Äthiopien - Katholiken im Kampf gegen Hunger und Not

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Ă„thiopien Katholiken im Kampf gegen Hunger und Not Eva-Maria Kolmann



Ă„thiopien Katholiken im Kampf gegen Hunger und Not Eva-Maria Kolmann


Alle Rechte vorbehalten. © KIRCHE IN NOT / Ostpriesterhilfe Deutschland e. V., München 1. Auflage 2012 Impressum: Herausgeber: Text: Bildnachweis: Layout: Druck:

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KIRCHE IN NOT / Ostpriesterhilfe Deutschland e.V. Lorenzonistraße 62, 81545 München Eva-Maria Kolmann KIRCHE IN NOT: Eva-Maria Kolmann, P. Dr. Andrzej Halemba, Christian Klyma Geiger Grafik-Design, München Mayer & Söhne, Aichach


Inhaltsverzeichnis Zum Geleit Zwischenstopp in Khartum

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Die Kinder Don Boscos

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Begegnungen mit einer altorientalischen Schwesterkirche

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Die Katholische Kirche: Allen alles geworden

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Die Kinder vom Friedhof

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„Ich werde Priester!“

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„Wo bist du, Heilige Jungfrau?“

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Die Bundeslade im Zeltlager und ein zorniger Hexer

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„Da kommen die Stinker“

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Arme Würdenträger

58

Wo andere Urlaub machen

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Auf Blut gebaut

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Leidensgenossen der heiligen Bakhita

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Geschundene Töchter Evas

78

Die Ordensschwester mit der Taschenlampe

84

Bethlehem lacht

87

Moderne Sklaverei

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Eine unruhige Region

95

Abba Angelo – ein Leben für Äthiopien

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Ein Dorf am Ende der Welt

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Wo Rahel um ihre Kinder weint

110

Auf der Flucht vor dem Hungertod und vor Al-Shaabab

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Äthiopien – ein muslimisches Land?

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320 Kilometer für eine E-Mail

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Kirchen – ein überflüssiger Luxus?

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Nachwort: „Ich war hungrig ...“

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Artikel für ein aktives Glaubensleben

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Informationen zur Situation von Christen weltweit

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Bezugsadressen

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Zum Geleit

Liebe Leserin, lieber Leser, dies ist kein Buch über Äthiopien. Über die reiche Kultur und Geschichte dieses Landes gibt es viele Bücher. Wir – zwei Kollegen von KIRCHE IN NOT und ich – haben auf unserer Reise in mehrere Regionen des Landes weder die weltberühmten Felsenkirchen von Lalibela gesehen noch das Skelett von „Lucy“, einer Frau, die vor über drei Millionen Jahren lebte und deren Knochen als Sensationsfund im Nationalmuseum von Addis Abeba aufbewahrt werden. Wir waren vor allem dort, wo die Katholische Kirche dem lebendigen Christus dient: in den Grashütten der Stämme, die noch vor kurzem Nomaden waren, bei den Flüchtlingen aus dem Südsudan, die nach einem mörderischen Fußmarsch erschöpft an der Straße sitzen, bei den Kindern in den abgelegenen Dörfern und bei den Straßenkindern in Addis Abeba. Denn sie sind mehr als alle Kulturdenkmäler die Schätze Äthiopiens. Wir haben eine Armut gesehen, die unsere ganze westliche Lebensweise in Frage stellt. Sie ist ein Appell an unser Gewissen. Aber wir haben auch eine Freude gesehen, die ebenfalls vieles von dem ins Wanken bringt, was wir hier in Europa als selbstverständ4


Die Autorin Eva-Maria Kolmann mit einem kleinen Mädchen aus Addis Abeba.

lich ansehen. In jedem Gesicht haben wir eine Würde und eine Schönheit gefunden, die nur von Gott stammen kann. Dieses Buch ist ein Liebesbrief an diese Menschen – aber es ist auch ein Schrei. Denn unsere afrikanischen Schwestern und Brüder spielen viel zu oft in der Welt keine Rolle. Im Kampf der Mächtigen um Profit und Ressourcen zählen diese armen Menschen so wenig wie Ameisen. Dies ist eine bittere Erkenntnis. Wir haben nicht gewagt, den Kindern ins Gesicht zu sagen, dass sie der Menschheit egal sind. Wir haben ihnen gesagt, dass wir sie lieben und dass auch Sie, die Sie dieses Buch lesen werden, sie lieben. Wir sind sicher, dass es stimmt. Ein ganzer Chor kleiner Jungen und Mädchen antwortete: „Wir lieben euch auch!“ Sie meinten damit auch Sie.

Eva-Maria Kolmann 5


Diese Kinder haben vor ihrer Pfarrkirche Kreuze und andere christliche Symbole in den Sand gemalt.

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Zwischenstopp in Khartum Das Flugzeug setzt zum Landeanflug an. Vom Fenster aus sehen wir Minarette, so weit das Auge reicht. Der Flug nach Addis Abeba wird in Khartum, der Hauptstadt des Sudan, unterbrochen. Einige Fluggäste steigen hier aus. Auf diesem Boden, auf dem das Flugzeug jetzt aufsetzt, tobte 25 Jahre lang ein Bürgerkrieg, der weit mehr als zwei Millionen Menschenleben forderte und viele Millionen Menschen heimatlos machte. Auch jetzt, nach der Teilung des Sudan, gehen von hier wieder Befehle aus, die Menschen den Tod bringen. Wenige Tage vor unserer Reise hatte ich noch einen Dokumentarfilm über die Militärschläge in den Nuba-Bergen im Grenzgebiet zwischen Nord- und Südsudan gesehen. Kinder flohen in Panik vor den Flugzeugen. Mucksmäuschenstill und starr vor Angst saßen die Kleinen stundenlang in Erdlöchern und Höhlen, bis die Bombardements vorbei waren. Eine Hungersnot bahnt sich an. Präsident Omar Hassan al-Baschir erlaubt Hilfswerken nicht, in der Region tätig zu werden. Er will den Krieg. Immerhin gibt es im Grenzgebiet zwischen Nord- und Südsudan Ölquellen. Menschenleben spielen keine Rolle, wenn es um Öl geht. Hier in Khartum wird darüber entschieden, ob wieder unzählige Menschen sterben werden. Wir sitzen eingesperrt in unserem Flugzeug und haben Zeit, darüber nachzudenken. Als das Flugzeug wieder abhebt, ist es dunkel. Knapp zwei Stunden später landen wir in Addis Abeba, wo uns Abba Hagos Hayish, der Generalsekretär der katholischen Bischofskonferenz, abholt. „Hagos, nicht ‚Hagios‘“, sagt er lachend. „Hagios“ bedeutet auf Griechisch nämlich „heilig“. Sein Name „Hagos“ meint in Tigray, einer der in Äthiopien gesprochenen Sprachen, „Freude“. In der Tat freuen wir uns bei seinem Anblick. Endlich sind wir in Äthiopien! Der Zwischenstopp in Khartum sollte aber nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir auf unserer Reise mit dem Schicksal des sudanesischen Volkes in Berührung kommen.

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Ein allgegenwärtiger Anblick: Die größeren Kinder kümmern sich liebevoll um die kleineren Geschwister. 8


Jesus sagt: „Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf“ (Mt 18,5). 9


Die Kinder Don Boscos Glaubt man den offiziellen Angaben, hat die äthiopische Hauptstadt 2,5 Millionen Einwohner. In Wirklichkeit ist die Zahl wohl doppelt so hoch. Wenn es regnet, zeigt die Stadt sich von ihrer ungemütlichen Seite. Von „neuer Blume“, was der Name Addis Abeba übersetzt bedeutet, spürt man nichts mehr. Der Himmel hängt tief, alles wird in deprimierendes Graubraun getaucht. Bunt sind nur die Regenschirme. Das Schlimmste ist die Kälte, die durch die Ritzen der Fensterrahmen und durch die Kleidung kriecht. Da die Stadt auf einer Höhe von 2800 Metern liegt, spürt man die Kälte doppelt. Im Wetterbericht stand etwas von 20 bis 25 Grad. Das klang eigentlich warm. Auf diese kriechende, feuchte Kälte war ich nicht vorbereitet. Meine Kleidung ist viel zu leicht, und selbst durch den Trenchcoat dringt die Kälte bis auf die Haut. Nachts ist es noch schlimmer. Man hat das Gefühl, als zöge es durch alle Ritzen. Dabei ist das Gebäude, in dem wir untergebracht sind, solide gebaut. Die zweite Wolldecke ist mehr als willkommen.

Unzählige Menschen in Addis Abeba sind obdachlos. 10


Straßenkinder in Addis Abeba suchen unter einem LKW Schutz vor dem Regen.

Wie mag es bei diesem Wetter den zahlreichen Obdachlosen ergehen, die man überall in der Hauptstadt sieht? Bereits am ersten Abend, als wir vom Flughafen kamen, sahen wir auf den Straßen Menschen liegen, die nur mit Pappe und Plastiktüten zugedeckt waren. Andere hausen in Betonrohren von Baustellen. Unzählige leben auf einem winzigen Raum unter einer Plastikplane, die sie zwischen einer Mauer und dem Boden aufgespannt haben. Der „Wohnraum“ kann höchstens 1,5 Quadratmeter betragen. Dort leben sogar Frauen mit kleinen Kindern. Wir haben es selbst gesehen, wie aus so einem elenden Miniaturzelt zwei Kleinkinder hervorkrochen. Während eines heftigen Regenschauers sitzen unter einem parkenden Lastwagen mehrere Straßenkinder, die dort Schutz suchen. Mindestens 60 000 Kinder und Jugendliche leben auf den Straßen von Addis Abeba, in ganz Äthiopien sind es nach Angaben von UNICEF mehr als 300 000 Kinder. Sie hausen im Elend, betteln, stehlen, rutschen ab in kriminelle Banden, werden misshandelt und missbraucht. Viele verkaufen ihren Körper für eine Mahlzeit. Durch zerbrochene Familien und die Ausbreitung von Aids werden es immer mehr. Manche laufen auch von zuhause weg, weil sie sich mit ihren Eltern gestritten haben. 11


In Addis Abeba kümmern sich die Salesianer Don Boscos um Jungen, die auf der Straße leben. Die Missionare und ihre ehrenamtlichen Mitarbeiter gehen zweimal in der Woche hinaus in die Stadt, um mit Straßenkindern Kontakt aufzunehmen und ihr Vertrauen zu gewinnen. Sind sie dazu bereit, dürfen sie in das Zentrum der Patres kommen, wo sie eine sichere Unterkunft, Zuwendung, Beratung, ärztliche Behandlung und eine Schulausbildung erhalten. Sie dürfen lernen und spielen und erwerben außerdem auch eine praktische handwerkliche Ausbildung. So stellen die größeren Jugendlichen beispielsweise Flechtmöbel her. In Deutschland würden solche Möbel viel Geld kosten, denke ich, als Pater Dino Viviani sie uns zeigt. Es ist erstaunlich, wie begabt und geschickt diese Jugendlichen sind, die in der Gesellschaft bislang keinen Platz hatten. Es ist ein trauriger Gedanke, welch ein Potenzial an Begabungen und Kreativität der Welt verloren geht, weil Kinder verwahrlosen und niemals eine Chance bekommen, sich zu entfalten. 120 Jungen leben zurzeit in dem Zentrum der Salesianer. Auch Straßenkinder, die nicht dort wohnen, dürfen den Sportplatz und die Angebote der Salesianer nutzen. Pater Dino ist für sie quasi ihr Vater. Er mag das Wort „Straßenkinder“ nicht. In seinem Zentrum heißen sie „Bosco Children“. „Wenn wir unseren Jungen später eine Arbeit vermitteln wollen, werden sie schief angesehen, wenn sie ‚Straßenkinder‘ heißen. Für uns sind sie die Kinder des heiligen Don Bosco“, erklärt er uns. Besonders beeindruckend ist es, wenn die Jungen Theater spielen, erzählt der italienische Salesianerpater. „Sie spielen dann nicht nur, sondern sie bringen das Drama ihres ganzen Lebens auf die Bühne.“ Das Zentrum vermietet seine Aula auch für Veranstaltungen wie Hochzeiten. Dann dürfen die Jungen den Saal festlich schmücken und als Kellner die Gäste bedienen. „Noch nie wurde dabei etwas geklaut. Einmal verlor ein Gast sein Handy. Einer der Jungen fand es und lieferte es bei mir ab“, berichtet Pater Dino stolz. Viele der Jugendlichen finden zu Gott. Die Salesianer bieten ihnen den Glauben durch ihr Vorbild und durch ihre Lebensweise an. Gezwungen zu religiösen Übungen wird keiner. „Zwei der Jungen kamen an Weihnachten zu mir. Sie hatten ein großes Geheimnis: Sie wollten sich taufen lassen. Irgendwann waren sie auf einem Streifzug durch die Stadt zur Marienkirche der Consolata-Missionare gekommen. Der Weihrauch zog sie an. ‚Etwas roch so gut, und wir gingen hinein‘, berichteten sie mir. Schließlich gingen sie immer häufiger zur heiligen Messe, und nun wollten sie getauft werden.“ Bislang kannten die Jungen nur das „Gesetz des Stärkeren“, das in den Straßenbanden herrscht. Hier bei den Patres lernen sie, anderen zu vergeben. Mit sichtlicher Bewegung sagt Pater Dino: „Ein Junge kam zu mir, als ihn ein anderer geschlagen hatte. Er sagte: ‚Ich möchte meinem Kameraden vergeben. Das habe ich noch nie getan, aber Gott will, 12


