– Person und Werk –
Kevin Doden
David Carson – Person und Werk
– Person und Werk –
V o r w ort Im schönen Jahr 2000 bin ich durch meinen Kumpel Helge auf das Nine Inch Nails-Album The Fragile aufmerksam geworden. Musik, die nicht dazu gemacht ist, dass sie jeder sofort mag. Bis zur Unkenntlichkeit verzerrte Gitarren, brechende Songstrukturen, dann zum Ausgleich wieder harmonische Klänge – alles im steten Wechsel, alles irgendwie ungewöhnlich. Und bei jedem Mal Hören entdeckt man etwas, dass einem zuvor nicht aufgefallen war. Beim Mitlesen der Liedtexte fiel mir auf, dass die Gestaltung der CD und des Booklets für diese Art der Musik erstaunlich farbenfroh und stimmungsvoll war. Teilweise erkannte man sogar Blumen in den ansonsten unscharfen Makro-Motiven. Irgendwie hatte es dieser Gestalter geschafft, das Album nicht nur zu bebildern, sondern durch eine visuelle Seite zu erweitern. Sein Name blieb mir im Gedächtnis: David Carson. Elf Jahre später studiere ich visuelle Kommunikation an der Fachhochschule Hannover und bekam im Frühjahr 2011 die Gelegenheit, für den Layout-Unterricht von Professor Hellmann eine Broschüre über einen berühmten Designer meiner Wahl zu erstellen. Nach kurzer Zeit fiel meine Wahl dann auf Carson. Während des sechsmonatigen Praktikums-Semesters begann ich nach der Arbeit mit den Recherchen und ersten Layouts für die Boschüre. Mir fiel auf, dass sich Carsons Arbeitsstil und Sichtweise deutlich von der Praxis in meinem Praktikumsbetrieb unterschied und dieser Kontrast machte die Arbeit an der Broschüre noch interessanter für mich. Ich erkannte die Gelegenheit, grafisch zu experimentieren und mich auszutoben (ohne einen Kunden bedienen zu müssen). Wenn nicht bei einer Arbeit über David Carson, wann dann? So entschied ich mich dafür, seinen Stil dort, wo es für mich Sinn macht, auf meine Art zu interpretieren. Heraus gekommen ist ein Buch, dass ich selbst recherchiert, teilweise selbst geschrieben und – mit Ausnahme der Werke Carsons – vollständig selbst gestaltet habe. Vielleicht gefällt es nicht jedem, aber dafür ist es auch nicht gemacht. Ich wünsche viel Spaß beim Lesen und Entdecken. Kevin Doden, Oktober 2011
Bildquelle: Fotografiks, Motiv wurde auch als ein Moodvisual für NINs »The Fragile« verwendet.
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»Natürlich könnte ich schöne Broschüren gestalten, die jeder gut lesen kann. Aber das Leben ist zu kurz, um langweilige Dinge zu tun.« – David Carson
David Carson – ein Portrait
Bild: David Carson auf der TYPO Berlin 2010
Quelle: Flickr.com, Marc Eckardt for FontShop, Berlin
Hintergrund: The End of Print
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»Natürlich könnte ich schöne Broschüren gestalten, die jeder gut lesen kann. Aber das Leben ist zu kurz, um langweilige Dinge zu tun.«
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ur jetzt nicht aufgeben, lie-
Graphikszene«, »the wunderkind of
Surfers. »Einer meiner Freunde«, sagt
ber Leser. Nicht schon nach
design«: Lachend quittiert David Car-
Carson, »ein echter Rebell. So sähe ich
dem ersten Satz, auch wenn
son die Etiketten, die an seinem Namen
gern meine Rolle hier in New York.«
Sie möglicherweise etwas Mühe haben
kleben wie Markenzeichen am Overall
Der Wellenreiter von der Westcoast:
mit dem Lesen. Vielleicht hüpft Ih-
eines Formel-1-Weltmeisters. »Ganz
Da kommt er her, so begann seine Kar-
nen jetzt gleich das nächste Wort von
hübsch, kann man den Eltern zeigen«,
riere, die kalifornische Traumstory vom
der Zeile, und Sie finden es irgendwo
sagt er. »Eine Londoner Zeitschrift
Profisurfer zum Graphikguru der neun-
weiter unten wieder. Oder es trudelt
nannte mich the art director of the
ziger Jahre. Carsons Vater war Testpi-
über den Rand der Spalte hinaus ins
era. Schon ein bißchen lächerlich man-
lot, später Chefingenieur der Nasa. Da-
Universum des Ungedruckten. Wun-
chmal. Vielleicht auch etwas belastend.«
vids Mondfahrt fand vor dem Fernseher
derbare Möglichkeiten. Vielleicht gibt
David Carson trägt schwarze Jeans,
statt, und der Mann im Mond war Dad-
es aber auch gar keine Zeilen und Spal-
braune
dunkelgrünes
dy. »Erinnern Sie sich an das Surveyor-
ten mehr in diesem Beitrag, nur noch
Leinenhemd. Kein gestyltes Outfit,
Programm? Die erste weiche Landung
graphische Achterbahnen, auf denen
nichts Schrilles. Sein Auftritt ist un-
auf dem Mond? Die hat mein Vater
meine Sätze Salto mortale machen, bis
auffällig, geradezu enttäuschend nor-
geleitet.« Eine extrem beschleunigte
es Ihnen und mir vor den Augen flim-
mal. Mittelgroß, sportlich, ein Col-
Kindheit, zwischen Corpus Christi in
mert. Das alles hängt von David Carson
legeboy mit beginnender Stirnglatze.
Texas, wo er 1955 geboren wurde, und
ab. Noch ist er nur Insidern ein Begriff:
Er spricht mit einer ruhigen, weichen
Cape Canaveral. Und als Vierzehnjäh-
Zeitschriftenmachern, die verzweifelt
Stimme, konzentriert, ohne hektische
riger unter den acht weltbesten Surfern.
