Informationsbrief Februar 2017

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Aus dem Inhalt

Neues aus Kirche und Welt Aus Lehre und Verkündigung Gedanken zur Jahreslosung Marsch für das Leben – Predigt zu Psalm 139 Das eine Evangelium – und das »andere« 50 Jahre Bekenntnisbewegung – Eine Besinnung Segen und Salbung Betrachtungen auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2017 Johannes Calvin – Leben und Werk Aus Kirche und Gesellschaft Aus den Bekennenden Gemeinschaften Aus der Bekenntnisbewegung Buchrezensionen

ISSN 1618-8306

Februar 2017 Nr. 302

Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium«


kurz+bündig Kirche in Deutschland Baden: Widerspruch aus Gemeinden

In zahlreichen Gesprächen mit dem badischen Landesbischof äußerten Gemeindeglieder bei der Bezirksvisitation in Wertheim (Nordbaden) ihre Betroffenheit und ihr Befremden über den Beschluss, gleichgeschlechtliche Partnerschaften zu trauen. Nach einem Gottesdienst mit Bischofspredigt in Wenkheim teilte Pfarrer Oliver Habiger mit, dass er und seine Ältesten es einstimmig ablehnen, solche Trauungen durchzuführen und in ihrer Kirche zuzulassen. Die Zeitungen berichteten über den beherzten Widerstand. Auch andere badische Gemeinden teilten der Landekirche mit, dass sie sich dem Beschluss widersetzen.

rischen Kirche Deutschlands (VEKLKD) in Hannover. Sein Vorgänger, Sebastian Geisler, hat eine Stelle in der hannoverschen Landeskirche angetreten.

Freikirchen FeG-Präses Wolfgang Dünnebeil †

Im Alter von 78 Jahren ist der frühere Bundessekretär (General­ sekretär) des Bundes Freier evan­gelischer Gemeinden (FeG), Wolfgang Dünnebeil (Marburg), verstorben. Er hatte dieses Amt in der Zentrale der Freikirche in Witten von 1991 bis Frühjahr 2004 inne. Er war zudem zuständig für die Begleitung der Pastoren, die Seelsorge und die elektronischen Medien.

Kirche in Deutschland

Bibel

Schaumburg-Lippe hat einen neuen Präsidenten im Landeskirchenamt

In Syrien sind Bibeln gefragt

Nach langen Streitigkeiten mit dem Vorgänger hat die kleine Landeskirche von Schaumburg-Lippe (rund 55 000 Gemeindeglieder in 22 Gemeinden) einen neuen Präsidenten des Landeskirchenamtes: Christian Frehrking. Der 43-jährige Jurist war zuvor Oberkirchenrat bei der Vereinigten Evangelisch-Luthe2

In Syrien ist die Nachfrage nach Bibeln enorm gestiegen. In ihrer Hoffnungslosigkeit wenden sich viele Gottes Wort zu, das ihnen Trost und neuen Lebensmut spendet. Auch Kinderbibeln sind gefragt. Die Verbreitung erfolgt über Buchläden, Klöster, Kirchen und freiwillige Helfer. Der Bibel-Transport ist gefährlich, da die Fahrzeuge nicht selten zwischen die Fronten geraten.

Ethik Stuttgart: »Homo-Ehe« feiert Rekord

Zur 30. »ChristopherStreet-Day«-Parade im Sommer 2016 hat die Stadt Stuttgart aktuelle Zahlen zur »eingetragenen Lebenspartnerschaft« veröffentlicht. Fazit: Mit 1618 Personen, die in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben, wurde Mitte 2016 ein Höchststand erreicht. 2003 zählte man »nur« 289 Personen. Ein Ruhmesblatt ist diese gewaltige Steigerung für die baden-württembergische Landeshauptstadt nicht gerade. Statistik: 5800 gleichgeschlechtliche Paare in Baden-Württemberg

Im vergangen Spätsommer lebten in Baden-Württemberg etwas mehr als 5800 Paare in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft. 748 Paare gingen 2015 eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft ein. Adoption für »Homo-Paare«

Forscher der Universität Kalifornien stellten Nachteile für Kinder fest, die bei »Homo-Paaren« aufwuchsen. Nun wenden sich die Wissenschaftler gegen die Absicht von Lesben, die per Samenspende »Eigen«-Kinder gebären wollen. Solch ein Kind, dessen Selbstfindung erschwert ist, wird eher zur Homosexualität hin erzogen.

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Konsequent gehandelt: Brandenburger Kantor kündigt wegen Beschluss zur Homo-Trauung

Wegen des Beschlusses der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, künftig auch gleichgeschlechtliche Paare zu trauen, hat der Kreiskantor des evangelischen Kirchenkreises Oberes Havelland, Martin Schubach (54, Gransee), seine Stelle auf 31. August 2016 gekündigt. Einen anderen Weg könne er mit seinem Glauben nicht vereinbaren, auch wenn ihm der Entschluss schwer falle, sagte der Familienvater. »Das passt für mich nicht zusammen mit dem, was die Bibel zu Homosexualität sagt.« Den letzten Anstoß zur Kündigung habe der Beschluss des Gemeindekirchenrates in Gransee gegeben, dass der dortige Pfarrer zusammen mit einem Lebenspartner ins Pfarrhaus ziehen dürfte. Ende August 2016 hatte er noch keine neue Stelle. Niederlande: Sterbehilfe auch ohne Krankheit

In den Niederlanden sollen künftig auch ältere Menschen, die nicht an einer unheilbaren Krankheit leiden, ein Recht auf Sterbehilfe haben. Justizminister Ard van der Steur und Gesundheitsministerin Edith Schippers hätten einen entsprechenden Antrag im Parlament eingereicht. Es gebe Senioren, die nicht Tag für Tag auf den Tod warten wollen, hieß es zur Begründung. Anderer Meinung ist die Christlich-Demo-

kratische Partei. Das Parlament muss über den Vorschlag noch abstimmen.

Evangelikale

kurz+bündig

Personen +++ Kirchen +++ Glauben +++ »Modernes Leben«

proChrist-Vorsitzender Roland Werner wird Honorarprofessor

Der evangelikale Theologe und Sprachwissenschaftler Roland Werner (59, Marburg), der von 2011 bis 2105 Generalsekretär des CVJM-Gesamtverbandes war und zurzeit Vorsitzender von proChrist, wird Honorarprofessor an der Evangelischen Hochschule Tabor in Marburg. Er behandelt das Fach »Christlicher Glaube in Begegnung mit dem Islam«.

Reformation »Reformationsstädte«

Mehr als 60 Städte in 13 Ländern wurden als »Reformationsstädte« in Europa herausgestellt. In BadenWürttemberg sind acht Städte dabei: Bretten, Crailsheim, Heidelberg, Konstanz, Schwäbisch Hall, Tübingen, Ulm und Wertheim. Ein »Europäischer Stationenweg« verbindet 18 Länder in Europa. Andreas Steidel, Redakteur beim Evangelischen Gemeindeblatt für Württemberg, hat, rechtzeitig zur Frankfurter Buchmesse im Herbst 2016 und zum Reformationsgedenkjahr einen Bildband herausgebracht, in welchem er die Orte der Reformation in Baden und Württemberg zeigt. Erschienen ist der 160 Seiten starke Bildband im Belser Verlag zum Preis von 29,99 Euro.


kurz+bündig STH verleiht Ehrendoktorwürde für Altbischof Gerhard Maier

Nach dem langjährigen österreichischen Bischof (1968–1983) Oskar Sakrausky (†) und dem jahrzehntelangen Programmdirektor des Evangeliumsrundfunks Horst Marquardt (geb. 1929, Hüttenberg bei Wetzlar), erhält nun auch der frühere Bischof der württembergischen Landeskirche (2001–2005), Gerhard Maier (79, Tübingen), die Ehrendoktorwürde der Staatsunabhängigen Theologischen

Hochschule Basel (STH), diese Auszeichnung. Maier war lange Jahre Gastdozent an der STH, hört damit aber nun auf. Bevor Maier Landesbischof wurde, war er sechs Jahre Regionalbischof für Ostwürttemberg und hatte seinen Sitz in Ulm, seiner Geburtsstadt; er war Nachfolger von Rolf Scheffbuch (†). Vor seiner Tätigkeit als Prälat war Maier viele Jahre Rektor am evangelikalen Albrecht-BengelStudienhaus in Tübingen.

Theologenausbildung Bengel-Haus: Auf Sons folgt Hägele

Neuer Rektor des AlbrechtBengel-Hauses in Tübingen ist der württembergische Pfarrer 4

Clemens Hägele (44, Mössingen bei Tübingen), der bereits seit fünf Jahren Studienleiter am Bengel-Haus war. Er ist Nachfolger von Pfarrer Rolf Sons, der nach sieben Jahren als Rektor nun Gemeindepfarrer in Flein bei Heilbronn wurde. Nach seinem Theologiestudium arbeitete Hägele drei Jahre als wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Neues Testament in Dortmund bei Professor Rainer Riesner (jetzt Gomaringen). Theologisch geprägt wurde Hägele nach seinen eigenen Angaben vom Tübinger Neutestamentler Peter Stuhlmacher. Nach seinem Vikariat von 2003 bis 2006 in UnnaMassen (Westfalen) arbeitete er bis 2011 als Gemeindepfarrer in Sindelfingen-Darmsheim.

Diakonie

Beschäftigten, die einer in der ACK zusammengeschlossenen Kirchen angehören, nehme kontinuierlich ab.

Kirchentag KirchentagsGeneralsekretärin wechselt zur Heinrich-Böll-Stiftung

Ellen Ueberschär (48, Fulda), promovierte Theologin und langjährige KirchentagsGeneralsekretärin wechselt an die Spitze der HeinrichBöll-Stiftung. Ueberschär soll im Sommer 2017 die politische Stiftung der Grünen übernehmen und die Nachfolge von Ralf Fücks (65) antreten. Ueberschär war die Wunschkandidatin des Aufsichtsrates.

Islam

Ohne Kirchenmitgliedschaft bei der Diakonie arbeiten

Die Diakonie der evangelischen Kirche soll nach Vorstellungen von Mitarbeitervertretern künftig auch Beschäftigte ohne Kirchenmitgliedschaft in der Arbeitnehmervertretung akzeptieren. Die Synode der EKD müsse die so genannte ACK-Klausel, die eine Kirchenmitgliedschaft verlangt, ersatzlos streichen, heißt es in einer Resolution der Mitarbeitervertretung des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Zur Begründung wird angeführt: Die Zahl der Diakonie-

Eschborn von Allah erobert?

Ein Transparent »Nur Allah ist der einzige Gott« ließ der Bürgermeister der hessischen Stadt Eschborn (bei Frankfurt) Mathias Geiger (FDP; Rathausplatz 36, 65760 Eschborn) vor dem Rathaus aufhängen. Auf briefliche Nachfrage am 12. September 2016, ob es sich so verhielte, kam bis Mitte November aus dem Rathaus keine Antwort.

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Aus Lehre und Verkündigung mm Wo das Wort bleibt, da bleibet gewisslich auch die Kirche; denn wo die Lehre rein ist, da kann man die Taufe, Sakrament, Absolution, Zehn Gebote, Vater unser, gute Werke, alle Stände und alles rein erhalten, und wo etwas mangelt oder nicht rechtschaffen ist, soll es durchs Wort gestrafet, gebessert und zu recht gebraucht werden.

mm Je mehr die Reformation als historische Erscheinung gesehen wird und nicht als lebendige Kraft, umso größere Sorge muss man für die Christenheit von heute empfingen. Kurt Aland

Martin Luther

mm Wo das Wort aus den Kirchen kommt und etwa Schwätzer auf den Predigtstuhl gelassen werden, die ihre eigene Kunst vorgeben, so ist es mit der Kirche geschehen, und wird der Haufe gleich wie ihre Prediger sein. Martin Luther

mm Der Glaube, dass der gekreuzigte Jesus auferstanden sei, kann nur durch Kunde von außen entstanden sein. m Die bezeugten Erscheinungen des Auferstandenen müssen als Ereignisse solcher Kunde historisch ernstgenommen werden, so wie diese durchweg von den Zeugen selbst verstanden worden sind. Bischof i. R. Ulrich Wilckens

mm Wenn der Mensch in seinem gewöhnlichen Friedenskleid steht, so kann er nicht bestehen; er muss die göttliche Waffenrüstung haben. Seine Stärke ist keine eigene, sein Sieg ist kein eigener; er ist alles von Gott dem Herrn. Wilhelm Löhe

mm Der Tag wird kommen, an dem wieder Menschen berufen werden, das Wort Gottes auszusprechen, dass sich die Welt verändert und erneuert. Dietrich Bonhoeffer

mm Nichts kann grausamer sein als jene Milde, die den andern seiner Sünde überlässt. Nichts kann barmherziger sein als die harte Zurechtweisung, die den Bruder vom Wege der Sünde zurückruft. Dietrich Bonhoeffer

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mm Irrlehre hat immer mit Kirchenspaltung zu tun. Bischof i. R. Ulrich Wilckens

mm Wenn eine Kirche immer weiter von ihrem Kern abrückt, dann braucht es eben auch heute Oppositionelle in der Kirche, wie z. B. Wyclif zu seiner Zeit einer war; dann müssen gläubige Menschen im Land Netzwerke bilden, und sich darum bemühen, Gelände für das Evangelium zurückzugewinnen. Gustav Adolf Benrath

mm Glaube aber besteht nicht aus Problemen, aus Fragen; Glaube hat klare Grundlagen und Inhalte, die gewusst und daher auch gelernt werden müssen. Davon lebt der Glaube, darin wächst der Glaube und auf diese Weise führt und trägt er durch das Leben in dieser Zeit bis in die uns in Jesus Christus verheißene Ewigkeit in der Gemeinschaft mit Gott von Angesicht zu Angesicht. Reinhard Slenczka

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Gedanken zur Jahreslosung Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben. Hesekiel 36,26 Gert Kelter

Durch Anhänger des Islam (das heißt übrigens nicht »Frieden«, sondern »Unterwerfung«) wurden Demonstrationen einschließlich Bibelverbrennungen bis hin zu Gewalt und Terror immer wieder damit gerechtfertigt, man müsse die Ehre Gottes wieder herstellen und gegen Entheiligungen in Form von Karikaturen, Literatur usw. protestieren. Ein trauriger Gott, dessen Heiligkeit und Ehre davon abhängig ist! Die Jahreslosung für 2017 muss im Zusammenhang des Buches Hesekiel verstanden werden. Ja, auch hier geht es um die Heiligkeit und Ehre Gottes. Der Prophet klagt Israel an, durch Gottlosigkeit, Ungerechtigkeit und Unbarmherzigkeit die Heiligkeit Gottes verletzt zu haben. Er kündigt Jerusalem das Gericht Gottes an. Aber er hat auch eine Verheißung: Gott selbst wird nämlich dafür sorgen, dass seine Heiligkeit wieder hergestellt wird. Durch seinen Geist will und wird er Israel erneuern und aus seinem Volk wieder »Leute machen«, die nach seinen Geboten leben und sein Recht befolgen (Hese­kiel 36,27). Aber wie? Nicht durch einen Aufruf zum »Heiligen Krieg« der Gerechten gegen die Ungerechten, der »Gläubigen« gegen die »Ungläubigen«. Nicht dadurch, dass Gott uns jämmerliche Menschen mit ihrer kleinen Kraft vor seinen Karren spannen müss-

te, damit wir Gottes Heiligkeit retten sollen. Sondern indem er an den Menschen seines Wohlgefallens eine göttliche Herztransplantation vornimmt, bei der ein neues Herz und ein neuer Geist eingepflanzt werden. Hat Gott Wort gehalten, seit er diese Neuschöpfung des Menschen durch sein Wort, vermittelt durch den Propheten Hesekiel, ankündigen ließ? In der Tat! Gottes Wort ist Fleisch geworden. In Jesus Christus, dem »neuen Adam«. Und in unserer Taufe wurden uns ein neues Herz und ein neuer Geist eingepflanzt. Ein Herz, das Barmherzigkeit üben kann. Der Geist der Liebe. Ein Organ, der Glaube nämlich, der die Gerechtigkeit, die Christus uns am Kreuz erworben hat, ergreifen und davon leben und reichlich abgeben kann. »Ich tue es nicht um euretwillen«, spricht der heilige Gott, »sondern um meines heiligen Namens willen, den ihr entheiligt habt!« (Hesekiel 36,23) Der eine wahre Gott, der Vater Jesu Christi – er sorgt selbst dafür, dass sein Name nicht durch Hass und unbarmherzige Gewalt entehrt wird: mit dem Mittel der Liebe, die er uns schenkt und zu der er uns in der Kraft seines Geistes befähigt. (Quelle: Feste-Burg Kalender für 2017, Freimund Verlag, Neuendettelsau 2016)

