Wuppertal, der zentralen Ausbildungsstätte für Vikare der rheinischen, westfälischen und lippischen Landeskirche sowie der evangelisch-reformierten Kirche. Reinstädter, der auf Peter Bukowski, der in den Ruhestand trat, folgt, war zuvor ab 1989 Pfarrer in Wuppertal und von

Heimgegangen Armenischer Missionar Jakob Jambazian †

Im Alter von 78 Jahren ging der frühere Leiter der Armenien-Redaktion der Radiomission Trans World Radio (TWR), Jakob Jambazian in der armenischen Hauptstadt Eriwan heim. Der in Jerusalem geborene Jambazian arbeitete zunächst als Radiomissionar im Libanon und ab 1975 beim deutschen TWR-Partner, dem Evangeliumsrundfunk (erf) in Wetzlar. Nach dem Zerfall der Sowjetunion ging er 1994 nach Armenien und gründete dort das Armenische Hilfszentrum. Auch als Musiker trat er hervor. Zusammen mit seiner Frau Knar schrieb er über 1000 türkische, armenische und arabische Musikstücke, darunter auch ein Requiem zum Völkermord an den Armeniern, bei welchem 1915/16 etwa eineinhalb Millionen Armenier durch den Völkermord, der durch Muslime verübt wurde, starben.


kurz+bündig 1999 an Dozent für Seelsorge, Gemeindepädagogik/Konfirmandenunterricht, Gemeinde­ aufbau und Spiritualität am Reformierten Predigerseminar in Wuppertal. Einen beachtlichen Wechsel gibt es beim Marburger Bildungs- und Studienzentrum; von dort wechseln nämlich gleich drei Dozenten, Tobias Faix, Tobias Künkler und Thomas Kröck mit 45 Studenten an die CVJM-Hochschule in Kassel; wie es heißt, einvernehmlich: »Es gab keinen Streit.«

Diakonie/Ökumene Diakonissenkrankenhaus Rüppur und Vincentius Krankenhäuser in Karlsruhe wollen fusionieren

Die christlichen Krankenhäuser in Karlsruhe planen einen Zusammenschluss. Ab 2016 sollen die katholische St. Vincentius-Kliniken und das evangelische Diakonissenkrankenhaus Karlsruhe-Rüppur gemeinsam ein »starker Anbieter medizinischer Versorgung in der Region sein«. Der Zusam­ menschluss wird als große Chance für eine stabile Zukunft und eine noch bessere Versorgung der Patienten angesehen. Weitere Gründe seien die gemeinsame christliche Basis und eine größere Wirtschaftlichkeit durch Synergien. Nach dem Zusammenschluss sind 3000 beschäftigt und besteht eine Kapazität von 1200 Betten. Nach 7,5 Millionen Verlusten 2012 sei in den vergangenen drei Jahren eine weitgehende Konsolidierung eingetreten 4

und werden wohl wieder schwarze Zahlen geschrieben.

Ethik US-Pfadfinder: Homosexuelle Betreuer zulässig

Die US-Pfadfinder lassen auch homosexuelle Erwachsene als angestellte Betreuer und Teamleiter arbeiten. Untergruppen können selbst entscheiden, ob sie die Regeln für freiwillige Teamleiter annehmen. Damit will die Bewegung, der 2,4 Millionen Jugendliche angehören, einen Schritt gegen D ­ iskriminierung gehen. Aber wird damit nicht das Wohl der Kinder und ­Jugendlichen gefährdet?

Bildung

Schnabel Geschäftsführer der Evangelischen Erwachsenenbildung

Der in Nagold geborene Wolfgang Schnabel, zuletzt Pfarrer in Filderstadt-Bonlanden, wo er einer der Nachfolger des langjährigen Vorsitzenden der Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium«, Hansfrieder Hellenschmidt, war, der dort Pfarrer in den

80er Jahren war, ist der neue Geschäftsführer der Landesstelle für Evangelische Erwachsenen- und Familienbildung und der Landesarbeitsgemeinschaft evangelischer Bildungswerke. Schnabel, der in Praktischer Theologie in Tübingen mit ­einer Arbeit über die Posaunenarbeit promoviert wurde, folgt auf die ebenfalls promovierte Theologin Birgit Rommel (56), die in den Schuldienst wechselte.

Christlicher Glaube & Naturwissenschaft Engagierter Christ und Naturwissenschaftler Günter Ewald †

Günter Ewald, 30 Jahre lang (1964–1994) Professor für Mathematik in Bochum, starb im Alter von 86 Jahren. Ewald, der Schwiegersohn des württembergischen Landesbischofs Helmut Claß, der außer Mathematik auch noch Physik, Chemie und Philosophie studiert hat, beschäftigte sich als überzeugter Christ ausführlich mit dem Thema »Nahtod­ erfahrungen«, einem Thema, das ansonsten vor allem von Esoterikern behandelt wird. In den Jahren der Studentenunruhen lud er Studenten regelmäßig zu sich nach Hause ein. Dadurch wurden viele erstmals mit dem Evangelium konfrontiert; einige davon wurden Christen. Ewald war im Kuratorium der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen und engagiert sich auch bei der Studentenmission in Deutschland.

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Aus Lehre und Verkündigung mm Ich glaube, dass einer kommen wird, getrieben vom Heiligen Geiste, derselbige wird die Religion wiederherstellen.

mm Ist nicht unsere ganze Lebens­ geschichte ein ergreifender Ausdruck der Treue Gottes, der vielleicht schon durch das Leben unserer Eltern und Vorfahren damit begonnen hat, auch um unser Herz zu ringen und uns zu seinem Eigentum zu machen.

Johann Geiler von Kaisersberg

mm Zu allen Zeiten ist es für die Wirkung des Evangeliums von entscheidender Bedeutung gewe­ sen, ob die, welche es vertraten, selbst nicht nur Zeugen, ­sondern geradezu Zeugnisse seiner ­lebensvollen und lebensnahen Kraft waren oder nicht.

Adolf Köberle

mm Je mehr die Reformation als historische Erscheinung gesehen wird und nicht als lebendige Kraft, umso größere Sorge muss man für die Christenheit von heute empfinden.

Karl Heinrich Rengsdorf

Kurt Aland

mm Namenlos ist das Elend auf dieser Erde. ­Namenlos ist die Bosheit unter den Menschen. Die Finsternis liebt das ­Namenlose. Der Teufel liebt die Anonymität.

mm Und wer im Glauben von der wirkli­ chen Seligkeit weiß, die in der Teilhabe an Gottes Reich in Christus besteht, der wird weder von der eigenen ›Karriere‹ Letztes und Vollkommenes erwarten und sich selbst und die Verhältnisse überfordern, noch auch politisch eine Welt vollkommenen Friedens und Glücks zu schaffen suchen. Denn die Auferstehung, auf die er hofft, wird jegliches Karriereglück in den Schatten stellen; und das Leben im Reich Gottes wird auch noch so herrliche irdische Reiche an Herrlichkeit unendlich übertreffen, wie in Gottes Reich auch alle noch so elende Armut und Ungerechtigkeit ganz und gar auf­ gehoben und in den Reichtum derer, die Gottes Angesicht schauen, und in den Rechtsfrieden der Heilsgemeinde aus allen Völkern aller Zeiten verwandelt werden wird. »Gott alles in allem« (1.Korinther 15,28) – das wird mehr sein als alles, womit wir hier auf Erden beschäftigt sind, und als alle, mit denen wir hier umgehen.

Walter Lüthi

mm Der Terror muss sich tarnen, weil er allein zu abschreckend wäre und sich selbst so die Opposition ­schüfe. Des­ halb muss er das Blendwerk mitrei­ ßender Ideen zu Hilfe rufen. Er muss das Gegenteil dessen versprechen, was er ist. Er muss Freiheit sagen, wo er Versklavung meint, muss von Völ­ kerversöhnung reden, wenn er seine imperialistischen Ziele will, muss den Humanismus preisen, wenn er an die bloße Verwertbarkeit des Menschen im Produktionsprozess denkt, muss von Beglückung reden, wenn er das Leben gerade allen Zaubers beraubt und das den Mehltau des Grau in Grau auf uns niedersinken lässt. Helmut Thielicke

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Bischof i. R. Ulrich Wilckens

mm In jeder Ortsgemeinde ist die Gesamtkirche gegenwärtig.

Bischof i. R. Ulrich Wilckens

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»Die vergessenen Opfer« Eine Meditation zu Matthäus 2,13 bis 18 (in Anlehnung an Olivier Messiaen) Doch: Was der Mensch sät, das wird er ernten, denn Gott lässt sich nicht spotten (nach Galater 6,7) Walter Rominger

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er »Tag der unschuldigen Kinder« (28. Dezember) wird von der Kirche Jesu Christi in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum »Tag des Erzmärtyrers Stephanus« (26. Dezember, zweiter Christtag)1 begangen. Mit Bedacht wurde dieser Gedenktag, der im Bewusstsein der Mehrzahl gegenwärtiger Zeitgenossen wohl nicht vorhanden ist, in die Zeit von Christ­ geburt, Jahreswechsel und Erscheinungsfest gelegt. Seine Thematik indes und die dafür durchaus sinnvollerweise vorgesehene Perikope aus dem Neuen Testament2 scheinen nicht mehr in die Zeit und schon gar nicht in die so rührseligen und stimmungsvollen Tage von Weihnachten und »Zwischen den Jahren« zu passen, nicht zum Fest der Familie, wobei gerade in dieser Zeit Familienstreitigkeiten besonders häufig sind und heftig ausfallen wie auch die Zahl der Selbstmorde erschreckend hoch ist, was so gar nicht zu dieser Verklärung und Romantisierung des Weihnachtsfestes passt, dieser jedoch keinen Abbruch tun wird. Und auch Politiker werden wieder, wie in den Jahren zuvor, romantische, ja geradezu sentimental anmutende Gedanken in ihren wohl-

Walter Rominger Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30

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temperierten Ansprachen zu Weihnachten und Jahreswechsel zu Gehör bringen und nicht wenige aus der Geistlichkeit werden in ihren Predigten in diesen Tagen dem sicher nicht nachstehen, sehr wohl aber all das an sich Anstößige des Christfestes zu umgehen wissen (etwa verfolgte Christen, zweiter Christtag). Freilich, das Thema Flucht und Flüchtlinge wird auf der Agenda stehen, bei Politikern nicht weniger als bei »Geistlichen« und mitunter sogar unter Berufung auf Matthäus 2,13 bis 15 wird davon die Rede sein, auch Jesus sei Asylant gewesen. In diesem Jahr mag das Thema Flucht, Flüchtling, Asyl und die damit verbundene Not sogar vermehrt aufgegriffen werden, allein aufgrund dessen, dass Flüchtlinge aus Krisengebieten zu Tausenden nach Europa kommen (wollen), aber eben auch (reine) Wirtschaftsflüchtlinge. Selbst dann, wenn die Gefährlichkeit der Flucht nach Ägypten und die der Flüchtlinge, die über das Mittelmeer, die von gewissenlosen, geldgierigen Schlepperbanden auf nicht (mehr) seetaugliche Schiffe gelockt werden und dies nicht selten mit dem Leben bezahlen, was die hohe Zahl der Ertrunkenen belegt, eine Parallele aufweist, so ist sie dennoch unvergleichbar und darf nicht isoliert betrachtet werden, sondern nur zusammen mit den Folgeversen (Matthäus 2,16–18), dem »Kindermord des Herodes«, und dass der »Flüchtling« nach Ägypten eben einmalig ist und bleibt; einmalig in Sendung und Aufgabe, die ihm von Gott, seinem Vater, zugedacht sind. Diese Flucht war von heilsgeschichtlicher Bedeutung, die der tausendfach Geflohenen war und ist das nicht. So wird zwar die Verbindung von damals und heute für den ersten Teil hergestellt (Matthäus 2,13–15), aber nur selten die Aktualität des zweiten, der so DEZEMBER 2015

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Im Jahr 1930 schuf der französische Komponist Olivier Messiaen (1908–1992) sein Orchesterwerk »Les Offrandes oubliées« – Die vergessenen Opfer.

überaus deutlich macht, weshalb die Flucht des Gottessohnes sein musste – und wie vielfach solcher Kindermord in unserer gegenwärtigen Zeit und Welt geschieht. Das ist fast vollständig aus dem Bewusstsein verschwunden. Die im Mutterleib Getöteten sind »Die vergessenen Opfer« (in Anlehnung an einen berühmten Musiktitel Olivier Messiaens, wobei es dort um etwas anderes geht).

»Der stumme Schrei« -– und dennoch bei Gott erhört »Irret euch nicht! Gott lässt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten« (Galater 6,7) An das Sterben Tausender durch Abtreibungen wird kaum gedacht. Das nach außen so lautlose weltweite Töten schreitet ungehindert voran. »Der stumme Schrei« (Titel eines AntiAbtreibungsfilmes) wird eben nicht gehört und deshalb bei den Menschen auch nicht erhört, wohl aber bei Gott. Der Mutterschoß, der der sicherste Platz dieser Welt sein sollte, weil die, die darin heranwachsen, die Schwächsten selbst der Schwachen sind, ist zum wohl gefährlichsten geworden, wie durchaus Kenner versichern – er steht, was die Gefahr, die lauert, der zugegebenermaßen gefahrvollen Überfahrt in nicht seetauglichen Schiffen über das Mittelmeer an die Gestade Südeuropas keineswegs nach. Tödlich kann beides sein. Doch wer sich zum Anwalt der Wehrlosesten macht, läuft bereits in einem sich als Rechtsstaat bezeichnenden Gemeinwesen Gefahr, angegriffen zu werden vom Mob so genannter Autonomer und ähnlicher anti­ humaner Vertreter und Gruppen. Wobei diese zumindest teilweise gerade solches bestreiten INFORMATIONSBRIEF 295

