Informationsbrief August 2016

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Aus dem Inhalt

Neues aus Kirche und Welt Aus Lehre und Verkündigung Der zwölfjährige Jesus: Wo der Glaube zu Hause ist Eint Abraham Juden, Christen und Muslime? Zum biblischen Zeugnis über Homosexualität Betrachtungen auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2017 Georg III. der Gottselige Margarete Steiff Aus Kirche und Gesellschaft Aus den Bekennenden Gemeinschaften Buchrezensionen

ISSN 1618-8306

August 2016 Nr. 299

Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium«


kurz+bündig Personen Fürst zu Castell-Castell 90-jähig verstorben

Albrecht Fürst CastellCastell, Oberhaupt eines der ältesten evangelischen Adelsgeschlechter in Bayern, Bankier und Winzer, langjähriger bayrischer Landessynodaler und seit 1991 Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande, ist 90-jährig bereits im späten Frühjahr verstorben. Der Fürst hat sich wiederholt kritisch zur bayerischen Kirche geäußert. Deren Einstellung zur Homosexualität betrachtete er als Verstoß gegen die Schöpfungsordnung. Weil sie nicht lebe, was sie zu verkündigen habe, besitze sie keine Glaubwürdigkeit mehr. Rainer Heid neuer Geschäftsführer beim CVJM-Gesamtverband

Der mit rund 330 000 Mitgliedern größte christliche Jugendverband Deutschlands, der CVJM-Gesamtverband mit Sitz in Kassel, hat einen neuen Geschäftsführer: den 46-jährigen Rainer Heid, der auf Matthias Ruf folgt, der seit 1999 Geschäftsführer war. Der aus der Nähe von Würzburg stammende Heid ist Betriebswirtschaftler und war seither in der Metallund Auto-Industrie tätig.

Bibel Jahreslosungen 2017 bis 2019

2017: »Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in 2

euch« (Hesekiel 36,26). 2018: »Gott spricht: Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst« (Offen­ barung 21,6b). 2019: »Suche Frieden und jage ihm nach!« (3.Johannes 11)

Kirche in Deutschland Pfarrer demonstrieren Nähe zu gerade Mächtigen: pro Merkel

Wieder einmal bestätigt sich, dass Kirchenrepräsentanten gerne auf der Seite der gerade Einflussreichen und Mächtigen stehen. Denn mehr als 100 Kirchenvertreter – Pfarrer, Pröpste und kirchennahe Unterstützer – haben in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihre Unterstützung der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung signalisiert. Ein Ausdruck von Vernunft und vor allem von Glaubenstreue und Bekennermut ist solch Verhalten indes nicht und gereicht nicht zum Ruhm. »Die Vorstellung, in einem ummauerten Europa zu leben, ist unerträglich«, heißt es in dem bereits in den ersten Wochen dieses Jahres veröffentlichten offenen Brief. Berliner Kirche: Homosexuelle Partnerschaften sind der Ehe gleichgestellt

Seit dem 1. Juli sind in der Evangelischen Kirche BerlinBrandenburg-schlesischeOberlausitz Trauungen – nicht nur Segnungen – homosexu-

eller Partnerschaften möglich (dafür stimmten 91 Synodale, dagegen zehn, vier enthielten sich). Allerdings könnten Pfarrer und Gemeindekirchenräte eine solche ablehnen. Eine Anzahl von Gemeindekirchenräten aus den Sprengeln Potsdam und Görlitz hatten dagegen protestiert, ebenso das Gemeinschaftswerk Berlin-Brandenburg und die Konferenz Bekennender Gemeinschaften. Die ökumenische Arbeitsgemeinschaft Homosexuelle und Kirche begrüßte hingegen das Votum der Synode.

Ökumene Ökumene am Reformationstag 2016

Am Reformationstag 2016 ist im schwedischen Lund eine internationale ökumenische Veranstaltung zu 500 Jahre Reformation geplant: ein gemeinsamer Gottesdienst mit lutherischer und römischkatholischer Beteiligung soll in Lund stattfinden, dem sich ein Symposium anschließt. Römisch-katholische und russisch-orthodoxe Kirche gehen aufeinander zu

Im Februar 2016 haben sich erstmals seit der Kirchenspaltung im Jahr 1054 ein Papst und der Patriarch der russischorthodoxen Kirche getroffen. Papst Franziskus und Patriarch Kirill, die sich auf dem Flughafen der kubanischen Hauptstadt Havanna trafen, wollten in Zeiten von Terror, Krieg

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und Vertreibung ein kraftvolles ökumenisches Zeichen setzen. Vom Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf wurden sie dafür gelobt.

Pietismus Neuer Vorsitzender bei ­Pfarrerinnen- und Pfarrer­ gebetsbruderschaft

Der württembergische Pfarrer Johannes Reinmüller aus Ingelfingen im Dekanat Künzelsau (Hohenlohe) ist neuer Vorsitzender des dem Pietismus nahestehenden Pfarrerinnen- und Pfarrer­ gebetsbundes; dieser hat etwa 1000 Mitglieder innerhalb der EKD sowie der evangelischen Kirchen in Österreich und der Schweiz. Reinmüller folgt auf Pfarrer Werner Kenkel aus Westfalen. Neuer Stellvertreter des Vorsitzenden wurde Pfarrer Michael Czylwik aus Lüdenscheid.

Ethik HIV: Höchststand in Europa

In Europa und Zentralasien sind noch nie so viele HIVNeuinfektionen registriert worden wie im Jahr 2014, nämlich 142 000 – ein Rekord seit dem Auftreten der Aids­ erkrankung in den 80er Jahren. Besonders hoch ist die Zahl der Neuinfizierten in Russland, wo allein 60 Prozent dieser registriert wurden. Weltweit sind Schätzungen zufolge rund fünf Millionen Menschen mit dem HI-Virus infiziert.

Gegen Forschung am Erbgut von Embryonen

Der in Freiburg lehrende katholische Theologe Eberhard Schockenhoff hat in Großbritannien geplante Eingriffe ins Erbgut von Embryonen als ethisch fragwürdig verurteilt. Dies sei eine dramatische Entwicklung und ein Dammbruch.

kurz+bündig

Personen +++ Kirchen +++ Glauben +++ »Modernes Leben«

Theologenausbildung STH Basel anerkannt

Die Abschlüsse von Studierenden an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule (STH) Basel, 1970 als bibeltreue Hochschule auf universitärem Niveau gegründet, sind nach der Akkreditierung durch die Universitätskonferenz jetzt auch von den Reformierten Kirchen der Schweiz anerkannt.

Neue Leitung Wechsel des Rektors im Albrecht-Bengel-Haus

Der 43-jährige württembergische Pfarrer Clemens Hägele wird im Herbst neuer Rektor des Albrecht-Bengel-Hauses in Tübingen. Er folgt auf Rolf Sohn (54), der seit 2009 als Nachfolger von Rolf Hille (68) Rektor dieser studienbegleitenden evangelikalen Einrichtung ist und sich nach seinem Ausscheiden »neuen beruflichen Herausforderungen s­ tellen« will. Hägele ist seit fünf Jahren als Studien­assistent am Bengel-Haus tätig.


kurz+bündig Publizistik Wechsel bei ideaSüdwest und ideaNord

Claudius Schillinger aus Calw-Alzenberg ist neuer Redakteur des idea-Regionalbüros Südwest, das für Bayern, Württemberg, Baden und die Pfalz zuständig ist. Er folgt auf Klaus-Peter Grasse, der von Stuttgart aus viele Jahre das Büro idea-Südwest betreut hat und in den Ruhestand getreten ist. Ebenfalls einen Wechsel gab es bei ideaNord. Diese Agentur betreut der Braunschweiger promovierte Pastor Arndt Schnepper.

Islam Bundesgrüne wollen Islam in Deutschland rechtlich gleichstellen

Geht es nach dem Willen der Grünen, so soll der Islam in Deutschland rechtlich dem Christen- und Judentum gleichgestellt werden. Diese Religion unter dem Aspekt der Gefahrenabwehr zu diskutieren, sei gesellschaftspolitisch kontraproduktiv, so Renate Künast und Volker Beck. Die rechtliche Gleichstellung sei »eine wichtige Voraussetzung für eine gelungene Integrationspolitik«. Mit der Gleichstellung sollen Auftrag und Anspruch des Grundgesetztes verwirklicht werden. Die vier Millionen Moslems stellten fünf Prozent der Bevölkerung dar. »Sie und ihre Religion sind selbstverständlich Teil dieses Landes, der Kultur und Gesellschaft.« 4

Kircheneinbrüche durch Salafisten

So etwas ist selbstredend: 20 000 Euro haben acht mutmaßliche Salafisten bei Einbrüchen in Kirchen und Schulen zwischen 2011 und 2014 erbeutet. Mit dem Geld wollten sie die Terrororganisation »Islamischer Staat« unterstützen. 100 000 klimatisierte Zelte stehen leer!

Saudi-Arabien weigert sich, Flüchtlinge aufzunehmen. Dafür wollen sie 200 Moscheen in Deutschland für die zahlreichen Flüchtlinge bauen. Ein skandalöses Angebot, denn in der Nähe von Mekka stehen 100 000 Luxuszelte für drei Millionen Moslems leer. Diese verfügen über Küche, Stromund Wasserversorgung sowie Klimaanlagen und sind nur an fünf Tagen im Jahr belegt. Muslime in Europa häufiger arbeitslos

Muslime sind laut einer Studie in Europa deutlich seltener erwerbstätig als Arbeitnehmer der Mehrheitsgesellschaften. Ursache dafür seien soziokulturelle Unterschiede und mangelnde Sprachkenntnisse. Geringe Kontakte zu anderen Volksgruppen sorgten für eine schlechte Integration von Muslimen. Vor allem die religiösen Unterschiede erwiesen sich als integrationshemmend. Für die Studien wurden 7000 Personen aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien, Belgien und der Schweiz befragt.

Baden-Württemberg hat moslemische Landtagspräsidentin

Mit der türkischstämmigen Muhterem Aras (50) hat der (16.) baden-württembergische Landtag erstmals eine Frau und eine Muslima an seiner Spitze. Die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin ist verheiratet, hat zwei Kinder und leitet ein eigenes Steuerberatungsbüro. Seit 1992 ist sie bei den Grünen, seit 1999 im Gemeinderat von Stuttgart und seit 2011 Fraktions­vorsitzende dieser. Das – einstige – »Musterländle« der Republik übernimmt damit eine recht fragwürdige Vorreiterrolle, da es bis jetzt das einzige Bundesland ist, das eine moslemische Landtagspräsidentin hat.

Gesellschaft LSBTTIQ-Aktivistin soll ­Namensgeberin einer Straße in Berlin werden

In Berlin hat auf Antrag der SPD-Fraktion mit den Stimmen aus SPD, Linken, Piraten und Grünen (einzig die CDU stimmte dagegen) die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg beschlossen, eine Straße in diesem Stadtteil nach einer Person der LSBTTIQBewegung zu benennen. Der Lesben- und Schwulenverband Berlin hatte sich für Johanna Elberskirchen (1864–1943) ausgesprochen, die sich bereits vor etwa 100 Jahren in der Berliner Homo­ sexuellenbewegung engagierte.

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Aus Lehre und Verkündigung mm Es ist nicht wahr, dass die Ewigkeitshoffnung die Christen zu Träumern und Phantasten macht. Im Gegenteil – je entschlossener wir auf die neue Welt warten, desto praktischer, nüchterner, schlichter wird sich unser Leben hier gestalten. Nun bleibt keine Möglichkeit, unsere Zeit zu vertändeln und unsere Kraft zu zersplittern. Sowohl an die Arbeit wie an das Leiden, das uns aufgetragen ist – auch das ist heilige und nötige Arbeit –, setzen wir unsere gesammelte Energie. Friedrich von Bodelschwingh d. Ä.

mm Die Weltgeschichte ist immer noch das Weltgericht. Friedrich von Bodelschwingh d. Ä.

mm Aus Gottes Hand empfing ich mein Leben,m unter Gottes Hand gestaltete ich mein Leben,m in Gottes Hand gebe ich mein Leben zurück. Augustinus

mm Handschriftliche Widmungsinschrift in einer Lutherbibel von 1545: »›Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn selig werde‹ (Johannes 3,17). Das ist deutlich und dürre gesagt, was Christus sei und wofür man ihn halten soll: nämlich nicht für einen Richter oder zornigen Herrn, sondern für einen lieben Heiland und tröstlichen Freund. 1546 Martinus Luther.« Bislang unveröffentlichtes Lutherwort m im Bibelmuseum in Münster

mm Christen gehen aus der Zeit, wie man aus einem Zimmer in das andere geht, ohne alle Umstände, voll kindlichem Vertrauen auf den, der Leben und Tod in Händen hat. Unsere Ärzte sind nicht dazu gesetzt, dass sie uns am Heimgehen hindern sollen. Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf INFORMATIONSBRIEF 299

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mm Wir glauben nicht an Dogmen, sondern was wir glauben ist unser Dogma. Reinhard Slenczka

mm Eine Antwort auf die »Warum«-Frage kann nicht gegeben werden; denn Gott rechtfertigt sich nicht und lässt sich nicht vor ein menschliches Forum ziehen. Manfred Seitz

mm Im Wort der Apostel nehmen Gott und Christus selbst das Wort. Bischof i. R. Ulrich Wilckens

mm Das Leben des Menschen ist als Ganzes Gottes Gabe; es stammt von Gott, gehört Gott und dient dem Willen Gottes. Bischof i. R. Ulrich Wilckens

mm Das Heilsgeschehen, das sich im Tod und in der Auferstehung Christi »für uns« verwirklicht hat, wird »in uns« und im Leben der Kirche wirksam durch den Heiligen Geist. Wo immer Christen leben und zusammenleben, ist der Geist in der reichen Vielfalt seiner Kräfte und Gaben am Werk, wenn sie ihn wirken lassen (1.Thessalonicher 5,19) und seine Gaben nicht in Eigensucht missbrauchen (1.Korinther 12,15ff.). Bischof i. R. Ulrich Wilckens

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Der zwölfjährige Jesus: Wo der Glaube zu Hause ist Zu Lukas 2,41––52 Eduard Haller

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o ist Jesus als Kind zuhause? Wo ist er daheim? Wo gehört er hin? Natürlich zu seinen Eltern in Nazareth. In seiner Familie ist er zuhause, da gehört er hinein, und das nicht nur als Kind, sondern immerhin bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr. Hier nun wird die dem Kind eigentümliche Geschichte von seiner Reise nach Jerusalem berichtet, als er zwölf Jahre alt war. Da sehen wir, wie schon das Kind ein anderes und wirkliches Zuhause hatte: nicht nur bei Josef und Maria, in seiner Familie und Sippe, sondern im Glaubenshaus dieser Familie. Im jüdischen Glauben war er zuhause. Hier ist er geborgen und behütet und beheimatet, erfreut vom reichen Schatz der jüdischen Gebräuche und Jahresfeste und vom gläubigen Erzählen der Heilsgeschichte. Kinder wie Jesus von Nazareth kannten ja das Gesetz des Mose und die wichtigsten Geschichten des Alten Testaments und die Psalmen nahezu aus-

Eduard Haller Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30

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wendig. Da also ist der Glaube zuhause: in einem frommen Elternhaus und in der lebendigen Überlieferung des Glaubens. Dazu gehören auch die Wallfahrten. Sie waren erfüllt von Freude. Wir haben ein kleines Büchlein des russischen Dichters Iwan Schmeljow: »Die Straße der Freude«, wo er die Beglückung eines Kindes beschreibt, das im alten Russland zum ersten Mal auf eine Wallfahrt mitgenommen wurde. Dass wir nur ja nicht meinen, jüdische Frömmigkeit wäre zur Zeit Jesu eine muffige Sache gewesen. Nein, sie war voll überströmender Freude. Spuren davon haben wir noch in den Worten der Wallfahrtspsalmen. Gott hat auch im Alten Bund sein Volk in die Freude des Glaubens gezogen. So sehen wir das Menschenkind Jesus von Nazareth, wie er die Reise nach Jerusalem gekannt und mitgemacht und genossen hat. In Gruppen, mit Verwandten und Bekannten in der großen Schar festlich gestimmter Glaubensgenossen lief er mit, zog mit in den Gruppen anderer fröhlicher Gespanne und in der wichtigtuerischen Geselligkeit von Kindern, die da mitreisen dürften. »Seine Eltern gingen jedes Jahr zum Passahfest nach Jerusalem.« So auch, als der Bub zwölf Jahre alt war. Diese Kinder kannten sich in Jerusalem schon ein bisschen aus. Eine ganze Festwoche lang hingen sie ja nicht am Rockzipfel der Mutter, sondern haben allerhand fröhliche Streiche in der traditionsreichen Stadt geliefert. Ein klein wenig waren diese AUGUST 2016