Gert Kelter Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30

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Marsch für das Leben Predigt zum Ökumenischen Gottesdienst in Berlin am 17. September 2016 Werner Neuer

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nade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus! Liebe Schwestern und Brüder! Es ist mir eine große Freude, dass wir diesen Ökumenischen Gottesdienst gemeinsam als Christen unterschiedlicher Kirchen und Konfessionen feiern können. Damit legen wir ein Zeugnis dafür ab, dass das Ja zur unantastbaren, von Gott verliehenen Würde des Menschen und zum unendlichen Wert des menschlichen Lebens zu den gemeinsamen Grundüberzeugungen der Christenheit gehört, die von den konfessionellen Unterschieden nicht betroffen sind. Die Ethik aller christlichen Kirchen beruht auf dem geoffenbarten Wort Gottes, das im 5. Gebot jede Tötung unschuldiger Menschen kategorisch verbietet. Nicht nur uns Christen, allen Menschen ist gesagt: Du sollst nicht töten! Wir wollen in diesem Gottesdienst Gott als den Schöpfer allen Lebens preisen, dem wir unser Dasein, unser einzigartiges Leben und die unermessliche Herrlichkeit der Schöpfung verdanken. Dass wir dies gemeinsam als Christen aus verschiedenen Kirchen und Konfessionen tun, ist besonders erfreulich, obwohl dies eigentlich selbstverständlich sein sollte. Ausgangspunkt dieser Predigt ist ein Text, der vielen von uns bekannt sein dürfte: Psalm 139, die Verse 1 bis 6,13f.23f. Ich lese die Verse nach der Übersetzung Martin Luthers: Ein Psalm Davids, zum Vorsingen Herr, du erforschest mich und kennest mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es, du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege. Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, Herr, nicht schon wüsstest. Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir. Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen. Du hast Werner Neuer Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30 INFORMATIONSBRIEF 302

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meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe. Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele. Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine. Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege! Gebet: »Herr, lass uns jetzt stille werden vor Dir, dass wir hören, was Du uns sagen willst.« Amen. Die Verse dieses Psalms beschreiben mit eindrucksvollen Worten Gott als den Geber, Erhalter und Beschützer allen menschlichen Lebens. Ich möchte drei Aussagen des Textes in den Vordergrund stellen: 1. Gott kennt und versteht mich bis ins Innerste. 2. Gott kennt und versteht mich vom Anfang meines Lebens an. 3. Alles, was Gott tut, ist gut: Unser Leben hat ein ewiges Ziel.

Gott kennt und versteht mich bis ins Innerste Unsere menschliche Wahrnehmung ist zunächst vor allem eine Außenwahrnehmung. Durch unsere Sinne nehmen wir unsere Umwelt wahr. Wir sehen, hören, schmecken, riechen und spüren unsere Umgebung und ziehen da­ raus unsere Folgerungen. Die meisten Menschen nehmen wir nur von außen wahr. Nur einen Teil der Menschen, vor allem unsere Familie, Verwandte und Freunde, nehmen wir so gut wahr, dass wir etwas Verlässliches über ihr Inneres sagen können. Aber oft ist das, was wir über ihr Inneres wissen, viel zu wenig, um sie wirklich zu verstehen. Oft haben wir Mühe, gerade jene Menschen zu verstehen, die wir am besten zu kennen meinen. Psalm 139 macht deutlich: Der lebendige Gott kennt solche Schwierigkeiten nicht. Er kennt uns Menschen alle bis ins Innerste: Herr, du erforschest mich und kennest mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt 7


du es, du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege. Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, Herr, nicht schon wüsstest. Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir. Gott kennt nicht nur unser Tun und unser äußeres Ergehen, sondern er kennt all unser Denken, Wollen und Fühlen. Dass der ewige, unendlich erhabene Schöpfer Himmels und der Erde uns kleine Menschen vollständig kennt und versteht, dass er überhaupt an uns persönlich interessiert ist, ist für unser begrenztes menschliches Denken unbegreiflich. Der Psalmist zieht deshalb das Fazit: Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen. Viele Menschen – sofern sie noch irgendwie an Gott glauben – empfinden Gottes Allwissenheit als etwas Bedrohliches. Sie erschrecken beim Gedanken: Alle Bosheit, die ich getan, gesagt oder auch nur gedacht habe, ist Gott bekannt! Ist diese Tatsache nicht beschämend für uns Menschen, ist doch auch unser Leben als Christen befleckt von Egoismus, Lieblosigkeit und Bosheit? Für den Psalmisten ist Gottes Allwissenheit eine tröstliche und befreiende Einsicht, weil er sich in Gott – trotz seiner Sünden – geborgen weiß: Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine bergende und schützende Hand über mir. Der Psalm 139 lädt uns alle dazu ein, unser Leben gerade auch mit seinen dunklen Seiten vertrauensvoll in Gottes gute Hände zu legen, um Gottes Geborgenheit, Schutz und Fürsorge, und seine Vergebung zu empfangen! Denn wer sein Leben Gott anvertraut, darf nicht nur mit seinem Schutz, sondern auch mit seiner Vergebung rechnen! Der Psalmist hat volles Vertrauen zu Gott, weil er sein Leben mit all seinen Fehlern und Schwächen von Anbeginn, vom ersten Moment seines Daseins an in Gott geborgen weiß. Damit sind wir bei der zweiten Botschaft unseres Textes.

Gott kennt und versteht mich vom Anfang meines Lebens an Der Psalmist rühmt Gott als seinen Schöpfer vom ersten Augenblick seiner Entstehung: Du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe. Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin. Der Psalmist sieht in seinem Leben offenkundig nicht das Produkt eines blinden Naturprozesses, sondern – um es in heutiger Sprache zu sagen – das unerhört planvolle, außerordentlich 8

geniale, wahrhaft »wunderbare« Werk Gottes des Schöpfers. Kein heutiger Leser oder Hörer sollte hier einwenden: Die moderne Naturwissenschaft habe die Entstehung des Menschen »begreiflich« gemacht. Das Gegenteil ist der Fall. Die Erkenntnisse der modernen Zellbiologie haben eine solche Genialität feinstens aufeinander abgestimmter planvoller zellbiologischer Abläufe zutage gebracht, dass der namhafte atheistische Philosoph Anthony Flew seinem Atheismus öffentlich den Abschied gegeben und sich zur Plausibilität des Schöpferglaubens bekannt hat. Auch ein bestens mit der neuesten Forschung vertrauter Naturwissenschaftler kann mit gutem Gewissen in den staunenden Dank des Psalmisten einstimmen: Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin! Die christliche Kirche hat sich die Sicht von Psalm 139 zu eigen gemacht, indem sie im Apostolischen Glaubensbekenntnis Gott als den allmächtigen Schöpfer bekennt: »Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.« Wir Menschen sind nicht, wie viele heute meinen, das Produkt blinder Naturprozesse, sondern – um es mit Papst Benedikt XVI. zu sagen: »Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes. Jeder von uns ist gewollt. Jeder von uns ist geliebt. Jeder von uns ist gebraucht.« Diese freudige Gewissheit darf und soll uns Menschen – Christen wie Nichtchristen – bestimmen! Auffällig an Psalm 139 ist, dass der Psalmist nicht nur seine persönliche Gewissheit ausspricht. Wenn wir den ganzen Psalm lesen – auch die Verse, die ich nicht verlesen habe, dann ist deutlich, dass sein Blick in die universale Weite der Welt geht. Er sieht nicht nur in seinem eigenen kleinen Leben Gottes Weisheit, Fürsorge und Liebe am Werk, sondern in »allen Werken« Gottes, also im gesamten Kosmos: Wunderbar sind deine Werke. Diese Worte beschreiben in lapidarer Kürze die ganze Welt als großartige Schöpfung Gottes. Es ist die Not vieler heutiger Menschen, dass sie diese Weltsicht nicht mehr haben. Stattdessen erscheint ihnen die Welt oft als sinnlos oder gar feindselig. Dass jeder Mensch ein Geschenk von unendlichem Wert ist, dass die gesamte Schöpfung Geschenkcharakter hat, die unser Leben nicht nur ermöglicht, sondern unendlich bereichert – dies alles ist aus dem Blick geraten. Anstelle des Lobpreises Gottes als des Schöpfers allen Lebens ist eine geradezu nihilistische Verneinung des Lebens getreten, das Nein zur Menschenwürde und zur menschlichen Geschöpflichkeit, das in der Abtreibung und Euthanasie sichtbar werdende millionenfache Nein FEBRUAR 2017

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zum Leben – von den tagtäglichen Zerstörungen menschlichen Lebens in Kriegen und Bürgerkriegen ganz zu schweigen. In unserer Kundgebung und in unserem Schweigemarsch haben wir diese Situation öffentlich beklagt. Dies war angesichts des Schweigens der Gesellschaft bitter nötig und wird auch in Zukunft nötig sein! Jetzt in diesem Gottesdienst wollen wir die Klage über die Lebensfeindschaft der Menschen unserer Zeit ausmünden lassen in den Lobpreis des lebendigen Gottes, der das Leben und die Liebe in Person ist. Dieser Lobpreis darf nie verstummen. Am Anfang und am Ende unseres Engagements steht das Lob des dreieinigen Gottes, weil wir ihm alle alles verdanken. Damit sind wir beim letzten Punkt dieser Predigt.

Alles, was Gott tut, ist gut: Unser Leben hat ein ewiges Ziel Der Psalm 139 preist den gesamten Kosmos und damit alles, was Gott getan hat, tut und tun wird. Der Lobpreis des Psalmisten betrifft nicht nur Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch die Zukunft. Der Psalm schließt mit der umfassenden Bitte: Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege. Der Psalmist will bewahrt bleiben vor den bösen Abgründen und Wegen seines eigenen Herzens. Vor allem aber will er geleitet werden auf ewigem Wege. Er rechnet fest damit: Gott meint es auch in Zukunft gut mit mir und

diese Zukunft endet nicht im diesseitigen Leben, sondern in der ewigen Welt Gottes! Mit der Bitte leite mich auf ewigem Wege macht der Psalmist deutlich, dass er dieses ewige Ziel, das Gott ihm gesetzt hat, unbedingt erreichen will. Was in unserem Psalm nur angedeutet ist, wird im Neuen Testament durch das Kommen Jesu Christi, unseres Erlösers und Herrn, zur ausdrücklichen Verheißung. Durch den Glauben an Christus hat unser Leben ein ewiges Ziel! Als Christen dürfen wir einmal definitiv und für immer in der Gemeinschaft mit Gott leben in einer neuen Welt ohne Tränen, ohne Gewalt, ohne Mord und ohne Tod, in einem Leben in immerwährender Freude und Glückseligkeit. Zu diesem Glauben und dieser Hoffnung laden wir alle Menschen ein – auch unsere Gegner und Feinde! Als Christen hören wir nicht auf, zuversichtlich zu hoffen: Unser himmlischer Vater, der ewige Gott des Friedens und der Liebe, der Stifter und Bewahrer alles Lebendigen wird unser irdisches Dasein des Leides und des Todes einmal definitiv verwandeln und vollenden in ein Leben ewiger Freude! Und er wird auch diese Welt verwandeln in eine Welt des Friedens und der Gerechtigkeit. Und es wird ewiger Friede sein im Himmel und auf Erden! Und dieser »Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unserem Herrn.« Amen. W

Das eine Evangelium –– und das »andere« Fünfzig Jahre Bekenntnisbewegung –– Eine Besinnung1 Johannes Frey

Rückbesinnung auf unseren Auftrag

Johannes Frey Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30 INFORMATIONSBRIEF 302

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Fünfzig Jahre Bekenntnisbewegung – das ist für uns kein Anlass zum Feiern. Dieses »Jubiläum« kann nur einen Sinn haben, wenn wir uns mit ganzem Ernst vor Gott fragen: Sind wir noch – oder: schon – auf dem Weg, den er uns gewiesen hat? Erfüllen wir unseren 9


Auftrag noch – oder endlich? Besteht der Auftrag überhaupt noch? Oder ist er inzwischen erledigt? Erfüllt? Dazu möchte ich heute einige Hinweise aus der Heiligen Schrift zu bedenken geben. Ich möchte bei dem Namen ansetzen, den die Väter unserer Vereinigung vor fünfzig Jahren gewählt haben – und bei dem Schriftwort, in dem sie ihre Sendung begründet sahen.

Der Name: Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« (Galater 1,6) Der Text Galater 1,6–10 6 Mich wundert, dass ihr euch so bald abwenden lasst von dem, der euch berufen hat in die Gnade Christi, zu einem andern Evangelium, 7 obwohl es doch kein andres gibt; nur dass einige da sind, die euch verwirren und wollen das Evangelium Christi verkehren. 8 Aber auch wenn wir oder ein Engel vom Himmel euch ein Evangelium predigen würden, das anders ist, als wir es euch gepredigt haben, der sei verflucht. 9 Wie wir eben gesagt haben, so sage ich abermals: Wenn jemand euch ein Evangelium predigt, anders als ihr es empfangen habt, der sei verflucht. 10 Predige ich denn jetzt Menschen oder Gott zuliebe? Oder suche ich Menschen gefällig zu sein? Wenn ich noch Menschen gefällig wäre, so wäre ich Christi Knecht nicht. Dreierlei springt sofort ins Auge. Vor allem wohl (1.) der doppelte Fluch am Schluss (Vers 8f.). Das lenkt den Blick (2.) auf die Frage nach dem »anderen« Evangelium. Was meint der Apostel? Das können wir nur verstehen, wenn wir (3.) zuerst sehen, was das eine Evangelium ist, gegenüber dem das »andere« eben ein »anderes« ist. Dann erhebt sich aber unausweichlich die Frage: Ist die Situation im Jahr 1966 mit der Situation überhaupt vergleichbar, mit der Paulus sich im Galaterbrief auseinandersetzt? Denn nur dann wäre ja die Inanspruchnahme seiner Worte gerechtfertigt. Doch selbst wenn wir diese Frage bejahen könnten – damit wäre noch nicht entschieden, ob das, was damals galt, auch heute noch gilt. Es könnte sein, dass die Herausforderung von damals sich inzwischen erledigt hätte. Die Dinge könnten sich zum Besseren entwickelt haben. Der Einsatz der Bekenntnisbewegung könnte ja bewirkt haben, dass die Missstände, die damals zu ihrer Gründung führten, inzwischen überwunden sind. Aber lasst uns zuerst zum Ausgangspunkt zurückkehren: Der Fluch des Apostels Paulus über 10

den, der ein »anderes Evangelium« bringt. Wa­ rum dieses scharfe Wort?

Die Sorge des Paulus Was treibt den Apostel an? Warum diese Kompromisslosigkeit? Muss man ihm nicht Rechthaberei vorwerfen? Oder Herrschsucht? Auf diese Anfragen war der Apostel wohl gefasst. Denn er beantwortet sie schon im nächsten Satz, im zehnten Vers: »Wenn ich noch Menschen gefällig wäre, so wäre ich Christi Knecht nicht.« Nicht seine Position steht also für Paulus auf dem Spiel, sondern die Autorität seines Herrn. Ihn würde er verraten, wenn er hinnehmen würde, was in Galatien gelehrt wurde. Aber mit der Herrschaft des Christus steht das Heil der Christen auf dem Spiel. Paulus bescheinigt den Anhängern des »anderen Evangeliums« in Kapitel 5, Vers 4: »Ihr seid aus der Gnade gefallen.« Man muss sich das vorstellen wie bei einem Schiffbrüchigen, der eben mit knapper Not gerettet wurde und der nun aus dem Rettungsboot zurückstürzt in die tödliche Flut. Mit anderen Worten: Den Apostel treibt die Sorge, dass Menschen verloren gehen, die einmal zu Christus gehörten.

