Informationsbrief Oktober 2017

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Aus dem Inhalt

Neues aus Kirche und Welt Aus Lehre und Verkündigung Gedanken zum Reformationstag 2017 Reformationsjubiläum 2017 – was bleibt? Der mächtige Geist der Digitalisierung Betrachtungen auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2017 Thomas Müntzer – Revolution statt Reformation Aus Kirche und Gesellschaft Aus den Bekennenden Gemeinschaften Buchrezensionen

ISSN 1618-8306

Oktober 2017 Nr. 306

Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium«


kurz+bündig Personen Württembergischer Prälat Hege wurde 100

Das ist bis jetzt einmalig gewesen: Der frühere Heil­ bronner Prälat (1959–1985, ab 1969 Stellvertreter des ­württembergischen Landes­ bischofs) Albrecht Hege, konnte seinen 100. Geburtstag begehen. Der in Karlsruhe geborene Hege promovierte 1939 in Tü­ bingen und war nach dem Krieg Pfarrvikar und Stiftsrepetent, bevor er von 1947 an Pfarrer in Ingelfingen (Hohenlohe) wurde. 1953 wurde er der erste württembergische Landespfar­ rer für kirchliche Bauernarbeit an der Ländlichen Heimvolks­ hochschule in WaldenburgHohebuch, welche sein Vater gegründet hatte. Überzeugter Christ und ­Fachmann für Ökologie: ­ Rudolf Kring wurde 80

»Die Grünen« betrachten sich gern als Naturschützer und Ökospezialisten, ohne dies faktisch zu sein und nachhaltig zu wirken. Dies kann vielmehr und mit Recht Rudolf Kring (Lich/Mittelhessen) für sich reklamieren, der dem Pietismus zuzurechnen ist. Der in Siegen geborene Kring, der inzwischen 80 Jahre alt ist, gilt als Experte für gesunde Ernährung und Umweltschutz (vgl. seine achtbändige Reihe: »Gesund und fit«, ERF-Verlag Südtirol). 1988 deckte Kring den Östro­ genskandal in der Kälbermast auf. 28 Jahre bewirtschaftete er 2

einen Hof nach ökologischen Richtlinien in Frankenberg/ Eder. Heute engagiert er sich im Seniorenrat der Stadt Lich und beim Gideonbund, ist als Imker tätig und an der Schule für christliche Naturheilkunde (Kandern/Südbaden). Seit 56 Jahren ist er verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Gerhard Ulrichs 80

Seit mehr als vier Jahrzehn­ ten setzt sich der inzwischen 80-jährige Oberstudienrat i. R. Gerhard K. Ulrichs (Han­ noversch Münden bei Kassel) für bibeltreue Gemeinden und Hochschulen ein. Er war von 1984 bis 2007 Gründer und Vorsitzender der »Initiative für bibeltreue Hochschulen«. Einige Jahre war Ulrichs auch Mitglied im Bundesarbeits­ kreis (BAK) der Bekenntnisbe­ wegung »Kein anderes Evan­ gelium«. Ehren­ doktor für ortho­ doxen Patriarchen

Das Ehrenober­ haupt der orthodoxen Weltkirche, Patriarch Bartholomäus I., hat die theologische Ehrendok­ torwürde der Eberhard-KarlsUniversität Tübingen erhalten. Manfred Bittighofer wurde 75

Der frühere Pfarrer der Stuttgarter Stiftskirche (Nach­ folger von Konrad Eißler) und

ehemalige ehrenamtliche Vorsitzende des GustavAdolf-Werks in Württemberg (1986–2002), Manfred Bittighofer, wurde 75. Der 1942 in Pforzheim geborene Bittighofer war zuvor ab 1964 Missionsinspektor und Leiter der Evangelischen Missions­ schule der Bahnauer Bruder­ schaft in Unterweissach und anschließend beim Amt für Missionarische Dienste.

Kirche in Deutschland Württemberg: Geschäfts­ führer des evangelischen Bauernwerks entlassen

Überraschende Verset­ zungen von Pfarrern in den Wartestand hat es so gut wie in allen Landeskirchen schon gegeben. Nun hat das evange­ lische Bauernwerk in Würt­ temberg seinen seit 1991 täti­ gen Geschäftsführer Clemens Dirscherl (58) entlassen. Die Kündigung sei »sehr plötzlich und überraschend« erfolgt. Unterschiedliche Auffassun­ gen über die Leitungsstruk­ turen hätten die Trennung herbeigeführt. Außer der Geschäftsführung des Vereins sollte er auch noch zusätzlich die Leitung der Heimvolks­ hochschule übernehmen. Das habe er auch übergangsweise getan, jedoch wegen zeitli­ cher Überlastung das Zusatz­ amt nicht auf Dauer besetzen wollen. Seit 2004 ist Dirscherl Beauftragter für agrarsoziale Fragen des Rates der EKD; dieses Ehrenamt will er weiter behalten.

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Freikirchen Ehrendoktor für SELKPfarrer

Dem Ber­ liner Pfarrer Gottfried Martens (54) von der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kir­ che (SELK) ist in den USA vom Theologischen Seminar Con­ cordia in Fort Wayne (Bundes­ staat Indiana) die theologische Ehrendoktorwürde verliehen worden. Martens ist über seine eigene Dreieinigkeitskirche im Berliner Stadtteil Steglitz hinaus bekannt für seine missionari­ sche Arbeit unter Flüchtlingen. Mehr als 1000 hat er bereits getauft.

Vereinigung ­Evangelischer Freikirchen hat neue Spitze An der Spitze der Vereini­ gung Evangelischer Freikirchen hat es einen Wechsel gege­ ben. Neuer Präsident ist der Generalsekretär des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (Baptisten- und Brüdergemeinden), Christoph Stiba. Er wurde zum Nach­ folger von Ansgar Hörsting, dem Präses des Bundes Freier evangelischer Gemeinden ge­ wählt. Hörsting war sechs Jahre Präsident. Stibas Stellvertreter ist der Präses der (gemäßig­ ten Pfingstkirche) Gemeinde Gottes, Marc Brenner. Er folgt auf die ehemalige Bischöfin der

Methodistenkirche, Rosemarie Wenner. Neu in den Vorstand gewählt wurden der neue Bischof der Evangelisch-methodistischen Kirche, Harald Rückert, so­ wie der im Hauptquartier der Heilsarmee tätige Major Frank Honsberg (Köln). Als Vorstands­ mitglied bestätigt wurde der Vizepräses des Bundes Freikirch­ licher Pfingstgemeinden, Frank Uphoff (München).

kurz+bündig

Personen +++ Kirchen +++ Glauben +++ »Modernes Leben«

Evangelikale Neuer Beauftragter der EEA bei EU

Der Niederländer Arie de Pater ist neuer Beauftragter der Europäischen Evangelischen ­Allianz (EEA) bei der Europäi­ schen Union (EU).

Erweckungsprediger Louis Harms SELK-Pastor gibt bislang unveröffentlichte Predigten ­heraus

Eine Sammlung von 79 bisher unveröffentlichter Predigten des Erweckungspredigers der Lünebur­ ger Heide, Ludwig (Louis) Harms (1808–1865), hat der emeritierte Pastor der SELK, Hartwig Harms (Hermannsburg), unter dem Titel: »Aus der Predigtwerkstatt von Pas­ tor Louis Harms« herausgegeben. Hartwig Harms ist ein Nachfahre von Ludwig Harms’ Bru­ der Theodor (1818–1885). Der württembergische Dichter Ludwig Uhland (1787–1862) bezeichnete Louis Harms als den volkstümlichsten Prediger seit Martin Luther. www.ludwig-harms-haus.de


kurz+bündig Er folgte auf Christel ­ gnambi. Er hat mehr als N 15 Jahre als Anwalt für ­Glaubens- und Religionsfreiheit auf nationaler und internatio­ naler Ebene gearbeitet. Zwölf Jahre war er juristischer Direk­ tor von »Open Doors«.

temberg ist Diakon Michael Proß (40). Er folgte auf Diakon Ulrich Hirsch (64), der im Som­ mer in den Ruhestand getreten ist.

dass Juden in Deutschland An­ tisemitismus unter Muslimen als immer größeres Problem sehen. Gefordert wird ein Gesamtkon­ zept gegen Antisemitismus.

Kirchliche Publizistik

Islam

Westfälischer Gemeinschafts­ Roland Velten vom epd † verband: Eine Frau folgt auf Der ehemalige Chefredakteur den Inspektor der Nachrichtenagentur Evange­

Die Gemeinschaftspastorin Petra Müller hat beim Westfä­ lischen Gemeinschaftsverband (85 Gemeinschaften mit regel­ mäßig 3100 Besuchern) am 1. September die Nachfolge von Michael Stahl angetreten, der in den Verband der Gemeinschaf­ ten in der Evangelischen Kirche in Schleswig-Holstein gewech­ selt ist. Müller hat den Titel »Leitende Referentin«. Ihre Ausbildung erhielt sie im Aid­ linger Diakonissenmutterhaus und war dann in verschiedenen Kirchengemeinden der würt­ tembergischen Landeskirche, im Evangelischen Jugendwerk und im CVJM-Landesverband Württemberg sowie als Praxis­ dozentin in der Missionsschule in Unterweissach tätig. Dem Verband steht ein weiterer Wechsel bevor: Der Vorsitzen­ de, Pfarrer Dirk Scheuermann, hat angekündigt, sein Amt spätestens im Februar 2018 abzugeben, um einen Generati­ onswechsel zu ermöglichen.

Diaspora Wechsel beim Gustav-AdolfWerk in Württemberg

Neuer Geschäftsführer des Gustav-Adolf-Werks in Würt­ 4

Über 10 000 Salafisten

Über 10 000 Salafisten leben in Deutschland. Beim Salafis­ mus handelt es sich um eine islamisch-fundamentalistische Strömung. Zwar sind nicht alle Salafisten Terroristen, aber fast alle muslimischen Gewalttäter sind salafistisch geprägt.

lischer Pressedienst (epd) Würt­ temberg, Roland Velten, ist im Alter von 79 Jahren verstorben. Velten war bis zum Ruhestand 2001 fast 13 Jahre Redaktions­ chef in Stuttgart. Ehe er 1988 die Leitung des epd-Landesdienstes Württem­berg übernahm, war er Boko Haram: gehäuft Kinder dpa-Nachrichtenredakteur und bei als Selbstmordattentäter der Deutschen Bibelgesellschaft. Die radikal-islamische Ter­ rormiliz Boko Haram setzt in Lutherisches Verlagshaus den Ländern um den Tschad­ geschlossen see immer häufiger Kinder als Das Lutherische Verlagshaus Selbstmordattentäter ein. Ihre in Hannover ist Ende Juni im Zahl habe sich in den ersten Rahmen eines Insolvenzver­ drei Monaten dieses Jahres auf fahrens geschlossen worden. 27 verdreifacht, teilte das UNDie Evangelische Zeitung für Kinderhilfswerk Unicef mit. Niedersachsen wird jetzt von Dies entspreche fast der Zahl Hamburg aus gestaltet. Das des gesamten Jahres 2016. Arbeitsverhältnis von zuletzt Die Region um den Tschadsee drei Mitarbeitern wurde eben­ umfasst die vier afrikanischen falls beendet. Vor zwei Jahren Länder Niger, Nigeria, Tschad hatte die hannoversche Landes­ und Kamerun. kirche das Verlagshaus an den Evangelischen Presseverband Wieder Anschlag auf Kopten Norddeutschland verkauft, der Bei einem erneuten schweren die Evangelische Zeitung mit Anschlag von IS-Terroristen auf verschiedenen Regionalausga­ koptische Christen sind mindes­ ben herausgibt. tens 28 Kopten getötet worden und 27 teils schwer verletzt. Sie waren in einem Bus unterwegs Judentum zum Kloster Aubu, etwa 250 Kilometer südlich von Kairo. Juden sehen sich bedroht Bereits am Palmsonntag hatte es Aus der Mitteilung einer Ex­ einen Anschlag auf Kopten mit pertenkommission geht hervor, 45 Toten gegeben. OKTOBER 2017

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Aus Lehre und Verkündigung mm Das Gesetz ist das Licht des Mondes; aber Christus ist die wahr­ haftige Sonne. Sein Wort muss man ins Herz scheinen lassen. Es ist die rechte Straße ins ewige Leben. Christus rühmt sich, dass er allen das Licht der Welt sei. Martin Luther

mm Gott will keine faulen Müßiggänger haben, sondern man soll treulich und fleißig arbeiten, ein jeglicher nach seinem Beruf und Amt, dann will er den Segen und das Gedei­ hen dazu geben. Martin Luther m (Auslegung von m Psalm 147,3)

mm Noch niemals hat das Wort der Gottse­ ligkeit ohne Unruhe, Lärmen und Gefahr gehandelt werden können. […] Es ist ein Krieg des Herrn, der nicht gekommen ist, Frieden zu senden. Du hüte dich daher, dass du nicht hoffst, dass Christus auf Erden mit Frieden und Annehmlichkeit gefördert werde, da du siehst, dass er mit seinem eigenen Blut ge­ kämpft habe, und nach ihm alle Märtyrer. Martin Luther m (Brief an Georg Spalatin vom 14. Februar 1520)

mm Es ist mit der Seele wie mit unserem Körper. Sie hat eine Zun­ ge und einen Magen. Der Zunge gefällt das Bittere nicht, aber dem Magen ist es heilsam und gesund; und was den Magen verdirbt, gefällt der Zunge wohl. Es ist aber eine alte Sage, dass die Wahrheit nicht süß sei.

mm Willst du sicher fahren und Gott m recht ergreifen, dass du Gnade und m Hilfe bei ihm findest, so lass dir nicht m einreden, dass du ihn anderswo m suchst, denn in dem Herrn Christus. m An Christus fange deine Kunst und m Studieren an, da lass sie auch m bleiben und haften.

Matthias Claudius

Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf, Bekenntnis zu m Jesus Christus nach dem Johannesevangelium

mm Viele weltlich eingestellte Menschen haben ihn bis aufs Bitterste gehasst. […] Weil die Krankheiten so groß sind, hat Gott diesem letzten Zeitalter einen scharfen Arzt gegeben.

mm Die Bibel deckt uns mit einem Rea­ lismus ohnegleichen den Untergrund unseres Herzens und den Hintergrund unserer Geschichte auf. Glauben heißt Herrschaftswechsel.

mm Die Verunsicherung über die Inhalte des christlichen Glaubens gerade auch in der Pfarrerschaft ist eine Lebensfrage der evangelischen Kirche geworden. […] Eine Kirche, die ihrer eigenen Sache nicht mehr gewiss ist, kann nur noch unter­ gehen.

mm Wenn wir von Jesus Christus reden, dann reden wir nicht von einem Helden, der sich aufgemacht hat, die Menschheit zu befreien und sie von den gewaltigen Nöten der Armut und der politischen Unterdrückung zu erlösen. Jesus Christus ist der, der sich in das alles hineingeopfert hat, in die ganzen Abgründe des Menschen­ lebens und der Menschennot.

