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Ergonomie, Physiologie, Sportmedizin Aus dem Institut für Präventivmedizin der Bundeswehr1, Andernach (Leiter: Oberstarzt Prof. Dr. Dr. Dieter Leyk) und dem Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr2, Koblenz (Befehlshaber und Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr: Generaloberstabsarzt Dr. M. Tempel)
Körperliche Anforderungen in militärischen Verwendungen: Votum für ein „Fitness-Register Ausbildung und Einsatz“ Dieter Leyk1, Ulrich Rohde1, Thomas Harbaum2, Stephan Schoeps2
Zusammenfassung Das aktuelle „Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr 2016“ stellt die Befähigung zum Kampf als Wesensmerkmal der Streitkräfte heraus und betont dabei den höchsten Anspruch an Mensch und Material. Je nach militärischer Tätigkeit (z. B. Gefechtsausbildung, Marsch, Tragen und Heben von Lasten) kommt es zu völlig unterschiedlichen Anforderungsmustern hinsichtlich Kraft, Schnelligkeit, Ausdauer und Koordination. Der Transport von Verwundeten, zu dem im Ernstfall jeder Soldat in der Lage sein sollte, demonstriert beispielhaft die hohen körperlichen Belastungen und Ermüdungsprozesse. Das Herstellen und Aufrechterhalten einer angepassten körperlichen Leistungsfähigkeit ist unstrittige Voraussetzung für die Einsatzbereitschaft operativ tätiger Streitkräfte. Daraus ergibt sich folgerichtig auch die Notwendigkeit, die körperliche Leistungsfähigkeit mit validen Verfahren zu überprüfen und belastbare Daten zur Einsatzfähigkeit der Soldatinnen und Soldaten zu gewinnen. Aus diesem Grund sollte zeitnah der Aufbau eines „Fitness-Registers für Ausbildung und Einsatz“ erfolgen. Damit würde nicht nur eine qualifi zierte Beratung militärischer und ziviler Entscheidungsträger möglich: Das „Fitness-Register“ könnte darüber hinaus wertvolle Daten und Erkenntnisse für die Gesundheits- und Fitnessförderung in der Bundeswehr liefern. Schlüsselwörter: Militär, Training, Fitness, Gesundheit, Prävention Keywords: Military, training, fi tness, performance, health, prevention
Hintergrund Die geopolitischen Veränderungen der letzten drei Jahrzehnte haben den Kernauftrag der Bundeswehr grundlegend gewandelt. Nicht mehr nur die Vorbereitung zur Landesverteidigung, sondern reale Auslandseinsätze zur Konfl iktverhütung und Krisenbewältigung bestimmen den Alltag der Streitkräfte. Ein spezifi sches Charakteristikum des Dienstes in den Streitkräften wird im aktuellen Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr 2016 [4], herausgestellt: „…bleibt die Befähigung zum Kampf Wesensmerkmal. Sie stellt den höchsten Anspruch an Mensch und Material.“ Dies hebt bildhaft die hohen Belastungen und Anforderungen des Soldatenberufs hervor. Die berufstypischen Charakteristika implizieren, dass Soldaten und Soldatinnen in der Ausbildung eine entsprechend angepasste Belastbarkeit für die Einsätze entwickeln und dauerhaft erhalten müssen. Hiervon sind nicht
nur Kampftruppen, sondern grundsätzlich alle Truppenteile betroffen, die in Einsatzgebieten mit erhöhter Bedrohungslage eingesetzt sind. Die tatsächlichen Belastungen werden von zahlreichen Einfl ussfaktoren bestimmt: Auftrag (Strecke, Geschwindigkeit, Dauer u. a.), Ausführungsbedingungen (Gefährdung, verfügbare Zeit, Ausrüstung und Lasten, Schlafdeprivation etc.) und Umwelteinfl üsse (Hitze, Kälte, Höhe, Nässe u. a.). Diese können je nach Situation stark variieren und zu einer erheblichen Mehrbelastung führen. Im Einsatz besitzt eine gute individuelle körperliche Leistungsfähigkeit (KLF) weiterhin eine herausragende Bedeutung [10, 13, 22, 29, 30]. Dabei ist die KLF nicht nur Voraussetzung für das erfolgreiche Ausführen militärtypischer Tätigkeiten (Leistungsaspekt), sondern hat auch große präventive Bedeutung für den Erhalt der Gesundheit (Gesundheitsaspekt). Es liegt auf der Hand, dass eine gegebene physische Belastung bei geringer KLF eine größere individuelle Beanspruchung bedeutet. Dies führt schneller und häufi ger zu gesundheitlichen Gefährdungen, akuten Überbeanspruchungen und Verletzungen, chronischen Gesundheitsschäden und letztlich zu weiteren negativen Folgen wie Dienstpostenwechsel, Dienstunfähigkeit etc. [1, 2, 5, 11 - 16, 28]. Insofern ist das Herstellen und Aufrechterhalten einer angepassten KLF eines der wichtigsten Ausbildungsziele und wird künftig erheblich an Bedeutung gewinnen. Hierbei stellen sich zwei elementare Ausbildungsfragen: 1.) Was und wie hoch sind die körperlichen Mindestanforderungen mit Blick auf Auslandseinsätze? und 2.) Wie kann – trotz der nachlassenden körperlichen Leistungsfähigkeit von jungen Erwachsenen [23] – die erforderliche KLF möglichst effi zient erreicht werden?
Körperliche Anforderungen in militärischen Verwendungen Erstaunlicherweise gibt es relativ wenige publizierte Studien und belastbare Daten zu körperlichen Anforderungen und Beanspruchungen in Ausbildung und Einsatz, in denen quantifi zierbare Angaben zu physischen Belastungsprofi len zu fi nden sind. Daher waren zahlreiche eigene Vor-Ort-Untersuchungen notwendig, um einsatzrelevante Tätigkeiten verschiedener Truppengattungen zu quantifi zieren [6, 7, 25]. Um möglichst realitätsnahe Ausbildungsinhalte abbilden zu können, wurden mithilfe der Truppenschulen typische Belastungsprofi le erstellt.
Wehrmedizinische Monatsschrift 62 (2018), 1-2/2018
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