Der Grund der Sorge Die Sorge entsteht, weil der Apostel sieht, wie seine Gemeinden das Glaubensfundament verlassen, das er einst mit der Verkündigung des Evangeliums bei ihnen gelegt hat – und wie sie ihr Leben auf ein anderes Fundament bauen, das andere mit einem »anderen Evangelium« bei ihnen legen. Er weiß, dass das andere Fundament nicht trägt. Darum ist das »andere Evangelium« kein Evangelium. Denn »Evangelium« heißt »gute Botschaft«. Aber eine Botschaft, die in die Irre, ja ins Verderben führt, ist keine gute Botschaft, also kein Evangelium. Darum muss Paulus aktiv werden. Die Retterliebe treibt ihn, um seine Gemeinden zu kämpfen. Davon gibt der Galaterbrief Zeugnis. Aber nun, um zu verstehen, was es mit dem »anderen Evangelium« auf sich hat: Was ist das eine Evangelium?

Das eine Evangelium Eine kleine Auswahl aus verschiedenen Büchern des Neuen Testamentes zeigt uns, was dieses eine Evangelium sagt, und zeigt zugleich, dass es sich dabei nicht um ein Sonderfündlein FEBRUAR 2017

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des Paulus handelt, sondern um die gemeinsame Botschaft aller Apostel, somit um die christliche Botschaft schlechthin. Wir beginnen mit dem Apostel Paulus, zunächst im Galaterbrief: »Ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus.« 2 Aber das gilt nicht nur für die Galater. In seiner grundlegenden Schrift, im Römerbrief, schreibt Paulus: »Christus ist des Gesetzes Ende; wer an den glaubt, der ist gerecht.«3 »So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.«4 Aber auch in seinen anderen Briefen bezeugt der Apostel dasselbe Evangelium. So an die Korinther: »Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. Aber das alles von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.« 5 Und ebenso im Epheserbrief (2,8): »Aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es.« Und auch an Timotheus: »Das ist gewisslich wahr und ein Wort, des Glaubens wert, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen.«6 Aber Paulus steht mit »seinem« Evangelium nicht allein. Dasselbe bezeugt auch Petrus: »Christus hat unsere Sünde selbst hinaufgetragen an seinem Leibe auf das Holz. Durch seine Wunden seid ihr heil geworden.«7 Und nichts anderes lesen wir bei Johannes: »Jesus Christus ist die Versöhnung für unsre Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt.«8 Und der »Vorläufer«, der letzte der Propheten, Johannes der Täufer, sagt von Jesus: »Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!«9 Aber nicht nur die verschiedenen Zeugen, sondern der Herr selbst sagt: »Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.« 10 Mit der Einsetzung des Heiligen Abendmahles hat der Herr diese Botschaft zum Mittelpunkt des Lebens seiner Gemeinde gemacht: INFORMATIONSBRIEF 302

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»Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Das ist mein Blut, das für euch vergossen wird.«11 Johannes 6,29 klingt wie eine Zusammenfassung des Galaterbriefes: »Das ist Gottes Werk, [d.h. das Werk, das Gott will und das Gott tut] dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat.« So wie es der Hebräerbrief sagt (12,2): »Lasst uns aufsehen auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens.« Oder noch einmal der Herr in Johannes 8,36: »Wenn euch der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei.«12 Dem Kerkermeister in Philippi beantwortet Paulus seine Frage nach dem Heil in einem Satz: »Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus gerettet!«13 In 1.Korinther 3,11 ist alles zusammengefasst, was über das eine und einzige Evangelium zu sagen ist: »Ein anderes Fundament kann niemand legen als das, das Gott gelegt hat; und das ist Jesus Christus.« Mit anderen Worten: Jesus hat alles getan zu unserer Rettung! Und Jesus genügt! Aber nun kommen Leute und predigen ein »anderes Evangelium«.

Das »andere Evangelium« Sie gestehen zwar zu, dass Christus rettet – aber nicht Christus allein. Ein Werk des Gesetzes ist auch noch nötig. Nur ein ganz kleines. Nur die Beschneidung. Oder die eine oder andere Fastenübung. Es ist nicht viel. Das meiste hat ja Jesus schon getan. Aber jetzt müssen wir auch das unsere tun. Nur ein Prozent. Nicht mehr. Dieses eine Werk von uns macht das Werk von Christus für uns gültig. Aber damit werfen sie die Gnade Gottes weg. Und machen den Tod Jesu vergeblich. Paulus schreibt in Galater 2,21: »Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes; denn wenn die Gerechtigkeit durch das Gesetz kommt, so ist Christus vergeblich gestorben.« Und in Galater 5,2.4: »Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen.« Denn es genügt nicht ein Werk zu tun. Wenn Werke nötig sind, dann alle! Vers 3: »Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist.« Es gibt nur ein entweder – oder: »Dem, der mit Werken umgeht, wird der Lohn nicht aus Gnade zugerechnet, sondern aus Pflicht. Dem aber, der nicht mit Werken umgeht, glaubt aber 11


an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit.«14 Gnade und Pflicht, Glaube und Werke lassen sich nicht kombinieren. Darum noch einmal 1.Korinther 3,11: »Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der [von Gott] gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.« Die Gegner wollen das Fundament, das Christus ist, ja gar nicht antasten. Aber sie legen ein anderes daneben. »Auf einem Bein kann man nicht stehen. Natürlich brauchen wir Christus, um selig zu werden. Aber wir brauchen auch noch ein Werk des Gesetzes« [oder auch zwei oder mehr]. Aber man kann nicht mit einem Fuß auf der Gnade stehen und mit dem anderen auf den Werken. Man kann nicht zugleich auf Christus und – sei es auch nur ein ganz kleines bißchen – auf sich selber bauen. Versuchen Sie mal, auf zwei Booten zu stehen. Das geht, solange beide tragen. Aber wenn eins untergeht, dann kippen Sie todsicher ins Wasser. Das ist die Not, die Paulus bewegt: Menschen verlieren Christus, indem sie von dem Fundament, das trägt, auf ein anderes geführt werden, das nicht trägt – von Christus auf das eigene Tun – damals die Beschneidung, damals und zu allen Zeiten ein gewisser Gesetzesgehorsam.15 Ein Gehorsamsakt, wie heute gerne gesagt wird, wenn es um die so genannte »Glaubens­ taufe« geht. Das »andere Evangelium« – »Jesus und« – macht Gottes Heilswerk zunichte und lässt Menschen verloren gehen. Denn es ist wie bei einer Kette: Sie ist nur so stark wie das schwächste Glied. Wenn mein Tun – gleich, ob wir es Glaubensakt, Gehorsamsakt, Glaubensentscheidung oder anders nennen – ein Glied der Kette ist, dann hängt mein Heil an mir. Letztlich muss dann der Mensch sein Heil selber schaffen.16 Und das ist keine gute Botschaft – kein Evangelium.

Warum dieses Wort 1966? Damals traten die Väter unter dem Wort vom »anderen Evangelium« der Theologie von Rudolf Bultmann entgegen. Mit der »Entmythologisierung« des Neuen Testamentes und seiner »existenzialen Interpretation« bestritt er die Auferstehung Jesu. Die Rede von der Auferstehung sei nur eine mythologische Einkleidung für die übergeschichtliche Wahrheit, dass der Mensch seine Existenz von Gott her zu verstehen habe.17 Aber mit welchem Recht beriefen sich die Väter der Bekenntnisbewegung dagegen auf Gala12

ter 1? Es geht doch in Galater 1, überhaupt im Galaterbrief, nirgends um die Auferstehung. Das stimmt. Und doch hatten sie Recht. Denn es geht hier wie dort um das Heil! Genauer: Um die Grundlage des Heils. Die Väter der Bekenntnisbewegung trieb dieselbe Sorge die auch den Apostel Paulus trieb bei der Abfassung des Galaterbriefes. Und diese Sorge trieb ihn auch bei der Abfassung des Ersten Korintherbriefes (1.Korinther 15,14.17–19): »Ist Christus nicht auferstanden, so ist unsere Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich. Ist Christus nicht auferstanden, so ist euer Glaube nichtig, so seid ihr noch in euren Sünden; so sind auch die, die in Christus entschlafen sind, verloren. Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen.« Kurz gesagt: Ohne Auferstehung kein Heil. Das ist die Konsequenz von Entmythologisierung und existenzialer Interpretation: Ist Christus nicht auferstanden, so ist euer Glaube vergeblich. Wenn Christus nicht lebt, kann er uns nicht vertreten und nicht heiligen und nicht erlösen. Dann sind wir auf uns geworfen. Dann ist nicht Christus der Grund unseres Heils, sondern unser Glaube. Wir müssen dann an unseren Glauben glauben. Wir verlassen uns also letztlich nicht auf Christus, sondern auf uns selbst. Es kommt zur Vertauschung des Subjekts. Der Mensch tritt an die Stelle Gottes. Aber damit hat doch alles Elend angefangen – 1.Mose 3,5: »Ihr werdet sein wie Gott und selber wissen, was gut und böse ist.« Aber dann ist Gott in Christus an die Stelle des Menschen getreten. Er vollzog, wie Martin Luther es ausgedrückt hat, ein »Beatum Commercium« (einen seligen Tausch). So hat er das rechte Verhältnis wieder hergestellt, den Sündenfall mit seiner verhängnisvollen Vertauschung von Schöpfer und Geschöpf rückgängig gemacht. Das andere Evangelium aber macht den seligen Tausch rückgängig und stellt den Menschen wieder an die Stelle Gottes. Es wiederholt also den Sündenfall! Das rechte Evangelium spricht uns das Heil zu, das Christus uns erworben hat. Darauf gründet der Glaube. Das andere Evangelium gibt vor zu zeigen, wie wir das Heil erwerben können – und müssen. Das macht den Glauben unmöglich. Auf eine Gnade, die ich erst erwerben muss, kann ich nicht bauen. Das andere Evangelium suggeriert also eine Möglichkeit, die keine ist. Es weist einen Weg, der nicht zum Ziel führt. Es degradiert den Weg – Christus – zum bloßen Wegweiser, den Erlöser zum bloßen Vorbild. Und so macht es Gottes Heilswerk zunichte. FEBRUAR 2017

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Heute Damit sind wir bei dem bleibenden Auftrag der Bekenntnisbewegung. Die Situation Auch heute geht es darum, dass Menschen gerettet werden durch den Glauben an Jesus Christus. Auch heute macht das andere Evangelium vielen den Glauben unmöglich. Auch heute setzt das andere Evangelium den Menschen an Gottes Stelle. Nur einige Beispiele: WW Die Bibel ist nicht Gottes Wort, sondern eine Sammlung menschlicher Gedanken über Gott. WW Das Christusgeschehen ist nicht Gottes Tat, sondern ein Bild, mit dem Menschen ihren Glauben anschaulich gemacht haben. WW Der Mensch nimmt sich nicht als Geschöpf aus Gottes Hand, sondern erschafft sich selbst. Er will nicht dem Ebenbild Gottes entsprechen, sondern sein eigenes Bild entwerfen. Dafür steht beispielhaft die Ideologie des Gender-Mainstreaming. WW Man fragt nicht mehr nach der Wahrheit, sondern jeder definiert seine Wahrheit für sich. Die Frage lautet nicht mehr: Was ist? Sondern es heißt: »Das siehst du vielleicht so. Ich sehe das anders.« WW Darum fragt man auch nicht mehr danach, was gut ist, sondern nur noch danach, was die Mehrheit gut findet. Und so gehen dann auch die Diskussionen in der Kirche nicht mehr um die Wahrheit. Man fragt nicht: Stimmt das, was einer sagt? Es wird nur gefragt: Gefällt das? Ist das nützlich? Und wenn es nicht gefällt und dem Ansehen der ­Kirche nicht nützlich zu sein scheint, dann wird ­distanziert und diffamiert. WW Der Mensch will auch kein verlorener Sünder sein, der auf Gottes völlig unmotiviertes Retterhandeln angewiesen ist, sondern in freier Entscheidung stellt sich der moderne Christ auf die Seite Gottes – oder sollte man besser sagen: In freier Verfügung stellt er Gott auf seine Seite? Er nennt das dann »Bekehrung« – und er ist stolz darauf. Und verachtet den, der nicht bereit ist, umzukehren. WW Die Vertauschung von Schöpfer und Geschöpf ist das eigentliche Wesen aller Religion. Immer wird das ideale Selbstbild des Menschen oder eine Idee von der Natur sozusagen an den Himmel projiziert und zum tragenden und bestimmenden Grund der Existenz gemacht, somit an die Stelle Gottes gesetzt.18 INFORMATIONSBRIEF 302

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Aber das ist noch nicht mal das eigentlich Schlimme. Viel schwerer wiegt, dass christliche Kirchen die so entstandenen Götzenbilder der Religionen mit dem Vater Jesu Christi gleichsetzen. Man stellt den erdachten Gott neben den offenbarten. Wir befinden also darüber, wen wir als Gott gelten lassen. Der Mensch wird zum Richter über Gott. Ausdrücklich wird dies, wenn ein interreligiöser Dialog als gemeinsame Suche nach der Wahrheit verstanden wird und nicht, wie bei Paulus und den Kirchenvätern als Konfrontation sich widersprechender Wahrheitsansprüche. WW Das andere Evangelium schleicht sich auf dem Wege über die Übersetzung sogar bis in den Bibeltext selbst hinein. In modernen Bibelausgaben tritt an die Stelle einer möglichst getreuen Wiedergabe des Urtextes eine freie Interpretation durch den Übersetzer. Nebenbei – oder vielleicht nur konsequent – wird dabei das Evangelium aus dem Zuspruch der Gnade Gottes in eine Handlungsanweisung umgewandelt, also zur Anleitung, wie der Mensch sich das Heil zu verschaffen hat.19 Und damit sind wir wieder bei Bultmann: Statt das geschichtliche Handeln Gottes in Christus zu bezeugen, geben wir angebliche übergeschichtliche Bedeutsamkeiten zum Besten, die wir angeblich aus den biblischen Zeugnissen herausgelesen haben. Aber in Wirklichkeit lassen wir uns vom postmodernen Zeitgeist vorgeben, was zu gelten hat – und dann lesen wir es nachträglich in die biblischen Texte h ­ inein. Auf die verschiedenste Art und Weise begegnet uns heute in allen theologischen und kirchenpolitischen Lagern, in allen Konfessionen und Denominationen die Vertauschung von Schöpfer und Geschöpf, gegen die Paulus sich im Galaterbrief wenden musste und gegen die die Väter der Bekenntnisbewegung vor fünfzig Jahren Zeugnis abgelegt haben. Die Aufgabe So gilt es, in unseren Tagen Zeugnis abzulegen, Zeugnis von dem seligen Tausch, mit dem Gott am Kreuz von Golgatha die unselige Vertauschung von Schöpfer und Geschöpf zurückgetauscht und uns aus dem Tod heraus und ins Leben hinein getauscht hat. Es gilt Zeugnis abzulegen von Christus um des Menschen willen, für den Christus gestorben und auferstanden ist. Es gilt Zeugnis abzulegen für die Erlösung, die Christus vollbracht hat, damit wieder Glaube entstehen kann, der auf Christus allein baut und darum Bestand hat im Leben und im Sterben. 13