Ein ehemaliges Straßenkind betet in der Kirche des Jugendzentrums der Salesianer in Addis Abeba zur Muttergottes.

dass wir vergeben.‘“ Nach einer Pause fügt der Priester hinzu: „Manche von ihnen sind frömmer als ich!“ Viele der Jungen entdecken auch eine neue Welt, weil sie nun lesen und schreiben lernen. „Einer der Jungen schlich neulich schon um fünf Uhr früh durchs Haus. Ich wunderte mich, was er wollte. Er war auf dem Weg in die Bibliothek, um in Ruhe die Zeitschriften zu lesen, die wir dort ausgelegt haben.“ 13


Abends, wenn die Dämmerung kommt, werden viele der Jungen unruhig. Sie waren es gewohnt, um diese Zeit zusammen mit ihren Kameraden am Feuer zu sitzen. Manche bekommen auch Heimweh nach ihren Familien. Im Zentrum der Salesianer kommen die „Bosco Children“ zusammen und schauen sich einen Film an oder reden miteinander und mit den Patres. Besonders schwer ist es für sie an Weihnachten. Die Salesianer versuchen, die Feiertage besonders schön und stimmungsvoll zu gestalten. Aber nichts ist so gut wie eine eigene Familie. „Wir versuchen, zwischen ihnen und ihren Familien

Ein Junge, der im Jugendzentrum der Salesianer in Addis Abeba betreut wird, zeigt ein zerknittertes Heiligenbild. 14


zu vermitteln. Denn das Beste ist, wenn die Jungen wieder nach Hause zurückkehren können. Oft gelingt es uns. Wir wählen für die endgültige Rückkehr normalerweise einen Feiertag, an dem ohnehin das ganze Dorf oder die ganze Familie zusammenkommt. Wenn sie dann zurückkehren, ist es ein Fest“, sagt Pater Dino. Die Salesianer haben in Addis Abeba außerdem ein großes Jugendzentrum mit Kindergarten, Grundschule, weiterführender Schule und Berufsschulen. 2000 Schüler – Jungen und Mädchen – werden hier unterrichtet. Auch sie haben auf der Straße gelebt oder stammen aus extrem armen Familien. Sie erhalten ein Mittagessen und je nach familiärer Situation auch ein Abendessen und gehen nicht nur in die Schule, sondern können hier auch ihre Freizeit sinnvoll gestalten. Beispielsweise werden Kurse angeboten, in denen die Kinder traditionelle Tänze erlernen. Außerdem gibt es Sportplätze sowie einen Raum zum Theaterspielen und für Filmvorführungen. Damit werden die Kinder von der Straße geholt. Die kleineren Kinder rennen uns fast um vor Begeisterung. „Ferenji“ sind gekommen! So werden hier in Äthiopien Ausländer genannt. Jedes Kind will fotografiert werden. Ein kleiner Junge macht Faxen und posiert wie ein Held in einem Actionfilm. Ein Mädchen hängt sich zutraulich an meinen Arm, ein paar Kinder ziehen an meinem Rock, ein anderes Mädchen wünscht sich die Glasperlen von meiner Kette. Als wir das Gelände besichtigen, hält jeder von uns mindestens zwei Kinder an den Händen. In einem Raum tanzen Kinder ausgelassen zu Musik. In einem anderen Raum nähen und sticken junge Mädchen. Ein Jugendlicher ist dabei, aus Bast bunte Körbchen zu flechten. So lernen die Jugendlichen nicht nur etwas Nützliches für die Zukunft oder verbringen ihre Zeit sinnvoll, sondern sie entwickeln auch ein Selbstwertgefühl. Sie sehen, dass sie etwas Schönes hervorbringen, woran andere sich freuen. Auf der Straße werden sie behandelt wie streunende Hunde. Obwohl sie so schöne Namen tragen, die übersetzt „Freude“, „Hoffnung“, „Blume“, „Kind Mariens“, „das Heil Adams“, „starker Mann“, „König“ oder „Ruhm“ bedeuten, erfahren die Kinder hier zum ersten Mal, wie wertvoll sie sind. Natürlich gehen wir auch in die Kapelle. Hier berührt uns die Andacht der Kinder. Eines nach dem anderen kniet vor Altar und Tabernakel nieder, verneigt sich, indem es mit der Stirn den Boden berührt, und verharrt eine Zeit lang in dieser Haltung. Dann gehen sie zur Muttergottesstatue, schmiegen der Reihe nach ihr Gesicht in den Mantel der Heiligen Jungfrau und küssen das Kreuz des langen, großen Rosenkranzes, der von ihrer Hand herabhängt. Ein kleiner Junge kommt mit einem Heiligenbild angelaufen, um es uns zu zeigen. Es ist zerknittert, weil er es die ganze Zeit bei sich getragen hat. „Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf (Mk 9,37)“, sagt Jesus im Evangelium. Hier bei den Salesianern Don Boscos in Addis Abeba ist dies Wirklichkeit. 15


Eine Frau bereitet vor ihrer HĂźtte das Mittagessen zu.

In manchen DĂśrfern hat die Kirche Wasserpumpen eingerichtet. Frauen und Kinder brauchen dort nun nicht mehr stundenlang durch die Hitze zu laufen, um Wasser zu holen. 16


Eine typische H端tte in der Benishangul-Gumuz-Region.

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Begegnungen mit einer altorientalischen Schwesterkirche „Irgendwie klingt der Muezzin hier merkwürdig“, denke ich im Halbschlaf, als nachts der Klang einer singenden Stimme an mein Ohr dringt. Dieser Gesang legt sich wie ein feiner Schleier über alles. Ich verstehe die Worte nicht, aber der Gesang klingt schön. Am nächsten Tag erfahre ich, dass es gar kein Muezzin war. Es war das orthodoxe Nachtgebet, das ebenfalls per Lautsprecher auf die Straßen übertragen wird. Auch tagsüber hört man in der Stadt immer wieder orthodoxe Hymnen. Fast 45 Prozent der Äthiopier gehören der Äthiopisch-Orthodoxen Tewahedo-Kirche an. Ursprünglich unterstanden die orthodoxen Christen in Äthiopien dem koptischen Papst von Alexandria in Ägypten. 1950 wurde die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche auto-

Altardiener in der orthodoxen Dreifaltigkeits-Kathedrale in Addis Abeba. 18


kephal, das heißt selbstständig. Sie ist die größte der altorientalischen Kirchen und die einzige vorkoloniale christliche Kirche Schwarzafrikas. Vor den orthodoxen Gotteshäusern in Addis Abeba sieht man zu jeder beliebigen Zeit Gläubige, die sich im Vorübergehen bekreuzigen, niederknien und die Stufen oder die Mauern der Kirchen küssen. Berührende Gesten der Frömmigkeit mitten im Getümmel der Millionenstadt. Man sieht zudem viele orthodoxe Priester auf den Straßen. Jeder von ihnen trägt stets ein Handkreuz bei sich, das die Gläubigen inbrünstig und mit tiefer Verehrung küssen. Insgesamt prägt der Glaube in Äthiopien das alltägliche Leben. So wird beispielsweise das Fasten sehr ernst genommen. An jedem Mittwoch und Freitag einer Woche wird auf Fleisch, Eier und Milchprodukte verzichtet. Vor den Hochfesten fasten die Gläubigen mehrere Wochen lang. Auch in den meisten Restaurants werden dann nur spezielle Fastenspeisen angeboten. Sehr verehrt wird in Äthiopien die Muttergottes. Das äthiopische Kirchenjahr kennt 33 Marienfeste! Eine besondere Bedeutung kommt dem „Bund der Erbarmung“ beziehungsweise dem „Bund der Herrin Maria“ zu. Dabei handelt es sich um ein zwischen Maria und Jesus geschlossenes Bündnis. Maria bittet dabei ihren Sohn darum, dass jeder vor der Hölle verschont bleiben möge, der in seinem Leben wenigstens eine gute Tat in ihrem Namen vollbracht hat, zum Beispiel um ihretwillen einem Durstigen einen Schluck Wasser gereicht hat. Das Motiv des „Bundes der Erbarmung“ ist auch auf äthiopischen Ikonen sehr beliebt. Maria und Jesus sitzen dann nebeneinander und halten sich die Hände. Überhaupt sind Bilder der Heiligen Jungfrau sehr verbreitet, vor allem das Bild der Gottesmutter mit dem Jesuskind, aber auch Szenen aus ihrem Leben wie Verkündigung, Heimsuchung, Geburt und die Flucht nach Ägypten. Zu den am meisten verehrten Heiligen gehört der heilige Georg, der immer als treuer Begleiter der Gottesmutter dargestellt wird. Er ist der Krieger Gottes, der Soldat Christi, der Verteidiger des Rechts. Er beschützt alle, die hilflos, verzweifelt, arm und bedürftig sind. Heilige und Äthiopier werden auf den äthiopischen Ikonen frontal oder im Dreiviertelprofil gezeigt, so dass man ihre beiden Augen sehen kann. Sie sind fast immer hellhäutig. Wichtige und heilige Personen werden größer gemalt als die anderen. Sündhafte Menschen wie Judas Iskariot und Ausländer werden hingegen im Profil dargestellt. Somit sieht man von ihnen nur ein Auge, damit der „Böse Blick“ den Betrachter nicht trifft. Die Farben schwarz, grün und blau symbolisieren Gottvater und sein unergründliches Geheimnis. Gelb ist die Farbe des Heiligen Geistes, rot ist als Farbe des Feuers, des Blutes und des Lebens das Symbol für den Sohn Gottes. Weiß ist die Farbe des Himmels und damit die Farbe des Glaubens, der Taufe und der Reinheit. Auf dieser Grundlage werden oft die grün-gelb-roten Streifen der äthiopischen Flagge als Symbol der Heiligen Dreifaltigkeit gedeutet. 19


Ein Gottesdienst in der orthodoxen Dreifaltigkeits-Kathedrale in Addis Abeba.

Das Kreuz ist allgegenwärtig. Alle äthiopischen Christen tragen von Kindheit an bis zu ihrem Tod einen Kreuzanhänger an einer Halskette oder einem blauen Band um den Hals. Sie bekommen es zu ihrer Taufe geschenkt. Die blaue Farbe des Bandes soll vor dem Bösen Blick schützen. Wer zu arm ist, um ein Kreuz zu besitzen, trägt wenigstens das Band. Viele lassen sich das Kreuz auf die Stirn, die Brust, den Nacken oder die Arme tätowieren. In zahlreichen Geschäften sieht man zudem Kleider und Hemden, die mit Kreuzen bestickt sind. Ebenso sind Tischdecken, Tagesdecken und andere Haushaltstextilien oft mit fein gestickten Kreuzen geschmückt. Äthiopien ist ein uraltes christliches Land. „Hier ist Wasser. Was steht meiner Taufe noch im Weg?“ (Apg 8,36), sagt der Äthiopier in der Apostelgeschichte zu Philippus. Mit diesem spontanen Beschluss beginnt hier wenige Jahre nach dem Tod Jesu die Geschichte des Christentums. Mit dem Alten Testament verwoben ist die Geschichte des Landes schon viel länger. Stammte von hier doch die schöne und geheimnisvolle Königin von Saba, die einst „mit einem sehr großen Gefolge, mit Kamelen, die Balsam, eine gewaltige Menge Gold und Edelsteine trugen“ (1 Könige 10,2), nach Jerusalem zog, weil sie von der Weisheit König Salomos gehört hatte. Tief beeindruckt stellte sie fest, dass seine Weisheit das, was ihr berichtet worden war, noch weit übertraf. Der äthiopischen Legende nach empfing die Königin von Saba, die der Überlieferung nach Makeda hieß, einen Sohn von König Salomo. Er hieß Menelik. Mit 23 Jahren reiste er nach Jerusalem, um seinen Vater kennen zu lernen. Vor seiner Rückkehr in seine Heimat sollen er und sein Gefolge die Bundeslade, in der Mose und die Israeliten bei ihrem Auszug aus Ägypten die Steintafeln mit den Zehn Geboten trugen, durch eine Nachbildung vertauscht und das Original mitgenommen haben. Die Reliquie, die als Bundeslade verehrt wird, befindet sich heute in Axum, dem „äthiopischen Rom“, in der Kirche 20


Maria vom Zion. Sie wird ständig von einem Mönch bewacht. Nur der Wächter darf sie sehen. Nicht einmal dem Oberhaupt der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche ist es erlaubt, sie anzuschauen. In jedem äthiopisch-orthodoxen Gotteshaus wird ein Tabot, eine Nachbildung der Bundeslade, im Altar aufbewahrt. Am Fest der Erscheinung des Herrn, das auf Amharisch Timkat oder Timket heißt, wird der Tabot in einer großen, farbenfrohen Prozession unter Tänzen und Gesängen durch die Städte und an den nächstgelegenen Fluss getragen. Ein mit dem Bild des Schutzpatrons der jeweiligen Kirche geschmücktes Zelt wird für jeden Tabot aufgebaut. Der Gesang der Kirchenchöre wird von dem rituellen Tanz der Priester, Trommeln, Glockengeläut und Trompeten begleitet. Der Tabot wird in Brokat und Samt gehüllt und während der gesamten Zeremonie auf dem Kopf eines Priesters getragen. Über ihm werden prächtige bunte Zeremonienschirme aufgespannt. Kreuze und Ikonen werden in der Prozession mitgeführt. Für die Gläubigen wird der Gottesdienst um zwei Uhr nachts abgehalten. Die Priester hingegen beten die ganze Nacht hindurch. Im Morgengrauen versammeln sich Geistliche und Gläubige zum Gebet, um zum Wasser zu gehen, wo die Hauptzeremonie stattfindet. Nach dem Gebet taucht ein ranghoher Priester ein Kreuz ins Wasser, segnet es und löscht im Wasser eine brennende Kerze. Danach besprenkelt er die Menschenmenge in Erinnerung an die Taufe Jesu mit dem geweihten Wasser.