Visagisten suchen für ihre siechen Blät-
Gesten. Alles sehr easy. Dabei ist sein
»Ich war Profi. Für jedes Surfbrett mit
ter; Werbeleuten, die sich von Carsons
Terminkalender randvoll: Werbespots
meinem Namen, das verkauft wurde,
optischen Attacken neue, junge Kund-
für Jaguar, Seven-up, kanadisches
bekam ich Tantiemen.«
schaft versprechen. Für die einen ist er
Bier, australische Sonnenbrillen, alles
»der Superstar der Computergraphik«,
in einer Woche, der ersten Woche in
für die andern ein »Totengräber der Ty-
seinem neuen New Yorker Büro. Ein
pographie«.Er trage bei zum Analpha-
Hinterzimmer in der siebten Etage,
S
Stiefel,
ein
either wird er das Surfer-Image nicht los, als sei Typographie eine Form des Wassersports und
beides nur eine Modewelle. »Die Kunst
betismus der Jugend in Amerika, wer-
Midtown zwischen Fifth und Sixth Av-
fen Kritiker ihm vor. Im Gegenteil, er
enue. Schreibtisch, Computer, an den
eines Wellenreiters« lautete denn auch
bringe junge Leute wieder zum Lesen,
Wänden Plakate, eine Collage (»The
der feuilletonistische Kurzschluß der
meint USA Today .”Enfant terrible der
End of Print«) und das Photo eines
Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
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T
atsächlich
sieht
durchaus
eine
zwischen
Surfen
Carson Verbindung und
De-
sign. »Es hat mit Freiheit zu tun, mit persönlichem Ausdruck, mit der Lust am Experiment. Surfen ist kein Mannschaftssport. Da ist ein Einzelner, der versucht etwas, was ihm Spaß macht,
ganz
individuell.«
Seine
Herkunft, die Strand- und Popkultur Südkaliforniens, hat seine Haltung mit geprägt: die Leichtigkeit, den Leichtsinn, aber auch den Mut, es mit jeder Herausforderung aufzunehmen, nicht nur mit dem Sog der Wellen. »Warum kann ich eine Seite nicht so machen? Man hat es noch nie gemacht - why not? Why not try this?«Doch zunächst einmal studierte er Soziologie in San Diego, bestand sein Examen with honours and distinction und wurde Lehrer. Eines Tages, nun war er schon 26, fand Carson in seiner Post die Ankündigung: zweiwöchiger Graphikdesign-Workshop in Tuscon, Arizona. “Ich las die Kursbeschreibung und dachte: Graphikdesigner? Das soll ein Beruf sein? Davon kann man leben? Ich kannte bis dahin noch nicht einmal den Begriff Graphikdesign!” So überzeugend erzählt der Junge mit den graublauen Surferaugen seine Geschichte, daß wir keinen Moment zweifeln: So war es, ein Zufall, ein Glücksfall, eine Berufung. “Am Ende jener zwei Wochen wußte ich, das ist genau das
»It’s just a fascination.« Es packt dich einfach, erklären kann man das nicht.
Richtige für mich.” Aber warum, David? Irritiert blickt Carson mich an: “It’s just a fascination.” Es packt dich einfach, erklären kann man das nicht.
J
edenfalls fing er nun an, unterwegs auf Werbeplakate zu achten, Buchstaben auf Schil-
dern bewußt wahrzunehmen. Bis heute sind die Zeichen der Straße eine wichtige Anregung für seine Arbeit. Ladenschilder, Plakate, Graffiti, auf Reisen photographiert er das ständig, als sammle er Material für eine soziologische
Studie zur Semiotik des Alltags. “Meine visuelle Orientierung ist anders als die vieler Menschen. Wenn ich eine Szene betrachte oder ein Photo, will ich im-
S
either ist David Carson auch international ein Star. Zunächst war Ray Gun nur eine alterna-
tive Musikzeitschrift wie andere auch.
mer nur einen bestimmten Ausschnitt
Keine originellen Themen, dieselben
sehen. Oder ich konzentriere mich auf
Bands, keine besonderen Texte. Aber es
Dinge am Rand, weg von der Mitte.
sah anders aus, cool und hip. Es hatte
Keine Ahnung, woher das kommt.”
den Look der frühen neunziger Jahre,
Wie
sich
die Kids liebten es, und ihre Eltern
auch Carson gerne als Autodidakt.
haßten es. “Your magazine is my life,
Tatsächlich studierte er Graphik an der
my soul!” Wenn Carson an die Fan-
Universität von San Diego und an einer
post denkt, wundert er sich noch im-
Gewerbeschule in Oregon; allerdings
mer. “Einer schrieb mir, er habe Ray
kaum mehr als ein halbes Jahr. Work-
Gun in der U-Bahn gelesen, und die
shops, Konferenzen, ein Graphiklehr-
Frau neben ihm habe sich woanders
gang in der Schweiz: viele Anregungen,
hingesetzt - ihr wurde wohl übel, so
aber keine systematische Ausbildung.
seltsam sah das aus!” Extrem verklein-
Sein Glück, sagt er, “so brauchte ich nicht
erte neben übergroßen Buchstaben,
all das zu lernen, was man angeblich
handgezeichnete neben computergen-
nicht darf”. Ganz nach eigenen Regeln
erierten, Kursiv- neben Fettdruck. Wie
gestaltete er seine erste Zeitschrift, ein
ein Bauchredner seine Stimmen wech-
Magazin für Skateboarder. Texte und
selt, so jongliert dieser Graphikakro-
Photos kamen größtenteils von den
bat mit Schrifttypen, Zeilenabständen
Lesern: 200 Farbseiten pro Monat, jede
und Textspalten. Mal sind sie konisch
Nummer ein Crashkurs aus Improvisa-
gesetzt, mal übereinanderkopiert, mal
tion, Witz und neuen Ideen. Die Lay-
verdoppelt nebeneinander. Da bricht
outs entwarf er neben seinem Job als
ein Satz mitten im Wort ab, überlegt
Lehrer, den er erst 1987 aufgab. Wie
es sich anders, Leerzeile, Denkpause,
in einem Rausch arbeitete er in diesen
und läuft dann ohne Zeilenabstand um
ersten Jahren als Graphiker. Damals
so schneller weiter. Da hechten Wörter
ging seine Ehe in die Brüche. Seitdem
im Hürdenlauf über Bilder und Spal-
lebt er allein in Del Mar, einem Vorort
ten, da gibt es Zeilenlangläufe über
von San Diego, mit dem Blick aufs Meer
eine ganze Doppelseite. Da werden
und auf Mac, seinen Computer. 1988
Überschriften aus Textspalten ausge-
engagierte ihn ein Musikmagazin in
schnitten oder versinken im Bruch oder
Boston als Art-director. Schon ein Jahr
fehlen auch mal gänzlich. Da übersch-
später flog er raus. “Ich war ihnen zu
neiden sich Buchstaben, Wörter, Zeilen
experimentell”, stellt Carson befriedigt
und Spalten, Texte und Bilder. Photos
fest. Etwas länger dauerte sein nächster
werden zerschnitten und neu montiert,
Auftritt. Beach Culture, eine Zeitschrift
gelegentlich aber auch gleich doppelt
der Westcoast-Avantgarde, brachte ihm
reproduziert. Bildlegenden und Au-
in zwei Jahren mehr als 150 Design-
torenzeilen sind zugleich Gestaltung-
preise ein, dann war das Blatt am
selemente, mal diagonal, mal senkrecht
Ende. In der Szene ein Hit, am Markt
gestellt. Auch Kopierfehler oder Text-
ein Flop: Wie das? “Rezession, keine
korrekturen werden als Stilmittel gra-
Anzeigen, kein Marketing, kein Ver-
phisch genutzt. Keine Seite sieht gleich
trieb. Daß wir überhaupt sechs Num-
aus, alle haben sie eine Handschrift:
mern geschafft haben, ist ein Wunder.”