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Buben und ihr Glaube also auch in Jerusalem oder wenn das Kind Wolfgang Amadeus Mozart zu Hause. (1756–1791) in Melodien komponieren muss. Wo also ist der Glaube zu Hause? In der Fa- Das alles sind unergründliche Möglichkeiten milie des Glaubens, in den Worten und Erzäh- aus dem verborgenen Spiel des Erbguts, der lungen der Heiligen Schrift, auf der Wallfahrt Natur selbst, sind sozusagen Notwendigkeiten zur heiligen Stadt, und schließlich in Jerusalem ganz von unten her, aus den verborgenen Ströselber. Der Glaube ist nie, auch zur Zeit Jesu men des Lebens kommend. So erleben wir es nicht, in den engen Winkel gestellt, sondern in beim naturwissenschaftlichen Genie oder beim die Weite und in die Gemeinschaft und in die musikalischen Genie oder beim malerischen Freude. oder zeichnerischen wie bei Das gilt auch, als am Ende mm Wo also ist der Glaube Giovanni Segantini (1858– unserer Geschichte der Bub zu Hause? In der Fami1899, italienischer Maler; Alwieder mit seinen Eltern heimpenlandschaften, besonders zieht und heimkommt: »Er lie des Glaubens, in den das Engadin), dessen erstes ging mit ihnen wieder hinab in Worten und Erzählungen Bild schon ein vollkommenes seine Heimat nach Nazareth Meisterwerk war. Woher hat der Heiligen Schrift, auf und war dort seinen Eltern dieser oder jeder Mensch von untertan.« Es schimmert eine der Wallfahrt zur heiligen Kind auf die Augen und die durchaus friedliche Zeit hin- Stadt, und schließlich Hand, so zu malen? Auf diedurch durch diese einfachen ses Geheimnis stoßen wir in Worte, eine für den Buben in Jerusalem selber. Der allen Lebensgeschichten groJesus durchaus friedliche Zeit Glaube ist nie, auch zur ßer Künstler. Die Erzählung trotz der friedlosen Weltpolitik Zeit Jesu nicht, in den vom zwölfjährigen Jesus aber rund um ihn her. Im Blick auf will uns sagen, dass Jesus nicht die öffentlichen Zustände war engen Winkel gestellt, son- einfach in dieser Ahnengalerie ja die Zeit Jesu wie ein Pulver- dern in die Weite und in genialer Menschen ein sozusafass. Im Blick aber auf die in- die Gemeinschaft und in gen religiöses Genie gewesen nere Haltekraft des Glaubens ist. Das Wörtchen »muss« sagt war sie auch eine friedliche die Freude. anderes: »Ich muss im HauZeit. Der Glaube dieser Fase meines Vaters sein.« Noch milie hatte sein Zuhause in den göttlichen Stif- einmal ganz anders als seine Eltern Josef und tungen und Überlieferungen. Aber nun hat uns Maria »muss« Jesus dort sein, wo Gott seinen die Geschichte vom zwölfjährigen Jesus etwas Namen, seine Gegenwart eingestiftet hat: »Dort Besonderes zu sagen. Was ist es? Dass bei dem will ich mich finden lassen und meinen Namen Trubel, der geherrscht hat auf diesen Wallfahr- niederlegen« (1.Könige 8,29; 9,3). »Dies ist ten und in der heiligen Stadt, einmal ein Kind dein Haus«, preisen die Wallfahrtslieder den abhanden­ gekommen ist und dann bei einer Jerusalemer Tempel deshalb. Das waren ja der Verwandtengruppe wiedergefunden wurde, das Sinn und die Ursache der Pilgerreisen. Von diewird eine so seltene Ausnahme nicht gewesen sem Ort sagt Jesus: »Ich muss im Hause meines sein. Die Erzählung spricht ausdrücklich von Vaters sein.« Er entdeckt im Gespräch mit den drei Tagen des Suchens und der Umkehr der El- Gesetzeslehrern den Gotteswillen für sich pertern. Wenn man da die Wanderung einrechnet, sönlich, er hört da heraus, was außer ihm keiner so hat für sie mindestens einen Tag lang die hof- so heraushören konnte: die Stimme seines Vafende Möglichkeit bestanden, dass der Bub bei ters, den erwählenden, segnenden, berufenden einer anderen Gruppe mitläuft. Das Besondere Willen des Vaters. Aus dem Gesetz des Mose ist nun, dass er bei keiner anderen Gruppe mit- und aus den Worten der Propheten hört er die läuft, bei keinem Verwandten, nirgends da, wo Stimme seines Vaters heraus, die bekannte, die sonst auch noch ein Kind zuhause sein könn- heimatliche, die väterliche Stimme, die Stimme te; sondern im Tempel. Als Jesus dort entdeckt dessen, von dem er herkommt. Es geschieht wurde, hat er eine Antwort, bei der alles auf das beim zwölfjährigen Jesus eine einmalige Art von eine kurze Wörtchen »ich muss« ankommt. Ich Wiedererkennen zwischen Vater und Sohn. »muss« doch hier sein! Da liegt also eine innere Versuchen wir, an einem ganz kleinen, schwaNotwendigkeit vor, die noch einmal etwas ganz chen Beispiel das zu benennen, was hier gemeint anderes ist als wenn sonst ein geniales Kind sei- ist. Im letzten Krieg kamen französische Kinder ner Begabung folgen muss, wenn zum Beispiel aus dem Hungerelend als Gäste in die Schweiz, der Bub Albert Einstein (1879–1955) in der um für ein paar Wochen oder Monate etwas besMathematik befangen ist und rechnen muss, ser ernährt zu werden. Da wurden zwei franINFORMATIONSBRIEF 299

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zösische Geschwister bei zwei verschiedenen Familien im Zürcher Oberland verteilt untergebracht. Aber es ging nicht. Die Kinder aßen nicht und spielten nicht und kamen vor Heimweh fast um. Da hat man sie in einer Familie wieder zusammengetan und als sie zum ersten Mal wieder vereint in ihrer Kammer abends in den Bettchen lagen, hat die Frau, die sie pflegte und beherbergte, mit ihnen zusammen auf Französisch das Vaterunser zu beten begonnen. Über dem heimatlichen Gebet, in dieser heimatlichen Sprache des Glaubens, kamen die beiden Kinder zum Frieden und fingen an, sich zu erholen. Diese Gebetsstimme kannten sie von daheim und nun wussten sie sich geborgen. So etwas von ferne Ähnliches, was wir sonst nicht nachvollziehen können, muss mit dem zwölfjährigen Jesus im Tempel bei den Schriftgelehrten passiert sein. Plötzlich hört er die vertrauten Worte seiner himmlischen Heimat, im Gesetz des Mose klingt ihm die Stimme des Vaters an, und von dieser väterlichen Stimme kommt er nicht mehr los, daran bleibt er sozusagen hängen. Da wird ihm zum ersten Mal dämmernd sein Auftrag bewusst, der tiefste Grund seines Lebens bei uns hier in der Fremde; die Verwurzelung mit dem Himmel zugleich in seinem Erdendasein. So beginnt Jesus zu horchen auf die Stimme und den Willen seines Vaters im Himmel; ihn kennt er ja. Das Kind der Ewigkeiten erkennt wieder die Stimme der Ewigkeiten. So beginnt Jesus in einer ganz anderen Weise als wir es vermögen, zu horchen auf den Willen des Vaters. Dieses Menschenkind hört, dass es Gottes Kind ist, und das Gotteskind hört, wozu es Menschenkind ist. Die heimliche Vorbereitung auf die Erlösung setzt hier bei dem Zwölfjährigen ein. Die heimliche Erkenntnis bereitet sich schon vor: Ich werde Vater und Mutter verlassen müssen, werde fortgehen von allen Verwandten, es werden Tage kommen, wo ich allein dem Vater gehorchen muss, obgleich gerade die Menschen des Glaubens in Israel, bis hin zu seiner Familie, ihn nicht mehr verstehen werden. Und es wird ein Tag kommen, wo überhaupt kein Mensch verstehen kann, worum es geht, wenn ich den Opferweg gehen muss, den Weg ins Leiden, den Weg in den Tod. So klingt inmitten des Jerusalemer Festjubels, mitten auf der Straße der Freude, das dunkle, göttliche, erste »muss« der Passion an, die notwendige Fortsetzung von Weihnachten. Wenn wir fragen, ob der zwölfjährige Jesus näher an Weihnachten dran ist oder näher an seiner Passion, die erst in 21 Jahren erfolgen wird, so steht er geistlich gesehen von nun an in der Mitte des Weges: Ich »muss« im Willen meines Vaters 8

sein. Mit dem gleichen Wörtchen »muss« wird später bezeichnet werden in der dreifachen Leidensankündigung Jesu selbst an seine Jünger: Er, »der Menschensohn, muss ausgeliefert werden in die Hände der Sünder«. Und nach Ostern, im denkwürdigen Gespräch mit jenen zwei vor Traurigkeit blinden Jüngern von Emmaus, wird er sie nochmals daran erinnern: »Musste« nicht der Messias das Kreuz erdulden, damit Gottes Weissagung und Plan erfüllt werden? Dieses »muss« hat Jesus als Kind vernommen; mit dem glaubenden zwölfjährigen Menschenkind kommt schon der hörende Gottessohn ans Licht. Eine Einsamkeit einmaliger Art muss damals über den Buben aus Nazareth gekommen sein, wie es später der Jünger Johannes gehört hat: »Ihr kennt Gott nicht, ich aber kenne ihn«; »ihr seid von unten her, ich aber bin von oben her«; »ihr seid von dieser Welt, ich aber bin nicht von dieser Welt« (Johannes 8). Maria hat es geahnt, aber verstanden haben die Eltern das nicht, denn wer von uns will solches schon verstehen? In alldem bleibt Jesus solidarisch mit uns allen. Wie alle Zwölfjährigen kehrt er mit den Seinen auf der Straße der Freude zurück nach Nazareth und ist dort wieder den Eltern gehorsam. Das ist das Einzigartige dieses Lebens Jesu von Nazareth: ganz solidarisch ist er unter uns Menschen, unter die er gestellt ist, und ganz solidarisch mit dem Willen seines himmlischen Vaters, den er allein ganz klar vernimmt. Der dunkle Weg des Glaubens ist ihm ebenso zugemutet wie ihm der klare Wille des lichten Himmels anvertraut ist, den er allein kennt. Diese doppelte Solidarität ist sein Geheimnis: ganz bei uns Menschen in Weisheit, Alter und Gnade und ganz bei Gott in einzigartigem Wissen, Wachsen und Begnadetsein. Weil dieser Sohn ganz beim Vater zuhause ist, darum darf unser Glaube ganz bei ihm zuhause sein.

»Ich freue mich, so oft und viel ich dieses Sohns gedenke, dies ist mein Lied und Saitenspiel wenn ich mich heimlich kränke, wenn meine Sünd und Missetat will größer sein als Gottes Gnad, und wenn meinen Glauben mein eigen Herz will rauben.« (Paul Gerhardt)

Amen. W AUGUST 2016

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Eint Abraham Juden, Christen und Muslime? Eberhard Troeger

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ir leben in einer aufregenden Zeit. Menschen aus Afrika und Asien dringen in großen Scharen in Europa ein. Wir erleben eine Viel-Völkerwanderung. Schon vor Jahrzehnten warn­ten Zukunftsforscher vor einem kommenden Sturm auf die »Festung Europa«. Heute müssen wir erfahren, dass diese Festung Löcher hat. Viele Menschen haben Angst, und manche werden aggressiv. Als Christen fragen wir nach den Absichten Gottes. Sind die eindringenden Scharen von Menschen eine Chance für die Verkündigung des Evangeliums, oder sind sie ein Gericht Gottes über die Sünden der Europäer? Warum sind die Gesellschaften Europas so überaltert? Warum erscheint der Zuzug junger Menschen notwendig? Könnte das nicht wesentlich mit der um sich greifenden Gottlosigkeit Europas, dem reinen Diesseitsdenken, dem krassen Materialismus, der Kinderfeindlichkeit und der Tötung des ungeborenen Lebens im Mutterleib zusammenhängen? Die gesellschaftlichen Strategen hatten gemeint, sie könnten den Zuzug steuern, und müssen heute erfahren, dass dies eine Illusion ist. Mir ist bewusst, dass die Frage nach dem Gerichtshandeln Gottes für die Meinungsführer in Gesellschaft und Kirche eine abwegige Frage ist. Stellen wir uns die Welle der Entrüstung vor, wenn ein Bischof es wagen würde, die Frage nach dem Gericht öffentlich zu stellen. Die Menschen Europas haben sich daran gewöhnt, dass die Kirchenoberen alle gesellschaftlichen Veränderungen absegnen. Der gesellschaftliche Friede ist offensichtlich wichtiger als die Frage

Eberhard Troeger Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30 INFORMATIONSBRIEF 299

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nach den Geboten Gottes. Harmonie um jeden Preis, heißt die Maxime. Wer Gottes Handeln in Gericht und Gnade zur Sprache bringt, muss mit einer Tracht verbaler Prügel rechnen. Auch im kirchlichen Raum darf man nur vorsichtig darauf hinweisen, dass die nach Europa Drängenden zum großen Teil Muslime sind. Man könnte damit ja Ängste schüren und den gesellschaftlichen Frieden stören. Auch hier gilt Harmonie und Toleranz als oberstes Gebot. Die meisten Europäer halten Religion grundsätzlich für eine Sache von gestern. Sie messen der Religion höchstens noch eine gewisse Bedeutung für seelisches Wohlbefinden und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu. Man fordert, dass alle Vertreter der verschiedenen Religionen auf Absolutheitsansprüche verzichten. Mission als Ausdruck eines Wahrheitsanspruches gilt allgemein als Friedensstörung und deshalb als unanständig. Dahinter steht ein ideologischer Hauptstrom, der sich leider auch durch die europäische Christenheit zieht. Man hat die Grundlagen unseres Glaubens, d. h. die Heilige Schrift und die Bekenntnisse der Kirche, einer fundamentalen historischen Kritik unterzogen. Die alten Texte werden nur noch aus ihrem früheren Umfeld heraus verstanden. Als ewig gültige göttliche Wahrheit haben sie kaum noch Bedeutung. Sie werden vielmehr als eine unter vielen religiösen Traditionen angesehen. Um ihnen für die Gegenwart einen gewissen Wert zuzugestehen, werden sie nach Belieben psychologisiert, existenzialisiert, sozialisiert usw. D. h. man misst den alten Texten nur noch einen Wert für das private religiöse Leben des Einzelnen und für den Frieden in der Gesellschaft zu. Der Gottesbezug wird weitgehend ausgeklammert, auch wenn man die Chiffre Gott noch im Munde führt. Im Grunde hat die historisch-kritische Auslegung dazu geführt, dass Menschen sich zu Herren über Bibel und Bekenntnis aufgeschwungen haben. Eine Folge davon ist, dass man mit den Texten recht willkürlich umgeht. Ein Beispiel: In der Homosexuellen-Debatte sagt man, dass die biblischen Texte nur für die damalige kulturelle Situation galten. Zum Um9