Gläubige küssen das Portal der orthodoxen Dreifaltigkeits-Kathedrale in Addis Abeba.


Viele Gläubige in Äthiopien tragen ein eintätowiertes Kreuz auf der Stirn.

Aber kommen wir zurück zum Sohn der Königin von Saba. Alle Nachkommen des Menelik führten ihre Dynastie auf König David zurück und trugen stolz den Titel „Löwe von Juda“. Diesen Ehrentitel trug auch noch der letzte äthiopische Kaiser Haile Selassie. 1974 musste der Kaiser, dessen Name „Macht der Dreifaltigkeit“ bedeutet, abdanken. Er wurde am 12. September 1974, dem äthiopischen Neujahrsfest, unter Arrest gestellt und starb einige Monate später unter ungeklärten Umständen. Man muss davon ausgehen, dass er ermordet wurde. Sein heute in Frankfurt am Main lebender Großneffe Asfa Wossen-Asserate schrieb in seinem Buch „Ein Prinz aus dem Hause Davids“, ein Diener des Kaisers habe berichtet, Haile Selassie sei zunächst mit Äther betäubt und dann mit seinem Kopfkissen erstickt worden. Die Bestattung konnte erst im Jahr 2000 nachgeholt werden, da der spätere Diktator Mengistu Haile Mariam den Leichnam des Kaisers unter seiner Toilette einmauern ließ. Asfa Wossen-Asserate beschreibt auch die letzten Tage des damaligen Oberhauptes der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche, des Patriarchen Theophilos: „Als man ihn schließlich verhaftete, brachte man ihn zunächst zu den anderen prominenten Gefangenen in den Keller des Menelik-Palastes. Barfüßig, seines Ornats beraubt und gefesselt 22


Ein orthodoxer Priester.

stand er vor seinen Peinigern. Er sollte in eine Einzelzelle gebracht werden, bat aber um eine halbe Stunde Aufschub. In dieser Zeit ging er zu jedem einzelnen der Gefangenen, kniete nieder, küsste ihm die Füße und sagte: ‚Mein Kind, vergib mir, ich habe gegen dich gesündigt!‘ Vom Tag seiner Gefangennahme an nahm er nichts mehr zu sich außer Wasser und Brot. Es war ein eindrucksvoller Akt der Buße, der ihn schließlich zum Märtyrer der äthiopisch-orthodoxen Kirche werden ließ.“ Ein Jahr nach seiner Verhaftung wurde der Patriarch brutal hingerichtet. Ebenso wurde auch der Vater von Asfa Wossen-Asserate exekutiert. Er wurde verhaftet, als er gerade die heilige Messe besucht hatte. Er war darauf vorbereitet, zu sterben. Asfa-Wossen Asserate schreibt: „Der Priester war überrascht, als er meinen Vater unter den Kindern und alten Menschen stehen sah, die sich zur heiligen Kommunion aufgereiht hatten. Als Erwachsener geht man in der äthiopisch-orthodoxen Kirche für gewöhnlich nur dann zur Kommunion, wenn man der weltlichen Sphäre Lebewohl sagt und sich für den Rest seines Lebens in ein Kloster zurückzieht – oder wenn man sich dem Tode nahe weiß.“ Als er die Kirche verließ, wurde er festgenommen und einige Zeit später zusammen mit sechzig weiteren Männern aus der ehemaligen Führungsschicht des Landes erschossen. 23


Kirchenmusiker und Sänger in der orthodoxen Dreifaltigkeits-Kathedrale in Addis Abeba.

Das Terrorregime zwischen 1974 und 1991 kostete nach Schätzungen von Amnesty International rund 2,5 Millionen Menschen das Leben. Zu dieser Zeit wurden außerdem alle Religionen in Äthiopien verfolgt, was weder vorher noch hinterher in der äthiopischen Geschichte der Fall war. 1986 berichtete das ökumenische Forum für Glauben, Religion und Gesellschaft in Ost und West: „Entgegen immer wieder anzutreffenden beschönigenden Darstellungen herrscht in Äthiopien schwere Religionsverfolgung. Die das Land regierenden marxistisch-leninistischen Militärs sehen in den Religionsgemeinschaften den Hauptfeind ihrer atheistischen kommunistischen Ideologie. Die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche wurde zum Feind der Revolution erklärt, die Katholische Kirche und die protestantischen Kirchen darüber hinaus zu Agenten des westlichen Imperialismus (...). Zu Beginn der 80er-Jahre musste sich das Regime davon überzeugen, dass die Kirchen trotz der entschädigungslosen Konfiskation ihres gesamten Vermögens weiterhin beim Volk Unterstützung und Rückhalt finden. 1982 schritt man daher zu radikaleren Maßnahmen und verpflichtete die Funktionäre und Organisatoren der Partei, mit der ‚Ausmerzung der Religion und aller mit ihr verbundenen Übel‘ Ernst zu machen. Bei den Orthodoxen wurde der Heilige Synod aufgelöst. Metropolit Theophilos [Anmerkung: Er war zu dem Zeitpunkt bereits hingerichtet worden, jedoch wurde sein Tod lange Zeit geheim gehalten. Die Stelle, wo er begraben worden war, wurde erst 1992 gefunden] und drei Erzbischöfe waren schon 1976 verhaftet und für 6-8 Jahre eingesperrt worden. Den Erzbischof von Samuli ermordeten Agenten des Regimes. 14 Bischöfe wurden widerrechtlich von der Regierung abgesetzt. Viele Mönche und Geistliche kamen ins Gefängnis. Einige Gotteshäuser und vom Volk verehrte Heiligtümer wurden in die Luft gejagt, Kirchen zu Kasernen umfunktioniert. Auch den Katholiken und Protestanten wurde das gesamte kirchliche Vermögen genommen. (...) Doch hat diese Situation zu gegenseitigen Solidaritätskundgebungen und gemeinsamem Gebet unter den verschiedenen Kirchen geführt. 24


Die Religion, so heißt es in neuesten Berichten, erlebe angesichts der Verfolgung einen deutlichen Aufschwung.“ Bereits 1981, noch zur Zeit der Mengistu-Diktatur, bekräftigte Papst Johannes Paul II. gegenüber Patriarch Tekle Haimanot, dem damaligen Oberhaupt der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche, beide Kirchen teilten einen Glauben, die apostolische Sukzession, das Priestertum und die Eucharistie. Im Juni 1993 empfing er Patriarch Paulos, der bis zu seinem Tod am 16. August 2012 das Oberhaupt der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche war. In seiner Ansprache sagte Johannes Paul II.: „Die tiefe Gemeinschaft, die trotz der Wechselhaftigkeiten der Geschichte zwischen uns besteht, hat ihre Wurzeln in den grundlegenden Wirklichkeiten unseres christlichen Glaubens. Denn wir teilen den Glauben, der uns von den Aposteln weitergegeben wurde, ebenso wie dieselben Sakramente und denselben Dienst, die in der Apostolischen Sukzession verwurzelt sind. (…) So kommt es, dass die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche und die Katholische Kirche denselben Glauben an Ihn bekennen, der für immer der Weg, die Wahrheit und das Leben sein wird, Herr und Heiland der Welt. Da wir diesen Dialog der Liebe zwischen uns wiederhergestellt haben, können wir zuversichtlicher sein, wenn wir den Herrn aus

Der äthiopisch-orthodoxe Patriarch Paulos, den wir in Addis Abeba besuchten. Er verstarb kurz darauf am 16. August 2012.


einem Herzen um das Geschenk der Einheit bitten. (…) Durch die Fürsprache Mariens, der großwürdigen Mutter Gottes, möge der Heilige Geist den Tag beschleunigen, an dem wir wieder am selben Tisch des Herrn essen und trinken werden.“ Wir treffen Patriarch Paulos in Addis Abeba. Wenige Tage zuvor war sein jüngerer Bruder verstorben, der ebenfalls Mönch war. Aufgrund dieses Trauerfalles musste die Audienz um einige Tage verschoben werden. Mit leiser Stimme erzählt der Patriarch, dass er immer zu seinem jüngeren Bruder aufgeschaut habe. Er muss ein weiser und zutiefst frommer Mann Gottes gewesen sein, den er sehr geliebt hat. Patriarch Paulos sagt: „Alle fragen mich, warum ich nicht weine und trauere. Aber wenn ein gottesfürchtiger Mensch heim zu Gott geht, so ist dies kein Grund zur Trauer.“ Der Patriarch spricht zu uns über etwas, was ihm sehr am Herzen liegt. In vielen Klöstern werden jahrhundertealte Bücher und religiöse Kunst- und Kultgegenstände aufbewahrt. Dort können sie jedoch nicht sach- und fachkundig konserviert werden. Nun soll in Axum ein Museum entstehen, wo diese vielen uralten christlichen Zeugnisse vor der Vergänglichkeit bewahrt werden sollen. „Diese Schätze des Christentums gehören nicht einer Kirche allein. Sie gehören der Menschheit“, sagt er. Viele Briefe mit der Bitte um Hilfe hat er verschickt, sogar einen an Papst Benedikt XVI. Mit Freude berichtet der Patriarch: „Der Heilige Vater in Rom war der erste, der antwortete.“

Äthiopische Kreuze.


Die Katholische Kirche: Allen alles geworden Wenn in den Straßen die Hymnen erklingen, die aus den orthodoxen Gotteshäusern per Lautsprecher nach draußen übertragen werden, fällt Abba Hagos Hayish, der Generalsekretär der äthiopischen katholischen Bischofskonferenz und unser Begleiter, oft am Steuer des Autos inbrünstig mit ein. Er kennt alle diese Hymnen auswendig. Immerhin feiern die meisten Katholiken in Äthiopien die heilige Messe im gleichen Ritus wie die äthiopisch-orthodoxen Christen. Dass es so ist, geht auf einen italienischen Missionar aus dem 19. Jahrhundert zurück, den heiligen Justin de Jacobis. Überall, wohin wir kommen, hören wir seinen Namen. Diesem großen italienischen Missionar verdankt es die Katholische Kirche, dass sie auf dem Gebiet des heutigen Äthiopien und Eritrea, dem ehemaligen Abessinien, Fuß fasste. Der im Jahr 1800 in Neapel geborene Justin de Jacobis war mit 24 Jahren in den Lazaristenorden (bekannt auch als Vinzentiner) eingetreten und 1839 als Apostolischer Präfekt nach Abessinien entsandt worden. Er verstand, dass die Katholische Kirche hier nur eine Chance hätte, wenn sie wirklich im Volk und in der Kultur der Menschen verwurzelt wäre. Er lernte also mehrere in Äthiopien gesprochene Sprachen und nahm den Lebensstil und die Gewohnheiten der Einheimischen an. Ein unbekannter Zeitgenosse berichtet: „Er kleidete sich wie die Einheimischen in Pluderhosen, einer langen

Katholische Gläubige in der St.-Gabriels-Kirche in Addis Abeba. 27


Katholische Gläubige in der St.-Gabriels-Kirche in Addis Abeba beten nach der heiligen Messe.