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und für sich reklamieren, im Zeichen des Humanismus zu handeln, wiewohl beispielsweise »Mitmarschierer« beim seit mehr als einem Jahrzehnt immer im September in Berlin stattfindenden »Marsch für das Leben«, an welchem einige Tausend teilnehmen, von Behinderung und nötigem Polizeischutz zu berichten wissen. Oder Gerichte verbieten gar bestimmte Formen des Protests gegen das massenweise Töten, wie dies Lebensschützern schon widerfahren ist (etwa bei so genannten Gehsteigsberatungen vor Abtreibungspraxen und -kliniken), womit in eklatanter Weise zumindest in moralischer Hinsicht, aber eben nicht nur (sondern auch in juristischer), dem Unrecht zum Recht verholfen ist. Und findet ein Abtreibungsarzt, der seine angemieteten Praxisräume verliert, keine neuen und kann damit offensichtlich nicht weiter praktizieren, wie dies in der Hauptstadt des »Musterländles« geschehen ist, wobei Stuttgarts Oberbürgermeister und der für Krankenhäuser zuständige Bürgermeister prominente Vertreter der »Grünen« sind. Lange ist es her, seit im Erzbistum Fulda zum »Tag der unschuldigen Kinder« die Glocken katholischer Gotteshäuser erklangen, um auf dieses Unrecht, auf dieses tausendfache Töten im Mutterleib und als Protest dagegen, aufmerksam zu machen. Denn der Initiator dessen, Erzbischof Johannes Dyba, ist längst heimgegangen und dessen Nachfolger hat anscheinend nicht mehr den Mut aufgebracht, dies weiterzuführen; evangelische Kirchenobere haben sich dem leider nie angeschlossen, bringt doch von diesen nicht einmal einer, mit Ausnahme des derzeitigen Bischofs der (kleinen) Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), der auch schon als Prediger bzw. Liturg mitgewirkt hat, 7


den Mut auf, am »Marsch für das Leben« teilzunehmen; sie distanzieren sich eher noch davon. Doch ohne Folgen bleibt das alles nicht. So ganz falsch war des großen deutschen Dichters (Johann Wolfgang von Goethe) gewaltiges Wort denn nicht: »Alle Schuld rächt sich auf Erden« (auch wenn es nicht alle ist, sondern ein – evt. noch gehöriger – Rest aufbewahrt bleibt, der aber dem Gericht Gottes nicht entgehen wird); aber noch weit besser ist das des Völkerapostels: »Gott lässt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten« (Galater 6,7). Die Folgen werden bereits jetzt spürbar: Kindermangel – die Millionen Abgetriebenen fehlen;3 und so wird zwar lautstark der drohende (Fach)Arbeitermangel beklagt, wird das Szenario eines drohenden Kollapses der Sozialsysteme in grellen Farben gemalt und die Überalterung der Gesellschaft beschworen, aber dennoch nicht tatkräftig dagegen angegangen, wiewohl aus der Geschichte doch nur zu bekannt sein dürfte, wie vergreiste Gesellschaften verarmen; statt zutreffenderweise vom demographischen Kollaps oder gar einer bevorstehenden demographischen Katastrophe zu sprechen, wird stattdessen diese katastrophale Entwicklung beschönigend demographischer Wandel genannt, und wird ein semantischer Betrug begangen durch die Redeweise, es seien zu viele alte Menschen da – nein: keineswegs zu viele Alte, aber viel zu wenige Junge; dadurch wird jedoch, psychologisch geschickt gemacht, über die Länge der Zeit eine latente Altenfeindlichkeit erzeugt. Es sind in EU-Gremien gar Bestrebungen im Gange, ein Recht auf Abtreibung einzurichten. Die Menschenrechtsorganisation »amnesty international« (ai) möchte Abtreibung zum Menschenrecht erheben – eine doch recht sonderbare Menschenrechtsauffassung. Was in früherer Zeit noch verboten war (und dies nach geltendem deutschen Recht immer noch ist, wiewohl Abtreibung zumindest in den ersten drei Monaten keine Ahndung erfährt, was allein schon logisch widersinnig ist) und deshalb unter Strafe stand, das soll nun gar zum Recht werden: zum Himmel schreiendes Unrecht soll zum Recht erklärt werden, worauf Anrecht und Anspruch bestehen; das Auslöschen der Allerschwächsten gewissermaßen zu einem Menschenrecht – wobei doch Mord nicht verjährt; und bei so vielen die abgetrieben haben, nicht gerade selten negative physische und noch mehr psychische Folgen wie etwa Depressionen und (versuchter) Selbstmord oder doch der quälende Gedanke daran, nicht ausbleiben, womit diese dann aber recht häufig allein gelassen werden. All das an sich Widersinnige verstehe wer will! 8

Einer für alle Indes, Klage und Anklage allein helfen noch nicht wirklich weiter. Deshalb sei der Blick auf die heilsgeschichtliche Bedeutung der Flucht Jesu gelenkt, was für keine andere so gilt, wobei die Bibel sehr wohl auch von einer solchen anderer zu berichten weiß: etwa bei Mose (2.Mose 2,11–25; 3ff.); doch Jesus ist mehr als Mose. Eine heilsgeschichtliche Bedeutung hat die der tausendfach Geflohenen nicht und hatte sie nie. Es ist eben die heilsgeschichtliche Bedeutung, weshalb Gott Jesus, seinen Sohn, der diesen Namen trägt, weil er es ist, der »sein Volk von ihren Sünden« »retten« »wird« (Matthäus 1,21) für diesmal noch rettet vor den Nachstellungen eines Königs von Roms Gnaden, der um seine ihm verbliebene Macht fürchtet; denn die Sendung des Sohnes Gottes ist zwar erfolgt, aber noch nicht zu ihrem Ziel gelangt. Für diesmal ist es noch wie bei Isaaks Opferung (1.Mose 22,1–19), die Abraham im Gehorsam gegenüber Gottes Befehl im Begriffe ist, auszuführen, welche jedoch Gott selbst im letzten Augenblick verhindert und dann anstelle Isaaks einen Widder zum Opfer bestimmt (1.Mose 22,11–13). Für diesmal sterben um des einen willen all die vielen »unschuldigen Kinder« Bethlehems; später, das ist das Ziel der Sendung des Gottessohnes, gibt der eine »sein Leben als Lösegeld für viele [alle]« (Markus 10,45). Doch der Leidensweg, der ihn zum Ziel seiner Sendung führt, ist damit bereits vorgezeichnet, ja hat bereits an seinem ersten Tag begonnen, wird er doch in einem Stall geboren und in eine Krippe gelegt (Lukas 2,1–7) und muss dann, kaum geboren, als Kleinkind auf die Flucht. Jahre später, inzwischen zum Mann in den besten Jahren gereift, ist es an sich kaum anders geworden, so dass der Sohn Gottes von sich sagen kann: »Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege« (Matthäus 8,20). So tief, ja noch weit tiefer, erniedrigte sich der, »der in göttlicher Gestalt war«, der »Knechtsgestalt annahm« und Gott, seinem Vater, »gehorsam ward bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz« (Philipper 2,7f.). Das war gut 30 Jahre nach der »geglückten« Flucht nach Ägypten. Doch dann, auf dem Schindanger Jerusalems, auf dem Hügel Golgatha vor der Stadt, dieser berüchtigten Schädelstätte, wo entlaufene Sklaven und gegen die römische Besatzungsmacht Opponierende durch die bestialische Hinrichtung am Kreuz, worüber man nach Auskunft des Philosophen Marcus Tullius Cicero (106–43 v. Chr.) weDEZEMBER 2015

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Die heilsgeschichtliche Bedeutung der Flucht Jesu macht diese einzigartig. Ein Teil des Aggsbacher Altars zeigt Jörg Breus Gemälde »Flucht nach Ägypten« (1501). gen deren Grausamkeit nicht einmal öffentlich sprach, ihr Ende finden, lässt er sein Leben und bittet Gott seinen Vater für seine Widersacher – und das sind ausnahmslos alle Menschen: »Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun« (Lukas 23,34; vgl. Jesaja 53,12 und Markus 15,28). In Bethlehem starben alle bis zweijährigen an seiner Statt; 30 Jahre danach in Jerusalem lässt er, noch einmal sei’s gesagt, der einzige, der von »keiner Sünde weiß« (2.Korinther 5,21), »sein Leben als Lösegeld für viele« (Markus 10,45) – für die Sünden ausnahmslos aller. Der einzig Sündlose stirbt für die Sünder, »der Gerechte für die Ungerechten« (1.Petrus 3,18). Mit ihm starb die Sünde der Sünder. Ja, er starb damit auch für die, die die Frucht des Leibes töten, sei’s, dass sie solches für sich verlangen und an sich vollziehen lassen oder andere zu diesem Schritt geradezu drängen, womit eher die Männer angesprochen sind, die die ganze Thematik insofern gar nicht von sich schieben können, da sie doch am »Zustandekommen« der Leibesfrucht auch recht aktiv beteiligt sind; und auch für die, die solche Tötungen ausführen in ihren Praxen. Keine Sünde ist zu groß, als dass das stellvertretende Sterben Jesu zur Versöhnung mit Gott nicht ausreichte, sie zu sühnen.4 Freilich, die Bedingung gilt auch hier: So sie umkehren und um Vergebung bitten, so sie, wie es im Katechismus so treffend heißt: die Sünde hassen und lassen – und somit umkehren in die offenen Arme Gottes. An Gottes Gnade fehlt es nicht, wenn ernsthaft Buße getan wird, wie ja, so Martin Luther, das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll (1. These gegen den Ablass, 31. Oktober 1517). Unter dieser BedinINFORMATIONSBRIEF 295

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gung ist niemand ausgeschlossen. Aber gerade daran, diese Bedingung anzunehmen, fehlt es so häufig – und so wird gerade darin zunächst wider besseres Wissen »mutwillig gesündigt« (Hebräer 10,26) und mit der Zeit eventuell gar aus Gewohnheit, ohne dass deswegen noch das Gewissen reagierte, was dann aber bereits Strafe Gottes ist (Dahingabe, vgl. etwa Römer 1,24.26.28), deswegen im Gericht aber nicht ungestraft bleibt, sondern ein hartes, jedoch gerechtes Gericht Gottes heraufbeschwört. Gott ist beides ganz und gar: »ein Backofen voller Liebe« (Luther), aber gerade deswegen auch ein unbestechlicher, gerechter Richter. Für den, der nicht umkehrt, »ist es schrecklich, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen« (Hebräer 10,31), des Gottes, der für die, die »mutwillig sündigen«, »ein verzehrendes Feuer ist« (Hebräer 12,29). Das aber lässt so manche Kindstöter »alt aussehen« – wenn auch nicht nur solche, so doch eben auch diese. W 1) Vgl. dazu Informationsbrief Nr. 289 vom Dezember 2014, S. 6–8. 2) Matthäus 2,13–18, die neutestamentliche Lesung für diesen Tag, nach: »Lesungen der Heiligen Schrift im Kirchenjahr. Lektionar für alle Tage«, neu herausgegeben im Auftrag der Liturgischen Konferenz in der Evangelischen Kirche in Deutschland. 3) Die Organisation »Pro Leben« hat ermittelt, dass in den noch nicht einmal 40 Jahren von 1974 bis 2012 allein in Deutschland fünf Millionen Kinder grausam, durch vorgeburtliche Kindstötung, abgetrieben worden sind. Die Dunkelziffer dürfte freilich weit höher sein. Angaben nach einem Leserbrief in der Regionalzeitung »Zollern-Alb Kurier« vom 9. Mai 2015. 4) Auf die von Jesus erwähnte, so schwer zu verstehende nicht vergebbare Sünde gegen den Heiligen Geist (Matthäus 12,31: »Alle Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben; aber die Lästerung gegen den Heiligen Geist wird nicht vergeben«, vgl. auch Markus 3,28f.; Lukas 12,10) soll und braucht hier nicht eingegangen zu werden.

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Der Mensch als Bild und Gleichnis Gottes und die Leit- und Leidbilder des Menschen Zur Gleichstellungsideologie des »Gender-Mainstreaming« Reinhard Slenczka

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ie haben ein höchst aktuelles und brennendes Thema ausgewählt. Es ist im rechten Verständnis ein dogmatisches Thema. Aber dazu muss man wissen: Dogma ist ein Reizwort; dogmatisch ist ein Schimpfwort. Hingegen erscheint es in Gesellschaft und Kirche als ein Vorzug, gegen Dogmen und undogmatisch zu sein. Doch gerade ein solcher Antidogmatismus ist das deutlichste Kennzeichen für Dogma, indem behauptet wird: Das ist doch so, wie ich das meine. Man versteht Dogma, zumal im kirchlichen Bereich, als Vorschrift, deren Anerkennung im Glauben gefordert wird. Allerdings: Wir glauben nicht an Dogmen, sondern was wir glauben, das ist unser Dogma. Die Wirklichkeit des Dogmas und des Dogmatischen liegt in den Abgründen unserer Bewusstseinsinhalte und Urteilsmaßstäbe. Das ist der Bereich in jedem Menschen, bei dem es um Bewusstsein, Gewissen, Überzeugung, um Herz und Sinn, Gefühl, Meinung, Geschmack und dergleichen, mithin im weitesten Sinn um Glauben geht. In diesem schwer zu fassenden Bereich sind wir Menschen verletzlich und können daher auch verletzend werden. Mit Hilflosigkeit und Empörung stehen wir diesen Erscheinungen in unserer Gegenwart gegenüber. Diese Hilflosigkeit kommt auch darin zum Ausdruck, dass ständig nach Toleranz und Respekt

Reinhard Slenczka Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30

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gerufen wird, um die in der Gesellschaft aufbrechenden Konflikte zu bewältigen. Doch auf diese Weise werden, und das zeigt sich gerade bei unserem Thema mit aller Deutlichkeit, lediglich neue Dogmen durchgesetzt, und dies meist mit erheblichem Zwang. Deshalb ist es nötig, für unser Thema folgendes zu beachten: Die Trennung von Staat und Kirche nach der Weimarer Reichsverfassung von 1919 (Art. 137: »Es besteht keine Staatskirche«) bedeutet bei uns lediglich, dass die Kirchenverwaltung nicht mehr durch staatliche Konsistorien und einen staatlichen Summepiscopus, sondern durch die Kirchen selbst durchgeführt wird. Also: Kirchenverwaltung geschieht nicht durch den Staat, sondern durch die Kirchen selbst. Religion ist jedoch keineswegs auf die christliche Kirche begrenzt. Seit dem Altertum gibt es eine so genannte »politische Theologie«, die auch als »Zivilreligion« bezeichnet werden kann. Dabei handelt es sich um die Elemente, die eine politische Gemeinschaft verbinden und tragen, also etwa die Grundlagen von Recht und Sitte, Werte, Sprache, Geschichte, National­ hymnen, Fußballnationalmannschaften, Fahnen, nicht zu­letzt die Volksmeinung. Insgesamt geht es hier um Furcht und Hoffnung (Rudolf Otto: tremendum  –  fascinosum). Manche ­Erscheinungen in diesem Bereich werden auch direkt als politische Religiosität bezeichnet, etwa die Weltanschauung bestimmter Parteien mit ihrem Anspruch, aber auch mit ihrer Gegensätzlichkeit. Religion ist also ein wesentlich weiterer Bereich als Kirche und christlicher Glaube. Eine Trennung von Staat und Kirche bedeutet daher niemals auch eine Trennung von Staat und Religion; denn ein Staatswesen ist als solches eine religiöse Erscheinung, insofern es dabei um tragende und verbindende Werte, Normen und Ordnungen geht. Wenn diese fehlen oder zerbrechen, zerfällt auch die staatliche Gemeinschaft. Dieser Hinweis ist zum DEZEMBER 2015

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Verständnis des Weiteren nötig, auch wenn er vorzugt werden.« Da dies unbestritten geltendes nicht weiter vertieft werden kann. Wie aktuell Recht ist, ist zu fragen, welches besondere Intedas jedoch ist, wird jeder wissen. resse hinter dem GM steht. Bei der Behandlung dieses Themas Gender Die Antwort auf diese Frage gibt das in Mainstreaming (GM) ist für den Referenten Deutschland und entsprechend in anderen ebenso wie für die Zuhörer zu beachten: Jeder Ländern sowie in der Europäischen GemeinMensch hat seinen Glauben; jeder Mensch hat schaft neu eingeführte »Allgemeine Gleichstelauch seinen Gott. Denn, so lehrt lungsgesetz« (AGG, kurz auch Luther in der Auslegung des Ers- mm »Ziel des Gesetzes »Antidiskriminierungsgesetz«) ten Gebots im Großen Katechis- ist, Benachteiligun­ vom 14. August 2006. Hier mus: »Das Trauen und Glauben heißt es in der deutschen Fasdes Herzens macht beide, Gott gen aus Gründen der sung: »Ziel des Gesetzes ist, Beoder Abgott […]. Worauf Du Rasse oder wegen der nachteiligungen aus Gründen der nun dein Herz hängst und verläsRasse oder wegen der ethnischen ethnischen Herkunft, sest, [zu ergänzen: und wovor du Herkunft, des Geschlechts, der Redich fürchtest], das ist eigentlich des Geschlechts, der ligion oder Weltanschauung, eidein Gott.« Es geht also nicht da- Religion oder Weltan­ ner Behinderung, des Alters oder rum, ob Gott ist oder nicht, sonder sexuellen Identität zu verhinschauung, einer Behin­ dern oder zu beseitigen.« dern was mein Gott ist. derung, des Alters oder Damit wird deutlich, dass Was ist »Gender der sexuellen Identität die in der Verfassung garantierten Grundrechte durch die ­Mainstreaming«? zu verhindern oder zu Hintertür des Arbeitsrechts er»Gender« ist die englische beseitigen.« m gänzt werden durch die »sexuelle Bezeichnung für das gramma- Damit wird deutlich, Identität«. Außerdem ist zu betische Geschlecht, also Genus merken: Dieses Gesetz hat ausoder Gattung, im Unterschied dass die in der Ver­ drücklich nicht nur eine prävenzum biologischen Geschlecht fassung garantierten tive Funktion, die darin besteht, »sex«. »Mainstreaming« bezeichzu verhindern. Es hat Grundrechte durch die Straftaten net eine Hauptströmung, in die vielmehr eine produktive Funktiverschiedene Nebenströme ein- Hintertür des Arbeits­ on, Unterschiede zu »verhindern fließen können. Nach dem eng- rechts ergänzt werden oder zu beseitigen«. Im Klartext: lischen Wortlaut handelt es sich Gesellschaft soll durch dieses Gealso um einen Vorgang, eine Be- durch die »sexuelle setz verändert werden. wegung, die darin besteht, dass Identität«. Eine derartige Gesellschaftsverschiedene Gattungen in eiveränderung vollzieht sich seit nem Strom zusammenfließen. Jahren in der westlichen Welt. Ich frage: Ist es Sowohl im Englischen, aber auch angesichts nicht das Kennzeichen von Diktatur, wenn ein der Unmöglichkeit, eine passende deutsche bestimmtes Bild vom Menschen und von der Über­setzung zu finden, ist das Wort eine Tarn- Gesellschaft, also eine Ideologie, durchgesetzt kappe, unter der sich höchst unterschiedliche wird, wenn alle bisher geltenden Grundlagen Bewegungen und Interessen verbergen. Die im Bereich von Ehe und Familie zunächst mit Leiterin des neuen Gender-Zentrums der EKD, stillem Druck und Propaganda und dann mit Claudia Janssen, bezeichnet GM durchaus tref- offenem Zwang und durch Gesetzgebung verfend als einen »großen Container, in den Leu- ändert, ja aufgehoben werden? Eine Diktatur te ganz viele Inhalte reinlegen«.1 Unwillkürlich findet in ihren Anfängen nach aller Erfahrung denkt man doch dabei an einen Abfallcontainer. aus manchen Gründen begeisterte Anhänger. Es geht bei dem GM keineswegs einfach Späterer Widerstand aber ist höchst gefährlich. um die »Gleichheit vor dem Gesetz«. Die ist in Die Straffolgen aus der Übertretung von GotArtikel 3 unseres Grundgesetzes vom 23. Mai tes Geboten sind jedoch unausweichlich. In 1949 festgelegt und demnach gilt: »1. Alle Men- Deutschland hatte man das nach 1945 deutlich schen sind vor dem Gesetz gleich. 2. Männer und erkannt und auch bekannt; doch solche ErfahFrauen sind gleichberechtigt. 3. Niemand darf rungen werden in der Geschichte immer wieder wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, schnell vergessen und verdrängt. seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Der Inhalt dieses Gesetzes bezieht sich leHerkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder diglich auf das Arbeitsrecht. Dabei gibt es nach politischen Anschauungen benachteiligt oder be- § 8 sowie § 20,4 eine »zulässige unterschiedliche INFORMATIONSBRIEF 295