gang mit fremden Menschen in unserer Gesell- meinsamen Nenner für die ökumenische Verschaft holt man aber Texte hervor, die Israel brüderung von Juden, Christen und Muslimen mahnen, den Fremden zu achten und zu helfen. zu finden. Muslime können solcher VerbrüdeMan unterschlägt dabei, dass die so genannten rung nicht zustimmen. Bestenfalls werden sie Beisassen verpflichtet waren, die kultischen Ge- die Christen, die den koranischen Abraham setze Israels einzuhalten. Stellen gelten lassen, auf einem guten wir uns vor, jemand würde heute mm Es ist also in erster Weg sehen, Muslime zu werden. fordern, alle fremden Zuwande- Linie eine europäische Vielleicht werden sie die künstlirer müssten sich an die christlichen Bemühungen um Harmochen Regeln halten! Hier wird Idee, den biblischen nisierung aber auch als ziemlich sichtbar, wie beliebig man mit und den koranischen dumm verachten. Bibeltexten umgeht. Man fragt Wir wollen uns jetzt die Texte Abraham zu harmonicht mehr, was der eigentliche anschauen. Lässt sich von AbraSinn des gesamten biblischen nisieren und in ihm ham wirklich eine »Ökumene der Zeugnisses ist, sondern greift einen gemeinsamen Religionen«, die an den einen nach eigenem Gutdünken dieses Gott glauben, ableiten? Lässt Nenner für die ökume- sich im Eingottglauben Abraund jenes heraus. Das Fatale in unserer theolo- nische Verbrüderung hams ein kleinster gemeinsamer gischen Großwetterlage ist, dass von Juden, Christen Nenner finden? Ich unterstelle man mit den Basistexten des niemandem, alle Unterschiede Islam und der Muslime in ähn- und Muslimen zu verwischen zu wollen. Aber die licher Weise umgeht. Grundsätz- finden. Tendenz, das vermeintlich Gelich sieht man sie als eine relimeinsame herauszustellen und giöse Tradition unter vielen an. Man fragt nur die Unterschiede zu bagatellisieren, ist offennoch, welche Bedeutung sie für das religiöse kundig. Bei genauem Hinsehen werden am Gefühl des Menschen und für das friedliche Zu- unterschiedlichen Abrahamverständnis gerade sammenleben haben könnten. Deshalb sollen nicht die Gemeinsamkeiten des Gottesglaubens, Menschen christlicher Tradition von der musli- sondern seine Unterschiede deutlich. mischen Tradition lernen und umgekehrt. Man soll sich gegenseitig bereichern und nicht kriti- Abraham im alttestamentlichen sieren oder gar bekämpfen. Gegenseitige Tole- Zeugnis ranz und Akzeptanz sind die großen Postulate. Sie haben zur Folge, dass christliche WortDas Alte Testament zeigt uns Abraham als führer auch mit den muslimischen Basistexten einen Menschen, zu dem Gott auf verschiedegroßzügig umgehen. Man zitiert schöne Koran- ne Weise sehr persönlich geredet hat. Dabei hat texte, die für europäische Ohren gut klingen, er ihm nicht einfach Wissen über sich vermitohne nach ihrer Einbettung in den Gesamt- telt, sondern ihn erfahren lassen, wer er ist – der zusammenhang zu fragen. »Allah ist barmher- treue, zuverlässige Bundesgott, der seine Verzig« und »es ist kein Zwang im Glauben«, sind sprechen erfüllt. beliebte Beispiele. Dagegen schiebt man die Gott rief Abraham aus seiner vertrauten Umaggres­siven Korantexte in die historische Schub- gebung heraus und schickte ihn in ein fremdes lade. Land. Abraham ließ sich im Glauben darauf ein Ich habe bisher die europäische Sicht der und verließ seine Heimat, ohne zu wissen, wo es Dinge betont. Es ist wohl müßig hinzuzufügen, hingeht und was ihn im fremden Land erwartet. dass die meisten Muslime, die zu uns strömen, Abraham gehorchte Gott, und Gott erwies sich von solchen Gedanken unberührt sind. Für sie ihm gegenüber als der zuverlässige Herr. ist der Islam das Maß aller Dinge. Den Islam Gott gab Abraham ein dreifaches Verspreauf einer Ebene mit jüdischem und christlichem chen: Zunächst eine neue Heimat und eine Glauben zu sehen, ist für sie schlechterdings große Nachkommenschaft. Schließlich sollten unmöglich. Deshalb ist für sie der islamisierte durch ihn und in ihm alle Völker der Welt gesegAbraham des Koran der wahre Abraham und net werden. Diese Zusage steht am Anfang der der biblische Abraham eine Fälschung, sofern biblischen Abraham-Berichte (1.Mose 12,1–3). seine Darstellung vom koranischen Abraham Alle weiteren Erzählungen zeigen, wie diese abweicht. Verheißungen anbruchhaft in Erfüllung gingen. Es ist also in erster Linie eine europäische Vom verheißenen Land konnte Abraham nur Idee, den biblischen und den koranischen Ab- ein kleines Stück erwerben, d. h. einen Acker raham zu harmonisieren und in ihm einen ge- bei Hebron, an dessen Rand eine Höhle lag, in 10

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welcher er seine Frau Sara begrub. Dieses Stück Land wurde zur »Anzahlung« für ganz Kanaan. Doch das erlebte Abraham nicht mehr. Er blieb Glaubender und Hoffender. Am dramatischsten entwickelte sich die Frage nach dem großen Volk, d. h. nach dem oder den Nachfahren. Abraham und Sara hatten keine Kinder und waren alt. Abrahams Vertrauen in Gott wurde auf viele harte Proben gestellt. Sara war einige Male gefährdet, da man sie Abraham abwerben wollte. Abraham verhielt sich in diesen Situationen nicht korrekt, aber Gott rettete Sara. Schließlich schlug Sara ihrem Mann eine recht menschliche Lösung vor, zu Kindern zu kommen, und Abraham ließ sich darauf ein. Das Ergebnis war Ismael, der Sohn der Hagar – aber dieser eigenmächtige Weg führte zu einem Familiendrama und schließlich zur Ausweisung Hagars und Ismaels. Noch während sich dieser Fehlschlag abzeichnete, kündigte Gott das Wunder der Geburt Isaaks an, und es geschah. Der Junge wuchs heran. Dann aber sollte Abraham ausgerechnet diesen »Sohn des göttlichen Wunders« als Opfer darbringen. Das war die härteste Glaubensprobe. »Der Herr wird’s versehen«, sagte Abraham auf die neugierige Frage Isaaks nach dem Opfertier. Abraham blieb gehorsam und erfuhr die Treue Gottes in der Auslösung Isaaks durch ein Tier. Isaak war gerettet und konnte der Vater eines großen Volkes werden. Isaak wurde zum »Angeld« für das Volk Israel. Doch das erlebte Abraham nicht mehr. Er blieb Glaubender und Hoffender. An Isaak hing auch die Segensverheißung für alle Völker, nicht an Ismael. Denn Jesus, das »Licht der Welt« kam aus der Nachkommenschaft Isaaks und Jakobs. Die Erfüllung erlebte Abraham nur zeichenhaft. Er war ein Zeuge des lebendigen Gottes in seiner heidnischen Umwelt. Die biblische Abrahamgeschichte verkündigt Gott als den treuen Bundesgott, der keine unpersönliche Idee ist, sondern ein persönliches Gegenüber zum Menschen.

Abraham im neutestamentlichen Zeugnis Zunächst erfahren wir hier etwas über die jüdische Sicht Abrahams. »Wir haben Abraham zum Vater« (Matthäus 3,9; vgl. Johannes 8,33) – so rechtfertigten sich die zeitgenössischen Juden gegenüber Johannes dem Täufer und gegenüber Jesus. Mit dem Hinweis auf ihr Kindschaftsverhältnis zu Abraham lehnten sie sowohl den Bußruf des Täufers als auch den Jesu ab. Die INFORMATIONSBRIEF 299

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leibliche Abstammung von Abraham machte sie selbstsicher gegenüber dem Anspruch Gottes auf ihr Leben. Um das ausführlich deutlich zu machen, müssten wir die jüdische Lehrtradition, den Talmud, heranziehen. Das ist aber im Zusammenhang unseres Themas nicht möglich. Jesus und seine Apostel haben Abraham wieder in die ursprüngliche Weite gerückt und den Gott bezeugt, welcher der treue Vater im Himmel für alle Glaubenden ist. Paulus führt in seinen Briefen an die Römer (Kap. 4 und 9) und Galater (Kap. 3 und 4) aus, dass der wesentliche Zug an Abraham sein Vertrauen in Gottes Verheißungen war. Durch dieses Vertrauen lebte er in der rechten Gottesbeziehung. Wie für Johannes und Jesus hatte dieses Verständnis Abrahams für Paulus eine besondere Bedeutung in seiner Auseinandersetzung mit dem gesetzestreuen Judentum. Derjenige ist »Kind Abrahams«, der Gott bedingungslos vertraut (Galater 3,7). Die leibliche Abstammung ist also nicht entscheidend. Paulus macht dies daran deutlich, dass Abraham ja viele leibliche Kinder hatte – außer Isaak auch Ismael und die Söhne der Ketura – dass aber nur Isaak der »Sohn des Glaubens« und damit der Träger der Bundesverheißung ist. Paulus folgert daraus, dass auch Menschen aus den Völkern der Welt (Galater 3,8) Kinder Abrahams werden können, wenn sie glauben (Römer 4,11). Paulus begründet auf diese Weise, dass es nicht nötig sei, das mosaische Gesetz zu halten, um in die richtige Gottesbeziehung zu kommen. Nur im Glauben an die in Jesus verheißene Sündenvergebung kann ein Mensch mit Gott in Ordnung kommen. Hier wird deutlich, dass Gott der barmherzige Gott ist, der in seiner großen Liebe alle Menschen zu Kindern Abrahams machen möchte. Diese Liebe ist so groß, dass Gott durch seinen Sohn Jesus Christus einen Weg zu sich eröffnet hat, der für alle Menschen offen ist: nicht der Weg des jüdischen Gesetzes (oder der muslimischen Scharia), sondern der bedingungslosen Vergebung im Sühnopfer Jesu. Das Evangelium von Jesus bestätigt das wahre Abrahamverständnis und den wahren Gottesglauben.

Darstellung Abrahams im Koran Muslime behaupten, dass Mohammed seine Informationen über Abraham direkt von dem Engel Gabriel erhalten habe. Deshalb sind Muslime der Meinung, dass alles, was im Koran über Abraham steht, richtig ist. Beweisen können sie das natürlich nicht. Als Mohammed seine angeblichen Offenbarungen erhielt, hatte er keine 11


Muslime behaupten, dass Mohammed seine Informationen über Abraham direkt von dem Engel Gabriel erhalten habe. Deshalb sind ­Muslime der Meinung, dass alles, was im Koran über Abraham steht, richtig ist. Beweisen können sie das natürlich nicht. Mithörer. Mohammed ist der einzige Zeuge für den Inhalt des Koran. Das lässt uns skeptisch sein, ob er die Wahrheit gesagt hat. Viel näher liegt es zu vermuten, dass Mohammed seine Kenntnisse über Abraham von den Juden seiner Umgebung erhielt. Da er nicht lesen konnte, war er auf das Vorlesen oder Erzählen angewiesen. Das Vorlesen kam nicht in Frage, da er weder Hebräisch, noch Aramäisch oder gar Griechisch verstand. Die Juden haben ihm die Abraham-Geschichte also wohl auf Arabisch erzählt und Mohammed hat sich das Wichtigste ungefähr gemerkt. Es fällt aber auf, dass die Aussagen über Abraham im Koran von denen im 1. Buch Mose erheblich abweichen. Dafür gibt es eine einfache Erklärung. Die Juden haben Mohammed nicht die Bibeltexte ins Arabische übersetzt, sondern jüdische Legenden und Berichte der jüdischen Lehrtradition, des Talmud, erzählt. Wenn wir den koranischen Abraham mit dem talmudischen Abraham vergleichen, fallen viele Parallelen auf. Ich möchte jetzt die koranischen Aussagen über Abraham kurz zusammenfassen. Dabei ist zu bedenken, dass der Koran nicht thematisch geordnet ist. Aussagen über Abraham stehen verstreut im ganzen Koran. Ich möchte sie in drei Gruppen einteilen. Im Zentrum steht Abrahams Kampf gegen den Götzendienst seiner Zeit. Abraham zerschlägt die Götzenstatuen (21,58); d ­araufhin will man ihn töten, aber Allah errettet ihn (21,68). Abraham bekennt sich zu Allah als dem 12

Schöpfer. Berühmt sind die Koranverse (6,76– 79), in denen Abraham die Sterne, den Mond und die Sonne als unfähige Helfer ablehnt und sich Allah zuwendet. Er bittet Allah um einen Beweis (2,260), dass er Tote lebendig machen kann. Daraufhin werden vier tote Vögel »auferweckt«. Eine zweite Gruppe von Koranstellen bezieht sich auf die Ankündigung von Nachkommenschaft an Abraham und auf das Gericht über »Lots Leute«. Die ganze heilsgeschichtliche Dramatik fehlt aber. Die Geburt eines Jungen von hochbetagten Eltern wird als ein Geschenk Allahs angesehen. Auch die Geschichte von der Opferung dieses Jungen wird in vager Form geschildert. Der Name Isaaks wird dabei nicht genannt, und für Muslime ist Ismael der zu Opfernde. Merkwürdigerweise sagte Abraham zu seinem Sohn: »›Mein Sohn! Ich sah im Traum, dass ich dich schlachten werde. Überleg jetzt [und sag], was du [dazu] meinst!‹ Er sagte: ›Vater! Tu, was dir befohlen wird! [...]‹« (Sure 37,102) Die ganze Dramatik der alttestamentlichen Erzählung ist hier eingeebnet, der Sohn zu einem ergebenen Muslim geworden. Zu der dritten Gruppe gehören Koranverse, die Abraham als frommen Muslim schildern, der hofft, dass Allah ihm am Tag der Auferstehung seine Sünde vergibt (26,82). Er wird sogar als Prophet bezeichnet, der Offenbarungen von Allah erhalten hat, die in den so genannten »Blättern Abrahams« festgehalten worden sind (2,136; 4,54). Die »Religion Abrahams« (2,135) ist deshalb der Islam, Abraham war folglich Muslim. Wichtig ist für Muslime, dass Abraham bis nach Mekka gekommen ist. Die Kaaba wird als Haus und Platz Abrahams (2,125) bezeichnet. Abraham und Ismael haben angeblich die Mauern »des Hauses« gebaut (2,127). Wir können vermuten, dass Mohammed seine Informationen über Abraham so umgeformt hat, dass daraus ein »muslimischer Abraham« geworden ist. Im Grunde hat Mohammed sich selbst in Abraham hineinprojiziert. Der »koranische Abraham« verehrt Allah als den Schöpfer, er kämpft für den Eingottglauben, er führt ein frommes Leben und empfängt Offenbarungen Allahs. Von alledem ist in der Bibel nichts zu lesen. Wenn man den Islam als eine »Religion Abrahams« bezeichnen will, dann muss man immer hinzufügen: Der Islam versteht sich als die Religion des »islamisierten Abraham«! Das führt uns nun zu der entscheidenden Frage: Warum wurde Abraham für Mohammed so wichtig? Warum hat er ihn in so reichem Maße in den Koran aufgenommen? Wir können darüber nur Vermutungen anstellen. Wahrscheinlich AUGUST 2016

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empfand Mohammed das was er von den Juden schen Gesetzes als auch des durch Jesus gewirküber Abraham hörte zunächst als eine Bestäti- ten Heils. Judentum und Christentum waren gung seiner Sendung. Denn in Mekka wurde damit für Mohammed erledigt. Mohammed sehr angefeindet. Manchmal schien Ist es nicht eine Ironie, dass manche Christen seine Sache zum Scheitern verden islamisierten Abraham beurteilt zu sein. Man versuchte mm Mohammed hat mit nutzen wollen, um eine Schnittsogar, Mohammed umzubrin- Hilfe seiner Abrahammenge von Gemeinsamkeiten gen. In dieser Situation müssen zwischen den drei monotheisdie jüdischen Erzählungen für Projektion die biblische tischen Religionen zu finden? Mohammed ein gewisser Trost Heilsgeschichte von Muslime, die vom Islam übergewesen sein. Hatte nicht auch zeugt sind, können über solche Abraham über Mose Abraham viele Feinde? Versuchte Naivität nur lächeln. Die Frage man nicht, auch ihn umzubrin- bis Jesus praktisch unseres Themas ist also eindeugen? Griff Allah nicht schließlich außer Kraft gesetzt. tig mit Nein zu beantworten. doch ein und rettete ihn aus der Die Darstellung Abrahams in BiMose und Jesus sind Hand ihrer Feinde? bel und Koran ist gegensätzlich. Nach diesem Schema verlau- nicht mehr nötig. Man Der Koran benutzt Abraham, fen alle Prophetengeschichten kann direkt glauben um die biblische Heilsgeschichim Koran. Mohammed muss te von Abraham über Moses daraus geschlossen haben, dass wie Abraham, und alles zu Jesus auszuhebeln. Aus dem Allah auch seine Sache siegreich ist in Ordnung. treuen Bundesgott Israels ist ein zum Ziel führen werde. Mohamideologischer Begriff von Gott meds Erfolg in Medina muss ihn in dieser Sicht- geworden. Der Islam kennt nicht die »teure weise bestätigt haben. Barmherzigkeit« Gottes, die durch das SühnopNun ist aber folgendes zu bedenken. In Mek- fer Jesu Christi verbürgt ist. ka sah sich Mohammed noch in Übereinstimmung mit Juden und Christen. Das änderte sich Welche Folgerung wollen wir aus in Medina. Mohammed geriet in Konflikt mit diesem Befund ziehen? Juden und Christen. Sie wollten ihn nicht als neuen Gesandten Gottes anerkennen. Im Koran Ich persönlich unterscheide zwischen dem steht sogar, dass Juden und Christen Moham- Islam als einer religiösen Ideologie und den med aufforderten, Jude oder Christ zu werden. muslimischen Menschen, die in dieser IdeoloDas war für Mohammed gefährlich, und des- gie gefangen sind. Im Islam sehe ich eine Verhalb reagierte er heftig. Er erklärte den Juden drehung des Evangeliums, aber in den Musliund Christen, dass sie gar keine richtigen Allah- men sehe ich meine Mitmenschen, denen ich Verehrer mehr seien und dass es außerdem gar in der Liebe Christi begegnen möchte. Leider nicht nötig sei, Jude oder Christ zu werden. Um können viele unserer Zeitgenossen das nicht das zu beweisen, argumentierte Mohammed auseinanderhalten. Sie meinen, wenn man den mit Abraham. Islam ablehne, lehne man auch die Muslime Mohammed hatte verstanden, dass Abraham ab und umgekehrt. Leider gibt es bei uns ein weder Jude noch Christ war (Sure 3,67), son- zunehmendes Schwarz-Weiß-Denken. Wer dern einfach ein Gottgläubiger. Mohammed die Wahrheitsfrage stellt und den Islam nicht hatte zwar kein klares Geschichtsbild, aber doch als Heilsweg anerkennt, der gilt als intolerant so viel begriffen, dass Abraham vor Mose und gegenüber Muslimen. Gut finde ich, zwischen vor Jesus gelebt hatte. Da Abraham ein Vereh- Personen-Toleranz und Sach-Toleranz zu unrer des einen Gottes war, schloss Mohammed terscheiden. Ich kann Muslimen gegenüber todaraus, dass man nicht Jude oder Christ werden lerant sein, aber den Islam als religiöse Ideolomüsse (Sure 2,135), um den einen Gott zu ver- gie ablehnen. ehren. Ich denke, dass diese Unterscheidung auch Was ist hier passiert? Mohammed hat mit im Blick auf den gegenwärtigen Zustrom von Hilfe seiner Abraham-Projektion die biblische Muslimen wichtig ist. Ich kann gegenüber der Heilsgeschichte von Abraham über Mose bis Asylpolitik unserer Bundesregierung kritisch Jesus praktisch außer Kraft gesetzt. Mose und sein und mich für einen Stopp des Zuzugs einJesus sind nicht mehr nötig. Man kann direkt setzen – und gleichzeitig den Muslimen, die glauben wie Abraham, und alles ist in Ordnung. nun einmal in unser Land gekommen sind, einMit dem Rückgriff auf Abraham entzog sich fühlsam und seelsorgerlich begegnen. Ob ein Mohammed sowohl dem Anspruch des mosai- Muslim das Recht hat, hier zu leben, das sollen INFORMATIONSBRIEF 299