Philipp Melanchthon m (aus seiner Rede anlässlich der Bestattung Martin Luthers, † 18. Februar 1546)

Wolfhart Pannenberg

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Karl Hartenstein

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Zum Reformationstag 2017 Bernhard Bonkhoff »Du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet.« Dieses Wort, liebe Christen, ist ein Jesuswort. Dieses steht aber nicht in einem der vier Evange­ lien. Es ist ein Wort des erhöhten Christus vom Himmel her, aufgezeichnet von Johannes, dem Lieblingsjünger des Herrn, in der Offenbarung Johannis, Kapitel 2, Vers 8. Dieses Wort ist der Kirche von Philadelphia gesagt, e­ iner der sieben Kirchengemeinden in ­Kleinasien. Du, christliche Gemeinde, du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet! Welche Kirche hat Zukunft? Nicht die Kirche, welche die Zukunft immer im Munde führt und die sich selbst ins Schaufenster dieser Welt stellt, um sich anzubiedern. Nicht die Großorgani­ sation mit hierarchischer Gliederung von Präsi­

Bernhard Bonkhoff Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30

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denten und Bischöfen, Ober- und »Unterkir­ chenräten«, Prälaten und Dekanen, Pfarrern und Prädikanten, nicht die Kirche mit Rangord­ nungen von oben und unten, in welcher Jesus keinen Platz hat und auch keinen Platz will. ­Einer ist euer Meister, ihr aber seid alle Brüder! Seine Kirche ist keine Organisation, sondern ein lebendiger Organismus, ein lebendiger Leib. Er das Haupt und wir die Glieder. Es ist die Kirche mit der kleinen Kraft, die aber eines hat: Du hast mein Wort bewahrt! Du hast meinen Namen nicht verleugnet! Ein Menschenalter nach Luthers Tod wurde in der Stadtkirche St. Peter und Paul in Weimar ein dreiflügliger Luther-Altar aufgestellt, ein­ drucksvoll bemalt mit drei Portraitbildern des Reformators. Links: Der katholische Luther, der Mönch in seiner Kutte, rechts: der junge Re­ formator mit Bart, wie er auf der Wartburg das Neue Testament ins Deutsche übersetzt. Gerade dadurch, indem er den griechischen Urtext ins Deutsche übersetzt, hat er das Wort des Herrn bewahrt. Wir können es niemals bewahren, die­ ses lebendige Wort, indem wir es einsperren in Bücher und in Tresore, in heilige Räume und heilige Zeiten. Es will gehört und beherzigt und getan werden, das Wort des Herrn. Und in der Mitte ganz groß der alte Luther, der Lehrer der Kirche, der Hirte seiner Herde, der die Herde mit dem Wort weidet und immer noch guter OKTOBER 2017

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Hoffnung ist, dass die nach Reformation drän­ gende spätmittelalterliche Kirche ihre Vorbehal­ te überwindet und den erneuernden Strom des Wortes Gottes in sich wirken lässt. Martin Lu­ ther wollte niemals eine eigene Kirche gründen oder die vorhandene Kirche spalten. Sie hatte ihn berufen. Sie hatte ihm das Amt des Profes­ sors übertragen. Er hatte nur getan, was seines Amtes war. Er war keiner, der eigene Ehre für sich suchte. Luther hat es stets abgelehnt, die Kirche nach seinem Namen zu nennen, wie es seine Gegner von Anfang an taten und wie es seine Anhänger gegen seinen Willen dann über­ nahmen. Luther hätte sich gewehrt, wenn man ihm Altarbilder gemalt und Altäre gesetzt hätte. Aber was kann man tun, wenn die Nachkom­ men einen Ahnenkult beginnen, wenn der gro­ ße Ahne verstorben ist! Wir würden es uns zu einfach machen, wenn wir auf die Frage nach der Zukunft der Kirche eine Antwort nach Art dieses Weimarer Altar­ bildes gäben. Als institutionalisierter Kirche ge­ hört voraussichtlich der römisch-katholischen die Zukunft. Deshalb dürfte sich Luther zum jungen Luther im Kloster »zurückentwickeln«, als er noch treues Glied der spätmittelalterli­ chen Kirche war. Und die Forschung wird dann he­ rausfinden, dass er voll und ganz römischkatholisch war. Sein Leben lang hat er sich be­ kreuzigt und auf den Knien gebetet, sein Leben lang hat er Beichte gehört und selbst gebeich­ tet. Niemals ist er ausgezogen aus der vorhande­ nen Kirche, sondern sie hat ihn ausgestoßen, hat ihn exkommuniziert. Und obwohl heute etliche Lieder Luthers im katholischen Gesangbuch stehen, ist er noch immer der gebannte, exkom­ munizierte Mönch, dessen Thesen und Fragen noch immer als donnernde Hammerschläge an die Pforte der Weltkirche hallen. Der Weg einer Zurückentwicklung der evangelischen Kirche zu einer Untergruppe der vom Papst repräsen­ tierten Weltkirche kann nicht unser Weg sein. Keine der sieben Gemeinden Kleinasiens steht über der andern. Jede von ihnen wird durch ei­ nen brennenden Leuchter symbolisiert. Keiner ihrer Gemeindeleiter hat eine Vorrangstellung über den anderen. Das höchste Lob des erhöh­ ten Herrn ist: Du hast eine kleine Kraft. Du hast mein Wort bewahrt. Du hast meinen Namen nicht verleugnet. Welche Kirche hat Zukunft? Unser Blick fällt auf die andere Seite, zum evangelischen Luther, zum Bibelübersetzer auf der Wartburg. Da wird es den Protestanten warm ums Herz. Ja, ein fes­ te Burg ist unser Gott. Gehört unserer Kirche die Zukunft? Der Kirche, die sich immer mehr der Welt angleicht? Wo wären wir denn mit un­ INFORMATIONSBRIEF 306

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serem protestantischen Kirchentum, wenn die Großmacht der katholischen Kirche nicht im­ mer noch da wäre? In Sachen Religionsunter­ richt. In Sachen Abtreibung. In Sachen Fami­ lienpolitik. In Sachen »Homo-Ehe«. In Sachen Sonntagsheiligung. Es könnte gut sein: Ohne das katholische Gegengewicht wäre der Protestantismus doch schon längst von der Schaukel runtergefallen. Wie oft haben wir die Kirche verweltlicht, den Glauben säkularisiert, eben: Sein Wort nicht be­ wahrt, sondern verraten an den Fortschritt, an das Gewinnstreben, an private Beliebigkeiten und Launen. Wie oft waren wir hochmütig und selbstsicher, am deutschen Wesen könne und müsse die Welt genesen. Wir haben uns aufge­ lehnt gegen den Heiligenkult der katholischen Kirche und haben gleichzeitig einen Lutherkult gefördert und einen Kaiserkult geduldet, der auch nicht unbedingt besser war. Wir würden uns selbst überschätzen, wenn wir auf die Frage »Welche Kirche hat Zukunft?« die Antwort gä­ ben »Das ist doch klar: Das sind wir!« Und so ist in beiden Konfessionskirchen oft nur noch wenig Leben. Wir haben unsere Ge­ bäude in guter Ordnung, aber die meisten sind uns zu groß geworden, so wie einem altgewor­ denen Menschen seine Kleider oft alle zu groß und zu weit sind. Unsere Kirchentümer sind alt geworden, sind in die Jahre gekommen. Und was wird in fünf oder in zehn Jahren sein, wenn die Alten weggestorben sind? Wir sehen es kom­ men und können nichts dagegen tun. Aber Jesu Wort ist wahr und bleibt wahr: Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren. Wer es aber verliert um meinetwillen und um des Evange­ liums willen, der wird’s erhalten zum ewigen Leben. Der altgewordene Luther auf dem Mittelbild des Weimarer Altars hat die Bibel in der Hand. Und die andere Hand weist auf das Wort Gottes hin. Nicht wir machen, dass die Kirche Zukunft hat. Der Herr der Kirche ist ihre Zukunft. Deine Kraft ist klein. Aber sie ist da. Hüll dich nicht in Untergangsstimmung, du, meine Kirche. »Fin de siecle« ist nicht angesagt, denn ich, der Herr der Kirche, lebe. Und ihr, meine Glieder, sollt auch leben. Du hast mein Wort bewahrt. Ja, dabei bleibe! Darin harre aus! Bewahre mein Wort. Präge es denen ein, die es hören wollen. Du hast den Auftrag dazu. Du hast viele Mög­ lichkeiten dazu: Verkündige mein Wort. Weide meine Herde mit meinem Wort, spricht der auf­ erstandene, zum Himmel erhöhte Jesus Chris­ tus. Wo mein Wort rein gepredigt und die von mir eingesetzten Sakramente recht verwaltet werden, da ist Kirche. Da bin ich. Wo zwei oder 7


drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen. Du hast meinen Namen nicht verleugnet. Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater. Nicht am Kirchenrecht wird die Kirche genesen. Nicht an neuen Agenden und Litur­ giebüchern wird die Kirche genesen. Auf dem Tisch des Herrn liegt Gottes Wort allein. Und sooft daraus vorgelesen wird, heißt es: Wort des lebendigen Gottes. Und die Gemeinde antwor­ tet: Dank sei Gott dem Herrn! Welche Kirche hat Zukunft? Diejenige Kir­ che, diejenige Gemeinde hat Zukunft, die ihre

kleine Kraft zum Bau des Reiches Gottes ein­ setzt, die sein Wort bewahrt, die seinen Namen nicht verleugnet. So schön das alles sein mag, was uns die alten, ehrwürdigen Traditionen un­ serer Kirchentümer vererbt haben, so ist Jesu Kirche kein Verein zur Traditionspflege, son­ dern sie ist der lebendige Leib ihres lebendigen Herrn. Darum wirkt mit der kleinen Kraft, so­ lange es Tag ist. Darum bewahrt das reine, un­ verfälschte Wort Jesu. Darum bekennt seinen Namen vor der Welt. Es ist seine Kirche, die eine große Zukunft hat. Es wird der Tag kom­ men, da er wird sein alles in allem. Amen. W

Reformationsjubiläum 2017 –– was bleibt? Markus Sigloch Die Vorbereitungen zum 31. Oktober 2017, dem 500. Gedenkjahr des Thesenanschlags Martin Luthers zum Ablass, laufen auf Hoch­ touren. Unter dem Motto »Tore der Freiheit« wurde in Wittenberg die Weltausstellung zum 500-jährigen Reformationsjubiläum eröffnet. Bis zum 10. September stehen etwa 2000 Ver­ anstaltungen in 16 Themenwochen auf dem Programm. In den Medien wurde im Laufe des Jahres immer wieder zur Reformation infor­ miert; Spielfilme und allgemein verständliche Dokumentationen wurden gezeigt. Auch der Kirchentag hatte dieses Jahr viele Angebote zum Reformationsjubiläum im Programm, ganz zu schweigen von den vielen Veranstaltungen der Gemeinden vor Ort. Am Reformationstag selbst

Markus Sigloch Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30

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werden überall in den protestantischen Kirchen weltweit Gottesdienste stattfinden. Kurzum: die Veranstaltungen im ganzen Land sind kaum zu zählen. Am 31. Oktober geht das Jubiläumsjahr mit den Festgottesdiensten zu Ende.

So stellen sich die Fragen: Was wird danach sein? Was wird bleiben? Nun, das Grundanliegen Martin Luthers bleibt auf jeden Fall weiterhin bestehen. Der Anlass Martin Luthers für seine 95 Thesen war, über den Ablass zu reden. Dieser Anlass besteht immer noch, solange die römisch-katholische Kirche trotz der 95 Thesen immer wieder zu bestimmten Anlässen einen Ablass ausruft. Aber auch die evangelische Kirche muss sich fragen lassen, ob sie das Erbe der Reformation tatsäch­ lich auch heute noch vertritt, wenn sie Luthers Rückbezug zur Heiligen Schrift als einzige Offenbarungsquelle kritisiert (sola scriptura, »allein die Schrift«). Im Vorausblick auf das Ju­ biläum hat die Evangelische Kirche in Deutsch­ land (EKD) bereits im Jahr 2014 folgende Über­zeugung veröffentlicht (EKD, Denkschrift »Rechtfertigung und Freiheit«, S. 83f.): »Das OKTOBER 2017

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sola scrip­tura lässt sich heute nicht mehr in der gleichen Weise verstehen wie zur Reformations­ zeit. Anders als die Reformatoren ist man sich heute dessen bewusst, dass das Entstehen der einzelnen biblischen Texte und des biblischen Kanons selbst ein Traditionsvorgang ist.« Und Bischof Bedford-Strohm, der Vorsitzende des Rates der EKD, möchte gerne das »sola scrip­ tura« durch ein evangelisches Lehramt der Kir­ che abgelöst wissen. Offensichtlich möchte man sich nicht mehr daran erinnern lassen, dass die apostolische Lehre der Heiligen Schrift damit abgeschlossen war, dass Jesus seine Apostel drei Jahre lang als Rabbi unterrichtet hatte und die­ se Lehre eben nicht mehr durch einen späteren Traditionsvorgang verändert, sondern im Neu­ en Testament festgehalten wurde. Die Heilige Schrift bleibt daher allen kirchlichen Verlautba­ rungen übergeordnet. Sie ist Gottes unverän­ derliches Wort in Zeit und Ewigkeit; es sei denn, man sieht in Jesus nur einen der vielen Lehrer oder Propheten der Kirche und spricht ihm da­ mit seine besondere Autorität für dieselbe ab. Mit dem diesjährigen Jubiläum konnte somit zwar eine Rückbesinnung auf den reformatori­ schen Aufbruch in der Kirche angestoßen wer­ den, aber die Aufgabe für die Zukunft ist nicht kleiner geworden, das Anliegen der Reformati­ on in Lehre und Leben der Kirche immer wie­ der neu zu verankern und für die nächste Gene­ ration fruchtbar zu machen. Durch den Zerbruch der römischen Weltkir­ che damals bleibt darüber hinaus die Aufgabe aller christlichen Konfessionen, die in ihnen ab­ gebildete Vielfalt des kirchlichen Lebens und der Lehre nicht nur an die nächste Generation weiterzugeben, sondern dabei auch zu überprü­ fen, ob die eigenen Traditionen dem Reden und Tun Jesu Christi immer noch standhalten. Hier ist die Rückbesinnung auf die Quellen des Glau­ bens gefragt (ad fontes). Denn Jesus Christus, der alleinige Herr der Kirche, lehrt durch seinen Geist den Unterschied zwischen erwünschter Vielfalt und unerwünschter Eigensucht inner­ halb der Christenheit. Unter seinem Urteil steht alles Reden und Tun, und es wird ans Licht kommen, was noch verborgen ist. Der reformatorische Aufbruch zeigt des Wei­ teren, wie wenig sich eine kirchliche Institution ihre Macht und ihren Einfluss bei den ihr anver­ trauten Menschen sichern kann. Schnell kann zum Vorschein kommen, woran Menschen an ihrer Kirche leiden. Schnell kann aber auch zer­ brechen, was als zartes Pflänzchen des Glaubens erst zu wachsen begonnen hat. Jesus Christus hat darum seinen Jüngern ein Gebot auf den Weg gegeben, das auch heute in die Zukunft INFORMATIONSBRIEF 306

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weist: »Ihr wisst, die als Herrscher gelten, hal­ ten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele« (Markus 10,42–45). Dieses Wort ist eine deutliche Absage an alle Versuche der Kirche, sich den Zusammenhalt der Gläubigen mit Macht, Geld und politischem Einfluss zu sichern. Auch hier gilt, dass die Kir­ che allein durch das Wort Christi entstanden ist und auch erhalten bleibt. Wenn die Kirche treu bei dem ihr anvertrauten Wort bleibt, wird sie mit der Durchhilfe Gottes rechnen können. Ver­ lässt sie das Wort und gibt sich dem Zeitgeist und seinen Ideologien hin, muss sie erfahren, wie wenig ihr der Zeitgeist samt seinen Ideo­ logien ein Existenzrecht einräumt. Die Kirche zur Zeit Martin Luthers konnte den Menschen damals keine Orientierung mehr geben. Die Hinwendung der Kirche zur Geisteshaltung der Renaissance verwies die Menschen mit ihren re­ ligiösen Fragen an die leere Philosophie der An­ tike, vor der schon der Apostel Paulus gewarnt hatte (vgl. Kolosser 2,8). Die Hinwendung zum Humanismus erbrachte nichts Besseres, als den Menschen mit seinen religiösen Fragen auf sich selbst zurückzuwerfen. Die Heilige Schrift dage­ gen ermöglichte ab dem 16. Jahrhundert einen geistesgeschichtlichen Aufbruch, ebenso einen Aufbruch an Forschung und Wissenschaft, der keinen Vergleich scheuen muss, einen Aufbruch freier Meinungsbildung und die rechtliche Neu­ ordnung Europas, die letztendlich zu den freien Gesellschaften führte, wie wir sie heute kennen. Wird das Erbe der Reformation wieder verlas­ sen, werden unsere Völker nicht nur die teuer erkämpfte Freiheit wieder verlieren, sondern auch in neue religiöse Abenteuer gezwungen, in denen die Seelen der Menschen verheerenden Schaden nehmen. Dass die Reformation durch die Berufung eines einzigen Mannes ausgelöst wurde (wobei es im Gefolge davon eine ganze Anzahl weiterer Reformatoren gab), ist dabei ein Markenzeichen der Berufung durch den Herrn, wie Menschen es bereits bei der Berufung Ab­ rahams erfahren haben und immer wieder neu erfahren. Immer wieder wurden einzelne Men­ schen hervorgehoben, die dem Kurs der Massen­ gesellschaften entgegenwirkten und ein Leucht­ feuer des Evangeliums entfachten, das dann die kommenden Generationen auf den Weg brachte, den Gott zu ihrem Heil bereitet hat. W 9


Der mächtige Geist der Digitalisierung An seinen Früchten sollt ihr ihn erkennen Werner Thiede

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ie digitale Revolution hat unsere Kultur erst langsam, dann immer schneller mit Technologien bereichert, die ihre durchschla­ genden Effekte so richtig erst in den kommen­ den Jahren entfalten werden. Bisher konnte

Werner Thiede Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30

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man viele Vorteile und Chancen nutzen, ohne den Risiken der Digitalisierung ein allzu gro­ ßes Gewicht beizumessen. Was aber geschieht, wenn die Machtfülle der digitalen Programme, namentlich das »Internet der Dinge«, in naher Zukunft fast unser gesamtes Leben durchzie­ hen und immer totalitärer bestimmen wird? Ab wann werden wir nur noch mittels implantierter Chips einkaufen können? Wird die sich aufbau­ ende Technokratie die Demokratie gefährden?1 Und in welchem Verhältnis steht sie eigentlich zur Gottesherrschaft, von der die Bibel spricht? Die praktischen, zweifellos hilfreichen Aspek­ te der Digitalisierung sind so zahlreich, so of­ fenkundig und gleichzeitig so faszinierend, dass OKTOBER 2017

