Informationsbrief Februar 2016

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Aus dem Inhalt

Neues aus Kirche und Welt Aus Lehre und Verkündigung Gedanken zur Jahreslosung 2016 Recht und Grenze historisch-kritischer Arbeit an der Bibel Betrachtungen auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2017 Georg Spalatin, der »Kirchenpolitiker« der Wittenberger Reformation Die Zehn Gebote – An-Gebote zum Leben Johannes Schweblin: Das Wort Gottes soll nicht vermischt werden Aus Kirche und Gesellschaft Aus der Bekenntnisbewegung Buchrezensionen

ISSN 1618-8306

Februar 2016 Nr. 296

Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium«


kurz+bündig Personen

Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler (72, Berlin, Bundespräsident von 2004 bis 2010) und seine Frau Eva Luise wurden am Reformationstag in Straßburg mit der MartinLuther-Medaille des Rates der EKD ausgezeichnet, wegen ihres politischen und sozialen Engagements für Afrika. Köhler gründete 2004 als Bundespräsident die Initiative »Partnerschaft für Afrika«. Erstmals wurde ein Ehepaar mit diesem Preis ausgezeichnet.

Oberkirchenrat Thomas Begrich (64), der seit 2003 die Finanzabteilung der EKD leitete und auch Geschäftsführer der Stiftung Kirchliche Baudenkmäler ist und in den Ruhestand tritt, dieses EKD-Amt. Seit 2002 war Heidrun Schnell, die aus Hermannstadt in Siebenbürgen stammt, verheiratet ist und Mutter von zwei Söhnen, für die Finanzen der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz zuständig.

Kirche in Deutschland

Kirchentag

Bretten gehört zu den »Reformationsstädten Europas«

Europäischer Kirchentag geplant

Luther-Medaille für Altbundespräsident Köhler und Frau

Bretten, die Geburtsstadt Philipp Melanchthons darf sich »Reformationsstadt Europas« nennen. Bislang gibt es 36 Kommunen mit diesem Titel. In die Liste wurden außer Bretten nun auch die baden-württembergischen Städte Heidelberg, Konstanz und Wertheim sowie das thüringische Schmalkalden aufgenommen. Weitere Städte in Baden-Württemberg sind Crailsheim, SchwäbischHall und Tübingen. Zudem gehören die österreichischen Städte Graz und Steyr sowie das ungarische Debrecen dazu. EKD-Finanzabteilung –– erstmals Frau an der Spitze

Die bisherige Berliner Oberkonsistorialrätin Heidrun Schnell (46) übernimmt von 2

Christen aus mehr als 20 Ländern wollen einen ­europäischen Kirchentag organisieren. Wie es in einem Dokument von einer Tagung des Deutschen Evangelischen Kirchentages heißt, »wollen wir als Christen zur Einheit Europas und zur Verantwortung Europas in der Welt beitragen« mit dem ökumenischen Treffen in Krisenzeiten. Die Präsidentin des nächsten evangelischen Kirchentages 2017, die Schweizer Theologin Christina Aus der Au, erklärte: »In dieser Zeit des Auseinanderdriftens wollen wir gemeinsam eine eigene europäische und ökumenische Form für einen europaweiten Kirchentag finden.«

Kirche weltweit Aufbruch in Frankreich

Unter allen Kirchen wachsen die bibeltreuen in Frankreich am schnellsten. Alle zehn Tage werde eine neue Gemeinde gegründet. Evangelikale stellen zwei Drittel aller Protestanten in Frankreich. Nach Angaben des Nationalen Evangelischen Rats sind seit 1970 fast 1600 freie Gemeinden in Frankreich gegründet worden. Inzwischen gebe es 2440 Gemeinden in 2184 Städten. Konferenz ­Europäischer Kirchen hat neuen ­Generalsekretär

Der aus Finnland kommende orthodoxe Theologe Heikke Huttunen ist als neuer Generalsekretär der Konferenz Europäischer Kirchen für rund 120 europäische Kirchen zuständig. Präsident ist der emeritierte anglikanische Bischof Christopher Hill.

Evangelische Diaspora Erstmals Frau an Spitze des GAW

Mit der Ulmer Prälatin Gabriele Wulz (56, seit 2001 Prälatin), die auch theologische Stellvertreterin des württembergischen Landesbischofs ist, steht erstmals eine Frau als Präsidentin des Gustav-Adolf-Werkes (GAW) an der Spitze dieses evangelischen Diasporawerkes. Bisher war Wulz Vizepräsidentin des GAW und seit 2002 Vorsit-

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zende des württembergischen GAW, dem größten Zweigwerk im gesamten GAW.

Evangelische Allianz DEA: Zehn Neuberufungen in den Hauptvorstand

Mit umfangreichen Neuberufungen in den Hauptvorstand, ihr Leitungsgremium, weitet die Deutsche Evangelische Allianz (DEA), die das evangelikale Spektrum aus Kirchen und Freikirchen sowie etwa 350 Werken und Verbänden repräsentiert, ihr Netzwerk aus, womit das schon bestehende noch tragfähiger gemacht werden soll. Der Hauptvorstand umfasst jetzt 70 Mitglieder. Folgende zehn wurden im vergangenen Sommer hinzuberufen: Wolfgang Büsing, Dr. Jörg Dechert, Michael Eggert, Johannes Justus, Steffen Kern, Torsten Kerstein, Andrea Meyerhoff, Jurek Schulz, Frank Spatz, Thomas Weigel.

Römisch-katholische Kirche Marx für Reformen bei Zulassung Geschiedener zu Sakramenten

Bei der »Familiensynode« in Rom hat der Vorsitzende der (katholischen) Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx (München), die Praxis, zivil geschiedenen und wieder verheirateten katholischen Gläubigen nicht zu Buße und Kommunion zuzulassen, infrage gestellt.

Theologenausbildung St. Chrischona: Schweizer löst Deutschen in der Leitung ab

Der 47-jährige promovierte Schweizer Chemie-Ingenieur Benedikt Walker löst den Deutschen 57-jährigen Horst Schaffenberger, der die Ausbildungsstätte St. Chrischona (Bettingen bei Basel) seit 2006 leitet, im Sommer 2016 ab. Schaffenberger wird aber weiterhin als Dozent in St. Chrischona bleiben. Bisher leitete Walker seit zwölf Jahren die VBG (Vereinigte Bibelgruppen), eine evangelikale Bewegung von Berufstätigen, Studenten und Schülern in der Schweiz; seit 1995 war er bereits Regionalleiter dieser Gruppierung. 2015 konnte der Verband Chrischona International sein 175-jähriges Jubiläum begehen.

Kultur Claussen neuer Kulturbeauftragter der EKD

Der bisherige Hamburger Hauptpastor (seit 2007 an St. Nikolai) und Propst des Kirchenkreises Hamburg-Ost (seit 2004), Johann Hinrich Claussen (51), der zudem Präsident des Evangelischen Kirchenbautages ist und evangelische Theologie an der Universität Hamburg lehrt, ist neuer Kulturbeauftragter des Rates der EKD und leitet zudem das Kulturbüro der EKD in Berlin. Er folgt auf Petra Bahr, die das Amt von 2006 bis 2014 innehatte.

kurz+bündig

Personen +++ Kirchen +++ Glauben +++ »Modernes Leben«


kurz+bündig An seinem Seminar wurden in dieser langen Zeit 6400 junge Christen ausgebildet. Zurzeit studieren in St. Chrischona fast 120 junge Männer und Frauen, vorwiegend Schweizer und Deutsche. Zu Chrischona International gehören 187 Gemeinden und Gemeinschaften in der Schweiz, in Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Südafrika und Namibia mit rund 20 000 Mitgliedern.

steller Udo Ulfkotte, früher Mitarbeiter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), erleben. Denn Ulfkotte musste auf Anraten des Staatsschutzes seine Wohnung verlassen und Kontakte zu Freunden abbrechen. Er kennt Hunderte, die schon mit dem Tode bedroht wurden.

Christliche Publizistik

Islam Niedersachsen: Lehrerinnen dürfen Kopftuch tragen

Muslimische Lehrerinnen dürfen an öffentlichen Schulen in Niedersachsen grundsätzlich in allen Fächern ein Kopftuch tragen. Bisher war das Tragen eines Kopftuches nur im islamischen Religionsunterricht möglich. Die Karlsruher Richter begründen dies damit, ein pauschales Kopftuchverbot verstoße gegen die Religionsfreiheit und sei deshalb rechtswidrig. Lediglich bei Konflikten dürfen Schulen das Tragen eines Kopftuches untersagen, wofür aber der Schulfriede oder die staatliche Neutralität konkret gefährdet sein müssen.

»Entscheidung« eingestellt

Das christliche Hilfswerk »Geschenke der Hoffnung« hat seine alle zwei Monate erscheinende Zeitschrift »Entscheidung«, die seit 1963 erschien, zu Anfang in Verantwortung der »Billy Graham Evangelistic Association«, eingestellt. 30 Jahr lang, von 1974 bis 2004, hatte die Germanistin Irmhild Bärend die Redaktion inne. Seit den 1990er Jahren war die Auflage rückläufig und lag zuletzt bei 22 000 Exem­ plaren. Vier Beschäftige verlieren den Arbeitsplatz.

Gesellschaft

Islamkritiker leben ­gefährlich

Das musste – wieder einmal – der islamkritische Schrift4

Baden-Württemberg: Mehr als 800 gleichgeschlecht­ liche Partnerschaften

813 »Paare« sind 2014 in Baden-Württemberg eine

gleichgeschlechtliche Partnerschaft eingegangen. Zum Jahresende 2014 lebten etwa 5100 »Paare« in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Es gibt ein deutliches StadtLand-Gefälle. Verglichen mit der Einwohnerzahl gibt es die meisten gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften in Mannheim, Stuttgart, Heidelberg, Karlsruhe, Freiburg und im Kreis Tübingen; die wenigsten im Landkreis Tuttlingen und im SchwarzwaldBaar-Kreis. Der SPD-Vorsitzende von Baden-Württemberg, Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid, forderte als Reaktion auf die Statistik erneut die Öffnung der Ehe für alle. Die Zahlen machten deutlich, »wie ausgeprägt der Wunsch der Menschen auf eine Partnerschaft mit allen Rechten und Pflichten ist«. Kalifornien: Sterbehilfe erlaubt

Im US-Bundesstaat Kalifornien ist, wie in vier weiteren Bundesstaaten, ärztliche Sterbehilfe erlaubt. Gouverneur Jerry Brown (Demokraten) hat ein entsprechendes Gesetz unterzeichnet. Demnach dürfen Ärzte Menschen mit einer Lebenserwartung von maximal sechs Monaten todbringende Medikamente verschreiben. Doch wer will so genau wissen, wie lange die Lebenserwartung noch ist!

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Aus Lehre und Verkündigung mm Ihr sollt sogar eure Feinde lieben. Nicht weil sie eure Brüder sind, sondern damit sie eure Brüder werden. Augustinus

mm Der Mensch lebt und bestehetm nur eine kleine Zeit,m und alle Welt vergehetm mit ihrer Herrlichkeit.m Es ist nur einer ewigm und an allen Enden,m und wir in seinen Händen.m Und der ist allwissend, halleluja!m Und der ist heilig, halleluja!m Und ist allmächtig, halleluja!m Ist barmherzig.m Halleluja! Amen, Amen!m Halleluja! Amen, Amen, Amen!m Ehre seinem großen Namen.m Halleluja! Halleluja! Amen, Amen! Matthias Claudius (1783)

mm Das Allerwichtigste an einer Synodalgemeinschaft ist reine Lehre und Erkenntnis. Carl Ferdinand Wilhelm Walther (1811–1887)

mm Von zentraler Bedeutung war im ganzen Urchristentum die Begrenzung der Sexualität auf die Ehe und die Bewahrung der jedem Partner von Gott gegebenen Ehre im Verkehr miteinander. Bischof i. R. Ulrich Wilckens

mm Alle Schriften des neutestamentlichen Kanons setzen die Wirklichkeit des lebendigen Gottes selbst voraus, der sich in der Geschichte seines Handelns mit den Menschen offenbart hat und bezeugen dies. Zu dieser Geschichte gehört die Geschichte des Urchristentums mit hinzu und somit auch alles Geschehen der Entstehung und Wirkung der urchristlichen Schriften, die darum mit sachlichem Recht im späteren Kanon als geisterfüllte apostolische Schriften zum bleibenden Fundament alles christlichen Glaubens und Lebens in der Kirche aller Zeiten erhoben worden sind. Bischof i. R. Ulrich Wilckens

mm In die ersten Augenblicke des neuen Tages gehören nicht eigene Pläne und Sorgen, auch nicht der Übereifer der Arbeit, sondern Gottes befreiende Gnade, Gottes segnende Nähe. Dietrich Bonhoeffer

mm Wenn Christus der Gesandte und Sendende zugleich ist, so ist auch die Kirche die Frucht und das Werkzeug seiner Sendung zugleich. Die Kirche hat sich also nicht zu entscheiden, ob sie Mission treiben will, sondern sie kann sich nur rufen lassen, Kirche zu sein, das heißt sich senden zu lassen. These der Generalsynode der m Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche 1958 INFORMATIONSBRIEF 296

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mm Als Jesus alle Mühseligen und Beladenen aufforderte, zu ihm zu kommen, hörten vielleicht 1000 Menschen zu. Dem Lockruf von Angela Merkel und Siegmar Gabriel hören fünf Milliarden Menschen zu. Dass wir nicht alle davon bei uns willkommen heißen können, ist klar. Die aktuelle selbstzufriedene »Willkommen«Glücktrunkenheit vieler Deutscher wird bald in einem großen Kater enden, infolge der erwartbaren Integrationsprobleme. Dieser Kater wird uns noch Jahrzehnte zu schaffen machen. Walter Krämerm Professor für Wirtschaftsstatistik (Dortmund)

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Gedanken zur Jahreslosung 2016

Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. Jesaja 66,13 Gert Kelter »Ich glaube an Gott den Vater« bekennen wir im Apostolischen Glaubensbekenntnis im Einklang mit der Heiligen Schrift. Das ist auch nicht nur die »halbe Wahrheit«, die erst zur »ganzen Wahrheit« würde, wenn man hinzufügte: »Ich glaube an Gott, die Mutter.« Aber wer weder dem ideologischen Genderwahnsinn verfallen ist, noch das biblische Kind mit dem Bade ausschütten möchte, wird zugestehen müssen: Die Heilige Schrift beschreibt an gar nicht wenigen Stellen Gottes Wesen und Handeln an uns mit eindeutig mütterlichen Prädikaten. Und das ist gut, weil tröstlich. Nun gilt für das »Mütterliche« dasselbe, wie für das »Väterliche«: Nicht jeder verbindet damit ausschließlich tröstliche Erfahrungen. Es gibt Väter, die widerliche Tyrannen sind und von ihren leidgeprüften Kindern daher nur noch als »Erzeuger« bezeichnet werden. Es gibt aber auch Mütter, die ihre Kinder misshandeln oder vernachlässigen und egozentrisch nur auf ihre Ruhe oder Karriere bedacht sind. Wenn die Bibel von Gott als Vater spricht und ihm Mütterliches zuschreibt, hat sie ideale Verhältnisse im Blick, die mit unserer Erfahrung nicht unbedingt übereinstimmen müssen. Wohl aber mit unserer Sehnsucht! Gott will uns trösten, wie eine Mutter. Wie tröstet eine