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Behandlung wegen der Religion und WeltanDabei ist unübersehbar, wie die von Gott schauung«. Das heißt: Es ist keine Übernahme geschaffene natürliche Ordnung der lebenslanvon den Kirchen gefordert. Eine Ordination gen Ehe von Mann und Frau zur Zeugung und von Frauen zum geistlichen Amt kann also nicht Erziehung von Kindern nunmehr persönlichen nach staatlichem Recht erzwungen werden. Da­ Wünschen zu individueller Triebbefriedigung zu ist auch zu beachten: Das kirchliche Amt ist übergeben wird, vorausgesetzt, wie es in kirchkein Rechts- und Versorgungsanspruch, etwa lichen Erklärungen heißt, dass in »Verbindlichnoch mit Stellenteilung und keit, Verlässlichkeit und Treue Teilzeit, sondern Dienst, ja mm Das strikte, apodikti­ gelebt wird«, – eine recht naive Sklavendienst. Das kirchliche sche Verbot Gottes: »Du Forderung, wenn man weiß, Amt der Diakonissen ging verwas unter Menschen nicht nur loren oder wird sogar verach- sollst nicht ehebrechen« möglich ist, sondern geschieht. tet. Ebenso kann eine Segnung – nach dem hebräischen Schon hier zeigt sich das Ideal von gleichgeschlechtlichen Part- Wortlaut heißt das de­ einer paradiesischen Unschuld, nerschaften oder deren Zusamvon der nach dem Sündenfall menleben im Pfarrhaus nach zent ausgedrückt: »Du keine Rede mehr sein kann. diesem Gesetz nicht gefordert sollst nicht beliebig dei­ Das strikte, apodiktische werden. Wie kann man denn Verbot Gottes: »Du sollst nicht nem Trieb folgen« –, wird ehebrechen« – nach dem heauch segnen, worauf nach Gotersetzt durch eine milde tes Wort kein Segen ruht? bräischen Wortlaut heißt das Wo solche Bestimmungen Empfehlung zu einer dezent ausgedrückt: »Du sollst in kirchliches Recht aufgenomnicht beliebig deinem Trieb folmen und durchgesetzt wer- freundlichen Verhaltens­ gen« –, wird ersetzt durch eine den, erliegt man in kirchlichen weise, die voraussetzt, milde Empfehlung zu einer Gremien und Leitungsämtern dass Menschen immer freundlichen Verhaltensweise, ohne gesetzlichen Zwang, jedie voraussetzt, dass Menschen doch unter dem starken Druck nur das Gute wollen und immer nur das Gute wollen und Einfluss der öffentlichen tun – oder aber: dass im­ und tun – oder aber: dass imMeinung und den auch in den mer das gut ist, was eine mer das gut ist, was eine Mehrkirchlichen Organen vertreteheit wünscht und tut. nen Interessengruppen dem Mehrheit wünscht und Wie stark sich diese BeRuf der Stunde, den Forderun- tut. wegung in unser Bewusstgen der Zeit. Seit jeher sind die sein bereits eingegraben hat, Kirchen eine gesuchte Plattform, um in der Öf- zeigt sich in der Selbstverständlichkeit, mit der fentlichkeit Einfluss zu gewinnen. Heterosexu­ ali­ tät ebenso wie Homosexualität Die Bewegung des GM zielt ausschließlich sprachlich als gleichwertige Formen menschliauf eine Gleichstellung sexueller Identität und cher Triebbefriedigung angesehen werden. Es auf eine aktive Beseitigung biologischer Un- wird überhaupt nicht mehr bemerkt, wie sich terschiede, die nicht als Schöpfungsordnung dahinter alle möglichen und unmöglichen Perangesehen werden, sondern als willkürliche versionen verbergen, die mindestens nach dem menschliche Gestaltung und Verhaltensweise. Wort Gottes bislang als »widernatürlich« (RöWelche Nebenströme in einen solchen Haupt- mer 1,26) angesehen wurden. Jeder Einwand strom einfließen, hat sich in letzter Zeit ständig wird mit der Keule »Homophobie« abgeschmetgezeigt, indem aufgedeckt wird, welche Interes- tert. sen von Personen und Gruppen seit JahrzehnDoch kann man übersehen, wie tagtäglich ten am Werk sind, um Anerkennung für ihre und geradezu als Begleiterscheinung fortschrittsexuellen Phantasien und Vorlieben durchzu- licher Emanzipation von Fällen und Verfahren setzen, gezielt und erschreckend im Sexual- zu Miss­brauch, zu physischen (Gesundheit) und kundeunterricht in Kindergärten und Schulen: psychischen Schädigungen in diesem Bereich zu Konkubinat (Ehe ohne Trauschein und ohne lesen ist? Dabei versuchen Rechtsprechung und den Se­gen Gottes), Homosexualität, Päderastie Gesetzgebung die schlimmen Folgen aus der (Missbrauch von Kindern). Übertretung des Sechsten Gebots aufzufangen. Im Grunde geht es darum, eine willkürliche Wer die Geschichte kennt, der weiß, dass Beliebigkeit sexueller Triebbefriedigung im of- solche Auffassungen und Praktiken keineswegs fenen Widerspruch zu einer seit Jahrhunderten neu sind, sondern in vielen Kulturen und Zeigewahrten christlichen Eheordnung durchzu- ten vorkommen. Die christliche Kirche hat sich setzen. jedoch seit ihren Anfängen immer wieder deut12

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lich von Konkubinat (Ehe ohne Trauschein), Homosexualität und Päderastie abgegrenzt, weil das gegen Gottes Willen und Ordnung ist, also, wie der Apostel Paulus schreibt: »widernatürlich« (Römer 1,26). Dies alles widerspricht dem klaren Gebot Gottes; wie kann es dann unter dem Segen Gottes stehen und gesegnet werden? Gottes Wort sagt eindeutig: »Die solches tun, werden das Reich Gottes nicht erben« (1.Korinther 6,9; Galater 5,21). Was aber geschieht, wenn nun nicht allein in der EKD, sondern in vielen protestantischen Kirchen in Amerika und Europa, Beschlüsse gefasst und Erklärungen abgegeben werden, nach denen diese eindeutigen Gebote und Ordnungen Gottes keine Geltung mehr haben sollen, sondern von der gesellschaftlichen Entwicklung des GM aufgehoben werden? Damit haben wir uns zu beschäftigen, dabei bedenkend, dass Gottes Schöpfungsordnung für alle Menschen gilt, dass sein Gericht über Lebende und Tote nach seinem Gesetz für alle Menschen gilt. Dabei geht es um das, was nach Gottes Willen für uns Menschen heilsam ist, was vor Strafen, materiellem und seelischem Schaden und schließlich nicht zuletzt und gerade auf diesem Gebiet der Sexualität, vor Krankheiten schützt. Wo aber Menschen meinen, Gottes Gebote ändern oder aufheben zu können, setzen sie sich selbst an die Stelle Gottes. Die wahre Kirche, die Gottes Wort und sein Handeln in Gnade und Gericht kennt und allen Völkern zu verkündigen hat, ist dabei nicht auf sich selbst begrenzt. Sie ist vielmehr das Gewissen der Gesellschaft oder, wie der Herr sagt: »Salz der Erde, Licht der Welt, eine Stadt auf dem Berge« (Matthäus 5,13–16). Das ist jeweils eine oft unscheinbare Minorität, deren Wirkung meist erst dann wahrgenommen wird, wenn eine Speise geschmacklos ist, wenn man im Dunkel überall anstößt, wenn man in wegloser Wüste keine Orientierung hat. »Wenn das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen. Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten« (Matthäus 5,13). Darum geht es im Weiteren.

Nur der Teufel lernt aus der Geschichte Einer meiner theologischen Lehrer, Peter Brunner, hat einmal die Frage gestellt, ob man aus der Geschichte lernen könne. Seine Antwort: »Aus der Geschichte lernt nur der Teufel, nämlich wie man es anstellen muss, dass die Menschen immer wieder auf dieselben Fehler hereinfallen.« INFORMATIONSBRIEF 295

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Peter Brunner: »Aus der Geschichte lernt nur der Teufel, nämlich wie man es anstellen muss, dass die Menschen immer wieder auf dieselben Fehler hereinfallen.« Was unter der Tarnkappe von GM geschieht, kann man mit empörtem Protest ablehnen, wenn man hört, wie die Anrede Gottes willkürlich nicht nur in Gottesdiensten, sondern in einer ganzen Bibelübersetzung, die sich als »Bibel in gerechter Sprache« anpreist, gegen alle Regeln der Philologie aber unter dem Zwang einer Ideologie in männlich-weibliche Bezeichnungen (»Vater/Mutter unser«) geändert wird. Oder wie die von Gott gestiftete Ehe kirchenamtlich aufgelöst wird mit der Behauptung, so etwas gebe es nicht in der Heiligen Schrift. Man kann das auch der Lächerlichkeit preisgeben angesichts der verbreiteten Sprachverhunzungen bis hin zu der aus der Schweiz kommenden Forderung, statt Vater und Mutter Elter 1 und Elter 2 zu sagen, oder dass im Kirchenamt der EKD in Hannover geschlechtsneutrale Toilettenbezeichnungen eingeführt wurden. Noch peinlicher aber ist es, wenn man sieht, wie 80 Jahre nach der 1. Bekenntnissynode von 1934 in Barmen-Gemarke dieselben Fehler wieder auftauchen, die in der Barmer Theologischen Erklärung nicht politisch gegen den Nationalsozialismus, sondern theologisch gegen das Eindringen einer vom Nationalsozialismus bestimmten politischen Religiosität in die Kirche durch die Deutschen Christen abgelehnt wurden. In der Präambel dieser Erklärung heißt es, dass die Gemeinsamkeit des Bekenntnisses und damit die Einheit der Kirche aufs schwerste dadurch gefährdet ist, »dass die theologische Voraussetzung, in der die Deutsche Evangelische Kirche vereinigt ist […] dauernd und grundsätzlich durch fremde Voraussetzungen durchkreuzt und unwirksam gemacht wird. Bei deren Geltung hört die Kirche nach allen bei uns in Kraft stehenden Bekenntnissen auf, Kirche zu sein.« Die Barmer Theologische Erklärung vom 31. Mai 1934 richtete sich keineswegs auf eine 13


politische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, sondern gegen das Eindringen gesellschaftspolitischer Forderungen zur Umgestaltung der Kirche durch die Deutschen Christen: Einheitskirche, Beseitigung jüdischer Elemente aus der Pfarrerschaft, aus Liturgie, Gesangbuch und Bibel, alles mit dem Ziel, ein »artgerechtes Christentum« völkischer Prägung einzuführen. Dazu wurden auch mehrere Forschungsinstitute z. B. in Eisenach und Tübingen eingerichtet, um diese Ideologie in der Kirche auch wissenschaftlich durchzusetzen. Auslösendes Moment war damals das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« (kurz »Arierparagraf«) vom 7. April 1933. Auch hier war keine Anwendung auf die Kirchen vorgesehen oder gefordert. Doch die Generalsy­ node der Altpreußischen Union hat damals mit Beschluss vom 6. September 1933 das staatliche Gesetz eilfertig in kirchliches Recht übernommen. Es folgten entsprechende Beschlüsse der Synoden von Braunschweig, Sachsen, Lübeck und 1934 Hessen-Nassau. Dazu bestand auch damals für die Kirchen keinerlei politische Nötigung, und eine Reihe von Theologischen Fakultäten, darunter auch die Erlanger, hatten in ihren Gutachten eine Übernahme von staatlichem in kirchliches Recht abgelehnt. Doch man folgte nicht theologischer Einsicht, sondern dem Ruf der Stunde und den Forderungen der Zeit. Damit begann 1933 der Kirchenkampf mit der Gründung des Pfarrernotbundes und danach der Bekennenden Kirche. Man muss heute feststellen, dass fortlaufend seit Jahrzehnten durch die Kirchenverwaltungen in der EKD (ich spreche ausdrücklich nicht von Kirche) die Bewegung des GM unterstützt und in kirchlichen Erklärungen, Beschlüssen und Gesetzen aufgenommen und bei Widerspruch und Kritik auch mit Zwangsmaßnahmen durchgesetzt werden. Das geschieht nicht nur in Deutschland, sondern ebenso in den skandinavischen und in amerikanischen Kirchen. Es besteht eine Kirchenspaltung. Was 1933 die Forderung eines »artgerechten Christentums« war, ist heute der Auftrag für das eilig von der EKD am 7. April 2014 gegründete »Studienzentrum für Genderfragen in Kirche und Theologie« dafür zu sorgen, »Kirche geschlechtergerecht zu gestalten« (so der damalige Ratsvorsitzende Schneider). »Das Studienzentrum für Genderfragen in Kirche und Theologie will zur Gestaltung einer Kirche beitragen, in der die Vielfalt menschlicher Begabungen auf allen Ebenen unabhängig von Geschlechtsrollen und Geschlechtsidentitäten zum Tragen kommt.« So heißt es in der Ordnung dieses Zentrums. 14

In den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es immerhin noch einige so genannte »intakte« Landeskirchen, bei denen die Kirchenleitung nicht von den Deutschen Christen beherrscht wurde. Heute gibt es innerhalb der EKD keine Kirchenleitung, aber auch keine Theologische Fakultät, die sich den Zwängen dieser gesellschaftspolitischen Bewegung entzieht und dagegen protestiert. Die Kirchenspaltung jedoch vollzieht sich innerhalb der Kirchen und zwischen ihnen.