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es hierüber keiner besonderen Ausführungen von Firmen wie Apple, Google, Microsoft, Fa­ bedarf. Notwendig ist vielmehr ein verantwort­ cebook und Amazon aus.«4 licher Blick auf die Risiken und Gefahren, die Dabei betrifft ein nicht zu unterschätzender sich mit dem in der Tat revolutionären Gesamt­ Faktor den Bereich der Strahlung des Mobilprogramm verbinden – und die aus durchsich­ und Kommunikationsfunks,5 der stark zuge­ tigen Interessen heraus allzu gern kleingeredet nommen hat, seit das Internet »mobil« gewor­ werden. Für Christen, denen ja den ist. Die Belastungen mögen aufgetragen ist, die Geister zu mm Wer sich von den individuell unterschiedlich aus­ unterscheiden, gilt es gerade an­ Vorteilen der Rundum- fallen, aber niemand hierzulande gesichts der gegenwärtigen und kann ihnen völlig entgehen. vor allem zukünftigen giganti­ Digitalisierung nicht Im Internationalen Ärzteap­ schen Umwälzungen im Rahmen blenden lässt, erkennt pell (2012) heißt es dazu: »Trotz der politisch gewollten Durchset­ aller Warnungen werden immer rasch ihre Schatten­ zung der Digitalisierung mit wa­ neue Funk-Techniken in unsere chem Blick nach dem Geist dieser seiten, ja den ideolo­ Lebenswelt eingeführt: Handy»Revolution«2 zu fragen. gischen Charakter des Netze, TETRA, LTE, Schnur­ Wer sich von den Vorteilen der lostelefone, WLAN, Babyphone, Rundum-Digitalisierung nicht Geistes, auf dem sie Funkablesegeräte, digitales Radio blenden lässt, erkennt rasch ihre fußt. Das christliche und Fernsehen u. a. m. Alle diese Schattenseiten, ja den ideologi­ Gottes- und Men­ Funk-Techniken überlagern die schen Charakter des Geistes, auf biophysikalische Organisation des dem sie fußt. Das christliche Got­ schenbild kann dafür Lebens mit einer wachsenden tes- und Menschenbild kann da­ sensibilisieren. Dichte und Vielfalt elektromag­ für sensibilisieren. Indem die di­ netischer Felder. Das Leben von gitale Revolution die Wirklichkeit systematisch Menschen, Tieren und Pflanzen wird von natür­ auf Kombinationen von Einsen und Nullen lichen elektromagnetischen Feldern (EMF) und reduziert, um sie dank Super-Beschleunigung Signalen gesteuert. Technisch erzeugte Felder methodisch zu perfektionieren und »die ganze können mit ihren sehr niedrigen bis sehr hohen Welt zu gewinnen«, entfaltet sie hintergründig Frequenzen die biologischen Stoffwechsel- und ein erstaunliches Zerstörungspotenzial. Dieses Kommunikationsvorgänge der Zellen tiefgrei­ geht den Menschen körperlich, seelisch und fend stören. Mit Hilfe von fein abgestimmten geistig an, wie in der hier gebotenen Kürze mit Regulationsmechanismen können die Selbsthei­ Würze dargelegt sei. lungskräfte des Organismus solche Störungen anfangs ausgleichen. Bei anhaltendem elektro­ magnetischem Stress kann es jedoch zu einer Körperliche Folgen der chronischen Schädigung dieser biologisch sinn­ Digitalisierung vollen Organisation des Lebens und daraus fol­ So sehr digitale Technologien einerseits me­ gend zu Erkrankungen kommen.«6 dizinisch effektiv und gesundheitlich nützlich Als ein zentraler Wirkmechanismus der Strah­ sein können, so unübersehbar sind auf der an­ lungseinwirkung zeichne sich immer deutlicher deren Seite ihre Gefahren. Der Mediziner und oxidativer Zellstress ab – eine Hauptursache Hirnforscher Manfred Spitzer betonte schon vieler Krankheiten. Die von Ärzten weltweit 2012: »Digitale Medien haben ein hohes Sucht­ gesammelten Beobachtungen werden durch potenzial und schaden langfristig […] Ein Teu­ Erkenntnisse der Wissenschaft weiter bestä­ felskreis aus Kontrollverlust, fortschreitendem tigt.7 Namentlich die Minderheit elektrosen­ geistigem und körperlichem Verfall, sozialem sibler Mitmenschen reagieren auf die gepulsten Abstieg, Vereinsamung, Stress und Depressi­ elektromagnetischen Felder mit körperlichen onen setzt ein; er schränkt die Lebensqualität Schmerzen.8 ein und führt zu einem um einige Jahre frü­ Auch Tiere und Pflanzen zeigen mitunter Re­ heren Tod.«3 2017 mahnte er: »Es wird Zeit, aktionen auf Mobilfunk. Der nächste, in weni­ dass wir digitalen Hype durch belastbare Fakten gen Jahren zu erwartende Mobilfunk-Standard ersetzen, auch und gerade wenn es um nichts 5G soll mit einer Übertragungsgeschwindigkeit weiter geht als die Gesundheit und die Bildung in Echtzeit einhergehen und besser als bisher der nächsten Generation. Wir dürfen nicht weg­ auch in die Keller eindringen, ja überhaupt das schauen und diese Entwicklung nicht einfach »Internet der Dinge« ermöglichen. Aber wer so weiterlaufen lassen. Denn damit liefern wir fragt ernsthaft nach dem Störpotenzial für all unsere nächste Generation den Profitinteressen die lebenden Organismen, die ja ihrerseits mit INFORMATIONSBRIEF 305

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feinen elektromagnetischen Impulsen arbeiten? Warum kritisieren Kirchen zwar die Auswirkun­ gen atomarer, ionisierender Strahlung, igno­ rieren aber weithin die der nicht-ionisierenden Strahlung des Mobilfunks, obwohl industrieun­ abhängige Forschung deren Bedenklichkeit längst hinreichend aufgezeigt hat? Was haben zum Beispiel WLAN-Hotspots »in sämtlichen kirchlichen Gebäuden« zu suchen, wie sie die Evangelischen Kirche Berlin-BrandenburgSchlesische Oberlausitz (EKBO) einrichtet?9 Gerade für Heranwachsende dürfte Mobilund Kommunikationsfunk wenig zuträglich sein. Am 29. Mai 2017 lautete im ZDF-Text und in der ARD-Tagesschau eine wichtige Mel­ dung aus dem Gesundheitsministerium: »Klein­ kinder brauchen kein Smartphone«. Die Dro­ genbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, hatte davor gewarnt, Kinder im »digi­ talen Kosmos« allein zu lassen und die gesund­ heitlichen Risiken der Digitalisierung ernstzu­ nehmen.10 Eine Studie aus England hatte einige Wochen zuvor gezeigt: Verbringt ein Kind täg­ lich mehr als drei Stunden vor einem Display, egal ob Fernsehgerät oder Tablet, erhöht sich das Risiko drastisch, bereits in der Jugend an Typ-2-Diabetes zu erkranken.11 Ob das nur am Medienkonsum liegt oder auch an belastender Strahlung, darüber sollte energischer nachge­ dacht werden.

Seelische Folgen der Digitalisierung Wer digital die ganze Welt gewinnen will, ist schnell dabei, sich selbst zu verlieren. »Wer bin ich, wenn ich online bin … und was macht mein Gehirn solange?« heißt ein instruktiver Bestsel­ ler von Nicholas Carr. Flüchten nicht viele längst vor sich selbst und voreinander in sekundäre Cyber-Räume und -Identitäten? Zeugen nicht schon Millionen Internet-Süchtige weltweit von den Gefahren einer radikalen Digitalisierung für ihre eigene Psyche? Zu diesen Gefahren zählt nicht zuletzt ein digital befeuerter Narzissmus. Smartphones, Tablets und überhaupt der allüberall mögliche Zugang ins Reich des Internets mit seiner Über­ fülle an Inhalten und Möglichkeiten – das sind Anreize fürs psychische Empfinden, primärnarzisstische Eindrücke wiederzubeleben. Der Psychologe Wolfgang Bergmann weiß: »Wenn sich nun also mit Hilfe der neuen Technologi­ en urplötzlich Erlebnislandschaften und Kom­ munikationsfelder auftun, die den harten, wi­ derständigen Charakter der gegenständlichen Welt zeitweise widerrufen – sollten dann die zurückgedrängten archaischen und narzisstisch12

untröstlichen Wunschanteile nicht nach ihnen greifen wie nach einer unvergleichlichen Be­ freiung?«12 Solch scheinbare Befreiung kommt der Ersatz-Erlösung eines Drogentrips nahe. In der Tat ist der aus dem Mythos stammende Name Narziss verwandt mit dem Wort Narkose: »Die Unterdrückung des Fühlens, des Schmerzes wird damit Programm. Wer keinen Schmerz mehr empfindet, braucht auch keinen Trost, wird damit unabhängig und stolz, was die ›Grandiosität‹ des Narzissmus erklärt.«13 So gehen Selbstverliebtheit und Selbstaufblä­ hung Hand in Hand. Beide werden potenziert durch die bestechenden Möglichkeiten digitaler Technologien. Mittlerweile sind dem Psycholo­ gen Hans-Joachim Maaz zufolge die Störungen der Selbstliebe derart häufig geworden, dass man von einer ›gestörten Normalität‹ sprechen kann: Die »Verbreitung der narzisstischen Stö­ rung mit ihren zerstörerischen und lebensbe­ drohlichen Folgen lässt sich, ähnlich der Pest im Mittelalter, kaum noch beherrschen«.14 So liegt es nahe, dass digital genährter Narzissmus in einen entsprechenden Massenwahn münden kann. Der US-amerikanische Schriftsteller Dave Eggers, Autor des digitalisierungskritischen Ro­ mans The Circle, warnt: »Wir sind alle geblen­ det von den Verheißungen der Technik, den Er­ leichterungen, dem Zugang zu allem, wir sind blind für die Gefahren, die so winzig erscheinen im Vergleich zu den tollen Möglichkeiten. Ich glaube, es wird keine Änderung im Verhalten der Menschen geben, solange die Herrlich­ keiten so viel größer erscheinen als die Gefah­ ren.«15 Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass narzisstische Strukturen geeignet sind, das Gewissen zu schwächen,16 denn sie ermöglichen »die Phantasie, dass einem alles gegeben und erlaubt sei«.17 Gut und Böse werden folglich kaum mehr differenziert, und so wird das Böse leicht zur Banalität. Zu den psychischen Gefahren im Kontext der Digitalisierung gehört auch das scheinbare Ge­ genteil des Narzissmus, nämlich die Depression. Die seelische Niedergedrücktheit ist aber oft kein Gegensatz, sondern Folge von Narzissmus. Denn die psychische Selbstaufblähung scheitert zwangsläufig immer wieder an der Realität und führt demgemäß zu Enttäuschung und Verbit­ terung. So erklärt sich ein Stück weit die enor­ me Zunahme von Depressionen mit dem Fort­ schritt der digitalen Revolution. Gerade auch der scheinbar positive Austausch mit anderen in den Social Media kann deprimieren, wie eine Studie aus Österreich zeigt: »Je länger sich die Versuchspersonen in dem sozialen Netzwerk aufhielten, desto schlechter wurde deren Laune. OKTOBER 2017

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Hauptgrund für die miese Stimmung ist das Ge­ fühl, seine Zeit auf Facebook sinnlos zu vergeu­ den.«18 Das aber dürfte insgesamt für die aus Einsen und Nullen gebaute Welt des Digitalen gelten: In der Seele spüren die Menschen mit der Zeit die innere Leere des technizistischen Gaukelspiels, des materialistischen Schlaraffen­ lands, der virtuellen Identitäten. Das Diaboli­ sche der smarten Verheißungen mag eine Zeit lang faszinieren, macht aber auf Dauer unglück­ lich. Einst haben Franz von Assisi und eben­ so Martin Luther den Teufel als den Geist der Traurigkeit ausgemacht. Steckt am Ende dieser Geist hinter den Mächten der weltumgreifen­ den, weltenstürzenden Revolution von heute?

Geistige Folgen der Digitalisierung Das diabolische, also alles durcheinander­ werfende Element zeigt sich auch in besonderer Weise im menschlichen Geist, wenn er digitale Geräte in geradezu »besessener« Weise nutzt. Nicht nur, dass etwa Navigationsgeräte mehr als bloße Erleichterung bringen, nämlich darüber hinaus zunehmende Demenz, weil das Gehirn es verlernt, sich in der realen Welt zu orientieren! Hinzu kommen beispielsweise die Folgen des so genannten Multitaskings: Der Geist überfordert sich auf Dauer mit dem anscheinend leistbaren Zugleich mehrerer Tätigkeiten. Statt Konzentra­ tion greift Zerstreutheit Raum: »Alles gleichzei­ tig reduziert vieles zur Bedeutungslosigkeit«.19 So verstärkt sich mit dem beliebten Multitas­ king indirekt der Relativismus. Und der steigert wiederum digital die Angst, etwas zu verpassen. Dass in der Folge die gesamtgesellschaftliche Beschleunigung20 und die Burnout-Fälle ek­ latant zunehmen, lässt sich als eine Frucht der Digitalisierung verstehen. Zerstreuung des Geistes anstelle seiner Kon­ zentration wird im digitalen Zeitalter nicht nur erzeugt, sondern vehement gesucht. Ahnt der Mensch doch, dass er den Verheißungen des Lebens und der Unsterblichkeit, wie sie von den Propheten der Digitalisierung heute voll­ mundig gewagt werden, nicht wirklich glauben kann! Denn wie weit auch immer Wissenschaft und Technik kommen werden, sie können das Verglühen der Galaxien und damit auch die Auflösung aller technischen Strukturen am Ende ganz sicher nicht verhindern. Mit die­ ser bewussten oder unbewussten Einsicht aber beherrscht und ängstigt der Tod den mensch­ lichen Geist wie zu allen Zeiten. Der Mathe­ matiker und christliche Philosoph Blaise Pascal hat schon zu Beginn der Neuzeit erkannt: »Da die Menschen kein Heilmittel gegen den Tod, INFORMATIONSBRIEF 306

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Der Geist überfordert sich auf Dauer mit dem anscheinend leistbaren Zugleich mehrerer Tätigkeiten. Statt Konzentration greift Zerstreutheit Raum: »Alles gleichzeitig reduziert vieles zur Bedeutungslosigkeit.« das Elend, die Unwissenheit finden konnten, sind sie, um sich glücklich zu machen, darauf verfallen, nicht daran zu denken.«21 Erscheint nicht auch gerade von daher Zerstreuung als ein geheimes Hauptmotiv im Zeitalter umfassender Digitalisierung, die auf Optimierung aus ist und doch am Ende den Untergang aller Dinge nicht vermeiden kann? Zum Optimierungswunsch der digitalen Re­ volution gehört es, durch Technologie vermehrt Ordnung herzustellen. Doch die Frage drängt sich auf, ob das digitale Konzept Big Data am Ende eher Ordnung oder eher Chaos schafft. Michael Kirn warnt davor, dass heutzutage »die Ontologie des rechnerisch-gesteuerten Chaos an die Stelle der moralisch-ästhetischen Intuition des menschlichen Denkens tritt«.22 Ist es nicht Ausdruck von Chaos, wenn im Namen der Sicherheit immer mehr Unsicherheit pro­ duziert wird? Wenn im Namen verwalterischer Ordnung immer mehr ethisch verdächtige Überwachung organisiert wird? Wenn statt ei­ ner schönen neuen Welt immer mehr Apoka­ lypse23 heraufbeschworen wird? Am Ende sinkt die geistige Unterscheidungsfähigkeit zwischen Chaos und Fülle dahin. 13