Mutter ihr Kind? Den Säugling tröstet sie, indem sie ihn an ihre Brust nimmt und ihn »stillt«, ihn nährt und ihn einfach mit wortloser Liebe umfängt. »Gib dich zufrieden und sei stille in dem Gotte deines Lebens«, setzt Paul Gerhardt dieses mütterliche Gottes-Bild in seinem Lied in eine zutiefst friedvolle Szene. Ja, so ist Gott – gibt uns der Prophet Jesaja auf die Wege dieses Jahres mit. Mütterliches Trösten ist vor allem gekennzeichnet durch das bloße Dasein, das Nahesein. In den letzten Lebenssekunden haben unzählige »Kriegshelden« im Gefühl tiefster Verlassenheit nach dem Nahesein ihrer Mutter geschrien. Die Person in der Bibel, in der die Gegenwart Gottes Gestalt angenommen hat, ist aber nicht die »Mutter Maria«, sondern der Sohn Jesus Christus, der uns tröstet: »Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.« Es ist derselbe, der sein Volk wie eine Henne ihre »Küchlein« unter seine Flügel versammeln will. Der Immanuel, der »Gott-ist-mit-uns«. Diese mütterlich-tröstende Nähe Christi begleite Sie durch Sein Wort, im Heiligen Abendmahl, im Gebet und im Gottesdienst alle Tage dieses neuen Jahres! W (Quelle: Feste-Burg-Kalender 2016, Freimund Verlag Neuendettelsau 2015)

Gert Kelter Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30

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Recht und Grenze historisch-kritischer Arbeit an der Bibel Rainer Mayer

»Diese Zeilen sind nicht geschrieben, Menschen zu verurteilen, für die unser Herr Jesus Mancher mag fragen: Warum dieses Thema? ans Kreuz gegangen ist. Vielmehr soll das SysEs wurde reichlich behandelt. Die historisch- tem der historisch-kritischen Theologie in seikritische Arbeitsweise gilt als wissenner Gefährlichkeit gekennzeichnet schaftlicher Standard an den Theo- mm Wissenschaftli- werden, so, wie man auf eine Giftlogischen Fakultäten und gleichfalls che Arbeitsweisen flasche ein entsprechendes Etikett als maßgebende Voraussetzung für aufklebt, damit niemand aus Verdie kirchliche Verkündigung. Andere sind jedoch kein sehen daraus trinkt und meint, er exegetische Methoden werden ent- Glaubensgegenwürde sich damit Gutes einverleisprechend abqualifiziert oder nur in- stand. Revidierba- ben.«2 Es geht ihr darum, zu warsofern geduldet, als man so genannte nen und zu meiden. Pietisten oder Evangelikale, die Kritik re Erkenntnisse Dem gegenüber äußerte sich an der Alleinstellung historisch-kriti- dürfen nicht als Karl Barth (1886–1968) so: scher Arbeitsweise üben,1 aus prag»Eines der besten Mittel geunumstößliche matischen Gründen einbinden und gen die liberale oder sonstwie nicht verlieren will, weil sie den Kern wissenschaftliche üble Theologie besteht darin, sie der Kirchentreuen, die Basis der Ge- Ergebnisse ausge- eimerweise zu sich zu nehmen. meinden bilden. Wogegen alle Versuche, sie dem Zwei Stellungnahmen zur histo- geben werden, die Menschen künstlich oder zwangsrisch-kritischen Arbeit seien an den fraglos zu akzepweise vorzuenthalten, ihn nur verAnfang gestellt. Beide sind ihr gegen- tieren sind. anlassen können, ihr in einer Art über skeptisch, jedoch verschiedener von Verfolgungswahn erst recht Ansicht darüber, in wieweit man sich auf sie ein- zu verfallen.«3 Es geht ihm also darum, möglassen soll. lichst viel davon zu sich zu nehmen. Eta Linnemann (1926–2009), Professorin, Was nun? Ich denke, beide Aussagen sind die zunächst mit historisch-kritischen Arbeiten insofern richtig, als sie von den verschiedenen im Rahmen der Bultmann-Schule (Rudolf Bult- Lebensläufen her zu erklären sind. Eta Linnemann 1884–1976) ausgewiesen war und später mann spricht aus ihrer persönlichen Erfahrung, zum persönlichen Glauben an Jesus Christus Karl Barths Aussage resultiert aus seinem ganz fand, warnt eindrücklich: anderen Lebensweg. Für mich als theologischem Lehrer hat das immer bedeutet, meine Studenten gründlich mit der historisch-kritischen Arbeit bekannt zu machen und insoweit Karl Barth Recht zu geben. Dies Bekanntmachen geschah allerdings in kritischer Weise, indem ich von vornherein aufzeigte, an welchen Stellen wissenschaftstheo­ retische und weltanschauliche Weichenstellungen geschehen. Insofern bekam Eta Linnemann Recht. Ich sagte meinen Studenten dem Sinne nach: »Ihr müsst Bescheid wissen, ihr müsst auf Rainer Mayer der Höhe der Diskussion argumentationsfähig Die Anschrift des Autors sein. Doch Wissenschaft wird nur in der Weise finden Sie auf Seite 30

Warum dieses Thema?

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richtig betrieben, dass Hypothesen als Hypo- wird vielfach plakativ als Gegensatz zu einem thesen gekennzeichnet werden, die in laufenden »fundamentalistischen« Bibelverständnis verVerfahren zu überprüfen sind. Wissenschaftli- wendet. Dies ist jedoch ein Kurzschluss. Hische Arbeitsweisen sind jedoch torische Bibelforschung (z.  B. kein Glaubensgegenstand. Rebei Werner Keller s. o.) ist nicht vidierbare Erkenntnisse dürfen dasselbe wie historisch-kritische nicht als unumstößliche wisArbeit. Und wer die Gültigkeit senschaftliche Ergebnisse ausder historischen Kritik hintergegeben werden, die fraglos zu fragt, ist deshalb noch lange akzeptieren sind.« kein Fundamentalist! Ein Weiteres tritt hinzu: Der Es gibt Versuche, die histoBegriff »historische Kritik« entrische Kritik an der Bibel bis hält ja zwei Stichwörter, ersauf die Reformation zurücktens das Historische, zweitens zuführen. In der Tat hat Mardas kritische Denken. Es gilt tin Luther (1483–1546) im aufzuschlüsseln. Erstens: Was Unterschied zur mittelalterliwird unter »historisch« verchen Lehre vom »vierfachen standen? Zweitens: An welchen Schriftsinn«5 alles Gewicht auf Maßstäben misst sich »Kritik«? den wörtlichen Sinn gelegt, Und da in der Wissenschaft Den Beginn der historisch-­ um Spekulationen, insbesoneine Forschungsmethode dem kritischen Arbeit kann man dere über den »allegorischen Forschungsgegenstand ange- mit Hermann Samuel Sinn«, zurückzuweisen, weil auf messen sein muss, ist es durch- Reimarus (1694–1768) diesem Wege alles Mögliche aus aus richtig, die Bibel auf ge- ansetzen. der Bibel herausgelesen – besschichtliche Zusammenhänge ser gesagt – hineininterpretiert hin zu befragen. Nicht zufällig reden wir von werden kann, was gar nicht dasteht. Durch Al»biblischer Geschichte«. Weil wir wissen, dass legorisieren wird die Bibel unsicher und es tritt die Bibel Gottes Offenbarung in der Geschichte ein, was die scholastischen Theologen sagten: bezeugt, dürfen wir keinesfalls die geschicht- »Die Bibel hat eine wächserne Nase, man kann lichen Fragen abweisen. Umgekehrt gibt es ja sie drehen, wohin man will.« Durch Allegoriauch Versuche, auf historischem Weg die Wahr- sieren wurde z. B. aus Lukas 22,38, wo Petrus heit der Bibel und ihre Gültigkeit für uns zu zu Jesus auf dem Weg nach Gethsemane sagt, beweisen; klassisch bei Werner Keller in seinem »hier sind zwei Schwerter«, die mittelalterliche Buch »Und die Bibel hat doch recht. Forscher Zwei-Schwerter-Theorie abgeleitet, wonach der beweisen die historische Wahrheit«.4 Als Theo- Papst das eine Schwert führt, während das zweilogiestudenten lernten wir freilich im Rahmen te Schwert dem Kaiser zusteht. Luther hingeder existenzialen Interpretation, dies Buch gen war von der claritas scripturae (Klarheit gründlich zu verachten, weil die »bloße« Histo- der Schrift) überzeugt. Sie enthält nicht verrie nichts zur Wahrheit der Bibel beitragen kön- borgenes Geheimwissen. Vielmehr laufen alle ne. Doch auch das ist falsch. Warum sollten wir biblischen Bücher, beginnend beim Alten Tesuns nicht darüber freuen, wenn historische An- tament, auf die Botschaft von der Versöhnung gaben der Bibel z. B. auf archäologischem Wege in Christus zu. Von dieser »Mitte der Schrift« als korrekt erwiesen werden? Glaube im tieferen aus lässt sich alles Weitere aufschlüsseln. GeSinne entsteht auf diesem Wege allerdings nicht. heimniskrämerei ist nicht nur unnötig, sondern Denn für-wahr-halten ist nicht glauben im bibli- schädlich. Sonst stellen sich andere Autori­täten schen Sinne. Doch es ist umgekehrt keineswegs über die Bibel und behaupten, diese Geheimsinnvoll, den Zugang zum Glauben durch un- nisse zu entschlüsseln. So geschieht es z. B. im nötige Zweifel an der bib­lischen Zuverlässigkeit Schwärmertum und dort, wo die Tradition als zu erschweren. maßgeblicher Schlüssel zum rechten Bibelverständnis gilt. Deshalb ist schlicht und einfach zu erforschen: »Was steht da?« – und eben das ist Zur Geschichte der historisch-­ der wörtliche Sinn. Dieser wörtliche Sinn ist das kritischen Forschung (oder: Fundament aller Auslegung. Was heißt hier »kritisch«?) Als wichtigstes Hilfsmittel, um den wörtliAuch bezüglich der Frage, was »historisch- chen Sinn zu erschließen, dienen die Sprachen. kritisch« genau bedeutet, wird zu wenig diffe- Deshalb war die Reformation so eng mit der renziert. Der Begriff hat sich eingebürgert und humanistischen Bewegung verbunden, die, was 8

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die Sprachkenntnisse und Sprachforschung be- wickelnden Naturwissenschaften. Die Naturgetraf, in Philipp Melanchthon (1497–1560) ein setze gelten als undurchbrechbar und sind mit Glanzlicht hatte. Evangelische Theologen ha- der menschlichen Vernunft als einer Gottesgabe ben seither primär die Bibelvoll zu erkennen. In derselben sprachen Hebräisch und GrieWeise gibt es eine vernünftichisch zu lernen; erst in zweiter ge Religion, die jenseits der Linie das Lateinische als dognur spaltenden Dogmen alle matische Kirchensprache. gutmeinenden Gottesverehrer Die grundlegende Fraeint, indem diese den Lehren ge nach dem wörtlichen von hohen sittlichen Pflichten Schriftsinn ist später von der und Tugenden folgen. historisch-kritischen Forschung Wir halten folgende Motive mit aufgenommen worden. für Bibelkritik fest, die sich beAber deshalb darf man keinesreits bei Reimarus zeigen: wegs die Reformation für die Kirchenkritik: In den Kirhistorische Kritik vereinnahchen und in unvernünftigen men. Das ist eine Irreführung! Religionsformen werden DogDie Reformatoren gingen nämmen vertreten, die nur zu Spallich von der Klarheit und dem tungen bis hin zu Kriegen fühVertrauen auf die Bibel aus, Richard Dawkins übernimmt ren. während in der historisch-kriti- als »neuer Atheist« in der Dogmenkritik: Die Dogmen schen Arbeit prinzipiell Unklar- Gegenwart die Argumente Rei- sind irrational und beruhen auf heit und Ungenauigkeit der Bi- marus’. Nur die Bibel verwirft supranaturalen Spekulationen bel vorausgesetzt werden, wie er grundsätzlich und ersetzt und Mythen. Sie sind nicht nun aufzuzeigen ist. den Schöpfergott durch den nur überflüssig, sondern auch Man kann den Beginn der Glauben an die Selbstschöpfung schädlich. historisch-kritischen Arbeit (sol- durch ­Evolution. Bibelkritik: Die Bibel ist, che Stichdaten sind freilich stets insbesondere im Alten Testagrob gewählt) mit Hermann Samuel Reimarus ment, mit unmoralischen Geschichten durch(1694–1768) ansetzen. Jedenfalls lässt Albert setzt, und ihre historischen Berichte sind durch Schweitzer (1875–1965) seine »Geschichte der unvernünftige Mythen und Wunder verfälscht. Leben-Jesu-Forschung« mit dieser Gestalt be- Man kann aber diese unreinen Schlacken durch ginnen (ursprünglicher Titel der Erstauflage: sorgfältiges Prüfen herausfiltern und beseiti»Von Reimarus zu Wrede«, 1906). Reimarus gen. Wenn man das tut, stößt man in der Bibel war ein Kind der Aufklärungszeit. Als er geboren durchaus noch auf »echtes Gold« und »heilsame wurde, lag der 30-jährige Krieg noch keine 50 Arzenei«. Jahre zurück. Religiöse Ausei­nandersetzungen, Positiv: Es gibt eine alle vernünftigen Mendie zu schrecklichen Kriegen führen können, schen verbindende gottgläubige Moralreligion, galten als überholt. Jenseits aller Religionen, die die Gutwilligen friedlich vereint und zum Konfessionen und divergierenden Dogmen pro- Fortschritt der Menschheit führt. klamierte man einen allgemeinen menschlichen Damit sind bei Reimarus bereits alle ArguVernunftglauben. In diesem Sinne verfasste Rei- mente vereint, die sich in der Gegenwart bei den marus eine »Apologie oder Schutzschrift für die neuen Atheisten, wie z. B. Richard Dawkins,6 vernünftigen Verehrer Gottes«, die allerdings wiederfinden – mit Ausnahme dessen, dass Reierst nach seinem Tode von Gotthold Ephraim marus noch an einem allgemeinen Schöpfergott Lessing (1729–1781) herausgegeben wurde. festhielt, den Dawkins durch den Glauben an Aus rationalistischen Gründen lehnte Reimarus die Selbstschöpfung durch Evolution ersetzt – die Realität von Wundern (außer dem Urwun- und dass Reimarus noch an der Bibel als einem der der Schöpfung) ab. Jesus, so Reimarus, habe im Grunde guten Buch mit »echtem Gold« ein weltliches Reich errichten wollen und sei da- festhält, nachdem sie durch Vernunft gereinigt mit gescheitert. Aus dieser Verlegenheit heraus wurde, während Dawkins die Bibel grundsätzhätten die Jünger die Mythen von Auferstehung lich verwirft. und Himmelfahrt erfunden und das »apostoliWar die erste Epoche der historisch-kritische System von Jesus als geistlichem Erlöser« schen Arbeit an der Bibel von der Frage »naentwickelt. türlich oder übernatürlich?« geleitet, und stand Als die Reimarus leitenden Ideen lassen sich hier der Gottesbegriff im Mittelpunkt, so geht festhalten: Rationalismus im Sinne der sich ent- es in einer zweiten Epoche um die Frage: »Wer INFORMATIONSBRIEF 296