Konkretionen Dieses Zeugnis geben wir zu allererst im Umgang mit den Menschen mit denen Gott uns zusammengestellt hat – in unserem persönlichen Lebensumfeld in Familie und Nachbarschaft und Beruf. In diesem Sinne ist die christliche Gemeinde als solche eine Bekenntnisbewegung. Sodann legt die christliche Gemeinde dieses Zeugnis auch öffentlich ab in Gottesdienst, Mission und Evangelisation. Um dieses Zeugnis recht auszurichten, bedarf die Gemeinde Jesu der soliden theologischen Arbeit in Dogmatik (Lehre) und Apologetik (argumentative Verteidigung und Pro­ ­ filierung des evangelischen Glaubens gegen konkurrierende Wahrheitsansprüche). Unsere besondere Aufgabe als Organisation »Bekenntnisbewegung ›Kein anderes Evangelium‹« sehen wir darin, die Früchte dieser Arbeit in die kleine Münze allgemein verständlicher biblischer Unterweisung zu wechseln – und auf alle erdenkliche Weise der Gemeinde in die Hand zu geben. Damit geben wir Hilfestellung zur Unterscheidung der Geister, zum theologischen Urteil und zum Bekenntnis des Glaubens in Kirche und Welt. Unser Hauptmittel dazu ist derzeit der Informationsbrief. Daneben steht unsere Internetseite, auf der schon verschiedene theologische Texte zugänglich sind. Weiter ist ein InternetForum im Aufbau, das den Austausch und Kontakt bekennender Christen untereinander ermöglichen wird. Zweimal im Jahr trifft sich der Bundesarbeitskreis, um aktuelle Themen und konkrete Anliegen der Mitglieder zu besprechen und nötige Beschlüsse zu fassen. Das zweite Treffen, jeweils in der zweiten Jahreshälfte, wird in Zukunft als Gemeindetag mit öffentlichen Vorträgen Fragen aufgreifen, die Christen heute auf der Seele brennen. Darüber hinaus bieten wir auf Anfrage Vorträge und Schulungen vor Ort an. Wenden Sie sich dazu einfach an die Geschäftsstelle, am besten per ePost. Bei alledem suchen wir die Verbindung zu Gleichgesinnten, die vielleicht aus unterschiedlichen Richtungen und auf verschiedenen Wegen doch auf dasselbe Ziel hinarbeiten, nämlich, dass das eine Evangelium so verkündigt wird, wie es geschrieben steht, damit Menschen zum lebendigen Glauben an Jesus Christus finden und darin gestärkt und erhalten werden. Welche Wege der Herr uns auch führen wird: Wir wollen alles dafür tun, dass das eine Evangelium verkündet wird. Und wir wollen das unsere dazu tun, dass die Gemeinde Jesu befähigt wird, das andere Evangelium in seinen vielfältigen Gestalten zu durchschauen. 14

Wir wollen uns vom Herrn gebrauchen lassen, wenn er seine Verheißung verwirklicht, die wir im 10. Kapitel des Johannesevangeliums lesen: »Meine Schafe hören meine Stimme und ich kenne sie und sie folgen mir und ich gebe ihnen das ewige Leben.« W 1) Vortrag vor dem Bundesarbeitskreis der Bekenntnisbewegung am 30. April 2015 in Kassel. Zum Druck überarbeitet. Die mündliche Form wurde beibehalten. 2) Galater 3,26; siehe auch 3,13: »Christus hat uns erlöst vom Fluch des Gesetzes, da er zum Fluch wurde für uns.« Und 4,4f.: »Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn […], damit er die, die unter dem Gesetzt waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen.« 3) Römer 10,4; auch 1,16f.: »Ich schäme mich des Evangeliums von Christus nicht; denn es ist eine Kraft Gottes zur Rettung für jeden, der glaubt, den Juden zuerst und den Griechen; denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit Gottes, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht [Habakuk 2,4]: ›Der Gerechte wir aus Glauben leben.‹« Römer 4,5: »Dem aber, der nicht mit Werken umgeht, glaubt aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit.« Römer 5,1.8f.: »Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus […] Gott erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.« Römer 8,1: »So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.« Römer 8,31–34.38f.: »Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus Jesu ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt […] Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.« 4) Römer 3,23–28: »Denn es ist hier kein Unterschied. Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus. Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens. So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.« 5) 2.Korinther 5,17–21. 6) 1.Timotheus 1,15. 7) 1.Petrus 2,24; siehe auch 1,3: »Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.« 8) 1.Johannes 2,1f.; siehe auch 4,9f.: »Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingeborenen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt.« 9) Johannes 1,29. 10) Markus 10,45. 11) Lukas 22,19f. und parr. Matthäus 26,26–28; Markus 14,22f.; 1.Korinther 11,23–25. Siehe auch Johannes 3,16.36: »Also hat Gott hat die Welt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, FEBRUAR 2017

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damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. […] Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben.« Freilich darf die Kehrseite nicht übersehen werden: »Wer dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.« Und Johannes 5,24: »Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.« 12) Siehe dazu auch Matthäus 11,28–30: »Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.« Und Johannes 10,11.27f.: »Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe […] Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.« Und Johannes 11,25f.: »Ich bin die Auferstehung und

das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das?« 13) Apostelgeschichte 16,31. 14) Römer 4,4f. 15) Galater 5,4. 16) 1.Korinther 3,11. 17) Natürlich ist mir bewusst, dass Bultmanns Position damit stark vereinfacht dargestellt wird. Das sei erlaubt um der Konzen­ tration auf den für unsere Fragestellung entscheidenden Aspekt willen. 18) Dies hat der Philosoph Ludwig Feuerbach (1804–1872) in seiner Projektionstheorie sehr zutreffend herausgestellt. Allerdings hat der Apostel diesen Vorgang bei der Entstehung von Religion schon 1800 Jahre vor Feuerbach in Römer 1 beschrieben. Leider hat Feuerbach den fundamentalen Unterschied zwischen dem christlichen Glauben und den Religionen nicht erkannt. Sonst hätte er seine Theorie auf diesen gerade nicht anwenden können. 19) Prominentestes Beispiel ist die »Hoffnung für alle«.

Segen und Salbung Welchen Sinn haben sie, und wie lassen sie sich gestalten? G Ü NTER R . S C H M I D T Rituale Segen und Salbung sind zunächst »Riten« oder »Rituale«. Unser Leben ist voll von Ritualen. Was ist ein Ritual? Ein Ritual ist eine Zeichenhandlung, eine meist von Worten begleitete Geste, die eine bestimmte Bedeutung trägt. Einem anderen die Hand schütteln, ihm zuwinken, sich verbeugen, einen Blumenstrauß überreichen und vieles mehr. Die Bedeutung ist im zugehörigen sozialen Rahmen bekannt: Man drückt die Freude aus, den anderen wahrzunehmen, heißt ihn willkommen usw. Selbst in benachbarten Kulturen wird ein Ritual unterschiedlich bewertet. Engländer finden es beispielsweise komisch, wie und wie oft man sich

Günther R. Schmidt Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30 INFORMATIONSBRIEF 302

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in Deutschland die Hände schüttelt. Ein internationales Fußballspiel beginnt nicht einfach so, sondern die Mannschaften stellen sich einander gegenüber auf, singen die Nationalhymne, Zuschauer schwenken Fahnen und feuern »ihren« Club durch Zurufe an. Verschiedene Menschen haben unterschiedliche, oft nicht bewusste Einstellungen zu Ritualen. Es gibt ritualfreudige Menschen, andere erleben sie als störend oder mindestens überflüssig. Manche mögen Begrüßungen durch Umarmung, anderen gehen sie gegen den Strich. Oft achten wir auf Rituale und bewerten sie: Wen begrüßt die Bundeskanzlerin mit »Küsschen« und wen nicht? Riten können gebraucht und missbraucht werden. Die Nationalsozialisten waren Meister im Gebrauch von Ritualen für ihre Zwecke. Grundsätzlich gibt es kein ritualfreies Leben. Riten sind wichtige Medien der Kommunikation. Der Mensch ist ein »animal rituale«, ein auf Riten angewiesenes und Riten nutzendes Wesen. Rituale werden im Zusammenleben gelernt, oft unbemerkt (rituelle Sozialisation). Riten, die wir gewöhnt sind, vollziehen wir problemlos, ungewohnte, wenn überhaupt, dann mit Hemmungen. 15


Auch die Praxis des Glaubens schließt viele Rituale ein: Stehen oder Knien beim Beten, Hände falten. Die Konfessionen unterscheiden sich im Gebrauch von Riten und in der Einstellung der Mehrzahl ihrer Gläubigen dazu. Katholiken machen beim Betreten der Kirche einen Kniefall, bekreuzigen sich und besprengen sich mit Weihwasser, Protestanten suchen sich meist einen Platz, bleiben zu einem kurzen, stillen Gebet stehen und setzen sich. Katholiken schätzen einen auch das Auge ansprechenden, sinnenfreudigen Gottesdienst – farbige Gewänder, Gesten, Kreuzzeichen, viele Bilder und Statuen in der Kirche, viele Messdiener – Protestanten eher Nüchternheit im Optischen und Beschränkung auf das Ohr – Kirchenmusik und Predigt. Viele Vorgänge in östlich-orthodoxen oder in römisch-katholischen Gottesdiensten erscheinen ihnen als »Theater«. Es gibt so etwas wie rituelle Hemmung: Auch Protestanten, denen man den Sinn der Selbstbekreuzigung oder des Kniens öfter erklärt hat, bringen es nicht über sich, diese Gesten mit zu vollziehen. Einstellungen zu Riten sind eben nicht nur im Denken, sondern noch mehr im Fühlen verankert. Unbedacht erscheint einem Gewohntes als »richtig«, Ungewohntes als »falsch«. Von außen betrachtet sind Segen und Salbung zunächst Riten oder Rituale.

Segen Beim Segen legt der Spender dem Empfänger die Hände auf oder erhebt sie über ihn und spricht dazu bestimmte, meist traditionell vorgegebene Worte. Der Empfänger steht oder kniet vor ihm, meist mit gesenktem Haupt. Um dieses menschliche Segnen zu verstehen und es nicht als autoritäre Handlung eines Höhergestellten an einem Untergeordneten misszuverstehen, müssen wir es in einem weiteren theologischen Rahmen sehen. Im weitesten Sinne ist Segen alles Wirken Gottes in Schöpfung, Erlösung und Heiligung. Gott und nur Gott ist der eigentlich Segnende. Menschen geben diesen Segen nur weiter, sprechen ihn anderen zu, erbitten ihn für andere. Segen ist die Kraft Gottes, die Nichtseiendes ins Sein, Totes ins Leben, Sünder in die Gnade versetzt und zu einem Leben im Glauben stärkt. Segen ist die von Gott ausgehende Lebenskraft. Leben umfasst dabei das natürliche und das geistliche Leben. Natürliche Lebensvorgänge können dabei zum Symbol für geistliche werden: alltägliche Reinigung mit Wasser – Taufe. 16

Von menschlichen Spendern vollzogene Segenshandlungen dienen dazu, Empfängern den alles und alle umfassenden Segen Gottes bewusst zu machen, sie in diesen zu versetzen und sie darin zu bestärken. »Gelobt (benedictus) sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet (benedixit) hat mit allerlei geistlichem Segen (benedictione) in himmlischen Gütern durch Christus« (Epheser 1,3). »Benedicere« (davon »benedeien«), das lateinische Wort für »segnen«, heißt wörtlich »Gutes sagen« von jemandem, ihn loben, sein Verhalten billigen – insofern kann man auch »Gott segnen« (eine bei uns ungebräuchliche alttestamentliche Formulierung), es kann aber auch heißen, jemandem Gutes – im weltlichen und im geistlichen Sinne – zusagen, es ihm wirksam mitteilen. Letzteres gilt, wo Gott unmittelbar segnet und wo menschliche Spender in geistlicher Vollmacht seinen Segen weitergeben. Vom menschlichen Paar heißt es: »Gott segnete sie und sprach zu ihnen: ›Seid fruchtbar und mehret euch, füllt die Erde und macht sie euch untertan […]‹« (1.Mose 1,28). Dieser Segen Gottes wird in der kirchlichen Trauung vergegenwärtigt. Der Segen bei der Trauung ist wie bei der Konfirmation ein Segen aus besonderem Anlass für besondere Empfänger. Es gibt aber auch den allgemeinen Segen für alle am Ende eines jeden Gottesdienstes. Gelegentlich hört man den Ausdruck »Segnungsgottesdienst«. Dabei können Kranke und Leidtragende, aber auch Gemeindeglieder mit besonderen Vorhaben oder in besonderen Lebenslagen – etwa Übergang in den Ruhestand – vortreten und sich segnen lassen. Weniger angemessen ist die Bezeichnung »Segnungsgottesdienst« für Gottesdienste ohne besondere Segenshandlungen, wo »Segen« nur das Thema der Predigt oder der Liedauswahl ist. Segen gibt es in der Form des Gebetes und der Zusage. Beim Segensgebet hält der Sprecher die Hände gefaltet oder ausgebreitet mit der Handfläche nach oben und schließt sich selbst in den Segen ein: »Der Herr segne uns und behüte uns […]« Beim eigentlichen Segen in der Form der Zusage legt er den Empfängern die Hände auf oder breitet sie über ihnen aus – mit der Handfläche nach unten: »Der Herr segne euch und behüte euch […]« Das deutsche Wort »segnen« ist ein Lehnwort aus dem Lateinischen. Es kommt von »(cruce) signare«, »(mit dem Kreuz) bezeichnen«. Der Segnende macht über den zu Segnenden ein Kreuzzeichen, diese übernehmen es, indem sie sich auch selbst bekreuzigen. Beides war auch unter Evangelischen bis ins 18. Jahrhundert hiFEBRUAR 2017

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nein üblich. Dann verfiel es dem Vorurteil, es sei »nur äußerlich«. Dieses führte zu der rituellen Hemmung, die sich noch heute bei vielen Protestanten beobachten lässt. In einer rheinischen Gemeinde soll es einmal zu einem schweren Konflikt geführt haben, als der neue Pfarrer mit dem Kreuzzeichen segnete. Unter vielen Protestanten gilt das Kreuzzeichen als »katholisch«, wovon man sich durch Unterlassung abzugrenzen hat. Darf man dann auch kein Vaterunser mehr sprechen? Sind wir nur innerlich – mit der Seele – Christen oder sind wir es mit Leib und Seele? Zum Segen gehören die gesprochene oder gesungene Segensformel, das Erheben der Hände und das Kreuzzeichen. Im Rahmen öffentlicher Gottesdienste segnet normalerweise der Pfarrer. Im kleineren Rahmen kann aber grundsätzlich jeder Christ segnen. Ein nicht unbekannter Theologe erzählt aus seiner Kindheit, wenn er und seine Geschwister morgens zur Schule aufgebrochen seien, habe ihre Mutter an der Tür gestanden, jedem Kind einen Kuss gegeben und ihm ein Kreuzzeichen auf die Stirn gezeichnet. Eine gesegnete Kindheit!

Salbung Als eine besondere und durch ein weiteres Zeichen hervorgehobene Segnung lässt sich die Salbung verstehen. Salbung mit Olivenöl war im alten Orient ein beliebtes Mittel der Hautpflege. Wie andere zunächst profane Verrichtungen eignete sich auch die Salbung als Ritus in den geistlichen Bereich übernommen zu werden. Als Symbolhandlung diente sie dann nicht nur der körperlichen, sondern auch der seelischen Stärkung und geistlichen Begabung. Gesalbt wurden in alttestamentlicher Zeit Könige, Priester und Propheten. Aufgrund prophetischer Verheißungen wurde ein besonderer »Gesalbter« erwartet, auf dem der Geist Gottes in einzigartiger Fülle ruhen und ihn zu einzigartigen Taten befähigen würde. »Messias« leitet sich von »Maschiach«, Gesalbter, her. Die griechische Entsprechung ist »Christós«, latinisiert zu »Christus«. In Bezug auf Jesus wird Salbung wohl eher als Bild denn als wirklicher ritueller Vorgang verwendet. Jedenfalls ist von einer Salbung Jesu mit Öl im Neuen Testament nirgends die Rede, wohl aber von einer Salbung im bildlichen Sinne: »Er hat mich gesalbt, den Armen zu predigen […]« (Lukas 4,18) »[…] wie ihn Gott salbte mit dem Heiligen Geist und mit Kraft […]« (Apostelgeschichte 10,38). Ob es nur bildlich gemeint ist, wo das Neue TesINFORMATIONSBRIEF 302

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tament von der Salbung von Christen spricht, ist umstritten. »Gott aber, der uns samt euch in Christus befestigt (confirmat) und uns gesalbt und versiegelt und in unsere Herzen als Unterpfand den Geist gegeben hat« (2.Korinther 1,21). Die katholische Kirche versteht diesen Satz als Hinweis auf einen schon in der Urchristenheit vollzogenen Ritus und begründet damit die Firmung. Von den Aposteln heißt es jedenfalls: »Sie gingen hinaus, predigten […], salbten viele Kranke mit Öl und machten sie gesund« (Markus 6,12f.). Jakobus mahnt (5,14): »Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn mit Öl salben im Namen des Herrn.« Hier geht es Jakobus um einen wirklich zu vollziehenden, mit Gebet verbundenen Ritus, dem er eine heilsame Wirkung verheißt. Soweit Krankensalbung im evangelischen Raum vereinzelt wieder geübt wird, lässt sie sich als mit einem weiteren Zeichen verbundene Segnung verstehen.