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unsere Gerichte und Behörden entscheiden. Ich möchte ihm das Evangelium bezeugen. Zum Schluss bewegt mich noch eine persönliche Frage:

Welchem Abraham wollen wir ­folgen? Der Abraham des Koran war sicher ein wackerer Streiter für den Glauben an den einen Gott, den Schöpfer. Auch unter Christen finden wir solche wackeren Gottesstreiter – sie beschämen mich oft. Und doch halte ich es lieber mit dem biblischen Abraham – diesem Mann, der gar kein so großer Held war, der schwache Stunden kannte und versagte, der dennoch Gott immer wieder neu vertraute und gehorchte, der den Weg des Glaubens trotz aller Anfechtungen und Niederlagen bis zum Ende ging. Abraham sah das Angeld der Verheißungen, er sah noch nicht das Endgültige. So geht es doch auch uns Christen. Wir haben durch Jesus

das verbürgte Angeld der Erlösung. Wir haben den Heiligen Geist als Angeld der neuen Welt Gottes. Aber wir warten noch auf das Endgültige, auf den neuen Himmel und die neue Erde. Wir warten auf den sichtbar wiederkommenden Herrn. Dann, ja dann werden wir endgültig vom Glauben zum Schauen kommen. Mit diesem biblischen Abraham, der hoffnungsvoll und geduldig unterwegs ist zum Ziel, möchte ich es halten. Er soll der Vater meines Glaubens sein. Und ich möchte mich an den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs halten, den lebendigen Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus. W Ursprünglich Vortag beim Regionaltreffen des Gemeindehilfs­ bundes in Würzburg am 7. November 2015. Aus: AUFBRUCH – Informationen des Gemeindehilfsbundes vom Januar 2016, Seite 13 bis 16. Der »Aufbruch« kann bei der Geschäftsstelle des Gemeindehilfsbundes bestellt werden und zum kostenlosen Bezug abonniert werden. Mühlstraße 42, 29664 Walsrode Telefon und Fax (05161) 911330 E-Mail: info@Gemeindehilfsbund.de Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des ­Gemeindehilfsbundes und des Autors.

Zum biblischen Zeugnis über Homosexualität Ulrich Wilckens Das biblische Zeugnis Es gibt in der Bibel zwar nur wenige Stellen, an denen von Homosexualität ausdrücklich die Rede ist. Aber sie stimmen darin überein, dass gleichgeschlechtlicher Verkehr Gottes Willen widerspricht. Im Alten Testament gilt nach 3.Mose 18,22 und 20,13 als »Gräuel«,

Ulrich Wilckens Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30

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wenn »ein Mann bei einem Manne liegt wie bei einer Frau«. Das strikte Verbot steht zum Schluss einer Reihe von Formen unerlaubten Geschlechtsverkehrs im Umkreis der Familie und Sippe. Bei heidnischen Völkern war Geschlechtsverkehr unter Männern – wie auch mit Tieren (V. 23) – durchaus üblich, in Israel galt es als »schändlicher Frevel«, den das Volk Gottes grundsätzlich zu meiden hat. Darum steht die ganze Verbotsreihe am Anfang und am Schluss unter der Überschrift des heiligen Namens Gottes: »Ich bin der Herr, euer Gott« (2.Mose 3,14; 20,2). Überdies zeigt die Geschichte von Abrahams Neffen Lot (1.Mose 19), dass sexuelle Gewalt gegen Männer in einer Stadt wie Sodom geradezu zum Herrschaftsanspruch Einheimischer gegen Fremde gehörte. Im Neuen Testament stellt der Apostel Paulus in Römer 1,26f. in entsprechender Schärfe AUGUST 2016

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gleichgeschlechtlichen Verkehr als besonders »schändlich« unter allen Sünden der heidnischen Menschheit heraus, die als Strafe »den Tod verdienen« (V. 32) und nach 1.Korinther 6,9f. vom Heil des Reiches Gottes ausschließen (so auch in 1.Timotheus 1,10). An beiden Stellen betont Paulus, dass Christen aus dieser tödlichen Verhaftung unter der Macht der Sünde durch Christi Sühnetod befreit worden sind (Römer 3,21–26 nach 1,18–3,20) und kraft des Heiligen Geistes an Christi Auferstehungsleben teilhaben (1.Korinther 6,9). Darum sollen Christen sich in ihrer Lebensführung total von ihrer heidnischen Umwelt unterscheiden; es ist für sie ganz ausgeschlossen, in ihrem Tun dorthin wieder zurückzufallen: Es ist ihre Vergangenheit, von der sie durch die reinigende und heiligende Wirkung der Taufe ein für alle Mal los und ledig geworden sind (1.Korinther 6,9; vgl. 1.Thessalonicher 4,3ff.). Heute gibt es eine Tendenz, die biblische Verurteilung gleichgeschlechtlichen Verkehrs so einzuschränken, dass dieser nicht als ganzer, sondern nur in gewissen Ausnahmefällen verboten sei. In 3.Mose 18,22 und 20,13 wie auch in Römer 1,26f. gehe es lediglich um Prostitution in heidnischen Tempeln; in 1.Korinther 6,9 und 1.Timotheus 1,10 um Päderastie (Knabenliebe). Dass das Erste nicht zutrifft, zeigt der Zusammenhang des Textes ganz eindeutig: Die lange Reihe von Verboten in 3.Mose 18,22 betrifft sexuelle Vergehen in aller Breite; und so hat das »Liegen eines Mannes bei einem Mann« wie erst recht sexueller Verkehr mit Tieren (3.Mose 18,13) keinerlei Bezug zu Vorgängen in heidnischen Kultstätten. Erst recht gilt das für den Römerbrief. Der Apostel führt hier die These von 1,18 aus: die ganze Menschheit ist als Folge ihrer Abkehr von Gott dem Zorngericht Gottes verfallen (1,18– 32). Ihre Sünde besteht einerseits im Götzendienst, in kultischer Verehrung selbstgemachter Götterbilder statt des lebendigen Gottes in seiner einzigartigen »Herrlichkeit« (V. 19–25), andererseits in einer Fülle von Gottes Willen widersprechendem Tun (V. 26–32). Paulus hebt zu Beginn in 1,26f. gleichgeschlechtlichen Verkehr deswegen besonders hervor, weil sich hier in der Verkehrung der natürlichen Gegebenheit des Unterschieds von Mann und Frau die Abkehr von Gottes Schöpferwillen besonders ­augenfällig zeigt. Für jeden Juden war klar, dass die in der griechisch-römischen Welt übliche und moralisch unanstößige Homosexualität unter allen sexuellen Vergehen für die Sünde der Heiden besonders typisch sei. Dieses Urteil teilten auch die ersten Christen mit den Juden. INFORMATIONSBRIEF 299

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Deswegen brauchte Paulus es in seinen Briefen nicht eigens zu begründen. Ebenso gehören bereits in jüdischer Überlieferung Götzendienst als Abkehr von dem einzig-einen Gott und Unrecht gegen Mitmenschen so fest zusammen, wie es in den beiden Tafeln der Zehn Gebote vorgegeben ist (2.Mose 20,2–11 und 12–17). Es kann also keine Rede davon sein, dass Paulus wegen des engen Zusammenhangs von Götzendienst und Homosexualität in Römer 1,19–25 und 1,26f. an Prostitution in heidnischen Tempeln gedacht hätte. In 1.Korinther 6,9 zeigt sich der gleiche Zusammenhang von Götzendienst und sexuellen Verfehlungen, an die sich dann ebenso eine Fülle anderer Sünden anschließt. Die sexuellen Sünden fasst Paulus hier zuerst allgemein als außerehelichen Geschlechtsverkehr jedweder Art zusammen und hebt dann mit zwei Worten homosexuellen Verkehr besonders hervor, in wörtlicher Übersetzung »Weichlinge« und »mit Männern Schlafende«. Wahrscheinlich ist das erste ein populäres Wort und das zweite eine konkrete Beschreibung. Die auf Päderastie eingeschränkte Übersetzung im Luthertext (»Lustknabe« und »Knabenschänder«) ist deswegen verfehlt, weil von Jünglingen (griechisch »paides«) nicht ausdrücklich die Rede ist. Weil »Knabenliebe« unter griechischen Gebildeten als besonders edel und ästhetisch lustvoll galt, ist diese sicherlich mitgemeint, aber nicht ausschließlich. Dass jedenfalls homosexuelle Praxis im Blick steht und nicht nur »Neigung«, zeigt auch das in dieser Hinsicht eindeutige zweite Wort.

Die Aufgabe des Verstehens Soweit zur Auslegung der biblischen Stellen. Damit ist jedoch die Aufgabe des Verstehens noch nicht erfüllt. In der Tat kann es mit der bloßen Aneinanderreihung von Einzelstellen nicht getan sein – es muss nach dem Grund für die besonders scharfe Verurteilung gleichgeschlechtlichen Verkehrs gefragt werden. Viele Kritiker machen sich freilich nicht diese Mühe, sondern meinen, es bedürfe allein der Feststellung, dass zur biblischen Zeit Homosexualität im Sinne heutiger Erfahrung und Bedeutung noch nicht bekannt gewesen sei und das biblische Zeugnis deswegen für unsere Gegenwart nicht von Belang sei. Das trifft aber nicht zu. Gleichgeschlechtlicher Verkehr ist damals in der gleichen Breite, vom brutalen Koitus bis hin zu erotisch verfeinerten Formen, praktiziert worden wie in homosexuellen Kreisen heute. Und auf die Praxis als solche kommt es in der Bibel 15


an. Freundschaften unter Männern und unter Frauen sind dagegen nirgends verboten – im Gegenteil! Als Beispiel dafür, dass zu Freundschaft auch Erotik gehören darf, mag auf die Geschichte von König Saul in 1.Samuel 16,14ff. hingewiesen werden, der den jungen David wegen seiner Schönheit und Musikalität »sehr lieb gewann« (V. 21). Und im Neuen Testament nennt Jesus seine Jünger seine »Freunde« (Johannes 15,14); und »der Jünger, den Jesus liebte« liegt beim Abschiedsmahl als einziger »zu Jesu Brust« (Johannes 13,23.25). Damit ist sicherlich ein besonderes Verhältnis zwischen diesem Jünger und Jesus angedeutet, keinesfalls aber ein sexuelles. Wer das behauptet, hat vom Geist des Johannesevangeliums nichts verstanden.

Der Sinn der Sexualität Warum aber gilt in der ganzen Bibel Homosexualität in besonderer Schärfe als Sünde? Um das zu verstehen, bedarf es einer Ausweitung auf den Sinn von Sexualität überhaupt. Nach dem Schöpfungsbericht ist der Mensch von Gott als »Mann und Weib« geschaffen mit dem Auftrag: »Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und macht sie euch untertan!« Nur aus dem Geschlechtsverkehr von Mann und Frau entstehen Kinder; und so soll es nach dem Schöpferwillen sein: Aus dem einen Menschenpaar soll eine Familie werden und aus der Gemeinschaft von Familien eine verantwortliche Kultur des Umgangs mit allem, was Gott geschaffen hat. In diesem Sinn ist der Mensch »Bild Gottes«. Nach 1.Mose 2,24 hat die sexuelle Vereinigung, in der Mann und Frau »ein Fleisch« werden, den Sinn, dass aus ihr ein hilfreiches Zusammenleben beider erwachsen soll. Diese Einheit schützt Gott, indem er diesen Mann und diese Frau zu lebenslanger Ehe verbindet und jeden Ehebruch verbietet (2.Mose 20,14). Jesus hat dieses Gebot gegenüber der jüdischen Rechtstradition verschärft (Markus 10,6–9) und sittlich radikalisiert (Matthäus 5,27f.). Im ganzen Urchristentum galt daher die Einehe als allein legitime Lebensform des Zusammenlebens von Mann und Frau und jedweder außerehelicher Geschlechtsverkehr als »Unzucht« – und deswegen jeder gleichgeschlechtliche Verkehr als Sünde. Nicht nur im Blick auf all die (heute recht zahlreichen) Fälle von homosexuellen Beziehungen neben einer Ehe, sondern auch weil die schöpfungsgemäße Bestimmung der Geschlechtsorgane zur Zeugung und Empfängnis von Kindern und überhaupt die ganze Beziehung der beiden Geschlechter zueinander und durch beides der gute Wille des Schöpfers für das Leben 16

der Menschen »verkehrt« wird (Römer 1,26f.). In homosexuellen Verbindungen ist Nachwuchs gänzlich ausgeschlossen, während Ehepartner auch dort, wo sie heute zunächst ein selbstbezogenes Geschlechtsleben führen, in dem sie die Entstehung von Kindern bewusst ausschließen, dieses Verhalten später ändern können, dass es für Kinder offen wird. Dies als »Biologismus« abzutun, zeugt von merkwürdiger Abwertung der Leiblichkeit des Menschen. Es gehört nun einmal zum biologisch-»natürlichen« Wesen des Menschen, dass nur aus der sexuellen Vereinigung von Mann und Frau Nachwuchs entstehen kann. Deswegen hat nicht nur die Kirche, sondern auch der Staat allen Grund, die Institution Ehe – und nur sie – grundgesetzlich zu schützen. Wenn homosexuelle Paare sich zu dauerhafter gegenseitiger Treue verpflichten, so ist das gewiss ein wichtiges Element dessen, was eine Ehe bestimmen soll. Doch kann dies eine Gleichstellung mit der Ehe begründen? Überdies sollte nicht an der Tatsache vorbeigesehen werden, dass heute nach internationalen Erhebungen lebenslange Treuebeziehungen unter Homosexuellen wesentlich seltener sind, als dies leider auch bei Ehepaaren der Fall ist. Ja, eine große Mehrheit von Homosexuellen lebt mit ständig wechselnden oder mit mehreren ­Sexualpartnern nebeneinander. Und: knapp zwei Drittel aller Aids-Infektionen in Deutschland sind auf ungeschützten Sex zwischen Männern zurückzuführen, stellt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung fest; eine enorme Menge, wenn man bedenkt, dass Homosexuelle kaum mehr als fünf Prozent der Bevölkerung ausmachen. Auch eine Adoption von Kindern oder die Mitnahme eigener Kinder in die homosexuelle Partnerschaft kann eine Gleichheit homo­ sexueller Gemeinschaften mit Ehen keineswegs »vervollständigen«. Denn Kinder brauchen, um seelisch unbeschadet aufzuwachsen, eine Frau als Mutter und einen Mann als Vater. Es sind realitätsferne Idealbilder, die von Vertretern der Homosexuellenbewegung der Öffentlichkeit vor Augen geführt werden, um eine allgemeine Anerkennung der Gleichheit und Gleichwertigkeit homosexueller »Lebenspartnerschaften« mit Ehen zu erreichen. Den homosexuellen Menschen wäre mehr gedient, wenn man die oft schweren inneren Nöte, die mit dieser »Lebensform« zumeist verbunden sind, der Öffentlichkeit zugleich auch mit bekanntmachte. Das würde dem mitmenschlichen Verstehen dienen, dessen sie nicht weniger bedürfen, um in ihrer Menschenwürde ernstgenommen zu werden, als viele Ehepartner in unserer modernen AUGUST 2016