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war Jesus wirklich?« Diese Frage war zwar schon wird, gilt damit als sekundär. In gar keiner Weidurch Reimarus angestoßen worden, doch nun se ist den biblischen Berichten über Jesus hiswurde genauer untersucht: Wenn die Evange- torisch zu vertrauen. Übrig bleibt vom Neuen lien erst nach Jesus von seinen Jüngern oder Testament die »Idee der Gottmenschheit«, das späteren Anhängern verfasst wurden, so muss ist die Vereinigung des menschlichen Wesens man einerseits herausfinden, was Jesus selbst mit dem göttlichen. Während Strauß also alles gesagt und gemeint hat, andeÜbernatürliche als mythologisch rerseits, was seine Jünger daraus mm Methodisch wird ablehnt, will er die Bedeutung gemacht haben; in der Fach- […] zwischen Leben der Bibel dadurch retten, dass er sprache: Es geht um den Undas Historische für unwesentlich terschied zwischen historischem und Werk Jesu vor der erklärt. Deshalb kann die BibelJesus und verkündigtem Chris- Auferstehung und der kritik, und sei sie noch so radikal, tus. Die Zäsur setzt Ostern. christliche Wahrheit nicht Verkündigung des Heils die Methodisch wird also zwischen ungültig machen. Leben und Werk Jesu vor der in Christus nach der Hier liegt der AnknüpfungsAuferstehung und der Verkündi- Auferstehung getrennt. punkt für Rudolf Bultmann gung des Heils in Christus nach (1884–1976), der ebenfalls dader Auferstehung getrennt. Die Die Auferstehung selbst von ausgeht, dass wir vom hisAuferstehung selbst bleibt dabei bleibt dabei der Drehtorischen Jesus eigentlich nichts der Dreh- und Angelpunkt. Da und Angelpunkt. Da wissen können. Im Unterschied sie aber aufs Äußerste wunderzu Strauß geht Bultmann dann haft ist, wurde sie aus der For- sie aber aufs Äußers­te aber – um die Bedeutung der schung über den historischen wunderhaft ist, wurde Bibel festzuhalten – nicht wie Jesus (nicht aus der Jesusfor- sie aus der Forschung Strauß zum Gottmenschentum schung) herausgenommen und über, sondern zur existenzialen den so genannten Mythen über über den historischen Interpretation. Die Kontinuität den verkündigten Christus zu- Jesus […] herausgenom- zwischen den Texten des Neuen gerechnet. Testaments und ihrer Auslegung men und den so geMit der Frage nach dem hisin der Moderne liegt demnach torischen Jesus kam die Evan- nannten Mythen über in einem spezifischen menschligelienfrage in den Blick. Warum den verkündigten Chris- chen Selbstverständnis. schildert der Evangelist Johannes Wir sehen, dass bei den maßJesus so anders als z. B. Markus? tus zugerechnet. gebenden Vertretern der histoAntwort: Während bei Markus risch-kritischen Bibelexegese das die Messianität Jesu im Leiden verborgen ist, Motiv mitläuft, zu retten, was zu retten ist. Bösgeht nach dem Johannesevangelium Jesus schon artigkeit darf ihnen keinesfalls unterstellt werin seinem Erdenleben als der erhöhte Gottes- den. Sie scheinen fast erschrocken zu sein über sohn durch die Welt. Nach Markus ruft Jesus die Ergebnisse ihrer historisch-kritischen Arbeit, am Kreuz: »Mein Gott, mein Gott, warum hast zugleich aber halten sie diesen Ansatz samt seidu mich verlassen?« (Markus 15,34) Nach Jo- nen Voraussetzungen für wissenschaftlich unhannes spricht er hoheitsvoll: »Es ist vollbracht« verzichtbar und wollen ihn »um der Redlichkeit (Johannes 19,30). Folglich, so das Resultat, be- willen« nicht aufgeben. tont Markus mehr die vorösterliche Sicht, JoBultmann und seine Schüler gehören insofern hannes mehr die nachösterliche auf Jesus. Alle nicht zur Geschichte der historisch-kritischen Evangelien sind aber nach Ostern entstanden, Exegese der Bibel, als sie diese Arbeitsweise nicht daher, so die These, haben sie alle, auch Markus, mehr substanziell weiterentwickeln und deren Prinzipien nicht mehr in Frage stellen, sondern den historischen Jesus dogmatisch übermalt. Diese Phase der Forschung fand nach Dar- dass sie diese als selbstverständliches Paradigma stellung Albert Schweitzers ihren Abschluss mit für alle wissenschaftliche Exegese voraussetzen. Auf dieser Basis wird nun allerdings Weiteres dem »Leben Jesu« (1835) von David Friedrich Strauß (1808–1874). Strauß vertrat in diesem aufgebaut. Neben der existenzialen InterpretaBuch die radikale These, die gesamte Evange- tion Bultmanns gibt es heute noch andere Anlienüberlieferung sei ungeschichtlich. Nicht ein sätze wie: Politische Theologie, Feministische historisches Geschehen sei mythisch übermalt Exegese, ursprungsgeschichtliche Auslegung, worden, sondern viel radikaler meinte Strauß, ei- tiefenpsychologische Exegese, materialistische nem Mythos sei das Gewand der Historie über- Auslegung usw. Sie alle gehen nicht hinter die geworfen worden. Alles, was historisch be­richtet historisch-kritische Arbeit zurück, sondern mo10

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difizieren nur deren Ergebnisse daraufhin, welche verbleibenden Impulse der Bibel sie im Sinne ihrer jeweiligen Eigeninteressen für wichtig halten.

Analogie: Allem historischen Geschehen liegt ein Kern von Gleichartigkeit zugrunde. Anders gesagt: Wir können nur nach solchen (Natur-) Gesetzen geschichtlich zurückblicken und urteilen, die auch heute gültig sind. Denn Naturgesetze gelten zeitlos und sind undurchbrechbar. Zur Systematik historisch-­ WW Die antidogmatische Folgerung lautet: Es kritischer Arbeit an der Bibel gibt keine analogielosen Ereignisse. Was heu(oder: Was heißt hier »historisch«?) te unmöglich ist, war auch früher unmöglich. Wir haben bisher gesehen, dass Wunder und Wenn z. B. heutzutage keine Toten auferstealles, was den Anschein des Übernatürlichen hen, kann sich das früher ebenfalls nicht erhat, im Rahmen historisch-kritischer Arbeit als eignet haben. Die Auferstehung Jesu Christi »unhistorisch« abgelehnt wird. Dahinter stehen ist deshalb keine geschichtliche Tatsache. ein bestimmter Vernunftbegriff, eine bestimm- Korrelation: Alles Geschehen im Kosmos läuft te Wirklichkeitssicht und ein Wissenschaftsver- in einer Kette von Ursache und Wirkung ab; ständnis, das von der Undurchbrechbarkeit ste- keine Ursache ohne Wirkung, keine Wirkung tiger Naturgesetze ausgeht. Das alles führt zu ohne entsprechende Ursache. einem spezifischen Geschichtsverständnis. WW Die antidogmatische Folgerung daraus lauWie kommt es zu diesem Geschichtsvertet: Es gibt keine direkte Einwirkung Gotständnis? Die Antwort auf diese Frage hat Ernst­ tes auf innerweltliche Zusammenhänge. Alle Troeltsch (1865–1923) in dankenswerter Klar­ Ereignisse, von denen die Bibel berichtet, heit gegeben. In seinem Aufsatz »Über histo­ stehen ebenfalls in einer innerweltlichen Ketrische und dogmatische Methode in der Theote von Ursache und Wirkung, die erforscht logie« von 18987 wandte er sich gegen die werden kann. So z. B. entstanden Christendogmatisch-positiv denkenden Theologen seitum und Kirche nicht durch Einwirkung des ner Zeit und warf ihnen vor, nicht wirklich geHeiligen Geistes zu Pfingsten, sondern ihre schichtlich zu denken. Für die wissenschaftliche Entstehungs­geschichte muss im Rahmen reGeschichtsforschung nannte er drei Prinzipien: ligionsgeschichtlicher Zusammenhänge erKritik, Analogie und Korrelation. Diese Prinzischlossen und erklärt werden. pien gelten nach Troeltsch für alle Wissenschaf- Diese Troeltschen Kriterien als Voraussetten, haben aber zugleich nach seiner Ansicht zung aller theologisch-wissenschaftlichen Forjeweils eine antidogmatische Spitze. Dogma- schungsarbeit sind von den maßgeblichen Vertisch-positiv denkende Theologen, die noch an tretern historisch-kritischer Arbeit an der Bibel Wunder usw. glauben, werden keine Zukunft bis heute nicht modifiziert, geschweige denn mehr haben, meint Troeltsch. Denn: »Die his- widerrufen worden. Es handelt sich jedoch um torische Methode [im Sinne von Troeltsch], ein völlig veraltetes Wissenschaftsparadigma, einmal auf die biblische Wissenschaft und auf das aus den Prinzipien der vormodernen Nadie Kirchengeschichte angewandt, ist ein Sauer- turwissenschaft stammt und durch die Lehren teig, der alles verwandelt und der schließlich die der klassischen Physik des 19. Jahrhunderts ganze bisherige Form theologischer Methoden repräsentiert wird. Von dort wurde es auf die zersprengt.«8 Geschichtsforschung übertragen. Dem folgen heute keineswegs alle Historiker und die NaDie drei Prinzipien und ihre anti­ turwissenschaftler schon gar nicht mehr. Die dogmatischen Folgerungen bedeuten moderne Naturwissenschaft kann und darf zwar im Einzelnen: Gott nicht als Arbeitshypothese voraussetzen, Kritik: Es gibt in der Geschichtsforschung nur sie kann und darf aber ebensowenig die Realität Wahrscheinlichkeitsurteile. Wir sind auf Quellen Gottes und sein geschichtsmächtiges Handeln angewiesen und müssen deren Zuverlässigkeit prinzipiell bestreiten. Und tatsächlich kann und prüfen. will moderne Naturwissenschaft weder positiv WW Die antidogmatische Folgerung lautet: Auch noch negativ Erkenntnisse über Gott vermitteln. im Blick auf die biblische Überlieferung Der Physiker Pascual Jordan (1902–1980), (z. B. im Blick auf die Frage, wer Jesus war, der mit Max Born zusammen an der Erforwas er getan und gelehrt hat) gibt es nur schung der Quantenmechanik beteiligt war, Wahrscheinlichkeiten. Es gibt folglich keine schrieb über Bultmanns Verhaftetsein an den eindeutige Offenbarung Gottes in der Ge- von Troeltsch genannten Wissenschaftskriterien schichte, in diesem Sinne auch keine (Heils-) und dem daraus folgenden WissenschaftsverGewissheit. ständnis: INFORMATIONSBRIEF 296

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»So liegt etwa den gesamten Bestrebungen Ergebnis und Ausblick Bultmanns die unabänderliche Überzeugung zugrunde, die Naturwissenschaft von heute sei Sofern es nicht um Glaubensfragen und noch immer stehen geblieben, wo sie vor hun- Wunder geht, haben Jahrhunderte historischdert Jahren stand, und die naturwissenschaft- kritischer Arbeit an der Bibel zweifellos auch lichen Irrtümer des vorigen Ergebnisse gebracht, die zu Jahrhunderts müssten heute beachten und erkenntnisförvon der Theologie mit tiefem dernd sind. Das betrifft zuRespekt als unumstößliche, nächst den Grundsatz, dass die der Theologie übergeordnete Bibel ein geschichtliches Buch Wahrheit anerkannt werden.«9 ist und geschichtlich gelesen Der Umbruch im Wissensein will. schaftsverständnis der Physik Dies widerspricht nicht dem begann Anfang des 20. JahrGedanken von der Heilsgehunderts mit Forschungen im schichte Gottes mit Mensch Rahmen der Kernphysik. und Welt, sondern fördert ihn, Das Fazit lautet: Die moobwohl die historische Kritik derne Naturwissenschaft beselbst nicht heilsgeschichtlich weist nicht, dass es Gott nicht denkt. Darüber hinaus ergibt (»doppelte Verneinung«, brachte die historische Kritik Pascual Jordan), sie anerkennt viele Einzelerkenntnisse auf »offene Spielräume«, weil die philologischem, historischem Kausalketten zwar gelten, aber und religionsgeschichtlichem insbesondere im Mikrokosmos Gebiet. In ihrem Rahmen nicht in allen Bedingungen mm »Die moderne Natur­ wurden folgende Methoden fassbar sind (und zwar grund- wissenschaft beweist weiter- oder neu entwickelt, sätzlich nicht: z. B. sind Ort die zum Standard-Handwerksund Geschwindigkeit eines nicht, dass es Gott nicht zeug exegetisch arbeitender Elektrons nicht gleichzeitig gibt.« Theologen gehören. Pascual Jordan bestimmbar: »UnschärferelatiTextkritik: Hier werden die on«). verschiedenen antiken HandSchließlich ist »gehorchenschriftenfunde der biblischen der Zufall« denkbar, dass nämlich einmalige Textüberlieferung untersucht, um den Bibeltext Entscheidungen Prozesse in Gang setzen, die in der Ursprungssprache so darzustellen, wie später als zufällig erscheinen (Heisenberg). er wahrscheinlich erstmals aufgeschrieben wurDas alles ist kein Gottesbeweis, sperrt aber de (Vergleich von Textvarianten und Ausmerdie Theologie, wenn sie wissenschaftlich arbei- zung von – meist kleinen – Abschreibfehlern in ten will, nicht mehr in den Käfig des vormo- Handschriften). Die Textkritik beginnt schon dernen Wissenschaftsverständnisses aus dem 19. vor der historisch-kritischen Arbeit an der Bibel Jahrhundert ein. und wurde insbesondere von Theologen betrieKurz: Die so genannte »moderne Theologie« ben, die die Autorität der Bibel anerkennen und ist in Wirklichkeit völlig veraltet, weil sie sich denen der wörtliche Schriftsinn wichtig ist. Die einem vormodernen ­ Wissenschaftsverständnis Pioniere gehören oft in den pietistischen Zuver­schrieben hat. Ihre so genannten Forschungs­ sammenhang und finden sich in Erweckungsergebnisse sind vielfach keine Ergebnisse von kreisen. Forschungen, sondern Niederschlag ihrer weltAls besonders wichtige Namen sind hier zu eranschaulichen Voraussetzungen. So ist z. B. die wähnen: Johann Albrecht Bengel (1687–1752), These, die Auferweckung Jesu Christi durch der erstmals bestimmte Textgruppen und ÜberGott sei kein geschichtliches Ereignis, keines- lieferungsstränge zusammenstellte; Konstantin wegs ein zwingendes Ergebnis der Quellenfor- von Tischendorf (1815–1874), der den Codex schung, sondern eine Feststellung a priori auf- Sinaiticus auffand und vor der Vernichtung retgrund der von Troeltsch genannten Kriterien tete, sowie Eberhard Nestle (1851–1913), der für das, was als historisch gelten kann und was 1898 im Rahmen der Württembergischen Binicht. belanstalt erstmals das Griechische Neue TestaWar nun alles vergeblich und sinnlos, was in ment mit kritischem Apparat herausgab. Jahrhunderten historisch-kritischer Arbeit an Literarkritik: In der Literarkritik werden alle der Bibel erforscht wurde? biblischen Schriften bis in den Halbvers hinein 12