Freestyle Marke Carson.
alle
Originalgenies
gibt
Das nächste Wunder hieß Ray Gun.
Text: www.zeit.de; Peter Sager; 1996
Bild oben: Carson im Gespräch, Sommer 2010;
darunter eine Doppelseite aus Ray Gun
Linke Seite: Verschiede Seiten aus Surfmaga-
zinen die Carson gestaltet hat und ein Bild von
Carson beim Wellenreiten (Foto: Bryan Elko)
Hintergrund: Frontcover von The End of Print
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D
erlei irritierte nicht nur die
Leser diese Kritik nicht längst wider-
losophie. Neu ist das nicht. Aber wenn
Frau in der U-Bahn. Auch
legt? Ray Gun-Fans genossen Carson-
es funktioniert - wunderbar! “Wenn
manche
Gun-Autoren
Layouts wie Times-Leser ihr Kreuz-
ich mit Ray Gun etwas bewiesen habe,
fanden, das ginge zu weit, selbst für
Ray
worträtsel. “Sie müssen schon etwas
dann doch dies: Gedrucktes kann über-
ein Alternativblatt. “Einmal benutzte
Zeit dafür aufbringen, das stimmt. Es
leben, es kann konkurrieren.” Werden
ich eine Typographie ohne Interpunk-
gibt immer einige Dinge, die schwerer
Zeitschriften
tion. Statt Punkt und Komma gab es
zu lesen sind als andere, aber eigen-
Rolle spielen im Boom der Online-Me-
nur Lücken. Da hat der Autor sich
tlich nichts, was nicht zu lesen wäre.
dien? “Ich kann mir kaum vorstellen,
beschwert, aber das stört mich nicht
Es sei denn, Sie haben keine Geduld
daß sie nicht an Bedeutung verlieren.
sonderlich.” Es heißt, einer habe Sie
oder das Thema interessiert Sie nicht.”
Noch gibt es sie, millionenfach, keine
sogar mit seinem Baseballschläger bed-
Lust aufs Lesen zu machen ist diesem
aussterbende Gattung, scheint es. Aber
roht? Carson lacht. “Reine Erfindung!
typographischen Bilderstürmer weit
sie werden nur überleben, wenn sie
Im Gegenteil, am Ende riefen Autoren
wichtiger als die vielbeschworene Les-
ihre Optik ändern.”Erfolgreiche Avant-
mich an, wenn ich ihre Beiträge un-
barkeit. Eine neue Generation, auf-
gardeblätter wie Ray Gun sind rar. Life-
verändert druckte: Wieso, hat dir mein
gewachsen mit Videoclips, MTV und
style-Magazine haben Konjunktur. Gibt
Text nicht gefallen?’” Man muß kein
Computerspielen, visuell hochtrainiert,
es eine deutsche Zeitschrift, die Car-
Ägyptologe sein, um Carsons Hiero-
längst auf dem Trip ins Internet: Von
son interessiert? “Allenfalls Max. Aber
glyphen zu entziffern. Doch bricht er
denen, sagt Carson, “kriegen Sie keinen
deren Layout ist altmodisch, besonders
radikal mit Lesegewohnheiten, die wir
mehr dazu, auf eine Seite voller grauer
die Typographie, und das Logo nur eine
verinnerlicht haben wie den Gang der
Buchstaben zu springen, egal wie gut
schwache Kopie von Interview.” Und
Uhrzeiger: daß Texte vorne beginnen
das geschrieben ist. Vielleicht gibt es
Ihre erste Reaktion, als Sie das ZEIT-
und linear bis an ihr Ende laufen; daß
aber Wege, ihnen Informationen so
magazin sahen? “Reichlich konserva-
Zeilen, Satzblöcke und Seiten als feste
zu präsentieren, daß sie wieder zu ge-
tiv. Daß ihr ausgerechnet mich fragt,
Ordnungshüter den Verkehr der Wörter
druckten Bildern und Texten greifen.”
hat mich schon gewundert.” Reiner
regeln, Texte gliedern und Zusammenhänge vorspiegeln, auch wo der Sinn höchst dürftig oder dunkel bleibt. Für die Todsünden des Layouts gibt es kein schöneres Anschauungsmate-
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eine
Übermut, David, und ein bißchen
DD
Lust am Untergang. Oder gibt es noch
Ausstellung, die kürzlich in
Hoffnung für uns? David Carson lacht.
München stattfand, hat den
“Well, we ‘ll see!”
Titel “The End of Print”, mit dem ironischen Zusatz “Band 1”. Selten ist
kaleidoskopartig durcheinandergewür-
die Krise der Printmedien vitaler und
felt, die Seiten nicht paginiert, selbst
zukunftsversprechender
das Logo von Nummer zu Nummer
worden als von David Carson. Virtuos
verändert.
mischt er Elemente der Bleisatzzeit
Marketing-Experten
noch
er Katalog der ersten Carson-
rial als Ray Gun: das Inhaltsverzeichnis
Für
überhaupt
inszeniert
ein Alptraum, am Markt ein Erfolg:
mit den digitalen
Die Auflage stieg von 30 000 auf 150
Tricks des Com-
000 Exemplare. Ein Szeneblatt, das
puters,
derart reüssiert, nennt man gern Kult-
im Rhythmus der
blatt. Solche Phänomene folgen be-
schnellen Schnitte
kanntlich, wie der Zeitgeist, nur ihren
von
eigenen, irrationalen Regeln. Die klas-
Textbilder
sische Maxime der Gebrauchsgraphik
Techno-Sound.