Das Ringen zwischen wahrer und falscher Kirche, zwischen Geist und Fleisch, zwischen Kirche und Welt Es ist leicht, die Bewegung des GM als Unfug anzusehen, wenn behauptet wird, der Unterschied von männlich und weiblich sei nicht von Gott gegeben oder in der Natur angelegt, sondern durch Erziehung – oder Verführung – willkürlich zu entwickeln. Doch das Problem liegt tiefer, und das zeigt sich an der Schärfe der Gegensätze, die innerhalb der Kirche, aber darüber hinaus zwischen den Kirchen, in der Gesellschaft und global zwischen Völkern und Kulturen ausgelöst werden. In globalem Maßstab betrifft sie das Verhältnis von West- und Osteuropa, von Christentum und Islam, von Europa und Afrika bzw. Asien. Ich habe während acht Jahren in Lettland, aber auch bei Aufenthalten in Afrika, selbst erlebt, mit welchen politischen, moralischen und materiellen Pressionen diese Ideologie in Gesellschaft und Kirche vor allem auch durch kirchliche Instanzen aus Deutschland und Skandinavien aufgezwungen wird. Immerhin hat man in Ost­ europa nicht nur in Erinnerung, sondern bis heute vor Augen, welche Folgen die Zerstörung von Ehe und Familie in den Anfängen der Sowjet­revolution gehabt hat unter dem frühsozialistischen Programm einer sozialen und sexuelle Emanzipation der Frau mit dem Ziel, sie »nicht auf Küche und Kochtopf zu beschränken« und dazu »freie«, also durch Ehe nicht gebundene Liebe.2 In den dreißiger Jahren schon wurden daher in der Sowjetunion energische Gegenmaßnahmen ergriffen. Wenn das GM gerade in Ost­ europa abgelehnt wird, so geschieht das keineswegs aus Rückständigkeit, sondern aus bitterer Erfahrung, deren Folgen man bis heute spürt, in die man uns hier im Westen hineinzwingt. Die Gegensätze sind von außerordentlicher Schärfe, zumal wo diese Ideologie in die Kirche eindringt und sogar von Kirchenverwaltungen mit Disziplinarmaßnahmen durchgesetzt wird. DEZEMBER 2015

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Jeder, der davon betroffen ist, wird bemerken, Die Gebote und Weisungen Gottes aber geldass es hier nicht um Äußerlichkeiten geht, son- ten für die ganze Welt und alle Menschen, wie dern um einen Bereich, der unser Gewissen, un- der Herr sagt: »Denn wahrlich, ich sage euch: seren Glauben berührt. Dieser Bereich ist sehr Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht ververletzlich, und das tritt in den Aggressionen gehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüpfelzutage, die diese Auseinandersetzungen in der chen vom Gesetz, bis es alles geschieht. Wer nun einen wie in der anderen Richtung begleiten. eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und Im tieferen Sinne handelt es sich um einen dog- lehrt die Leute so, der wird der Kleinste heißen matischen Sachverhalt, wenn man im Himmelreich; wer es aber tut Dogma nicht oberflächlich als äu- mm Nun versucht und lehrt, der wird groß heißen im ßere Vorschrift versteht, sondern man ständig, in Him­melreich« (Matthäus 5,18f.). als Bewusstseinsinhalt und UrDiese Ge­bote sind auch der Maßkirchlichen Erklä­ teilsmaßstab. stab für das Endgericht nach den Vordergründig beschränken wir rungen und Ent­ Werken. Man kann sie übertreten, Religion und Kirche meist auf man kann sie umdeuten, doch aufscheidungen die einen besonderen und nicht jeheben kann man sie nicht. dermann zugänglichen Bereich. Heilige Schrift so zu Wie das Wort Gottes unverDas Augenmerk richtet sich dann interpretieren, dass gänglich ist, so ist auch seine zwangsläufig auf die Frage nach Wirkung unaufhebbar. Das zeigt dem Verhältnis von Kirche und sie Verständnis und sich in den Widersprüchen und Gesellschaft, in Deutschland auf Zustimmung der öf­ Konflikten, die auch im Zusamdie Möglichkeiten, eine Existenz- fentlichen Meinung menhang des GM wie auch bei berechtigung der Kirche nachanderen Themen ausgelöst wird. zuweisen und Mitglieder bzw. findet. D. h. alle mög­ Doch diese geistliche – im UnKirchensteuerzahler zu werben. lichen Widersprüche terschied zu einer historischen Dabei wird jedoch übersehen, gegen das Tun und und gesellschaftspolitischen – Didass Gott nicht ein Produkt unmension des Wortes Gottes gilt es serer menschlichen Vorstellungen Lassen von uns Men­ wahrzunehmen, sowohl bei jedem und Wünsche ist, sondern Schöp- schen werden eifrig einzelnen wie auch in der gesamfer, Erhalter, Richter und Retter ten Menschheit. Das ist der Bebeseitigt. Sie sollen für alle Welt und jeden Menschen, reich von Herz und Gewissen, wo nicht stören, abwei­ bei jedem Menschen das Gesetz lebende und tote. Nun versucht man ständig, sen oder ausgrenzen. Gottes wirkt in Anklage und Verin kirchlichen Erklärungen und teidigung (Römer 2,12–16). DieEntscheidungen die Heilige Schrift so zu in- ses jedem Menschen bekannte Geschehen aber terpretieren, dass sie Verständnis und Zustim- zielt, wie der Apostel Paulus sagt, auf den Tag mung der öffentlichen Meinung findet. D. h. »an dem Gott das Verborgene der Menschen durch alle möglichen Widersprüche gegen das Tun Jesus Christus richten wird, wie es mein Evangeliund Lassen von uns Menschen werden eifrig um bezeugt« (Römer 2,16). beseitigt. Sie sollen nicht stören, abweisen oder Unter dieser Einsicht können wir verstehen, ausgrenzen. Das alles steht seit Anbeginn der dass es bei dem Ringen in unserem Gewissen, Menschheit unter der verführerischen Frage der in und zwischen den Kirchen und im globalen Schlange (1.Mose 3,1): »Ja, sollte Gott gesagt ha- Bereich zwischen Kulturen und Völkern um das ben […]?« Hier liegt der Anfang von Exegese Handeln Gottes in Gnade und Gericht geht. und Ethik. Bei diesem Verfahren wird das Wort Gott ist hier am Werk. Er erleuchtet, aber er Gottes unter die Geschichte von Menschen ge- verblendet auch Menschen. stellt und danach je nach Bedarf gedeutet bzw. Die christliche Gemeinde hat aus der Offenumgedeutet. barung von Gottes Wort aber noch etwas zu Die erfahrene Realität des Wortes Gottes der bedenken: Seit Tod und Auferstehung unseres Heiligen Schrift sieht jedoch völlig anders aus: Herrn Jesus Christus leben wir in der Endzeit, Keine kirchenamtliche Entscheidung kann den das ist in der Erwartung seiner Wiederkunft Wortlaut der Heiligen Schrift ändern oder gar zum Gericht über Lebende und Tote. aufheben. Denn bei diesem Wort geht es keiZu den Zeichen der Endzeit gehört das Aufneswegs nur um äußeres Verstehen und Zu- treten von Irrlehrern, Falschpropheten und von stimmung, sondern um Gnade und Gericht, Personen, die behaupten, der Christus, der Mesum Verstehen und, was meist verdrängt wird, sias zu sein. Auch in unserer aufgeklärten GeVerstockung. genwart gibt es nach einer Statistik etwa 1500 INFORMATIONSBRIEF 295

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solcher Personen, die eine größere oder kleinere Schar von Anhängern um sich sammeln. Die Irrlehrer treten in der Kirche auf; der Antichrist begegnet keineswegs nur als äußerer Gegner der Kirche; er erscheint vielmehr dort, wo Christus ist und an seiner Stelle. Daher ist das Ringen zwischen wahrer und falscher Kirche auch ein Kennzeichen für das Vorhandensein von Kirche, ebenso wie das Ringen zwischen dem Fleisch der Sünde und dem Geist Gottes eine Folge der Wiedergeburt und der Verbindung mit Christus durch die Taufe ist (Römer 6–8). In 2.Thessalonicher 3 wird das keineswegs erschreckende, sondern faszinierende einer solchen Person beschrieben, die als der »Widersacher«, der »Mensch des Bösen« bezeichnet wird. Im Griechischen heißt das der »Mensch der Gesetzlosigkeit« (avnomi,a). Hier geht es also darum, dass die Gesetze Gottes übertreten und außer Kraft gesetzt werden. Daher die ernste Warnung: »Lasst euch von niemandem verführen, in keinerlei Weise; denn zuvor muss der Abfall kommen und der Mensch der Bosheit offenbart werden, der Sohn des Verderbens. Er ist der Widersacher, der sich erhebt über alles, was Gott oder Gottesdienst heißt, so dass er sich in den Tempel Gottes setzt und vorgibt, er sei Gott. Erinnert ihr euch nicht daran, dass ich euch dies sagte, als ich noch bei euch war? Und ihr wisst, was ihn noch aufhält, bis er offenbart wird zu seiner Zeit. Denn es regt sich schon das Geheimnis der Bosheit; nur muss der, der es jetzt noch aufhält, weggetan werden, und dann wird der Böse offenbart werden. Ihn wird der Herr Jesus umbringen mit dem Hauch seines Mundes und wird ihm ein Ende machen durch seine Erscheinung, wenn er kommt. Der Böse aber wird in der Macht des Satans auftreten mit großer Kraft und lügenhaften Zeichen und Wundern und mit jeglicher Verführung zur Ungerechtigkeit bei denen, die verloren werden, weil sie die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen haben, dass sie gerettet würden. Darum sendet ihnen Gott die Macht der Verführung, so dass sie der Lüge glauben, damit gerichtet werden alle, die der Wahrheit nicht glaubten, sondern Lust hatten an der Ungerechtigkeit« (2.Thessalonicher 2,3–12). Wenn wir durch das Wort Gottes den Blick für unsere Gegenwart geöffnet bekommen, dann sehen wir auch, wie sich das Gericht Gottes auch in der Gegenwart unter uns und an uns vollzieht. Natürlich kann man das leichthin oder auch protestierend wegwischen. Aufheben kann man es aber nicht. 16

Die Macht der Bilder: Bild oder Wort? Es ist wohl so: Für die Macht der Bilder sind wir blind, weil Bilder unser Denken und Handeln leiten, ja beherrschen. Sie blenden uns. Niemand kann diesem Vorgang entrinnen; und Bilder wirken tief im Unterbewussten. Im Zeugnis des Wortes Gottes haben wir es an zwei ganz entscheidenden Stellen mit Bild zu tun. Doch dieses Bild wird nicht von Menschen entworfen und durchgesetzt. Es kommt aus der Erleuchtung durch das Wort Gottes, das oft unserer Erfahrung mit Menschen widerspricht. 1. 1.Mose 1,27: »Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib« (In genauer Übersetzung muss es heißen: »und schuf sie männlich und weiblich«). Auf den Wortlaut ist zu achten: Bild Gottes ist der Mensch in der Einzahl. Männlich und weiblich bildet als Eigenschaft die Zweizahl: er schuf sie. Gott­ ebenbildlichkeit gilt also für Mann und Frau in gleicher Weise. Das muss nicht erkämpft oder verwirklicht werden, sondern darin liegen gleiche Würde und gleicher Anspruch auf Schutz. Diese Gott­ ebenbildlichkeit ist ein unverfügbares Menschenrecht. Die Bestimmung des von Gott männlich und weiblich geschaffenen Menschen aber liegt in der Gemeinsamkeit mit verschiedenen Organen und der Aufgaben unter dem Auftrag und Segen Gottes: »Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.« Das ist die von Gott für alle und jeden Menschen geschaffene und gesegnete Ehe, in der Männliches und Weibliches verbunden sind mit dem Auftrag, die menschliche Gattung zu erhalten – auch nach dem Sündenfall. Durch die Übertretung des vor dem Tod schützenden Verbots Gottes ist der Mensch von Gott getrennt. Aus dem Paradies in der unmittelbaren Gemeinschaft mit Gott ist er vertrieben und dem Tod verfallen. Der Engel Gottes »mit dem blitzenden und flammenden Schwert« ver­sperrt den Weg zum Baum des Lebens. Die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies bleibt in jedem Menschen, zumal wenn er die Folgen aus der Übertretung von Gottes Gebot sieht und erleidet: Krankheit, Sünde, Ungerechtigkeit, Tod. 2. Christus ist das Bild Gottes; durch ihn werden wir zum Bild Gottes erneuert und in die Gemeinschaft mit Gott zurückgeführt in DEZEMBER 2015

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das ewige Leben: »Denn die er ausersehen hat, brechen auch die menschliche Gemeinschaft. die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich Alle Ideologien sind Zielvorstellungen, die darin sein sollten dem Bild seines Sohnes« (Römer 8,29; übereinstimmen, dass solche Ziele verwirklicht, 2.Korinther 4,4; Kolosser 1,15; Hebräer 1,3; ja unter Umständen auch kämpferisch durchgeJohannes 12,45; 14,9). setzt werden sollen. Wichtig ist hier zu sehen: Das Bild vom MenNehmen wir ein paar Beispiele: Die Vorschen ist nicht eine Zielvorstellung, die erreicht stellung einer Weltrevolution zur Bildung eibzw. durchgesetzt werden soll. ner klassenlosen Gesellschaft im Das Bild ist vielmehr eine Grundla- mm Wo die Würde Marxismus-Leninismus zu einem ge, die gleichsam ein Licht bildet, des Menschen in Paradies der Arbeiter und Bauern. das unsere Wirklichkeit ins rechte Die Vorstellung einer germaniLicht setzt. Wenn wir in unserer der Beherrschung schen Herrenrasse. Die VorstelErfahrung nach dem Bild Gottes seiner Triebe unter lung von einer Umverteilung des im Menschen suchen, werden wir Privateigentums in gemeinsames dem Gebot Gottes immer nur auf Unterschiede und Staatseigentum. Mängel stoßen. Wenn wir jedoch besteht, beherrschen Die Vorstellung einer Beseitivon der Offenbarung Gottes in nunmehr die Triebe gung aller Standes-, Begabungsseinem Wort ausgehen, dann fällt und Einkommensunterschiede in ein Licht in das Dunkel dieser Welt den Menschen. der so genannten Universitätsreund die Verblendung unserer Herzen. Es ist volution nach 1968 mit dem Ergebnis der UmAufklärung, wie es 2.Korinther 4,6 heißt: »Denn wandlung der deutschen Eliteuniversität in eine Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis her- Massenuniversität mit so genannter Chancenvorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre gleichheit, wobei die unvermeidliche Auswahl Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Er- nach Fähigkeit und Begabung immer mehr leuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes hinausgeschoben wird, bis sie, und dann sehr in dem Angesicht Jesu Christi.« schmerzlich, in der Berufseingangsphase durchDoch nun zurück: GM ist eine Ideologie. greift. Ideologie aber ist, wie das Wort besagt, eine Bei dieser stichwortartigen Aufzählung geht Lehre in Bildern, in Vorstellungen. In der Art es noch nicht um eine Bewertung, sondern um der Wirkung kann man das GM durchaus als eine Beschreibung von Vorgängen, die uns erWahn bezeichnen. Ein Wahn oder eine Illusi- fassen, beherrschen oder abstoßen. Wohl aber on bestehen darin, dass man von Bildern erfasst geht es darum, dass hier unweigerlich Konsens wird, die als Wirklichkeit angesehen werden, und Dissens aufbrechen, also Gemeinschaft gedie einen Menschen beherrschen in Furcht und bildet wie auch zerstört wird. Das gehört zu Hoffnung. Sie faszinieren (fesseln) und erschre- Wesen und Wirkung von Religion. cken, was übrigens das Kennzeichen des ReliDas GM als Ideologie oder als Wahn besteht giösen ist. In der Umgangssprache haben wir in der Zielvorstellung, dass der durch Verbote viele Ausdrücke für diesen Sachverhalt: Man verdrängte Sexualtrieb befreit und in jeder Form bildet sich etwas ein. Diese Wendung hat eine befriedigt werden soll, autonom, sich selbst als doppelte Bedeutung; positiv: man prägt sich et- Gesetz ohne Fremdbestimmung (heteronom). was ein, was man festhalten will; negativ: man Auftretende Unterschiede sollen, wie es im Anti­ bildet sich etwas ein, was der Wirklichkeit nicht diskriminierungsgesetz heißt, »verhindert oder entspricht. Man hat ein Vorbild oder Leitbild, beseitigt« werden. dem man nachstrebt, also ein Ideal (auch mit Die Bilder aber einer sexualisierten GesellBild zusammenhängend). Der Psychologe Carl schaft begleiten und verfolgen uns überall, allerGustav Jung hat diesen Sachverhalt in seiner dings mit der verheerenden Folge, dass Scham Lehre von den Archetypen entfaltet. Ein Vor- und Keuschheit, die einen natürlichen Schutz bild kann, wie ich das als Wortspiel in meinem bedeuten, systematisch zerstört werden. In alThema aufgenommen habe, auch zum Leidbild ler Schärfe muss man sagen: Wo die Würde des werden, unter dem man leidet, wenn man ver- Menschen in der Beherrschung seiner Triebe geblich versucht, das zu erreichen, allein schon unter dem Gebot Gottes besteht, beherrschen an Aussehen und Gewicht. nunmehr die Triebe den Menschen. Vernunft In diesen unauslotbaren Bereich gehört auch besteht in der Anerkennung und Befolgung die Religion und damit alles, was mit Glaube, von Geboten und Verboten. Darin besteht der Dogma etc. zu tun hat. grundlegende Unterschied zwischen Mensch Ideologien treten ständig in Geschichte und und Tier. Wo das nicht geschieht, herrscht der Gesellschaft auf; sie fesseln, begeistern, aber zer­ Trieb wie bei den Tieren. INFORMATIONSBRIEF 295