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analysiert. Daraus ergibt sich die Quellenschei- Wegen dieser Abhängigkeit und Komplexität dung. Impulsgebend war die Auffassung von bleibt manches offen. Julius Wellhausen (1844–1918), dass den MoZusammenfassend halten wir fest, dass die sebüchern verschiedene Quellen zugrunde lie- exe­ getischen Methoden, die im Rahmen der gen. In der Bibel selbst werden historisch-kritischen Arbeit an zum Teil die Quellen genannt, mm Bei den biblischen der Bibel gebraucht werden, so z. B. ausgiebig in den Königs- Texten handelt es sich teilweise grundlegend für Theobüchern. Die Literarkritik lehrt, logie und Glaube sind wie die die Texte ernst zu nehmen und um Zeugnisse vom Textforschung (»Textkritik«), genau hinzusehen. Ihre Grenze Handeln Gottes in andererseits für das rechte Verbesteht darin, dass die Thesen Vergangenheit, Geständnis unbedingt erforderlich über Autor(en) und Entstewie die Gattungsunterscheihungszeit der jeweiligen Quel- genwart und Zukunft. dungen. Wieder anderes kann le oft überzogen sind und ins Zur Dimension des manchmal erhellend sein, bleibt Hypothetische führen, so wenn aber oft hypothetisch wie die geschichtsmächtigen z. B. die Texte des Neuen TestaQuellenscheidung. Weitgehend ments weitestgehend als nacha- Handelns Gottes hat spekulativ arbeiten Form-, Über­postolische Gemeindebildung die historisch-kritische lieferungs- und Redaktionsgedeklariert werden. schichte. Formgeschichte: Die Form- Arbeitsweise aufgrund Deutlich haftet den genannten geschichte analysiert die Gat- ihrer selbst gewählArbeitsweisen etwas Technischtungen der Texte (Gleichnis, ten Voraussetzungen Formales an: Von der notwenGebet, Wundererzählung, Gedigen Textforschung (»Textschichtsbericht, Lied, prophe- jedoch keinen Zugang. kritik«) als Grundlage, weiter tischer Spruch usw.). Sie greift Kritischer müssten über die Literarkritik und Formbis auf die Zeit der mündlichen deshalb die Historisch- geschichte, wird ein biblischer Überlieferung, also vor die VerAbschnitt rückwärts in seine schriftlichung, zurück. Dabei Kritischen sein, kritiEinzelteile zerlegt; mit Hilfe der fragt sie nach dem Sitz im Leben scher gegen ihre eigeÜberlieferungs- und Redaktider einzelnen Gattungen. Wer wird er vorwärts nen Voraussetzungen! onsgeschichte oder welche Gruppe hat den wieder zu einem Ganzen zusamText überliefert und wa­ rum? mengefügt. Das ist der typische Die formgeschichtliche Forschung ist insbeson- Vorgang moderner Technik, bei dem Natur zerdere mit dem Namen Hermann Gunkel (1862– legt wird, um die Einzelteile für den menschli1932) verbunden. chen Gebrauch zu frei bleibenden Zwecken neu Ihre Grenze besteht darin, dass manchmal ins zusammenzufügen. Gebiet von Spekulationen vorgedrungen wird. Deshalb ist es wichtig, die begrenzte BedeuSo führte Gunkel zur Erklärung der Genesis den tung der historisch-kritischen Arbeit zu sehen, Begriff der »Sage« ein, den er aus der nordger- sie aber nicht absolut zu setzen. Es ist eine irre­ manischen Sagenforschung bezogen hatte und führende Verleumdung, diejenigen, die den der sich primär auf die mündliche Überlieferung Absolutheitsanspruch der historisch-kritischen bezieht. Gunkel berücksichtigte zu wenig, dass Arbeitsweise bestreiten und auf ihre Grenzen im Alten Orient Texte viel früher verschriftlicht hinweisen, als »Fundamentalisten« zu verschreiwurden als in Nordeuropa. en. Entscheidend ist, dass festgehalten wird: Überlieferungs- und Redaktionsgeschichte: Bei den biblischen Texten handelt es sich um Der jüngste Zweig in der exegetischen Metho- Zeugnisse vom Handeln Gottes in Vergangendik ist die Überlieferungs- und Redaktionsge- heit, Gegenwart und Zukunft. Zur Dimension schichte. Sie will den Prozess der Entstehung des geschichtsmächtigen Handelns Gottes hat eines Textes rekonstruieren von der mündlichen die historisch-kritische Arbeitsweise aufgrund Stufe über eventuelle schriftliche Quellen und ihrer selbst gewählten Voraussetzungen jedoch deren Überlieferung bis hin zur Form der Nie- keinen Zugang. Kritischer müssten deshalb die derschrift, wie wir sie im heutigen Urtext der Historisch-Kritischen sein, kritischer gegen ihre Bibel finden. eigenen Voraussetzungen!10 Falls Quellen verarbeitet wurden, wird von Aus diesen Gründen sollte man besser – einer »Redaktion« gesprochen. Das Verfahren um die weltanschaulichen Engführungen der setzt die vorher genannten Methoden voraus historisch-kritischen Arbeit zu meiden – hisund ist auf deren Teilergebnisse angewiesen. torisch-theologische oder biblisch-historische INFORMATIONSBRIEF 296

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Forschung11 betreiben. Es geht dabei um eine veränderte Haltung gegenüber der Bibel. Statt dem biblischen Zeugnis mit grundsätzlichem Misstrauen zu begegnen, ist ihm grundsätzlich zu vertrauen. Der Text und seine Botschaft werden ernst genommen. Das heißt im Einzelnen: Es gibt echte Prophetie, Gott handelt wirklich in der Geschichte, er schreibt seine Heilsgeschichte fort von der Schöpfung bis zur Wiederkunft Jesu Christi und der Neuschöpfung des Himmels und der Erde. Deshalb ist der Gott des Alten Testaments derselbe Gott wie der Gott des Neuen Testaments, nämlich der Gott und Vater Jesu Christi. Das ernsthafte Ringen der Schulhäupter historisch-kritischer Arbeit an der Bibel soll nicht in Zweifel gezogen werden. Bei aller heutigen Kritik an ihren Forschungsvoraussetzungen waren es durchweg solide Wissenschaftler. Aber leider war ihre geschichtliche Wirkung negativer als sie selbst. Denn in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen um die Geltung der Bibel in der Kirche scheint von der gesamten historisch-kritischen Arbeit nicht viel mehr übrig geblieben zu sein als der Grundsatz, dass man es mit der Geltung der Bibel nicht so genau nehmen muss, so dass man manchmal seufzen möchte: »Wenn sie doch wenigstens solide historisch-kritisch arbeiten und argumentieren würden!« Stattdessen werden die Stellen, die nicht in die herrschende Anschauung passen oder als unangenehm und persönlich herausfordernd empfunden werden, als »zeitbedingt« abgetan. Im Übrigen wird ins Blaue hinein phantasiert, was im Unterschied zum Geschriebenen »eigentlich gemeint« sei. Heraus kommt ein Aufguss von zeitgeistabhängigen Belanglosigkeiten, die man meist besser bei Parteien, Sozialverbänden oder in den politischen Nachrichten findet. Eine Kirche, in der solches geschieht, macht sich selbst überflüssig, auch dann, wenn sie vorübergehend noch auf der Welle des Zeitgeist-Wohlwollens mitschwimmt. Doch Kirche ist nur da, wo lebendige Gemeinde – auch gegen Widerstände – Jesus Christus als ihren Herrn und Heiland bekennt. Was durchaus soziale und politische Folgen hat; aber als Folge, nicht als maßgebliche Grundlage. Allein die Bibel hat stets die maßgebende Grundlage zu bleiben! Johann Albrecht Bengel stellte im Blick auf die Geschichte der Kirche fest: »Wenn die Kirche wacker ist, so glänzt in ihr die Heilige Schrift; wenn die Kirche kränkelt, so liegt die Schrift danieder.« Martin Luther war einer der größten Bibeltheologen der Kirchengeschichte. Seine Lebens­ 14

mm »Die Heilige Schrift meine niemand hinreichend verstanden zu haben, er habe denn hundert Jahre lang mit den Propheten die Gemeinden regiert. Du lege nicht die Hand an diese göttliche Aeneis, sondern tief anbetend gehe ihren Fußstapfen nach. Wir sind Bettler. Das ist wahr.«

Martin Luther

erkenntnis, niedergeschrieben am 16. Februar 1546, nach seinem Tod am 18. Februar auf seinem Tisch aufgefunden, lautet: »Die Heilige Schrift meine niemand hinreichend verstanden zu haben, er habe denn hundert Jahre lang mit den Propheten die Gemeinden regiert. Du lege nicht die Hand an diese göttliche Aeneis, sondern tief anbetend gehe ihren Fußstapfen nach. Wir sind Bettler. Das ist wahr.« W 1) Vgl. z. B. Gerhard Maier, Das Ende der historisch-kritischen Methode, 3. Aufl. Wuppertal 1975. 2) Eta Linnemann, Anmerkungen zum Studium der historischkritischen Theologie, Reihe »Für Dich«, Heft 1, Leer, o. J., S. 26. Bezeichnend ist, dass Eta Linnemann nicht nur von historisch-kritischer Methode, sondern von historisch-kritischer Theologie spricht. Es geht um die Frage, ob es sich bei den historisch-kritischen Verfahrensweisen nur um eine Methode oder um eine theologische Richtung mit systematischweltanschaulichen Voraussetzungen handelt. Darauf wird im Folgenden eingegangen werden. 3) Zitiert nach: Eberhard Busch, Karl Barths Lebenslauf, 4. Aufl. München 1986, S. 55. Liberale Theologie ist nicht identisch mit historisch-kritischer Arbeit an der Bibel, setzt diese jedoch als unbestritten voraus. 4) Überarbeitete Neuauflage 1978. 5) Ein lateinischer Merkspruch zum vierfachen Schriftsinn lautet: »Littera gesta docet, quod credas allegoria, moralis quid agas, quo tendas anagogia.« Ein Beispiel von Hugo v. St. Victor (gest. 1141) dazu lautet: »Jerusalem« bedeutet wörtlich Stadt in Judäa; allegorisch, bzw. geistlich die streitende Kirche in der Welt; moralisch bzw. tropologisch die glaubende Seele und ihr Tun; anagogisch bzw. eschatologisch die triumphierende Kirche. 6) Vgl. Richard Dawkins, Der Gotteswahn, 9. Aufl. Berlin 2007. 7) Wieder abgedruckt in: Gerhard Sauter (Hg.), Theologie als Wissenschaft. Aufsätze und Thesen, München 1971, S. 105–127. 8) A. a. O., S. 106. 9) Pascual Jordan, Der Naturwissenschaftler vor der religiösen Frage, 3. Aufl. 1965, S. 155f.; hier zitiert nach: Walter Künneth, Offenbarungszeugnis, Schriftenreihe »Festhalten am Wort de Lebens«, Heft 10, o. J., S. 88. 10) Vgl. Karl Barth, Der Römerbrief, Dritter Abdruck der neuen Bearbeitung, München 1924, Vorwort S. XII. 11) Vgl. die in diesem Sinne programmatische Kommentarreihe »Historisch Theologische Auslegung« mit den Herausgebern Gerhard Maier, Heinz-Werner Neudorfer, Rainer Riesner, Eckhard J. Schnabel. FEBRUAR 2016

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Reformation in der Kirche 1517 und 2017

Betrachtungen auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2017 Reinhard Slenczka

»Ich erhebe nicht den Anspruch, klüger als alle anderen zu sein, sondern ich will, dass allein die Schrift herrscht; ich will sie auch nicht durch meinen oder irgend anderer Menschen Geist interpretieren, sondern durch ihren eigenen Geist will ich sie verstehen.«1 Die Verstehensfrage oder das so genannte hermeneutische Problem wird heute als die entscheidende Aufgabe oder gar als Grundvoraussetzung für Verständnis und Geltung der Heiligen Schrift angesehen. Das steht unter der Voraussetzung, dass die Heiligen Schriften Alten und Neuen Testaments zeitbedingt sind und daher aus der Perspektive früherer Zeiten in die heutige Zeit übertragen werden müssen. Angenommen wird eine geschichtliche Entwicklung und Veränderung des menschlichen Geistes. Unter dieser Voraussetzung wird der keineswegs nur von Luther vertretene Grundsatz, nach dem die Heilige Schrift die oberste Autorität in der Kirche hat, die auch von allen menschlichen Meinungen und Einsichten zu

Reinhard Slenczka Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30 INFORMATIONSBRIEF 296

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unterscheiden ist, also das »sola scriptura« – »die Schrift allein«, ausdrücklich aufgehoben mit der Begründung, die menschlichen Einsichten und Erfahrungen hätten sich gegenüber der Reformationszeit verändert. Damit ist heute eine bestimmte Auslegungsmethode, gemeinhin als »historisch-kritische« bezeichnet, zum unumstößlichen Dogma erhoben. Dass eine derartige Dogmatisierung einer einzelnen unter vielen Methoden der Schriftauslegung, die es in Geschichte und Gegenwart gab und gibt, geradezu ein Widerspruch zu jeder Wissenschaftlichkeit ist, wird ausgerechnet unter dem Anspruch von Wissenschaftlichkeit behauptet. Wissenschaftlichkeit jedoch bedeutet Sachgemäßheit, d. h. die Methode muss dem Gegenstand entsprechen. Man kann schließlich nicht die Kunst eines Chirurgen für lebende Menschen mit den Methoden eines Metzgers ausüben. Hier zeigt sich ein unaufhebbarer Gegensatz zwischen dem Reformator und einer sich auf ihn berufenden Theologie. Dieser Gegensatz liegt darin, dass für Luther wie für alle rechtgläubigen Lehrer und Diener der christlichen Gemeinde die Heilige Schrift Wort Gottes ist. Gottes Wort ist nicht darin enthalten und muss gesucht werden; es muss gehört, geglaubt und ihm muss gehorcht werden. Der Dreieinige Gott, der sich im Alten wie im Neuen Testament offenbart, ist nicht allein Objekt, sondern Subjekt: Gott spricht und handelt durch dieses Wort der Heiligen Schrift. Das geschieht elementar in der Anklage des Gesetzes, das die Sünde und das darauf stehende Gericht Gottes aufdeckt, und durch die Verkündigung des 15