seit Bauhaus-Zeiten, einen Text so klar
“Ich will die Emotionen der Leute tref-
und einfach wie möglich zu gestalten,
fen, wenn sie meine Arbeit sehen. Ich
den Inhalt optimal zu vermitteln: Car-
möchte, daß ihnen der Atem stockt,
sons Credo ist das offenbar nicht. “Ich
wenn sie die Seiten aufschlagen -
weiß”, sagt er geduldig, “jetzt kommen
whow! Und daß sie es dann lesen wol-
Sie mir mit der Lesbarkeit.” Wie oft hat
len.” Über die Augen ins Blut, aus dem
er das nun schon gehört. Haben seine
Bauch zum Kopf: Das ist die ganze Phi-
Layouts
Videoclips, im
»Wenn ich mit Ray Gun etwas be dann doch dies: Gedrucktes kann kann ko
Beide Seiten: Cover einer Ausgabe von Ray Gun
Hintergrund: vergrößerte Innenseite aus Ray Gun
ewiesen habe, Ăźberleben, es onkurrieren.ÂŤ
»The fundamental skill of a designer is talent. Talent is a rare commodity. It’s all intuition. And you can’t teach intuition.« – Paul Rand
Werk »The intellect has little to do on the road to discovery. There comes a leap in consciousness, call it intuition or what you will and the solution comes to you and you don‘t know how or why.« »Der Intellekt hat auf der Straße zur Entdeckung wenig zu tun. Es kommt zu einem Geistesblitz, nennen Sie es Intuition oder wie sie wollen und die Lösung kommt zu Ihnen ohne dass Sie begreifen wie oder warum.« (Albert Einstein)
Bereits in The End of Print vertritt Carson die Meinung, dass Designer heutzutage sehr verkopft gestalten – dass viele Menschen es mittlerweile gewohnt sind, alles logisch und rational erklären zu wollen. Dabei sagte schon Albert Einstein, dass der Intellekt wenig mit großen Entdeckungen zu tun hat. Jeder Mensch habe aber ein inneres Gespühr – die Intuition – die als Zugang für Fähigkeiten funktioniert, die unter rein logischem Denken verborgen bleiben. Im Design geht es oft darum, Emotionen anzusprechen und Gefühle können nunmal eher der Intuition als der Logik zugeordnet werden. Ein wichtiger Unterschied zwischen den logischen Fertigkeiten und der Intuition ist, dass man Intuition nicht lernen kann – aber man kann sie e ntd e c ken . Vergleiche: David Carsons Vortrag für TED ( http://www.ted.com/talks/david_carson_on_design.html ) und sein Interview in dem Film »Helvetica« Bild und einen Essay über Intuition: vergleiche Phase 2 von David Carson
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In seinen Vorträgen und Workshops rund um die Welt geht Carson auch auf die Bedeutung von Originalität im Design ein. Um anderen klar zu machen, worum es ihm beim Design geht und dass es eine nie endende Entdeckungsreise ist, stellt er den Teilnehmern Fragen wie diese: »Why not experiment? Why not have some fun? Why not put some of yourself into your work? What‘s the definition of a good job? A good job is: If you can effort to and money wasn‘t an issue, would you be doing the same work? If you would, you did a great job.«
»Warum nicht experimentieren? Warum nicht etwas Spaß haben? Warum sollte man nicht etwas von sich selbst in seine Arbeit einfließen lassen? Die Definition eines guten Jobs ist: Wenn Geld keine Rolle spielte, würdest du es genau so machen? Wenn ja, hast du einen guten Job gemacht.« In dem Film Helvetica, gibt David noch folgendes Beispiel: »I can teach anybody of the street how to design a reasonable buisness card or a newsletter. But if I bring the same group of the street in and play a CD and say „Okay, let yourself into the music for a cover“, 9 of 10 people would be lost. They would do something very corny and expected and one person is gonna do something amazing. Because the music spoke to them an send them in some direction that nobody elso could go. And thats the area, to me, where it gets more interesting and exciting and more emotional. That‘s where the best work comes from.«
»Ich kann jedem auf der Straße beibringen, wie man vernünftige Visitenkarten oder einen Newsletter gestaltet. Aber wenn ich diese Leute hier rein hole, ihnen eine CD vorspiele und sage“ Okay, lasst euch auf die Musik ein und macht ein Cover dafür“ wären 9 von 10 Leuten ratlos. Sie würden etwas kitschiges und vorhersehbares machen. Aber einer würde etwas großartiges schaffen, weil die Musik zu ihm gesprochen hat und ihn in eine Richtung brachte, wo kein anderer hin kommt. Und an diesem Punkt wird es – meiner Meinung nach – interessant, aufregend und emotional. Denn von dort kommen die besten Arbeiten.« Vergleiche: David Carsons Vortrag für die TED (Youtube.com) und sein Interview in dem Film »Helvetica« von Gary Hustwit Bild: Phase 2
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I‘ve travelled the world and the seven seas everybody‘s looking for something (Eurythmics »Sweet Dreams«)
David Carsons Stil beruht zum einen auf vielen Experimenten als auch auf seinen visuellen Studien. So wird oft gesagt, dass Carson auf seinen Reisen ständig fotografiere und zwar – für den ordinären Betrachter – eher unscheinbares oder gewöhnliches, wie vollgekritzelte Schilder, zugeklebte Schaufenster oder verfallene Häuserwände. Er selbst nennt diese Fotos Fotografiks (»Photography + Grafic Design = Fotografiks«). Tatsächlich findet man viele Zusammenhänge zwischen diesen Fotografiken und seinen Layouts. »Meine visuelle Orientierung ist anders als die vieler Menschen. Wenn ich eine Szene betrachte oder ein Foto, will ich immer nur einen bestimmten Ausschnitt sehen. Oder ich konzentriere mich auf Dinge am Rand, weg von der Mitte. Keine Ahnung, woher das kommt.« (Carson) Foto oben: Fotografiks (Ausschnitt eines Schiffsfensters in Venedig) Foto unten: Fotografiks; Graffiti auf irgendeiner Mauer irgendwo in der Welt
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Das Foto auf der rechten Seite demonstriert anhand der Typografie sehr gut, was daran für Carson unter anderem für Interesse gewesen sein mag. Einige Buchstaben auf dem Gebäude sind durch die Witterung derart abgetragen, dass man nicht mehr genau erkennt, was dort einmal gestanden hat. Es entsteht für den Betrachter aber dadurch ein völlig neuer visueller Zusammenhang »Sue«. Diese Art der Kommunikation kommt bei Carsons Layouts häufig vor und setzt ein gewisses Verständnis beim Betrachter voraus. Bild: The End of Print
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Bei den Beispielen auf der rechten Seite sieht man deutliche Einflüsse auf Davids Gestaltungsprinzipien und Handhabung was Schrift angeht. Die Farbänderungen, die Wortbestandteile hervorheben oder Glasscheiben, die Wörter und Kontext in verschiedene Ebenen gliedern – David bedient sich reichlich an dem, was wir aus Gewohnheit normalerweise übersehen. Die Qualität liegt hierbei in der scheinbaren Ablösung von Gestaltungsnormen, was zu einer überraschenden Ästhetik führt. Bilder rechts: In The End of Print sind eine Handvoll von Davids Reisefotos abgedruckt.