Tunika und einem Mantel um die Schultern, und es war sein Wunsch, so zu reisen, wie sie es taten.“ Es wird gesagt, er habe sich wie ein Einheimischer gefühlt. Der Heilige selbst berichtet: „Wenn wir unsere Leute den Katechismus lehren, sitzen wir mit überschlagenen Beinen auf der Erde. Ständig müssen wir uns drehen und wenden, wie es auch unsere Zuhörer tun, um die Insekten zu vertreiben, die uns von allen Seiten angreifen und uns unablässig zusetzen. Wir schließen, indem wir den Rosenkranz beten. Er ergänzt: „Um alle Handwerke zu lernen, braucht man nur nach Abessinien zu kommen. Der Missionar findet sein Feuerholz im Wald und kocht seinen eigenen Eintopf. Er schneidet die Steine, mischt den Mörtel, den er für sein Bauwerk braucht. Wir sind Metzger, Köche, Maurer, Zimmerleute und einen Augenblick später sind wir Professoren der Grammatik und der Theologie.“ Justin de Jacobis übernahm die jahrhundertealte liturgische Tradition der orthodoxen Kirche, die untrennbar mit der Kultur des Landes verbunden ist. Papst Benedikt XVI. sagte anlässlich des 150. Todestages dieses Heiligen: „Mit großer Weitsicht erkannte Justin, dass die Berücksichtigung des kulturellen Kontextes ein bevorzugter Weg war, auf dem die Gnade des Herrn neue Generationen von Christen heranbilden würde. Er lernte die dortige Ortssprache und förderte die jahrhundertealte liturgische Tradition des Ritus jener Gemeinschaften, wobei er sich auch für eine wirksame ökumenische Arbeit einsetzte. Mehr als 20 Jahre lang kam sein großherziger Dienst – zunächst als Priester und später als Bischof – all jenen zugute, denen er begegnete und die er als lebendige Glieder des ihm anvertrauten Volkes liebte.“ Über seine Liebe zu den Menschen, zu denen er gekommen war, schrieb Justin: „Ich nenne in dieser Welt nichts mehr mein eigen: keinen Vater, keine Mutter, kein Heimatland. Das einzige, was ich noch habe, das ist Gott und die Christen in Abessinien.“ Und: 28


„Wenn man nach dem Augenschein urteilte, hielte man meine geistlichen Kinder für Wilde. Schaut man jedoch mit den Augen des Glaubens, so sind sie die Adoptivgeschwister Jesu und Miterben Seines ewigen Reiches.“ Es gelang ihm, der als „Apostel Abessiniens“ bekannt wurde, einen einheimischen Klerus aufzubauen. 1849 wurde Justin gegen seinen Willen zum Bischof geweiht. Nicht immer war sein Missionseifer jedoch bei der Orthodoxen Kirche gern gesehen. So wurde er mehrfach verhaftet. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er im Wüstenexil. Er starb 1860 in Aligade auf dem Gebiet des heutigen Eritrea an einem Wüstenfieber. Heute zählt die Katholische Kirche in Äthiopien rund 700 000 Gläubige. Katholiken machen damit kaum ein Prozent der Bevölkerung aus. Trotz dieser geringen Zahl ist die Kirche sehr aktiv. So unterhält sie 203 Kindergärten und 222 Schulen, die Kindern und Jugendlichen aus allen Konfessionen und Religionen offenstehen. Sie werden von fast 180 000 Kindern besucht. Durch diese Schulen möchte die Kirche eine Brücke zwischen den Völkern und Kulturen bilden. Die Katholische Kirche unterhält außerdem vier Universitäten mit mehr als 7000 Studenten. Äthiopien ist ein Vielvölkerstaat. Mehr als 80 Volksgruppen leben hier zusammen, die ebenso viele Sprachen sprechen und verschiedenen Religionsgemeinschaften angehören. Hier das gegenseitige Verständnis und den Frieden zu fördern, ist ein großes Anliegen der Katholiken. Außerdem leistet die Katholische Kirche einen großen Teil der

Katholische Gläubige in der St.-Gabriels-Kirche in Addis Abeba empfangen andächtig den Leib Christi. 29


caritativen Arbeit im Land, von der mehr als zehn Millionen Menschen direkt profitieren. Manche Äthiopier haben dennoch Vorurteile gegen Katholiken. Sie sagen, im Jahr 1935, im Krieg gegen Italien, habe der Papst in Rom italienische Soldaten gesegnet, damit sie Äthiopien erobern. Die Katholische Kirche sei somit die Speerspitze des Kolonialismus. Jedes Jahr wird im Fernsehen ein Film zu diesem Thema gezeigt, erfahren wir. Für das einzige Land Afrikas, das nie kolonialisiert wurde – abgesehen von der italienischen Besatzung von 1936 bis 1941 – ist dies natürlich ein wunder Punkt. Vom Staat ist die Katholische Kirche nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt, sondern nur als „Nichtregierungsorganisation“; sie hat lediglich den gleichen Status wie beispielsweise das Rote Kreuz. Da sie keine juristische Person ist, ist ihre Position gegenüber dem Staat schwach. Es kommt somit vor, dass selbst Missionaren, die schon lange Zeit in Äthiopien tätig sind, ihre Aufenthaltserlaubnis nicht verlängert wird. Überhaupt können ausländische Priester und Ordensleute nur als Gastarbeiter oder als Mitarbeiter an einem bestimmten klar umrissenen sozialen Projekt eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, nicht generell als Mitarbeiter der Katholischen Kirche, die ja nicht als Kirche anerkannt ist. Ihr Visum muss jährlich erneuert werden, und in zu vielen Fällen wird die Verlängerung nicht bewilligt. Ein Bischof berichtet: „Ordensschwestern, die schon ihr ganzes Leben in Äthiopien verbracht haben, kommen in Tränen aufgelöst zu mir und bitten mich um Hilfe.“ Der Einsatz der Katholischen Kirche im Bereich Bildung, Erziehung und Gesundheitsfürsorge und ihr Dienst an den Armen und Benachteiligten wird zwar geschätzt, aber die Kirche möchte verständlicherweise auch als Religionsgemeinschaft anerkannt werden, um eine wirkliche Rechtssicherheit zu haben und gleichberechtigt mit anderen Religionsgemeinschaften zu sein. Manche

Heilige Messe in der St.-Gabriels-Kirche in Addis Abeba. 30


Eine katholische Frau betet zur Muttergottes.

meinen, die Kirche solle der Regierung damit drohen, ihre Sozialarbeit einzustellen, bis ihr Rechtsstatus geklärt ist. „Dann würde hier alles zusammenbrechen“, ist die einhellige Meinung. Aber die Kirche will dieses Problem auch nicht auf Kosten der Armen lösen. Es bleibt zu hoffen, dass es bald zum Abschluss eines Konkordates zwischen Staat und Kirche kommt. Einiges spricht dafür, dass es dazu kommen wird. Dies wäre für die Katholische Kirche ein großer Schritt nach vorn. Aber der katholische Glaube lebt, und die Gläubigen lieben ihre Kirche. Als wir den Apostolischen Nuntius, den aus Indien stammenden Erzbischof George Panikulam, besuchen, sind wir überrascht, als er uns erzählt, dass jeden Sonntag rund 300 Gläubige zur heiligen Messe in die Nuntiatur kommen, obwohl es in der Hauptstadt mehrere katholische Pfarreien gibt. Die Hauskapelle der Vatikanbotschaft kann sie nicht alle fassen, und so werden Sonntag für Sonntag die Möbel aus dem Salon geschafft und Stühle aus dem ganzen Haus hineingetragen, damit die Messe dort stattfinden kann. Aber auch dann stehen noch viele Gläubige im Treppenhaus, und das Haus platzt fast aus allen Nähten. Dies ist auf die Dauer kein Zustand. Nicht nur, dass es ein großer Aufwand ist, jedes Mal den ganzen Salon umzuräumen. Es ist auch ein Sicherheitsri31


siko: Jeder beliebige Fremde könnte in das Gebäude gelangen und sich überall aufhalten oder sogar verstecken. Nun wurde im Garten ein Saal errichtet, der sowohl für Gottesdienste als auch für andere Feierlichkeiten genutzt werden kann. Eine der katholischen Pfarreien von Addis Abeba ist die Gemeinde St. Gabriel. Dort besuchen wir am Sonntag die heilige Messe im äthiopischen Ritus. Obwohl es erst 7:30 Uhr am Morgen ist, sind die Straßen bereits belebt. Man sieht zahlreiche Gläubige, die unterwegs zu den vielen - natürlich überwiegend orthodoxen - Kirchen der Hauptstadt sind. Die meisten Frauen tragen die traditionelle Shamma um Kopf und Schultern, ein grob gewebtes weißes Baumwolltuch mit einer kunstvoll gestickten bunten Borte, und ein ebensolches Kleid. Auch in die katholische St.-Gabriels-Kirche strömen die Gläubigen. Vor und nach der heiligen Messe zünden Gläubige Kerzen vor der Muttergottesstatue an. Viele berühren die Statue mit der Hand, lehnen einen Augenblick lang ihr Gesicht an sie oder knien nieder und berühren den Boden mit der Stirn. Auch vor dem Altar verneigen sich viele der Messbesucher bis zur Erde und verharren eine Zeitlang in dieser andächtigen Haltung. Die normale Sonntagsmesse im äthiopischen Ritus dauert fast zweieinhalb Stunden. Die duftenden weißen Weihrauchschwaden steigen mit den Gebeten auf und hüllen den Altar und das Vortragekreuz ein. Immer wieder antwortet der Chor dem Gesang der beiden Priester. Bis auf die Predigt wird die gesamte Liturgie gesungen. Es ist ein ergreifendes Zusammenspiel aus Klang, Farbe und Duft. Immer wieder sieht man Gesten tiefster Ehrfurcht. So wird das Evangeliar nicht auf den Ambo gelegt, sondern in die Hände des Diakons. Er hält es in den Händen und stützt das Buch zugleich auf seinem Kopf ab. Während der Priester singend das Evangelium verliest, verharrt der Diakon in der Verneigung und wird zum lebendigen Ambo. Ein Ministrant steht daneben und hält das Vortragekreuz. Die Gläubigen, die fast während der ganzen Messe stehen, verneigen sich immer wieder und bekreuzigen sich. Während der Wandlung bedecken viele Frauen ihre Gesichter mit der Shamma oder legen kniend ihren Kopf auf die Arme, während ein Ministrant das Glöckchen läutet. Die Gläubigen lassen eine große Andacht und eine tiefe Versunkenheit erkennen. Während die Priester die Kommunion austeilen, halten Messdiener aufgespannte schwarz-goldene Zeremonienschirme wie Baldachine über ihnen. Auch nach der Kommunion bieten sich wieder ergreifende Bilder tiefster Andacht und Anbetung. Einer der Ministranten verneigt sich nach der Kommunion bis zur Erde und verharrt lange in dieser Haltung. Nach der Messe laden uns der Pfarrer und einige Mitglieder der Gemeinde zu einem bescheidenen Frühstück ein. Es gibt Tee und Toastbrot, und wir freuen uns, mit den Leuten zu sprechen. Einige Jugendliche haben eine Idee entwickelt, wie sie Geld für 32


die Bedürfnisse der Pfarrgemeinde verdienen können. Sie nehmen geistliche Gesänge auf CDs auf und verkaufen sie. Auf diese Weise tun sie nicht nur etwas für ihre Pfarrei, sondern leisten auch einen Beitrag dazu, dass mancher altehrwürdige Hymnus nicht in Vergessenheit gerät. Pater Dr. Andrzej Halemba, Projektreferent von KIRCHE IN NOT, erinnert daran, dass das kulturelle Erbe Äthiopiens nicht nur in den wunderbaren Ikonen und anderen wertvollen Kultgegenständen der Kirche besteht, sondern auch in den geistlichen Hymnen, die vom Vergessen bedroht sind, wenn sie nicht mehr gesungen werden. „Stellt eure Lieder doch auch ins Internet. Da können Menschen aus aller Welt sie hören!“, ermutigen wir sie. Die Jugend liegt der Katholischen Kirche in Äthiopien besonders am Herzen. Junge Katholiken müssen stark im Glauben sein, wenn sie ein Leben lang treu zu ihrer Kirche stehen sollen, obwohl sie sich in ihrer Heimat als winzige Minderheit erleben. Eine Gruppe äthiopischer Jugendlicher nahm 2011 am Weltjugendtag in Madrid teil. Für sie war es ein großes Erlebnis, Hunderttausende andere katholische Jugendliche aus aller Welt zu treffen und zu spüren, dass sie ein Teil der Weltkirche sind. KIRCHE IN NOT hatte sie finanziell unterstützt, denn nur wenn die Jugend in der Kirche bleibt, hat sie eine Zukunft in Äthiopien.

Andächtiges Gebet nach dem Empfang der heiligen Kommunion.


Wasser ist Ăźberall in Ă„thiopien ein kostbares Gut.