Evangeliums von Jesus Christus, durch das der nen, das Wort Gottes verstehen zu können. Hier Ruf zu Umkehr und Vergebung zur Rettung zeigt Luther immer wieder eine ernste Entschieaus dem Endgericht verkündigt und zur Taufe denheit: »[…] der Enthusiasmus steckt in Adam aufgerufen wird. und seinen Kindern von Anfang bis zu Ende der Damit liegt die Differenz im Schriftverständ- Welt, von dem alten Drachen in sie gestiftet und nis nicht in einer bestimmten von vielen Aus- gegiftet, und ist aller Ketzerei, auch des Papstlegungsmethoden, sondern allein in der Fra- tums Ursprung, Kraft und Macht. Darum sollen ge, ob Gott Objekt oder Subjekt und müssen wir darauf beharren, in seinem Wort ist. Freilich: Der mm Alles aber hängt dass Gott nicht will mit uns MenHeilige Geist, der in der Schrift daran, ob das Wort schen handeln denn durch sein äuwohnt und durch sie wirkt, ist ßerlich Wort und Sakrament. Alles niemals Ergebnis menschlicher Gottes der Heiligen aber, was ohne solch Wort und Sak­ Erkenntnisbemühungen, sondern Schrift als oberste rament vom Geist gerühmt wird, göttlicher Erleuchtung, die zu ist der Teufel […]«3 Ohne den Autorität und Richter das Erkenntnis führt: »Denn Gott, der lebendig machenden Geist bleibt sprach: Licht soll aus der Finsternis anerkannt wird, oder man jedoch unweigerlich am tohervorleuchten, der hat einen hel- ob an die Stelle dieten Buchstaben hängen (2.Korinlen Schein in unsre Herzen gegether 3,6). ben, dass durch uns entstünde die ses Wortes menschIn der Schriftfrage geht es um Erleuchtung zur Erkenntnis der liche Worte und das harte Ringen zwischen dem Herrlichkeit Gottes in dem Ange- kirchliche oder akaGeist Gottes und dem Geist von sicht Jesu Christi« (2.Korinther Menschen. Es ist kein Wunder, 4,6). Das Wort, das Gott spricht, demische Autoritäwenn darum, wie in der Reformaist ebenso wie die Erschaffung des ten gesetzt werden. tion so auch heute, aufs heftigste Lichts am Anfang eine Schöpfung Dieser Gegensatz, gerungen wird. Vordergründig aus dem Nichts. So entsteht der scheinen das RichtungsgegensätGlaube an Jesus Christus aus dem der durch Gottes ze zu sein nach dem politischen Wort Gottes. Dass die Schrift hell Wort der Heiligen Schema von konservativ und ist und so verstanden wird, ist von rechts und links. Schrift bewirkt wird, progressiv, ebenso eine Wirkung des Geistes Doch wenn man sieht, wie der wie dass sie dunkel und unver- kann niemals aufge- Widerspruch durch das Wort Gotständlich bleibt, und dieser Vor- hoben werden. tes der Heiligen Schrift selbst ausgang spielt sich im Herzen eines gelöst wird, dann wird man auch Menschen ab.2 Das ist etwas völlig anderes als erkennen, wie Gottes Geist am Werk ist. Alles das verzweifelte Bemühen, Texte alter Zeiten in aber hängt daran, ob das Wort Gottes der Heidie Neuzeit zu übertragen. Bei den vermeinten ligen Schrift als oberste Autorität und Richter oder tatsächlichen geschichtlichen Unterschie- anerkannt wird, oder ob an die Stelle dieses den geht es um die Geschichte des menschlichen Wortes menschliche Worte und kirchliche oder Geistes und Denkens. Wird jedoch die Schrift akademische Autoritäten gesetzt werden. Dieser als Gottes Wort erkannt, dann geht es um den Gegensatz, der durch Gottes Wort der Heiligen lebendigen Geist des Dreieinigen Gottes. Schrift bewirkt wird, kann niemals aufgehoben Hier tritt ein Gegensatz hervor, der heute werden. kaum noch verstanden, wohl aber von vielen So haben wir es bei der Heiligen Schrift als gefühlt wird. Dieser Gegensatz besteht darin, Wort des lebendigen Dreieinigen Gottes nicht dass vieles über Gott und Gotteserfahrungen mir einer theologischen Richtungsfrage zu und Gefühle, vor allem über Verstehensschwie- tun, bei der es verschiedene Meinungen geben rigkeiten geredet wird, doch Gott selbst kommt mag, sondern ebenso wie einst in der Reformaniemals zur Sprache, weil das Wirken des Hei- tion Martin Luthers stehen wir heute vor dem ligen Geistes in Wort und Sakrament nicht er- unaufhebbaren Gegensatz, ob wir von Gott kannt und anerkannt wird. An die Stelle des reden oder ob wir unter der Wirkung Gottes Heiligen Geistes tritt dann unvermeidlich der durch sein Wort stehen, wie es durch Gesetz menschliche Geist mit seinen Ansprüchen und und Evangelium, durch Gericht und Gnade, in Methoden, um Zustimmung und Begeisterung Erwählung und Verwerfung, durch Verstehen, unter Menschen auszulösen. Luther hat diesen aber auch durch Verstockung wirkt.4 In einer Zustand als Enthusiasmus, als Schwärmerei be- Tischrede hat Luther dies erklärt: »Ein Christ zeichnet, die seit Adam und Eva die Menschen muss aber mit Gewissheit sagen können: Das Wort beherrscht, wenn sie aus eigener Einsicht mei- Gottes ist dasselbe Wort, ob es nun Frommen oder 16

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mm »Darum, wenn die Leute nicht glauben wollen, so sollst du stillschweigen; denn du bist nicht schuldig, dass du sie zwingst, dass sie die Schrift für Gottes Buch und Wort halten. Ist genug, dass du deinen Grund darauf gibst […]«

Gottlosen gepredigt wird, wie auch die Kirche unter Sündern besteht. Und dieses Wort bringt entweder Frucht oder nicht, es ist Kraft Gottes zum Heil dem Glaubenden, die Gottlosen aber wird es verurteilen (Johannes 12,37–41). Wenn es anders wäre, hätten die Gottlosen eine ausgezeichnete Entschuldigung vor Gott mit dem Hinweis, sie seien nicht zu verwerfen, weil sie doch kein Wort hätten, und deshalb sie es auch nicht aufnehmen können.«5 Weil es bei der Heiligen Schrift um die Begegnung mit dem Dreieinigen Gott geht, hat Luther immer wieder betont, dass es hier um eine Grundsatzentscheidung geht, bei der die Gegensätze nicht aufgehoben werden können. So sagt er seiner Gemeinde in einer Predigt: »Darum, wenn die Leute nicht glauben wollen, so sollst du stillschweigen; denn du bist nicht schuldig, dass du sie zwingst, dass sie die Schrift für Gottes Buch und Wort halten. Ist genug, dass du deinen Grund darauf gibst […]«6 und auch diese Warnung: »Das ist Ursache und Hauptsache bei allen Versuchungen, wenn die Vernunft über das Wort und Gott aus sich heraus meint urteilen zu können ohne das Wort«.7 Allerdings fällt damit auch die Entscheidung, ob wir vor dem wahren Gott stehen oder anderen Göttern und Prinzipien dienen: »Wer eiINFORMATIONSBRIEF 296

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nen Gott hat ohne sein Wort, der hat keinen Gott; denn der rechte Gott hat unser Leben, Wesen, Stand, Amt, Reden, Tun, Lassen, Leiden und alles in sein Wort gefasst und uns vorgebildet, so dass wir außerhalb seines Wortes nichts suchen noch wissen dürfen noch sollen, und auch von Gott selbst nicht. Denn er will von uns außerhalb seines Wortes mit unserem Dichten und Nachdenken unbegriffen, ungesucht, ungefunden sein«.8 »Gott ist in allen seinen Worten, ja Silben wahrhaftig; wer eins nicht glaubt, der glaubt keins. Es muss alles geglaubt sein, wie Christus sagt« (Matthäus 5,18f.).9 Daher ist festzuhalten: Das Ringen um Verständnis, Geltung und Auslegung der Heiligen Schrift ist eine Wirkung des Wortes Gottes selbst in uns und unter uns zu aller Zeit. W 1) 2) 3) 4)

5) 6) 7) 8) 9)

WA 7, 98, 40–99, 2. WA 18, 609, 4ff. Schmalkaldische Artikel BSLK 455, 27–456, 4. Diese zweifache Wirkung des Wortes Gottes wird durch Gottes Wort vielfach aufgedeckt: 2.Kor 2,15f.; 4,3f.; Röm 9–11; Jes 6; 29,9ff.; 63,17; Mk 4,10–12(3–20)pp.; Joh 12,37–41; 2.Thess 2,9–12; Ps 81,13; Joh 12,37–42; Hebr 4,12f.; Jak 4,11f.; 1.Kor 1,18ff.; Apg 17,30f.; 28,23–28 u. a. WA Tr 3, 669–674, Tischrede Nr. 3868. WA 12, 362, 17ff. WA 42, 116, 18f. WA 30, III, 213, 34–39. WA Tr 2, 287, 27.

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Zur rechten Zeit am rechten Ort:

Georg Spalatin, der »Kirchenpolitiker« der Wittenberger Reformation Walter Rominger

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vangelische Christen glauben, nichts geschieht zufällig, sondern Gott der Allmächtige, ist auch der Herr der Geschichte. Er war es auch, der es so fügte, dass die Reformation im 16. Jahrhundert »erfolgreich« verlief und der sich dabei Menschen bediente, die er dazu würdigte, seine Mitarbeiter bei seinem Werk zu sein. Auch wenn Gott es ist, der alles lenkt, so sind diejenigen, derer er sich dabei bedient, nicht unwichtig. Es war denn auch alles andere als »zufällig«, dass Georg Spalatin (1484–1545), der in den frühen Jahren der Wittenberger Reformation diese einflussreiche Stellung, die er innehatte, besetzte und damit zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen ist. Aber dies macht ja Leben und Werk des Georg Spalatin gerade nicht überflüssig und zeigt vor allem, wie Gott handelt – eben auch mit und durch Menschen. Georg Spalatins Leben und Werk sollen als Exempel christlicher Existenz in den Wirren dieser Welt angesehen werden (vgl. Augsburger Bekenntnis Art. 21, »Vom Dienst der Heiligen«)

Walter Rominger Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30

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und trotz aller Düsternis, die auch über diesem Leben vor allem in seinen letzten Jahren gewaltet hat, aufzuzeigen versuchen, dass Gott führt, nichts zufällig geschieht und Gott nichts entgleitet; dies ist freilich eine Aussage christlichen Glaubens und kann rational nicht so begründet werden, dass keine Fragen offen bleiben (können). Ja, großen Einfluss hat er gehabt und in den Anfängen der Reformation, die er in den frühen Jahren wesentlich mitgestaltete, eine Schlüsselposition eingenommen, der so reich begabte und vielfältig tätige Georg Spalatin: Er war Hofprediger Friedrich des Weisen, auch dessen Geheimrat und Sekretär, Berater in religionspolitischen Angelegenheiten und Prinzenerzieher, Berater der sächsischen Kurfürsten auch nach dem Ableben Friedrich des Weisen, Bibliothekar und Ordner der Universität Wittenberg und schließlich Pfarrer und Superintendent im (jetzigen) thüringischen Altenburg. Wahrlich viel für sechs Lebensjahrzehnte. Geboren wurde Georg Spalatin am 17. Januar 1484 in Spalt bei Nürnberg; er verstarb am Vortag zu seinem 61. Geburtstag am 16. Januar 1545 in Altenburg. Nach seiner Vaterstadt Spalt nannte er sich Spalatin, sein Geburtsname war Georg Burckhardt. Er entstammte einer Handwerkerfamilie – sein Vater war Rotgerber  –, deren Finanzverhältnisse es ermöglichten, dem Sohn eine gute Schulbildung angedeihen zu lassen. In seinen Kinderjahren besuchte er die Sebaldusschule in Nürnberg, auf der er sich soweit FEBRUAR 2016

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vorbereiten konnte, dass er bereits im jugendlichen Alter von 14 Jahren auf die Universität in Erfurt wechseln konnte. Dort war es sein Lehrer Nikolaus Marschalk (1460–1525), ein führender Humanist, der ihn mit diesen Gedanken vertraut machte, wiewohl Georg Spalatin nicht beim Humanismus stehen blieb, sondern sich durch seine so tiefgehende Freundschaft mit Martin Luther (1483–1546) zum reformatorischen Theologen entwickelte, auch wenn er – was ja nicht verkehrt ist – gedanklich immer von Luther abhängig blieb. Seinem Lehrer Nikolaus Marschalk folgte er an die noch junge Universität Wittenberg, wo er am 2. Februar 1503 als einer der ersten den Magistergrad erwarb. Doch bereits 1505 kehrte er nach Erfurt zum Jurastudium zurück. Rufus Mitianus (Konrad Muth, 1470–1526), das Haupt des Erfurter Humanistenkreises, war es denn, durch dessen Vermittlung Georg Spalatin im Kloster Georgentahl Priester und Novizenmeister wurde. Und wiederum aufgrund der Verbindungen des Rufus Mutianus zum kursächsischen Hof, wurde Georg Spalatin Ende 1518 nach Torgau an der Elbe zum Prinzenerzieher berufen, wiewohl er bereits seit 1516 in der kursächsischen Kanzlei war und daselbst für Universitätsangelegenheiten zuständig wurde. Indes, ein begnadeter Pädagoge – seine Aufgabe bestand darin, den jungen Herzog Johann Friedrich, den späteren Kurfürsten, nebst fünf Altersgenossen zu unterrichten – schien Georg Spalatin nicht gewesen zu sein; er ging die Aufgabe wohl mit großer Ernsthaftigkeit, aber wenig Geschick an. Weit mehr Geschick legte er indes im Umgang mit Friedrich dem Weisen an den Tag. Er gewann rasch das Vertrauen des Kurfürsten, so dass dieser auf Georg Spalatin angewiesen war und dieser denn auch rasch zu weiteren und höheren Aufgaben als die des Hofkaplans herangezogen wurde. Georg Spalatin erwies sich sowohl in der mündlichen Predigt (im mündlichen Vortrag) als auch in der schriftlichen Formulierkunst als recht geschickt und so wurde er Friedrich des Weisen Geheimsekretär, Gewissensrat und zum Bibliothekar (Leiter der Wittenberger Bibliothek) in einer Person; zudem war er mit Geschichtsschreibung befasst. Zu Lebzeiten Friedrich des Weisen war er beständig in dessen Nähe und mit allen wichtigen Ereignissen dieser Jahre befasst. Reformen der Kirche, die Spalatin anstoßen wollte, ließen sich jedoch bei Friedrich dem Weisen nicht durchsetzen. Was die Universitätsangelegenheiten betraf, so war er darin in allem der Vermittler zwischen Friedrich dem Weisen und der Hochschule. Durch INFORMATIONSBRIEF 296

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seine Aufgaben an der Wittenberger Universität kam es zur Verbindung mit Martin Luther, wiewohl zu diesem auch Verbindungen durch Johann Lang(e) (1487–1548) bestanden, mit dem Georg Spalatin noch aus seiner Erfurter Zeit befreundet war. Der Reuchlinsche Streit (Johannes Reuchlin, 1455–1522, Humanist, guter Kenner der hebräischen Sprache, Großonkel Melanchthons) trug ebenfalls zur Verbindung zu Martin Luther bei. Georg Spalatin wurde zum einflussreichsten Mittelsmann zwischen Martin Luther und Kurfürst Friedrich dem Weisen, mit welchem Luther persönlich nie gesprochen hat. Es war denn auch Georg Spalatin, der Luthers Schutz durch den Kurfürsten auf der Wartburg (1521/22) erwirkte und dem es immer wieder möglich war, Martin Luther, der aufgrund seiner manchmal ungestümen Art leicht in persönliche Gefahr geraten konnte, von unbedachten Handlungen abzuhalten. Jedenfalls begann denn auch schon recht frühzeitig ein umfangreicher Briefwechsel mit Martin Luther und auch ansonsten führte Georg Spalatin eine weitverzweigte Korrespondenz. Auch wenn ein Großteil seiner Briefe verloren ging, so lässt sich deren Inhalt aus den Antworten rekonstruieren. Dieser umfangreiche Briefwechsel zwischen Luther und Spalatin ist eine der wichtigsten Quellen zur Erforschung der Reformation. So gewann Luther Spalatin schon früh für die Reformation. Und Luther kann seinen Freund und Mitstreiter Spalatin, der allein schon aufgrund seiner Ausbildung und Beziehung zu wichtigen Vertretern des Humanismus zunächst humanistisch geprägter Theologe und eben Hofmann (und wohl auch so etwas wie Kirchenund Universitätsdiplomat) war, für ein gründliches Studium der Heiligen Schrift und ein vertieftes Verständnis derselben gewinnen. Dennoch war Spalatin jahrelang um Verständigung zwischen Erasmus und Luther bemüht, was freilich scheitern musste (vgl. Luthers Schrift »De servo arbitrio«, »Vom unfreien Willen«, 1525). Außer dass Spalatin einige Schriften Luthers (und ebenso Melanchthons) für Friedrich den Weisen ins Deutsche übersetzte, begann er denn auch bald mit der Abfassung eigener Schriften, die evangelisch ausgerichtet waren. Zusammen mit Luther und Melanchthon setzte er sich für eine Universitätsreform der noch jungen Universität Wittenberg ein. Als Friedrich der Weise 1525 verstarb, übernahm Spalatin im selben Jahr das Pfarramt (im heutigen thüringischen) Altenburg, wurde daselbst dann 1528 Superintendent und trat in den Ehestand. In den folgenden Jahren war 19