Folgerungen WW Gesten und sichtbare Zeichen sollten weder aufklärerisch abgewertet, noch sollte sich jemand zu Ungewohntem zwingen. Man kann manches achten, auch wenn man sich nicht selbst aktiv daran beteiligt. Zu rituellen Gesten gehört Spontaneität. WW Verkündigung und Bekenntnis sind nicht nur auf das hörbare Wort beschränkt, sondern können sich auch optisch und gestisch ausdrücken, etwa durch das Entzünden einer Kerze. Der Mensch kann ganzheitlich durch alle Sinne angesprochen werden und sich äußern, nicht nur durch Zunge und Ohr. Damit wird der Vorrang des Hörens und Sprechens nicht in Frage gestellt, zumal Riten immer mit Sprechen und Hören verbunden sind. WW Manche Gesten sind unverzichtbar. Zum Segen gehören auf jeden Fall Handauflegung oder Ausstrecken der Hand und das Kreuzzeichen. WW Viele Evangelische üben wieder die Selbstbekreuzigung (siehe Luthers Morgen- und Abendsegen), und es wäre zu wünschen, dass dieser im größten Teil der Christenheit seit alters verbreitete Brauch auch im deutschen Protestantismus wieder selbstverständlich würde. WW Zur Krankensalbung sollte nicht überredet, doch sollte sie angeboten werden. WW Riten und Symbole gehören zur Sprache des Glaubens. Sie werden aber weniger durch Erklärungen gelernt als durch Beteiligung. W 17


Reformation in der Kirche 1517 und 2017

Betrachtungen auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2017 Reinhard Slenczka

Der Heilige Geist ist kein Skeptiker Vom versklavten Willen »Der Heilige Geist ist kein Skeptiker, nicht Zweifel oder subjektive Ansichten hat er in unsere Herzen geschrieben, sondern verbindliche Aussagen, die gewisser und unerschütterlicher als das Leben selbst und als alle Erfahrung sind.«1 »Der Apostel Paulus sagt: ›Wenn man mit dem Mund bekennt, wird man gerettet‹ (Römer 10,10). Und Christus: ›Wer mich bekennt vor den Menschen, den werde auch ich bekennen vor meinem himmlischen Vater‹ (Matthäus 10,32). Nichts ist bei den Christen bekannter und mehr gefeiert als das feste Bekenntnis (assertio). Wenn du jedoch diese festen Bekenntnissätze aufhebst, dann hast du damit das ganze Christentum aufgehoben.«2 Die große Kontroverse zwischen Erasmus von Rotterdam (1469–1536) um den freien Willen ist bis heute ein Prüfstein für das rechte Verständnis von Theologie. Sie ist noch mehr: Ein Prüfstein für festen Glauben, der nicht aus Fragen und Möglichkeiten besteht, sondern der durch Gottes Heiligen Geist gewirkt ist und von ihm durch Wort und Sakrament getragen wird (1.Korinther 12,1–3).

Reinhard Slenczka Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30

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Erasmus, der gelehrte Humanist, dem die Kirchenreform sehr am Herzen lag: Um die Bibel wieder in die Mitte zu rücken, hatte er den Text des griechischen Neuen Testaments he­ rausgegeben, nach dem auch Luther das Neue Testament ins Deutsche übersetzte. Sein Ziel war eine »philosophia christiana« in der Weise einer an der Schrift ausgerichteten Lebensführung in allen Ständen, vom Fürsten bis zum Bauern. Dazu sollten alle die Heilige Schrift kennen und in ihre Lebensführung aufnehmen, also eine vorbildliche christliche Moral. Luther hatte in seiner Heidelberger Disputation von 1518 den Satz aufgestellt: »Der freie Wille ist nach dem Sündenfall eine Sache, die lediglich einen Namen, aber keinen Inhalt hat, und wenn ein Mensch das tut, was in ihm ist, begeht er eine Todsünde.«3 Dass der Mensch unter der Herrschaft der Sünde steht, ist ein Zustand, aus dem er sich selbst nicht befreien kann, auch wenn wir alle doch das Gute wollen, was sich daran zeigt, dass für uns alle der Tod unentrinnbar ist, so gern wir ihm auch entrinnen möchten. Dieser Satz gehörte zu den 1520 von Papst Leo X. verurteilten Sätzen aus Luthers Schriften, die sich zum größten Teil genau auf die Frage richteten, was ein Mensch tun muss und kann, um selig, d. h. aus dem kommenden Gericht gerettet zu werden und das ewige Leben zu erben. Es ist leicht einzusehen, dass die Behauptung, der Mensch könne hier überhaupt nichts tun, ganz praktische Folgen für die Lebensführung haben kann. Sie scheint in Gleichgültigkeit und Willkür zu führen; sie gefährdet allerdings auch alle die kirchlichen Veranstaltungen von Ablass, Wallfahrten, Spenden, an denen die Finanzen der Kirche, also die Kirchensteuern hängen. FEBRUAR 2017

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Wozu braucht man Kirche, wenn das Streben Gottes beachtet, so z. B. Römer 8,27–32: »Der nach dem Guten und der Gehorsam gegen die aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Gebote Gottes und die Ordnungen der Kirche Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er vertritt die letztlich doch nicht heilsentscheidend und da- Heiligen, wie es Gott gefällt. Wir wissen aber, dass her sinnlos ist, dann »lasst uns essen und trinken, denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten diedenn morgen sind wir tot« (1.Korinther 15,32; nen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen Jesaja 22,13). Im Grunde geht es bei diesen sind. Denn die er ausersehen hat, die hat er auch Einwänden um die äußere Gestalt von Kirche, vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild soweit sie organisatorisch und moralisch der ge- seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei sellschaftlichen Ordnung, damit aber auch dem unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt Staat dient. Diese Einwände sind nicht neu; sie hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen begleiten die ganze Kirchengeschichte von den hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber Anfängen bis heute, und sie sind für unsere Ver- gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht. nunft wohl durchaus einsichtig. Was wollen wir nun hierzu sagen? Nun finden sich in Luthers mm […] vielmehr geht es Ist Gott für uns, wer kann wider Schriften durchgehend ähnliche um den unaufhebbauns sein? Der auch seinen eigenen scharfe Sätze wie z. B. »Der freie Sohn nicht verschont hat, sondern Wille außerhalb der Gnade hat ren Gegensatz, ob der hat ihn für uns alle dahingegeben keine eigene Fähigkeit zur Ge- christliche Glaube eine – wie sollte er uns mit ihm nicht rechtigkeit, sondern befindet sich Lehre und Anleitung alles schenken?« unausweichlich unter der Sünde.« Für unsere Vernunft bedeu»Der Wille des Menschen ist ohne ist für gute Lebensfüh- tet dieser Satz entweder einen die Gnade nicht frei, sondern er rung und WohlbefinFatalismus, der sich dem Schickdient der Sünde, durchaus nicht dem Kismet, wie es der Isden, oder ob es darum sal, ungern«.4 »Der freie Wille ist eine lam lehrt, ergibt, oder aber der geht, dass durch Tod bloße Lüge.«5 Mensch gerät unter den hochDer Streit um dieses Thema und Auferstehung Jesu mütigen oder auch verzweifelten führt zu allen Zeiten und gewiss Zwang, aus eigenen Kräften die auch bei jedem Menschen immer Christi Menschen von Welt zu erhalten und das Parawieder in psychologische Erwä- den Verderbensmäch- dies auf Erden wieder herstellen gungen im Für und Wider. Zwi- ten Sünde, Tod und zu müssen. schen Luther und Erasmus geht Doch Luthers bohrende und es aber auch ständig um Schrift- Teufel befreit und in beharrliche Frage dazu ist: Wozu belege für die eine oder andere die Gemeinschaft mit ist dann Christus als Mensch geThese, wobei Erasmus hier wie Gott zurückgeführt boren, am Kreuz gestorben und oft auch in anderen Fragen eine aufgefahren in den Himmel? vermittelnde Ansicht vertritt: werden. Dem Erasmus wirft er vor, dass Der Mensch kann und darf die er Person und Werk Christi völlig Geheimnisse Gottes nicht erforschen. Da es in außer Acht lässt. Das Christliche verdrängt den der Schrift widersprüchliche Meinungen gibt, Blick auf Christi Person und Werk, was wohl darf man auch dazu keine festen Behauptungen auch immer wieder im Christentum begegnet, aufstellen. Man muss sich vielmehr der kirchli- wenn es als gesellschaftspolitische Aufgabe verchen Lehrautorität fügen; das wäre also die herr- standen wird. schende Meinung. Genau dies aber wird von Doch an dieser Stelle scheiden sich die GeisLuther mit Entschiedenheit abgelehnt mit dem ter, damals wie heute. Dabei geht es letztlich Hinweis, dass es hier nicht um die Entscheidung um die Frage, ob Gott in seinem Wort an uns des Menschen für Gott geht, sondern darum, Menschen handelt, oder ob wir Menschen Gotdass Gott sich in der Hingabe seines Sohnes für tes Wort unseren Vorstellungen und Wünschen den Menschen entscheidet. Er sagt das so: »Es anpassen. Dies jedoch ist keine Frage theoloist daher in besonderer Weise für einen Christen gischer Richtungen; vielmehr geht es um den heilsnotwendig zu wissen, dass Gott nicht nur zu- unaufhebbaren Gegensatz, ob der christliche fällig vorherweiß, sondern dass er alle Dinge mit Glaube eine Lehre und Anleitung ist für gute seinem unwandelbaren und ewigen, unfehlba- Lebensführung und Wohlbefinden, oder ob es ren Willen sowohl voraussieht und beschließt und darum geht, dass durch Tod und Auferstehung durchführt.«6 Jesu Christi Menschen von den VerderbensRecht verstehen kann man diesen Satz nur, mächten Sünde, Tod und Teufel befreit und in wenn man seine vielfältige Begründung im Wort die Gemeinschaft mit Gott zurückgeführt werINFORMATIONSBRIEF 302

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den. Hier entscheidet sich, ob man Christ ist, der im Vertrauen auf Christi Person, Wort und Werk glaubt und lebt, oder ob man nur dem Namen nach christlich ist, indem man christliche Werte und Traditionen vertritt. Doch dann bricht damals wie heute die bedrängende Frage nach Erwählung und Verwerfung (Prädestination) auf: Wenn der Mensch sich selbst nicht für Gott entscheiden kann und wenn er allein aus Gnade, nicht aber durch seine Werke aus dem Gericht gerettet werden kann, wie kann es dann überhaupt eine Verurteilung im Gericht Gottes und eine ewige Verdammnis geben? Ist Gott gerecht, wenn die einen vor Erschaffung der Welt (Matthäus 25,34; Epheser 1,4) erwählt sind und anderen das ewige Feuer bereitet ist (Matthäus 25,41), ja dass sie sogar von Gott verblendet werden (2.Thessalonicher 2,11). Das ist eine die Menschheit quälende Frage der Theodizee, die der christliche Philosoph Boethius (480–524) so formuliert hat: »Gibt es einen Gott, woher das Übel? Gibt es keinen, woher kommt dann das Gute?«7 In der Heiligen Schrift ist das umfangreiche Buch Hiob mit dieser quälenden Frage beschäftigt: Warum muss der Gerechte leiden, während es dem Gottlosen gut geht (Psalm 73)? Hiob wird alles bis auf sein Leben genommen, indem der Satan mit Zulassung Gottes (!) seinen Glauben prüft. In seinem Leid und Jammer hält Hiob an Gott fest: »Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen; der Name des Herrn sei gelobt!« (Hiob 1,21) »Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen? In diesem allen versündigte sich Hiob nicht mit seinen Lippen« (Hiob 2,10). Durch die Geschichte hindurch versuchen wir Menschen in immer neuen Anläufen den Widerspruch zwischen der Allmacht und der Liebe Gottes auf der einen Seite und den Erfahrungen von Ungerechtigkeit unter Menschen und Katastrophen in der Natur aufzuheben, indem Gott angeklagt oder aber seine Macht bzw. seine Existenz bestritten wird. Noch niemand hat eine logische Auflösung dieses Widerspruchs gefunden. Die angebotenen Lösungen bleiben widersprüchlich und daher unbefriedigend. Doch das ist auch eine Wirkung des Wortes Gottes. Luthers Schrift vom versklavten Willen endet mit dieser für unsere Vernunft unlösbaren und quälenden Frage, von der auch Luther gesteht, dass er oft von ihr angefochten wurde. Was er dazu ausführt, ist jedoch nun keine Auflösung eines logischen Widerspruchs. Im Buch Hiob 20

gibt es auch keine formale Lösung des Widerspruchs; das Ende ist hier vielmehr das Gespräch Hiobs mit Gott und die Antwort Gottes »aus dem Wettersturm« (Hiob 40,6). In ähnlicher Weise führt auch Luther auf den Weg des Glaubens, der durch die Widersprüche der Vernunft angefochten, jedoch durch das Wort Gottes gehalten wird. Es ist der Weg vom Glauben zum Schauen (1.Korinther 13,12): »[…] und es gibt für diese unlösbare Frage diese kurze Lösung in einem Wörtlein, nämlich: Es ist ein Leben nach diesem Leben, in welchem alles, was hier nicht bestraft und belohnt wird, dort bestraft und belohnt wird, da dieses Leben nichts als der Vorläufer oder vielmehr der Anfang des zukünftigen Lebens ist. Wenn also das Licht des Evangeliums, das allein im Wort und im Glauben kräftig ist, so Großes zuwege bringt, dass diese in allen Jahrhunderten behandelte und niemals gelöste Frage so leicht beigelegt und geschlichtet wird, was, meinst du, wird wohl dann sein, wenn das Licht des Wortes Gottes und des Glaubens zurücktritt und die Sache selbst und die göttliche Majestät durch sich selbst wird offenbar. Oder glaubst du nicht, dass dann das Licht der Herrlichkeit die Frage, welche im Licht des Wortes oder der Gnade unlösbar ist, gar sehr leicht lösen kann, dass das Licht der Gnade die im Licht der Natur unlösbare Frage so leicht gelöst hat?«8 So geht es bei der umstrittenen Frage nach Gerechtigkeit und Liebe Gottes auf der einen Seite und von Freiheit und Versklavung des menschlichen Willens auf der anderen Seite nicht um die Auflösung einer Antinomie, das ist ein Widerspruch in menschlicher Vernunft, sondern um den vom Heiligen Geist durch das Wort Gottes getragenen Glauben: »Desgleichen hilft auch der Geist unsrer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen. Der aber die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt« (Römer 8,26f.). W

1) WA 18, 605,32–34. De servo arbitrio (Vom versklavten Willen), 1525. 2) WA 18, 603,23–29. 3) WA 1, 359,33f. 4) WA 1, 147,38f. 5) WA 18, 602,26f. 6) WA 18, 615,12–14. 7) Boethius, Consolatio philosophiae / Trost der Philosophie. L. I, 100: »Si quidem Deus est, unde mala? Bona vero unde, si non est?« 8) WA 18, 785 (deutsch: Bruno Jordahn). FEBRUAR 2017