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Neben vielen Kirchen gibt es bescheidene Kinderspielpl채tze. Das Gotteshaus ist f체r Jung und Alt das Herz des Dorfes. 35


Die Kinder vom Friedhof Kurz bevor wir bei den Barmherzigen Schwestern des heiligen Vinzent von Paul in Addis Abeba ankommen, erblicken wir links an der Straße einen Friedhof. Ohne ihn gäbe es diese Geschichte nicht. Auf diesem Friedhof haben nämlich nicht nur Tote ihre letzte Ruhestätte gefunden, sondern lange Zeit war er auch Zufluchtsort für viele Leprakranke, Arme und Obdachlose. Hier lebten sie. Hier brachten sie Kinder zur Welt und zogen sie auf. Hier starben sie. Ohne Hoffnung, ohne Zukunft, ohne Spuren zu hinterlassen. Das Schicksal der Friedhofskinder rührte vor vierzig Jahren zwei junge Männer. Sie beschlossen, sie zu unterrichten, um ihnen wenigstens eine Chance zu geben. Kostenlos. Als sie jedoch selbst umziehen mussten, um zu studieren, baten sie Ordensschwestern darum, sich der Kinder anzunehmen. Zunächst ging eine Schwester auf den Friedhof, um die Kinder dort zwischen den Gräbern zu unterrichten. Als sie die Erlaubnis der Stadtverwaltung erhielten, richteten die Barmherzigen Schwestern unweit des Friedhofs eine Schule und einen Kindergarten ein. Bis heute kümmern sie sich um Straßenkinder und die Kinder der Ärmsten der Armen. „Bildung ist der einzige Weg, um dem Elend zu entkommen. Wir wollen sie mit unserer Schule weg von der Straße holen“, sagt Schwester Belaynesh Woltesi, die Rektorin.

Dicke Freunde: Bei den Barmherzigen Schwestern dürfen auch die Kinder aus armen Familien einfach Kind sein. 36


Schwester Belaynesh Woltesi mit zwei ihrer kleinen Schützlinge.

813 Kinder werden in der Schule und dem Kindergarten der Barmherzigen Schwestern heute betreut. Die Schüler werden in zwei Schichten unterrichtet, denn sonst reicht der Platz nicht. Die Schule liegt an einem Abhang am Rand einer Schlucht. Der Platz ist begrenzt. Es ist ein Wunder, wie man auf so engem Raum so viel auf die Beine stellen und bewirken kann. Es gibt sogar eine kleine Bibliothek und einen Sportplatz. Alles ist klein, aber effektiv, und man spürt die Liebe, mit der die Schwestern sich um ihre Schützlinge kümmern. Die Kinder werden nicht nur unterrichtet, sondern sie bekommen auch zu essen. „Wenn wir ihnen nichts zu essen geben, bleiben sie hungrig. Aber es wird für uns immer schwieriger. Die Lebensmittelpreise steigen immer weiter. Außerdem müssen wir die Schüler mit Schuluniformen, Stiften, Büchern und Schreibheften ausstatten“, berichtet Schwester Belaynesh. Soeben wurde Brennholz geliefert. „Bis vorhin wusste ich nicht, wie ich es bezahlen sollte, aber wir brauchen es zum Kochen. Sonst bekommen die Kinder keine Mahlzeit.“ Alles ist teuer. Ein Junge ist Vollwaise. Die Schwestern haben eine Frau gefunden, die ihn bei sich aufgenommen hat. Aber die Ordensfrauen müssen ihr Geld geben für das Essen und die Unterbringung des Jungen. 37


Die Kinder lieben „ihre“ Schwester Belaynesh.

Die Kinder stammen aus Familien, die im Elend leben. Die Eltern haben Lepra oder Aids, sind blind, gelähmt oder leiden an anderen Krankheiten. Im Hof der Schwestern sehen wir, wie ein kleiner Junge von vielleicht vier Jahren von seiner blinden Mutter vom Kindergarten abgeholt wird. Ihre milchig-weißen Augen schauen ins Leere. Der Kleine führt sie an seiner Hand hinaus auf die Straße. Wie viele der Kinder bereits von Geburt an mit HIV infiziert sind, wissen die Schwestern nicht. Aids ist noch immer ein großes Tabu. Das Wort wird nicht einmal laut ausgesprochen. „Sie haben diese gewisse Krankheit – ich sage jetzt nicht den Namen, weil sie in der Nähe sind“, hören wir immer wieder von Ordensschwestern. Die meisten der Kinder haben auf den Straßen von Addis Abeba gebettelt, bevor sie zu den Schwestern kamen. Wo auch immer man in der Hauptstadt mit dem Auto anhält, kommen Bettler und klopfen an die Scheiben des Wagens. „Ich bin hungrig! Ich bin hungrig!“, klagen die Kinder. „Gebt mir zu essen!“, bitten Frauen mit Babys auf dem Arm. Betteln ist eigentlich offiziell verboten. Die Eltern schicken daher ihre Kinder vor 38


allem am Abend zum Betteln, wenn weniger Polizei unterwegs ist. Leider ist auch Prostitution weit verbreitet. Manche Kinder verkaufen Lotterielose oder Kaugummis. Wir haben einen Jungen gesehen, der laut weinend wegging, weil ein Autofahrer ihm keinen Kaugummi abkaufen wollte. Wir riefen ihn an unser Auto und kauften ihm einen Kaugummi ab. Da überzog ein Strahlen sein Gesicht. Eine Woche später begegnen wir in Gambella bei den „Missionarinnen der Nächstenliebe“ Peter, einem neunjährigen Jungen, den eine professionelle Bettelbande als Clown und Akrobaten gehalten hatte, bevor er zu den Schwestern kam. Die „Besitzer“ brachten dem leicht verkrüppelten Jungen bei, altklug zu sprechen und Kunststücke zu machen. Er muss erst wieder lernen, sich normal zu verhalten, denn bislang konnte er nur überleben, wenn er sich für Fremde zum Kasper machte. Immer wieder gehen die Schwestern hinaus in die Stadt, wo Kinder auf den Straßen betteln, und laden sie ein, zu ihnen zu kommen. Manchmal gehen sie auch auf die Suche nach Kindern, die die Schule abgebrochen haben, um wieder Geld für den Un-

Dieser Junge verkauft auf der Straße Kaugummi, statt in die Schule zu gehen. Unzählige äthiopische Kinder müssen arbeiten, anstatt zu lernen.


terhalt der Familie zu erbetteln. Manche müssen sich auch um ihre kranken Eltern oder ihre Geschwister kümmern. Schwester Belaynesh erzählt: „Wir hatten einen noch ziemlich kleinen Jungen. Sein Vater war blind. Seine Mutter war mit einem anderen Mann davongelaufen. Der Kleine hatte noch vier Geschwisterchen und musste zuhause für alle sorgen.“ Manche Kinder sind psychisch zu traumatisiert, um sich an ein normales Leben zu gewöhnen. „Wir hatten ein Mädchen, das von seinem Vater missbraucht wurde. Sie lief wieder davon. Eine der Schwestern suchte sie in der Stadt und fand sie wieder.“ Es ist Nachmittag, die meisten Kinder sind schon nach Hause gegangen. Aber einige sind noch da. Wir schauen uns den Kindergarten an. Hier haben die Kleinen Spielsachen und Miniaturmöbel – und das Wichtigste ist: Sie werden liebevoll betreut. „Sagen Sie den Kindern, dass wir sie lieben“, sagen wir der Schwester. Sie übersetzt es. Wie aus einem Munde antworten die Kinder: „Wir lieben euch auch.“ Als wir kamen, rannte uns eine ganze Gruppe von Schulkindern fast um, weil jedes von ihnen fotografiert werden wollte. Jedes Kind wollte beachtet werden. Es schien, als wolle jedes von ihnen Spuren hinterlassen. Ein kleiner Junge pflückte eine gelbe Blüte von einem Strauch und schenkte sie mir. Bei einem der größeren Jungen merkte man

Händewaschen nicht vergessen! Die Kinder werden von den Barmherzigen Schwestern zu Sauberkeit angehalten.


Diese Kinder kannten nur Elend, bevor sie in die Schule der Barmherzigen Schwestern kamen.

jedoch, dass er lange Zeit das raue Leben der Straße gewohnt gewesen ist. Einen Augenblick lang schien die Stimmung zu kippen. Es sah aus, als wolle er Randale machen und die Kleineren schubsen oder schlagen. Es braucht Zeit, bis manche, die nur das Gesetz des Stärkeren kennen gelernt haben, sich an ein anderes Leben gewöhnen. Manche schaffen es nicht. Aber den meisten merkt man an, dass sie hier Liebe und Freude erfahren und dass sie eine Zukunft haben. In der Tat trägt die Arbeit der Schwestern sichtbare Früchte: Einige ihrer Schüler, die ohne sie nie eine Zukunft gehabt hätten, sind heute Ärzte, Lehrer, Krankenschwestern. Fünf ehemalige Schülerinnen sind als Lehrerinnen in die Schule der Barmherzigen Schwestern zurückgekehrt und unterrichten heute Kinder, die genauso arm sind, wie sie es damals waren. Als wir uns verabschieden, küssen mindestens zwanzig Kindergartenkinder unsere Hände. „Das tun sie aus Ehrerbietung!“, erklärt Schwester Belaynesh. Als sie mein entgeistertes Gesicht sieht, fügt sie lachend hinzu: „Na ja, vielleicht wollen sie auch herausfinden, wie weiße Haut schmeckt!“ Bis heute beschämt mich die Geste dieser Kinder, die in ihrem kurzen Leben schon so viel Elend kennen gelernt haben. Welche Ehrerbietung verdienen wir? „Warum haben wir es eigentlich so gut? Diese Menschen leben unter derselben Sonne und unter denselben Sternen wie wir. Am sechsten Tag hat Gott auch sie geschaffen, um König der Schöpfung zu sein. Wo ist ihr Königtum? Diese Herabsetzung der Menschenwürde ist eine Todsünde gegen die Natur, ein schreiendes Unrecht. Und an diesem Unrecht werden wir persönlich mitschuldig, wenn wir nicht alles tun, was wir können, um es aus der Welt zu schaffen. Alles, was wir können!“ An diese Worte Pater Werenfrieds, des Gründers von KIRCHE IN NOT, denke ich während dieser Reise oft. Haben wir wirklich alles getan? 41


Seminaristen in Addis Abeba begrüßen uns mit Trommeln und traditionellen Tänzen. 42


Kinder mĂźssen ihren Eltern bei der Feldarbeit helfen.

Kinderarbeit ist in Ă„thiopien weit verbreitet. 43


„Ich werde Priester!“ Aufgeregt kommt der fünfjährige Hagos zu seiner Mutter gelaufen: „Mama, Mama, am Fluss ist die Muttergottes! Die Priester haben für sie gesungen! Sie haben so schöne bunte Gewänder an! Ich will auch so werden wie sie!“ Die Mutter lacht: „Aber Hagos, das ist doch nicht die Muttergottes! Die Orthodoxen begehen heute das Timkat-Fest. Sie feiern die Taufe Jesu unten am Fluss!“ Für Hagos Hayish war es jedoch seit diesem Tag klar: „Ich will Priester werden!“ In seiner Familie spielt der Glaube schon immer eine große Rolle. „Meine ganze Verwandtschaft ist schon lange katholisch. Meine Eltern und Großeltern haben mir immer aufregende Geschichten von den Missionaren erzählt. Abends, wenn es dunkel wurde, hat mein Vater uns elf Kinder zusammengerufen. Wir versammelten uns um ihn herum und lauschten. Erst spielte er uns etwas auf der Flöte vor, dann erzählte er uns Geschichten von Menschen, Tieren, von Gott und auch von den Priestern. Und schließlich lehrte er uns den Katechismus mit Fragen und Antworten. Auf diese Weise bereitete er uns auch auf die Erste Heilige Kommunion vor. Wenn ich Ärger mit einem Freund hatte und es meinen Eltern erzählte, bestand mein Vater darauf, dass ich den Streit beilege und die Sache aus der Welt schaffe.“ Sonntags geht Hagos mit seinen Eltern in die Kirche. Um auch während der Woche zur heiligen Messe zu gehen, ist der Weg zu weit. Mehr als elf Kilometer jeweils hin und zurück sind es bis zur Pfarrkirche. Aber Hagos geht gern zur Kirche. „Ich habe nicht alles verstanden, aber vor allem haben mir die Bilder gefallen. Besonders hatte es mir das Bild des heiligen Georg angetan“, erinnert er sich heute. Mit sechs Jahren kommt der Junge in die Schule. Er kann ein Schuljahr überspringen, weil er so gut lernt. Aber nach Abschluss der Grundschule sagt sein Vater: „Jetzt hast du genug gelernt. Du kannst nun lesen und schreiben wie ich. Das genügt! Ich brauche jemanden, der die Ziegen hütet.“ Hagos weint und weint. Schließlich will er Priester werden! Er bittet seinen Onkel, zwischen ihm und seinem Vater zu vermitteln. Auch der Pfarrer wird eingeschaltet. Er kann zwei Jungen aus dem Dorf auf das „kleine Seminar“ schicken, wo Jugendliche auf ihren Eintritt ins Priesterseminar, das „Großseminar“, vorbereitet werden. Drei Jungen aus dem Dorf haben sich beworben. „Was mache ich, wenn ich keinen Platz bekomme?“, fragt sich der mittlerweile knapp 13-jährige Hagos unter Tränen. Der Priester zieht Lose. Hagos ist unter den beiden Glücklichen, die die Chance bekommen, auf das „kleine Seminar“ zu gehen. Anfangs hat er Heimweh, aber er ist froh, nun seiner Berufung folgen zu dürfen. Die Zeiten sind schwer: In Äthiopien herrscht seit den Siebzigerjahren Bürgerkrieg. Das kommunistische Regime unter Diktator Mengistu Haile Mariam zieht Schüler und Studenten zum Militärdienst ein. Dieses Schicksal droht auch den Seminaristen. In den 44