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Die christliche Gemeinde ist durchaus zu allen Zeiten für solche Ideologien anfällig, denn sie hat im Wort Gottes und als Sehnsucht im Herzen die Verheißung des Reiches Gottes, eines Reiches von Gerechtigkeit, Frieden und ewigem Leben, die Wiederherstellung des durch den Sündenfalls verlorenen Paradieses. Doch hier liegt ein ganz entscheidender Unterschied, ja Gegensatz vor: Das Kommen dieses Reiches Gottes ist uns im Wort des Herrn angekündigt. Es ist nicht ein Handlungsziel, wohl aber eine Grundlage zum Handeln beginnend mit der Verkündigung Jesu: »Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!« (Markus 1,15) Das ist Umkehr, nicht Fortschritt! Der Zugang zum Reich Gottes ist durch Tod und Auferstehung Jesu Christi eröffnet. Durch ihn sind die Verderbensmächte von Sünde, Tod und Teufel überwunden. Das ist unser christlicher Glaube, vom Wort Gottes der Heiligen Schrift bezeugt und aller Welt zu verkünden. Das GM ist bewegt von der Vorstellung einer fortschreitenden Emanzipation, also einer Befreiung aus Sklaverei zu einer Gesellschaft in Freiheit und Gleichheit, was dann auch mit Gerechtigkeit gleichgesetzt wird. Man muss einmal überlegen, was es bedeutet, wenn Gerechtigkeit nicht mehr an geltendem Recht ausgerichtet ist – Autonomie im Sinne Kants –, sondern wenn geltendes Recht aufgehoben und an herrschende Meinungen und Verhaltensweisen angepasst wird – Heteronomie im Sinne Kants. Der Fachausdruck dafür ist Diktatur des Proletariats, die stets gesteuert ist. Überwiegend ist das GM eine Frauenfrage, was sich auch darin zeigt, dass überwiegend Frauen hier aktiv sind und Männer furchtsam schweigen oder blindlings nachreden. Doch was hier Leitbild ist, ist zugleich Leidbild. Es ist wohl unübersehbar, dass im GM ein Frauenbild dominiert von einer Frau mit einer Leitungsfunktion im akademischen, politischen oder wirtschaftlichen Bereich – vorzugsweise im Alter zwischen 18 und 42 Jahren mit entsprechendem Aussehen. Solche Frauen erscheinen im Licht der Öffentlichkeit, bei dem freilich auch in den Schatten gerät, was dahinter steht und was damit nicht vereinbar ist. In aller Öffentlichkeit wird inzwischen über die Belastung junger Familien geklagt, zumal mit der Überforderung von Frauen. Zudem gibt es viele andere Erwerbstätigkeiten und vor allem auch Gaben und Aufgaben, die von Frauen wahrgenommen werden, die nicht im Licht der Öffentlichkeit sich darstellen, sondern in so genannten Kitas anscheinend einen neuen Sklavenstand bilden, indem sie dort für geringere Bezahlung 18

einspringen müssen, wo die besonderen Aufgaben von prominenten Frauen und Müttern vernachlässigt werden. Doch muss man nicht von Diskriminierung sprechen, wenn von »nur Hausfrau« die Rede ist oder abfällig von »Hausfrauenehe«, wenn Kinder als »Karriereknick« erscheinen und »Familienpause« einen Zwischenfall oder gar Hindernis in der Karriere bildet? Wenn wir mit diesen sehr kurzen, vielleicht auch verkürzten Hinweisen ein Bild vor Augen haben, dann müssen wir nun zu der grundlegend wichtigen Unterscheidung von Bild und Wort kommen, genauer: von Wort Gottes und Bild des von Gott Geschaffenen: »11 Da tratet ihr herzu und standet unten an dem Berge; der Berg aber stand in Flammen bis in den Himmel hinein, und da waren Finsternis, Wolken und Dunkel. 12 Und der Herr redete mit euch mitten aus dem Feuer. Seine Worte hörtet ihr, aber ihr saht keine Gestalt, nur eine Stimme war da. 13 Und er verkündigte euch seinen Bund, den er euch gebot zu halten, nämlich die Zehn Worte, und schrieb sie auf zwei steinerne Tafeln. 14 Und der Herr gebot mir zur selben Zeit, euch Gebote und Rechte zu lehren, dass ihr danach tun sollt in dem Lande, in das ihr zieht, es einzunehmen. 15 So hütet euch nun wohl – denn ihr habt keine Gestalt gesehen an dem Tage, da der Herr mit euch redete aus dem Feuer auf dem Berge Horeb –, 16 dass ihr euch nicht versündigt und euch irgendein Bildnis macht, das gleich sei einem Mann oder Weib, 17 einem Tier auf dem Land oder Vogel unter dem Himmel, 18 dem Gewürm auf der Erde oder einem Fisch im Wasser unter der Erde. 19 Hebe auch nicht deine Augen auf gen Himmel, dass du die Sonne sehest und den Mond und die Sterne, das ganze Heer des Himmels, und fallest ab und betest sie an und dienest ihnen. Denn der Herr, dein Gott, hat sie zugewiesen allen andern Völkern unter dem ganzen Himmel« (5.Mose 4,11–19). An dieser Stelle liegt der Fundamentalirrtum nicht nur des GM, sondern aller Bewegungen, die Christen ergreifen, verführen und zwingen, aus eigenen Kräften ihre Vorstellung vom Reich Gottes auf Erden zu verwirklichen. Ich sage es so: Das Bild des Geschöpflichen wird über das Wort Gottes gestellt, und das führt unausweichlich zu einer Vertauschung von Schöpfer und Geschöpf, also zu einer Aufhebung des Ersten Gebots: »Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir.« DEZEMBER 2015

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Der Apostel Paulus hat diesen Sachverhalt Römer 1,18–32 exakt beschrieben: Wo der einzig wahre, aber unsichtbare Gott, der in seinen Werken der Schöpfung erkennbar ist, nicht erkannt, das heißt, dass er gepriesen und ihm gedankt wird – also im Gottesdienst, da verfällt der Mensch der Faszination und dem Schrecken des Geschaffenen: »[…] und haben die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauscht mit einem Bild gleich dem eines vergänglichen Menschen und der Vögel und der vierfüßigen und der kriechenden Tiere. Darum hat Gott sie in den Begierden ihrer Herzen dahingegeben in die Unreinheit, so dass ihre Leiber durch sie selbst geschändet werden, sie, die Gottes Wahrheit in Lüge verkehrt und das Geschöpf verehrt und ihm gedient haben statt dem Schöpfer, der gelobt ist in Ewigkeit. Amen« (Römer 1,23–25). Im Weiteren wird uns durch das Wort Gottes aufgedeckt, wie der Sexualtrieb sich verselbstständigt in allen möglichen widernatürlichen, also gegen Gottes Schöpfungsordnung, Perversionen. Und das ist nicht ein bloßes moralisches Problem, sondern darin vollzieht sich das Strafgericht Gottes. Dreimal heißt es: »Gott hat sie dahingegeben« (Römer 1,24.26.28).

Das Zeugnis der wahren Kirche in ihrer Welt- und Gesellschaftsverantwortung Wo man meint, es sei die Aufgabe der Kirche, dass sie zeitgemäß, artgemäß und geschlechtergerecht gestaltet werden soll, ist festzustellen, dass hier die Kirche aufgehört hat, Kirche zu sein – wo auch immer. Es ist aber auch festzustellen und noch einmal mit Nachdruck zu betonen, dass das Ringen zwischen wahrer und falscher Kirche Kennzeichen von Kirche und Wirkung des Wortes Gottes ist. Dadurch kommt es nicht nur zu Unterscheidungen, sondern auch zu Scheidungen, also zu Schismen und Häresien, von denen es in 1.Korinther 11 heißt: »[…] es müssen ja Spaltungen unter euch sein, damit die Rechtschaffenen unter euch offenbar werden.« So sollen abschließend die wichtigsten Entscheidungs- und Unterscheidungspunkte zusammengefasst werden: 1. Die Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf. Wo der wahre Gott nicht angebetet und verehrt wird, verfällt die Vernunft unter die Macht des von Gott Geschaffenen. Man macht sich, wie es leider auch in der theologischen Fachsprache heißt, seine Gottesbilder, männlich/weiblich. Im Alten Bund kam die ständige Versuchung von den fremden Göttern anderer Völker, vor allem die Fruchtbarkeits- und SexuINFORMATIONSBRIEF 295

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alkulte von Baal und Astarte. Ganz praktische politische und ökonomische Überlegungen oder auch die Heiratspolitik von Fürsten zwingen zu einer Verbindung von religiöser und politischer Gemeinschaft. Beim Propheten Jeremia wird ein bei Frauen beliebter feministischer Kult der »Himmelskönigin« (Jeremia 7,18; 44) erwähnt, für die man Kuchen backt und Trankopfer spendet. Der Warnung des Propheten vor den Strafen Gottes erwidert man: »Den Worten, die du im Namen des Herrn uns sagst, wollen wir nicht gehorchen […]« (Jeremia 44,16). 2. Zu allen Zeiten hat die wahre Kirche für die Lebensordnung der Gemeinde, aber damit auch für die Ordnung der Gesellschaft die Verantwortung für Ehe und Familie nach Ordnung und Gebot Gott wahrgenommen. Das Konkubinat, also eine Ehe ohne Trauschein, d. h. unter Stand und auf Zeit (Augustin), wie das im römischen Reich weithin üblich war, wurde von der christlichen Gemeinde strikt abgelehnt mit dem Hinweis, dass ein solches Verhältnis nach Gottes Wort eine volle Ehe ist: »Zwar haben sie [die Christen] an allem als Bürger Anteil, leiden aber wie Fremdlinge. Jegliche Fremde ist ihnen Heimat, und jede Heimat ist Fremde. Wie alle übrigen heiraten sie, bekommen Kinder, doch sie machen keine Abtreibung. In der Tischgemeinschaft sind sie gastfrei, nicht aber im Geschlechtsverkehr. Sie existieren im Fleisch, leben aber nicht nach dem Fleisch. Sie wandeln auf Erden, sind aber Bürger des Himmels. […] Die Christen leben in der Welt, doch sie sind nicht von der Welt« (Diognetbrief 5,1–5). »Oder wisst ihr nicht: wer sich an die Hure hängt, der ist ein Leib mit ihr? Denn die Schrift sagt: ›Die zwei werden ein Fleisch sein‹ wer aber dem Herrn anhängt, der ist ein Geist mit ihm. Flieht die Hurerei! Alle Sünden, die der Mensch tut, bleiben außerhalb des Leibes; wer aber Hurerei treibt, der sündigt am eigenen Leibe […]« (1.Korinther 6,16–18). ­Außerehelicher Geschlechtsverkehr widerspricht dem Gebot und Willen Gottes. Eine Formpflicht für die Ehe wurde von Staat und Kirche im 16. Jahrhundert eingeführt angesichts der großen sozialen Probleme, die dadurch entstanden, dass von ihren Männern verlassene Frauen mit Kindern (Alleinerziehende) den Gemeinden zur Last fielen. Konkubinat, heute eine als normal angesehene Lebensform, bedeutet in Wirklichkeit, dass Frauen die Rechte und Würde, damit auch der Schutz einer Ehefrau vorenthalten werden oder dass sie darauf blind verzichten. Das physische, psychische und soziale Elend, das hier um sich greift, wird von den Gesellschaftslügen verdrängt. Solche Fäl19


le gelten als »nicht angepasst«, d. h. sie passen nicht zu dem herrschenden Bild. Man darf auch darauf hinweisen, dass für die Amtsträger in der Gemeinde besonders hohe Erwartungen für ein vorbildliches Leben in Ehe und Familie gestellt werden, zumal im Blick auf die Außenstehenden (1. und 2.Timotheus, Titus). Praktizierte Homosexualität und Ehebruch sind mit kirchlichen Ämtern unvereinbar. 3. Das erwählte Volk Gottes wird aus der Welt herausgerufen. Es ist in der Welt, doch nicht von dieser Welt, wie der Herr seiner Gemeinde sagt: »Wenn euch die Welt hasst, so wisst, dass sie mich vor euch gehasst hat. Wäret ihr von der Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb. Weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt erwählt habe, darum hasst euch die Welt« (Johannes 15,18f.). Und der Herr sagt uns auch: »Fürchte dich nicht, du kleine Herde!

Denn es hat eurem Vater wohl gefallen, euch das Reich zu geben« (Lukas 12,32). Unsere Aufgabe ist das Zeugnis für das unveränderliche Wort Gottes in Verkündigung und Lebensführung, wie unser Herr sagt: »So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen« (Matthäus 5,16). Unsere Aufgabe ist die Fürbitte, mit der wir schließen: Herr, himmlischer Vater, wir bitten dich für deine Gemeinde und ihre Diener: Bewahre die Deinen, die du erwählt hast, vor Irrtum, vor Verführung und in Verfolgung. Das bitten wir in Jesu Namen. Amen. W Vortrag in der Mariengemeinde der SELK in Berlin-Zehlendorf am 1. Februar 2015. 1) IdeaSpektrum, 24/2014 vom 12. Juni 2014, S. 16. 2) Charles Fourier (1772–1837), Le nouveaux monde amoureux, ca. 1820 verfasst, jedoch erst 1967 in Französisch und 1977 auf Deutsch „Die neue Liebeswelt“, veröffentlicht.