Johann Friedrich I. der Großmütige, Kurfürst und Herzog von Sachsen, im Kreise der Wittenberger Reformatoren. Die Person hinter Martin Luther wird von Fachleuten meist als Georg Spalatin identifiziert.

er dann viel mit kirchlichen und kirchenpolitischen Angelegenheiten befasst, wiewohl er auch in den Jahren seines Daseins als Superintendent, welches ja ein Aufsichtsamt ist, und Georg Spalatin als einer der wichtigsten Superintendenten Kursachsens zu gelten hat, immer noch die Aufsicht über die Universität und Bibliothek von Wittenberg führte. Zum Aufbau der Kirche leistete er Wesentliches, hatte er doch an der Herbeiführung des heutzutage freilich umstrittenen landesherrlich Kirchenregiments großen Anteil. Wie bereits Friedrich der Weise sein Urteil schätzte, was recht deutlich geworden sein durfte, so fragten ihn auch dessen Nachfolger um seinen Rat. Kurfürst Johann der Beständige (1468–1532) ließ sich von ihm immer wieder beraten, etwa beim Reichstag zu Augsburg (1530), aber genauso dessen Nachfolger Johann Friedrich (1503–1554, Kurfürst von Sachsen bis 1547), bei dem er bereits als Prinzen­erzieher tätig war. Und so konnte denn auch der kur20

sächsische Hof so manches Mal von seinen reformationspolitischen Erfahrungen profitieren. In dieser Hinsicht wirkte Georg Spalatin beim Aufbau der evangelischen (Landes)Kirche in Kursachsen im Segen. Doch die Religionsverhandlungen schlugen sich auf das Gemüt des ohnehin so ernsten und schwerblütigen Mannes nieder und ließen ihn bitter werden. In seinen späten Jahren war er von Bitternis niedergedrückt, weshalb er frühzeitig auf sein Amt verzichten wollte. Luther versuchte seinen verdüsterten Geist mit Trostbriefen aufzuhellen. Auch wenn Georg Spalatins Kräfte früh, nach menschlichem Ermessen zu früh, aufgebraucht waren, so lässt sich doch ohne zu übertreiben sagen, dass seine Bedeutung für die Wittenberger Reformation einzigartig war. Freilich, Gott hat es so geführt – und dennoch kann gesagt werden: ohne Georg Spalatin wäre die Reformation Martin Luthers nicht so verlaufen, wie sie dies tat. Bereits Spalatins Zeitgenossen haben dies auch so beurteilt, anerkannt und zum Ausdruck gebracht. Das große Verdienst Spalatins wird auch dadurch nicht geschmälert, dass er, wie bereits erwähnt, theologisch von Luther abhängig blieb, wiewohl sich bei ihm Abweichungen in der Sakramentslehre von Luther finden und sich Spalatin darin allem Anschein nach mehr Melanchthon angenähert hat. Aber er war es, der ganz wesentlich dazu beigetragen hat, dass sich Luthers Erkenntnis in die Praxis umsetzen ließ und auch durchsetzen konnte. W FEBRUAR 2016

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Die zehn Gebote An-Gebote zum Leben –– Teil 1 von 2 Klaus Ritzkopf

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a erhob sich ein Donnern und ein Blitzen und eine dichte Wolke war über dem Berg und es ertönte der Ton einer sehr starken Posaune. Das ganze Volk aber, das im Lager war, erschrak. Und der ganze Berg Sinai rauchte, weil Gott der Herr auf den Berg herabfuhr im Feuer. Und der Rauch stieg auf wie der Rauch von einem Schmelzofen und der ganze Berg bebte sehr (2.Mose 19,16–18). So weit die biblische Darstellung eines Ereignisses, das die Begegnung Gottes mit Moses auf dem Berg Sinai beschreibt. Im weiteren Verlauf wird berichtet, dass zwei Steintafeln von Gott an Moses übergeben wurden, die mit den Zehn Geboten beschriftet waren. Inzwischen sind etwa 3200 Jahre vergangen, aber bis zum heutigen Tag haben diese Zehn Gebote nichts von ihrer Bedeutung verloren. Die erste Tafel enthält vier Gebote. Sie betreffen das Verhältnis des Menschen zu Gott. Die zweite Tafel enthält sechs Gebote. Sie regeln das Zusammenleben der Menschen untereinander. In unsere Zeit übersetzt haben die Zehn Gebote folgenden Wortlaut (nach reformierter Zählweise): Das erste Gebot Ich bin der Herr, dein Gott, der einzige und wahrhaftige Gott, der dich erlöst und dir ein neues, befreites Leben schenkt. Das zweite Gebot Du sollst dir von Gott kein Bild machen und es nicht anbeten. Das dritte Gebot Du sollst den Namen Gottes nicht missbrauchen. Das vierte Gebot Beachte den Tag der Ruhe. Er ist ein von Gott geheiligter Tag. Das fünfte Gebot Du sollst alten Menschen mit Respekt begegnen. Das sechste Gebot Du sollst nicht töten. INFORMATIONSBRIEF 296

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Das siebente Gebot Du sollst keine Ehe und Familie zerstören. Das achte Gebot Du sollst nicht stehlen. Das neunte Gebot Du sollst nichts Unwahres über deine Mitmenschen sagen. Das zehnte Gebot Du sollst nicht habgierig sein.

Brauchen wir noch die Zehn Gebote? Wer in den Medien verfolgt, wie über menschliche Fehltritte, Straftaten und Gerichtsverfahren berichtet und diskutiert wird, dem fällt zweierlei auf: Einerseits fehlt der Mehrzahl der Übeltäter jegliches Unrechtsbewusstsein. Die meisten fühlen sich ertappt aber unschuldig, weil in ihrem Bewusstsein nie ein fester unverrückbarer Maßstab für Recht und Unrecht verankert wurde. Andererseits herrscht in der öffentlichen Diskussion große Ratlosigkeit. Ein Verlust der »Werte« wird festgestellt, angebliche Rechtlosigkeit wird beklagt, schärfere Gesetze und härtere Strafen werden gefordert und das gesellschaftliche Umfeld wird mitverantwortlich gemacht. Aber niemand weist darauf hin, dass die Zehn Gebote in Vergessenheit geraten sind. Viele kennen sie nicht mehr. Dies trägt dazu bei, dass eine zunehmende Orientierungslosigkeit weiter um sich greift, die vor allem für junge Menschen fatale Folgen hat. Tagtäglich werden wir mit Nachrichten, Informationen und Bildern durch Radio, Fernsehen und Internet geradezu überfüttert. Aber wir sind immer weniger in der Lage, mit dieser Informationsflut umzugehen und diese Eindrücke zu bewerten und einzuordnen. Wenn die biblischen Grundwerte, die der Mensch lebensnotwendig braucht und auf die er schöpfungsmäßig angelegt ist, nicht mehr mit der dafür notwendigen Nachhaltigkeit vermittelt werden und dieses innere Koordinatennetz fehlt, dann entsteht ein Vakuum, das sofort von 21


anderen Ideologien und religiösen Heilsbringern besetzt wird, die oft leichtes Spiel haben, junge Leute mit billigen Heilsversprechen zu ködern und auf ihre Seite zu ziehen. Das erfordert unsere ganze Wachsamkeit! Vielleicht sind uns die Zehn Gebote auch deshalb fremd geworden, weil wir noch den Lutherischen Katechismus im Kopf haben, wo in der Erklärung des achten Gebotes vom »Afterreden und vom bösen Leumund machen« die Rede ist und das zehnte Gebot lautet: »Lass dich nicht gelüsten deines Nächsten Weibes, noch seines Knechtes, noch seiner Magd, noch seines Viehs und alles, was sein ist.« Das war die Welt von damals. Darum denken viele, dass die Zehn Gebote mit unserer heutigen Welt nichts mehr zu tun haben. Das ist ein Irrtum! Die Zehn Gebote sind heutzutage erstaunlicherweise genauso zeitgemäß wie vor 3000 Jahren, wenn man sich die Mühe macht, ihren tiefen Sinn zu ergründen. Dann entpuppen sich diese alten Sätze als absolut praktikabel und aktuell, weil die Menschen, für die sie gedacht sind, exakt dieselben geblieben sind. Darum ist es an der Zeit, den Dekalog (griechisch: Deka Logoi, zehn Worte) wieder zu entdecken und auf seine zeitlose Bedeutung hinzuweisen. Das soll in sechs Schritten geschehen: 1. Schritt: Das biblische Menschenbild 2. Schritt: Die Sinai-Offenbarung 3. Schritt: Wortlaut und Zählung der Zehn Gebote 4. Schritt: Die Bedeutung der einzelnen Gebote 5. Schritt: Der Dekalog und das Vaterunser 6. Schritt: Nachbetrachtung

Das biblische Menschenbild Im ersten Kapitel der Bibel, 1.Mose 1,18, steht ein Satz, der von grundlegender Bedeutung ist: »Und Gott segnete sie [die zuvor erschaffenen Menschen] und sprach zu ihnen.« Das heißt: Gott will, ja er muss mit den Menschen reden. Das macht seine Sonderstellung innerhalb der Schöpfung aus, dass der Schöpfer nur mit dem Menschen in einen Dialog tritt. Das tat er nicht mit den anderen Lebewesen, die er zuvor erschaffen hatte. Dieser Wunsch Gottes, mit den Menschen zu kommunizieren, entsprach seiner erklärten Absicht, den Menschen zu seinem Partner und zum Verwalter seiner Schöpfung zu machen. Und um diese Aufgabe im Sinne Gottes zu erfüllen, bedurfte der Mensch der ständigen Wegweisung Gottes. 22

Dem Menschen wird darüber hinaus noch eine zweite Würdigung zuteil. In 1.Mose 1,17 heißt es: »Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.« Aber was ist mit dem Begriff Bild (hebräisch: Zäläm) gemeint? In außerbiblischen Texten bedeutet Zäläm eine Götterstatue, wie sie in heidnischen Tempeln oft anzutreffen ist. Die Statuen sind die kultischen Abbilder der jeweiligen Götter. Die Vorstellung, dass der betreffende Gott in dieser Statue »wohne«, wird in allen antiken Texten vorausgesetzt. Das heißt: Wenn der Mensch Zäläm Gottes genannt wird, dann repräsentiert der Mensch auf der Erde diesen Gott, indem er seinen Willen ausführt. Um diese Aufgabe zu erfüllen, muss der Mensch in die Lage versetzt werden, im Sinne Gottes zu handeln und zu entscheiden. Dies bedeutet zunächst, dass der Mensch nicht mehr dem Zwang seines Instinkts unterliegt, der dem Tier die Maßgabe seines Handelns auferlegt, sondern der Mensch ist selbst für sein Handeln verantwortlich. Er muss sich das Wertesystem, nach dem er künftig lebt, selbst suchen. Dabei kann er sich dieser Verantwortung entziehen, indem er sich das »kollektive Gewissen« aneignet. Dann tut er das, was »man« tut! Aber damit wird er weder seiner göttlichen Bestimmung noch seiner Verantwortung für sein Leben gerecht. Erst durch das Wort Gottes wird sein Gewissen in rechter Weise »beschriftet«. Erst durch diese göttliche Willensvermittlung wird das menschliche Gewissen mit einem adäquaten Inhalt gefüllt. Im Sinne Gottes richtig zu leben, das kann der Mensch nicht aus sich selbst. Das muss ihm gesagt werden. Dies dem Menschen zu vermitteln, ist Teil seiner Erziehung, vor allem der religiösen Erziehung, und es ist unentschuldbar, wenn dies nicht in ausreichendem Maße geschieht. Darum sollte der Mensch möglichst früh diese Gebote lernen, verstehen und verinnerlichen, ehe falsche »Ratgeber« diese Lücke auszufüllen versuchen. Der Mensch ist also nicht das Ebenbild Gottes, sondern er wird es in dem Maße, wie er sich dem Worte Gottes öffnet. Das heißt: Je mehr das lebendige Wort Gottes und sein Gebot das Leben eines Menschen bestimmen, desto mehr verwirklicht sich in ihm das Ebenbild Gottes. Damit ist er auf dem Weg, ein Mensch nach dem Bilde Gottes zu werden. Nur Jesus ist in Vollkommenheit »das Ebenbild des unsichtbaren Gottes« geworden (Kolosser 1,15). FEBRUAR 2016

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Ausgerechnet auf dem Berg Sinai (Sin-ai: Berg des Mondgottes Sin), auf dem vorzeiten noch dem Mondgott geopfert wurde, wollte Gott das Verhältnis zu seinem Volk auf eine sichere Grundlage ­stellen. Dies bedeutete gleichzeitig die endgültige Absage an die Mondreligion.

Die Sinai-Offenbarung Die kurze einprägsame Darstellung des Gotteswillens erfolgte unmittelbar nach dem Auszug der Kinder Israels aus Ägypten. Die wunderbare Errettung aus der Hand der Ägypter und der Durchzug durchs Schilfmeer waren für die Israeliten die große Heilstat Gottes, an die sie sich bis zum heutigen Tag mit Dankbarkeit erinnern. Doch das Geschenk der Freiheit bedurfte nun der Ergänzung durch bestimmte Wegweisungen, die dazu dienten, diese gewonnene Freiheit nicht wieder leichtfertig zu verspielen. Das Verhältnis Gottes zu seinem Volk musste geordnet werden. Dazu führte Mose das Volk Gottes durch eine wildzerklüftete Landschaft an den Fuß des Berges Sinai. Sin-ai heißt: Berg des (Mondgottes) Sin. Die Mondreligion war damals sehr verbreitet. Schwerpunkte der Verehrung waren die Städte Ur in Chaldäa und Haran im damaligen Syrien. In Ur hieß der Mondgott Nanna und in Haran Sin. Man kann davon ausgehen, dass Terach, der Vater Abrahams, noch ein AnhänINFORMATIONSBRIEF 296

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ger der Mondreligion war, weil er sich mit seiner Sippe an beiden Orten länger aufhielt. Also ausgerechnet auf jenem Berg, auf dem vorzeiten noch dem Mondgott geopfert wurde, wollte Gott, der alleinige wahre Gott, das Verhältnis zu seinem Volk auf eine sichere Grundlage stellen. Die Übergabe des Gesetzes Gottes auf dem Berg Sinai bedeutete gleichzeitig die endgültige Absage an die Mondreligion. Dies mag der Grund dafür sein, dass spätere biblische Überlieferungen den Namen Sinai durch den Namen Horeb ersetzten. Dieses Grundgesetz Gottes galt in erster Linie dem Volk Israel, aber grundsätzlich gilt es für alle Menschen, die an diesen einen Gott glauben. Wer an diesen Gott glaubt, verpflichtet sich, diese Sätze zu übernehmen, weil sie das Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen für alle Zeiten regeln. Sie gelten für alle Menschen, die diesem Gott nachfolgen, unabhängig von der Zeit, in der sie leben, und unabhängig von Rasse und Volk, dem diese Menschen angehören. Der Glaube an diesen Gott und der Glaube an dieses Regelwerk der Zehn Gebote sind untrennbar mit ei23