Ferien ist es schwer für sie, nach Hause zu gelangen, denn man braucht Sondergenehmigungen, um sich von einem Ort zum anderen zu begeben. 1985 tritt Hagos Hayish nach dem Abitur in das Priesterseminar ein. Es ist die Zeit der verheerenden Hungersnot, deren schreckliche Bilder um die Welt gehen. Als Mutter Teresa Äthiopien besucht, um sich ein Bild von der Hungerkatastrophe zu machen, besucht sie auch die angehenden Priester. Hagos ist der jüngste und kleinste von ihnen. Deshalb steht er in der ersten Reihe, um den weltberühmten „Engel der Armen“ zu begrüßen. „Willst du Priester werden?“, fragt ihn Mutter Teresa. „Ja!“, antwortete er. „Willst du ein GUTER Priester werden? Wenn ja, mach weiter! Wenn nicht, verlasse noch heute das Seminar!“ Aber für Hagos ist es klar: „Ich will ein guter Priester werden!“ Die Zeiten werden immer schwieriger. „Ich habe viele Menschen sterben gesehen“, erinnert er sich. Die Regierung beschloss damals, Hunderttausende Menschen gewaltsam umzusiedeln. Viele kamen dabei ums Leben. Auch Hagos‘ Vater sollte deportiert werden. In letzter Minute wurde er gerettet. Im zweiten Jahr, das Hagos im Priesterseminar verbringt, wird er zu einer medizinischen Untersuchung vorgeladen; ihm droht der Militärdienst. Nach der Untersuchung soll er sein Gesundheitszeugnis abholen. Der Mann, der die Dokumente ausgibt, findet seinen Namen jedoch nicht auf der Liste. Statt „Hagos“ hatte jemand „Hagosa“ geschrieben. Dies ist die weibliche Form seines Namens. „Frauen gehen nicht zum Militär. Du Glückspilz, dich gibt es hier nicht! Geh schon!“, sagt der Mann zu ihm. „Gott hat die Hand eines Menschen geführt, so dass er meinen Namen falsch geschrieben hat“, sagt Hagos Hayish noch heute voller Staunen. Als er ins Seminar zurückkehrt, umarmt ihn der Rektor. 1989 entschließt sich der junge Mann, in den Orden der Vinzentiner einzutreten. Am 11. November 1990 wird er zum Priester geweiht. Es ist ein Tag großer Freude. 600 Menschen nehmen an seiner Priesterweihe teil. Dennoch ist Hagos traurig. Seine Familie ist nämlich weit entfernt und kann nicht an der Feier teilnehmen. Der Krieg wird immer schlimmer, und nur sein Vater konnte kommen. 400 Kilometer lief er trotz der allgegenwärtigen Gefahr Tag und Nacht zu Fuß, um an der Weihe teilnehmen zu können. Nun ist Hagos endlich Priester. „Die Berufung ist ein Geschenk Gottes, aber empfangen habe ich es durch meine Familie“, sagt er bewegt. Dass Abba Hagos, wie er nun heißt, einmal Generalsekretär der Äthiopischen Katholischen Bischofskonferenz werden würde, ahnt er damals noch nicht.

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Dieses Brautpaar wurde soeben in der orthodoxen Kathedrale von Addis Abeba getraut. 46


Ein Kirchenmusiker schl채gt die Trommel in der orthodoxen Kathedrale von Addis Abeba. 47


„Wo bist du, Heilige Jungfrau?“ Seit 1998 tobte wieder Krieg zwischen Äthiopien und dem Nachbarland Eritrea, das 1993 unabhängig von Äthiopien wurde. Eigentlich sollte Abba Hagos seine Doktorarbeit schreiben, aber für ihn ist die Entscheidung klar: 1999 meldet er sich freiwillig, um in den Norden des Landes zu gehen, wo die Menschen am meisten unter dem Krieg zu leiden haben. Auch seine Familie ist vertrieben worden. Sein Vater wurde von der eritreischen Regierung verschleppt. Von ihm fehlt jede Spur. Unter diesen Umständen will Abba Hagos nicht zurück an die Universität. Er übernimmt die Pfarrei von Nkala. Jeweils eine Woche ist er im Ort in der Pfarrei und eine in den Bergen, wo die vielen Flüchtlinge und Vertriebenen Unterschlupf gefunden haben. „Jeden Tag wurde geschossen, der Tod war ständig präsent. Schwestern der Töchter der Barmherzigkeit gingen mit mir in die Berge, um den geflohenen Menschen Beistand zu leisten. Ich habe die ganze Zeit nur Beichte gehört, weil die Leute nicht wussten, ob sie diesen Tag noch überleben würden. Alle bereiteten sich auf das Sterben vor.“ Eines Tages kam der Erzbischof von Addis Abeba selbst, um die Flüchtlinge zu trösten. Er versprach den Leuten: „Ihr werdet in eure Pfarreien zurückkehren!“ Abba Hagos erinnert sich genau daran: „Die Menschen waren glücklich, aber einige fragten: ‚Wo ist die Heilige Jungfrau? Wir hören hier nicht mehr die Glocke von der Marienkirche. Was ist passiert?‘ und die Kinder sangen: ‚Wo ist die Heilige Jungfrau, wo ist die Heilige Jungfrau?‘ Erzbischof Berhaneyesus Demerew Souraphiel antwortete ihnen: ‚Die Muttergottes ist hier bei euch!‘“ Einen Monat nach dem Besuch des Erzbischofs konnten die Flüchtlinge in ihre zerstörten Dörfer zurückkehren. „Alles war kaputt, die Häuser zerstört, die Bäume gefällt, alles war voller Minen. 70 000 Menschen waren ums Leben gekommen“, erzählt Abba Hagos. Seine Familie war jedoch wieder einmal beschützt worden, denn sein Bruder kehrte heil aus dem Krieg wieder, und sein Vater wurde nach zwei Jahren aus der Gefangenschaft entlassen.

Abba Hagos Hayish feiert die heilige Messe im äthiopischen Ritus.


Die Bundeslade im Zeltlager und ein zorniger Hexer Als Abba Hagos Hayish Pfarrer in Ambo war, machte er mit einer Jugendgruppe einen Ausflug. An einem Flussufer schlugen er und die Jugendlichen ihr Zeltlager auf und feierten die heilige Messe. Sie sangen und beteten, anschließend gingen sie in das benachbarte Dorf, um sich den Leuten vorzustellen. Sie sagten: „Wir sind Katholiken und möchten unseren Glauben teilen.“ Drei Tage später wollte die Jugendgruppe eigentlich abreisen. Da kamen die Dorfältesten angelaufen und sagten: „Ihr könnt dieses Zelt nicht abbauen und mitnehmen!“ Abba Hagos fragte: „Wieso nicht? Wir möchten jetzt aber wieder nach Hause zurück!“ „Nein, das geht nicht! Etwas ist anders, seitdem ihr hier seid! Irgendetwas geschieht hier! Das muss doch so etwas sein wie die Bundeslade!“ Nur mit Mühe erklärte der Priester ihnen, dass es nur ein ganz einfaches Campingzelt sei, in dem man übernachtet. Er zeigte ihnen die einfachen Decken, auf denen die Jugendlichen geschlafen hatten. „Aber wisst ihr, wenn ihr eine Kirche haben wollt, sollen neun Vertreter aus eurem Dorf das beschließen und jemanden zu mir schicken und mich holen. Dann kann ich sie hier unter einem Baum im Glauben unterweisen.“ Lange Zeit hörte Abba Hagos nichts von ihnen. Schließlich fragte er nach: „Wieso habt ihr niemanden geschickt?“ „Nun, du hattest gesagt, du würdest uns unter einem Baum unterrichten, aber dann wären ja Männer und Frauen zusammen, und in unserer Kultur dürfen Frauen nicht unter Bäumen sitzen!“ Dieses Problem ließ sich leicht lösen: Es wurde eine Hütte mit einem Grasdach errichtet, und alle zwei Wochen kamen nun die Leute für die Katechese zusammen. Im Laufe der Zeit wollten noch sieben weitere Dörfer den katholischen Glauben annehmen. Darüber freute sich aber nicht jeder. Zumindest der Hexer war sauer. Mit unzufriedener Miene kam er zu Abba Hagos. „Du nimmst mir meine ganzen Kunden weg! Jetzt werden alle katholisch, und keiner kommt mehr zu mir. Wie soll ich überleben? Ich sage den Leuten doch auch, sie sollen nicht lügen und nicht stehlen. Können wir sie nicht unter uns aufteilen? Du nimmst die eine Hälfte und ich die andere!“ Verständlicherweise war der Pfarrer mit diesem Vorschlag nicht einverstanden. „Gott ruft die Menschen, und es muss doch ihre freie Entscheidung sein, diesem Ruf zu folgen!“, erwiderte er dem Hexenmeister. Anfangs war es nicht so einfach für Abba Hagos. Die Menschen im Umkreis seiner Pfarrei wollten sich zwar bekehren, aber sie hatten Angst, dass der Hexer sie verfluchen und ihnen eine Krankheit „anhexen“ würde, wenn sie sich offen zum Christentum bekennen würden. 49


Vielerorts in Äthiopien sind Hexerei, Magie und der Glaube an den Bösen Blick und an böse Geister noch weit verbreitet. Jemand, der vermeintlich über den Bösen Blick verfügt, wird beschuldigt, anderen Schaden zuzufügen, ihnen beispielsweise eine Krankheit oder sogar den Tod zu bringen. Ist jemand nach Überzeugung der Familie durch den Bösen Blick gestorben, muss eine gewisse Zeit lang ein Verwandter sein Grab bewachen, denn derjenige, der ihn behext hat, holt den Leichnam dem traditionellen Glauben zufolge aus dem Grab und nimmt den Toten für sieben Jahre als Sklaven in sein Haus. Es gibt in Äthiopien viele Praktiken, um sich vor dem Bösen Blick zu schützen, beispielsweise soll das Tragen von Amuletten helfen. Da Menschen, die wohlhabender oder attraktiver sind als andere, aufgrund von Neid eher durch den Bösen Blick gefährdet sind als andere, werden Komplimente oft mit dem Zusatz versehen: „Möge Gott dich vor dem Bösen Blick beschützen!“ Bei Festen muss darauf geachtet werden, dass alle Gäste gleich gut bewirtet werden, damit nicht jemand, der sich benachteiligt fühlt, die anderen verflucht. Jemand, von dem angenommen wird, er verfüge über den Bösen Blick, wird ausgegrenzt. Manchmal handelt es sich um Menschen, die einfach einen physischen Defekt an ihren Augen haben, so dass sie nach Ansicht der anderen „merkwürdig“ dreinschauen. Auch der Blick von psychisch Kranken, die als von bösen Geistern besessen angesehen werden, soll diese Dämonen auf andere übertragen. Ist sich eine Gemeinschaft darüber einig, wer der Schuldige ist, der mit seinem Blick eine Krankheit beziehungsweise einen Todesfall ausgelöst hat, hat dies oft zur Folge, dass der Beschuldigte getötet wird, was wiederum zu Racheakten seitens seiner Familie führt. Dadurch entstehen nicht selten Blutfehden. Besteht der Verdacht, dass jemand durch den Bösen Blick erkrankt ist, wird er mit Weihwasser behandelt, das er trinken muss, mit dem er besprenkelt oder in dem er sogar gebadet wird. Zudem wird er mit Weihrauch und unter Gebeten gesegnet. Oder er wird zu einem Hexer gebracht, der angeblich Zauberkräfte besitzt und mit den bösen Geistern kommuniziert, um die Ursache der Erkrankung herauszufinden. Er fällt in Trance und „erfährt“, wie er den Kranken behandeln soll. Oft fügt er dem Patienten mit einem glühenden Metallstück im Gesicht ein Muster aus kleinen Brandwunden zu. Heilt es, so soll ein identisches Muster im Gesicht des „Schuldigen“ erscheinen, der den Patienten mit dem Bösen Blick belegt hatte. Zudem gibt es verschiedene Riten und Kräuterelixiere, die helfen sollen. Nicht alles, was traditionelle Heiler tun, ist nur abzulehnen. Manches kann – vor allem bei psychosomatischen Leiden – bis zu einem gewissen Grad eine Linderung bringen. Die moderne Medizin versucht, sich manches davon zunutze zu machen und es mit wissenschaftlich fundierten Methoden zu verbinden beziehungsweise zu überprüfen.