Christentum und Islam Gegenüberstellung der theo­ logischen Grundaussagen von Christentum und Islam in ein­ zelnen Abschnitten –– Teil 9 von 9 Hanns Leiner Zusammenfassung: Ergebnis des Vergleichs Der Islam erscheint uns gegenüber dem Christentum als Rückschritt, Kahlschlag und unzulässige Vereinfachung

Hanns Leiner † 20

Rückschritt Der Islam versteht sich selbst als Fortschritt, Korrektur, Überbietung und Vollendung aller anderen Religionen. Er sieht Mohammed als den letzten Propheten (das Siegel der Propheten). Diesen hohen Anspruch kann ich nicht anerkennen. Denn inhaltlich bedeutet der Islam einen bedauerlichen Rückfall hinter die »Erlösungsreligion« des Christentums. Er leugnet oder missverDEZEMBER 2015

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steht das Evangelium und behält nur das Gesetz. Was er – alles in allem – vertritt, ist eine reine Gesetzesreligion, die den Menschen zur Selbsterlösung zwingen will. Das vermag ich nur als einen Rückschritt weit hinter das Christentum und sogar auch das Judentum anzusehen. Seine Ausbreitung bedeutete darum für die christliche Kirche und die Menschen der christianisierten Länder, in die er eindrang und dort den christlichen Glauben verdrängte, ein Unglück und ein Gericht Gottes. Ich vermag deswegen seine gegenwärtige Verbreitung in unseren Ländern auch nur mit großer Sorge im Blick auf unsere Zukunft als christliche Kirche zu beobachten. Religiöser Kahlschlag Wenn man den Islam mit dem christlichen Glauben vergleicht, muss einem auffallen, dass bei ihm vieles fehlt, was es bei uns gibt und was uns wichtig und unverzichtbar ist: Der Islam hat in der Religion eine Reduktion vorgenommen, der zusammen mit dem Evangelium ganz wesentliche weitere Elemente unseres Glaubens zum Opfer gefallen sind. Es genügt, die wichtigsten aufzuzählen, um das zu verdeutlichen: Der Islam ist eine Religion ohne Frohbotschaft, ohne das Kreuz, ohne Erlösung, ohne Sakramente, ohne Beichte und Absolution, ohne Gott als himmlischen Vater und damit ohne Vaterunser, ohne Gottes Nähe oder gar Selbstentäußerung (Kenosis, Kondeszendenz), ohne einen Erlöser/Heiland/Retter, ohne Gottes Liebe und Gnade, ohne Heiligen Geist, ohne tieferes Verständnis von Gottes Gebot und menschlicher Sünde, ohne Glauben als Vertrauen, ohne Heilsgewissheit, ohne Erneuerung des Menschen, ohne wirkliche Überwindung der menschlichen Ichsucht, ohne Unterscheidung von Religion und Politik, ohne Glaubens- und Religionsfreiheit usw. Damit widerspricht der Islam den meisten christlichen Grundaussagen und hat ein anderes Gottes-, Christus-, Menschen-, Sünden-, Heils-, Glaubens- und Ethikverständnis und ein anderes Verständnis von der Vollendung als wir. Der Islam als »terrible simplificateur« Bei der Beschäftigung mit dem Islam hatte ich oft das Gefühl einer eigenartigen Spannungslosigkeit, Leere, tödlichen Ruhe: Alles steht irgendwie fest, ist fertig, klar, eindeutig, starr, einfach, übersichtlich, definiert und geschichtslos: Zwischen Gott und Mensch ereignet sich bei ihm nichts. Der Grund dafür scheint mir darin zu liegen, dass der Islam alle theologiINFORMATIONSBRIEF 295

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schen Spannungen, die es im christlichen Glauben gibt und die die innere Lebendigkeit und Dynamik unseres Glaubens ausmachen, auflöst, einebnet und in einer absoluten Einseitigkeit kurzschließt. Aus der Spannung von Gotteswort und Menschenwort in der Bibel wird im Koran das absolute Gotteswort; aus der Spannung in Gott von Vater und Sohn als göttliche Gemeinschaft wird der absolute Singular Allahs, aus der Spannung von Gesetz und Evangelium wird das absolute Gesetz, von der Spannung von Gottes Liebe und Strenge bleibt nur noch die absolute strenge Gerechtigkeit, von der Spannung der Gottmenschheit Jesu Christi bleibt nur die Menschheit des Propheten Isa übrig, aus der Spannung des Menschen als Kind und Knecht Gottes behält der Islam nur den Knecht, aus der Spannung zwischen Vollmacht und Ohnmacht Jesu behält er nur seine Wunderkraft und leugnet die Niedrigkeit, und auch von der Spannung zwischen Gottes irdischer Macht und Güte (als weltliches und geistliches Regiment) bleibt nur die absolute Allmacht übrig. Die Liste ließe sich noch beliebig verlängern, doch das Wesentliche ist schon deutlich geworden: Daraus ergibt sich dieser Eindruck von Leere, Spannungslosigkeit und kalter Rationalität. Ich vermag deshalb nicht zu sehen, was wir von dieser rationalistischen Religion lernen könnten. Wozu sollen uns dann dieser Vergleich und diese Auseinandersetzung dienen? Die Begegnung mit dieser nachchristlichen Religion des Islam zwingt uns, nach der Eigenart unseres eigenen Glaubens zu fragen und uns ihrer neu bewusst und gewiss zu werden. Die Kenntnis und Auseinandersetzung mit dem Fremden lehrt uns, unseren eigenen Glauben und seine Eigenart tiefer und besser zu verstehen, sie zeigt uns, was wir am christlichen Glauben und insbesondere an Jesus Christus haben. Wenn ich nach der Lektüre des Koran zur Bibel zurückkehre, dann bin ich jedes Mal neu froh und dankbar dafür, dass ich Christ sein darf. Bei der Beschäftigung mit dem Islam wurde mir neu bewusst, welches Geschenk es ist, im christlichen Glauben aufgewachsen zu sein und an Christus glauben zu dürfen. Ich bin darum auch ganz zuversichtlich, dass Christus den Vergleich mit Mohammed aushält und mit Recht von sich sagen darf: »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben« (Johannes 14,6). W 1) Suren 2,1; 3,2; 4,54 usw., insgesamt in weit mehr als der Hälfte aller Suren! 2) Suren 13,39; 22,69 u. ö. 3) Suren 2,99; 3,17; 4,50 u. ö.

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Spätmittelalterlicher Kirchenreformer und Märtyrer der Christenheit Vor 600 Jahren erlitt Jan Hus (1370––1415) beim Konstanzer Konzil den Feuertod Teil 3 von 3 Walter Rominger

Das Konstanzer (Reform)Konzil: Anliegen des Konzils, Verurteilung und Verbrennung des Jan Hus Zunächst ist nach dem Anliegen des (Reform)Konzils in Konstanz (1414–1418) und den geplanten Kirchenreformen zu fragen. Zwar war das verderbliche Papstschisma durch das Konzil von Pisa (1409) entschärft, jedoch keineswegs geheilt. Eine Verständigung auf den Rücktritt sämtlicher Päpste und eine Neuordnung durch ein Konzil konnte herbeigeführt werden. Ermöglicht hat das Zustandekommen des Konstanzer (Reform)Konzils ganz wesentlich der römisch-deutsche König Sigismund.1 Das Konzil von Konstanz war jedoch in erster Linie eine politische Versammlung der abendländischen Christenheit, was sich an der starken

Walter Rominger Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30

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Beteiligung (politischer) Herrscher und anderer »Laien« zeigte. Es waren drei Aufgaben, denen sich das Konzil stellen wollte. Zum einen die Beseitigung des nach wie vor bestehenden Papstschismas, was als vordringlich angesehen wurde. Zum andern eine Reform der Kirche, wobei die angeregte Abstellung von Missbräuchen in der Kirche ohne große Wirkung blieb (moralisches Versagen von Klerikern und Laien trat zuhauf während des Konzils auf). Und schließlich sollte es auf dem Konzil um die Lösung dogmatischer Probleme und damit um die Abwehr von Häresien gehen, was während des Konzils dann das alles beherrschende Thema wurde. Verurteilt wurden denn auch die Forderungen des Laienkelchs, die Lehrartikel Wyclifs, und – wohl nicht ohne damit in Zusammenhang zu stehen – erfolgte die Verurteilung Hus’ zum – wie dies für »Ketzer« üblich war – Tod auf dem Scheiterhaufen. Was die Anzahl der Beteiligten anlangt, war das Konzil von Konstanz die größte mittelalterliche Kirchenversammlung. Es stellte eine wirkliche Vertretung der ganzen abendländischen Kirche dar. Dieses Konzil fand große Beachtung und sandte zumindest Signale für manche Veränderungen (siehe die drei Aufgaben, sie sich das Konzil stellte). Am wirkungsvollsten war DEZEMBER 2015

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Papst Johannes XXIII. verhängte 1411 den ­großen Bann über John Wyclif, was Jan Hus zur Flucht auf die Burgen veranlasste. die Beseitigung der faktisch immer noch bestehenden Kirchenspaltung. Dies leitete eine neue, wenn auch ambivalente Epoche ein. Denn dem Konziliarismus2 wurden eine lehrmäßige Begründung und die Möglichkeit praktischer Verwirklichung gegeben; andererseits festigte das Konstanzer Konzil das durch das Schisma so stark in Mitleidenschaft gezogene Papsttum wieder. Der nunmehr an sich mögliche Konziliarismus scheiterte bereits in der auf das Konzil folgenden Generation, während sich hingegen das Papsttum in erstaunlicher Weise dadurch festigte, dass Rom (wieder) als das kirchliche Zentrum und der Kirchenstaat (wieder) hergestellt wurden und dadurch das Papsttum seine Macht (wieder) ausbauen konnte. Darum, weil Hus Wyclifs Ketzerverurteilung juristisch anfocht, hatte er 1408 einen Ketzerprozess gegen sich selbst in Gang gesetzt, so dass 1411 der (kleine) päpstliche Bann über Hus verhängt wurde, was bereits Erwähnung fand und das Interdikt3 über das »unbotmäßige« Prag verhängt wurde. Drei Anhänger Hus’ ereilte wegen deren Kritik am Ablass die Hinrichtung. Wiederum verurteilte die Universität Prag Lehrartikel Wyclifs, woraufhin Hus diese öffentlich verteidigte, Papst Johannes XXIII. jedoch den (großen) Bann über Wyclif verhängte, was Hus, weil er damit ja auch stark involviert war, zu seiner Flucht auf die Burgen veranlasste (1412–1414), wovon ja bereits die Rede war. Papst Johannes XXIII. forderte, beim Konzil in Konstanz auch Verhandlungen gegen Hus anzustrengen. Weil König Wenzel und dessen Stiefbruder König Sigismund, der weltliche Protektor des Konzils, an einer Beilegung der Unruhen in Böhmen gelegen war, drängten sie Hus zu Neuverhandlungen des Ketzerprozesses zur Reise nach Konstanz. Hus, zu dem seine einstigen Parteigänger Stanislaus von Znaim und Stephan Paletsch inzwischen auf Distanz gegangen waren, stellte sich Ende 1414 freiwillig, wie er selbst zu Recht betonte, da ihn niemand dazu hätte zwingen können, dem Konzil – vom römisch-deutschen König Sigismund hatte er einen Geleitbrief, der ihm Schutz zusicherte –, hatte er doch bereits 1412, von seiner Rechtgläubigkeit überzeugt, an ein allgemeines Konzil appelliert. Doch trotz dieses Geleitbriefes von König Sigismund ließ Papst Johannes XXIII. Hus als gebannten Ketzer wegen Fluchtgefahr im November 1414 in Klosterhaft nehmen. Bevor König INFORMATIONSBRIEF 295

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Sigismund am 28. November 1414 in Konstanz eintraf, waren damit Fakten geschaffen. Den Vorwurf bei den Verhandlungen gegen Hus, bei denen die seinerzeit berühmten Theologen Petrus von Ailli (auch: Pierre d’Ailly, 1350–1420, einflussreicher Kirchenpolitiker und Theologe, u. a. Kanzler der Universität von Paris) und Johann Gerson (1363–1429, u. a. Rektor der Sorbonne), sowie Hus’ Landsleute Stephan Paletsch und Michael de Causis als (Haupt)Ankläger beteiligt waren, konzentrierten sich auf den Vorwurf, Hus vertrete Wyclifs Lehren, die am 4. Mai 1415 verurteilt wurden. Damit stand das Ergebnis der Verhandlungen an sich bereits von vorneweg fest, da Wyclifs Lehren erneut verurteilt wurden und Hus sich denn auch nicht bereit zeigte, seine Verteidigung Wyclifs zurückzunehmen und seine bisherige und jetzt wieder partielle Zustimmung zu Wyclifs Lehren schon allein deshalb aufrecht erhielt, um die böhmischen Wyclifiten nicht zu enttäuschen. Auf dem Konzil ging es faktisch weniger um Hus denn um Wyclifs Lehren, wiewohl diese, da sie mit denen Wyclifs übereinstimmten, wegen 30 festgestellter Irrtümer verworfen wurden. Deshalb wurde Hus denn auch vom Konzil, der höchsten Instanz, am 6. Juni 1415 zum Feuertod verurteilt und anschließend öffentlich verbrannt. Hus blieb ein treuer Bekenner und Zeuge (Märtyrer) und starb ohne gebrochenen Charakter und Glauben; er betete für seine Gegner und rief Maria an. 23


Hieronymus von Prag – er hatte in Oxford studiert und die Schriften Wyclifs mitgebracht, womit Jan Hus erst von diesen Kenntnis bekam. Gerade Hus’ Verbrennung als Ketzer machte diesen zum Märtyrer. Sie, und die Verurteilung der Laienfrömmigkeit trafen das religiöse Selbstbewusstsein der Tschechen. Diese sahen darin zu Recht ein großes Unrecht, das ihm widerfahren war, da er, so ihre Überzeugung, nicht der Ketzerei überführt worden sei. Und so verbreiteten sich deswegen denn auch Hus’ Lehren erst recht, und er wurde zur Symbolfigur des böhmischen Widerstandes gegen eine verweltlichte Kirche.

Die Zeit nach Hus: Utraquisten und Taboriten und Glaubenskriege Im Jahr der Verbrennung Hus’ (1415) protestierten Adlige aus Böhmen und Mähren in Briefen an das Konzil. Allerdings ging es dem Konzil und König Sigismund darum, Unruhen, die nach Hus’ Tod zuerst in Prag ausbrachen, dann aber auch auf Böhmen übergriffen, bei denen Wohnungen der Priester, die als Gegner Hus’ bekannt waren, gestürmt wurden, zu unterdrücken. Deshalb wurde denn auch im da­ rauffolgenden Frühjahr (1416) Hieronymus von Prag, gewissermaßen der zweite Führer der hussitischen Bewegung, ebenfalls zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Es war Hieronymus von Prag, der in Oxford studiert hatte und die Schriften Wyclifs mitbrachte, womit dieser erst von diesen Kenntnis bekam, auf den die Verbindung zwischen Wyclif und Hus zurückging. 24

Der tschechische Adel, darin sogar noch von der Königin unterstützt, tat sich mit dem hussitischen Herrenbund zusammen. Die Forderung des Herrenbundes war die freie Predigt auf allen Gütern; nur unter dieser Bedingung seien sie zum Gehorsam gegenüber dem Bischof bereit, was an sich nichts anderes bedeutete, als die faktische Versagung des Gehorsams gegenüber dem Bischof und im Gefolge auch gegenüber dem König. Schon bald nach Hus’ Feuertod gliederten sich die Hussiten in zwei Gruppen. Zum einen in die gemäßigteren, die Calixtiner oder Utraquisten, auch Prager genannt, weil sie ihre meisten Anhänger in Prag und der dortigen Universität hatten. Ihre Hauptforderung war das Abendmahl in beiderlei Gestalt auch für die so genannten »Laien«, Beseitigung der weltlichen Herrschaft und des Besitzes der Kirche und schließlich solle das Gesetz Gottes der Maßstab für alles sein, weshalb die Obrigkeit im Dienst des Gesetzes stehe und für dessen Durchführung zu sorgen habe. Zum andern in die Taboriten, die radikaleren Hussiten, die ihren Namen nach dem Zentrum ihrer befestigten Bergsiedlung Tabor hatten. Sie forderten die vollständige Durchsetzung und Umsetzung der Lehre Wyclifs. Für alles soll das göttliche Gesetz die Richtschnur sein. Was dieses nicht beinhaltet, wird verworfen, so Heiligenkult und Bilderdienst, genauso Eid und Ohrenbeichte, Ablässe und die Sakramente FirDEZEMBER 2015