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Lebenswelt. Christliche Liebe jedenfalls darf liegt das Wissen, was für alle Menschen gut ist, gleichgeschlechtlich lebende Menschen nicht und dass, wenn die Menschen darüber je nach aus hilfreicher Seelsorge ausschließen, wenn die- ihren eigenen Interessen entscheiden, das, was se sich ihr nicht von sich aus entziehen. Christ- die einen als gut für sich erachten und entspreliche Seelsorge würde aber unwahrhaftig, wenn chend handeln, für andere böse Folgewirkun­gen sie ihnen verschwiege, dass es nach dem Urteil hat. Egozentrik und Egoismus ist die Wurzel Gottes Sünde ist, wenn sie ihre homosexuelle der Sünde, die Böses anrichtet: Böses als UngeLebensweise als »völlig normal« horsam gegen Gottes Willen und erachten und dafür von Gott und mm Gott gewährt in Böses, das Menschen Menschen den Menschen Anerkennung seiner Gnade gewiss antun. fordern. Gott gewährt in seiner Das gilt gerade auch für die SeGnade gewiss Sündern aller Art Sündern aller Art und xualität als dem Bereich menschund Schwere seine Vergebung. Schwere seine Vergelichen Lebens, in dem es am senEbenso gewiss aber schenkt er sibelsten und folgerichtigsten um bung. Ebenso gewiss nur denen seine Vergebung, die das Wohl des Menschen geht, sie von Herzen annehmen und aber schenkt er nur de- nicht nur um das Wohl für sich alles daransetzen, ihr Leben zu nen seine Vergebung, selbst, sondern auch um das der ändern. Toleranz für Menschen, Kinder. Christen wissen – oder die sündigen wollen, kennt er die sie von Herzen sollten wissen –, dass die Sexualinicht. Und es gibt hinreichend annehmen und alles tät nur gelingen kann im GehorErgebnisse psychotherapeuti- daransetzen, ihr Leben sam dem Willen Gottes gegenscher Behandlung, die erweisen, über und in der Geborgenheit dass Homosexualität keineswegs zu ändern. Toleranz für der Liebe Christi als dem Herzen ein unumkehrbares »genetisches Menschen, die sündiihrer ehelichen Gemeinschaft. Schicksal« ist, sondern dass die- gen wollen, kennt er Der Apostel Paulus sagt das so: jenigen, die unter ihr leiden und »Euer Leib ist ein Tempel des Heidies zugeben, von ihr frei werden nicht. ligen Geistes, der in euch ist und können. den ihr von Gott habt. So gehört ihr nicht euch selbst. Denn ihr seid teuer erkauft, darum preist Gott mit eurem Leibe!« (1.KorinWas ist Sünde? ther 6,19f.) Für viele Menschen heute klingt es nach Das hier Ausgeführte dient lediglich einem schwerer persönlicher Kränkung, wenn sie hö- Verstehen der biblischen Texte und der beren, dass ihr Handeln, für das sie doch selbst gründeten Abwehr falscher Auslegungen. Zum verantwortlich sind, vor Gott Sünde sei. Des- Gesamtthema gibt es empfehlenswerte Verwegen bedarf es zum Schluss noch einer Erklä- öffentlichungen: z. B. Christl Ruth Vonholdt, rung, was nach biblischem Verständnis Sünde Homosexualität verstehen, in: Bulletin. Nachist. In der Geschichte von der Entstehung der richten aus dem Deutschen Institut für Jugend Sünde im Paradies wird mit tiefsinniger Sym- und Gesellschaft (2006) sowie auch die Beiträbolik erzählt: Adam und Eva wollten nicht nur ge im Sonderheft: Männliche Sexualität (2005); Gottes Gabenreichtum genießen, sondern selbst Klaus Baschang, Kirche, Homosexualität und »sein wie Gott« und selbst darüber entscheiden Politik, ideaDokumentation 3/2010; Andreas können, was gut und was böse ist (1.Mose 3,5). Späth (Hrsg.), … und schuf sie als Mann und Wer heute meint, er habe selbst das Recht, die- Frau. Kirche in der Zerreißprobe zwischen Hojenige sexuelle Lebensform zu wählen, die er als mo-Lobby und Heiliger Schrift (2011). ihm gemäß, als für ihn gut beurteilt, der denkt und handelt wie Adam und Eva. Diese fragten Durch die mit dem Beschluss der Synode der nicht einmal, ob es nicht einen für ihr Leben gu- Evangelischen Kirche im Rheinland vom Beginn ten Sinn habe, dass Gott sich die Entscheidung, dieses Jahres geschaffenen Fakten, wonach gleichwas gut und was böse ist, selbst vorbehalten hat. geschlechtliche Paare sich in dieser Landeskirche Sie wollten keine Entscheidung über sich, sie kirchlich trauen lassen können, erhält die Ausarwollten selbst entscheiden und Gott als ihren beitung des Lübecker Altbischofs und geachteten Herrn loswerden. Wir wissen heute um die vie- Professors für Neues Testament, Ulrich Wilckens, len Fehlentscheidungen in der Geschichte einer bedrückende neue Brisanz. Der Beschluss kam mit Menschheit, die sich für allmächtig hält, auch großer Mehrheit zustande: von 211 stimmberechum die vielen Differenzen im Urteil über Gut tigten Mitgliedern stimmten lediglich sieben daund Böse. Nur in Gottes Weisheit und Liebe gegen und enthielten sich elf. Damit sind homoseINFORMATIONSBRIEF 299

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xuelle Partnerschaften mit der Ehe gleichgestellt. Bislang war seit dem Jahr 2005 »nur« eine Segnung möglich, die nicht als Amtshandlung galt. Ein Eintrag in das Kirchenbuch der Gemeinde ist auch rückwirkend möglich. Pfarrer können wohl eine Trauung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ablehnen; dann ist es Aufgabe des Superintendenten, dafür zu sorgen, dass die Trauung in einer anderen Kirchengemeinde stattfindet. Bislang war – seit einiger Zeit – nur in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau die Segnung von Lebenspartnern mit der klassischen

kirchlichen Trauung völlig gleichgestellt. Mit Zustimmung wurde freilich auch die wohlwollende Haltung zur Homosexualität des Präses des Gnadauer Verbandes und Vorsitzenden der Deutschen Evangelischen Allianz und EKD-Ratsmitgliedes, Michael Diener (Kassel), aufgenommen. Bis vor kurzem wäre eine solche Haltung bei »Gnadau« undenkbar gewesen. Dazu ist auch ein inner­evangelikaler Konflikt aufgebrochen (»offener Brief« von Ulrich Parzany) (vgl. auch idea ­Spektrum 3/2016 vom 20. Januar 2016, S. 32, West). W

Reformation in der Kirche 1517 und 2017

Betrachtungen auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2017 Reinhard Slenczka Unterscheidungen, die durch den Heiligen Geist bewirkt werden: Allein durch Christus Wer Luther liest, und das wird auch in den vorangehenden Betrachtungen mehrfach aufgefallen sein, trifft immer wieder auf Entscheidungen, Unterscheidungen und Gegensätze. In allen diesen Fällen geht es grundlegend um die Unterscheidung von dem, was Menschen tun, wollen, denken und dem, was Gott tut, plant und will. Dabei handelt es sich nicht um ein theologisches Konzept; man kann das nur dann

Reinhard Slenczka Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30

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recht verstehen, wenn man erkennt und anerkennt, wie der Dreieinige Gott in seinem Wort als Person begegnet. Das ist also ein Geschehen, in dem Gott Subjekt ist; er spricht, handelt und wirkt. So ist das in seinem Wort der Heiligen Schrift erkennbar, und durch dieses Wort geschieht das. Daher ist das auch keine Sonderlehre oder Technik, sondern es geht um das, was durch Wort und Sakrament im Gewissen bzw. Herzen eines Menschen, in der Kirche, aber auch in der von Gott geschaffenen und erhaltenen Welt geschieht. Wenn man freilich die Heilige Schrift als Texte aus vergangenen Zeiten versteht und behandelt, wird man von dieser Wirkung nichts erkennen; es bleibt beim toten Buchstaben. Luther sagt dazu in einer Predigt: »Die Worte der Heiligen Schrift werden auf zweifache Weise behandelt: Erstlich von denen, die nicht wahrhaft glauben, die sich selbst irgend eine Meinung im Blick auf den Buchstaben bilden. Zum andern von denen, die mit menschlicher Vernunft das Wort zu erfassen suchen; denen nützt es nichts, sie können vieles erzählen und meinen, die ganze Bibel zu kennen, und dennoch AUGUST 2016

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können sie nicht im geringsten ein Jota der Schrift wissen […]. Denn die Vernunft kann nicht einmal die Worte des ersten Kapitels [des ersten Buches Mose] verstehen.«1 Die häufigsten und wichtigsten Unterscheidungen sollen hier zusammengestellt werden. Dabei fällt auf, dass die meisten der angeführten Texte aus Luthers Tischreden stammen, in denen er immer wieder auf einfache und eindringliche Weise bezeugt, was die Erfahrung des Glaubens im Umgang mit der Heiligen Schrift ist.

Gottes Wort und Menschenwort Für diese Unterscheidung finden sich viele Belege in den vorangehenden Betrachtungen. Sie beruhen alle auf der Voraussetzung, dass Gottes Wort nicht innerhalb der Schrift vom Menschenwort unterschieden wird, sondern allein durch das Wort Gottes der Heiligen Schrift (sola scriptura). Ein biblischer Beleg dafür ist die Zurechtweisung des Petrus durch den Herrn: »Und Petrus nahm ihn beiseite und fuhr ihn an und sprach: Gott bewahre dich, Herr! Das widerfahre dir nur nicht! Er aber wandte sich um und sprach zu Petrus: Geh weg von mir, Satan! Du bist mir ein Ärgernis; denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist« (Matthäus 16,22f.). Der Jünger Petrus kann nicht verstehen, wie in der Ankündigung von Kreuzestod und Auferstehung des Herrn der Heilsplan Gottes nach der Schrift erfüllt wird. Denn Tod ist für ihn wie für jeden Menschen Ende und Niederlage, nicht aber Sieg und ewiges Leben bei Gott. In dieser Unterscheidung von Gottes Wort und Menschenwort liegt also bei tieferer Betrachtung der Gegensatz zwischen der Allmacht Gottes und der Allmacht des Todes.

Gesetz und Evangelium, Geist und Buchstabe Diese Unterscheidung wird mehrfach in der Schrift begründet und aufgedeckt; sie bestimmt die Geschichte des Gottesvolkes: »Denn das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden« (Johannes 1,17) sowie die Erfüllung der Verheißung des Neuen Bundes im Alten Bund (Jeremia 31,33; Hesekiel 11,19; 36,26; Joel 3,1; 5.Mose 30,6 u. a.). Im Alten Bund ist das Gesetz auf steinerne Tafeln geschrieben, im Neuen Bund wird es durch den Heiligen Geist in fleischerne Herzen gegeben (2.Korinther 3,3). »Nicht dass wir tüchtig sind von uns selber, uns etwas zuzurechnen als von uns selber; sondern dass wir tüchtig INFORMATIONSBRIEF 299

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sind, ist von Gott, der uns auch tüchtig gemacht hat zu Dienern des neuen Bundes, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig« (2.Korinther 3,5f.). Durch Jesus Christus wird das erfüllt: »Er sprach aber zu ihnen: Das sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war: Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose, in den Propheten und in den Psalmen. Da öffnete er ihnen das Verständnis, so dass sie die Schrift verstanden, und sprach zu ihnen: So steht’s geschrieben, dass Christus leiden wird und auferstehen von den Toten am dritten Tage; und dass gepredigt wird in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern« (Lukas 24,44–47). Wie Gesetz und Evangelium bzw. Geist und Buchstabe durch das Wort Gottes wirken, zeigt Luther unter drei Gesichtspunkten.

Was Fähigkeit und Aufgabe eines Theologen ist »Es muß einer, der ein Theologus sein will, die schrifft gar inne haben, das er auff alle locos seine solutio hab, quidquid opponi potest, nempe distinctionem legis et euangelii [dass er für alle Probleme eine Lösung hat, was er jeweils erwidern kann, nämlich die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium]. Si hanc haberem perfecte [wenn ich das vollkommen beherrschte], wolt ich nimmer traurig werden. Darumb wer es ergreifft, hat gewonnen. Quidquid est in scriptura, vel est lex vel evangelium [Was sich auch in der Schrift findet, ist entweder Gesetz oder Evangelium]; der zwei eins mus trimphieren, lex ad desperationem, euangelion ad salutem … [das Gesetz zur Verzweiflung, das Evangelium zum Heil].«2

Nur der Heilige Geist versteht das Wenn die Fähigkeit, Gesetz und Evangelium zu unterscheiden, die Bedingung für den Beruf eines Theologen ist, dann folgt gleich die nächste Äußerung: »Lex et euangelium. Non est homo, qui vivit in terris, qui sciat discernere inter legem et euangelium [Gesetz und Evangelium. Es lebt kein Mensch auf Erden, der zwischen Gesetz und Evangelium unterscheiden könnte]. Wir lassens uns wohl geduncken, wen wir horen predigen, wir verstehens, aber es felet weit. Solus spiritus sanctus hoc scit [Allein der Heilige Geist versteht das]. Dem Mann Christus hats auch gefehlt, am berge, ita ut angelus cogebatur eum consolari [so dass ein Engel ihn trösten musste]; der war doch Doctor, vom Himmel durch den Engel 19


confirmirt. Ich hett gemeint, ich kundt es, weill ich so lang und viel davon geschrieben, aber wenn es an das treffen geht, so sich ich wol, das es mir weit, weit felet. Also soll und muß allein Gott der heiligist meister sein.«3

Der Teufel verdreht Gesetz und Evangelium Bei dem dritten Text kommt der Teufel ins Spiel: »Vom Teufel: Summa eius ars est [Seine höchste Kunst ist], das er kan ex euangelio legem machen. Hanc distinctionem, si possem retinere [wenn ich diese Unterscheidung festhalten könnte] wolt ich ihm all stund sagen, er solt mich hinden lecken, etiamsi peccassem, dicerem [auch wenn ich gesündigt hätte, würde ich sagen]. Wie denn, sol man drumb euangelion verleugnen? Noch nit! Sed cum disputo [Doch wenn ich anfange zu diskutieren], was ich gelassen und getan habe, so bin ich dahin. Sed quando respondeo ex euangelio: Remissio peccatorum geht uber hin tune vici [Doch wenn ich aus dem Evangelium antworte: Vergebung der Sünden geht darüber hinweg, dann habe ich gesiegt]. Wenn er aber einen auf das Thun, lassen bringt, so hat er gewonnen, nisi adsit Deus qui dicat: Quid? Si non fecissem [… wenn nicht Gott mir beisteht, der sagt: Was soll’s? Auch wenn ich nicht getan habe was das Gesetz fordert], so must ich dennoch per remissionem peccatorum selig werden. Sum enim baptisatus, communicatus etc … [so muss ich dennoch durch Vergebung der Sünden selig werden. Ich bin doch getauft, habe das Abendmahl empfangen etc. …].«4 Wenn man diese Erklärungen bedenkt, dann sieht man: Es geht hier um etwas, was durch das Wort Gottes im Gewissen und Herzen eines Menschen geschieht; es geht um die Folge der Taufe; es geschieht, was der Heilige Geist durch Wort und Sakrament wirkt. In diesem Sinne handelt es sich hier nicht um ein Lehrstück für theologische Experten, sondern um ein Lernstück für jeden Christen, der nicht vor, sondern unter dem Wort Gottes der Heiligen Schrift steht.