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Abba Hagos Hayish segnet ein Kind. Als er so klein war wie dieser Junge, wollte er bereits Priester werden.

Die Hexenmeister haben jedoch große Macht. Oft fordern sie viel Geld und auch Geschenke von ihren Kunden. Die Menschen werden von ihnen immer wieder in Angst und Schrecken versetzt. Bisweilen verlangen die Hexer sogar, dass ihre Kunden ihnen eine ihrer Töchter zur Frau geben. Manche von ihnen haben zahlreiche Ehefrauen. Andererseits sind die Hexer in vielen Dörfern aber auch diejenigen, die dabei helfen, für Konflikte eine Lösung zu finden. Die katholische Kirche hat beispielsweise in der Benishangul-Gumuz-Region ein spezielles Programm für ehemalige Hexenmeister, die sich von ihren Praktiken abgewandt haben. Der Einfluss, den sie auf die Menschen in ihren Gemeinden haben, wird nun positiv und im Sinne des Christentums dafür eingesetzt, um Probleme und Konflikte, wie beispielsweise die Rivalitäten zwischen bestimmten Stämmen, zu lösen.

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Trotz der groĂ&#x;en Armut sieht man Ăźberall lachende Gesichter. 52


Eine 채ltere Katholikin auf dem Weg zur Sonntagsmesse. 53


„Da kommen die Stinker“ „O nein, da kommen die Stinker!“ Fast alle waren sich einig: „Mit denen wollen wir nicht beten!“ und „Die sind eklig! Sie essen Affen!“ Anfangs war es ein großes Problem, als die katholische Kirche im Apostolischen Vikariat Jimma-Bonga im Südwesten Äthiopiens Angehörige der Stämme der Manos und der Manjos einlud. Von anderen Stämmen verachtet, lebten sie bislang ganz am Rande der Gesellschaft. Niemand wollte etwas mit ihnen zu tun haben. Sie waren für den Rest der Bevölkerung in ihrer Heimatregion das, was die „Unberührbaren“ in Indien sind. Die Kirche wollte ihre traurige Lage verändern. Statt isoliert zu bleiben, sollten sie sich stärker in das Leben jener Stämme, die sich als „Menschen erster Klasse“ empfinden, einbringen. Erst halfen ihnen die Priester mit Lebensmitteln, denn die Leute sind bitterarm. Als sie dann aber auch noch in der heiligen Messe erschienen, war es den meisten anderen zu viel. Einige verließen erbost das Gotteshaus, andere setzten sich zurück in die Bank, wenn sich Manos oder Manjos in der gleichen Reihe anstellten, um die heilige Kommunion zu empfangen. Erst langsam gelang es, den Gläubigen zu vermitteln, dass alle Menschen gleich sind. Einen großen Anteil daran hatte die Jugend, berichtet Bischof Markos Ghebremedhin. Mit ihrer Musik und ihren Liedern trugen die Jugendlichen wesentlich dazu bei, dass auch diejenigen, die bislang als minderwertig galten, nun als gleichwertig angesehen werden. „Es gibt nur einen Gott für dich und für mich. Vor ihm sind wir alle gleich“, sangen sie. Das hat etwas bewirkt. Aber auch die Manos und die Manjos mussten sich bemühen, sich in die Gemeinschaft zu integrieren. „Wascht euch, bevor ihr zur Kirche kommt, zieht euch sauber an. Esst nichts, wovor sich andere ekeln“, sagten die Priester ihnen. Mit der Zeit lernten sie, sich so zu verhalten, dass andere daran keinen Anstoß mehr nahmen. Inzwischen gibt es im Vikariat Jimma-Bonga neun Kirchen, die auch von Manos und Manjos besucht werden. Obwohl die Anfangsschwierigkeiten überwunden sind, geht die Arbeit weiter. Nur wenn die Kinder in die Schule gehen, haben sie die Chance auf eine bessere Zukunft. Manche Eltern wissen jedoch nicht, wozu das gut sein soll. „Wir haben Kindern Hefte gegeben, und nachmittags hat der Vater aus dem Papier Zigaretten gedreht“, erzählt der Bischof. Aber langsam – Schritt für Schritt – tut sich etwas. Auch die Nomadenstämme der Menit und der Shuro haben bereits die Frohe Botschaft angenommen. Sie wurden bislang ebenfalls vom Rest der Bevölkerung verachtet, weil sie keine Kleidung trugen. Als die Kirche zu ihnen kam, wurde alles anders. Unter einem Baum wurde eine kleine „Schule“ eingerichtet. Auch die Erwachsenen versammelten sich und lernten das Evangelium kennen. Bald darauf entstand die erste kleine Kapelle mit einem Grasdach. 54


Eines Tages wurden die Angehörigen dieser Stämme zum ersten Mal zu einem Fest in die Pfarrei eingeladen. Das hatte es noch nie gegeben, dass die Stämme, die sich als „Menschen erster Klasse“ sehen, mit ihnen etwas zu tun haben wollten. Den ganzen Tag lang feierten sie gemeinsam, beteten, sangen, aßen, tanzten. Zum ersten Mal sahen die ehemals Geächteten auch eine Kirche von innen. Obwohl alles so schön gewesen war, kehrten sie abends deprimiert nach Hause zurück. „Gott kann doch nicht in einer grasgedeckten Hütte wohnen wie bei uns“, sagten sie sich. Traurig waren sie – und wild entschlossen, etwas zu ändern. Am nächsten Tag steckten sie kurzerhand ihre Kapelle in Brand. Der Gott, den sie gerade erst kennen und lieben gelernt hatte, sollte nie wieder in einer elenden Hütte wohnen müssen! Sie sammelten Baumaterial: Die einen brachten Holz, die anderen alte Fenster, manche gaben ein bisschen Geld. Mit vereinten Kräften bauten sie eine neue Kapelle. Bischof Markos freut sich: „Wenn wir in einem Dorf eine Kirche bauen, bekommen wir bald darauf einen Brief aus einem anderen Dorf. Die Leute laden uns dann auch ein und wollen, dass wir zu ihnen kommen.“ Erst kürzlich hat er wieder eine Kirche eingeweiht. Als sie gebaut wurde, trugen die Gläubigen jeden einzelnen Zementsack auf dem Rücken und schleppten Ziegel und Balken meilenweit durch die Hitze. Unterwegs begegneten sie Leuten aus einem anderen Dorf, die mit einem Pferd vom Feld kamen. „Was baut ihr?“, fragten sie. „Eine Kirche“, lautete die Antwort. „Ihr seid wirklich gesegnet! Kommt, wir leihen euch unser Pferd für die Arbeit!“ Selbst mit dem Pferd dauerte der Transport noch drei Stunden, aber er ging viel leichter vonstatten. Als die schwere Arbeit beendet war und das Pferd zu seinem Herrn zurückgekehrt war, wollten die Leute in diesem Dorf auch ein Gotteshaus haben. Das Apostolische Vikariat Jimma-Bonga ist mit einer Fläche von mehr als 50 000 Quadratkilometern etwas größer als Niedersachen. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung besteht aus den Anhängern traditioneller Religionen. Viele von ihnen sind Waldbewohner, Jäger und Sammler. Aber die Zahl der Katholiken steigt. Vor zwei Jahren gab es hier 22 000 katholische Gläubige. Heute sind es bereits 28 500. Wenn der Bischof in die Pfarreien kommt, um Firmungen zu spenden, nimmt die Reihe der Firmlinge fast kein Ende. „Wenn ich mehr Priester hätte, könnte sich die Zahl der Katholiken rasch verdoppeln. Aber ich habe nur knapp 30 Priester“, klagt er. Für die weit verstreut lebenden Gläubigen viel zu wenige. Denn nicht alle Orte sind leicht zu erreichen. In manche Dörfer können die Priester nur zu Fuß oder mit dem Pferd gelangen. Oft beträgt der Weg viele Stunden. Aber es ist auch schön, hier Priester zu sein. „Wenn die Leute aus der Ferne ihren Priester sehen, laufen sie ihm entgegen und nehmen ihm seine Tasche ab. Sie lieben ihre Priester sehr“, freut sich der 45-jährige Bischof.

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Viele 채thiopische Kleider sind mit Kreuzen bestickt.

Seminaristen in Addis Abeba f체hren einen traditionellen Tanz auf. 56


Bibellekt端re vor einer Wellblechh端tte. 57


Arme Würdenträger Dass selbst Bischöfe weite Strecken zu Fuß gehen müssen, ist in Äthiopien keine Seltenheit. Zum einen liegt es daran, dass es mancherorts keine Straßen gibt und manche abgelegenen Dörfer gar nicht mit dem Auto erreichbar sind. Zum anderen liegt es jedoch auch daran, dass die Benzinpreise immer mehr steigen und es außerdem immer teurer wird, Fahrzeuge instand zu halten. Als wir ihn besuchen, vertraut uns der 70jährige Bischof Woldeghiorgis Mathewos von Hosanna an, dass er oft mehrere Stunden zu Fuß geht, um seinen Wagen zu schonen. Um ihn in Hosanna zu besuchen, fahren wir von Addis Abeba aus fast 230 Kilometer durch grünes, fruchtbares Land. Sanfte Hügel, aber auch Berge prägen die Bilderbuchlandschaft. Kühe grasen in der Morgensonne, Afrika zeigt sich von seiner schönsten Seite. Am Rande von Addis Abeba erblicken wir eine Mineralwasserfabrik. Sie wurde erst vor wenigen Jahren eröffnet, erklärt uns Abba Hagos. Sie hat das Leben vieler Menschen verändert, denn seitdem gibt es Trinkwasser in Flaschen. Früher hätte das Wasser, das wir trinken, mühsam gefiltert und desinfiziert werden müssen. Die armen Menschen haben natürlich wenig davon. Sie schöpfen das Wasser weiterhin aus den Flüssen oder holen es mühsam von Brunnen und Pumpen. Dennoch hat die Mineralwasserfabrik für viele Menschen eine Verbesserung der Lebensqualität mit sich gebracht. Als wir in Hosanna ankommen, begrüßt uns Bischof Woldeghiorgis Mathewos herzlich. Er ist schmal und feingliedrig und sieht in seiner Soutane mit der lila Schärpe aus, als sei er zum Bischof geboren. Als er erfuhr, dass Papst Benedikt XVI. ihn zum Bischof ernannt hatte, war er vor Schreck ohnmächtig geworden. Das Apostolische Vikariat Hosanna wurde erst 2010 gegründet, als das vormalige Vikariat Soddo-Hosanna geteilt wurde. 146 000 Katholiken leben hier. Das Vikariat ist in zwanzig Pfarreien eingeteilt. Jede von ihnen hat 1000 bis 7000 Katholiken. Wie überall in Afrika bestehen die riesigen Pfarreien aus mehreren Dörfern, von denen manche weit vom Sitz der jeweiligen Pfarrgemeinde entfernt liegen. Die Priester sind bis zu einem Tag lang zu Fuß unterwegs, um in manche Orte zu gelangen. Das Haus des Bischofs ist wahrlich kein Palast. Fließendes Wasser gibt es nicht. Im Bad steht eine Regentonne, aus der man mit einer Plastikschüssel das benötigte Wasser schöpfen kann. Eigentlich wurde vor einem Jahr eine Wasserpumpe bestellt, aber geliefert wurde sie noch nicht. So muss das Wasser zum Haus gebracht werden. In der Küche wird mit Feuerholz gekocht. Als wir mit dem Bischof sprechen, riecht das ganze Wohnzimmer nach Rauch. Zwei Ziegen, die ihm Gläubige geschenkt haben, stehen angebunden vor dem Haus. Eine Schule und ein Spielplatz befinden sich ebenfalls auf dem Grundstück. In der Pause lärmen die Kinder in Sichtweite des Bischofshauses. Sonst ist es hier – bis auf die zwei meckernden Ziegen – einsam. Eine Kathedrale gibt es noch nicht. Sie soll erst noch entstehen. Mit dem Bau wurde 58