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mung und letzte Ölung; zudem habe aller irdischer Prunk aus der Kirche zu verschwinden; die Prediger seien zu wählen und nicht einzusetzen, wobei auch so genannte »Laien« das Predigtamt innehaben könnten, ja, für damalige Verhältnisse geradezu revolutionär, selbst Frauen könnten das Predigtamt wahrnehmen, was dann Jahrhunderte später bei den Herrnhutern ebenso eine Möglichkeit werden sollte. Das Reich Gottes werde durch das göttliche Gesetz regiert; und weil dieses Reich nicht auf Böhmen beschränkt sei, sei es zu allen Menschen zu bringen, wenn es nötig werde sogar mit dem Schwert, wozu sich die Taboriten auf das Alte Testament beriefen, wonach die Feinde des Reiches Gottes zu vertilgen seien. Die Absicht von König und Papst, die Hussiten zu unterwerfen, misslang. Trotz aller kämpferischen Mühen konnten die Hussiten alle deren Heere besiegen, weshalb der Papst sich schließlich, eigentlich gezwungenermaßen, dazu bereitfand, dass das Basler Konzil (1431– 1449) Verhandlungen mit den Hussiten aufnehmen sollte, wobei die Hussiten – aufgrund ihrer starken Stellung – als gleichberechtigte Partner auftraten und dadurch für recht turbulente Verhandlungen sorgten. Nachdem es zunächst nicht danach aussah, die Gegenspieler der Hussiten aber auf einen solchen bedacht sein mussten, kam es mit den Hussiten, wenn auch nur mit deren gemäßigteren Anhängern, den Utraquisten, zu einem Ausgleich. Die Prager Kompaktaten wurden abgeschlossen, in denen der Laienkelch, die Hauptforderung, bewilligt wurde und zudem, wenn auch verkürzt, die Forderung der Prager Artikel von 1420. Der Ausgleich mit den Utraquisten wurde deshalb möglich, da diese ihr eigentliches Ziel damit für erreicht hielten und inzwischen auch kriegsmüde waren. Die radikaleren Hussiten, die so genannten Taboriten, sahen sich damit anscheinend nicht repräsentiert und übernahmen die Abmachung nicht. Wie sehr indes die (gemäßigteren) Utraquisten des Streitens müde waren, zeigte sich darin, dass sie sich mit ihren »Feinden« gegen ihre (an sich) »Glaubensbrüder« verbündeten und dann zusammen mit den Katholiken die Taboriten besiegten. Es war denn schließlich die Uneinigkeit der Hussiten, die die Streitigkeiten zu Ende brachten. Bei Einigkeit der Hussiten – schließlich stärkt Einigkeit, während Zwietracht empfindlich schwächt – hätten Papst und König zusammen diese wohl nicht besiegen können, wie die Hussiten ja in der Zeit vor dem Basler Konzil und den Prager Kompaktaten alle Heere von König und Papst besiegen konnten. Die INFORMATIONSBRIEF 295

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Hussiten waren indes unzufrieden. Die ihnen in den Prager Kompaktaten gemachten Zugeständnisse wollten zumindest so manche von ihnen bereits zum Zeitpunkt der Bewilligung der Kompaktaten rückgängig machen. Unzufriedenheit wirkt sich nie positiv aus; und so bestanden in Böhmen die Unruhen weiterhin. Doch nicht allein die Unzufriedenheit schwächte, sondern genauso die Abnahme der religiösen Überzeugung, wie dies ja oft der Fall ist, wenn eine aufgebrochene religiöse (aber auch politische) (Erneuerungs)Bewegung in die Jahre gekommen ist. Man weiß dann nicht mehr so recht, wofür, aber auch nicht mehr, wogegen man steht. Damit sind Unterschiede und Eindeutigkeit so gut wie nicht mehr bewusst. Eine solche Entwicklung machte anscheinend auch den Hussiten zu schaffen, mit dem Ergebnis: die Taboriten näherten sich den Utraquisten an, und diese der römisch-katholischen Kirche. Eine religiöse Rückbesinnung fand, wie es scheint, erst Jahrzehnte später bei einer völlig neuen Generation statt; denn ab Luthers Leipziger Disputation (1519) suchten die Hussiten die Verbindung zur Reformation (und wiederum noch einmal gut 200 Jahre danach zur Herrnhuter Bewegung). Die Verbindung zur Reformation Luthers brachte mit sich, dass es während des gesamten 16. Jahrhunderts in Böh­ men unruhig blieb. Ende des 16. Jahrhunderts führte die Gegenreformation zu verstärkten Auseinandersetzungen. Und es war auch nicht zufällig, dass mit dem Prager Fenstersturz der 30-jährige Krieg (1618–1648) in Böhmen seinen Anfang nahm. Der vor allem als Liedkomponist bekannt gewordene Carl Loewe (1796–1869; »LoeweBalladen«) hat ein Oratorium »Johan Hus«, ein ergreifendes Werk, eine Art »Oper ohne Szene« geschrieben. Das 1841 in der Berliner Singakademie uraufgeführte Werk ist leider wenig bekannt. W

(1) Sigismund/Sigmund, Sohn Kaiser Karls IV., seit 1410/11 römischer König, erst 1433 Kaiser, † 1437. (2) Konziliarismus in der römisch-katholischen Kirche die Theorie des 12./13. Jahrhunderts, das Konzil stehe über dem Papst, welche das Erste Vatikanische Konzil (1869/1870) abschließend verurteilte. (3) Interdikt (lat.) Verbot; kirchenrechtliche Strafmaßnahme des Papstes gegen einzelne, Gemeinschaften, Länder (Verbot, den Gottesdienst abzuhalten und das Abendmahl zu spenden). Benutzte Fachliteratur: Aland, K., Geschichte der Christenheit I; EG; EKG; ELThG; Fachwörterbuch Theologie; GdKG IV; Hauschild, W., Kirchenund Dogmengeschichte I; Heiner, W., Bekannte Lieder – wie sie entstanden; RGG.

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Hieronymus Weller Karl-Hermann Kandler

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r »genoss das höchste wissenschaftliche Ansehen unter allen Freiberger Renaissancegelehrten«, urteilt Walther Schellhas in seinem Beitrag in der 1986 erschienenen Geschichte der Bergstadt Freiberg. Wer war dieser Mann? Weller entstammte der bekannten Freiberger Adelsfamilie von Molsdorf. 1499 wurde er am 5. September als Sohn des mehrmaligen Bürgermeisters Johann Weller von Molsdorf geboren. Zu seinen Lehrern an der Lateinschule gehörten Johannes Rhagius und Petrus Mosellanus. In Wittenberg studierte er zunächst die griechische Sprache. Mit 19 Jahren errang er schon das Bakkalaureat und trat in Zwickau in den Schuldienst. 1525 wurde er Schuldirektor in der damals bedeutenden Bergstadt Schneeberg. Aber ein Jahr später studierte er wieder in Wittenberg, jetzt die Jurisprudenz. Er wollte Doktor der Rechte werden. Von ihm heißt es, dass er »als Student ein lockeres und gottloses Leben« geführt habe. 1528 wurde er aber von einer Predigt Martin Luthers so stark beeindruckt, dass er das Studium wechselte und von da an Theologie studierte. Von 1530 bis 1536 hat Luther ihn als Famulus in sein Haus aufgenommen. Hier wurde er der Erzieher von Luthers Sohn Johannes. Von ihm sind sowohl Predigtnachschriften als auch Tischreden Luthers überliefert. Er selbst hat kaum gepredigt. Er litt an mangelndem Selbstvertrauen. Als er 1533 in Wittenberg zu predigen hatte, hat Luther ihm beigestanden. Zwischen beiden muss ein herzliches Verhältnis wie zwischen Vater und Sohn bestanden haben. 1535 promovierte er zum Doktor der Theologie. Luther und Justus Jonas waren seine Doktorväter. Selbst Wellers Rede zum Lob der Theologie ist von Luther verfasst gewesen. Es ist ein Brief Luthers an den Freiberger Rat im Stadtarchiv erhalten. Darin erbittet er für Weller

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einen Beitrag für die Unkosten der Promotion, weil er »Euer Stadtkind« ist. In dem Brief betont Luther, es sei nötig, dass es Leute gibt, die gegen die Rottengeister streiten: Helft solchen Leuten, so wird das Evangelium erhalten. Luther hat ihm sogar in seinem Hause den »Doktorschmaus« ausgerichtet. Später hat sich Luther auch um Wellers Hochzeit gekümmert und immer wieder mit seiner Schwester Barbara, der Frau des Ratsherren bzw. Stadtrichters Georg Lißkirchen, und seinem Bruder Matthias, des Hofmusikers und späteren Domorganisten, korrespondiert. Barbara bat ihn um theologische Auskünfte über die anfechtung von der ewigen versehung (Vorsehung) und darüber, ob sie das heilige Abendmahl muge ynn geheym zu hause empfangen. Zu der Zeit (1535) war in Freiberg noch nicht die Reformation eingeführt; das geschah erst Neujahr 1537. Ausführlich hat er ihr geantwortet und ihr geraten, um des exempels vnd ander ursachen willen es anderswo zu empfangen. Und zur Frage nach der Anfechtung rät er ihr, sich Christus vor Augen zu stellen, das sei die rechte kunst von der vorsehung und sonst nirgent. Auch an den Bruder Matthias, den Freiberger Hofkomponisten, hat er Ratschläge gegen seine Melancholie geschrieben: Er solle frisch in die Tasten greifen und dem Herrn Christus ein Lied spielen. Mit Musik und fröhlicher Gesellschaft solle er dem Teufel auf die Schnauze schlagen. Alle drei Geschwister waren schwermütig veranlagt. Als in Freiberg die Reformation eingeführt werden sollte, war wohl Weller als Superintendent vorgesehen, aber seine Stimme war zum Predigen nicht geeignet. Dagegen wurde er als Professor und als Schulinspektor an die städtische Schule berufen, zeitweise war er auch nach dem Weggang von Rivius ihr Rektor. Er begründete die Einheit von Humanismus und Reformation in der Schule. Bekannt geworden ist Weller vor allem durch seine theologischen Vorlesungen, die er im ersten Stock des Schulgebäudes, dem heutigen Stadt- und Bergbaumuseum, hielt, in dem nach ihm benannten Weller-Auditorium. An ihnen nahmen auch die Geistlichen der Umgebung teil. 22 Jahre hat er an der Schule gelehrt. Sein Bemühen ging dahin, aus der Stadtschule eine Universität zu machen. Dieses Vorhaben ist damals zwar gescheitert, doch wurde die Schule ein anerkanntes Gymnasium. DEZEMBER 2015

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Durch sein Wirken wurde es zu einer der bedeutendsten Schulen Sachsens. Wellers Bedeutung lag sowohl im theologischen als auch im philologischen Bereich. Er sorgte dafür, dass die Freiberger Klosterbibliotheken erhalten blieben und 1565 in das Eigentum der Schule überführt wurden. Sie bilden den Grundstock der heutigen Andreas-Möller-Bibliothek des Gym­nasiums. Ihn erreichten mehrere Berufungen nach auswärts, so nach Wien, Kopenhagen, Nürnberg, Meißen und Leipzig. Er hat sie alle ausgeschlagen und blieb seiner Vaterstadt treu. Von Weller liegen zahlreiche Schriften vor. So hat er Kommentare zu zahlreichen biblischen Büchern verfasst, eine Predigtpostille, Abhandlungen zur praktischen Theologie. Aus seinen eigenen Erfahrungen heraus schrieb er auch Antidotum adversus tentationes, also ein Heilmittel gegen Anfechtungen. Weiter schrieb er über das Amt eines Bischofs und seine Tugenden, über die Ordnung des Theologiestudiums, eine Deutliche Erklärung etlicher Artikel christlicher Lehre und Erbauliche Fragen zum Unterricht in Lehre und Leben. Diese Titel zeigen, dass es ihm vor allem um Fragen der praktischen Theologie, der Ethik und um pädagogische Methodik ging. Seine Schriften weisen ein hohes stilistisches und wissenschaftliches Niveau auf. Seine Werke sind in Leipzig noch 1702 gedruckt worden.

Der spätere Rektor der Schule, Michael Hempel, hat einen Teil seiner Schriften ins Deutsche übersetzt. Darüber hinaus hat Weller sich für mancherlei Dinge eingesetzt, so etwa dafür, dass in Freiberg eine Druckerei eingerichtet werden konnte. An den Rat schrieb er und bat darum, auch Schülern aus armen Familien den Schulbesuch zu ermöglichen. In dem Aufruhr, den Herzog Moritz durch seinen Wechsel zu Kaiser Karl V. im Schmalkaldischen Krieg verursachte und der durch Wolf Loß initiiert worden war, riet Weller zur Mäßigung und hat von diesen auffrührischen mörderischen Führnehmen abgemahnet. Als die Tochter eines Bauern aus der Umgebung in Entzückung geriet, Stimmen hörte, die zukünftige Dinge voraussagten, und zur Buße rief, redete ihr Weller neben den Geistlichen der Stadt zu. Dagegen, als ein Hans Vater aus Mellingen bei Weimar nach Freiberg kam und hier vorgab, vom Teufel besessen zu sein, hat Weller ihn verhört und seine Gaukelei erkannt und verurteilt. Am 28. März 1572 starb er an einem Schlaganfall. Sein Epitaph befindet sich über dem Lettner des Domes. Im Rathsbuch ist vermerkt: Dieser fürtreffliche Mann hat ein stilles, heiliges, gottseliges Leben geführet, treulich und hertzlich gebetet und sich in Lehr und Wandel also erzeiget, dass er billich für den Freyberger Propheten zu halten sei. W

Wir lassen uns nicht gendern Argumentieren und Widerstand leisten Bericht von einer hochinteressanten Vortragsveranstaltung der Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« zu einem hochaktuellen Thema Walter Rominger

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Walter Rominger Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30 INFORMATIONSBRIEF 295

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it ihrer Halbtagsveranstaltung »Wir lassen uns nicht gendern. Argumentieren und Widerstand leisten« am »Tag der Deutschen Einheit« (3. Oktober), hat die Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« sich mit einer unterschwellig und oft im Verborgenen, jedoch fast weltweit wirkenden und deshalb so gefährlichen Entwicklung befasst. Etwa 45 Interessierte waren ihrer Einladung zur kritischen Auseinandersetzung mit der Ideologie des Gender-Mainstreaming nach Kassel-Wilhelmshöhe ins Haus der Kirche gefolgt, um sich von zwei kompeten27