Moses mit den Gesetzestafeln – auch im Koran wird ausdrücklich von der Übergabe der Gesetzestafeln an Mose berichtet. Doch im weiteren Verlauf kommt Mose der Aufforderung Gottes – befiehl deinem Volk, dass sie sich nach den vortrefflichen Lehren darin verhalten sollen – nicht nach. Im Koran fehlt die Aufzählung der Zehn Gebot und damit der Inhalt der Gesetzestafeln. nander verbunden und niemand hat das Recht, sich auf diesen Gott zu berufen, der sich nicht ausdrücklich zu diesen Regeln bekennt. Diese Leitsätze markieren eine Grenze, die der Mensch nicht überschreiten sollte, wenn er den Frieden mit Gott und den Frieden untereinander nicht gefährden will. Diese Gebote sind der Wertekanon, der allen anderen weiterführenden Gesetzen zugrunde liegen sollte. Außerhalb dieses Wertekanons sollten die Menschen, die an diesen einen Gott glauben, sich nicht bewegen, wenn sie nicht in Chaos, Anarchie und Unmenschlichkeit fallen wollen. Dies ist der Grund, warum Gott seinem Volk, stellvertretend für alle Völker, diese Sätze verkündete. 24

Desto mehr verwundert es, dass die Zehn Gebote nicht im Koran enthalten sind, obwohl der Glaube an den einen Gott das Grundbekenntnis des islamischen Glaubens ist und in der siebenten Sure ausdrücklich von der Übergabe der Gesetzestafeln an Mose berichtet wird. Vers 146 erzählt, dass Allah die Tafeln übergab, auf denen »Belehrungen über alle Dinge und Entscheidungen über alle Fälle« aufgezeichnet waren, mit dem Hinweis: »Nimm diese mit Ehrerbietung an und befiehl deinem Volk, dass sie sich nach den vortrefflichen Lehren darin verhalten sollen.« Doch Mose kommt im Koran dieser Bitte nicht nach. Im Koran fehlen die Aufzählung der Zehn Gebote und damit der Inhalt dieser Tafeln! Stattdessen betrachtet der Islam später die Gesetze der Scharia als göttliches Gesetz. Die Gründe für den Verzicht mögen in zwei Überlegungen zu suchen sein: Im Alten Testament gelten die Zehn Gebote als ein Vertragswerk, mit dem Gott einen Bund mit dem Volk Israel geschlossen hat. Gleichzeitig bedeutet dieser Bundesschluss eine Hervorhebung und Sonderstellung des Volkes Israel vor allen Völkern. Dem aber musste Mohammed widersprechen, weil er nicht den Juden, sondern den Arabern diese Sonderstellung einräumte. Mohammed konnte gewiss nicht allen Geboten zustimmen. Denn es lag in seiner Absicht, Kriege zu führen und damit Menschen zu töten. Außerdem waren die beiden Gebote »nicht zu stehlen« und »nicht die Unwahrheit zu sagen« für ihn dann außer Kraft gesetzt, wenn sie seinem Ziel, den Islam auszubreiten, im Wege standen. Inhaltlich übernahm er nur die ersten drei Gebote. Mittlerweile leben in unserem Lande christliche und muslimische Bürger zusammen, die offensichtlich zwei verschiedene Rechtsauffassungen haben. Wenn wir im christlich-jüdischen Kulturkreis von Recht und Unrecht sprechen, dann orientieren wir uns an den Zehn Geboten. Sie geben als göttliches Gesetz die Grundlage und Leitlinien für die auf diesen Geboten ­basierenden »Ausführungsbestimmungen«. Sie sind sozusagen die letzte Instanz, nach der sich alle anderen Gesetze auszurichten haben. Sie sind gleichzeitig der Garant für alle menschliche Willkür. Wenn aber von den muslimischen Mitbürgern diese Rechtsauffassung nicht geteilt wird, kann dies das friedliche Zusammenleben extrem belasten und den Rechtsfrieden gefährden. W Der zweite Teil dieses Beitrags erscheint im nächsten Informationsbrief im April 2016. FEBRUAR 2016

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Johannes Schweblin: Das Wort Gottes soll nicht vermischt werden Stimmen der Väter

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s soll auch das Wort Gottes rein und unvermischt bleiben, dass nichts dazu- und nichts weggetan werde (5.Mose 4,2), dass nicht Silber zu Schaum werde (Jesaja 1,22) und Wein mit Wasser vermischt. Darum steht geschrieben (Jeremia 23,28): Ein Prophet, der einen Traum hat, der erzähle den Traum, und wer mein Wort hat, rede in Wahrheit mein Wort. Wie mischen sich Spreu und Weizen zusammen, spricht der Herr. So befiehlt Christus seinen Jüngern, sie sollen die Völker halten lehren alles, was er befohlen hat (Matthäus 28,20). Wenn wir es besser machen könnten, wären wir weiser als Gott. Müsste man etwas noch dazutun, was notwendig oder nütze zum Seelenheil wäre, was Gott aber nicht geoffenbart hätte, wäre er, wie oben beschrieben, uns missgünstig. Er würde uns ja nicht wissen lassen, was alles not wäre zu unserer Seligkeit, aber das sei ferne von unsern Gedanken. Es wäre eine große Gotteslästerung, wenn wir so sprächen: Wir müssen neben dem Wort Gottes noch Menschenlehren haben. Gedenkt doch an das Wort Christi (Matthäus 15,9): Sie dienen mir vergeblich, so sie Menschenlehre lehren. Ja, es wäre nicht allein nutzlos,

Die Alexanderskirche in Zweibrücken – hier wurde Johannes Schweblin begraben. INFORMATIONSBRIEF 296

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sondern auch schädlich und verderblich, diese Menschenlehre (2.Petrus 2,1). Es waren falsche Propheten unter dem Volk, wie auch unter euch sein werden falsche Lehrer, die hintenrum einführen werden verderbliche Spaltungen und verleugnen damit den Herrn, der sie erkauft hat (1.Timotheus 4,1). Der Geist sagt deutlich, dass in den letzten Zeiten etliche vom Glauben abfallen werden und den irrigen Geistern werden sie anhangen. Der Teufel wird sie lehren, die so verblendet und Lügenredner sind. So sind wir gewarnt genug. Jeder soll sich vorsehen, dass er sich nicht vom Wort Gottes wegführen lasse. Und wenn sich jemand hat davon abbringen lassen, der soll wieder umkehren, wenn er selig werden will.

Verderblichen Schaden leiden alle, die vom Wort Gottes abweichen Der Teufel weiß sehr wohl, welcher Schaden ihm geschieht, wie sein Reich so sehr verkleinert wird durch das Wort Gottes. Darum benutzt er alle List und was er vermag, die Menschen davon anzuwenden, dem Wort Gottes nicht zu glauben. Die Schrift zeigt uns genügend oft an, was an Schaden und Verderben dem Menschengeschlecht begegnen, wenn das Wort Gottes verachtet, ihm nicht geglaubt und gefolgt wird (1.Mose 3). Adam verließ Gottes Wort, folgte dem Rat des Teufels; siehe: dadurch ist die Sünde in die Welt gekommen und mit der Sünde der Tod. Blickt in das Alte Testament, das all jenem Misslingen und Übel begegnet ist, die ohne oder gegen Gottes Befehl gehandelt haben. Und in 5.Mose 28 sind beschrieben die Segnungen derer, die ihm nicht gehorchen. Johannes Schweblin aus Pforzheim war der Reformator des Herzogtums Pfalz-Zweibrücken († 1540).

(Quelle: Bernhard H. Bonkhoff, Die reformatorischen Hauptschriften des Reformators Johannes Schweblin: »Hauptstück und Summa des ganzen Evangeliums und worinnen ein christlich Leben steht«, 1525, in: BPfKK 70, 2003, S. 373–392, Zitat S. 377f.)

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Aus Kirche und Gesellschaft Württemberg: Altlandesbischof Hans von Keler konnte seinen 90. Geburtstag begehen Im Altenpflegeheim der Evangelischen Diakonieschwesternschaft in Herrenberg (bei Stuttgart), der der Jubilar auch einmal vorstand, konnte bereits im vergangenen November, Württembergs ehemaliger Landesbischof Hans von Keler, seinen 90. Geburtstag begehen. Der am 12. November 1925 im schlesischen Bielitz/ Beschiden (heute Polen) geborene von Keler war der erste nichtschwäbische Landesbischof in Württemberg. Als langjähriger »Kirchendiplomat« der EKD prägte er über Jahre in verschiedenen Aufgabenbereichen die Außenbeziehungen der EKD. Von Keler hat in verschiedenen kirchlichen Arbeitsbereichen Erfahrungen gemacht. Er war Pfarrer in Wildenstein (bei Crailsheim, 1953–1957), Leiter der Landesstelle des Evangelischen Mädchenwerks in Stuttgart (1957–1963), Pfarrer in Neuenstein (bei Heilbronn, 1963–1969), Leiter der Evangelischen Diakonieschwesternschaft Herrenberg (1969– 1976), Prälat in Ulm (1976–1979) und dann von 1979 bis 1988 Landesbischof der württembergischen Landeskirche. In der württembergischen Sy­node gehörte er der Mitte-Gruppierung »Evangelium und Kirche« an und war von 1967 bis 1971 Synodalpräsident. In dieser Zeit wurde in der württembergischen Landeskirche die – auch unter den damaligen Synodalen – umstrittene Frauenordination 1968 eingeführt. Weitere Ämter, die über die württembergische Kirche hinausreichen, hat Hans von Keler wahrgenommen. In den Jahren 1979 bis 1988 prägte er die Außenbeziehungen in der EKD. Während seiner Zeit als EKD-Ratsmitglied von 1978 bis 1992 hielt er besonders Kontakt zur römischkatholischen Kirche, zum Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR und zum ÖRK in Genf. Er gehörte mehrere Jahre dem Exeku­ tivkomitee des Lutherischen Weltbundes an und war über Jahre Beauftragter des Rates der EKD für Aussiedler- und Vertriebenenfragen. 1981 verlieh ihm die Evangelisch-theologische Fakultät der Universität Tübingen die Ehrendoktorwürde (wie bisher allen württembergischen Landesbischöfen mit Ausnahme von Professor Dr. Gerhard Maier). 1996 erhielt Hans 26

von ­ Keler die goldene Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg. (Quellen der Nachricht: ideaSpektrum 46/2015 vom 11. November 2015, S. 36, Südwest; Württembergisches Pfarrerverzeichnis, Ausgabe 1988, S. 72)

Hilflos: Mit dem Zustrom der Masse von Fremden völlig überfordert Unbeachtet: Christen leiden unter ­Muslimen Problemlos und konfliktfrei geben sich die »Flüchtlinge« (wobei dieser Ausdruck nur eingeschränkt zutrifft, und man besser von Einwanderern spräche), die zu Tausenden aus ganz unterschiedlichen Ländern und Gründen, vielfach aber mit muslimischem Hintergrund, nach Deutschland kommen (von erwarteten 800 000 für 2015, was aber nach oben korrigiert werden muss, dürften 600 000 Muslime sein; für 2016 werden noch mehr »Flüchtlinge« erwartet; allein im ersten Halbjahr 2015 kamen mehr als 80 Prozent ohne Pass) nicht. Anderes können nur solche vertreten, die bestenfalls unverbesserliche Anhänger einer schwärmerischen Gesinnungsethik und einer unrealistischen Situationsethik sind; wer eine Verantwortungsethik vertritt, vermag nicht so blauäugig zu sein. Wie problembehaftet und konfliktträchtig gegenwärtige Flüchtlingspolitik ist, zeigt sich beispielsweise an Vorkommnissen aus Flüchtlingsunterkünften in Nordrhein-Westfalen. Die dortige rot-grüne Landesregierung musste auf eine kleine Anfrage der CDU-Landtagsfraktion eingestehen, dass es in den ersten sieben Monaten des Jahres 2015 in Flüchtlingsunterkünften Nordrhein-Westfalens 1288 Polizeieinsätze gegeben hat. Dem Bericht zufolge kam es zu 499 Straftaten, meistens Körperverletzungen, Diebstählen und Sachbeschädigungen. Mit 111 Polizeieinsätzen gab es demnach die meisten Vorkommnisse in der Zentralen Unterbringungseinrichtung in Rüthen (Kreis Soest). Das ist nicht gerade wenig, und es stellt sich zudem noch die Frage, ob überhaupt alle Vergehen bei der Polizei gemeldet worden sind und strafrechtlich verfolgt wurden (Bagatellfälle). Weiter wird die Problematik derzeitiger Flüchtlingspolitik daran erkennbar, dass der Sonderstatus, den Menschen aus Syrien genießen, ausgenutzt wird; diese dürfen schneller weiFEBRUAR 2016

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Flüchtlinge an einem ­Grenzübergang in Mazedonien. terreisen und Deutschland hat sich verpflichtet, sie aufzunehmen und nicht zurückzuschicken: diese – für sie – günstige »Sonderbehandlung« nutzen inzwischen auch »Flüchtlinge« aus anderen Ländern, etwa dem Irak, Bangladesch, Indonesien oder Pakistan aus, indem sie sich als Syrer ausgeben. Da sich die wenigsten ausweisen können, wird eine Kontrolle erschwert. Erwähnung soll auch finden, dass nach Ansicht von Terrorexperten etwa 800 europäische Kämpfer des Islamischen Staates (IS) aus Syrien und dem Irak zurückgekehrt sind, um in Europa Anschläge zu verüben. Orientalische Christen, die ihre Heimat aus Furcht vor Bedrängnis durch Muslime verlassen mussten und in Deutschland Zuflucht suchten, werden vermehrt auch in Deutschland Opfer von Übergriffen durch Muslime. Besonders in Asylunterkünften kommt es zu unliebsamen Zwischenfällen. Aufgrund dessen fordert der frühere Vorsitzende des Zentralrats Orientalischer Christen in Deutschland, Simon Jacob (München), einen besseren Schutz christlicher Flüchtlinge. Dafür zuständige Stellen nähmen diese Konflikte nicht ernst. Aus Angst erstatteten viele Christen nach einem Übergriff durch Muslime keine Anzeige. Angaben dazu, wie viele Christen von Muslimen in deutschen Heimen angefeindet und drangsaliert werden, gibt es nicht. Aber die Fälle scheinen sich zu häufen, wobei besonders Konvertiten gefährdet sind. Der Problematik bewusst scheinen sich viele der Kirchenoberen nicht zu sein und können sich dies als Vertreter von Multireligiosität und Multikultur auch kaum sein, da sie diese doch selbst INFORMATIONSBRIEF 296

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propagieren. Indes plädierte Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CSU) dafür, bei der Unterbringung auf die Religionszugehörigkeit zu achten. Christliche Flüchtlinge sollten gemeinsam untergebracht werden, schon allein deshalb, weil sie häufig vergleichbare traumatische Erfahrungen hätten. (Quelle der Nachricht: ideaSpektrum 35/36/2015 vom 3. September 2015, S. 9, 11 und 33, West)

Wenn Perverses normal wird In welch sonderbaren Zeiten leben wir doch! Perverses wird normal! Da hat ein 35-jähriger Pastor der Nordkirche den Nachnamen seines »Mannes« angenommen; er versteht sich offenbar als »Frau« seines männlichen Partners, mit dem er eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen ist. Im Sommer 2016 wollen die beiden einen Segnungsgottesdienst feiern. Wie viele homosexuelle Pfarrer derzeit mit einem Partner im Pfarrhaus zusammenleben, dazu vermag die Nordkirche keine Angaben zu machen, da sie keine Statistik dazu führe. Jedenfalls hat die Kirchenleitung gegen derartiges nicht das Geringste einzuwenden. Zur selben Zeit nimmt das Landeskirchenamt der bayerischen Landeskirche (München) eine juristische Prüfung eines Beitrags eines fränkischen Pfarrers in dessen Gemeindebrief vor, in welchem sich dieser deutlich gegen die Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften mit der Ehe ausspricht und dafür viele positive Rückmeldungen bekommen hat, freilich auch einige, in denen er beschimpft worden sei. 27