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Zu Beginn seiner Karriere sind die Fotos und Beiträge für die Skate-Zeitschriften unter Davids Feder entweder von den Lesern zur Verfügung gestellt oder von Carson selbst geknipst. Mit der Zeit entwickelt er eine fast dadaistische Weise, um Bilder und Schrift zu vermischen oder kombinieren. Übrigens werden in The End of Print zwei Künstler genannt, deren Arbeitsweise sehr an Davids Gestaltungsprozess erinnern: Der hollindische Druckpionier Hendrik Werkman und Kurt Schwitters, der viel mit Kombinationen und Collagen gearbeitet hat. Auch Arbeitsweisen von Mark Rothko werden von Carson immer wieder als verwandt bezeichnet. Quelle: The End of Print
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Wie in »The End of Print« beschrieben wird, steht Davids Art und Weise Typografie einzusetzen in Abgrenzung zur Standardisierungs-Tendenz der Massenblätter. Er experimentiert auf individuelle Weise mit Text und Bild und übermittelt die Informationen eher auf formaler Ebene als über die Lesbarkeit. Statt einem starren System zu folgen, setzt Carson auf organische Gestaltungsprozesse und Unberechenbarkeit um die Leser zu fesseln. David Carson entwickelte diesen anarchistischen Layout-Stil jedoch nicht im exentrischen Nimbus einer Kunsthochschule oder ähnliches. Er begann seine Karriere als unbekannter Grafiker für diverse Magazine wie Transworld Skateboarding, Surfer oder Beach Culture. Also Zeitschriften, die ein breites, an Typografie wenig interessiertes Publikum haben. In der Abgeschiedenheit seines Hauses am Strand, nördlich von San Diego, entging er bereits zu Beginn jeglichem formalen Zwang der Layoutgestaltung. Bild: The End of Print Text: Vergleiche The End of Print und Phase 2
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David ist eigentlich Lehrer und unterrichtete vor seiner Design-Karriere alle Fächer an einer High-School in Del Mar (vor allem jedoch Soziologie). Aus eigenem Antrieb arbeitete er nebenberuflich als Grafiker bei kleinen Skate-Magazinen. 200 Farbseiten pro Monat wurden von ihm (in der Freizeit) gestaltet – ein Crashkurs in Sachen Innovation, Kreativität und Belastbarkeit. In dieser Zeit entwickelte sich auch sein Credo, niemals eine Idee zu wiederholen, um etwas Einzigartiges zu schaffen. Vergleiche: Interviews und Biografien in The End of Print und Phase 2 Bild: The End of Print
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Obwohl die Arbeit an Beach Culture sehr inspirierend für Carson und andere Beteiligte war, folgte bald Ernüchterung. Die radikale grafische Art der Mode- und Produktzeitschift brachte David über 150 Designpreise ein. Viel entscheidender als alle Preise der Welt ist allerdings die geteilte Meinung der Leser. Denn die anarchistische Gestaltung von Carson schreckte viele Käufer ab. Andere wurden zu fanatischen Fans. Der Mut zu dieser Polarisierung sollte allerdings mit dem Untergang des Magazins bestraft werden. Mit der Zeit wurden die Anzeigen im Magazin immer weniger, da auch die inserierenden Firmen durch die geschrumpften Leserzahlen an der Zeitung selbst zweifelten. Nach sechs Ausgaben in zwei Jahren wurde das Magazin eingestellt. » Ich war so fertig, ich konnte nicht einmal mehr ein Auto lenken (...) «, sagt David über den Zeitpunkt
des Niedergangs von »Beach Culture« in »The End of Print«. Rückblickend kann »Beach Culture« als eine der innovativsten Zeitschriften aller Zeiten angesehen werden. Einige Jahre später sollte Carson durch seinen Stil die Auflage eines Magazins aber sogar deutlich vervielfachen...
Bilder: Beach Culture No.4, Quelle: Phase 2; Diverse Doppelseite aus »Beach Culture«, Quelle: The End of Print Text: Vergleiche The End of Print Gut sichtbar: Die eigenartige Produktdarstellung von Bademoden und die nicht auf Lesbarkeit angelegten Artikel
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Von 1992 bis 1993 war Carson als Art Director für Ray Gun tätig. Er und sein Kollege Neil Feinemann wurden nach dem missglückten Beach Culture von Ray Gun - Herausgeber Marvin Jarret verpflichtet, um dem avangardistischen Musikmagazin einen neuen Look zu verpassen. Das Team gestaltete die neue Zeitschrift im Freestyle aus Text und Bildcollagen. Durch die Rubrik »Sound in Print« bot das Magazin weltberühmten Illustratoren die Möglichkeit Musik in Kunst umzusetzen. So wurde Ray Gun neben einer Musik-Zeitschrift auch zu einer populären Kunstgallerie. Durch die Überarbeitung von Carson und seinem Team stieg die Auflage von Weltweit 30.000 auf 140.000 Exemplare. Bilder und Text: The End of Print
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Vor allem auf den Innenseiten von Ray Gun steht das Experimentelle von Carsons Stil im Vordergrund. Eine seiner Maxime lautet hierbei, dass gute Lesbarkeit der Schrift nicht gleichbedeutend mit einer guten Übermittlung von Information ist. Bei Carson drückt sich der Text durch seine Darstellung zusätzlich aus – oftmals bedeutend stärker als auf der Sachlichen Ebene. Diese Zusätzlichkeit weicht stark von der Bauhaus‘schen Ideologie der Reduktion aufs Wesentliche ab und bringt die persönliche Betrachtungsweise des Designers stärker mit in die Gestaltung ein. Bild oben rechts: Artikel aus Ray Gun über Nine Inch Nails und Frank Zappa Bild unten rechts: Artikel über Kate Bush Quelle: The End of Print
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Manchmal überschreitet David aber auch die Grenze zur absoluten Unlesbarkeit. Die beiden Beispiele auf der rechten Seite zeigen extreme Formen dessen. Den Artikel auf der unteren Doppelseite fand Carson nicht gut geschrieben und so formatierte er ihn schlicht in die Symbolschrift Zapf Dingbats. Theoretisch kann man eine Texterkennungssoftware (OCR) benutzen, um den Text wieder umzuwandeln aber, so Carson, »man würde sich bloß langweilen«. Bilder: The End of Print