Helfen könnten hier noch die christlichen Kirchen mit ihrer befreienden Botschaft. Doch ähnlich den politischen Parteien vermitteln sie überwiegend den Eindruck, als wollten sie kei­ nesfalls den letzten digitalen Zug verpassen. Deutlich protestierend, insofern protestantisch, gab sich dagegen insbesondere Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato si’ (2015): »Die wirkliche Weisheit, die aus der Reflexion, dem Dialog und der großherzigen Begegnung zwi­ schen Personen hervorgeht, erlangt man nicht mit einer bloßen Anhäufung von Daten, die sättigend und benebelnd in einer Art geistiger Umweltverschmutzung endet.« Digitale Medi­ en gestatteten es zwar, Kenntnisse und Gemüts­ bewegungen zu übermitteln und miteinander zu teilen. Trotzdem, so der Papst, »hindern sie uns manchmal auch, mit der Angst, mit dem Schaudern, mit der Freude des anderen und mit der Komplexität seiner persönlichen Erfahrung in direkten Kontakt zu kommen. Darum dürfte es nicht verwundern, dass sich gemeinsam mit dem überwältigenden Angebot dieser Produk­ te eine tiefe und wehmütige Unzufriedenheit in den zwischenmenschlichen Beziehungen oder eine schädliche Vereinsamung breitmacht.« Tat­ sächlich sollen Untersuchungen bei US-ame­ rikanischen Collegestudenten gezeigt haben, dass die Empathie bei der jetzigen Generation der Digital Natives um 40 Prozent geringer aus­ geprägt ist als bei früheren Generationen. An die Stelle der biblisch bekundeten Gotteben­ bildlichkeit des Menschen tritt seine Maschi­ nenebenbildlichkeit. Franziskus jedenfalls hat erkannt, dass das »technokratische Paradigma« heute derart dominant geworden ist, dass es ei­ nerseits immer schwieriger wird, auf seine Mittel zu verzichten, andererseits aber noch schwieri­ ger, sie zu gebrauchen, ohne von ihrer Logik be­ herrscht zu werden. So überlasse man das Leben den technikgeprägten Umständen, die immer häufiger als wesentliche Quelle zur Deutung der Existenz verstanden würden. Mit diesen Wor­ ten entlarvt der Papst die digitale Revolution als eine mögliche Ersatzreligion. Und alle Christen geht es an, wenn er erklärt: »Es müsste einen anderen Blick geben, ein Denken, eine Politik, ein Erziehungsprogramm, einen Lebensstil und eine Spiritualität, die einen Widerstand gegen den Vormarsch des technokratischen Paradig­ mas bilden.« Stünde solch geistlich begründeter Widerstand gegen den mächtigen Geist der Di­ gitalisierung nicht auch Protestanten gut zu Ge­ sicht? (Römisch-katholische Irrtümer an ande­ rer Stelle sind damit freilich nicht aufgehoben. W. R.) W 14

1) Vgl. Yvonne Hofstetter, Das Ende der Demokratie. Wie die künstliche Intelligenz die Politik übernimmt und uns entmündigt, München 2016; Harald Welzer, Die smarte Diktatur, Frankfurt a. M. 3. Auflage 2016. 2) »Es ist zweifellos eine Revolution, ein vollständiger Umbruch, der uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten massiv beeinflussen und alle Lebensbereiche grundlegend verändern wird« (Ulrich Eberl, Smarte Maschinen, Darmstadt 2016, 364). Vgl. auch Werner Thiede, Digitaler Turmbau zu Babel. Der Technikwahn und seine Folgen, München 2015; Christoph Keese, Silicon Valley. Was aus dem mächtigsten Tal der Welt auf uns zukommt, München 2016. 3) Manfred Spitzer, Digitale Demenz, München 2012, 296. In Deutschland gelten mittlerweile rund 600 000 Jugendliche und junge Erwachsene als internetabhängig – und 2,5 Millionen als problematische Internetnutzer! 4) Zit. nach https://www.diagnose-funk.org/publikationen/artikel/ detail?newsid=1192 (Zugriff 30.5.2017). 5) Dazu näherhin mein Buch »Mythos Mobilfunk. Kritik der strahlen­ den Vernunft«, München 2012. 6) http://freiburger-appell-2012.info/media/Internationaler_Aerzte­ appell_2012_11_21.pdf (Zugriff 24.5.2017). 7) Vgl. z. B. Wilfried Kühling/Peter Germann, Gesundheitliche Effek­ te durch hoch- und niederfrequente Felder. Teil 1: Hochfrequente Felder (Mobilfunk), in: Internistische Praxis 3/2016, 593–603. 8) Siehe »Leitlinie 2016 zur Prävention, Diagnostik und Therapie EMF-bedingter Beschwerden und Krankheiten« der European ­Academy for Environmental Medicine e. V., Hermeskeil 2016; Thiede, Mobilfunk, a. a. O. 186ff. 9) Dazu mein Kommentar im Deutschen Pfarrerblatt 11/2016, 652f. 10) Der Blikk-Studie des Bundesgesundheitsministeriums zufolge nutzen 70 Prozent der Kinder im Kita-Alter das Smartphone ihrer Eltern täglich mehr als eine halbe Stunde lang: »Die Folge sind Sprachentwicklungs- und Konzentrationsstörungen, körperliche Hyperaktivität, innere Unruhe bis hin zu aggressivem Verhalten. Auch Säuglinge leiden unter Essens- und Einschlafstörungen, wenn die Mutter, während sie das Kind betreut, auch digitale Medien nutzt« (ZDF-Text vom 29.5.2017). 11) Der ernährungsmedizinische Wissenschaftler und Buchautor Sven-David Müller weiß, wie gefährlich die längere Nutzung von Tablets, Smartphones, Computern und Fernsehgeräten für Kleinkinder ist: »Der wichtigste Rat an die Eltern ist, selbst auf Handy und Co zu verzichten und ein aktives Leben vorzuleben, denn was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Eltern, die bewusst auf Displays verzichten, wenn ihre Kinder dabei sind, und ein sportlich aktives Leben vorleben, haben weniger Probleme als Couch Potatoes, die selbst vom Smartphone, Tablet oder dem Netbook nicht wegzubekommen sind« (http://www.pressetext. com/news/20170315001 - Zugriff 17.3.2017). 12) Wolfgang Bergmann, Abschied vom Gewissen. Die Seele in der digitalen Welt, Asendorf 2000, 150. 13) Hans-Joachim Maaz, Die narzisstische Gesellschaft. Ein Psychogramm, München 2012, 7. 14) Maaz, a. a. O. 17. Auch die Psychologen Jean M. Twenge und W. Keith Campbell konstatieren, »der Narzisst sei vielfach der Normalo geworden« (zit. nach Thomas Fischermann/Götz Hamann: Zeit­ bombe Internet, Gütersloh 2011, 124). 15) http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/fuer-eine-neue-er­ klaerung-der-menschenrechte-der-autor-dave-eggers-im-gespraech13089419-p4.html (Zugriff 14.8.2014). 16) Vgl. Bergmann, a. a. O. 186f. und 220. 17) Leon Wurmser, Die zerbrochene Wirklichkeit, Berlin u. a. 2. Auflage 1993, 77. 18) Siehe http://www.focus.de/digital/internet/facebook/sozialenetzwerke-miese-stimmung-studie-erklaert-warum-uns-facebookrunterzieht_id_ 3831681.html (Zugriff 20.5.2014). 19) Vgl. Stefan Rieger, Multitasking. Zur Ökonomie der Spaltung, Berlin 2012, 37. Der Medienwissenschaftler weist der gleichzeitigen Arbeit an mehreren »Gegenständen« Ineffizienz nach. 20) Vgl. Werner Thiede, Die Beschleunigungsgesellschaft. Wie digitales Tempodiktat dem Posthumanismus zuarbeitet, in: Materialdienst der EZW 5/2015, 164–172. 21) Blaise Pascal, Pensées, Nr. 176. 22) Michael Kirn, Der Computer und das Menschenbild der Philoso­ phie, Stuttgart 1985, 144. 23) Vgl. Gregor Taxacher, Apokalypse ist jetzt. Vom Schweigen der Theologie im Angesicht der Endzeit, Gütersloh 2012; Werner Thiede, Die digitalisierte Freiheit. Morgenröte einer technokrati­ schen Ersatzreligion, Berlin 2. Auflage 2014, 55ff.

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Reformation in der Kirche 1517 und 2017

Betrachtungen auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2017 Reinhard Slenczka Was ist der Mensch? »Paulus Römer 3,38: ›So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht gemacht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.‹ So fasst er in aller Kürze die Definition des Menschen zusammen und sagt: Der Mensch wird gerecht gemacht durch den Glauben.«1 Auf die Frage »Was ist der Mensch?« gibt es in der Geschichte menschlichen Denkens sehr viele, oft widerspruchsvolle Antworten, die zwi­ schen der biologischen Auffassung, der Mensch gehöre zur Klasse der Säugetiere, bis zu der biblischen Offenbarung, dass der Mensch, von Gott zu seinem Bild und Gleichnis geschaffen ist, die Krone der Schöpfung, schwanken. Im ersten Fall wird der Mensch in seiner Vorfind­ lichkeit betrachtet und damit in Unterschied und in Übereinstimmung mit anderen Lebewe­ sen. Das nennt man eine Betrachtung »a posteriori«, was biblisch nach 2.Mose 33,21 bedeutet: Wir schauen hinterher, wo Gott vorübergegan­ gen ist und gehandelt hat. Die Unmöglichkeit, die Frage »Was ist der Mensch« wissenschaftlich zu beanworten liegt darin, dass in diesem Fall Subjekt und Objekt des Erkennens identisch sind: Es ist der Mensch, der nach sich selbst fragt. Mensch, aber ebenso manche ähnliche Begriffe wie Seele, Gewissen

Reinhard Slenczka Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30 INFORMATIONSBRIEF 306

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u. a. m. kann man daher als Reflexionsbegriffe bezeichnen, die dort ihre Funktion haben, wo der Mensch über den Menschen, also über sich selbst reflektiert; er betrachtet sich im Spiegel, und nur auf diese Weise vermag er sich zu se­ hen, freilich seitenverkehrt. Doch wenn er sich und seine Gattung so be­ trachtet, handelt es sich nicht einfach um ob­ jektive Feststellungen. Was in dieser Spiegelwis­ senschaft über den Menschen festgestellt wird, enthält in jedem Fall auch eine Bewertung. In unserer Umgangssprache finden sich entspre­ chende Aussagen, wenn wir »menschlich« stei­ gern können, aber auch abwerten können als »unmenschlich«, als »Übermensch« oder auch als »Untermensch« oder gar »Unmensch«. Was uns in der Erfahrung beim Menschen begegnet, kann ebenfalls Gegenstand von Wer­ tung oder Abwertung sein. Man braucht nur daran zu denken, wie Unterschiede in der Ent­ wicklungsstufe, von Gesundheit und Krankheit, von Hautfarbe und Rasse, Körpergröße und Schönheit oder Hässlichkeit, von Stand und Einkommen das Menschsein auf- bzw. abwer­ ten können in Sympathie oder Antipathie. Das sind nicht nur wissenschaftliche Feststellungen, sondern alltägliche Erfahrungen. Gottes Wort offenbart uns: »Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und 15


über alles Getier, das auf Erden kriecht« (1.Mose 1,26–28). Wenn wir mit Luther und anderen rechten Theologen die Heilige Schrift als Gottes Wort anerkennen, nicht also als geschichtsbeding­ te, veränderliche Vorstellungen von Menschen über Gott, Welt und Mensch, dann sehen wir uns als Menschen nicht in einem Spiegel, son­ dern aus einer Perspektive, die wir niemals selbst einnehmen können, also gewissermaßen »von oben«, »vom Anfang her«. Der Fachausdruck da­ für ist »a priori«. Dass der Mensch Bild und Gleichnis Gottes ist, kann der Mensch niemals von sich selbst sa­ gen, denn er sieht an sich und seinesgleichen in der Erfahrung soviel »Menschliches« und vor al­ lem auch »Unmenschliches«. So hat der bekannte Verhaltensforscher Kon­ rad Lorenz dazu gesagt: »Wenn ich den Menschen für das endgültige Ebenbild Gottes halten müsste, würde ich an Gott irre werden.«2 Seine Ansicht ist, dass der Mensch sich biologisch nach seiner Art und ethisch nach seiner Intel­ ligenz/Vernünftigkeit und seinem Verhalten in einer aufsteigenden Entwicklungslinie befin­ det. Er muss also erst zu einem vollkommenen Menschen aufsteigen. Was aber ist dann mit den früheren Entwicklungsstufen und mit minder­ wertigen Erscheinungen von Menschlichkeit? Erleben wir nicht ständig, wie Menschen ihr Menschsein bestritten und dann unter Umstän­ den sogar genommen wird? Die von Gott geschaffene Gottebenbildlich­ keit kann ein Mensch weder sich selbst geben oder auch nehmen. Wohl aber hat er sie verlo­ ren durch den Sündenfall (1.Mose 3), indem er sich von Gott trennte, sein Gebot übertrat und daraufhin zur Strafe aus dem Paradies, aus der unmittelbaren Gemeinschaft mit Gott, vertrie­ ben wurde und unter die Herrschaft des Todes geriet. Hier setzt die These Luthers vom Menschen als dem durch den Glauben an Jesus Christus gerechtgemachten Sünder ein: In seinem Ur­ sprung von Gott geschaffen ist der Mensch, also jeder Mensch, Bild und Gleichnis Gottes. Durch den Sündenfall sind in Adam alle Men­ schen unter der Herrschaft von Sünde, Teufel und Tod (Römer 5,12–21). Sowohl in der Gott­ ebenbildlichkeit wie auch unter der Herrschaft der Sünde sind daher alle Menschen gleich: »Also der ganze und jeder einzelne Mensch, er sei nun König, Herr, Diener, weise, gerecht und mit welchen Vorzügen dieses Lebens auch ausgestattet, dennoch ist und bleibt er unter der Herrschaft von Sünde, Tod und Teufel.«3 Davon kann er sich niemals selbst befreien. 16

Die Gottebenbildlichkeit ebenso wie die un­ entrinnbare Verfallenheit unter Sünde, Teufel und Tod sind keine Einsichten, die aus mensch­ licher Erfahrung ihre Bestätigung finden, ob­ gleich wir gewiss manches über Hoheit und Vergänglichkeit des Menschen in unserer Erfah­ rung beobachten können, aber eben doch nicht mit dieser an die Wurzel gehenden Radikalität. Was wir in der Erfahrung vor uns haben, ist viel­ mehr ein Streben nach Gottebenbildlichkeit, Gott gleich zu sein, und ein Ringen gegen die Sünde, gegen das Böse in der Welt und letztlich gegen den unausweichlichen Tod. Doch dieses Bestreben in uns Menschen entspringt einer Selbstbehauptung, die Gottes Wort und Willen widerspricht. Das formuliert Luther in den fol­ genden Thesen: »Wer behauptet, die ursprünglichen Anlagen des Menschen seien nach dem Sündenfall unversehrt geblieben, philosophiert gottlos wider die Theologie« – »Ebenso wer behauptet, der Mensch könne dadurch, dass er tut, was in seinen Kräften steht, Gnade vor Gott und ewiges Leben erringen« – »Desgleichen, wer mit Aristoteles, der nichts von dem ahnt, was der Mensch durch Gott ist, behauptet, dass es in der menschlichen Vernunft ein natürliches Streben nach dem Guten gibt« – »Desgleichen, dass der Mensch die Fähigkeit habe, zwischen Gut und Böse, zwischen Leben und Tod zu wählen« – »Alle, die solches behaupten, haben keine Ahnung, was der Mensch wirklich ist und verstehen überhaupt nicht, wovon sie reden«.4 Wer diese scharfen und präzisen Sätze liest, wird vermutlich entsetzt vor einem solchen ungeheuerlichen Anspruch eines Theologen zurückschrecken. Doch kann man nach Got­ tes Wort etwas anderes behaupten? Die Ent­ scheidung ist freilich: Selbstbehauptung des Menschen aus seiner eigenen Erfahrung oder Erkenntnis des Menschen aus Wort und Tat Gottes. Daher gilt: »Solche Erbsünde ist so gar eine tief böse Verderbung der Natur, dass sie keine Vernunft nicht kennet, sondern muss aus der Schrift Offenbarung geglaubt werden« (Psalm 51,7; Römer 5,12ff.; 2.Mose 33,20).5 Was aber ist Sinn und Ziel des Menschen nach dem Zeugnis von Gottes Wort: Christus ist das Bild Gottes, und durch ihn, in der Verbindung mit ihm, die durch die Taufe begründet ist, wer­ den auch wir dem Bild Gottes gleichgestaltet: »Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dass sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht« OKTOBER 2017

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(Römer 8,29f.; vgl. 2.Korinther 4,4; Kolosser 1,15; Hebräer 1,3; Johannes 12,45; 14,9). Die aus der Perspektive von Gottes Wort und Tat folgende Definition ist nicht, nach dem, was Definition als Begrenzung bedeutet, eine Feststellung des Menschen. Sie folgt vielmehr aus der Einsicht in das, was der Mensch durch Gott ursprünglich gewesen ist, was er durch die Auflehnung gegen Gott mit dem Wunsch, selbst wie Gott zu sein und zu wissen, was gut und böse ist (1.Mose 3,5) geworden ist und was er durch Tod und Auferstehung Jesu Christi, des Sohnes Gottes, sein wird. Dazu die weiteren Thesen: »So ist der Mensch dieses Lebens Rohstoff Gottes für die zukünftige Gestalt seines Lebens« – »Wie alle Kreatur jetzt der Vergeblichkeit und Nichtigkeit unterworfen ist (Römer 8,20), so ist sie für Gott der Stoff für ihre herrliche zukünftige Gestalt« – »Und wie Erde und Himmel am Anfang zu ihrer nach sechs Tagen vollendeten Gestalt (1.Mose 1,31), nämlich als deren Mate-

rie« – »So verhält es sich auch mit dem Menschen in diesem Leben gegenüber seiner zukünftigen Gestalt, bis das Bild Gottes wieder hergestellt und vollendet ist«.6 Gewiss stehen diese Einsichten aus Wort und Handeln Gottes immer in der Konkurrenz mit anderen Menschenbildern aus Philosophie, Bio­ logie und Psychologie, also aus menschlicher Selbstbetrachtung und Selbstbehauptung. Eine Vermittlung und Anpassung kann es jedoch hier überhaupt nicht geben; denn hier geht es um den Gegensatz von Gott und Mensch, von Schöpfer und Geschöpf, von Gnade und Ge­ richt, von Leben und Tod. W 1) Disputatio De homine, WA 39, I, These 32. 2) Konrad Lorenz (1903–1989), Das sogenannte Böse, Wien 1964, 388. 3) These 25. 4) Thesen 26–28.30.31 (in der Übersetzung geglättet). 5) Luthers Schmalkaldische Artikel, BSLK, 434, 8–11. 6) Thesen 35–38 (in der Übersetzung geglättet).