ten Referenten in dieser bedrückenden Angele- alle«. Professor Spreng untermauerte mit seigenheit Informationen und Anregungen zum nen Ausführungen als Naturwissenschaftler, der Umgang mit dieser Ideologie geben zu lassen. freilich vom christlichen Glauben geprägt und Der derzeitige kommissarische Vorsitzende überzeugt ist, das, was auch seriöse Bibelforder Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evan- schung schon seit langem weiß. gelium«, Pastor Johannes Frey aus Stuhr bei BreMehr praxisorientiert war das ebenfalls durch men, wies gleich zu Beginn darauf hin, wie sehr Bildpräsentation untermalte Referat von Eckdies doch alle angehe, was bereits daran sichtbar hard Kuhla aus Syke bei Bremen, dem Vorsitwerde, wie Schüler in diesem Sinne beeinflusst zenden des Vereins AGENS e. V. Er konnte werden sollen. Aber auch der Widerstand dage- aufzeigen, wie massiv auf breiter Front die Gengen sei auf breiter Front auszumachen; selbst der-Ideologie allenthalben eindringt und vorder Evolutionsbiologe und Atheist Professor dringt, gefördert durch finanzielle Unsummen. Kutschera aus Kassel widerspreche dem Gen- Es gebe bereits 2000 Gleichstellungsstellen und derwahn im Namen der Naturwissenschaften; 200 Gender-Lehrstühle. Aber diese Ideologie, Genderismus sei, auch wenn das die totalitäre Züge trage und Gegenteil behauptet werde, zutiefst mm Damit bestätigt 1999 in Deutschland durch eiunwissenschaftlich. nen Kabinettsbeschluss der dadie Hirnforschung Diesem Urteil stimmte der erste maligen rot-grünen Bundesreden biblischen Be­ der beiden Referenten, der emerigierung so richtig angelaufen tierte Erlanger Gehirnphysiologe Pro- fund, wonach Gott sei, dringt Eckhard Kuhla zufessor Manfred Spreng voll und ganz Mann und Frau als folge auf leisen Sohlen vor. In zu, indem er als Ergebnis seines etwa den Medien sei darüber wenig einstündigen Vortrags, den er durch sich ergänzend, kom­ zu erfahren. Gearbeitet werde Bildpräsentationen noch eindrück- plementär, geschaffen mit verdeckten Botschaften licher zu gestalten wusste, formu- hat. Professor Spreng und erkennbare Verantwortlilierte, alle naturwissenschaftlichen che seien nicht auszumachen. Fakten sprächen klar gegen Gender- bezeichnete dies als Wer sich indes dagegen wende, Mainstreaming. Professor Spreng gute Schöpfung Got­ werde mit dem verbalen Totmachte deutlich, Gender wolle in tes. Schließlich könne schlaginstrument, er sei hoalle Bereiche des menschlichen Lemophob, mundtot gemacht. bens und Zusammenlebens eindrin- sich Verschiedenheit Dennoch sei dagegen aufzugen und sei dies auch bereits. Dass optimal ergänzen, stehen. Der Referent empfahl Gender völlig gegen die (menschlifolgenden vier Schritte: Inwährend sich Gleich­ die che) Natur sei, das zeige sich etwa formation, Empörung, Aktiodaran, wenn behauptet werde, die heit bestenfalls addie­ nen, Bildung von Netzwerken. Einteilung in Männer und Frauen ren könne. Er sprach sich gegen Resignasei rein willkürlich oder, wie dies die tion aus. Es sei nötig, sich geamerikanische Vorkämpferin dieser Ideologie, gen diese Ideologie zu wehren und dies sei auch Judith Buttler, tue, die behauptet, Mann und möglich. Dass die grün-rote Landesregierung Frau seien nur eingeredet und dann zu solchen von Baden-Württemberg ihre Bildungspläne, erzogen; zudem seien Geschlechtsorgane un- die ganz von der Gender-Ideologie beherrscht bedeutend. Geschlechtsmerkmale, so Professor gewesen seien, nun doch in dieser Hinsicht abSpreng, entwickelten sich jedoch bereits im he- geschwächt und was deren Einführung anlangt, ranwachsenden Kind im Mutterleib. Unschwer langsamer verfahre (im Frühjahr 2016 sind sei es auch, die Behauptung zu widerlegen, es Landtagswahlen), sei mit auf die gut besuchbestehe kein Unterschied zwischen Mann und ten Demonstrationen der Bildungsplangegner Frau. Damit bestätigt die Hirnforschung den bib­ in Stuttgart zurückzuführen. Aus diesem und lischen Befund, wonach Gott Mann und Frau auch anderen Vorkommnissen schloss Eckhard als sich ergänzend, komplementär, geschaffen Kuhla, die Genderisten nehmen allmählich den hat. Professor Spreng bezeichnete dies als gute Widerstand wahr. Schöpfung Gottes. Schließlich könne sich VerDen beiden hochaktuellen und -interessanten schiedenheit optimal ergänzen, während sich Vorträgen schloss sich eine spannende DiskussiGleichheit bestenfalls addieren könne. Damit sei onsrunde an. Mit Information und Wissen bees auch klar, dass ein Zwei-Personen-Haushalt, reichert konnten die Teilnehmer gegen Abend bestehend aus Mann und Frau, zur Erziehung von Kassel abreisen. Und wohl alle werden das von Kindern am besten geeignet sei, nicht aber gute Gefühl gehabt haben: der heutige Tag war die von Gender-Ideologen geforderte »Ehe für kein vergeblicher und keine vergeudete Zeit. W 28

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Aus der Bekenntnisbewegung »Ich bin die Auferstehung und das Leben …« Pfarrer Hansfrieder Hellenschmidt, der langjährige Vorsitzende der Bekenntnis­bewegung ist 81jährig heimgegangen So lange wie vor ihm noch keiner, durfte der württembergische Pfarrer Hansfrieder Hellenschmidt, Vorsitzender der Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« sein. 17 Jahre – von 1997 bis 2014 – sind es gewesen. Das zeigt, welch großes Vertrauen er genoss. Viele werden sich seiner dankbar erinnern, sei’s, dass sie mit ihm im Geschäftsführenden Ausschuss (GA) oder Bundesarbeitskreis (BAK) der Bekenntnisbewegung zusammengearbeitet haben, Teilnehmer seiner immer gut und gern besuchten Bibel-Freizeiten waren und sich von ihm in die Tiefe der Heiligen Schrift einführen ließen, die er über Jahre hinweg in Oberstdorf durchführte oder ganz einfach dankbare Leser seiner biblischen Meditationen und schrift- und bekenntnisorientierten Aufsätze im Informationsbrief waren. All das wird nun recht schmerzlich vermisst werden, nachdem Hansfrieder Hellenschmidt am 8. Oktober nach kurzer, jedoch schwerer Krankheit, im Alter von 81 Jahren in Filderstadt-Sielmingen heimging, wo er seinen doch recht langen und sehr aktiven Ruhestand verbrachte. Der geschätzte Vorsitzende der Bekenntnisbewegung wurde am 17. August 1934 in Husum geboren und kam dann in den Nachkriegswirren zusammen mit seinen Eltern und fünf Geschwistern nach Fellbach bei Stuttgart. In jungen Jahren besuchte er die Hahnsche Gemeinschaft. Nach seiner theologischen Ausbildung am Seminar in St. Chrischona bei Basel wurde er nach einem kurzen »Zwischenspiel« im altpietistischen Gemeinschaftsverband Pfarrer der württembergischen Landeskirche. Obwohl er in all den Jahren Hirte großer Gemeinden war (Königsbronn auf der Ostalb bei Heidenheim, Bonlanden bei Stuttgart, Bad Wildbad im Schwarzwald), fand er Zeit und nahm sich diese, zur theologischen und auch zur philosophischen Fort- und Weiterbildung, so dass er über ein breites und gleichzeitig tiefes Wissen verfügte, wollte er doch die Fragen der Zeit verstehen und Antwort darauf von einem durchdachten INFORMATIONSBRIEF 295

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und reflektierten Glauben aus geben, etwa bei seinen theologischen Stammtischen und später bei der Bekenntnisbewegung. Er betrieb Theologie deshalb nicht um ihrer selbst willen, also nicht als »Glasperlenspiel«, sondern als Dienst für die Gemeinde, um diese »endzeitfest« zu machen und zuzurüsten auf die Ankunft des Herrn. Bevor er zur Bekenntnisbewegung stieß, nahm er bereits übergemeindliche Aufgaben wahr und engagierte sich in Bekennenden Gemeinschaften, etwa bei der Evangelischen Sammlung in Württemberg, bei deren Rundbrief er zeitweise als Schriftleiter fungierte. Zur Bekenntnisbewegung stieß er als Pfarrer der württembergischen Landeskirche gewissermaßen als »Quereinsteiger«. Er war noch Pfarrer in Bad Wildbad, als ihn sein Vorgänger im Amt des Vorsitzenden, der bereits vor etlichen Jahren heimgegangene badische Pfarrer HansGeorg Meerwein in die Bekenntnisbewegung zur Betreuung des Informationsbriefes holte. Mit großem Interesse packte Hansfrieder Hellenschmidt diese Aufgabe an, und der alle zwei Monate erscheinende Informationsbrief gewann ab da in jeder Beziehung an Format. Vor allem durch die Suche und Besuche durch Hansfrieder Hellenschmidt gelang es, einen wenn auch recht überschaubaren, so doch stabilen und zuverlässigen Autorenstamm zu gewinnen. Auch als Hansfrieder Hellenschmidt Hans-Georg Meerwein im Amt des Vorsitzenden »beerbt« hatte, gehörte weiterhin sein großes Interesse dem Informationsbrief, der, was Inhalt und Diktion anlangt, geradezu Seltenheitswert im trotz Sterbens auch kirchlich-theologischer Blätter immer noch dichten Blätterwaldes hat. Dessen »Alleinstellungsmerkmal« besteht doch darin, vom theologischen »Laien« verstanden zu werden und auf Professoren nicht langweilig zu wirken mit seinen von profunden Autoren verfassten Beiträgen zu gerade brennenden kirchlich-theologischen und angrenzenden Fragestellungen. Hansfrieder Hellenschmidt hatte die Gabe, einsetzende Entwicklungen bereits recht früh zu erkennen, nicht allein in Theologie und Kirche, sondern auch in der Geistesbewegung ganz allgemein, in Kultur, Politik und Gesellschaft und dazu hatte er, noch positiv verstärkt durch seine auch umfangreiche philosophische Bildung, die Gabe zur Unterscheidung der Geister, so dass er wusste, worauf es ankommt; das zeigte sich 29


etwa bei seiner Einschätzung zur Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre zwischen Lutherischem Weltbund und Vatikan am Ende des vergangenen Jahrtausends. Im Zeitraum von weniger als einem Jahr rief der Herr über Leben und Tod nun vier derer heim, die mit dem Anliegen der Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« eng verbunden waren: in der vergangenen Weihnachtszeit Hanns Leiner, zu Jahresbeginn die beiden Brüder Gottfried Meskemper und Wilhelm Hesemann; und nun am 8. Oktober ihn, unseren langjährigen und geschätzten Vorsitzenden. Seinen Heimgang bereits fest im Blick, ernannte ihn der Bundesarbeitskreis (BAK) in Anerkennung seiner großen Verdienste einmütig zum Ehrenvorsitzenden der Bekenntnisbewegung. Es wird nicht einfach sein, einen Nachfolger zu finden, der in seine Fußstapfen zu treten vermag; aber die Hoffnung bleibt.

Doch wir wollen nicht traurig darüber sein, dass wird diese Glaubensbrüder verloren haben, sondern dankbar dafür, sie gehabt zu haben und uns voll Dankbarkeit daran erinnern, was sie der Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« gegeben haben, ganz besonders er, unser tatkräftiger, langjähriger Vorsitzender Hansfrieder Hellenschmidt, der sich stets, und hierin ganz getreu dem Apostel Paulus und dem Reformator Martin Luther, als gerechtfertigter Sünder verstanden hat. Er und die andern heimgegangenen Brüder schauen, was sie geglaubt haben. Auf der Todesanzeige von Hansfrieder Hellenschmidt steht ein Wort Jesu, der Grund des Glaubens und der Hoffnung der Christen: »Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt« (Johannes 11,25). Walter Rominger

Aus den Bekennenden Gemeinschaften Wolfgang Sickinger im Ruhestand Nach 40 Dienstjahren ist Pfarrer Wolfgang Sickinger mit 63 Jahren am 1. September in den Ruhestand getreten. Viele Jahre – seit 1975 – war er zunächst Vikar und dann Pfarrer in Mülheim an der Ruhr. In seiner Gemeinde war der Gottesdienstbesuch mit etwa 100 Teilnehmern für rheinische Verhältnisse hoch. Vorsitzender der Evangelischen Sammlung im Rheinland und Schriftführer der Konferenz Bekennender Gemeinschaften wird Sickinger weiterhin bleiben. Er hat immer wieder deutliche Worte gefunden gegenüber Entwicklungen und Positionen der evangelischen Kirche: er kritisierte das Nein zur Judenmission, die kirchliche Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und die »Ideologie des Gender-Mainstreaming« in der Kirche. Von einem Kirchenaustritt riet er jedoch ab. (Quelle der Nachricht: ideaSpektrum 35/36/2015 vom 3. September 2015, S. 33, West)

Der Vorsitzende des ABC Till Roth ist Dekan Der Vorsitzende des theologisch konservativen Arbeitskreises Bekennender Christen in Bayern (ABC), Till Roth (48), bislang seit 2002 Pfarrer in Redwitz (Oberfranken), ist Dekan von Lohr am Main. Er ist seit 1. November Nachfolger von Michael Wehrwein, der das Dekanat Lohr, das 22 Kirchengemeinden mit 21000 Gemeindegliedern umfasst, 25 Jahre lang leitete und einer der wenigen Dekane in Bayern war, die als theologisch konservativ einzustufen sind. Seit 2010 steht Roth ehrenamtlich dem ABC vor, in dem 20 lutherisch, pietistisch, hochkirchlich und kommunitär geprägte Gemeinschaften in der bayerischen Landeskirche zusammenarbeiten. Der Arbeitskreis will den christlichen Glauben bei allen Gemeindegliedern stärken. (Quelle der Nachricht: ideaSpektrum 26/2015 vom 24. Juni 2015, S. 24, Bayern)

Mitarbeiter an diesem Heft: Kirchenrat Professor Dr. Karl-Hermann Kandler Enge Gasse 26 09599 Freiberg Telefon (03731) 23545 Fax (03731) 218150

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Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (07431) 74485 E-Mail: w.rominger@t-online.de

Professor Dr. Reinhard Slenczka, D. D. Spardorfer Straße 47 91054 Erlangen Telefon und Fax (09131) 24139 E-Mail: Grslenczka@aol.com Studiendirektor, Pfarrer Hanns Leiner †

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Weitere Exemplare des Informationsbriefes für Juli 2013, Heft 279 und für Juli 2014, Heft 286 sowie die Traktate »Falsche Propheten sind unter uns«, »Ist Gott interreligiös?« und »Gemeinsame Feier des Reformationsjubiläums 2017?« können –– auch in größerer Stückzahl –– bei der Geschäftsstelle bestellt werden. Geschäftsführender Ausschuss Stellvertretender Vorsitzender Pfarrer Johannes Frey Ofener Weg 3 28816 Stuhr Telefon (04 21) 5 22 89 10 E-Mail: johannes.frey@kabelmail.de Schriftführer Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (0 74 31) 7 44 85 E-Mail: w.rominger@t-online.de

Weitere Mitglieder des Geschäftsführenden Ausschusses Gabriele Reimer Beurhausstraße 31 44137 Dortmund Telefon (02 31) 5 84 46 96 Fax (02 31) 5 89 36 37 E-Mail: Gabriele.Reimer@gmx.de Martin Schunn Hölderlinstraße 9 75334 Straubenhardt Telefon (0 70 82) 2 02 75 E-Mail: m.schunn@kvst-nb.de

Kassenwart Hans Lauffer Osterstraße 25 70794 Filderstadt Telefon (0 71 58) 48 31 Fax (0 71 58) 94 78 73 E-Mail: hans.lauffer@t-online.de

Mit Fragen bezüglich der Spendenbescheinigungen wenden Sie sich bitte an unseren ­Kassenwart Hans Lauffer. Sie erreichen ihn telefonisch unter (0 71 58) 48 31, per Fax 94 78 73 oder per E-Mail hans.lauffer@t-online.de Bankkonten Volksbank Filder e. G., (BLZ 611 616 96) Konto-Nr. 65 500 016 IBAN DE34 6116 1696 0065 5000 16 BIC (SWIFT)-Code: GENO DE S1 NHB Postgirokonto Schweiz: Postgiroamt Bern Nr. 30-195 56-2 IBAN CH21 0900 0000 3001 9556 2 BIC POFICHBEXXX

Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« e. V. Geschäftsstelle: Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (07431) 74485 E-Mail: w.rominger@t-online.de www.keinanderesevangelium.de

Impressum: Herausgeber und Verlag: Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« e. V. – zweimonatlich, kostenlos – Redaktion: Walter Rominger Satz und Layout: Grafisches Atelier Arnold, Dettingen an der Erms Druck: BasseDruck, Hagen ISSN 1618-8306 Fotos/Abb. auf Seite: 2: Heilsarmee Deutschland 3: diaconia.org 4: elk-wue.de, privat 7, 22, 23, 24: Wikimedia Commons, public domain 18: MEV 20: ccvision restliche privat.

Nachsendeanträge bei der Post kommen bei der Bekenntnisbewegung nicht als Adressänderung an. Deshalb auch bei Umzügen die Adressänderung durch untenstehenden Abschnitt an die Geschäftsstelle weitergeben. Für Neubestellung, Adressänderung und Abbestellung ausschneiden und einsenden an: Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« Geschäftsstelle: Mehlbaumstraße 148, 72458 Albstadt

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Breite segnend deine Hände über Mensch und Erde aus. Die da wandern ohne Ende, bring sie alle gut nach Haus. Oberkirchenrat, Professor Franz Fischer †, Wien


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