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Johannes Calvin –– Leben und Werk Teil 1 von 3 Karl Müller

Die Reformation Das Wunder der Reformation Wenn wir von der Reformation sprechen, dann sprechen wir von einem richtigen Wunder. In der damaligen römisch-katholischen Kirche, in der vielfach Aberglaube herrschte, in der das Wort Gottes fast verstummt und weithin unbekannt war, da ist es im 16. Jahrhundert zu einer gewaltigen Erneuerung der Kirche gekommen. Und dies nicht nur an einem Ort. Nein. An drei Orten zugleich kam es damals zur Neugestaltung der Kirche, zur Reformation. In Zürich, in Wittenberg und in Genf. Und zwar durch einen Schweizer, Huldrych Zwingli, durch einen Deutschen, Martin Luther, und durch einen Franzosen, Johannes Calvin. Durch diese drei unterschiedlichen Zeugen und alle ihre Mitarbeiter und Nachfolger ist damals das Wort Gottes neu auf den Leuchter gestellt worden, ist das Evangelium neu entdeckt worden. Johannes Calvin –– wenig bekannt oder in Zerrbildern Wenn man von der Reformation redet, dann denken die meisten sofort an Martin Luther. Luther ist im deutschen Protestantismus so etwas wie ein »protestantischer Nationalheiliger«. Reformation – das ist Luther, so meint man oft. Und dies bis in gebildete Kreise hinein. Doch

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das ist ein völlig einseitiges, ja falsches Bild. Luther hat gewiss viel Gewaltiges vollbracht und der Welt geschenkt, keine Frage. Calvin hat das, was Luther (und auch was Zwingli) begann, ausgebaut und weitergeführt. Man kann es mit einem Vergleich sagen: Luther hat in die Mauern des Gebäudes der Kirche ein Loch gebrochen, durch das nun endlich das Licht hereinströmen konnte. Nun war es wieder hell – das Licht fiel herein. Aber so ein Loch in der Mauer kann ja nicht so bleiben. Da muss begradigt, beigeputzt werden, da muss ein Fenster eingebaut, gestrichen, tapeziert werden usw. Und das hat vor allem Johannes Calvin getan. Wir werden es noch sehen: Calvin hat ausgebaut. Wenn wir jedoch den Namen Calvin nennen, so ist dieser große Reformator vielen ganz unbekannt. Woher kommt das? Viele haben eben von ihrem Lehrer oder Pfarrer nie etwas von ihm gehört (ähnlich auch von Zwingli nicht). Und infolgedessen kennt man diesen großen Reformator nicht. Oder andere haben im Geschichtsunterricht in der Schule ein völlig falsches, verzerrtes, oft von Unkenntnis strotzendes Bild von Calvin durch ihren Lehrer erhalten oder auch durch Falsches, was in Geschichtsbüchern über ihn steht. Gründe für die Zerrbilder Wenn wir nun nach den Gründen für die falschen, üblen Bilder von diesem großen Reformator und Zeugen Jesu Christi fragen, dann denken wir zuerst an falsche Aussagen in den Geschichtsbüchern. Und wenn wir weiterfragen, wieso so viel Schräges, Verzerrtes und Falsches über Johannes Calvin in Schulbüchern stand oder steht, dann lautet die Antwort: Weil die Verfasser der Schulbücher falsche Sekundärliteratur benutzt haben. Ich will nur einen Namen nennen, der einen Palmkübel von Bos21


heit und Hass über den Genfer Reformator ausgeschüttet hat: Es ist der Altkatholik Friedrich Wilhelm Kampschulte.1 Und auf seinen verzerrten, hassvollen Aussagen beruhen viele Zerrbilder von Johannes Calvin. Man hat z. B. oft behauptet, Calvin wäre der Diktator von Genf gewesen. Das ist Unsinn. Der Reformator hat nie ein politisches Amt innegehabt, sondern war lediglich ein Pfarrer unter anderen, der natürlicherweise durch seine geistliche Autorität, Bibelkenntnis, Klugheit und sein geradezu unglaubliches Gedächtnis sehr angesehen war und von daher auch gewichtigen Einfluss ausübte. Aber er hat z. B. nicht erreicht, dass jeden Sonntag Abendmahl in Genf gefeiert wurde – das hat der Stadtrat nicht zugelassen. Der Stadtrat regierte in Genf, nicht Calvin. Keine Rede von »Diktatur«. Aber lasst uns nun zusehen, wer Johannes Calvin wirklich war.

Johannes Calvins Werdegang Johannes Calvin war natürlich wie Zwingli und Luther ursprünglich römisch-katholisch. Er wurde am 10. Juli 1509 in der Stadt Noyon, etwa 80 Kilometer nordöstlich von Paris, geboren. Sein Vater war Notar des Bischofs von Noyon. Nach des Vaters Willen studierte Johannes Jura in Orleans und Bourges in Frankreich. Und er wurde nach dem Urteil von Fachleuten ein ausgezeichneter Jurist, so dass er später in Genf vom Stadtrat, d. h. von dem Kleinen Rat, oft in Rechtsangelegenheiten hinzugezogen wurde. Um es gleich zu sagen: Calvin war ein hochintelligenter Mensch mit einem phänomenalen Gedächtnis! Das hat seine Zeitgenossen, gerade auch die Theologen, immer wieder in Verwunderung versetzt. Er konnte z. B. bei Diskussionen Worte der Kirchenväter frei und in Latein zitieren. Und Calvin besaß eine tiefe Frömmigkeit, die natürlich zunächst katholisch war. Er blieb zuerst auch noch eine ganze Zeit im Katholizismus gefangen und stellte die römischkatholische Kirche zunächst nicht in Frage.2

Bekehrung zum evangelischen Glauben Bereits während seines Studiums nahm Calvin humanistische Bildung in sich auf. Der Humanismus, der damals herrschte, hatte ein wichtiges Grundprinzip: »Zurück zu den Quellen!« Lateinisch: »Ad fontes!« Das war ein Motto, das für die gesamte Reformation, für alle Reformatoren und ganz besonders auch für Johannes Calvin wegweisend wurde. Evangelische Christen müssen Gott noch heute dafür danken, dass 22

es damals den Humanismus gab, denn dessen Grundprinzip wies ja allen Reformatoren den Weg zur einzig wahren Quelle, eben zur Heiligen Schrift. So wandte sich Calvin unter dem Einfluss des Humanismus langsam immer mehr der Bibel und damit dem evangelischen, reformatorischen Glauben zu. Da gab es wohl mehrere Personen, die ihn beeinflussten, evangelisch zu werden, vor allem sein evangelisch gesonnener juristischer Lehrer Melchior Volmar. Außerdem kam Calvin in Kontakt mit den sich heimlich versammelnden evangelischen Gemeinden in Orleans, Bourges und Paris. In seinem späteren Kommentar zu den Psalmen spricht Calvin einmal von einer »plötzlichen Bekehrung zur Gottesgelehrsamkeit«, d. h. Bekehrung zum evangelischen Glauben. Das meint natürlich einen längeren Prozess des Evangelisch-werdens, der sich wohl in den Jahren 1532 bis 1534 vollzog. Als sein Freund Nikolaus Cop, der der Rektor der Pariser Universität Sorbonne war, am 1. November 1533 eine evangelisch gefärbte Rede hielt, die wahrscheinlich von Calvin verfasst oder doch beeinflusst war, kam es zum Aufruhr. Calvin und Cop mussten aus Paris fliehen. Am 4. Mai 1534 verzichtete Calvin auf seine katholischen Pfründe in Noyon, der Heimatstadt. Das war die Besiegelung des endgültigen Bruchs mit der römischkatholischen Kirche. Johannes Calvin war von jetzt an ganz für den evangelischen Glauben gewonnen. Und seit er ganz dafür gewonnen war, trat er nun auch voll und von ganzem Herzen und aus tiefster Leidenschaft für ihn, d. h. für seinen Herrn Jesus Christus ein.

Johannes Calvin –– ein Wunder Gottes Kaum war Johannes Calvin für die Reformation gewonnen, als er auch schon damit begann, ein Lehrbuch des evangelischen Glaubens zu verfassen. Es war die berühmte »Institutio Religionis Christianae«, zu Deutsch »Unterricht im christlichen Glauben«. Es war eine gewaltige Gesamtdarstellung des evangelischen Glaubens und übertraf an geistlichem Reichtum und systematischer Kraft alle anderen reformatorischen Schriften. Dieses große Werk hat Calvin mit einem Schlag berühmt gemacht. Und hier stehen wir vor einem richtigen Wunder Gottes: Einer, der nie katholische Theologie studiert hatte, sondern Jurist war, wurde nicht nur so allgemein zum evangelischen Christen, sondern zu einem der drei Hauptreformatoren! Dieser Franzose hat die größte evangelische Dogmatik der Reformationszeit verfasst, die heute noch FEBRUAR 2017

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allgemeingültig ist und ihresgleichen sucht! Klare evangelische, biblische Botschaft – aus Juristenhand! Man kann dies nur ein Wunder nennen.

Johannes Calvin wird Reformator

stürmt hätte?! Hier hat Gott selbst zugegriffen, einen sehr Treuen in seinen Dienst gestellt!

Johannes Calvins erster Aufenthalt in Genf 1536 bis 1538

Bereits seit dem Frühjahr 1535 wurde in Genf Johannes Calvin war von Natur aus ein zu- reformatorisch, evangelisch gepredigt. Aber es rückhaltender, schüchterner Mensch, dem es war noch vieles im Umbruch, d. h. in Unordnie um seine Person ging. 1536 war es sein Plan, nung. Schon im Mai 1536, also bevor Calvin kam, nach Straßburg zu reisen, um war die Reformation durch Volksdort seine geliebten Jurastudien abstimmung eingeführt worden. fortzusetzen. Dabei wurde er unCalvin stand nun vor der Aufgaterwegs dazu gezwungen, einen be des Neubaus der Kirche und Umweg über Genf zu machen, der Gesellschaft vom Evangelium wo er nur eine Nacht verbringen her. Er begann seine Tätigkeit als wollte. theologischer Lehrer, hielt in der Die Stadt Genf war damals großen Peters-Kathedrale Genfs schon seit 1532 langsam für die Vorlesungen über die biblischen Reformation gewonnen worden. Bücher und predigte dort regelDie römische Messe war bereits mäßig. Allein in 15 Jahren hielt er abgeschafft, die Altäre, Bilder, 2300 Predigten.3 Aber zur ErneuKreuze, Kerzen usw. aus den Kirerung der Kirche und Gesellschaft chen entfernt, aber es gab noch gehörte eine Kirchenordnung zur keine richtige evangelische, d. h. Gestaltung der Kirche auf biblidem Evangelium entsprechende schen, vor allem neutestamentliOrdnung in der Stadt. Der from- Beseelt von unglaublichem chen Grundlagen. Dazu gehörten me und leidenschaftliche evange- Eifer für das Evangelium ebenso ein Bekenntnis und ein lische Prediger Wilhelm Farel, der brachte Wilhelm Farel Katechismus, der die Glaubensarbis dahin in Genf reformatorisch Johannes Calvin dazu, tikel verständlich zusammenfasste. gewirkt hatte, kannte bereits die in Genf zu bleiben und Und es gehörte dazu die Kirchen»Institutio« Calvins. Als er hörte, gemeinsam mit ihm die zucht, die, nach altkirchlichem dass deren Verfasser in Genf weil- Reformation zu festigen. Vorbild, u. a. das Abendmahl vor te, suchte er ihn sofort auf und Missbrauch schützen sollte. Viebeschwor ihn, in Genf zu bleiben und Farel bei len Genfern gingen Calvins und Farels Pläne zu der Festigung der Reformation zu helfen. Cal- weit. Der Kleine Rat stimmte nicht zu. Als Calvin vin lehnte jedoch ab, weil er sich für praktische und Farel sich nicht beugen wollten, wurden sie Gemeindearbeit nicht geeignet sah und lieber 1538 aus Genf vertrieben. seine Jurastudien fortsetzen wollte. Doch Farel setzte, von unglaublichem Eifer für das Evan- Johannes Calvin in Straßburg gelium beseelt, alle Hebel in Bewegung, um 1538 bis 1541 Calvin umzustimmen und zum Bleiben in Genf zu veranlassen. Unter der Androhung Farels, Es war Johannes Calvin im tiefsten Grunde Gott werde Calvins weitere Arbeit verfluchen, recht, von dem so schweren Auftrag der Festiwenn er Farel nicht beim Werk der Reformation gung und Fortführung der Reformation in dem helfen würde, erkannte der junge Calvin Gottes so schwierigen Genf entbunden zu sein. Und eindeutigen Ruf und gehorchte. So brachte er es war wieder Fügung, die ihn nach Straßburg gleichsam sein Herz dem Herrn zum Opfer dar, leitete. Denn dort gerade sollte der noch junwie es auch auf Calvins Wappen zu sehen ist. ge, erst 29 Jahre alte Jurist geistlich, theologisch Wahrhaftig, es war eine weltgeschichtliche Stun- und praktisch heranreifen, um zu einem der drei de in Genf, diese leidenschaftliche Begegnung Hauptreformatoren zu werden. Farels mit Calvin! Hier ist ein äußerst begabter, In Straßburg war bereits 1529 die römische hochintelligenter Mensch mit großartigem Ge- Messe abgeschafft worden. Es war schon eine dächtnis für das Evangelium, für den evange- evangelische, reformierte Stadt, die sich der relischen Glauben gewonnen worden! Was wäre formierten Schweiz seit Zwinglis Zeit und unter mit der Reformation geworden ohne Calvin? dessen Nachfolger Heinrich Bullinger verbunWas wäre gewesen, wenn Farel ihn nicht be- den wusste. Hier wirkte vor allem Martin Bucer, INFORMATIONSBRIEF 302

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In seiner Straßburger Zeit begegnete Johannes Calvin Martin Bucer und lernte bei ihm die verschiedensten Ämter in der Kirche kennen, die er später in Genf einrichten sollte. der später die Konfirmation in Hessen eingeführt hat. Calvin war damals durch die »Institutio« bereits wohlbekannt und hochgeehrt. Kaum war er in Straßburg, schon bat man ihn, Pfarrer der dortigen französischen reformierten Flüchtlingsgemeinde zu werden. Er legte in dieser Stadt den Römerbrief aus, nahm von Straßburg aus an den Religionsgesprächen in Frankfurt/Main, Hagenau, Worms und Regensburg teil. 1540 heiratete er die Witwe Idelette de

Bure. Aber das Wichtigste war: Er begegnete hier Martin Bucer und lernte bei ihm die verschiedensten Ämter in der Kirche kennen, die er später in Genf einrichten sollte: Die Ämter des Pastors, des Lehrers, des Presbyters und des Diakons. Er lernte den schlichten oberdeutschen evangelischen Gottesdienst und den Psalmengesang kennen und vieles, was später in Genf wertvoll werden sollte. So ist Calvin durch eine wunderbare Fügung nach Straßburg gekommen, um dort zum großen Reformator zu werden. W 1) Friedrich Wilhelm Kampschulte »Johann Calvin, seine Kirche und sein Staat in Genf«, Leipzig 1869 und 1899. 2) Literatur zu Calvin: Emanuel Stickelberger »Calvin. Eine Darstellung«, Stuttgart 1950; Reiner Rohloff »Calvin kennen lernen«, Göttingen 2008; Herman J. Selderhuis »Johannes Calvin. Mensch zwischen Zuversicht und Zweifel. Eine Biografie«, Gütersloh 2009; Christoph Strohm »Johannes Calvin. Leben und Werk des Reformators« (Beck’sche Reihe), München 2009; Christian Link »Johannes Calvin. Humanist, Reformator, Lehrer der Kirche«, Zürich 2009; Dieter Schneider »Johannes Calvin. Reformator für ein Leben im Glauben« Gießen, 2009; Hans Ulrich Reifler »Johannes Calvin. Nichts tröstet mächtiger«, Basel 2008 (eine Art Volksbuch mit vielen schönen Bildern); »Calvin. Das Magazin zum Calvin-Jahr 2009«, hrsg. vom Kirchenamt der EKD und dem Reformierten Bund, Frankfurt/Main o. J. [2009]. 3) Achim Detmers »38 Fragen und 38 Antworten. Der Mensch Calvin« (»Calvin. Das Magazin …« [s. Anm. 2], S. 7–17), S. 17.