Revolution statt Reformation Thomas Müntzer, Luthers ungeliebter »Bruder«? Wa l t e r R o m i n g e r Hinführung: Umstritten –– Stimmen zu Müntzer und Einschätzungen dieses In der Geschichte gibt es wohl nur wenige derart umstrittene Personen wie Thomas Münt­ zer deren eine war. Im Zeitalter der Reforma­

Walter Rominger Die Anschrift des Autors finden Sie auf Seite 30 INFORMATIONSBRIEF 306

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tion mag er die umstrittenste gewesen sein. Seine Feinde hassten ihn; seine Anhänger be­ wunderten ihn. Daran hat sich bis in diese Tage hi­ nein allem Anschein nach wenig geändert. Dessen Streitlust und Unnachgiebigkeit vermag man sich nur schwerlich zu entziehen. Auch die Fehlurteile über ihn sind zahlreich, seit sei­ nen Erdentagen bis zur Gegenwart. Eine 2001 gegründete internationale Thomas-MüntzerGesellschaft hat es sich zur Aufgabe gemacht, Müntzers Leben und Werk genau(er) zu erfas­ sen. Es ist denn auch die moderne MüntzerForschung, die in ihm einen der selbständigs­ ten, originellsten und einflussreichsten Denker seiner Zeit sieht. Heinrich Bornkamm zufolge war Thomas Müntzer »ein Theologe von eige­ nem Gepräge« und »nebst Luther der selbstän­ digste und originellste und daher auch einfluss­ 17


reichste Denker seiner Zeit«. Was war Müntzer doch schon alles, in Einschätzung und Urteil seiner Zeitgenossen und späterer? Er galt ih­ nen als Teufel, Ketzer, als Werkzeug des Papst­ tums und als Schwarmgeist, als Urgestein der Reformation und Vater des evangelischen Got­ tesdienstes, als falscher Prophet und Aufrührer, als Luthers ungeliebter Bruder, Aufklärer und Knecht Gottes, als Bauernführer und Revoluti­ onär. Als Revolutionär lief er nicht erst seit ihn die DDR-Ideologen dazu machten und dies mit durch seine vielfache Präsenz zum Ausdruck brachten, und dadurch zeigten, dass er für sie ein geschichtliches Vorbild ist. Philipp Melanchthon (1497–1560) schrieb in seiner »Historie Thomae Muntzers des An­ fängers des thüringischen Aufruhrs«: »Der Teufel hat einen besessen, der hieß Thomas Müntzer, der war in der Heiligen Schrift wohl­ gelehrt, blieb aber nicht auf der Bahn der Hei­ ligen Schrift, sondern der Teufel narrte ihn und trieb ihn von der Schrift, dass er anfing, nicht mehr vom Evangelium zu predigen und wie die Leute sollen fromm werden, sondern erdichtete sich aus falschem Verstand der Heiligen Schrift falsche und aufrührerische Lehre.« Fast noch deutlicher als Melanchtons Urteil darüber, dass Müntzer vom Teufel besessen gewesen sei, fällt dasjenige Martin Luthers (1483–1546) aus. In einer Tischrede vom 1533, also acht Jahre nach Müntzers Hinrichtung, äußerte er: »Wohlan, wer den Müntzer gesehen hat, der mag sagen, er habe den Teufel leibhaftig gesehen in seinem höchsten Grimme […]« Luther wird in der An­ gelegenheit Müntzer noch des Öfteren Berück­ sichtigung finden. Der bekannte Schweizer Kirchenhistoriker Walter Nigg (1903–1988) bringt in der ihm ei­ genen irenischen Art Thomas Müntzer viel Ver­ ständnis entgegen (vgl. Walter Nigg, Das Buch der Ketzer, Zürich 1986, Diogenes Verlag, S. 391–400). Eine im Grunde ebenfalls positive Würdigung erfährt Müntzer durch Siegfried Bräuer und Hans-Jürgen Goertz in ihrem Bei­ trag für das von Martin Greschat herausgege­ bene vielbändige Werk »Gestalten der Kirchen­ geschichte« (GdKG, V, Die Reformationszeit I, Stuttgart 1981, Verlag W. Kohlhammer, S. 335–352) sowie durch den langjährigen Heidel­ berger Kirchenhistoriker Heinrich Bornkamm (siehe oben). Ablehnend hingegen erscheint der Beitrag des Münsteraner Kirchenhistorikers Martin Brecht in einem theologischen Fachle­ xikon (ELThG, II, S. 1382f.). Noch mehr auf Ablehnung stößt Thomas Müntzer in einer schmalen Monographie (80 Seiten) des unbe­ kannten Theologen Armin Gebhardt (Thomas 18

Müntzer, Revolution statt Reformation. Eine Studie, Marburg 2004, Tectum Verlag).

Kindheit, Jugend, junger Erwachsener, Studium Über Elternhaus und Jugend ist nichts Si­ cheres bekannt. Sein genaues Geburtsdatum ist nicht überliefert. Und so gehen denn auch die Angaben darüber weit auseinander. Meist wird das Jahr 1489 oder 1490 angegeben, in welchem Thomas Müntzer im vom Bergbau ge­ prägten Stolberg am Harz geboren sei. Wesent­ lich früher setzt Günther Franz dessen Geburts­ datum an. Er sei erstmals um 1484 im Stolberg erwähnt, so dass er, so die Aussage Günther Franz’, vermutlich 1468 als Sohn eines nicht unvermögenden Seilermeisters aus angesehener Familie geboren sei (G. Franz, RGG³, IV, Sp. 1183). Thomas Müntzer war Mönch, vermut­ lich im Augustinerkloster zu Quedlinburg. Sein erster nachgewiesener Studienort war Leipzig, im Wintersemester 1506/07. Da absolvierte er das Grundstudium, die »septem artes liberales« (sieben freie Künste) an der philosophischen Fa­ kultät, der so genannten Artistenfakultät. Doch bereits zum Zeitpunkt des Erwerbs des Bacca­ laureats (Baccalaureus: mittelalterlicher Titel für Kandidaten, die zum Halten von Vorlesungen berechtigt waren, Fachwörterbuch Theologe, S. 24), welcher nach eineinhalb bis zwei Jah­ ren erfolgte, war Müntzer schon nicht mehr in Leipzig. 1512 war er zu theologischen Stu­ dien in Frankfurt an der Oder und in diesem Jahr in eine Verschwörung gegen Erzbischof Ernst von Magdeburg verwickelt. In den Jahren 1517/18 hielt er sich in Wittenberg auf (even­ tuell auch erst 1518/19). Den Magistergrad erhielt Mützer 1516. Bereits davor hatte er die Priesterweihe erhalten; Günther Franz ist der Überzeugung, dies müsse vor dem 6. Mai 1514 gewesen sein und nimmt als Termin dafür die Jahreswende 1513/14 an, eventuell im Dom zu Halberstadt (RGG³, IV, Sp. 1183f.) Im Kano­ nissenstift (Nonnenkloster) Frose bei Aschers­ leben war Thomas Müntzer Propst 1516/17 und 1517/18 Lateinlehrer am Martinsgymnasi­ um in Braunschweig und anschließend dasselbe in Halberstadt. Im Frühjahr 1519 hielt er sich in Leipzig auf; er wohnte bei einem Buchdru­ cker und lernte in dieser Zeit wohl auch Luther während dessen Leipziger Disputation (Luther, Karlstadt – Eck) kennen. Ebenfalls im Dezem­ ber 1519 durfte sich Thomas Müntzer in Jüter­ bog, einer durch Fernhandel und Tuchmacherei reich gewordenen Stadt mit mehreren Kirchen und Klöstern aufgehalten haben. Luthers Schü­ OKTOBER 2017

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ler und Mitstreiter Franz Günther (ca. 1490– 1528) war an der dortigen Kirche St. Nikolai seit der Jahreswende 1518/19 und geriet we­ gen seiner reformatorischen Predigt in heftige Auseinandersetzungen mit den Franziskanern. Franz Günther wandte sich hilfesuchend nach Wittenberg, worauf Thomas Müntzer nach Jü­ terbog kam und noch gewaltiger als Günther predigte. Anschließend war dieser Beichtvater im Nonnenkloster Beuditz bei Weißenfels in der Nähe von Halle. Trotz dem Zugeständnis der schwierigen Da­ tierungsfrage zeigen diese Angaben, welch un­ stetes Leben Thomas Müntzer führte, woraus wohl auch Rückschlüsse auf seinen Charakter gezogen werden können. Müntzer war der alten Sprachen Griechisch und Hebräisch kundig. Er las antike Klas­ siker – etwa Plato und Apulejus, aber auch Kirchenväter und Mystiker – Johannes Tau­ ler (ca. 1300–1361) und Heinrich Seuse (ca. 1295/1300–1366) und wurde hauptsächlich von der deutschen Mystik beeinflusst, zudem von Joachim von Fiore (1130–1202); auch in Konzilsakten vertiefte er sich. Seine Bildung war also keineswegs gering. Aber er war kein Huma­ nist, sondern als gelehrter Theologe anerkannt. Die umfassende Lektüre betrieb er zu seiner eigenen Glaubensgewissheit. Eine einsetzende Entwicklung hin zur Reformation dürfte ab 1517 auszumachen sein. Zur römisch-katholi­ schen Kirche nahm er aufgrund seiner anhand der Bibel gewonnenen Erkenntnis zunehmend eine kritische Haltung ein. Zudem dürften bei ihm zu jener Zeit die Gedanken eines frührefor­ matorisch eingestellten Kreises aus dem Braun­ schweiger Bildungs- und Besitzbürgertum auf fruchtbaren Boden gefallen sein. Aufgrund sei­ ner großen Vorbehalte gegen Kirche und hohen Klerus konnte Müntzer als Parteigänger der Re­ formation erscheinen, und eine Zeitlang – wenn auch nur recht kurz – als Mitstreiter Luthers gelten. Es entbehrt jedoch nicht einer gewissen Ironie, dass es gerade Luther war, der ihn her­ nach als »den« »leibhaftig[en]« »Teufel« (1533) bezeichnete, auf dessen Vermittlung Müntzer sein erstes Predigtamt erhielt, in Zwickau, einer der größten und bedeutendsten Städte Kursach­ sens (Zwickau hatte Mitte des 16. Jahrhunderts etwa 7000 Einwohner).

Zwickau So also kam Müntzer nach Zwickau, wo er zunächst ab Mai 1520 den zu einer länge­ ren Studienreise abwesenden Pfarrer Egranus (1480/85–1535), der Luthers Lehre bereits INFORMATIONSBRIEF 306

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Seit 1935 auch als Zwickauer Dom bekannt – die evangelisch-lutherische Kirche St. Marien. verbreitet hatte, an der Stadtkirche St. Ma­ rien vertrat. Müntzer konnte den Zwickauer Stadtrat, insbesondere Bürgermeister Stella (um 1450–1521), hinter sich bringen. Stella, der Müntzer nicht zu Unrecht ausgezeichne­ te theologische Kenntnisse zugestand, wollte diesen unbedingt in Zwickau halten. Als Egra­ nus von seiner Studienreise zurückkehrte, kam Müntzer auf die freie Predigerstelle an der zwei­ ten Stadtkirche St. Katharinen. In Bezug auf Luther herrschte zwischen Egranus und Münt­ zer ein tiefer Gegensatz, welcher öffentlich über die Predigten ausgetragen wurde. Müntzer be­ trachtete Egranus und dessen Geistverwandte lediglich als scheinreformatorisch, die sich dem wiederentdeckten Evangelium widersetzten, wobei Egranus wohl tatsächlich vom Humanis­ mus mitgeprägt war. Luther, der Müntzer nach Zwickau empfoh­ len hatte, hatte selbst ein kritisches Verhältnis zu dieser Stadt, kamen daher doch die so ge­ nannten »Zwickauer Propheten«, die eng mit Andreas Karlstadt (1480–1541) zusammenge­ arbeitet hatten und sich, ganz im Gegensatz zu Luther, besonderer Offenbarungen rühmten, 19


die Kindertaufe ablehnten und sich an der von Luther abgelehnten Bilderstürmerei beteiligten. Einer dieser »Zwickauer Propheten«, Nikolaus Storch († 1525), aus einer verarmten Zwickau­ er Patrizierfamilie stammend, predigte als Laie an der Kirche St. Katharinen. Offensichtlich bestand eine Seelenverwandtschaft. Denn Ni­ kolaus Storch, der großen Einfluss auf Tuch­ macherknappen und auf Zwickauer Bedienstete hatte, beeindruckte Müntzer sehr. So ist es alles andere als zufällig, dass Müntzers Sicht gerade in seiner Zwickauer Zeit die sie bestimmende und eindeutige Richtung erhielt. Unter dem Einfluss des »Zwickauer Propheten« Nikolaus Storch, der die innere Erleuchtung anstelle der Bibel setzte und statt der Rechtfertigung durch den Glauben in der Erfahrung des Kreuzes ei­ nen neuen Heilsweg sah, wurde bei Müntzer das lutherische Schriftprinzip verdrängt; er hat­ te das Bewusstsein und die Sicherheit, selbst das Kreuz erfahren zu haben und erwählt zu sein. Nun war er sich sicher, als von Gott Berufener wirken zu müssen. Wegen seiner scharfen Predigten wurde Tho­ mas Müntzer zu Ostern (16. April) 1521 vom Zwickauer Rat seines Amtes enthoben und aus der Stadt verwiesen, wodurch die Spannungen (vorerst) beseitigt waren. Zur gleichen Zeit leg­ te Luther in Worms vor Kaiser und Reich sein Bekenntnis ab (17./18. April 1521). Mit unge­ brochenem Sendungsbewusstsein zog Müntzer nach Prag in der sicheren Hoffnung, in Böhmen Anhänger zu finden.

Müntzer in Prag In Prag wurde Müntzer als Anhänger Luthers begrüßt und in die altehrwürdige Karlsuniver­ sität aufgenommen. Von Prag aus erhoffte er sich durch das von ihm zum 1. November 1521 veröffentlichte »Prager Manifest« einen Neu­ anfang. Er rechnete mit einem Neuaufbruch, einer neuen Kirche. Von dieser neuen aposto­ lischen Kirche meinte Müntzer, sie breite sich von Böhmen aus über die ganze Welt aus und sei die Gemeinschaft der dazu Auserwählten in der Zeit des nahenden Gerichts. Gott berufe sich in der Zeit des Gerichts seinen Propheten, für welchen sich Müntzer hielt. Er verstand sich als Vollender dessen, was Luther angestoßen hatte, wobei sich Müntzers Selbstverständnis von demjenigen Luthers jedoch grundlegend unterschied. Im »Prager Manifest« kamen Müntzers scharfer Antiklerikalismus und sein Sendungsbewusstsein, er habe das endzeitliche Gericht über die Gottlosen zu vollziehen, zum Ausdruck. Müntzer war zu der Zeit der Auffas­ 20

sung, Luther sei tot, wiewohl dieser nach dem Reichstag zu Worms als »vogelfrei« auf Anord­ nung seines Landesherrn, Friedrich des Weisen (1463–1525) auf die Wartburg in Sicherheit gebracht worden war und so aus der Öffent­ lichkeit verschwunden war. Auf der Suche, in Böhmen Anhänger zu finden, blieb Müntzer erfolglos und somit im Großen und Ganzen wirkungslos. Der Prager Rat positionierte sich gegen Müntzer. Eine revolutionäre Stimmung kam in Prag mit auch wegen der Unsicherheit um Luthers Verbleib, nicht auf. Müntzer wurde bereits gegen Ende des Jahres 1521 genötigt, Prag zu verlassen. Im Dezember 1521 war er bereits wieder in Kursachsen.