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David Carson arbeitete vor und während seiner Zeit bei Ray Gun in einer ständigen Mixtur aus analogen und digitalen Werkzeugen. Am Computer bevorzugte er das Layout-Programm Quark Express, mit denen er Text und Bilder auf einer oder mehreren Seiten kombinieren konnte. Rechts oben sieht man deutlich die Text- und Objektrahmen, mit denen die Elemente in dem Programm platziert werden, da Carson sie mit einer Kontur versehen und als Stilelement benutzt hat. Die unteren beiden Exemplare zeigen seine Eigenart, Inhaltsverzeichnisse unkonventionell einzusetzen. Das linke Beispiel ist eigentlich das grobe Seitenlayout einer Ray Gun- Ausgabe. Carson hat es eingescannt und als Inhaltsverzeichnis abgedruckt. Rechts daneben wirkt es fast schon brav, allerdings sucht man hier die Seitenzahlen vergebens. Ăœbrigens war das Inhaltsverzeichnis bei Ray Gun oft mitten im Heft und eher selten vorne anzutreffen. Bilder: The End of Print
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Dass Carson aber eben nicht nur wirres Layout erstellen kann, beweist er mit relativ schlichten, athmosphärischen Seiten. Hier hält sich die expressive Darstellung der Schrift eher zurück. Auf diese Weise überlässt er den Bildern der Fotografen einen Großteil der Spannung um zu wirken. Bilder: The End of Print
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David hat schon zu Beginn seiner Karriere einen kleinen Anteil Werbung in Form von Anzeigen für die Zeitschrifen gestaltet, bei denen er tätig war. Mit seiner wachsenden Popularität wurde sein Stil auch in der namenhaften Werbung großer Marken gefragter. Zu diesem Thema hier Auszüge eines Interviews von Lewis Blackwell und David Carson aus The End of Print: L: Bei mir stellt sich die Frage, was aus Deiner Arbeit ohne radikale Inhalte werden soll. Was verbindet Dein Stil mit den wirtschaftlichen Absichten Deiner Kunden, mehr Hamburger zu verkaufen? Musst Du Dir nicht den Vorwurf gefallen lassen, dass Du Deinen Stil wie einen Aufkleber verkaufst und zum umsatzsteigernden »Look« vermarkten lässt? D: Ich habe nie versucht, einen speziellen jugendorientierten Stil oder irgendeine Jugendmode zu schaffen, die den Konsum fördert. Weder in meiner Rolle als Art Director für Zeitschriften noch als Werbegrafiker. Ich kümmere mich in erster Linie um Inhalte und Formen, aber nicht um den stilistischen Appeal. Als Grafikdesigner ein besonderes Gewicht auf Stil zu legen ist doch nicht mit einer negativen Designqualität gleichzusetzen. Die New Yorker Kritikerin Kerrie Jacobs sagte einmal, dass man Stil wie eine profilierte und ausdrucksstarke Sprache einsetzen kann. Denn stupide eingesetzte oberflächliche Mittel sind zwangsläufig, schon wegen ihrer Oberflächlichkeit, zum Scheitern verurteilt. L: Was steht hinter dem Carson-Look? Bei vielen einflussreichen Designbewegungen wie Bauhaus oder Schweizer Grafik war es die Suche nach einer strengen Ordnung und einer rigurosen Kontrolliertheit, die es bei Deiner Arbeit nicht gibt. Was steht bei Dir dahinter? D: Eine strenge und ordnungsorientierte Arbeitsweise macht auf mich jedenfalls einen absolut irrationalen Eindruck. Was früher mal rational konzipiert war, erscheint heute doch bereits als irrationales Phantom. Bruno Monguzzi hat über diesen Phänomen auf dem Kongress gestern Abend gesprochen. Er verwies darauf, dass die vorgebliche Rationalität der Raster in der Grafik oder die Verwendung anderer Aufteilungsschemen wirklich keinem Naturgesetz entsprechen. Saul Bass hat mir zu diesem Thema ebenfalls einmal eine köstliche Geschichte erzählt. Beim Entwerfen misstraute er einfach den Rastereinteilungen. Deshalb hat er zu Beginn seiner Karriere die Raster immer erst nachträglich über seinen Entwurf gelegt, weil er den Kunden seine Arbeit so besser verkaufen konnte. (...) Vielleicht geben Dir die eben genannten Statements Aufschluss darüber, welche Vorstellungen hinter meiner Arbeitsweise stehen. Bild und Text: The End of Print
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Auf der rechten Seite ist ein Plakat aus der Einführungskampagne für die Ray-Ban Sonnenbrillen »Orbs« in Australien. Die Plakate zeichnen sich alle durch auffallende Schrift vor monochromen Hintergründen aus. Dazu kommt als Gag ein Brillenglas, das als »O« dient. Die Motive erschienen als Postkarten, Plakate und als Anzeigen. Bild und Text: Vergleiche The End of Print
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Für einige Musiker hat David die Gestaltung ihrer CD-Cover und Booklets übernommen. Zu Bushs »Sixteen Stone« fällt ihm dazu folgende Anekdote ein, die gut illustriert, in wie weit er in den Entstehungsprozess mit eingebunden war. »Ich stand in meiner Küche in Del Mar am Spühlbecken und telefonierte mit einem Typen von der Band Future Primitive und erklärte ihm, wie schlecht ich den Bandnamen finde. Als ich ihm später ein Cover entwarf, wollte er unbedingt, dass wir seinen Hund Bush zeigen. Ich meinte, das ist ein Name! Das Wort ist mehrdeutig. Einer meiner großen Fehler war es, später die Regie für das Bush-Video abzulehnen...« Bild- und Zitatquelle: The End of Print
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»There is no difference between an designer and an artist. They both work with form and content.« – Paul Rand
Abschließend möchte ich n u n
vier Züge
von C a r son interpretieren, u m P e r s o n und Werk
zusammen zu fassen.