Der zweite Teil von »Johannes Calvin – Leben und Werk« erscheint in Heft 303 im April 2017.

Aus Kirche und Gesellschaft Johannes Kuhlo –– der »blasende Volksmissionar« und »Spielmann Gottes« Manche wollen nicht mehr an ihn erinnern Im vergangenen Jahr hätten Kirche, Pietismus und Kirchenmusik des 160. Geburtstages und 75. Todestages von Johannes Kuhlo (1856–1941) gedenken können. Sie haben dies meines Wissens nicht in der ihm gebührenden Weise getan, sondern eher das Ansehen dieses, freilich mit Irrtümern behafteten, bedeutenden theologischen und kirchenmusikalischen Lehrers – bewusst – beschädigt. Bevor darauf eingegangen wird, sollen, damit überhaupt die Beschädigung recht erkannt werden kann, kurz dessen Lebensgang und Bedeutung für die Gemeinde benannt werden – ohne bereits wertend zu sein. 24

Geboren wurde Johannes Kuhlo im Pfarrhaus im westfälischen Gohfeld am 8. Oktober 1856. Sein Vater, Eduard Kuhlo (1822–1891), wird als der »Vater der Posaunenchöre« bezeichnet. Dessen geistliches und musikalisches Erbe setzte der aus der Ravensberger Erweckung kommende Johannes Kuhlo fort. Der überaus musikalische Johannes Kuhlo wurde unter dem Namen »Posaunengeneral« bekannt; sein Biograph Wilhelm Ehmann, der selbst im legendären Kuhlo-Sextett musizierte, nennt ihn »blasenden Volksmissionar« und »Spielmann Gottes« (Titel der Biographie: Johannes Kuhlo. Ein Spielmann Gottes, 1. Aufl. 1951, 5. Aufl. 1974). Johannes Kuhlo löste mit den Posaunenchören eine musikalische Laienbewegung aus, die das gemeindliche Leben überaus bereicherte. Lange blieben denn auch seine musikalischen Vorstellungen stilbildend, auch wenn sie später als eine FEBRUAR 2017

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Engführung betrachtet wurden: »instrumentale Nachahmung des Gesangs«, »Kuhlogriffe«, Flügelhornfamilie (Flügel- und Tenorhörner, Bariton und Tuben) wegen deren weichem Klang und der Annäherung an die menschliche Stimme, weshalb denn auch Choräle und Motetten bevorzugt waren. Jedenfalls trug Johannes Kuhlo ganz entschieden dazu bei, dass Posaunenchöre durch ihre vielfältigen Einsätze (etwa gottesdienstliches und diakonisches Blasen) eine wesentliche und andauernde Bereicherung des kirchlichen Lebens mit sich brachten. Dazu trug sicher seine hervorragende Stellung in der Posaunenarbeit bei: Er war der erste Reichsposaunenwart des Evangelischen Jungmännerwerks in Deutschland. Friedrich von Bodelschwingh d. Ä. (1831– 1910) berief den westfälischen Pfarrer, der zwischen 1875 und 1879 evangelische Theologie an den von Luthertum und Pietismus beeinflussten evangelischen Fakultäten von Halle, Leipzig und Erlangen studiert hatte, 1893 als Anstaltspfarrer und Leiter des Diakonenhauses »Nazareth« nach Bethel. Für Fridrich von Bodelschwingh und dessen jüngsten Sohn und Nachfolger in der »Stadt der Barmherzigkeit«, den »Pastor Fritz« (1877–1946) war Johannes Kuhlo ein guter Mitarbeiter. In Bethel in dieser Zeit ausgebildete Diakone waren denn auch immer wieder in der Posaunenarbeit tätig. Am 16. Mai 1941 ging Johannes Kuhlo in Bethel, wo er über viele Jahre Diakone ausgebildet hatte, im 85. Lebensjahr heim. All die Jahre war er, mit aufgrund eines vernünftigen Lebensstils und gesunder Nahrung, rüstig, so dass sein Sterben dann trotz des vorgerückten Alters überraschend kam. Eine an sich viele Früchte tragende und von Gott gesegnete Arbeit wird man ohne Übertreibung festhalten können. Dass in diesem langen Leben auch dunkle Flecken vorhanden sind, soll überhaupt nicht bestritten werden. Aber man muss Verhalten und Handeln immer, darin ist dem Münsteraner Kirchenhistoriker Kurt Aland (1915–1994) uneingeschränkt Recht zu geben, auch aus der jeweiligen Zeit zu erklären und verstehen suchen, damit diese überhaupt richtig zu verstehen und einzuordnen sind und beurteilt werden können. Johannes Kuhlo hatte, wie damals viele, eine patriotische Einstellung. Deshalb sah er für sich eine Affinität zum nationalsozialistischen Regime und war über Jahre, bis zu seinem Tod, Parteimitglied der NSDAP, die in Wirklichkeit nicht patriotisch eingestellt war, sondern dies nur vorgab. Johannes Kuhlo konnte sich in seiner ehrlich-naiven Art und seinem kindlichen Glauben wohl kaum vorstellen, INFORMATIONSBRIEF 302

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zu welcher Verstellung Ideologen fähig sind. Wird dies, und noch mehr seine segensreiche Arbeit in der Posaunenarbeit und in der Diakonenausbildung berücksichtigt, so mutet das, was in letzter Zeit unternommen wurde, doch, zurückhaltend ausgedrückt, recht seltsam an. Und zwar deshalb, weil damit eine Demontage des Christuszeugen und »blasenden Volksmissionars« (Ehmann) Johannes Kuhlo betrieben wird. Im Jahr 2015 hat anlässlich des 2019 bevorstehenden 25-jährigen Jubiläums des Evangelischen Posaunenwerks in Deutschland (EPiD) die evangelisch-theologische Fakultät der Universität Marburg zu einer Master- oder Doktorarbeit angeregt, »die als Schwerpunkt sein Wirken in der NS-Zeit behandelt«. Werden jedoch mit der Thematik »Johannes Kuhlo im dritten Reich« nicht ganz bewusst die acht Jahre (1933–1941) herausgehoben, die nicht zu seinen besten zählten? Über die Toten nur Gutes, lautet eine antike Weisheit, die zu beachten auch Christen nicht übel ansteht. Und zum andern: Über allem steht die Vergebung. »Die Liebe deckt der Sünden Menge« (1.Petrus 4,8). Einem Urteil Gottes vorzugreifen steht keinem Menschen zu. Gut, könnte man sagen, eine wissenschaftliche Arbeit ist ihrem Wesen nach bereits ausgewogen. Allzu viel (Vor)Verurteilung ist da nicht schon zu befürchten. 25


Im vergangen Sommer hat das Presbyterium der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde im Bielefelder Stadtteil Jöllenbeck beschlossen, ihr Gemeindezentrum nicht mehr länger »Johannes-Kuhlo-Haus« zu nennen. Bei seiner Einweihung 1978 war das Gemeindezentrum nach dem »Posaunengeneral« benannt worden. Damit sollten dessen Verdienste als »Initiator und entscheidender Förderer der evangelischen Posaunenbewegung in Deutschland« gewürdigt werden. Aber man könne nicht die Augen verschließen vor der »problematischen politischen Einstellung Johannes Kuhlos«, sei er doch bereits seit den frühen 1930er Jahren »ein Sympathisant der NS-Bewegung und glühender Anhänger Adolf Hitlers« gewesen. Nach dem Ersten Weltkrieg habe er immer wieder »in teils harschen Worten« gegen die früheren Kriegsgegner Deutschlands und der »Schmach des Versailler Vertrages gewettert«. In seinen politischen Stellungnahmen fänden sich »ein radikaler Antisozialismus« sowie »eine schroffe judenfeindliche Grundhaltung« und antisemitische Vorbehalte gegenüber jüdischstämmigen Menschen und dem »Judentum als Ganzem«. Zwar will das Presbyterium »kein abschließendes historisches Werturteil über die Person Kuhlos« sprechen, tut dies dann aber doch, wenn fortan das Gemeindehaus nur noch »Evangelisches Gemeindehaus Jöllenbeck« heißen soll, mit der Begründung, »nach heutiger Abwägung« könne er »nicht mehr als so deutliches Vorbild gelten, dass die unveränderte Namensgebung unseres heutigen Gemeindehauses noch gerechtfertigt ist«. Der an der Außenfassade angebrachte Name wird deshalb geändert. Im Eingangsbereich soll eine Tafel angebracht werden, die über die Geschichte Johannes Kuhlos und des Gemeindehauses informiert und die Gründe für die Namensänderung erklärt. Ein solches Verhalten könnte indes Schule machen und eine Sogwirkung entfalten. In Düsseldorf diskutiert eine Gemeinde inzwischen nämlich darüber, ob ihre Kirche weiterhin den Namen des Kriegsherren Gustav II. Adolf von Schweden (1594–1632), der am Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) beteiligt war, führen darf. Weitere könnten folgen. Es ist immer recht einfach, als Späterer das Verhalten Altvorderer zu verurteilen. Zudem: Selbstkritik steht einem meist nicht schlecht zu Gesicht. Doch mit eigenen Fehlern ist man oft großzügiger als mit denen Verstorbener, zumal dann, wenn sich diese nicht mehr wehren können. Doch mit derartigem Vorgehen wird ein großer Fehler gemacht. Christen sind und bleiben Sünder, aber gerechtfertigte. Vorbilder ohne Makel sind 26

sie daher nicht. Aber sie sind Vorbilder in dem Sinn: ihr Glaube hat sie trotz aller Fehler und Schwächen befähigt, Gutes zu bewirken. Das trifft für Johannes Kuhlo zu und selbst für den Schwedenkönig Gustav II. Adolf, der sie, daran sollten Protestanten denken, im Kampf gegen den Katholizismus gestärkt hat, eventuell sogar – historisch geurteilt – ganz entscheidend deren Untergang verhindern half. Nicht umsonst heißt das Diasporahilfswerk der evangelischen Kirche »Gustav-Adolf-Werk«. Oder wird bereits daran gedacht, auch dessen Namen zu ändern? (Quellen des Berichts: Evangelisches Gemeindelexikon, S. 319; Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde, Band 2, S. 1586; Die Religion in Geschichte und Gegenwart, RGG³, Band 4, Spalte 87; ideaSpektrum 28/2016 vom 13. Juli 2016, S. 32, West; ideaSpektrum 31/32/2016 vom 3. August 2016, S. 47, West)

Nord-Kirche führt »Homo-Segnung« ein Faktisch dürfte es sich jedoch bei dieser Segnung gleichgeschlechtlicher Partner in einem öffentlichen Gottesdienst um eine kirchliche Trauung Gleichgeschlechtlicher handeln. Denn gleichgeschlechtliche Partnerschaften werden nach der »Segnung« als Amtshandlungen in das Kirchenbuch eingetragen. Darauf hat auch der Vorsitzende der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis, Pastor Ulrich Rüß (Hamburg) hingewiesen: Mit der Bezeichnung »Segnung« statt »Trauung« wolle man die Konservativen beruhigen. Der Synodalbeschluss erfolgte mit großer Mehrheit: Es gab nur drei Gegenstimmen und fünf Enthaltungen. Der Lübecker Altbischof, Professor Ulrich Wilckens (88), schloss sich der ablehnenden Haltung der Kirchlichen Sammlung an. Eigenen Angabe zufolge hatte der Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern, Hans-Jürgen Abromeit (Greifswald), »große Bedenken« gegen die Segnung. Doch die Unterscheidung zwischen »Segnung« von Lebenspartnerschaften und »Trauung« von Ehepaaren habe ihm geholfen, dem Entwurf dann doch zuzustimmen. Von einer weiteren Entfremdung der Pietisten von der Nord-Kirche sprach der Vorsitzende des Mecklenburgischen Gemeinschaftsverbandes, Hartmut Zopf (Karchow). Pastor Johannes Holmer (Bülow), Konventsmitglied für Missionarische Gemeindearbeit in Mecklenburg-Vorpommern wertete den Beschluss als eine völlige Entmündigung der Gemeinde, da die Angelegenheit nur noch zwischen dem Pastor und dem zuständigen Propst entschieden werde. (Quellen der Nachricht: ideaSpektrum 40/2016 vom 6. Oktober 2016, S. 28f., Nord und Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg 41/2016 vom 9. Oktober 2016, S. 3, nach epd)

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Aus den Bekennenden Gemeinschaften Otto Schaude 72-jährig verstorben Die Evangelische Landeskirche in Württemberg und die pietistische Bewegung haben einen profilierten Pädagogen und Kirchenmann verloren: Otto Schaude (Eningen bei Reutlingen). Er verstarb bereits im Herbst vergangenen Jahres. 2010 wurde Schaude, der damals bereits im Ruhestand war, zum Bischof der EvangelischLutherischen Kirche Ural, Sibirien und Ferner Osten gewählt. Sie bildet das flächenmäßig größte Bistum der Welt und reicht vom Ural bis zum Pazifik. Ihre Fläche ist 40 Mal so groß wie Deutschland und erstreckt sich über neun Zeitzonen, hat aber nur etwa 5000 Mitglieder. Der von der Ulmer Alb stammende Bauernsohn war 1973 Mitbegründer und von 1975 bis 1991 Rektor der Freien Evangelischen Schule in

Reutlingen. Anschließend amtierte er bis zum Eintritt in den Ruhestand 2008 als Vorsitzender des Altpietistischen Gemeinschaftsverbandes (heute »Die Apis«). Von 1983 bis 2008 gehörte er der Landessynode an und war Sprecher des evangelikalen Gesprächskreises »Lebendige Gemeinde«. Dazu war er in mehreren synodalen Ausschüssen und im Beirat des Evangelischen Gemeindeblattes für Württemberg. Für sein umfangreiches Engagement erhielt er die höchste Auszeichnung der württembergischen Landeskirche, die silberne Johannes-Brenz-Medaille. (Quellen der Nachricht: ideaSpektrum 40/2016 vom 6. Oktober 2016, S. 32, Südwest und Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg 41/2016 vom 9. Oktober 2016, S. 9)

Aus der Bekenntnisbewegung Uwe Siemon-Netto wurde 80 Bereits Ende Oktober vergangenen Jahres konnte der Spitzenjournalist, lutherische Theologe und Buchautor Uwe Siemon-Netto (Laguna/Kalifornien) seinen 80. Geburtstag in körperlicher und geistig-seelischer Frische begehen. Seit 60 Jahren arbeitet er als Reporter und Kommentator für führende Presseorgane im Inund Ausland. Im Alter von 50 Jahren begann er in Chicago ein Theologiestudium und promovierte anschließend bei dem weltbekannten Religionssozilogen Peter L. Berger (Träger des Leopold Lucas Preises der Universität Tübingen). Seine Doktorarbeit »The Fabricated Luther« (Der erfundene Luther) gilt in den USA als Standardwerk über den Vorwurf, dass Luther den nationalsozialistischen Verbrechen den Weg geebnet habe. Siemon-Netto widerlegt diese These. Die deutsche Übersetzung erschien bereits in der dritten Auflage mit dem Titel »Luther, Lehrer des Widerstands«. 2006 gründete er das »Zentrum für Lutherische Theologie und Öffentliches Leben«. Im vergangenen Jahr sprach er bei einer Tagung der Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« zur politischen Ethik. (Quelle der Nachricht: ideaSpektrum 42/2016 vom 19. Oktober 2016, S. 33, Ost)

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Reformation –– eine bleibende Aufgabe Einladung zur Freizeit der Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« vom 18. bis 23. Juni 2017 im EC Begegnungs- und Bildungszentrum in Woltersdorf bei Berlin Liebe Freunde der Bekenntnisbewegung, herzliche Einladung zu einer Freizeit vom 18. bis 23. Juni 2017 zum Thema »Reformation – eine bleibende Aufgabe«. Die Freizeit beginnt am Sonntag um 17 Uhr mit einer Vorstellungsrunde und endet am Freitag um 10 Uhr nach dem Reisesegen. Reformation ist dem Duden nach eine Bewegung zur Erneuerung bzw. Umgestaltung der Kirche. Der Reformator Luther wollte keine Umgestaltung im heutigen Verständnis, sondern eine Rückbesinnung auf die Wurzeln der Kirche und stellte die im Laufe der von 14 Jahrhunderten dazugekommenen Kirchenlehren in Frage. An vier Tagen, gerahmt von Morgenlob und Abendgebet, wollen wir an den Vormittagen und Abenden aus den Briefen des Apostels Paulus schöpfen, über Luthers fünf Solas (allein) der Reformation referieren und darüber miteinander ins Gespräch kommen. Was feiern wir 2017? Die im Sinne Luthers nach 500 Jahren noch vielfach bestehende Trennung von der Lehre der römisch-katholischen Kirche oder die Existenz eines pluralisierten Christentums oder dass wir gerechtfertigt werden allein aus Gnade? Eine Gruppe von Referenten ist angefragt. Einige Rückmeldungen stehen zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Einladung aber noch aus. Zugesagt hat u. a. Pfarrer Johannes Frey aus Stuhr bei Bremen. Der zeitliche Ablauf der Freizeit, alle Anreiseinformationen und die Namen aller Referenten geht allen Teilnehmenden Mitte Mai 2017 per Post zu.