Allstedt Allem Anschein nach kam Thomas Müntzer von Prag nicht direkt nach Allstedt, sondern war davor in Erfurt und Nordhausen und dann als Kaplan im Kloster Glaucha bei Halle tätig. Aber in dieser Zeit hatte er guten Kontakt zu den Bürgern der reichen Salzstadt Halle, die auch Residenz des Erzbischofs von Magdeburg war. Doch auch diese Stelle verlor er schon bald, wo­ bei der Grund dafür nicht bekannt ist. Müntzer hatte gute Kontakte zu der Hallenserin Felici­ tas von Salmenitz. Diese wiederum verfügte als Witwe des einstigen kursächsischen Amtmanns von Allstedt über die nötigen Beziehungen, um Müntzer in einer Kirche unterzubringen, deren Präsentationsrecht beim Kurfürsten von Sach­ sen lag, wobei dieser von Müntzers Probeein­ setzung keine Kenntnis hatte. Im Frühjahr 1523 war Müntzer in Allstedt am Kyffhäuser. Die Stadt in der Region Südharz hatte damals lediglich um die 700 Einwohner. Für 17 Monate sollte Müntzer Pfarrer an der Johanneskirche sein – ab Ostern 1523, und dann sich zur Flucht in die Freie Reichsstadt Mühlhausen genötigt sehen. In diesen 17 Mo­ naten geschah viel und waren diese knapp ein­ einhalb Jahre für Müntzer eine fruchtbare Zeit. So entstanden in diesen Monaten die meisten der neun Druckschriften Müntzers. Hier schuf er vor Luther in seiner »Deutschen evangeli­ schen Messe« und seinem »Deutschen Kirchen­ amt« als Erster eine deutsche Liturgie, die er in seiner Schrift »Ordnung und Berechnung« verteidigte. Inhaltlich war Müntzers Liturgie konservativ, obschon der Anteil der Gemeinde betont wird. In Erfurt und Wolfenbüttel waren Teile seiner Liturgie noch lange in Gebrauch. Es war wahrscheinlich Müntzers Liturgie, die den Anstoß für Luthers deutsche Lieddichtung gab sowie den Anstoß zu dessen Liturgie, die ja auch OKTOBER 2017

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– im Gegensatz zu den reformierten – konser­ vativ war und nur das aus der römischen Messli­ turgie wegfallen ließ, was eindeutig der Heiligen Schrift widersprach. In Allstedt sammelte Müntzer einen (kon­ spirativen) »Bund getreulichen und göttlichen Willens«, dem sich neben Gliedern der Allsted­ ter Gemeinde auch Mansfelder Bergknappen anschlossen und der sich weit über Nordthürin­ gen ausbreitete. Nachdem Luther in seinem »Sendbrief an die Fürsten zu Sachsen vom aufrührerischen Geist« vor Müntzer gewarnt hatte, verteidigte dieser in seiner so genannten »Fürstenpedigt« (»Auslegung des andern Unterschieds Daniels des Propheten, gepredigt auf dem Schloss zu Allstedt vor den tätigen teuren Herzogen und Vorstehern zu Sachsen durch Thomas Müntzer, Diener des Wort Gottes«) am 13. Juli 1524 sei­ ne Lehre und forderte den Fürsten dazu auf, in seinen Bund einzutreten. Es war möglicherwei­ se die kühnste Predigt, die sich eine Obrigkeit je anhören musste (so Heinz Stade). Als der Fürst sich dem Ansinnen Müntzers versagte, wurde dieser zum politischen Agitator. Er hatte näm­ lich die sächsischen Fürsten in seiner »Fürsten­ predigt« zum Vollzug des göttlichen Gerichts aufgefordert, ansonsten gebe Gott die Gewalt dem gemeinen Volk. Als »ein neuer Johan­ nes« [der Täufer] wollte Müntzer Christus die Herrschaft bereiten und in einem neuen Got­ tesstaat »die Tyrannen und feisten Pausbacken erwürgen« und das Volk frei machen. Während Luther in seiner politischen Ethik es als gottge­ wollte Ordnung ansah, dass jeder der Obrigkeit untertan sei, ging Müntzer darüber beträchtlich hinaus: Gott habe der Obrigkeit das Schwert gegeben, doch wenn diese dieses missbrauche – und Müntzer ging davon aus, dass dies bei der gegenwärtigen Obrigkeit der Fall sei – dann sei dies ein Bruch mit Gott und entsprechend zu bestrafen. Zudem betonte Müntzer im Ge­ gensatz zu Luther, die Selbstabtötung sei für den Geistempfang nötig, während bei Luther der Geist sich an den Buchstaben der Heiligen Schrift gebunden hat, diese somit Geistträ­ ger ist. Nach Luthers Erinnerung behauptete Müntzer, »dass die äußerliche Predigt nichts wäre, der Geist sei notwendig; niemand werde ein Christ, es sei denn, Gott spreche zuerst mit ihm in Menschenstimme: Er schmeiße auf einen Gott, der nicht mit ihm spräche […]« Und Lu­ ther fährt fort: »Diese Lehre hat den Schein der Heiligkeit. Dergestalt verkleinert Müntzer die Autorität des mündlichen Wortes.« Im Sommer 1524 spitzte sich dann die politi­ sche Lage in Allstedt und Umgebung zu. Münt­ INFORMATIONSBRIEF 306

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zer strebte deshalb ein öffentliches Schutzbünd­ nis an. Dazu trafen sich am 24. Juli im Ratskeller Anhänger Müntzers aus Allstedt und Umge­ bung und trugen sich in das »Christliche Ver­ bündnis« ein; dieses war zu Schutz und Vertei­ digung der »Auserwählten« gegründet worden. Luther hatte zwei Disputationen angeregt; die eine mit Justus Jonas (1493–1555) und die andere mit Johannes Lang (1487–1548), wel­ che beide ergebnislos verliefen. Daraufhin hatte Luther bereits am 18. Juni 1524 den Landes­ herrn aufgefordert, den »Schwarmgeist« aus dem Kurfürstentum Sachsen auszuweisen. Die Ernestiner forderten im Verhör in Weimar am 1. August 1524 von Müntzer, seinen Bund auf­ zulösen und sich in weltlichen Dingen zurück­ zuhalten. Der »Geist von Allstedt« blieb indes bei seiner Anschauung. Aber er ahnte anschei­ nend die ihm drohende Gefahr und verließ All­ stedt in der Nacht vom 7. auf 8. August 1524 über die Stadtmauer. Mit dabei war seine Frau, die ehemalige Nonne Ottilie von Gersen, die Müntzer in Allstedt geehelicht hatte. In der na­ hen Reichsstadt Mühlhausen, wohin sie flohen, verliert sich ihre Spur.

Mühlhausen / Frankenhausen –– Bauernerhebung und Müntzers ­Hinrichtung Mühlhausen, am Oberlauf der Unstrut im Thüringer Becken gelegen, wird 967 n. Chr. erstmals erwähnt. Die Freie Reichsstadt Mühl­ hausen entwickelte sich im Mittelalter neben Erfurt zur wichtigsten Stadt und war in den Jahren 1524/25 das Zentrum der Bauernerhe­ bung, in welcher, wie sich sogleich zeigen wird, Thomas Müntzer und der ehemalige Zisterzi­ ensermönch Heinrich Pfeiffer († 1525) führend hervortraten, wobei Letzterer seit 1523 Unruhe schürte. Ab August 1524, der Ankunft Müntzers, wurde dieser der einflussreichste Führer inner­ städtischer Oppositionsbewegung. Ein Brief Luthers vom 21. August 1524 an den Rat zu Mühlhausen, in welchem er seine »lieben Her­ ren und guten Freunde« vor diesem warnte, erwies sich als wirkungslos, da bei dessen An­ kunft Müntzer bereits in der Stadt war. Damit warnte Luther allem Anschein nach vergeblich davor, einen »falschen Geist und Propheten« in ihrer Stadt aufzunehmen, »der in Schafskleidern daher geht und inwendig ein reißender Wolf« sei. Luther mahnte zur Vorsicht, da Müntzer zu nichts als »Mord und Aufruhr und Blutvergie­ ßen anzurichten« in der Lage sei. Nach einem missglückten Aufstand wurden 21


Müntzer und Pfeiffer – sie hatten versucht, eine Gemeinde der Auserwählten zu gründen – aus Mühlhausen ausgewiesen. Müntzer ging nach Nürnberg, wo er seine »Hochverursach­ te Schutzrede« gegen Luther drucken ließ. Er nahm Verbindung mit den aufständischen Bauern in Oberdeutschland auf, ebenso mit Johannes Oekolampad (1482–1531) in Basel und Balthasar Hubmaier (1480–1528) von den (Wieder)Täufern. In Süddeutschland gab es be­ reits den Aufstand des »gemeinen Mannes« ge­ gen die Obrigkeit, was Müntzer nicht entging. Er vertrat die Auffassung, Pfarrer und Fürsten hielten die einflussreichen Leute vom Glauben ab. Müntzer sah darum in den aufständischen Bauern das Werkzeug Gottes für die apokalypti­ sche Reinigung der Kirche, die er für notwendig hielt. Müntzer zufolge schaffte der Bauernauf­ stand die Voraussetzung für eine Welt in der rechte Verkündigung stattfinden kann. Ende Februar 1525 war Müntzer wieder in Mühlhausen, nachdem der Bauernaufstand auch Städte und Dörfer in Thüringen erfasst hatte. Mühlhausen sollte das Modell einer Stadt des angebrochenen Gottesreiches werden, wozu auch Gewalt angewandt werden konnte. Das geht aus folgender Aussage Müntzers hervor: »Dran, dran, solange das Feuer heiß ist. Lasst euer Schwert nicht kalt werden.« Mitte März 1525 wurde der Rat Mühlhau­ sens abgesetzt und an dessen Stelle setzten Müntzer und Pfeiffer einen (gewählten) »Ewi­ gen Rat« ein, womit Günther Franz zufolge, Mühlhausen zu einer christlichen Demokratie umgeformt wurde (RGG³, IV, Sp. 1183) – und zudem wurde Mühlhausen zum Zentrum des mitteldeutschen Aufstandes. Von Mühlhau­ sen aus rief Müntzer durch Briefe in Allstedt, Mansfeld, Sangershausen zum Anschluss an den Bauernkrieg auf, der zu dieser Zeit von Ober­ deutschland auf Thüringen übersprang. Ende April 1525 zogen die Aufständischen ins Eichs­ feld und zerstörten – im Beisein Müntzers – Burgen und Klöster. Ja, Müntzer gab als »ein Knecht Gottes wider die Gottlosen, gegürtet mit dem Schwert Gideons« der thüringischen Aufstandsbewegung ihr eigenes Gepräge. Luther war im April und Mai 1525 auf Ein­ ladung des Grafen Albrecht von Mansfeld mit Philipp Melanchthon (1497–1560) und Johann Agricola (1492/94–1555) in seine Geburts­ stadt Eisleben gekommen, um die Lateinschu­ le zu eröffnen. Anschließend predigte Luther gegen die aufrührerischen Bauern im Auf­ standsgebiet, besonders auch in Stolberg des altgläubigen Grafen Boto zu Stolberg. Zu groß war die Unzufriedenheit mit der Obrigkeit, als 22

dass Luthers Predigt noch etwas bewirkt hätte. Eingängiger war bei den unzufriedenen, ge­ knechteten Massen die Botschaft Müntzers, sie sollen der Obrigkeit das Schwert entwenden. Dies wiederum mobilisierte die Obrigkeit zur Wahrung ihres Verständnisses als »gottgewollte Obrigkeit«. Und da machten plötzlich zerstrit­ tene Religionsparteien gemeinsame Sache, als es darum ging, die Bauern auszuschalten; da wurde der »Lutherhasser« Herzog Georg (der Bärtige) von Sachsen (1471–1539) zum »Lu­ therfreund«, wenn auch nur partiell in dieser Sache, wie ja auch konfessionell Gegensätzliche im Kampf gegen das Täuferreich zu Münster (1532–1535) zusammenstanden und als die Türken vor Wien lagen (1529; vgl. dazu Lu­ thers »Türkenschriften«). Am 10. Mai 1525 zogen 300 Männer von Mühlhausen nach Frankenhausen am Kyffhäu­ ser, wo sich Tausende von Aufständischen ver­ sammelt hatten. Müntzer war als Feldprediger dabei. Gegen das geordnete Heer der Fürsten hatten die Aufständischen keine Chance, was diesen aber nicht bewusst war. So kamen sie auch der Aufforderung, Müntzer auszuliefern, nicht nach. Vernichtend war die Niederlage der Auf­ ständischen am Kyffhäuser. Tausende kamen am »Schlachtberg« bzw. beim panikartigen Rückzug nach Frankenhausen ums Leben. Müntzer konnte zunächst fliehen, wurde dann aber aufgespürt, gefangengenommen und auf der Wasserburg bei Heldrungen verhört. Am 27. Mai 1525 wurde Müntzer nach Folter vor Mühlhausen hingerichtet, wie auch der bei Ei­ senach festgenommene Heinrich Pfeiffer. Nach der Schlacht bei Frankenhausen zeigte Luther am 30. Mai mit Müntzer kein Erbarmen. Noch 1533 äußerte er ja in einer Tischrede: »Wer den Müntzer gesehen hat, der kann sagen, er habe den Teufel leibhaftig gesehen, in seinem höchs­ ten Grimme.« Zur Hinrichtung Müntzers er­ klärte Luther: »Müntzer ging voll Zittern in den Tod und behauptete, indem er die Bibel hastig ergriff und glaube alles, was in diesem Buch enthalten sei. Aber das genügt nicht.« Über­ nahm Luther in seiner Tischrede 1533 Mitver­ antwortung für den Tod der Bauern, wenn er sagte: »Prediger sind die allergrößten Totschlä­ ger. Denn sie ermahnen die Obrigkeit, dass sie entschlossen ihres Amtes walte und Schädlinge bestrafe. Ich habe im Aufruhr alle Bauern er­ schlagen; all ihr Blut ist auf meinem Halse. Aber ich schiebe es auf unseren Herrgott; der hat mir befohlen, solches zu reden.« Deus dixit – Gott hat gesprochen. So jedenfalls sieht es Heinz Stade (S. 69), der allgemein eine eher positive OKTOBER 2017

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Sicht zu Müntzer vertritt. Diese Sicht erscheint allerdings als verkürzt und nimmt zu wenig die politische Ethik Luthers auf.

Rezeption, Wirkungsgeschichte und Beurteilung(en) Müntzers Bereits die »Hinführung« zum Thema (»Umstritten – Stimmen zu Müntzer und Ein­ schätzungen dieses«) hat gezeigt, wie disparat die Einschätzungen dieses sind, von seinen Zeit­ genossen an bis in die neuste Zeit. Es war haupt­ sächlich die marxistische Geschichtsschreibung, die Müntzer zum Sozialrevolutionär stilisierte, was er nach Martin Brecht »jedoch nur beiläu­ fig« »war« (ELThG, II, S. 1383), wiewohl sich bei Müntzer kommunistisches Gedankengut findet (die Sicht von Heinrich Bornkomm und Walter Nigg fällt wesentlich positiver aus), und es deshalb nicht verwunderlich ist, dass sich die marxistische Geschichtsschreibung seiner »an­ nahm«. Zuzustimmen ist Martin Brecht, der im Vergleich mit der lutherischen Reformation ausführt: »›Der Prophet mit dem Hammer‹ war theologisch ein radikaler, gesetzlicher Spiritua­ list, der faktisch mit der lutherischen Reforma­ tion wenig gemeinsam hatte« (ebd.). Bei den Täufern wirkte Müntzers Gedankengut weiter. Befasst sich auch seit kurzem, nämlich erst seit 2001, eine internationale Thomas-Münt­ zer-Gesellschaft mit der Erforschung von des­ sen Schriften, was dann positiv zu würdigen ist, wenn diese nicht ideologieverhaftet bleibt, ge­ riet »Luthers ungeliebter Bruder« bei der 2008 begonnenen EKD-Dekade zum Reformations­ jubiläum 2017 fast völlig aus dem Blick. Würdigung hat Thomas Müntzer indes an anderer Stelle auf oberer Kirchenebene erfahren. Im 1996 erschienenen Evangelischen Gesang­ buch (EG), ist Thomas Müntzer im Stammteil (!) vertreten und zwar mit dem Adventslied »Gott, heiliger Schöpfer aller Stern« (EG 3, sechs Strophen) von 1523, auch wenn es sich dabei um die Nachdichtung eines Hymnus aus dem 10. Jahrhundert handelt. Dem Osterlied von Michael Weiße (1488–1534, bearbeitet von Otto Riethmüller [1889–1938], 1932) »Singen wir heut mit einem Mund« (EG 104, drei Stro­ phen), ist eine Melodie von Thomas Müntzer von 1524 beigegeben, wiewohl auch diese auf eine Vorlage des 10. Jahrhunderts zurückgeht. Im Evangelischen Kirchengesangbuch (EKG) von 1953 ist Thomas Müntzer nicht vertreten. Insofern hat Müntzer eine Aufwertung erfah­ ren. Betrachtet man die Entwicklung Müntzers, so verlief diese vom gelehrten, für die Reforma­ INFORMATIONSBRIEF 306