1. Der Alternative Wenn man in der westlichen Kultur ein Buch in die Hand nimmt, ließt oder nur blättert, geht man davon aus, dass das Werk vorne beginnt und liniar bis zur letzten Seite verläuft. Das sind aber alles nur Gewohnheiten und keine festgeschriebenen Regeln oder gar Gesetze, denen wir blind gehorchen müssen. Diese stimulierende Unsicherheit prägt die Arbeitsweise von Carson Seite für Seite. Zwischenräume beginnen zu sprechen, fragmentierte Buchstaben und neue Bezüge treten in Wettstreit mit dem geschriebenen Wort. Schreibweise, Interaktion zum Bild und einfallsreiche Dialoge mit dem Medium lassen eine Kommunikation der neuen Art entstehen. Für diese Art der Weiterentwicklung eines traditionellen Mediums interessieren sich nicht nur Freaks aus der Subkultur, sondern zunehmend die Werber bekannter Trendmarken. Prof. Dr. Peter Kruse beschäftigt sich mit Organisationspsychologie und gesellschaftlichen Systemen und lehrt in Bremen. Vor kurzem habe ich einen seiner Vortraäge auf Youtube gesehen und fand Kruses Erkenntnisse zu Kreativität auf Carson übertragbar. Professor Kruse gibt zu verstehen, dass sich Kreativität zwar nicht bewusst »machen« lässt aber sich sehr wohl günstige Rahmenbedingungen kreieren lassen, in denen sich Kreativität entwickeln kann. Einer dieser indirekten Möglichkeitsräume ist Unterschiedlichkeit. Ob Kulturell oder Stilmäßig spiele dabei keine Rolle. »Harmonische Systeme sind dumme Systeme. In der Natur entstehen Ordnungsmuster immer aus Widerspruch, nicht aus Harmonie. Geben Sie darum Querdenkern eine Chance und lassen Sie die Störer zu,« so
Kruse. Im Zusammenhang mit Professor Kruses These kann man also ableiten, dass Carsons alternative Arbeitsweise bei sich und anderen nach wie vor für ein hohes Maß an kreativen Erzeugnissen (frischen Wind) sorgt. Text: Vergleiche The End of Print Zitat Prof. Peter Kruse: Interview auf dem Youtube-Kanal von Nextpractice: http://www.youtube.com/watch?v=oyo_oGUEH-I&feature=related Bild oben: Carson in seinem Büro; Quelle: davidcarsondesign.com Bild rechte Seite und Hintergrund: Carson beim Surfen; Quelle: davidcarsondesign.com
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2.
Der A u t o didakt
Carson, David, Art Director, Grafikdesigner und Filmregisseur. Geboren in Corpus Christ, Texas, USA. Lebt momentan in New York. Verbrachte seine Kindheit an verschiedenen Orten der vereinigten Staaten, in Florida, Ohio, Colorado, North Carolina, Kalifornien auch Puerto Rico und den Westindischen Inseln. Studierte Soziologie an der San Diego State university, graduierte 1977. Wurde Profisurfer, Platz Acht des Weltklassements. Erste Begegnung mit Grafik 1980 während eines Sommerkurses. Es folgte ein fragmentarisches Studium ohne Abschluss. Arbeitete bis 1987 als High School Lehrer. Seinen wichtigsten Impuls für Grafik erhielt er während eines dreiwöchigen Workshops in Rapperswil, wo ihn die Idee des Schweizers Hans-Rudolf Lutz beeinflussten. Während seiner Lehrtätigkeit in San Diego 1982-1987 begann er nebenbei als Art Director des Transworld Skateboarding Magazins zu arbeiten. 1988 zog er nach Bosten, wo er Art Director eines Msikmagazins wurde. kehrte nach einem Jahr wieder an die Westküste zurück und beteiligte sich am Aufbau der zeitschrift Beach Culture. Zwischen 1989 bis zur Einstellung des Magazins 1991 entwickelte Carson einen Grafikstil, der die Aufmerksamkeit der Kollegen erregte. Besonders sein unkonventioneller Umgang mit Typografie, der einer Gradwanderung zur Unlesbarkeit gleichkam, erregte die Gemüter. Obwohl siene Seitengestaltung gegen alle Konventionen des Grafikdesigns verstießen, wurden sie zu eindrucksvollen Zeugnissen moderner Kommunikation. Trotz des fehlenden wirtschaftlichen Erfolgs der Zeitschrift, die nur 6 Ausgaben überdauerte, gewann sie eine Rekordzahl an Auszeichnungen in den USA. Zwischen 1991 und 1992 arbeitete Carson für das Surfer Magazine, danach schaffte er den Durchbruch zu internationaler Anerkennung mit der Zeitschrift Ray Gun, deren erste 30 Ausgaben er gestaltete. Diese auf einen jungen Markt abgestimmte Zeitschrift mit dem Untertitel »the bible of music+style« erregte durch Carsons Gestaltung mehr Aufmerksamkeit, als durch relativ konservative Textbeiträge. Die gestaltung war das Schlüsselelement, das provokant mit der Lesbarkeit von Texten experimentierte und dabei die Rolle von Fotos und Illustrationen neu definierte. Dadurch zog Carsons Arbeitsstil die Aufmerksamkeit auf sich. Beisträge in der Ney York Times im Mai 1994 und im Newsweek Magazine 1996 setzten sich mit seiner Grafiksprache für die Massenmedien jenseits des Wortes auseinander. Nachdem Caron im November 1995 Ray Gun verlassen hatte, konzentrierte er sich als Regisseur auf den Werbefilm. Gleichzeitig bekräftigten Ausstellungen in Europa zunächst in München, Düsseldorf und Hamburg, dann in venedig, bern, Mailand und 1997 in Frankreich seinen Ruf als Gestalter moderner Kommunikation. Zu seinen Auftraggebern gehören Major Brands wie Pepsi Cola, Nike,