Lehre und Leben »Die Lehre, das ist der Himmel; das Leben, das ist die Erde.«5 »Die Lehre und das Leben soll man unterscheiden. Das Leben ist bei uns böse wie auch bei den Papisten. Darum streiten wir nicht um das Leben, sondern um die Lehre. Wiklif und Huss haben das Leben im Papsttum angefochten; ich aber fecht das eben nicht vornehmlich an, sondern die Lehre, ob die Widersacher auch recht 20

lehren. Andere haben nur das Leben angegriffen; aber von der Lehre handeln und dieselbe angreifen, das heißt, der Gans an den Kragen greifen […]. Da nur das wort rein bleibt, so kann das Leben wohl wieder zurechtkommen, wenn ihm gleich etwas mangelt […].«6 Zum Verständnis dieser wichtigen Unterscheidung muss man wissen, dass nach dem Neuen Testament Jesus der Lehrer, der Rabbi, ist, und die Jünger sind »Schüler«. Lehre ist daher das, was der Herr Jesus Christus sagt und tut. Das ist nach Inhalt und Wirkung unveränderlich. Das Leben indes ist, was die Jünger tun – oder auch nicht tun. So weist Luther darauf hin, dass auch unter Nichtchristen und in anderen Religionen das Leben durchaus nach dem äußeren Anschein in Ordnung sein kann. Heilsentscheidend für die Rettung aus dem Endgericht ist jedoch allein der Glaube an Jesus Christus, das Evangelium von Jesus Christus: »Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!« (Markus 1,15)

Gerechtigkeit Christi und Gerechtigkeit der Menschen –– Aktive und passive Gerechtigkeit »Es gibt viele Arten von Gerechtigkeit, die politische, philosophische, juristische oder auch die menschlichen Traditionen in kirchlichen Verordnungen und Zeremonien. Sie alle können Hausväter und Lehrer weitergeben, sofern sie nicht dazu dienen, für die Sünde genug zu tun und Gott zu versöhnen. Außer diesen gibt es auch eine Gerechtigkeit, wie sie Moses im Dekalog lehrt; diese lehren wir auch nach der Lehre vom Glauben. Über diesen allen steht jedoch die Christliche Gerechtigkeit, welche von diesen allen anderen sorgfältig zu unterscheiden ist. Die zuerst erwähnten Formen von Gerechtigkeit, soweit sie aus kaiserlichen Gesetzen, päpstlichen Überlieferungen fließen, mögen wohl auch Gottes Gabe sein. Denn die Gerechtigkeit der Werke ist durchaus Gottes Gabe, wie auch alle Werke. Doch die Gerechtigkeit, die wir tun, ist nicht die Christliche Gerechtigkeit und wir werden dadurch nicht gerecht. Die Christliche Gerechtigkeit ist das genaue Gegenteil; sie ist passiv, wo wir selbst nichts tun, sondern lassen einen anderen in uns wirken, nämlich Gott. Von der Welt kann das nicht verstanden werden: ›Es ist im Mysterium verborgen‹ (1.Korinther 2,7). Selbst Christen verstehen das nur mit Schwierigkeiten, weil sie nicht einsehen, wie das geschehen soll. Doch muss man diese Unterscheidung wohl bedenken. Ich verstehe das selbst auch noch nicht.«7 AUGUST 2016

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Ebenso wie bei der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium bekennt der Theologieprofessor Martin Luther, dass er das selbst nicht versteht, was er lehrt. Das bedeutet, was hier geschieht, kann man nicht theoretisch vermitteln; man kann es nur praktisch erfahren in der Anfechtung, im Glaubensringen durch den Heiligen Geist im Gebet (Römer 8,26).

Christus als Sakrament und als Vorbild (1.Petrus 2,21––25) »Wer Christus als Vorbild nachfolgen will, der muss zuvor mit festem Vertrauen glauben, dass Christus für ihn gelitten hat und gestorben ist als Sakrament.«8 »Was ist Christus erkennen? Nichts anderes, denn dass ihr ihn erkennt erstlich als eine Gabe und Geschenk, zum andern als Exempel. Eine Gabe, nämlich die dir von Gott gegeben und dein eigen sei. Also wenn du ihm zusiehst oder zuhörst, dass er etwas tut und leidet, dass du nicht zweifelst, er selbst, Christus sei dein mit solchem Tun und Leiden. Darauf magst du dich verlassen, als hättest du es selbst getan, ja als wärest du der selige Christus […] Darum siehe eben darauf: Christus als Gabe nährt deinen Glauben und macht dich zum Christen. Aber Christus als ein Exempel übt deine Werke, die machen dich nicht zum Christen, sondern sie gehen von dir aus, den Christus zuvor schön gemacht hat.«9

Herrlichkeitstheologie und ­Kreuzestheologie (19) »Nicht der wird zu Recht als Theologe gewürdigt, der behauptet, dass Gottes unsichtbares Wesen mit der Vernunft aus dem Geschaffenen erkannt wird (Römer 1,20), (20) sondern vielmehr derjenige, der das, was von Gott im Hinterhersehen (2.Mose 33,23) durch Leiden und Kreuz eingesehen wird. (21) Ein Herrlichkeitstheologe bezeichnet das Schlechte als Gutes und das Gute als Schlechtes. Ein Kreuzestheologe bezeichnet die Dinge so, wie sie sind.« Diese Thesen mit der Unterscheidung von Herrlichkeit und Kreuz finden sich in Luthers Heidelberger Disputation von 1518,10 und hier geht es um eine Auseinandersetzung mit der vorherrschenden scholastischen Theologie. Doch diese scharfe Kritik ist bis heute von großer Bedeutung. Denn sie richtet sich gegen eine Theologie, in der es nicht um Kreuz und Auferstehung Jesu Christi geht, sondern um das INFORMATIONSBRIEF 299

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Handeln und Verhalten von Christen. Das Werk Jesu Christi wird verdrängt und ersetzt durch die Werke von Christen. Doch inwiefern wird hier letztlich ausgerechnet Gutes und Schlechtes vertauscht, wo man doch in der Tat das Gute will? Wieso erfasst nur der Kreuzestheologe die Wirklichkeit dieser Welt, während alles andere einer Illusion verfällt? Die Antwort auf diese Frage fasst alle die vorangehenden Unterscheidungen zusammen: Bei der Herrlichkeitstheologie ist Christus letztlich völlig überflüssig, vielleicht eine historische Erinnerung, aber nicht der gekreuzigte und auferstandene Herr, dessen Wiederkunft zum Gericht über Lebende und Tote wir erwarten. Stattdessen erwartet man, dass Christen die Welt verbessern und sich für das Gute und Gerechte einsetzen. Die Herrlichkeitstheologie ist im Grunde das, was man heute als Wohlstandstheologie (wellness) bezeichnet und vertritt. Der Kreuzestheologe jedoch erkennt in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi, dass diese Welt unter der Herrschaft von Sünde, Tod und Teufel unentrinnbar gefallen und gefangen ist. Sie kann sich nicht selbst befreien. Auch und gerade wo Menschen das Gute wollen, stehen sie unter der Herrschaft des Bösen, oder, wie es der Philosoph Karl Popper formuliert hat: »Der Versuch, den Himmel auf Erden zu verwirklichen, produzierte stets die Hölle.«11 Luther formuliert das in der These 3 noch schärfer und sicher auch verletzender für unseren guten Willen, der jedoch auch unter der Herrschaft des Bösen steht und der sich lieber an die Stelle Gottes setzt und selbst über Gut und Böse entscheiden will: »Die Werke von Menschen mögen wohl glänzend und gut erscheinen; wahrscheinlich jedoch ist, dass sie Sünden sind, die zum Tod führen« (Todsünden). Wie Luther selbst sagt, kann man alle diese Unterscheidungen nicht verstehen oder üben. Man kann nur auf das hinweisen, was der Heilige Geist durch Wort und Sakrament nicht nur lehrt, sondern auch bewirkt. Das ist durchaus für den an das Wort Gottes gebundenen und getragenen Glauben zu erkennen und zu unterscheiden. W 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7)

WA 12, 438. Predigt über die Genesis. WA Tischreden 1, Nr 626, 1533 WA Tischreden 2, Nr. 1234, 1531. WA Tischreden 1, Nr. 590, 1533. »Doctrina coelum – vita terra«. WA Tischreden 1, Nr. 624. WA 40, I, 40, 19–41, 8. Vorlesung über den Galaterbrief [interpretierende Übersetzung]. 8) WA 67, III, 114, 15 zu Hebräer 2,3. 9) WA 10, I, 2, 247,28–34; 248,3–7. 10) WA 1, 353ff. 11) Karl Popper (1902–1994), Mannheimer Forum 1975/76, 8.

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Georg III. der Gottselige, Fürst von Anhalt (1507––1553) Zugleich regierender Fürst und evangelischer Geistlicher, Dompropst und Bischof, weitsichtiger evangelischer (Kirchen)Politiker und begnadeter Seelsorger und Prediger W a l te r R o m i n g e r

Zur Hinführung: Politiker als ­Prediger –– durchaus fragwürdig Es ist inzwischen Sitte geworden, oder bezeichnet man es besser als Unsitte, dass Politiker als Prediger in Kirchenräumen auftreten. Wohl ist mir und noch manch anderen dabei aber nicht. Unter anderen hat sich auch der langjährige Vorsitzende der Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium«, Pfarrer Hansfrieder Hellenschmidt (†), deutlich davon in einem Beitrag für den Informationsdienst der Evangelischen Allianz distanziert. Man kann diesem ganz einfach das Sprichwort entgegenhalten: Schuster bleib bei deinen Leisten. Im Grunde bedeutet dies eine zu geringe Beachtung der Zwei-Regimenten-Lehre, was wiederum eine mangelnde Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ist. Im fortgeschrittenen Alter war Friedrich von Bodelschwingh der Ältere (1831–1910), der »Vater der Barmherzigkeit« und langjährige Vorsteher der Anstalten »Bethel« bei Bielefeld, Abgeordneter im preußischen Landtag. Als solcher hat er eine Rede vor den Abgeordneten mit »Amen« beendet, womit ansonsten die Predigt endet. Dass die Rede eines Abgeordneten mit »Amen« beendet wird, gilt als einmalig. So handelte auch Papst Benedikt XVI. anlässlich seines umfangreichen letzten Besuches in Deutschland

Walter Rominger Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30

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nicht, als er – mehrmals – vor Vertretern aus Politik, Gesellschaft und Kultur sprach. Einmalig ist indes auch, zumindest im evangelischen Bereich, dass eine achtenswerte und zu seiner Zeit – in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts – geachtete und beachtete Persönlichkeit zugleich regierender Fürst und Dompropst und Bischof war, der überdies als gebildeter Humanist und Theologe und genauso als begnadeter Prediger und Seelsorger hervortrat: Bei Georg III., einem Fürsten von Anhalt, war dies so. Und da verwundert es nicht einmal, dass er der Gottselige oder Fromme genannt wurde. Und das aufgrund seiner Einstellung und seines vorbildlichen Lebenswandels (!).

Georg III., Fürst von Anhalt –– sein Lebensweg in kurzen Zügen Der Lebensweg des Fürsten ist schnell erzählt, da dieser einfach ganz eng mit den theologischen und kirchlichen Entwicklungen und diesbezüglich seinen je eigenen in Verbindung steht, worauf in einem gesonderten, dann auch etwas umfangreicheren Teil eingegangen werden soll. Dabei ist nicht fein säuberlich zu trennen und mögen sich Überschneidungen ergeben. Geburts- und Sterbeort sind bei ihm derselbe, Dessau, wo er am 15. August 1507 geboren wurde und am 17. Oktober 1553 verstarb, wobei der zeitlebens unverheiratet gebliebene Fürst auch seine letzten Lebensjahre im Anhaltinischen verbrachte. Als theologischer und (kirchen)politischer Berater hat er diesen indes auch verlassen. Erzogen wurde er nach seines Vaters Tod, dem Fürsten Ernst von Anhalt, vom Bischof Adolf von Anhalt in Merseburg. Fast noch im Kindesalter (zwölfjährig!) begann der überaus begabte Georg das Studium des Kirchenrechts in Leipzig. Mit 17 war er bereits Dompropst in AUGUST 2016

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Magdeburg und arbeitete später bei der Stiftsregierung in Halle mit. Seit 1530 regierte er zusammen mit zwei Brüdern als Fürst AnhaltDessau, wobei, noch einmal sei’s angeführt, Georg III. gleichzeitig regierender Fürst und evangelischer Geistlicher war. Zusammen mit seinen beiden Brüdern führte Georg III. 1532 die Reformation in Anhalt durch. Vor ihm war bereits sein Vetter Wolfgang von Anhalt evangelisch geworden. Nach seiner Mutter Tod, überzeugt durch das Augsburger Bekenntnis (1530), vollzog auch Georg III. den Schritt des Übertritts und stand seitdem denn auch mit Wittenberg in Verbindung. Ab 1544 war Georg III. Bischof von Merseburg. Georg III. hat schließlich dafür gesorgt, dass sich im zersplitterten Askanasierfürstentum Anhalt die Reformation vollends durchsetzen konnte. Fürst Wolfgang hatte schon früh die Reformation in der Teilherrschaft Anhalt-Köthen (mit Bernburg) eingeführt und ab 1530 wurde denn auch nach und nach der größte Teil von AnhaltDessau (mit Zerbst) im Sinne der Reformation umgestaltet. Dabei wirkte als umsichtiger theologischer Berater und Visitator Fürst Georg III. von Anhalt mit, der damalige Magdeburger Dompropst und ab 1544 Bischof von Merseburg, ein gebildeter Humanist und profilierter Vertreter einer konservativen Reformation. Nicht genug damit, dass er sein Fürstentum der Reformation zuführte – er war auch beteiligt an der Reformation in Sachsen und Kurbrandenburg. Damit ist der Übergang zum nachfolgenden Teil erreicht, in dem es nun deutlicher um Georg III. theologische Entwicklung und Position und seine kirchliche und (kirchen)politische Bedeutung gehen soll.

Georg III. –– der Gottselige oder der Fromme Schüler Luthers und doch eigenständig: seine kirchliche und (kirchen)politische Bedeutung Georg III. von Anhalt war in der Tat ein Unikum der Reformationszeit, nämlich die einzige fürstliche Persönlichkeit geistlichen Standes; er war in beiden Regimenten Gottes aktiv tätig. Er, der bereits 1518 im Kindesalter (geboren 1507) Domherr von Merseburg geworden war, 1524 Dompropst von Magdeburg und 1548 auch noch Dompropst von Meißen, übernahm – einzigartig – nach dem Bruch mit den Altgläubigen, der römisch-katholischen Kirche, das evangelische Predigtamt. Er war Landesfürst, der ab 1530 zusammen mit zwei Brüdern als Fürst von INFORMATIONSBRIEF 299

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Anhalt-Dessau regierte und führte zugleich als Landesfürst und geistlicher Oberherr (Archidiakonus) im bis dahin noch altgläubigen Teil Anhalts in den Jahren 1530 bis 1532 die Reformation ein. Doch wie bereits angedeutet, wirkte er über seinen eigenen territorialen Bereich hinaus. In den Jahren 1539 folgende war er an der Reformation in Braunschweig beteiligt, nachdem er bereits 1537 Einfluss auf Kurfürst Joachim II. von Brandenburg genommen hatte, die ohne seine Einwirkung wohl nicht zustande gekommen wäre. Er gilt auch als der Hauptverantwortliche für die Brandenburgische Kirchenordnung von 1540. Ebenso war er an Religionsverhandlungen im Reich beteiligt, etwa am Regensburger Religionsgespräch 1541. Der von Luther Ordinierte, der sich als dessen (wie auch als Melanchthons) Schüler verstand, blieb deswegen jedoch immer ein selbständig denkender evangelischer Geist. Er versuchte 1541 – vergeblich – Luthers Zustimmung zum Regensburger Buch, welches das Ergebnis des Regensburger Religionsgesprächs war, zu erreichen. 1544 wurde er Bischof von Merseburg, worauf Herzog August von Sachsen die weltliche Regierung des Stifts erhielt, der aber 1541 von Kaiser Karl V. zum Verzicht genötigt wurde. Aufgrund dessen resignierte auch Georg III.; er wurde mit der Propstei Meißen abgefunden. Das Bistum fiel an Michael Helding (1506– 1561), dem Weihbischof von Mainz und dann Bischof von Merseburg. Doch Georg III. hatte »gute Arbeit« geleistet. So gut hatte er die Reformation eingeführt, dass Michael Helding, dem neuen, nun römisch-katholischen Bischof, im Gebiet von Merseburg keine Rekatholisierung gelang. Der von Luther ordinierte Georg III. wurde 1544 geistlicher Koadjutor (Gehilfe, der einem – durch Alter oder Krankheit behinderten – kirchlichen Würdenträger beigeordnet ist) des Administrators für das Bistum Merseburg und war zudem einflussreicher Berater des Herzogs Moritz bei der Gestaltung des Kirchenwesens im albertinischen Sachsen. Georg III. verstand sich durchaus als Schüler Luthers (wie auch Melanchthons) und dennoch war seine Abhängigkeit nicht derart groß, dass er nur Einsichten und Gedanken Luthers weitergegeben hätte (das traf eher auf Georg Spalatin zu), sondern durchaus eigenständig war. Er vertrat ein eigenes Kirchenideal: die Kirche sollte sich diesem zufolge ganz zum sola fide und zum sola gratia bekennen und doch vor allem darin, was kirchliche Bräuche anlangt, im »catholicus consensus« bleiben. Von daher vertrat 23