Und im Evangelischen Gemeindeblatt für Württemberg sinnen in einem Pro und einem Kontra zwei amtierende Dekane der württembergischen Landeskirche jeweils eineinhalb Druckseiten lang über die so genannte »HomoEhe« nach. Vor wenigen Jahren hätte man derartige Vorkommnisse wie die im voranstehenden geschilderten zu Recht als Verhalten von Irregeleiteten eingestuft: das Eintreten für eine und das Eingehen einer so genannten »Homo-Ehe«, die es in Wirklichkeit doch gar nicht geben kann. Da ist es geradezu wohltuend zu lesen, dass auch noch anders, nämlich schrift- und vernunftgemäß gedacht und gehandelt wird: eine sächsische Kirchengemeinde in Chemnitz (Kirchenvorstand und Pfarrer) hat die Zusammenarbeit mit ihrem erst seit kurzem auf Honorarbasis arbeitenden homosexuell lebenden Organisten beendet, und das mit der zutreffenden Begründung, die (leider) selbst in evangelikalen Kreisen

zu selten zu hören ist: Homosexualität sei laut Bibel Sünde. Nicht verwunderlich ist, dass diese Kirchengemeinde im Internet angefeindet wird. Interessant dürfte indes werden, wie sich der neue sächsische Landesbischof, der als der so ziemlich einzig theologisch konservative in der gesamten EKD gilt, verhält, wenn der Streit eskalieren sollte. Wird er sich schützend vor Pfarrer, Kirchenvorstand und Gemeinde stellen oder aber vor der Homo-Lobby einknicken und sich schützend vor diese und deren Machenschaften stellen, damit aber die Standhaften fallen lassen? Beiden Seiten kann man es nicht recht machen. Nur die eine ist im Recht. Welche, das dürfte unter Christen und Vernünftigen kaum strittig sein. (Quellen des Kommentars: ideaSpektrum 35/36/2015 vom 3. September 2015, S. 24, Bayern; ideaSpektrum 37/2015 vom 9. September 2015, S. 26, Nord und S. 29, Ost; ideaSpektrum 38/2015 vom 16. September 2015, S. 15 und S. 31, Ost; Evangelisches G ­ emeindeblatt für Württemberg 37/2015 vom 13. September 2015, S. 6–9, vgl. auch S. 4f.)

Aus der Bekenntnisbewegung Superintendent Ernst Volk im Alter von fast 88 Jahren heimgegangen Im Alter von fast 88 Jahren ist der langjährige Superintendent des Kirchenkreises Trier, der rheinische Pfarrer Ernst Volk nach langer Krankheit heimgegangen. Am 13. November 2015 hätte er seinen 88. Geburtstag begehen können. Geboren wurde Ernst Volk in Biskirchen an der Lahn (Kirchenkreis Braunfels, bei Wetzlar). In dieser reformierten Gemeinde wurde Ernst Volk nach dem Heidelberger Katechismus konfirmiert. Doch während des Studiums in Marburg (er hörte auch noch Rudolf Bultmann und wurde ein ganz entschiedener Gegner dessen) wandelte er sich zum entschiedenen Lutheraner, was in seinen Predigten und zahlreichen Veröffentlichungen zum Ausdruck kam. Vikar war er in Oberhausen und ab 1956 Pfarrer in Mülheim an der Mosel, einer der ältesten evangelischen Gemeinden des Rheinlands. Die Synode des Kirchenkreises Trier wählte ihn 1964 zu ihrem Superintendenten. Dreimal wurde er für jeweils acht Jahre wiedergewählt. Seinen langen Ruhestand verbrachte er in Bischofsdhron im Hunsrück. Bis vor wenigen Jahren, als er dies dann 28

krankheitsbedingt nicht mehr konnte, war der Streiter, Mahner und Prediger des Evangeliums eine gewichtige, aber auch unbequeme Stimme des Luthertums. Die Veröffentlichungen Ernst Volks sind sehr zahlreich. Für die Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« hat Ernst Volk über Jahre hinweg an deren Informationsbrief mitgearbeitet. FEBRUAR 2016

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Missionar Reinhard Friedrich In ihrem Informationsbrief hat die Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« um Unterstützung für die Arbeit in Afrika von Pastor i. R. Reinhard Friedrich (Bad Oldesloe) gebeten. Dank dieser Spenden, die dann noch etwas aufgestockt wurden, kann Reinhard Friedrich, der zurzeit wieder als Missionar in Afrika

tätig ist, mit 5000,– Euro unterstützt werden. Ende vergangenen Jahres hat Reinhard Friedrich der Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« diese Bilder zukommen lassen, die einen kleinen Einblick in seine Missionstätigkeit in Afrika geben.

Buchrezensionen Bleiben in der Wahrheit –– Einweisung und Anleitung zum Leben aus dem Glauben an Jesus Christus An Neuerscheinungen von Andachtsbüchern und vergleichbarem fehlt es wohl kaum, an Qualität schon eher. So greift manch überzeugter Christ bei seiner täglichen Andacht gerne auf altbewährte Andachtsliteratur zu seiner regelmäßigen Erbauung zurück. Es ist also zu begrüßen, wenn ein so profunder und zugleich so – in richtiger und guter Weise – frommer Theologe wie der längst emeritierte Erlanger Professor für Systematische Theologie, Reinhard Slenczka (*1931) im Neuendettelsauer Freimund Verlag einen Band vorlegt, der zum einen der persönlichen Andacht und Erbauung dienen kann, zum andern aber genauso biblisch-reformatorische Lehre vermittelt und damit auch apologetisch wirkt. Der Verfasser legt einleitend dar, wie Heilige Schrift und sein Buch zu gebrauchen und zu benutzen sind und eine Andacht gestaltet werden kann (S. 9ff.). Dem folgt »eine Betrachtung zu den drei Elementen christlichen Lebens« (S. 21ff.), nämlich zu »Glaube« (S. 23ff.), dessen Behandlung den weitaus breitesten Raum einnimmt, »Liebe« (S. 168ff.) und »Hoffnung« (S. 197ff.). Dieses umfangreiche Kapitel ist, weil ja der christliche Glaube Glaube an den DreiINFORMATIONSBRIEF 296

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einigen Gott ist, entsprechend dem Glaubensbekenntnis eingeteilt in: »Der erste Artikel des Glaubens« (S. 29ff.), sodann, weitaus umfänglicher »Der zweite Artikel des Glaubens« (S. 49ff.) und »Der dritte Artikel des Glaubens« (S. 133ff.). Die einzelnen Abschnitte, die zur Erbauung und zur Lehre zu meditieren sind, sind ihrem Umfang nach überschaubar und gut zu bewältigen (drei bis maximal neun Seiten). Im Aufbau sind sie jeweils ganz ähnlich gestaltet und schöpfen aus einem reichen Fundus aus Gebet – bevorzugt Luther, Liedern reformatorischer und pietistischer Ausrichtung, Väterlesung – vor allem Luther und freilich aus der Heiligen Schrift. Der Verfasser gibt dazu seine Ergänzungen und Erläuterungen. Drei unterschiedlich umfangreiche Essays zu grundlegenden Themen der Theologie stehen am Schluss des Buches: »Der lebendige Gott und die politische Religion« (S. 223 ff.), »Eine bedrängende Frage: ›Was die Kirche sei‹« (S. 265ff.) und einer »zur Prüfung und Scheidung der Geister« mit dem Titel: »O komm du Geist der Wahrheit« (S. 273ff.), bevor dann eine knapp drei Seiten umfassende fundamentaltheologische Thesenreihe mit dem Titel »Die Heilige Schrift – Das Wort des Dreieinigen Gottes« (S. 293ff.) den Band abschließt; darin widerspricht Reinhard Slenczka in dankenswert klarer Weise der beliebt gewordenen Auskunft, die Heilige Schrift enthalte das Wort Gottes und setzt die29


ser These seine aus der Schrift selbst gewonnene und deren Selbstverständnis wiedergebende Überzeugung entgegen: die Heilige Schrift ist das Wort Gottes, was reformatorischer Überzeugung entspricht. Nun bleibt zu hoffen, dass recht viele zu diesem für Lehre und Leben so hilfreichen Buch greifen und seinen Inhalt im Denken, Tun und Lassen beherzigen. Walter Rominger

Reinhard Slenczka Bleiben in der Wahrheit Einweisung und Anleitung zum Leben aus dem Glauben an Jesus Christus Für Andacht und Lehre Neuendettelsau 2015 Freimund Verlag 295 Seiten, geb. Hardcover, 19,80 Euro ISBN 978-3-946083-00-9

Heiliges Ländle –– Ein Streifzug durch zwölf geistliche Gruppen im frommen Württemberg

dem Erleben einer »Veranstaltung« einer der zwölf Gruppen werden in einem zweiten Teil Entstehung und Entwicklung aufgezeigt und schließlich jeweils dieselben sieben Fragen, zu Selbstverständnis und Verortung der Gruppen in der württembergischen Landeskirche (alle betrachten sich, wenn auch mehr oder weniger stark als Teil dieser) zur Beantwortung einem Gemeinschaftsrepräsentanten vorgelegt. Freilich kann bei weitem keine der Gemeinschaften erschöpfend behandelt werden; aber ein Überblick und erster Einblick werden geboten. Man wird auch sagen können, dass die Verfasser um Objektivität bemüht sind. Viel Verständnis und Achtung vor dem württembergischen Pietismus ist bei ihnen vorhanden, was ja alles andere als selbstverständlich ist, selbst in einer Landeskirche, in welcher der Pietismus heimisch ist wie in keiner zweiten. Das Büchlein kann deshalb als Einstiegslektüre empfohlen werden. Walter Rominger

Eine wahrhaft stattliche Anzahl geistlicher Gruppen hat das vom Pietismus einst – und teilweise immer noch – geprägte württembergische Ländle aufzuweisen, eine vielfältige Frömmigkeitstradition. Andere Landstriche könn­ten wahrhaft neidisch werden. Aber diese Vielfalt mag auch für Verwirrung sorgen. Alexander Schweda, Redakteur beim Evangelischen Gemeindeblatt für Württemberg in Stuttgart, und vor einigen Jahren aus dem kirchlich besser überschaubaren Bayern in die Hauptstadt des Württemberger Ländle gezogen, unternimmt es, zusammen mit einigen weiteren Redaktionsmitgliedern, einigermaßen Übersicht und Durchblick durch diese zahlreichen geistlichen Gruppen zu bekommen, wobei mit der Behandlung von zwölf bei weitem nicht alle behandelt sind, aber ein Querschnitt erreicht wird, werden doch auf jeweils etwa zehn Seiten folgende, häufig pietistisch geprägte Grup­ pen, charakterisiert: Altpietisten, Hahn’sche Ge­meinschaft, Pregizer Gemeinschaft, Korntal, Rich­ tungsgemeinde Schönblick, Liebenzeller Gemeinschaftsverband, Süddeutsche Gemeinschaft, Aidlinger Schwestern, Bahnauer Bruderschaft, Berneuchener Gemeinschaften, Charismatische Bewegung (die Schweda kritisch sieht), Hauskreis-Bewegung. Der Aufbau der einzelnen Kapitel ist jeweils derselbe: Nach

Alexander Schweda (Hg.) Heiliges Ländle Ein Streifzug durch zwölf geistliche ­Gruppen im frommen Württemberg Edition Evangelisches Gemeindeblatt Stuttgart 2015 Verlag und Buchhandlung der Evangelischen Gesellschaft 168 Seiten, broschiert, 14,95 Euro ISBN 978-3-945369-11-1

Mitarbeiter an diesem Heft: Propst Gert Kelter Carl-von-Ossietzky-Straße 31 02826 Görlitz goerlitz@selk.de

Pfarrer Klaus Ritzkopf Goethestraße 18 65232 Taunusstein-Hahn Telefon (06128) 23659

Professor Dr. Dr. Rainer Mayer Malachitweg 3 70619 Stuttgart Telefon (0711) 442260 Fax (0711) 413098 E-Mail: dr.r.mayer@web.de

Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (07431) 74485 E-Mail: w.rominger@t-online.de

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Professor Dr. Reinhard Slenczka, D. D. Spardorfer Straße 47 91054 Erlangen Telefon und Fax (09131) 24139 E-Mail: Grslenczka@aol.com

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Weitere Exemplare des Informationsbriefes für Juli 2013, Heft 279 und für Juli 2014, Heft 286 sowie die Traktate »Falsche Propheten sind unter uns«, »Ist Gott interreligiös?« und »Gemeinsame Feier des Reformationsjubiläums 2017?« können –– auch in größerer Stückzahl –– bei der Geschäftsstelle bestellt werden. Geschäftsführender Ausschuss Stellvertretender Vorsitzender Pfarrer Johannes Frey Ofener Weg 3 28816 Stuhr Telefon (04 21) 5 22 89 10 E-Mail: johannes.frey@kabelmail.de Schriftführer Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (0 74 31) 7 44 85 E-Mail: w.rominger@t-online.de

Weitere Mitglieder des Geschäftsführenden Ausschusses Gabriele Reimer Beurhausstraße 31 44137 Dortmund Telefon (02 31) 5 84 46 96 Fax (02 31) 5 89 36 37 E-Mail: Gabriele.Reimer@gmx.de Martin Schunn Hölderlinstraße 9 75334 Straubenhardt Telefon (0 70 82) 2 02 75 E-Mail: m.schunn@kvst-nb.de

Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« e. V. Geschäftsstelle: Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (07431) 74485 E-Mail: w.rominger@t-online.de www.keinanderesevangelium.de

Kassenwart Hans Lauffer Osterstraße 25 70794 Filderstadt Telefon (0 71 58) 48 31 Fax (0 71 58) 94 78 73 E-Mail: hans.lauffer@t-online.de

Mit Fragen bezüglich der Spendenbescheinigungen wenden Sie sich bitte an unseren ­Kassenwart Hans Lauffer. Sie erreichen ihn telefonisch unter (0 71 58) 48 31, per Fax 94 78 73 oder per E-Mail hans.lauffer@t-online.de Bankkonten Volksbank Filder e. G., (BLZ 611 616 96) Konto-Nr. 65 500 016 IBAN DE34 6116 1696 0065 5000 16 BIC (SWIFT)-Code: GENO DE S1 NHB Postgirokonto Schweiz: Postgiroamt Bern Nr. 30-195 56-2 IBAN CH21 0900 0000 3001 9556 2 BIC POFICHBEXXX

Nachsendeanträge bei der Post kommen bei der Bekenntnisbewegung nicht als Adressänderung an. Deshalb auch bei Umzügen die Adressänderung durch untenstehenden Abschnitt an die Geschäftsstelle weitergeben. Für Neubestellung, Adressänderung und Abbestellung ausschneiden und einsenden an: Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« Geschäftsstelle: Mehlbaumstraße 148, 72458 Albstadt

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Der Mensch, dessen Herz Gott sucht, erfährt, dass Gott nötig zu haben nichts ist, dessen er sich schämen müsste. Es ist kein Mangel, sondern Freude und Vollkommenheit und befreit von vielen unnötigen Bedürfnissen. Sören Kierkegaard


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