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tion aufgeschlossenen Theologen hin zum (So­ zial)Revolutionär. Als »Vater« der Reformation taugt er jedenfalls nicht. Er verrannte sich und traute letztlich im Gegensatz zur reformatori­ schen Einsicht (vgl. etwa Luthers Invokavitpre­ digten von 1522 und der knappen Zusammen­ fassung im Augsburger Bekenntnis von 1530: »non vi, sed verbo« – nicht mit Gewalt, sondern mit dem Wort) der Gewalt (Erhebung des ge­ meinen Mannes) und nicht dem Wort und kon­ terkarierte die Reformation damit geradezu, was freilich auch im Zusammenhang der Lösung des Geistes vom Wort und der Verlegung dieses in mystischer und schwärmerischer Weise in das Innere des Menschen gesehen werden muss. Bei Müntzer handelt es sich um Revolution statt Reformation. Die schroffe Ablehnung und Beurteilung Müntzers durch die wesentlichen Reformatoren erscheint nur folgerichtig. Als »Bruder« konnte Luther – und nicht nur er – Müntzer nicht anerkennen. Seine Ausführun­ gen legen überdeutlich nahe, dass Müntzer für Luther auch nicht ein »ungeliebter Bruder« [im Herrn] war. W

Eingesehene Literatur - Siegfried Bräuer und Hans-Jürgen Goertz, Thomas Müntzer, in: Gestalten der Kirchengeschichte, Band 5, Reformationszeit I, hg. v. Martin Greschat, Stuttgart 1981, Verlag W. Kohlhammer (GdKG, V, I), S. 335–352. - Evangelisches Gesangbuch (EG), Nr. 3 und 104; vgl. auch S. 1599f. (Kurzbiographien). - Fachwörterbuch Theologie, hg. v. Johannes Hanselmann, Samuel Rothenberg, Uwe Swarat, Wuppertal 1987, R. Brockhaus Verlag. - Evangelisches Lexikon für Theologie und Gemeinde, hg. v. Hellmut Burkhardt und Uwe Swarat, Band 2, Wuppertal 1993, R. Brockhaus Verlag (ELThG), S. 1382f., Artikel: Müntzer, Thomas von Martin Brecht. - Armin Gebhardt, Thomas Müntzer. Revolution statt Reformation. Eine Studie, Marburg 2008, Tectum Verlag. - Walter Nigg, Das Buch der Ketzer, Zürich 1986, Diogenes Verlag, S. 391–400. - Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, hg. v. Kurt Galling und anderen, Band 4, 3. Auflage Tübingen 1960, Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) (RGG³, IV), Spalte 1183f., Artikel: Müntzer, Thomas von Günther Franz. - Heinz Stade, Thomas Müntzer. Stationen seines Lebens und Wirkens, Ilmenau 2016, Rhino Verlag, Rhino WestentaschenBibliothek, Band 44. - Stadt Stolberg, Hg., Thomas Müntzer, Stolberg (Harz), Texte und Redaktion Dietrich Lücke.

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Aus Kirche und Gesellschaft Starker Anstieg charismatischer und evangelikaler Gemeinden in Brasilien Jede Stunde wird eine neue Kirche ­gegründet Die an Zahl größte katholische Nation der Welt ist zwar nach wie vor Brasilien mit nomi­ nell rund 172 Millionen Katholiken. Doch auch dort hält der in Lateinamerika zu ­beobachtende Trend hin zu anderen Glaubensgemeinschaf­ ten an. In Brasilien wird pro Stunde eine neue religiöse Gemeinschaft gegründet, gut 25 Kir­ chen sind es an jedem Tag. Bei den Finanz­ behörden haben sich nahezu 70 000 derartige Gruppierungen und »Tempel« als steuerbefreit angemeldet. Die allermeisten sind charisma­ tisch-pfingstlerisch oder evangelikal orientiert. Vor allem in den größeren Städten wächst aber ebenfalls die Zahl der Religionslosen und aus­ drücklichen Atheisten beträchtlich. (Quelle der Nachricht: Christ in der Gegenwart 16/2017 vom 16. April 2017, S. 170)

ung bislang nicht möglich. In Schottland sollen nun entsprechende neue liturgische Richtlini­ en entwickelt werden. Die rund 85 Millionen Christen repräsentierende anglikanische Welt­ gemeinschaft ist in der Frage der »Homo-Ehe« tief gespalten. (Quelle der Nachricht: Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg 25/2017 vom 18. Juni 2017, S. 2, nach epd)

EAK-Vorsitzender tritt aus CDU aus Der Vorsitzende des Kreisverbandes Karls­ ruhe-Land des Evangelischen Arbeitskreises (EAK) der CDU, Willi Funk (53, Bruchsal, Finanzmakler), ist nach elf Jahren Mitglied­ schaft aus der CDU und damit auch aus dem EAK ausgetreten. Zur Begründung gab er an, die Union habe die »Sensibilität für den Schutz ungeborener Kinder« verloren. Das Land habe den »gelebten Gottesbezug« eingebüßt. In der Genderpolitik dulde die CDU eine »Auflösung der geschöpflichen Identität«. Die Christdemo­ kraten scheuten sich auch vor einer Auseinan­ dersetzung mit dem Islam und davor, die Un­ terschiede zwischen Islam und Christentum deutlich zu machen. Funk, Mitglied der Freien evangelischen Gemeinde Bad Schönborn (bei Karlsruhe), kündigte an, die überparteiliche Schreibgemeinschaft »Konvers« aufzubauen, in welcher sich christliche Autoren kritisch mit Zeitfragen auseinandersetzen sollen. (Quelle der Nachricht: ideaSpektrum 22/2017 vom 31. Mai 2017, S. 38, Südwest)

Anglikanische Kirche Schottlands traut Homo-Paare Die anglikanische Kirche in Schottland hat der Trauung von gleichgeschlechtlichen Paa­ ren mit großer Mehrheit zugestimmt. »Dies ist das Ende eines langen Weges«, erklärte der Primas der Scottish Episcopal Church, Bischof David Chillingworth nach einer sehr emotional verlaufenden Debatte auf der Generalsynode in Edinburgh. Die Entscheidung gilt als historisch. Damit macht eine der großen Kirchen in Groß­ britannien den Weg frei für die Trauung von Homo-Paaren in einer Kirche. In der anglikani­ schen Kirche von England ist eine solche Trau­ 24

Baden-Württemberg: Konfessionsloser grüner Sozial­ minister fördert Multireligiosität Rascher Ausbau der Runden Tische der ­Religionen angestrebt In mindestens zehn baden-württembergi­ schen Städten soll es bis 2019 einen Runden Tisch der Religionen geben. Das haben Teil­ nehmer bei der konstituierenden Sitzung des ersten landesweiten Runden Tisches der Reli­ gionen als Ziel formuliert. An der Begegnung, zu der der konfessionslose grüne Sozialminister Manfred Lucha (Stuttgart) eingeladen hatte, nahmen evangelische, katholische und ortho­ doxe Kirchenvertreter sowie die zwei jüdischen Religionsgemeinschaften Baden-Württembergs und Vertreter muslimischer Gruppierungen wie OKTOBER 2017

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Aleviten, Ahmadiyya und Sunniten teil. Solche Begegnungsforen gibt es bisher in Heidelberg, Stuttgart und Ulm. Nun sollen weitere Kom­

munen mit mehr als 20 000 Einwohnern da­ zukommen. Laut Lucha stärken solche Foren den gesellschaftlichen Zusammenhalt und mo­ tivieren die verschiedenen Glaubensrichtungen, sich für ihre Stadt zu engagieren. Unterstützt wird die Landesinitiative von der Tübinger Stif­ tung Weltethos, die auf den gemaßregelten ka­ tholischen Theologen Hans Küng zurückgeht. Lucha wies darauf hin, dass keine Religion über dem Staat stehe. Wenn etwa Imame homosexu­ ellen-, frauen- oder christenfeindlich predigten, »muss das abgestellt werden«. Das sind Wunsch­ vorstellungen die zeigen, wie wirklichkeitsfremd Minister mitunter sein können. (Quelle der Nachricht: Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg 24/2017 vom 11. Juni 2017, S. 20, nach epd)

Aus den Bekennenden Gemeinschaften schaften gehören 31 Gemeinden, von denen die meisten im Ruhrgebiet und in Ostwestfalen be­ heimatet sind, sowie der 1969 gegründete Mis­ sionsverlag in Bielefeld. In den Gemeinden sind 30 ehrenamtliche Prediger tätig. (Quelle der Nachricht: ideaSpektrum 24/2017 vom 14. Juni 2017, S. 35, West)

Personelle Veränderungen bei CBB Pfarrer Czylwik neuer Vorsitzender der Lutherischen Gebetsgemein­ schaften Pfarrer Michael Czylwik (bislang seit 2010 Gemeindepfarrer in Lüdenscheid) wurde neu­ er Vorsitzender und hauptamtlicher Geschäfts­ führer der Evangelisch-Lutherischen Gebets­ gemeinschaften. Er trat im September die Nachfolge von Hans-Joachim Grindau (Gelsen­ kirchen) an, der in den Ruhestand ging. Seinen Dienst als Geschäftsführer der Gebetsgemein­ schaften übt er von Steinhagen bei Bielefeld aus. Als Schwerpunkte seiner Arbeit sehe er neben der geistlichen Leitung des Gemeinschaftsver­ bandes den Verkündigungsdienst in den örtli­ chen Gemeinden sowie die Schulung und Un­ terstützung der ehrenamtlichen Mitarbeiter. Zu den Evangelisch-Lutherischen Gebetsgemein­ INFORMATIONSBRIEF 306

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Bereits bei der Frühjahrstagung der Chris­ tusBewegung Baden (CBB) hat Pfarrer Jür­ gen Lauer (Wiesenbach) bekanntgegeben, als stellvertretender Vorsitzender aufzuhören. Er nannte zur Begründung seine vielen sonstigen Aufgaben und seine Gesundheit. Jürgen Lauer will aber weiterhin ehrenamtlich als Studienlei­ ter am Friedrich-Haus-Studienzentrum (FHSZ) in Schriesheim bei Heidelberg wirken. Anstelle von Jürgen Lauer wurde Pfarrer Paul-Ludwig Böcking (67), vormals CVJMGeneralsekretär in Baden und zuletzt Gemein­ depfarrer in Pforzheim-Eutingen bei derselben Tagung als stellvertretender Vorsitzender der CBB berufen. Professor Dr. Rainer Nobiling aus Schriesheim, bereits Vorstandsmitglied bei der CBB, wurde von der Mitgliederversammlung als neuer CBB-Schatzmeister gewählt. Professor Nobiling ist seit 35 Jahren ehrenamtlich für das FHSZ tätig. (Quelle der Nachricht: hoffen + handeln Juni/Juli 2017, S. 12)

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Zweifacher Generationenwechsel bei idea Matthias Pankau wird 2018 Nachfolger von Helmut Matthies –– Johannes Holmer folgt vorübergehend auf Horst Marquardt An der Spitze der Evangelischen Nachrichten­ agentur idea (Wetzlar) vollzieht sich ein zweifa­ cher Generationenwechsel: In der Leitung wie im Vorsitz des idea-Trägervereins. Bei der Lei­ tung tritt idea-Redakteur Matthias Pankau (40, bisher Leiter des Regionalbüros Ost in Leipzig) die Nachfolge von Helmut Matthies (67) an. Der in Leipzig aufgewachsene Pankau ist verhei­ ratet und Vater zweier Töchter. Matthies steht seit 1978 an der-Spitze von idea. Er baute den 1970 gegründeten Nachrichtendienst erheblich aus: waren es anfangs vier Mitarbeiter, so sind es heute mehr als 50. Ab 1979 entwickelte er das viel beachtete Wochenmagazin ideaSpektrum, welches das auflagenstärkste kirchliche überre­ gionale Wochenmagazin im deutschsprachigen Europa ist. Einen Generationenwechsel gibt es auch im Vorsitz des idea-Trägervereins. Pastor Horst Marquardt (87, Wetzlar) wurde verabschiedet. Mit Horst Marquardt verbindet sich hauptsäch­ lich der Aufbau des Evangeliums-Rundfunks (Wetzlar, heute: ERF-Medien). Ab 1960 war er dort engagiert und leitete diesen bis 1993. Marquardts Nachfolger ist vorübergehend Pastor Johannes Holmer (Bülow/Mecklen­ burg), ein Sohn von Uwe Holmer, der das Ehepaar Honecker einige Zeit im Pfarrhaus beherbergte. Seit 2010 war Johannes Holmer Stellvertreter von Horst Marquardt im Vorsitz des idea-Trägervereins. Da Holmer zusätzlich zu seiner Pfarrstelle in einer Reihe von Ehren­ ämtern tätig ist, etwa bei ERF-Medien, bei der Deutschen Zeltmission und beim Netzwerk Bibel und Bekenntnis, wird er diesen Vorsitz lediglich für kurze Zeit haben. So wählte die idea-Mitgliederversammlung den noch bis Jah­ 26

resende als idea-Leiter amtierenden Helmut Matthies für die Zeit ab dem 1. Januar 2018 in den idea-Vorstand. Ab dem neuen Jahr soll Matthies dann den idea-Vorsitz übernehmen. (Quelle der Nachricht: ideaSpektrum 24/2017 vom 14. Juni 2017, S. 14)

proMission in Bayern gegründet Das neue Missionswerk hat aber ganz Deutschland im Blick In Bayern wurde bereits im Frühjahr ein neues Missionswerk gegründet, das in ganz Deutsch­ land tätig sein will: proMission. Beim Festgot­ tesdienst in Zapfendorf bei Bamberg sagte der dortige Ortspfarrer Kornelius Holmer, der auch zum Vorstand gehört, der Schwerpunkt liege auf Evangelisation und Seelsorge. Ziel sei die Anstellung eines hauptamtlichen Evangelisten. Das neue Missionswerk möchte in Zusammen­ arbeit mit Gemeinden Menschen zum Glauben einladen durch evangelistische Aktionen, Bibel­ wochen, Kurzbibelschulen und Mitarbeit bei Gottesdiensten. Auch in der Seelsorge und Le­ bensberatung ist das Missionswerk aktiv. www.promission-deutschland.de (Quelle der Nachricht: ideaSpektrum 12/2017 vom 22. März 2017, S. 26, Bayern)

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Buchrezensionen Evangelische Kirche –– Schiff ohne Kompass? Impulse für eine neue Kursbestimmung Eine Studie quer zum herrschenden Zeitgeist und Mainstream in Kirche und Gesellschaft legt Werner Thiede mit diesem Buch vor. Es ist nicht die erste Schrift, die der gelehrte bayerische Pfarrer und Erlanger Systematiker veröffentlicht hat, und hoffentlich auch nicht die letzte. Die Liste seiner Veröffentlichungen ist bereits lang und weist auf seine Vielseitigkeit hin; sie liest sich vielversprechend, etwa wenn Missstände in der Jetztzeit behandelt werden wie in dem in zweiter Auflage (2014) vorliegenden Buch »Die digitalisierte Freiheit. Morgenröte einer Ersatzreligion«, das die allmächtig werdende, fast schon religiöse Züge annehmende, immer weiter voranschreitende Digitalisierung einer kritischen Betrachtung unterzieht. Heutzutage fehlt es nicht an Publikationen, die eine falsche Ausrichtung und mancherlei Versagen von Kirche aufzeigen, es aber bei Ana­ lysen bewenden lassen. Fehlentwicklungen ver­ schweigt Werner Thiede keinesfalls. Aber dabei lässt er es eben nicht bewendet sein. Die von ihm aufgeworfene Frage, ob die evangelische Kirche denn einem Schiff ohne Kompass gleiche, be­ antwortet er nachvollziehbar mit Ja. Kirchlicher und theologischer Liberalismus haben sich näm­ lich so gut wie flächendeckend durchgesetzt, streben eine Kongruenz von Kirche und Gesell­ schaft an und nehmen deren tatsächliche oder auch nur vermutete Wünsche, wenn nicht gar Forderungen auf. Nicht mehr die Heilige Schrift ist die Bezugsgröße kirchlichen Handelns, son­ dern eben Wünsche und Forderungen aus der Gesellschaft, was freilich dem reformatorischen Grundsatz »allein die Schrift« widerstreitet. Ein Beispiel des Eingehens auf gesellschaftliche Lob­ bygruppen ist die Neubewertung der Homo­ sexualität in der evangelischen Kirche bzw. evan­ gelischen Landeskirchen und deren Öffnung für Segnungen gleichgeschlechtlicher Partnerschaf­ ten, ja mitunter gar deren kirchliche Trauungen. Freilich werden andere Großkirchen (römischkatholische Kirche, orthodoxe Kirchen) darauf nicht eingehen, so dass diese Entscheidung das ohnehin schwierige ökumenische Klima zusätz­ lich nachhaltig belastet. INFORMATIONSBRIEF 306