Georg III. für die Reformation eine konservative Einstellung und man geht wohl nicht zu weit, wenn man ihm bereits eine ökumenische Haltung zuschreibt. Seine Haltung mag im so genannten »Leipziger Interim« zum Ausdruck kommen und den darin vereinbarten »Leipziger Artikeln«, das im Wesentlichen sein und des Juristen Christoph von Carlowitz (1507–1578), des entscheidenden religionspolitischen Beraters Moritz’, Werk ist. Das »Leipziger Interim« verstand sich keinesfalls als Abschwächung des Augsburger Interims (Reichsgesetz vom Mai 1548, das den konfessionellen Frieden wieder herstellen sollte, wobei Katholiken als auch norddeutsche Lutheraner das Augsburger Interim gleichermaßen ablehnten). Es sollte vielmehr das Kirchenideal Georgs III. zeigen und gab sich mit dem Zustand zufrieden, wie er in den meisten Gemeinden bestand (status quo). Damit wird man Georg III. eine realistische Sichtweise zuschreiben dürfen. Weil Georg III. keine Maximalforderungen stellte, sondern sich mit weit weniger zufrieden gab, hat er insofern segensreich gewirkt, dass er es den meisten der

an Habsburg gebundenen Landen – Brandenburg und albertinisches Sachsen – überhaupt ermöglichte, zum evangelischen Glauben überzuwechseln. Georg III. war ein irenisch gesinnter Christenmensch und so trieb ihn seine Friedensliebe dazu, den Ausgleich auf der Grundlage christlicher Gemeinsamkeiten zu suchen, was, so könnte man sagen, zu dieser Zeit bereits eine ökumenische Gesinnung und Richtung anzeigte. Überdies war er ein guter Seelsorger. Die Merseburger Pfarrerschaft rief er zu regelmäßigen Pfarrsynoden zusammen. Er war Fürst und gleichzeitig auch Prediger ohne sich dessen zu schämen, so das anerkennenswerte Urteil Robert Stupperichs (Reformatorenlexikon, S. 87). Er sorgte sich nicht allein um seine Lande, und veröffentlichte deshalb seine Werke, welches zumeist erweiterte Predigten waren: »Wider die falschen Propheten«, »Über das Abendmahl«. Georg III. genoss so große Achtung und hatte ein solch beachtliches Charisma, so dass sogar Luther sich von ihm bei der Wurzener (Stifts) Fehde überzeugen ließ und auf ihn hörte. W

Ein treuer Begleiter für schwere Stunden »Teddybären-Mutter« Margarete Steiff wurde durch das Evangelium zum Handeln ermutigt Michael Klein Er ist der Begleiter so mancher Kindheit: der kuschelige Bär mit den lustigen Augen. Und das seit mehr als hundert Jahren. Erfunden und hergestellt wurde er von Margarete Steiff. Ihr Lebensmotto: »Für Kinder nur das Beste«. Wir erinnern an diese Christin, die durch die Bibel ermutigt wurde, trotz ihrer Behinderung ihre Gaben zu entfalten und nicht zu resignieren. Ihre Erzeugnisse sind heute weltweit bekannt. Er ist und bleibt das liebste Spielzeug in Deutschlands Kinderzimmern: der Teddybär. Und natürlich hat er einen Knopf im Ohr. Diese Marke zeigt an: Er ist ein Abkömmling von Margarete Steiff. 1902 fertigte sie den ersten Teddy in ihrer Werkstatt in Giengen an der Brenz, nicht weit von Ulm. Der damals 55-jäh24

rigen Schneiderin war es nicht an der Wiege gesungen worden, mit ihren Kuscheltieren einmal viele Kinderaugen rund um die Welt zum Leuchten zu bringen. Geboren wurde sie am 24. Juli 1847 als Tochter eines Werkmeisters. Mit anderthalb Jahren erkrankte sie an Kinderlähmung. Ein Leiden, das sie zeitlebens an den Rollstuhl fesselte. Damit war ihr Lebensweg eigentlich vorgezeichnet: entweder unter den behüteten Fittichen der Großfamilie oder in einem Heim. In der Familie Steiff aber wurde die Großmutter zur Beschützerin und zum geistlichen Vorbild der kleinen Margarete. Sie erzählte ihrer Enkelin immer wieder Geschichten aus der Bibel und vor allem von Jesus, dem Heiland, der die KranAUGUST 2016

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ken gesund machte. Aus dem Vers: »Sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund«, schöpfte Margarete lebenslang Kraft und Lebensmut. Die Geschwister zogen sie in einem Leiterwagen zur Schule. Unterricht für Behinderte war damals ein seltenes Privileg. Ihr wacher Geist, ihre Energie und ihre geschickten Händen fallen auf. Sie absolviert eine Schneiderlehre. Nach deren erfolgreichem Abschluss eröffnet die 20-jährige mit ihrer Schwester Maria eine Schneiderwerkstatt. Außer Kleidern näht sie auch Nadelkissen aus Filz, denen sie die Form von Tieren gibt. Das erste SteiffTier, das als Nadelkissen dient, ist ein Elefant. Als die Kinder beginnen, Mutters Nähkasten zu plündern, um mit dem drolligen Gesellen zu spielen, wird aus dem Haushaltsartikel ein begehrtes Spielzeug. Bald hat die geschickte Näherin 5000 der begehrten Spielzeuge verkauft. Andere Tiere folgen. Den ersten Bären fertigt Margarete Steiff 1902 auf Drängen ihres Neffen, der als Student der Kunstgewerbeschule im Zoo die Tiere skizzierte und die Urform des Steiff-Teddybären entwickelt hat.

Margarete stellt den Bären erstmals 1903 auf der Spielwarenmesse in Leipzig vor. Die Nachfrage hält sich in Grenzen. Aber ein amerikanischer Einkäufer sucht nach etwas Ausgefallenem, entdeckt den Bären und ordert gleich 3000 Stück. Ein Butler des US-Präsidenten Theodore Roosevelt entdeckt ein Exemplar in einem Spielzeugladen, kauft es und verwendet es als Tischdekoration für die Hochzeitstafel der Tochter des Präsidenten. Dort erhält das Tier den Kosenamen von Roosevelt: Teddy. Er trägt zum Weltruf der Firma bei, die von einer kleinen, behinderten Frau im Rollstuhl aufgebaut und mit Energie geleitet wird. Am 9. Mai 1909 stirbt Margarete Steiff an einer schweren Lungenentzündung. Aus ihrem Glauben schöpfte sie Lebensmut und die Phantasie, die vielen Kindern in aller Welt seither Freude bereitet hat. W Abdruck aus hoffen + handeln 11/2015 vom November 2015, S. 11. Der Abdruck erfolgte mit freundlicher Genehmigung des Verfassers, Michael Klein, Redakteur von ERF Medien in Wetzlar. Steiff Museum, Margarete-Steiff-Platz 1, 89437 Giengen an der Brenz, Infoline (07322) 151500, Fax 151700, www.steiff.com, E-Mail: museum@steiff.de

Aus Kirche und Gesellschaft Trauung für Homosexuelle In der Evangelischen Landeskirche von Baden können ab sofort auch gleichgeschlechtliche Paare einen Traugottesdienst feiern. Die Reform wurde mit großer Mehrheit von der Synode in Bad Herrenalb Ende April 2016 beschlossen. Die neuen Segensfeiern sollen grundsätzlich auch homosexuellen Paaren mit einem evangelischen und einem katholischen Partner offen stehen. Landesbischof Cornelius-Bundschuh begrüßte die Öffnung. Es sei deutlich geworden, dass der Beschluss biblisch-theologisch begründet werden könne – eine wahrhaft abenteuerliche Aussage. Die Evangelische Landeskirche in Baden ist die vierte, die einen Traugottesdienst für homosexuelle Paare zulässt, die der von Mann und Frau vollkommen gleichgestellt ist, mit Eintragung im Trauregister. Bisher war dies bereits in der rheinischen, hessen-nassauischen und berlin-brandenburgischen Kirche möglich. (Quellen der Nachricht: Südwestpresse vom 25. April 2016, Südwest­ umschau, Notizen; SWR-Fernsehen, Abendnachrichten am 24. April 2016; Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg 17/2016 vom 24. April 2016, S. 3 und 18/2016 vom 1. Mai 2016, S. 3, nach epd)

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Vorerst kein landesweiter Rat der Religionen Aber: Was nicht ist, kann ja noch werden Einen Rat der Religionen, wie dies der theologisch liberale und politisch links angesiedelte synodale Gesprächskreis »Offene Kirche« für Baden-Württemberg angeregt hat, wird es – zumindest vorläufig – nicht geben; oder: noch nicht geben. Dabei ist die Entscheidung mehr als knapp ausgefallen. Der synodale Ausschuss für Mission, Ökumene und Entwicklung hatte bei fünf Ja-, fünf Nein-Stimmen und drei Enthaltungen empfohlen, das Projekt »Rat der Religionen in Baden-Württemberg« nicht weiter zu verfolgen. Erstaunlich ist, dass die Chefredakteurin der württembergischen Kirchenzeitung, »Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg«, Petra Ziegler, dies »bedauerlich« findet, »dass es einen landesweiten Rat der Religionen« »nicht geben wird«; sie ist aber der Hoffnung, dass sich dies ändern könnte, und schreibt deshalb »vorerst nicht geben wird«. Noch gibt es in keinem Bundesland einen solchen Rat, jedoch zumindest in drei baden25


württembergischen Städten: in Stuttgart, Ulm und Mannheim (siehe Informationsbrief Nr. 297 vom April 2016, S. 4). Ziegler hofft darauf, »Baden-Württemberg könnte das erste [Bundesland] sein, das einen solchen Rat der Religionen hat«. Sie erblickt nämlich in einem solchen »ein deutliches Signal« dafür, »die Verständigung zwischen den Religionen zu fördern«. Interessant ist indes, dass der Leser so beiläufig erfährt, »dass Landesbischof Frank Otfried July regelmäßig Vertreter verschiedener Religionen zum Gespräch einlädt«, was Ziegler für »wichtig« hält und damit auch offensichtlich für richtig. Es ist allerdings kaum anzunehmen, dass Bischof July damit einen missionarischen Dialog verfolgt, sondern die Religionsgemeinschaften als auf jeweils gleicher Augenhöhe betrachtet. Eher geht es ihm wohl darum, zur friedlichen Co-Existenz der verschiedenen Religionen in der Zivilgesellschaft beitragen zu wollen. Wenn dem so ist, dann ist der Bischof daran zu erinnern, dass dies Aufgabe staatlicher Vertreter ist, nie und nimmer aber die eines Kirchenrepräsentanten sein kann. Als jemand, der zudem eine hohe Funktion beim Lutherischen Weltbund einnimmt, müsste ihm doch präsent sein, dass er sich um das Reich zur Rechten und nicht um das zur Linken zu kümmern hat, wobei sich allerdings die Frage stellt, ob dem Lutherischen Weltbund in seiner Gesamtheit diese Unterscheidung noch bekannt ist, aus der dann entsprechendes Verhalten folgt.

Vorsitzender der Apis lehnt Begriff »Judenmission« ab

(Quelle des Kommentars: Evangelisches Gemeindeblatt für ­Württemberg 13/2016 vom 27. März 2016, Ostern, S. 14 und 24)

(Quelle der Nachricht: Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg 11/2016 vom 13. März 2016, S. 2, nach epd)

Nun geniert sich selbst der Vorsitzende des pietistischen Evangelischen Gemeinschaftsverbandes die Apis in Württemberg, Steffen Kern (Stuttgart), den Begriff »Judenmission« zu benutzen und hat sich in einem Beitrag für die Zeitschrift »zeitzeichen« dagegen ausgesprochen. Wenn Christen gegenüber Juden Jesus Christus als Weg zu Gott bezeugten, sei »der Begriff Judenmission« als »unangemessen abzulehnen« – weshalb denn? Es klingt denn auch reichlich sophistisch und gekünstelt – und muss dies auch, da gegen den Begriff Judenmission nichts einzuwenden ist – wenn er weiter ausführt, damit werde suggeriert, dass das Christuszeugnis gegenüber Juden »eine Variante der Völkermission« sei. Stattdessen sei es aber »Ausdruck christlicher Identität auf der Basis großer Gemeinsamkeit«. Kern sieht die Gemeinsamkeiten in der Verbundenheit durch die »gemeinsame Schrift der hebräischen Bibel« und die »Erwählung Gottes«. »Dabei löst die Erwählung der Kirche die Erwählung Israels keinesfalls ab.« Die Ausführungen Kerns tragen mehr zur Verwirrung als zur Klärung und Versachlichung bei und scheinen von einem unguten »theologischen« Philosemitismus getragen. Wer den Begriff aufgibt, gibt auch – fast zwangsläufig – rasch die Sache auf.

Aus den Bekennenden Gemeinschaften Bischof Wilckens 88 Im August kann der emeritierte ehemalige Bischof von Lübeck und geschätzte Bibelübersetzer und Ausleger des Neuen Testaments, Professor Ulrich Wilckens, seinen 88. Geburtstag begehen. Der immer noch emsig arbeitende Altbischof macht immer wieder mit nichtkonformen »Zwischenrufen« darauf aufmerksam, was in der Kirche zu gelten hat, wenn sie denn Gemeinde Jesu sein will. Er gehört inzwischen zu den wenigen Theologen in (einstmals) kirchenleitender Funktion, die bei den Beken­ nenden Gemeinschaften ohne sich zu genie26

ren, mitarbeiten. Auch für den Informationsbrief der Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« hat er bereits Beiträge verfasst (vgl. Informationsbrief Nr. 297 vom April 2016, S. 6–14 und diese Ausgabe auf S. 14–18). Der literarische Ertrag des Theologen Ulrich Wilckens ist beträchtlich: Neben seiner Übersetzung des Neuen Testaments sollen sein dreibändiger Kommentar zum Römerbrief und der zum Johannesevangelium, sowie seine sechs Bände umfassende TheoloAUGUST 2016

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gie des Neuen Testaments, seine Studienführer zum Alten und Neuen Testament und seine Kritik der Bibelkritik Erwähnung finden. Zurzeit schließt er einen »Weckruf« ab – einen Beitrag zum Reformationsjubiläum. Bereits in jungen Jahren wurde der Schüler Edmund Schlinks (1903–1984, Heidelberg) Professor für Neues Testament – zuerst in Berlin, dann in Hamburg, bevor er von 1981 bis 1991 Bischof von Holstein-Lübeck war; ab 1986 amtierte er gleichzeitig als Vorsitzender der Leitung der Nordelbischen EvangelischLutherischen Kirche. Daneben nahm er einige weitere Funktionen wahr: Er war Catholica-Beauftragter der VELKD und Verbindungsmann der EKD zu den evangelischen Kommunitäten. Wilckens theologisches Denken wird ganz wesentlich geprägt von der Auferstehung. Das zeigt sich auch in aller Deutlichkeit an seiner persönlich-zeugnishaften Meditation zu Ostern: »Ostern heißt: Jesus lebt heute für mich«, die er zum Osterfest 2016 für den Informationsdienst der Evangelischen Allianz (idea) verfasst hat, den wir im Folgenden mit freundlicher Genehmigung des Altbischofs abdrucken. Ostern heißt: Jesus lebt heute für mich Ostern – für Christen heißt: Jesus lebt. Dass das wahr ist und konkret erfahren werden kann, das habe ich selbst dreimal in tief bewegender Weise erlebt. 1. Christus sprach im Krieg zu mir Zuerst, als ich ein 16-jähriger Junge war. Es war ein Irrsinn am Ende des Krieges: Wir sollten eine ganze Panzerbrigade der Amerikaner aufhalten. Zwei Stunden später sah ich mich um: Viele Kameraden lagen zerschossen überall herum! In der vergangenen Nacht hatte ich noch im selben Saal mit einigen von ihnen geschlafen – jetzt waren sie tot! Zum ersten Mal in meinem jungen Leben sah ich tote Menschen! Wie zerschlagen war meine junge Seele. Da schlug ich eine kleine Taschenbibel auf. Eine Schulfreundin hatte sie mir zum Abschied mitgegeben. Selbst darin gelesen hatte ich bisher noch nicht, denn meine Familie war dem Christentum völlig entfremdet. Nun las ich: »In der Welt habt ihr Angst. Aber seid getrost: ICH habe die Welt überwunden!« Es war die Stimme des auferstandenen Jesus, die da zu mir sprach. Noch nie hatte ich sie gehört. Jesus sprach mir unmittelbar zu Herzen. Auf einmal spürte ich Mut diesem ganzen Schrecklichen gegenüber. Seitdem lebe ich mit seiner Stimme Tag für Tag, Jahr für Jahr. INFORMATIONSBRIEF 299

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2. Christus errettete mich vom ganz nahen Tod Das zweite Auferstehungswunder erlebte ich am Ende meines Bischofsdienstes 1991. Bis dahin kerngesund, wurde ich urplötzlich todkrank: Bauchspeicheldrüsenkrebs! Ein Chirurg operierte mich stundenlang. Gleichwohl sagten befreundete Ärzte zu mir: »Höchstens ein paar Monate hast du nur noch.« Was sehr selten geschieht, widerfuhr mir: Ich wurde gesund! Und mir war bewusst: Wieder war es Jesus, der mich vom ganz nahen Tod errettet hatte – so wie damals! Er wollte, ich solle in meinem Ruhestand meine beiden Berufe verbinden: den Professor für Neues Testament mit dem darauf folgenden Bischofsdienst. Ich schrieb eine »Theologie des Neuen Testaments« in sechs Bänden – ganz wissenschaftlich und zugleich ganz im Glauben. Der Dank und Lobpreis für meine Gesundung bildeten den Abschluss jedes Kapitels des zweiten Teils dieses Werkes. So etwas hat es in der neutestamentlichen Wissenschaft noch nicht gegeben. 3. Wozu mein drittes Osterwunder dient Vor zwei Jahren stürzte ich bei Glatteis und wurde wieder kompliziert operiert. Während dieser Krankheitszeit bekam ich außerdem noch einen Schlaganfall. Monate später aber konnte ich wieder nach Hause kommen: Mit mancher bleibender Nachwirkung zwar, aber mein Verstand ist heil geblieben. Wieder weiß ich, warum und wozu: Zum dritten Mal hat mir Jesus ein Wunder seiner Auferstehungsliebe widerfahren lassen. Und ich soll – in meinem Alter von 88 Jahren – noch einmal ein Buch schreiben: zum Gedenken an die Reformation vor 500 Jahren. Aber gegen den Trend: nicht als das Ereignis, durch das der Protestantismus in seiner modernen Überlegenheit über den Katholizismus entstanden ist, sondern so wie Luther Reformation gewollt hat: als Erneuerung des Glaubens, die heute die evangelische Kirche noch ungleich tiefgreifender nötig hat als die römische damals. Wer heute ein Christ sein will, muss in seinem eigenen Leben die Botschaft der Bibel unendlich wieder ernst nehmen! Deren Herz ist die Wahrheit der Auferstehung Jesu. Jesus ist wirklich auferstanden und will seine Wunder tun in einem jeden von uns. Ein fröhliches Ja und ein gehorsam gelebter Glaube seien unsere Antwort! (ideaSpektrum 12/2016 vom 23. März 2016, S. 3, Gastkommentar)

Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verfassers, Bischof i. R. Ulrich Wilckens, Lübeck.