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Levi Strauss, Microsoft, Budweiser, Georgio Armani und NBC. Gleichzeitig stand er auf Low-cost-Basis oder frei für StudentenWorkshops und Vorträge zur Verfügung. Carsons Zugang zum grafischen kommunikationsmedium zeichnet sich durch die Ablehnung jeglicher Methodik zugunsten der freien Intuition aus. Dadurch steht er jeder systematischen Grafiklehre ablehnend gegenüber, die das Bauhaus zum internationalen Stil entwickelt hat. Obwohl seine Arbeit eine Reaktion auf den Modernismus darstellt, ist sie nicht als Postmodern einzustufen. Seine Arbeitsweise ist ekklektizistisch, obwohl sie sich nicht der Vergangenheit bedient, noch verschreibt sie sich dem technologischen Wandel des Metiers, wie es viele Kollegen tun. Seine Arbeit passt mehr in den Bereich des Irrationalen und entsteht als Reaktion auf die rationalen Lehrmethoden des Fachs. Carson interessiert es, den persönlichen Ausdruck und die persönliche Erfahrung auf die Leinwand eines Massenmediums zu bannen. Er betont die bedeutung der Intuition in diesem Prozess. Er sieht Parallelen zu Außenseiterkünstlern wie Art Brut. Carsons Studios bleiben deswegen bewußt klein, oft bestanden sie nur aus ihm, einem Raum und einer Sekretärin. Auch hierin verkörpert Carson einen Gegentrend zu anderen Designern, die über Assistenten die Kreativbranche deligieren, wenn sie erfolgreich werden. Carson betont damit seine Ansicht, dass Kommunikation in erster Linie der Ausdruck einer Persönlichkeit darstellt, eine komplexe Erkundung und Reaktion auf ein vorgegebenes Problem und kein System, das gelehrt werden kann. Selbst bei großen Werbekampagnen baut er auf sein urpersönlichstes Gespür. Trotz der unikatartigen Natur seines Werks beeinflusste seine Arbeitsweise eine ganze Generation von Studenten, die als Stilelement seinen Umgang mit Schrift und Bild übernahmen. Darin folgt er Neville Brody, dessen Ruhm auch über das von ihm geschaffene Einzelwerk hinaus reicht und beeinflusst stilsensible Bereiche wie Musik, kunst und Werbung. Es war schließlich auch ein Kommentar Brodys in einem Interview zu Carson, der den begriff The End of Print prägte. Brody bezog sich auf den qualitativen Wandel, der neben einem Niedergang im Print erkennbar ist. Das Buch The End of Print von Lewis Blackwell, gestaltet von David Carson, erzielte eine Auflage von 120.000 Büchern. Mit dem gleichen Titel produzierte Carson ein Video, dessen Text vom amerikanischen Autorenveteranen William Borroughs (Autor von The Naked Lunch) geschrieben und gesprochen wurde. Carson lebt zur Zeit überwiegend in New York, wenn er nicht auf reisen ist. Er unterhält ein Domizil in Del Mar / Kalifornien und ein Studio in der Karibik. Text: Carson Biografie aus Phase 2 Alle Bilder: Archiv der Jahre 2001-2011 auf davidcarsondesign.com
3. Der LehRer
Bild rechts oben: David bei einem Workshop in Uruguay in 2010 Bild rechts unten: Programm eines Workshops in Storkholm Bild links: Studentenarbeit aus einem Workshop in Riga Quelle: www.davidcarsondesign.com
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David Carson war schon in vielen Ländern zu Gast und hat an Kunst- oder Designschulen Kreativ-Workshops gegeben. Er versucht dabei, die jeweiligen Stärken der Teilnehmer zu finden und zu fördern, statt jedem seinen Carson-Stempel auf zu drücken. Die Workshops sind kleinere Gruppen, die in eher intimer Atmosphäre stattfinden. Auszüge aus diversen Interviews mit Carson lassen sich zu einem groben Bild seiner Unterrichtsmethoden zusammen bauen. So ist zu lesen, dass er einer Gruppe zu Beginn die Aufgabe gestellt hat, sie sollten Buchstaben entwickeln und mit den Buchstaben sich selbst und ihre Persönlichkeit darstellen. Dann sollten sie mit Farbe visualisieren, wie sie sich in zehn Jahren sehen. Carson selbst sieht übrigens seine Stärken eher in der Form- als in der Farbgebung. Er ist der Überzeugung, dass man alle Typografischen Probleme erst in schwarz-weiß lösen können muss, bevor man zur Dimension der Farbe kommt. David betont, ein intuitiver – ein Gefühls-Mensch zu sein. Um jedoch Missverständnisse bei seinen Studenten zu vermeiden, ergänzt er diese inzwischen bekannte Tatsache in einem Interview mit Lewis Blackwell in Phase 2: »Die Intuition macht etwas noch nicht gut oder richtig (was immer das heißt). Bei einer Arbeit intuitiv zu sein, bedeutet nicht, dass sie nicht kritisierbar ist. Sie muss oft auch für die funktionieren, auf die sie abzielt. Aber intuitive Arbeitsprozesse machen es möglich, in Bereiche vorzudringen, die man durch bloße Anwendung formaler Design-Regeln nie erreicht hätte. Sie ist ein wichtiger Teil des kreativen Prozesses. Aber das heißt noch lange nicht, einfach das zu tun, was man will, in der Hoffnung, es würde automatisch funktionieren. Was wir erkennen müssen und wa die Bedeutung der Intuition ausmacht, ist, dass grade die rationale Vorgehensweisen der Designtheorie nicht alle Antworten geben, nicht einmal die Grundlage für die Antworten. (...) Wenn ich an den Designschulen Workshops abhalte, und die Studenten auffordere, expressiv, individuell und intuitiv zu sein, kommen wunderbare Ergebnisse zustande, überall (...). Aber sobald man ihnen sagt, der Entwurf soll zB. Schrift beinhalten, leiden die Arbeiten darunter. (...) Sagt man, sie sollen Schrift einsetzen, fallen sie leicht in irgendwelche Konventionen zurück, richten sich nach bestimmten Regeln oder kopieren andere Arbeiten. Ich versuche sie offen zu machen für was auch immer und genau das lässt den expressiven Entwurf entstehen.«
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Vier Der Sammler
Schnappsch端sse aus Davids Archiv Quelle: www.davidcarsondesign.com
Vielen Dank f端r Ihr Interesse.
Quellen David Carson und Lewis Blackwell: The End of Print; Bangert Verlag, Schopfheim; 1995 David Carson und Lewis Blackwell: Phase 2; Bangert Verlag, Schopfheim; 1997 David Carson und Phillip B. Meggs: Fotografiks; Bangert Verlag, Schopfheim; 1999 www.davidcarsondesign.com, 2011 www.youtube.com, 2011
Impressum Kevin Doden David Carson - Person und Werk Einzelexemplar Hannover, Februar 2012 Text: Kevin Doden; Ausnahmen siehe Quellenangaben auf den jeweiligen Seiten Gestaltung und Konzept: Kevin Doden; Bildquellen auf jeweiliger Seite angegeben Typografie: Vor allem Georgia und DIN für Fließtext und Überschriften; ansonsten Helvetica light
»Irgendwie hatte es dieser Gestalter geschafft, das Album nicht nur zu bebildern, sondern durch eine visuelle Seite zu erweitern. Sein Name blieb mir im Gedächtnis: David Carson.«