Unterkunft

Tagungs- und Freizeitort ist das barrierefreie Begegnungs- und Bildungszentrum (BuB) des EC in Woltersdorf bei Berlin, siehe www.ec-bub. de. Der nächstgelegene Fernbahnhof ist Erkner. Transfer zum BuB per Taxi oder vom Hauptbahnhof mit der S-Bahn bis Rahnsdorf und dann mit der Straßenbahn 87 nach Woltersdorf. Alle Zimmer haben Dusche/WC und manche 28

Seeblick. Der Grüne Saal steht uns für Referate und Andachten ebenso zur alleinigen Verfügung wie drei Räume für Kleingruppenarbeit und die Lutherstube für eine abendliche Hocketse. Umgeben von Wäldern und Seen bieten sich vielfältige Wanderwege (und Cafés) zur Eigenerkundung anstelle des offiziellen Nachmittagsprogramms an.

Programm

Im Angebot enthalten sind: WW ein Ausflug in den benachbarten Museums­ park Rüdersdorf, dem Ort, der einst den Zement für die Berliner Mauer lieferte; WW eine Schifffahrt über die Gewässer rund um Woltersdorf; WW den Spuren des lutherischen Liederdichters Paul Gerhardt folgend, eine Busfahrt ins Zentrum des historischen Berlin zu der nach dem 2. Weltkrieg wieder aufgebauten Nikolaikirche, einst Wirkungsstätte Gerhardts, heute Stadtmuseum. Führung u. a. durch den Kurator der Nikolaikirche, Albrecht Henkys; WW eine Busfahrt nach Mittenwalde zur Moritzkirche, der ersten Wirkungsstätte Paul Gerhardts. Führung durch Pfarrer Kurz.

Kosten

Die Kosten für die Freizeit betragen im Einzelzimmer 480 Euro, im Zweibettzimmer 430 Euro pro Person und beinhalten Unterkunft (Zimmer mit Dusche/WC), Vollverpflegung, das Vortragsprogramm und die nachmittäglichen Ausflüge, inkl. aller Eintritte und Führungsentgelte.

Anmeldung

Buchung bei Matthias Jaglitz Alter Schulweg 1 49774 Lähden Telefon: (05964) 959160 Fax: (05964) 959159 oder E-Mail: matthias.jaglitz@ewe.net FEBRUAR 2017

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Buchrezensionen Kleinschrifttum Georg Güntsch Miteinander vor Gott Geschichten und Gedanken zum Sonntagsgottesdienst 1. Es geht um die Erinnerung an die Taufe (Wer da glaubt und getauft wird, der wird gerettet), um die Kennzeichnung durch das Kreuzeszeichen an der Stirn (Christuserkenntnis), an dem Mund (Christusbekenntnis), an der Brust (Christus im Herzen). Jeweils am Schluss steht eine weiterführende Anregung. 2. Wir bitten um Gottes Erbarmen nach dem Bekenntnis der Schuld. Gott nimmt uns an. Kyrieleison! Im heiligen Abendmahl geschieht Anbetung des gegenwärtigen Christus. In den gesegneten Gaben kommt er zu uns. 3. Gottes Wort hören. Wir überwinden die Einsamkeit und erwarten das Mut machende, Kraft schenkende, einladende Wort. In ihm empfangen wir Gnade und Hilfe, Lehre und Trost. 4. Nun ist groß Fried ohn’ Unterlass. Kampf gegen Misstrauen, Zorn, Hass, Feindschaft, Gemeinschaft des Altars. 5. Vor allen Dingen beten wir. Mit dem richtigen Ansatz werden wir missionarisch und diakonisch. Fürbitte für alle Menschen ist priesterlicher Dienst. Fürbitte für die Kranken, die Enttäuschten, die Ungeduldigen. Kranke sind angewiesen auf fachkundige und einfühlsame Menschen. 6. Wir feiern das große Geheimnis, das Fest der Gegenwart Christi. Die Liturgie des heiligen Abendmahls umfängt uns, Christus begegnet uns in Epiklese (Anrufung. In der Liturgie das Gebet zum Heiligen Geist, der durch sein Herabkommen Brot und Wein in Leib und Blut Christi verwandeln soll) und Anamnese (Wiedererinnerung. Die Wiederholung der Einsetzungsworte Jesu beim Abendmahl), im gemeinsamen Vaterunser. Das Abendmahl ist wie ein wärmendes Zimmer, eine wertvolle Kette, eine heilige Arznei, ein faszinierendes Kunstwerk, ein rauschendes Fest, wie tägliche Nahrung. 7. Gesegnet ein Segen sein. In jedem Gottesdienst werden wir gesegnet, mit dem Kanzelsegen (der Friede Gottes), dem Taufsegen, INFORMATIONSBRIEF 302

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dem aaronitischen Segen. Wir brauchen alle Gottes wegweisendes Wort; wir leben vom Segen. Georg Güntsch ist Pfarrer und Dekan in der Evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern. Martin A. Bartholomäus Georg Güntsch Miteinander vor Gott Geschichten und Gedanken zum Sonntagsgottesdienst 2. überarbeitete Auflage, Neuendettelsau 2001 Freimund Verlag, 52 Seiten ISBN 3772602142

Werner Neuer Heil in allen Weltreligionen? Das Verständnis von Offenbarung und Heil in der pluralistischen Religionstheologie John Hicks Was der Autor der Studie als Frage formuliert, bejaht John Hick (geb. 1922). Werner Neuer (geb. 1951), Dozent für Systematische Theologie am Theologischen Seminar St. Chrischona und, wie er mit dieser Arbeit belegt, nicht allein ausgewiesener Kenner Adolf Schlatters (1852–1938), widerspricht dem begründet. Dabei zeichnet das Urteil Neuers sowohl Klarheit als auch Differenziertheit und Fairness aus, die er John Hick entgegenbringt; verurteilt wird Hick von Neuer nicht. Macht es sich Werner Neuer nicht einfach, sein Ergebnis, nämlich die Ablehnung der Position Hicks zu formulieren, so kann auch gegenüber Hick, will man ihm gegenüber ehrlich sein, nicht der Vorwurf erhoben werden, er vertrete seine Position einfach, 29


um im westlichen Mainstream zu schwimmen und anzukommen. Der englische Theologe und Religionswissenschaftler ist vielmehr ehrlich von der Position pluralistischer Religionstheologie überzeugt und hat nicht allein als deren maßgeblicher Vertreter, sondern gewissermaßen als deren (Mit)Begründer zu gelten. An sich ist John Hick eine wahrlich tragische Gestalt, entwickelte er sich doch vom orthodox-gläubigen zum liberalen Theologen und zwar in ganz wesentlichem Maße nicht aufgrund strenger theologischer und religionswissenschaftlicher Forschungen, sondern durch die Begegnung mit fremdreligiösen Vertretern, so dass sich gerade seine pluralistische Religionstheologie nicht seiner Forschungsarbeit verdankt, sondern existenziellen Erfahrungen in Begegnung und Umgang mit Vertretern nichtchristlicher Religionen. Diese positiven Erfahrungen sind für ihn bei seiner weiteren Beschäftigung mit nichtchristlichen Religionen leitend und geben ihm Weg und Ziel vor. Diese enge Bindung seiner Lehre an seine Erfahrung hat Werner Neuer herausgearbeitet. Indes entschuldigt dieses tragisch zu nennende Ergehen keineswegs seine Wirkung, die in jedem Fall als desaströs zu betrachten ist. Schließlich geht es um nicht weniger als um das Heil der Menschen. Am Unheil derer, die auf die Schalmeienklänge, alle erlangten ja doch das Heil, hereinfallen und in Wahrheit Unheil ererben, haben John Hick und

seine Epigonen Anteil. Darin, dass diese Zusammenhänge die Lektüre der Studie von Werner Neuer aufzuzeigen vermag, liegt deren großes Verdienst. Mit seinem überaus lesenswerten Buch zeigt Werner Neuer überdies, dass nicht einfache theologische Gedankengänge und Zusammenhänge so dargestellt werden können, dass interessierte »Laien«, die über theologisches Grundwissen verfügen, das, was Werner Neuer sagen will, zu verstehen in der Lage sind. Er hat dankenswerterweise sein Buch für Christenmenschen ganz allgemein geschrieben (zudem nach der »alten« Rechtschreibung) und nicht für eine kleine theologische Fachwelt, so dass er ganz bewusst auf eine kaum verständliche esoterisch anmutende Fachsprache verzichten kann. Dennoch erfordert die Lektüre Gedankenarbeit, für die der Leser aber reichlich entlohnt wird. Walter Rominger Werner Neuer Heil in allen Weltreligionen? Das Verständnis von Offenbarung und Heil in der pluralistischen Religionstheologie John Hicks Gießen und Neuendettelsau 2009 Brunnen-Verlag und Freimund-Verlag gebunden 315 Seiten, 29,95 Euro ISBN Brunnen-Verlag 978-3-7655-1755-6 ISBN Freimund-Verlag 978-3-86540-074-1

Liebe Leserinnen und Leser, Mitschnitte der beiden Vorträge, die Uwe Siemon-Netto am 10. September 2016 bei der Bekenntnis­bewegung hielt, sind nun auf CD erhältlich. Diese kann gegen eine Spende bei Helmut Schlee (Anschrift siehe Seite 31) bezogen werden.

Mitarbeiter an diesem Heft: Pfarrer i. R. Martin A. Bartholomäus Föhrenstraße 11 91564 Neuendettelsau Telefon (09874) 4270

Pfarrer Dr. Werner Neuer Theologisches Seminar St. Chrischona Chrischonarain 200 CH-4126 Bettingen (bei Basel)

Pfarrer Johannes Frey Ofener Weg 4 28816 Stuhr Telefon (0421) 5228910 E-Mail: johannes.frey@kabelmail.de

Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (07431) 74485 E-Mail: w.rominger@t-online.de

Propst Gert Kelter Carl-von-Ossietzky-Straße 31 02826 Görlitz

Professor Dr. Günter Rudolf Schmidt Schinnerer Straße 11 91065 Erlangen Telefon und Fax (09131) 41793 E-Mail: guerusch@t-online.de Professor Dr. Reinhard Slenczka, D. D. Spardorfer Straße 47 91054 Erlangen Telefon und Fax (09131) 24139 E-Mail: Grslenczka@aol.com

Für den Inhalt der Artikel sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Die Meinung des Verfassers deckt sich nicht in allen Fällen mit der des Schriftleiters.

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Weitere Exemplare des Informationsbriefes für Juli 2013, Heft 279 und für Juli 2014, Heft 286 sowie die Traktate »Falsche Propheten sind unter uns«, »Ist Gott interreligiös?«, »Gemeinsame Feier des Reformations­ jubiläums 2017?« sowie der Sonderdruck »Gleichgeschlechtliche Beziehungen im evangelischen Pfarrhaus?« können –– auch in größerer Stückzahl –– bei der Geschäftsstelle bestellt werden. Geschäftsführender Ausschuss Vorsitzender Pfarrer Johannes Frey Ofener Weg 3 28816 Stuhr Telefon (04 21) 5 22 89 10 E-Mail: johannes.frey@kabelmail.de Schriftführer Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (0 74 31) 7 44 85 E-Mail: w.rominger@t-online.de Kassenwart Hans Lauffer Osterstraße 25 70794 Filderstadt Telefon (0 71 58) 48 31 Fax (0 71 58) 94 78 73 E-Mail: hans.lauffer@t-online.de

Weitere Mitglieder des Geschäftsführenden Ausschusses Gabriele Reimer Beurhausstraße 31 44137 Dortmund Telefon (02 31) 5 84 46 96 Fax (02 31) 5 89 36 37 E-Mail: Gabriele.Reimer@gmx.de Martin Schunn Hölderlinstraße 9 75334 Straubenhardt Telefon (0 70 82) 2 02 75 E-Mail: cmschunn@gmail.com Helmut Schlee Gartenstraße 15 a 47506 Neukirchen-Vluyn Telefon (0 28 45) 9 49 09 50 E-Mail: HelmutSchlee@gmx.de

Mit Fragen bezüglich der Spendenbescheinigungen wenden Sie sich bitte an unseren ­Kassenwart Hans Lauffer. Sie erreichen ihn telefonisch unter (0 71 58) 48 31, per Fax 94 78 73 oder per E-Mail hans.lauffer@t-online.de Bankkonten Volksbank Filder e. G., (BLZ 611 616 96) Konto-Nr. 65 500 016 IBAN DE34 6116 1696 0065 5000 16 BIC (SWIFT)-Code: GENO DE S1 NHB Postgirokonto Schweiz: Postgiroamt Bern Nr. 30-195 56-2 IBAN CH21 0900 0000 3001 9556 2 BIC POFICHBEXXX

Bitte nutzen Sie nur noch Einzahlungsscheine ab Heft April 2016.

Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« e. V. Geschäftsstelle: Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (07431) 74485 E-Mail: w.rominger@t-online.de www.keinanderesevangelium.de

Impressum: Herausgeber und Verlag: Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« e. V. – zweimonatlich, kostenlos – Redaktion: Walter Rominger Satz und Layout: Grafisches Atelier Arnold, Dettingen an der Erms Druck: BasseDruck, Hagen ISSN 1618-8306 Fotos/Abb. auf Seite: 2: Kirchenbezirk Wertheim, Simone Habiger; FeG Marburg | 3: Belser Verlag | 4: l: Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0, Gabriel Cork; m: Albrecht-Bengel-Haus; r: Vollrath-Pressebild Hans-Jürgen Vollrath (DJV) | 5, 25: Wikimedia Commons, gemeinfrei | 21, 23, 24: Wikimedia Commons, public domain | 27: life touch®, Uwe Siemon-Netto | 28: EC Begegnungs- und Bildungszentrum Woltersdorf | 29: Freimund-Verlag | restliche privat.

Nachsendeanträge bei der Post kommen bei der Bekenntnisbewegung nicht als Adressänderung an. Deshalb auch bei Umzügen die Adressänderung durch untenstehenden Abschnitt an die Geschäftsstelle weitergeben. Für Neubestellung, Adressänderung und Abbestellung ausschneiden und einsenden an: Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« Geschäftsstelle: Mehlbaumstraße 148, 72458 Albstadt

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Herr Jesus, du bist meine Gerechtigkeit, ich aber bin deine SĂźnde, du hast, was mein ist angenommen und mir gegeben, was dein ist. Was du nicht warst, nahmst du an und gabst mir, was ich nicht war. Martin Luther


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