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Veranstaltung der Bekenntnisbewegung

Gottes Ruf, die Weltkrise zu meistern Luthers Lehre von Gottes beiden Regimenten –– Die Antwort auf die Nöte von Politik und Gesellschaft mit

D r . U we S i e m o n - N ett o

Die Weltsituation ist explosiv: Terrorkrieg des »Islamischen Staats«. Putins Drohgebärden. Drohender EU-Zerfall. Flüchtlingskrise. Obendrein Revolution der Ich-Gesellschaft gegen Gottes Schöpfungsordnungen. »Gender«Wahnsinn. Die Familie wird abgeschafft. Welche Rolle hat Gott in diesem Chaos den Christen zugewiesen? Wie kann sich jeder Einzelne dem Rückfall ins Tohuwabohu widersetzen? Diese Fragen machen Luthers »Zwei-Reiche-Lehre« hochaktuell. Sie zeigt, dass das Evangelium uns dazu befreit hat, uns vernünftig in der Welt zu engagieren. Hier sind wir die »Masken« (Luther), durch die der verborgene Gott handelt. Er will, dass wir dem Nächsten dienen – in allem, was wir tun. Diese Lehre wird oft verleumdet. Dr. Uwe Siemon-Netto wird sie erläutern und zeigen, dass sie jedem als Wegweiser dienen kann. Uwe Siemon-Netto hat in seiner Doktorarbeit in den USA nachgewiesen, dass sich der Widerstand gegen Hitler im Zweiten Weltkrieg und dann gegen das SED-Regime in der DDR an der Zwei-Reiche-Lehre orientiert hat. Er hat sie zum 500-jährigen Reformationsjubiläum gründlich überarbeitet. Im August wird sie unter dem Titel »Luther – Lehrmeister des Widerstandes« im fontis-Verlag Basel neu erscheinen. Uwe Siemon-Netto ist seit genau 60 Jahren Journalist. Er berichtete unter anderem fünf Jahre lang als Kriegsreporter aus Vietnam. Darüber veröffentlichte er das Buch »Duc der

Deutsche«. Seine amüsanten Kindheitsmemoiren kamen voriges Jahr unter dem Titel »Griewatsch! Der Lümmel aus dem Leipziger Luftschutzkeller« heraus. 10.––11. September 2016 in Kassel Gemeindezentrum der Evangelisch-Lutherischen St. Michaelisgemeinde Programm Samstag, 10. September 11.00 Uhr Imbiss und Kaffee 11.30 Uhr Luthers Lehre von den beiden Regierungsweisen Gottes 13.00 Uhr Mittagessen 14.00 Uhr Kaffeepause 14.30 Uhr Wozu Christen in der Welt berufen sind Aussprache 15.45 Uhr Reisesegen 16.00 Uhr Ende der Veranstaltung Sonntag, 11. September 11.00 Uhr Bekenntnisgottesdienst 2.Timotheus 2,7–10 »Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht … Christus Jesus hat dem Tode die Macht genommen.«

Tagungsanschrift: Gemeindezentrum der Evangelisch-Lutherischen St. Michaelisgemeinde Tischbeinstraße 69–73, 34121 Kassel, www.selk-kassel.de Anreise: Der Fernbahnhof Kassel-Wilhelmshöhe ist Intercity-Bahnhof. Der Tagungsort ist mit der Straßenbahn zu erreichen: Straßenbahn 1 (Holländische Straße) oder 3 (Ihringhauser Straße) bis zur Haltestelle Murhardstraße/Universität. Von dort zu Fuß 200 m Richtung Stadt und rechts in die Pfannkuchenstraße. Diese stößt nach ca. 300 m auf die Tischbeinstraße. Direkt gegenüber führt ein Stichweg zum Gemeindezentrum. 28

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Buchrezensionen Reformation ­gegen Deformation in der Kirche Ein Aufsatz, verfasst im Hinblick auf das geplante Reformationsjubiläum 2017 und bereits im September des Jahres 2012 veröffentlicht als Sonderdruck des Informationsbriefes der Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium«, hat dem umfangreichen Aufsatzband den Namen gegeben (abgedruckt darin S. 147–179). Außerdem ist der von Reiner Andreas Neuschäfer und Harald Seubert besorgte Aufsatzband (nach drei Bänden mit demselben Titel aus dem Jahr 1999, ISBN 978-3-865-402-127), eine Festgabe zum 85. Geburtstag des Jubilars, der seinen Ehrentag bei guter Gesundheit begehen konnte, übrigens bereits die vierte ihm gewidmete Festschrift (1991 zum 60., 1996 zum 65., 2001 zum 70.), wobei er, der auf Ehre bei den Menschen keinen Wert legt, solche Ehrungen durchaus verdient. Denn, darauf ist vor allem zu verweisen, er schwimmt nicht im hierzulande herrschenden protestantischen Mainstream von Theologie und Kirche, der sich, worauf der Autor immer wieder hinweist, längst von der Heiligen Schrift und den altkirchlichen und reformatorischen Bekenntnissen und damit vom magnus consensus verabschiedet hat; Slenczka steht quer dazu. Der Untertitel des Buches ist nicht etwa deshalb, weil kein besserer gefunden wurde, nach diesem Aufsatz des Jubilars benannt, gewissermaßen aus Verlegenheit, sondern diesem kommt eine gewisse Schlüsselrolle zu, schon insofern er die ganze »Stoßrichtung« des Aufsatzbandes gebündelt zum Ausdruck bringt. In all den in diesem Band versammelten Aufsätzen geht es dem Autor letztlich darum, Theologie und Kirche zu ihren Wurzeln, zu ihren ureigensten Aufgaben, zurückzurufen. Dabei ist Slenczka freilich gezwungen, auf Fehlentwicklungen und Missstände hinzuweisen, die er aber nie nur oberflächlich benennt, sondern stets deren tiefere Ursachen diagnostiziert. Letztursache dafür ist freilich, dass die Heilige Schrift nicht mehr Wort Gottes sein darf, durch das der Dreieinige selbst redet und anwesend ist, sondern lediglich Gottes Wort im Menschenwort, wobei es bei dieser – entgegen der reformatorischen Entscheidung – längst zur Herrschaft gelangten Ansicht dann zur Aufgabe des Auslegers gehört, zu entscheiden, was nun noch gelten soll und was nicht mehr gelten darf. Damit findet, so INFORMATIONSBRIEF 299

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Slenczka, ein Subjektwechsel statt; der Mensch setzt sich an die Stelle Gottes (vgl. 1.Mose 3). Das Ergebnis ist eine wirkungslose Botschaft, da dem Wort Gottes an sich nichts mehr zugetraut wird, und nicht mehr darauf vertraut wird, dass es selbst wirkmächtig ist und tut, wozu es gesandt ist, damit aber nicht allein Zustimmung, sondern genauso Ablehnung erntet. Was als theologische Probleme, die vorgeblich durch hermeneutische (Kunst)Griffe bewältigt werden müssen, ausgegeben wird, sind Slenczka zufolge viel eher Theologen-Probleme. Der vom Autor benannte Subjektwechsel bedingt, dass andere Autoritäten an Gottes Stelle treten; es ist alles andere als zufällig, dass seit Jahren in der Regel gesellschaftlich-politische Themen den Protestantismus der westlichen Welt beschäftigen; das ist zwangsläufig (die Denkschriften der EKD bestätigen diesen Trend). Geradezu unendlich tief erscheint die Einsicht Slenczkas, dass im Protestantismus eine Entpersonalisierung zu beobachten ist (statt der Person ein Prinzip), was eine neue Gnosis bedeutet. Wenn Slenczka kritisiert – und er tut dies mitunter recht deutlich –, so ist dies nie vernichtende, hämische Kritik mit der unverkennbaren Note der Besserwisserei, sondern eine solche, die aus Sorge und im Leiden an den Kirchen des Protestantismus geschieht. In drei große Teile ist der umfangreiche Aufsatzband untergliedert, wobei diese zusammengehören und sich organisch bedingen. In einem 29


ersten Teil (I) behandelt Slenczka die »Heilsame Lehre« (S. 23ff.), in welcher er positiv entfaltet, was in der Kirche Jesu Christi nach Schrift und Bekenntnis in Geltung steht; dem folgt in einem zweiten Teil (II) unter dem Oberthema »Wahre und falsche Kirche« (S. 297ff.) der Beleg, wie diese Unterscheidung immer nötig und ständige Aufgabe der Kirche ist, will sie nicht völlig depraviert zur bloßen Namenskirche werden, bevor der Autor dann in einem abschließenden Teil (III) den Blick auf die Lettische Kirche lenkt (S. 479ff.), in welcher er als Emeritus über Jahre hinweg in der Theologenausbildung tätig war und anhand deren Entwicklung er in zwei Aufsätzen aufzeigt, wie sich diese lutherische Kirche durch Gehorsam gegenüber dem Herrn der Kirche erneuert. Die in diesem Aufsatzband gesammelten Aufsätze sind zu mehr als der Hälfte bereits in verschiedenen Publikationsorganen erschienen, zum Teil im Informationsbrief der Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium«, aber auch in der renommierten »Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht« (verlegt bei Mohr/Siebeck in Tübingen, hg. v. Axel von Campenhausen) oder an anderer Stelle. Ein nicht geringer Teil blieb indes bis jetzt aber unveröffentlicht und ist nun – hoffentlich vielen – Interessierten zugänglich gemacht.

Dem Aufsatzteil schließt sich ein »Schriftenverzeichnis« (S. 519ff.) an. Dieses umfasst an Aufsätzen, Beiträgen in Sammelwerken und Rezensionen fast 150 Titel – und das für die Zeit erst seit 2000 (vorige Veröffentlichungen sind in »Altes und Neues«, Band 2, S. 309–330, verzeichnet), was ja nicht gerade wenig ist. Ein Namens- (S. 535ff.) und ein Bibelstellenregister (S. 539ff.) schließen den Band ab. Dieser Aufsatzband kann nur dringend zur Lektüre empfohlen werden. Am Ende soll ein Wunsch stehen: Möge der Herr seinen im Dienste gereiften und gestählten Diener noch einige Zeit rüstig erhalten, so dass er der Gemeinde Jesu auch zukünftig dienen kann, ist doch sein diakritischer Dienst so hilfreich und nötig. Walter Rominger Reinhard Slenczka Neues und Altes. Ausgewählte Aufsätze und Gutachten Band 4: Reformation ­gegen Deformation in der Kirche hg. v. Reiner Andreas Neuschäfer und Harald Seubert Freimund-Verlag, Neuendettelsau 2016 550 Seiten, ISBN 978-3-3946-083-023

Liebe Leserinnen und Leser, Seit 1. Februar gelten neue Regeln für den europaweiten Zahlungsverkehr. Banken und ­Sparkassen dürfen keine Zahlungsaufträge mehr mit der Angabe der Kontonummer und ­Bankleitzahl entgegennehmen. Es muss bei Überweisungen und Lastschriften die IBAN ­angegeben werden. Wir bitten Sie daher nur noch Einzahlungsscheine ab Heft April 2016 zu verwenden!

Mitarbeiter an diesem Heft: Pfarrer Eduard Haller Sömmerlistraße 45 Altersheim CH-9000 St. Gallen (Schweiz) Telefon 0041 (0)71 272 1816

Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (07431) 74485 E-Mail: w.rominger@t-online.de

Redakteur Michael Klein ERF Medien e. V. Berliner Ring 62 35576 Wetzlar Telefon (06441) 957-330 Fax (06441) 957-51330 E-Mail: michael.klein@erf.de

Professor Dr. Reinhard Slenczka, D. D. Spardorfer Straße 47 91054 Erlangen Telefon und Fax (09131) 24139 E-Mail: Grslenczka@aol.com

Pfarrer Eberhard Troeger Elsterweg 1 51674 Wiehl Telefon (02262) 751793 Fax (02262) 751795 E-Mail: troeger-wiehl@t-online.de Bischof i. R, Professor em. Dr. Ulrich Wilckens Wakenitzstraße 38 23564 Lübeck Telefon und Fax (0451) 7907574

Für den Inhalt der Artikel sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Die Meinung des Verfassers deckt sich nicht in allen Fällen mit der des Schriftleiters.

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Weitere Exemplare des Informationsbriefes für Juli 2013, Heft 279 und für Juli 2014, Heft 286 sowie die Traktate »Falsche Propheten sind unter uns«, »Ist Gott interreligiös?« und »Gemeinsame Feier des Reformationsjubiläums 2017?« können –– auch in größerer Stückzahl –– bei der Geschäftsstelle bestellt werden. Geschäftsführender Ausschuss Vorsitzender Pfarrer Johannes Frey Ofener Weg 3 28816 Stuhr Telefon (04 21) 5 22 89 10 E-Mail: johannes.frey@kabelmail.de Schriftführer Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (0 74 31) 7 44 85 E-Mail: w.rominger@t-online.de Kassenwart Hans Lauffer Osterstraße 25 70794 Filderstadt Telefon (0 71 58) 48 31 Fax (0 71 58) 94 78 73 E-Mail: hans.lauffer@t-online.de

Weitere Mitglieder des Geschäftsführenden Ausschusses Gabriele Reimer Beurhausstraße 31 44137 Dortmund Telefon (02 31) 5 84 46 96 Fax (02 31) 5 89 36 37 E-Mail: Gabriele.Reimer@gmx.de Martin Schunn Hölderlinstraße 9 75334 Straubenhardt Telefon (0 70 82) 2 02 75 E-Mail: cmschunn@gmail.com

Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« e. V. Geschäftsstelle: Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (07431) 74485 E-Mail: w.rominger@t-online.de www.keinanderesevangelium.de

Helmut Schlee Gartenstraße 15 a 47506 Neukirchen-Vluyn Telefon (0 28 45) 9 49 09 50 E-Mail: HelmutSchlee@gmx.de

Mit Fragen bezüglich der Spendenbescheinigungen wenden Sie sich bitte an unseren ­Kassenwart Hans Lauffer. Sie erreichen ihn telefonisch unter (0 71 58) 48 31, per Fax 94 78 73 oder per E-Mail hans.lauffer@t-online.de Bankkonten Volksbank Filder e. G., (BLZ 611 616 96) Konto-Nr. 65 500 016 IBAN DE34 6116 1696 0065 5000 16 BIC (SWIFT)-Code: GENO DE S1 NHB Postgirokonto Schweiz: Postgiroamt Bern Nr. 30-195 56-2 IBAN CH21 0900 0000 3001 9556 2 BIC POFICHBEXXX

Nachsendeanträge bei der Post kommen bei der Bekenntnisbewegung nicht als Adressänderung an. Deshalb auch bei Umzügen die Adressänderung durch untenstehenden Abschnitt an die Geschäftsstelle weitergeben. Für Neubestellung, Adressänderung und Abbestellung ausschneiden und einsenden an: Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« Geschäftsstelle: Mehlbaumstraße 148, 72458 Albstadt

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Das Vaterunser ist in seiner beispiellosen Kürze die dichteste Zusammenfassung der gesamten Verkündigung Jesu und der Lebenspraxis seiner Jünger, die aus ihrer Annahme der Gottesherrschaft resultieren. Bischof i. R. Ulrich Wilckens


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