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In einem umfangreichen ersten Teil (S. 13– 94) benennt Thiede »Herausforderungen«. Diese sind zahlreich, und noch mehr ließen sich wohl finden. Allenthalben krankt die Kirche. Sie hat sich zunehmend dem Säkularismus geöffnet und im gleichen Maße die Auferstehungs- und Himmelshoffnung verloren, im Grunde die reformatorische Rechtfertigungslehre preisge­ geben und im Hafen eines neuen Kulturpro­ testantismus Anker geworfen. Zukunft ist einer solchen Kirche kaum verheißen. Anbruchhaft wird dies bereits sichtbar: Massen wenden sich von ihr ab oder ignorieren sie. Dennoch setzt sie nicht auf (Innere) Mission; diese ist ihr (genauso wie die Äußere) obsolet geworden. Bekenntnis und Heiligkeit hat sie überdies den Abschied ge­ geben. Von den vier reformatorischen »Allein«Bestimmungen hat sie sich längst verabschiedet: An die Stelle der Schrift trat die Vernunft (und dennoch oder gerade deswegen ist in der evan­ gelischen Kirche so manches unvernünftig); die Christologie (Christus allein) hat – gut altliberal – einem Jesuanismus Platz gemacht (nicht mehr Glaube an Christus, sondern handeln wie Jesus); Gnade wurde durch großzügiges Übersehen und Übergehen (»billige Gnade«, Rechtferti­ gung der Sünde und nicht mehr des Sünders) ersetzt, und der Glaube durch Technikgläubig­ keit. Im zweiten Teil (S. 95–195), der sogar um­ fangreicher als der erste ausfällt, ringt der Au­ tor um »Vergewisserungen« und gibt, wie im Buchuntertitel angegeben, »Impulse für eine 27


neue Kursbestimmung«. Er reklamiert dabei auf die vier »Hauptreformatoren«: Luther, Me­ lanchthon, Zwingli, Calvin. Aus dem dadurch zwangsläufig historisch und dogmengeschicht­ lich orientierten Teil, in welchem Thiede Eigen­ heiten der vier »Hauptreformatoren« erhebt, geht dann hervor, dass er sich eine Besserung durch Rückbesinnung auf diese erhofft, wiewohl er dies nicht einfach durch Übertragung von de­ ren Erkenntnissen erreichen möchte, sondern im konstruktiv-kritischen Dialog mit den ge­ schätzten Reformatoren. Er hält entgegen dem theologischen und kirchlichen Mainstream am reformatorischen Schriftprinzip fest, erteilt aber plattem Fundamentalismus, zumal der sich nicht aufs reformatorische Schriftverständnis berufen könne, eine deutliche Absage. Im Zuge einer sich wandelnden Kirchlichkeit spricht er sich für eine stärkere Empfehlung der Erwachsenentaufe aus, für die Wiedergewinnung der Beichte sowie dafür, dass die Gottesdienste mehr Feiercharak­ ter erhalten und dass die Ortsgemeinde, ganz im Sinne des Glaubensbekenntnisses und entgegen gängigen kirchenamtlichen Bestrebungen, als »Gemeinschaft der Heiligen« zu begreifen seien. Gut passend zum Reformationsjubiläum fasst der Autor seine Überlegungen in 95 Thesen zu­ sammen (S. 196–208) und bündelt diese damit. Alle seine Aussagen belegt Werner Thiede genau. So ist denn auch ein sehr umfangreicher Anmerkungsteil entstanden, der hin und wie­ der noch weiterführende Gedanken enthält (S. 209–273) und dem ein Verzeichnis der wich­ tigsten »Literatur« zum Thema (S. 274–277) und ein Personenregister folgen. Ein Geleitwort des einstigen Braunschweiger Landesbischofs (1982–1993) und vormaligen Erlanger Kir­ chenhistorikers (1967–1982) Gerhard Müller ist dem Buch vorangestellt. Dass die renommierte Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG) die­ se Schrift verlegt, ist dankbar zu begrüßen. Das Buch Werner Thiedes, welches er in Sorge um »seine« evangelische Kirche verfasst hat, ist zu empfehlen. Ihm ist weite Verbreitung und vor allem Beachtung zu wünschen. Walter Rominger Werner Thiede Evangelische Kirche –– Schiff ohne Kompass? Impulse für eine neue Kursbestimmung Darmstadt 2017 Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG) gebunden 280 Seiten 29,95 Euro (Mitgliederpreis 24,95) ISBN: 978-3-534-26893-1 auch als eBook erhältlich. 28

Die digitalisierte Freiheit Morgenröte einer technisierten Ersatzreligion Als eine »Kampfschrift« im guten Sinne werte ich das angezeigte Buch des Erlanger Systema­ tikers/Ethikers und fleißigen theologischen Pu­ blizisten Werner Thiede, der sich seit Jahrzehn­ ten neben manch anderem mit Zeitströmungen befasst. Der allenthalben vernehmbaren Eupho­ rie zur Digitalisierung, welche von Wirtschaft und Politik (und auch die Kirchen wollen nicht hintanstehen) mit Verve vorangetrieben wird und das Leben ganz allgemein mehr und mehr beherrscht und beschleunigt, ja die Verschmel­ zung von Mensch und Maschine angestrebt ist, setzt Werner Thiede sein begründetes Nein entgegen, wiewohl er weder ganz allgemein technik- noch im besonderen internetfeindlich ist (er hat eine eigene Homepage: www.wernerthiede.de), wohl aber, im Gegensatz zum Groß­ teil der Digitalisierungsenthusiasten, diese Tech­nik kennt und durchschaut und ihre Fol­ gen abzuschätzen vermag. Da Digitalisierung Werner Thiede zufolge bereits zu einer Ersatzreligion geworden ist und zukünftig immer noch mehr zu werden droht, die bereits Unsterblichkeitshoffnungen den Menschen vorgaukelt, sieht er sich als evange­ lischer Ethiker erst recht herausgefordert. Wird den Menschen, die solches auch bereitwillig glauben, ein Mehr an Freiheit versprochen, so vermindert sie laut Werner Thiede in Wahrheit eine solche. Es sind »vier Freiheitsfallen«, die der Autor ausmacht. Zum einen eine »politische« (S. 25–62), wodurch garantierte bürgerliche OKTOBER 2017

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Rechte eingeschränkt und ausgehebelt werden. Hinzu kommt »die ökologische Freiheitsfalle« (S. 63–105), wobei darin umweltbelastende und gesundheitsgefährdende und -schädliche Einflüsse (etwa Funkstrahlung) zur Sprache kommen. Die dritte »Freiheitsfalle« ist »die lebenspraktische« (S. 106–142), worunter die digitale Durchdringung des Lebens weit über die Arbeitswelt hinaus, bis hinein ins gänzlich Private (etwa Lesen, Wohnen, Freundschaft), das freilich nicht länger privat bleibt, sondern von interessierter Seite überwacht werden kann, zu verstehen ist. Und schließlich nennt Wer­ ner Thiede »die spirituelle Freiheitsfalle« (S. 143–177), womit sich die Digitalisierung nun anschickt, Sinnstifterin und Hoffnungsträgerin des Lebens zu sein, ja Überwinderin des Todes; was bislang Domäne der Religion ist/war, das soll nun virtuell geschehen, woran sich in aller Deutlichkeit zeigt, dass es sich um eine digita­ le Ersatzreligion handelt, eine IT-Zivilreligion. Staat und Wirtschaft haben am weiteren Fort­ schreiten der Digitalisierung gleichermaßen ein großes Interesse: Dadurch wird eine leichtere Überwachung ermöglicht (etwa Ausspähen von digital betriebener Kommunikation) und – für die Wirtschaft von Interesse – damit lassen sich Milliardengeschäfte machen (etwa durch den Verkauf von ständig neuer Hard- und Software und Erstellung von Kundenprofilen, was den Umsatz steigern durfte). Der gläserne Mensch, wie ihn bisher ScienceFiction-Romane (etwa »1984«) beschrieben, ist inzwischen Realität geworden. Im Namen der Freiheit widerspricht dem Werner Thiede be­ gründet und ruft zum Widerstand auf. Denn Bürgerrechte, die als selbstverständlich gelten, stehen auf dem Spiel. Was Werner Thiede im vorliegenden Buch aufzeigt, sind keineswegs krude Verschwörungstheorien; alles wird peni­ bel belegt, mit einem überaus umfangreichen Anmerkungsteil (S. 187–258 in recht kleinem Druck, insgesamt 936 Anmerkungen). Inzwi­ schen ist zudem das, was vor noch nicht allzu langer Zeit als phantasiereiche Verschwörungs­ theorie angemutet hätte, von der Realität über­ troffen. Wer wissen will – und jeder und jede sollte daran interessiert sein, weil alle davon betrof­ fen sind – was im digitalen Bereich tatsächlich abläuft und zu kommen bevorsteht und über die langen Schatten der Digitalisierung Aufklä­ rung möchte, der sollte dieses Buch von Werner Thiede gründlich lesen. Es liest sich nicht immer leicht. Aber für die Gedankenarbeit, die aufzu­ bringen ist, wird man reichlich entlohnt. Walter Rominger INFORMATIONSBRIEF 306

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Werner Thiede Die digitalisierte Freiheit Morgenröte einer technisierten Ersatzreligion Zeitdiagnosen Band 29, Berlin 1. Auflage Münster 2013 seit 2014 liegt das Buch in einer 2., aktualisierten Auflage vor LIT Verlag, 260 Seiten 24,90 Euro ISBN: 978-3-643-12401-2 Auslieferung für Deutschland: LIT Verlag, Fresnotstraße 2, D-48159 Münster Tel (0251) 6203222; Fax (0251) 9226099 E-Mail: vertrieb@lit-verlag.de

Auf Luthers Spuren Orte der Reformation in Baden und Württemberg Rechtzeitig zum Reformationsjubiläum 2017 hat Andreas Steidel, studierter Germanist und Historiker und derzeitig Redakteur beim Evan­ gelischen Gemeindeblatt für Württemberg, den angezeigten Text-Bild-Band zur Reformation im Süd-Westen vorgelegt. Er ist eine reife Leis­ tung, sowohl was die Texte als auch – fast noch mehr – was die Bilder anlangt. Der Leser erfährt, wie früh teilweise in Baden und Württemberg reformatorisch gepredigt wurde und an wie vie­ len Orten (wobei wohl nur die wichtigsten ge­ würdigt werden, an welchen es reformatorische Aufbrüche gab). Zunächst behandelt der Autor in einem ers­ ten Teil »Die Themen« (S. 10–43). Dabei wür­ digt er – neben anderen Themen und Auffäl­ ligkeiten – Martin Luther, Philipp Melanchthon 29


und Johannes Brenz und schließt dem unter der Überschrift »Von Alber bis Zwingli« »Die wich­ tigsten Reformatoren« jeweils mit Abbildung an (Matthäus Alber, Ambrosius Blarer, Martin Bu­ cer, Johannes Calvin, Erhard Schnepf, Huldrych Zwingli), die ja entweder aus dem Süd-Westen stammen und/oder diesen bei der Ausprägung der Reformation ganz wesentlich bestimmt ha­ ben. In einem weitaus umfangreicheren zweiten Teil behandelt Andreas Steidel in alphabetischer Reihenfolge »Die Orte« (S. 46–161), die für die Reformation in Baden und Württemberg Bedeutung erlangten, von Bad Urach bis Wert­ heim. Dabei erfährt der Leser, wie sich im je­ weiligen Ort die Reformation durchsetzte, wer als Reformator der Stadt gelten kann, was als Eigenheit sich entwickelt hat und blieb, wie sich die Co-Existenz der »Protestanten« und der »Altgläubigen« entwickelt hat (etwa in Biberach und Ravensburg) oder auch, wie die Evangeli­ schen dann im Laufe der Zeit wieder zu einer Minderheit und untergeordneten Rolle versan­ ken (etwa in Konstanz) oder auch schon bald und bis heute nichts mehr an reformatorische Aufbrüche erinnert, was im badischen Gengen­ bach im Kinzigtal vorkam, aber so gut wie sin­ gulär blieb. Die wichtigsten Stätten der Refor­ mation in den von Andreas Steidel behandelten

Orten, meist Kirchen, sind im Bild festgehalten. Am Ende einer jeden »Ortsbeschreibung« sind grafisch in einer »Info« gut hervorgehoben, die mit der Reformation zusammenhängenden Se­ henswürdigkeiten genannt, aber auch wieder­ kehrende Ereignisse usw. Der schön gestaltete Text-Bild-Band gibt ei­ nen guten Überblick über die Reformation im Süd-Westen und regt überdies – allein schon durch die hervorragenden Fotos – dazu an, einen Ausflug an den einen oder anderen der genannten sehenswerten, geschichtsträchtigen und traditionsreichen Orte zu unternehmen, wobei die erwähnten »Info« hilfreich sind. Dem von Andreas Steidel herausgegebenen TextBild-Band ist weite Verbreitung und Beachtung zu wünschen, über den Süd-Westen und über das Reformations-Gedenkjahr hinaus. Walter Rominger Andreas Steidel Auf Luthers Spuren Orte der Reformation in Baden und Württemberg Stuttgart 2016 Chr. Belser Gesellschaft für Verlagsgeschäfte 164 Seiten, Bild-Band, 29,99 Euro ISBN 2978-3-7630-2750-7

Weitere Exemplare des Informationsbriefes für Juli 2013, Heft 279 und für Juli 2014, Heft 286 sowie die Traktate »Falsche Propheten sind unter uns«, »Ist Gott interreligiös?«, »Gemeinsame Feier des Refor­ma­tions­jubiläums 2017?« können –– auch in größerer Stückzahl –– bei der Geschäftsstelle bestellt werden.

Mitarbeiter an diesem Heft: Pfarrer Dr. Bernhard Bonkhoff Marktplatz 21 66424 Homburg Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (07431) 74485 E-Mail: w.rominger@t-online.de

Pfarrer Markus Sigloch Marbacher Straße 23 71563 Affalterbach Telefon (07144) 37014 Fax (07144) 881084 E-Mail: markussigloch@web.de

Professor Dr. Reinhard Slenczka, D. D. Spardorfer Straße 47 91054 Erlangen Telefon und Fax (09131) 24139 E-Mail: Grslenczka@aol.com Professor Dr. Werner Thiede Richard-Wagner-Straße 8 75242 Neuhausen werner.thiede@web.de

Für den Inhalt der Artikel sind die jeweiligen Verfasser verantwortlich. Die Meinung des Verfassers deckt sich nicht in allen Fällen mit der des Schriftleiters.

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Geschäftsführender Ausschuss Vorsitzender Pfarrer Johannes Frey Ofener Weg 3 28816 Stuhr Telefon (04 21) 5 22 89 10 E-Mail: johannes.frey@kabelmail.de Schriftführer Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (0 74 31) 7 44 85 E-Mail: w.rominger@t-online.de

Weitere Mitglieder des Geschäftsführenden Ausschusses Martin Schunn Hölderlinstraße 9 75334 Straubenhardt Telefon (0 70 82) 2 02 75 E-Mail: cmschunn@gmail.com Helmut Schlee Gartenstraße 15 a 47506 Neukirchen-Vluyn Telefon (0 28 45) 9 49 09 50 E-Mail: HelmutSchlee@gmx.de

Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« e. V. Geschäftsstelle: Walter Rominger Mehlbaumstraße 148 72458 Albstadt Telefon und Fax (07431) 74485 E-Mail: w.rominger@t-online.de www.keinanderesevangelium.de

Kassenwart Hans Lauffer Osterstraße 25 70794 Filderstadt Telefon (0 71 58) 48 31 Fax (0 71 58) 94 78 73 E-Mail: hans.lauffer@t-online.de

Mit Fragen bezüglich der Spendenbescheinigungen wenden Sie sich bitte an unseren ­Kassenwart Hans Lauffer. Sie erreichen ihn telefonisch unter (0 71 58) 48 31, per Fax 94 78 73 oder per E-Mail hans.lauffer@t-online.de Bankkonten Volksbank Filder e. G., (BLZ 611 616 96) Konto-Nr. 65 500 016 IBAN DE34 6116 1696 0065 5000 16 BIC (SWIFT)-Code: GENO DE S1 NHB Postgirokonto Schweiz: Postgiroamt Bern Nr. 30-195 56-2 IBAN CH21 0900 0000 3001 9556 2 BIC POFICHBEXXX

Bitte nutzen Sie nur noch Einzahlungsscheine ab Heft April 2016. Nachsendeanträge bei der Post kommen bei der Bekenntnisbewegung nicht als Adressänderung an. Deshalb auch bei Umzügen die Adressänderung durch untenstehenden Abschnitt an die Geschäftsstelle weitergeben. Für Neubestellung, Adressänderung und Abbestellung ausschneiden und einsenden an: Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium« Geschäftsstelle: Mehlbaumstraße 148, 72458 Albstadt

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Du bist aller Dinge frei bei Gott durch den Glauben, aber bei den Menschen bist du jedermanns Diener durch die Liebe. Martin Luther


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