begonnen, und so sieht man ein paar Bauarbeiter. Natürlich bedeutet „Kathedrale“ hier keinen riesigen Prachtbau, sondern das, was bei uns eine nicht allzu große Pfarrkirche wäre. Auch Bischof Rodrigo Mejia Saldarriaga von Soddo, den wir noch am selben Tag besuchen, lebt bescheiden. Der fast 74-Jährige aus Kolumbien stammende Jesuit ist bereits seit vielen Jahren in Afrika tätig. Zum ersten Mal kam er 1964 dorthin. 20 Jahre war er in der Demokratischen Republik Kongo (damals noch Zaire) tätig, danach 14 Jahre in Kenia. Nun lebt er bereits seit 14 Jahren in Äthiopien. Das Bischofshaus liegt inmitten einer Straße mit armen Hütten. Draußen vor seiner Einfahrt spielen Kinder. Wir freuen uns, als wir Bischof Rodrigo wiedersehen. Er ist bereits ein alter Freund. So oft er nach Europa kommt, besucht er die internationale Zentrale von KIRCHE IN NOT in Königstein im Taunus. Das Apostolische Vikariat Soddo liegt rund 400 Kilometer südlich von Addis Abeba an der Grenze zu Kenia. Auf seinem Gebiet leben 4,8 Millionen Menschen, von denen 128 000 katholisch sind. Hier leben auch 16 Stämme, die noch traditionelle Religionen pflegen und noch nie von einer christlichen Kirche missioniert wurden. Bislang lehnten sie jeden Kontakt mit der Zivilisation ab. Nun allerdings, da die Panafricana, die große Straße von Kapstadt nach Kairo, gebaut wird, die teilweise durch ihr Gebiet führen wird, können sie es nicht mehr vermeiden, mit der „modernen Welt“ in Berührung zu kommen. „Sie haben sich entschieden, die Katholische Kirche einzuladen, weil sie zu der Überzeugung kamen, dies sei der beste Weg, um ihre Kinder auf die Zukunft vorzubereiten“, erklärt Bischof Rodrigo. Als erstes gründete die Kirche 22 Kindergärten. „Das war eine ernsthafte Notwendigkeit. Der Besuch eines Kindergartens ist nämlich in Äthiopien Pflicht, wenn ein Kind in die Grundschule aufgenommen werden soll. Die Kinder lernen schon im Kindergarten das englische und das amharische Alphabet und die Grundrechenarten. Somit öffnet der Kindergarten den Kindern die Tür zur Schulbildung“, erläutert der Bischof. Für die Kirche ist es eine große Herausforderung, dass jeder Stamm eine eigene Sprache spricht. Manche davon existieren nicht einmal in schriftlicher Form. Bischof Rodrigo spricht Amharisch, das zur Zeit Kaiser Haile Selassies die Amtssprache in Äthiopien war. Auch heute sprechen es noch die meisten Erwachsenen. Er kann aber die heilige Messe in mehreren lokalen Sprachen feiern. Überhaupt ist die Mission der Kirche hier nicht einfach. „Die Omorati sind Halbnomaden und Hirten. Sie machen sich einen Sport daraus, anderen Stämmen das Vieh zu stehlen. Es ist gefährlich. Manchmal werden dabei Menschen getötet. Sie sind kriegerisch veranlagt und kämpfen um das Land und um Weideflächen. Wenn sie das Eigentum anderer nicht achten, hat es keinen Sinn, sie zu den Sakramenten zuzulassen. In ihrer Tradition ist zudem die Polygamie sehr tief verwurzelt. Die Vielehe ist natürlich nicht mehr möglich, wenn sie den katholischen Glauben annehmen. Es ist ein Problem, 59


das sich erst auf die längere Sicht lösen lassen wird. Die junge Generation muss Schritt für Schritt an die neue Lebensweise herangeführt werden.“ Schwierig ist es auch, die Leute dazu zu bewegen, ihre Töchter in die Schule zu schicken, weiß der Bischof. „Afrikanische Frauen arbeiten sehr hart und werden in vielen Kulturen Afrikas als ‚Quelle des Lebens‘ hoch geachtet, sogar viel mehr als in Europa. Aber Frauen gelten allgemeinhin nicht als gleichberechtigte Personen; viele Männer halten es sogar für nutzlos, wenn Frauen lesen und schreiben können. Wir geben den Mädchen in den Schulen etwas zu essen, damit die Familien eine Motivation haben, sie dorthin zu schicken.“ Zugleich begrüßt Mejia auch den Einsatz weiblicher Katechetinnen in der pastoralen Arbeit: „Zu Beginn der Arbeit der Missionare wurden nur männliche Katecheten eingesetzt. Sie fungierten gewissermaßen als ‚zweite Priester‘. Aber die Kirche hat inzwischen sehr gute Erfahrungen mit Katechetinnen gemacht, die oft einen weicheren und freundlicheren Zugang zu den Menschen haben. Sie sind vor allem für andere Frauen und junge Mädchen gute Ratgeberinnen und sind überdies sehr zuverlässig, so wie es Frauen für gewöhnlich sind. Im Alltag geben sie oftmals ein besseres Beispiel als Männer. Dadurch sind sie sehr glaubwürdig. Im Kongo und in Kenia habe ich es selbst erlebt, wie gut die Arbeit mit Katechetinnen lief, aber hier in Äthiopien ist es schwieriger, denn der Status der Frau ist viel geringer. Die Männer haben mir viele Probleme deswegen bereitet.“ Bischof Rodrigo setzt sich auch gegen die Genitalverstümmelung, die sogenannte „weibliche Beschneidung“, ein, der noch bei der Hälfte der äthiopischen Frauen praktiziert wird und die schwerste gesundheitliche und psychologische Schäden zur Folge hat. Noch etwas anderes bereitet ihm Sorge: Touristen kommen, um die halbnackten oder exotisch geschmückten Stammesangehörigen zu fotografieren. Besonders bekannt und als Fotomotiv beliebt ist der Stamm der Mursi. Dort ist es Sitte, dass sich verheiratete Frauen mit Lippentellern schmücken. „Ich kann es ja verstehen, dass die Touristen Fotos mit exotischen Motiven mit nach Hause bringen wollen. Aber es ist nicht in Ordnung, Menschen wie merkwürdige Objekte und als Kuriositäten zu behandeln. Außerdem lassen sich die Leute für jedes Foto bezahlen. Was auf den ersten Blick wie eine gute Sache aussieht, ist gar nicht gut, denn dadurch lernen sie, dass man Geld verdienen kann, ohne dafür zu arbeiten. Das ist schädlich für ihre Arbeitsmoral“, beklagt er. Die Regierung will, dass die Stämme sich mehr und mehr der modernen Lebensweise anpassen. So sollen in der Region zum Beispiel vermehrt Zuckerrohrplantagen entstehen. „Die Herausforderungen kommen erst noch auf uns zu, beispielsweise, wenn die Arbeiter auf den Plantagen ausgebeutet werden und die Großgrundbesitzer die Menschenrechte nicht einhalten. Eigentlich sind viele der Stammesangehörigen nicht so erpicht darauf, angestellt zu werden. Sie züchten Vieh, das Milch gibt. Sie ernähren sich von einer Mischung aus Sauermilch und Blut. Dies ist ein sehr reichhaltiges Essen, durch das sie relativ gut vor Hunger geschützt sind. Kommt es jedoch 60


zu einer Dürre, leidet das Vieh, und sie suchen alternative Möglichkeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Ihr Ansehen ist allerdings eng mit ihren Viehherden verbunden. Sie sind sehr stolz und mögen es nicht, wenn ihnen jemand Befehle erteilt.“ Die Priester und Katecheten müssen sehr behutsam vorgehen. „Wir dürfen den Leuten die Taufe nicht zur Bedingung machen, wenn wir ihnen helfen. Und wir müssen auch versuchen, ihre Kultur besser kennen zu lernen und zu verstehen. Sie haben viele Werte, wie den Zusammenhalt der Familien, die Solidarität innerhalb ihres Stammes, ihre Gastfreundschaft und eine große Ausdauer. Zusätzlich müssen wir ihnen jedoch vermitteln, dass auch andere Menschen die gleichen Rechte haben. Dazu setzen wir vor allem auf die Erziehung der Jugend.“

Noch ist es nicht selbstverständlich, dass Mädchen in Äthiopien zur Schule gehen dürfen. 61


Einer der vielen Bettler auf den StraĂ&#x;en der äthiopischen Hauptstadt. 62


Ein Junge aus Addis Abeba stillt seinen Durst an einem Wasserhahn. 63


Wo andere Urlaub machen Schon um fünf Uhr früh müssen wir zum Flughafen aufbrechen, um nach Bahir Dar zu fliegen. Das Flugzeug ist pünktlich. Uns wurde vorher gesagt, dass Flugzeuge in Äthiopien oft nicht nur zu spät, sondern auch überraschend früher als geplant starten, so dass man sie nicht erreicht, auch wenn man rechtzeitig zum Flughafen kommt. Wir haben jedoch Glück. Nach Bahir Dar fliegen viele ausländische Touristen. In der drittgrößten Stadt des Landes kann man nicht nur am Ufer des Tana-Sees unter blühenden Bäumen Urlaub machen und auf Bootsausflügen Pelikane und Nilpferde sowie die Quellen des Blauen Nils bestaunen, sondern man kann auch alte Klöster bewundern. Kaiser Haile Selassie hatte hier übrigens einen Palast. Die Stadt pulsiert und entwickelt sich, immer mehr Hotels entstehen. Der Flughafen gleicht zwar noch einer Garage, er wird aber ausgebaut. Bahir Dar stellt sich mehr und mehr auf den Tourismus ein. „Hier in der Stadt müsst ihr aufpassen, wenn ihr Menschen fotografiert, denn sie verlangen dann Geld von euch“, sagt uns Pater Abebe Tekle Mariam, der uns in den kommenden zwei Tagen begleiten wird. Wir bleiben nicht in der Stadt, sondern fahren dahin, wohin kaum jemals Touristen kommen: in die Benishangul-Gumuz-Region, eine der ärmsten und am meisten vernachlässigten Regionen des Landes. Pater Abebe hat mit der Hilfe von KIRCHE IN NOT ein Zusatzstudium absolviert. Seit sieben Jahren arbeitet er hier in Bahir Dar. Erst vor acht Jahren haben die Comboni-Missionare in dieser Gegend mit der Evangelisierung begonnen. In Bahir Dar leben zehn katholische Familien. Eine ältere deutsche Touristin am Flughafen glaubte verstanden zu haben, was wir hier machen. „Ach so, Sie kontrollieren Ihre Projekte!“ Wir haben sie in dem Glauben gelassen, aber eigentlich sind wir gekommen, um uns ein Bild von der Lage zu machen. Unter welchen Bedingungen lebt und arbeitet hier die Katholische Kirche? Natürlich überzeugen wir uns auch davon, dass die Spenden unserer Wohltäter gut verwendet werden, aber die letzte „Kontrolle“ geschieht durch Belege und Abrechnungen. Wir kommen als Augenzeugen. So können wir verstehen, was die Kirche hier leistet – und was sie braucht. Wir können die Priester, Schwestern, Katecheten und Gläubigen ermutigen. Wir können gemeinsam mit ihnen beten. Wir können ihre Geschichten anhören und sie in unserer Heimat mit anderen teilen. Wir kommen als Freunde. Um ihnen zu sagen, dass sie überall in der Welt Brüder und Schwestern haben, die an sie denken und ihnen helfen wollen. So wie Sie, die Sie dieses Buch lesen. Ein junger Seminarist in Addis Abeba hatte dies besser verstanden als die Dame am Flughafen: „Ihr seid gekommen, weil ihr uns liebt!“ Heiß ist es hier, viel heißer als in Addis Abeba. Hier wirkt Äthiopien viel „afrikanischer“ als in der Hauptstadt Addis Abeba. Schon wenige Kilometer außerhalb von Bahir Dar tauchen wir in eine andere Welt ein. Kinder treiben Ziegen an der Straße entlang, Esel 64


Ein Hirte in der Benishangul-GumuzRegion.

ziehen einachsige Holzkarren, die mit Feuerholz, Säcken mit Kohle oder Heu voll beladen sind. Ganze Eselskarawanen schleppen gelbe Wasserkanister an der Straße entlang, denn fließendes Wasser gibt es hier nicht. Unterwegs begegnet uns eine kleine 65


Gruppe von Menschen, die einen Kranken auf einer aus Holz und Stroh gefertigten Trage durch die sengende Hitze in die n채chste Klinik bringt. Pater Abebe erz채hlt uns, dass eine solche Gruppe manchmal so lange unterwegs ist, dass der Kranke w채hrend des Transportes stirbt.

Vater und Sohn h체ten gemeinsam das Vieh.


Auf Blut gebaut Mehr als vier Stunden sind wir auf einer schwer befahrbaren Straße unterwegs. Der Wagen schüttelt und rüttelt ununterbrochen über Steine und durch Schlaglöcher. Rechts und links des Weges hüten Hirten ihre Herden. Oft sind es kleine Jungen, die zwischen den Rindern auf der Erde im Kreis sitzen oder die ihren Hirtenstab unter die Achseln geklemmt haben und das Vieh an der Straße entlang treiben. Die Menschen hier leben in Lehmhütten mit Strohdächern. Frauen schleppen Tonkrüge, die wie Rucksäcke mit einem Seil auf dem Rücken befestigt sind. Es ist eine andere Welt als Bahir Dar. Je weiter wir kommen, desto mehr zeigt sich uns ein deprimierendes Bild: In der Benishangul-Gumuz-Region wurden endlose Flächen gerodet. Die wunderbaren Wälder, von denen nur noch ein paar Bäume übrig sind, wurden einfach niedergebrannt. Hier soll Weidefläche für das Vieh entstehen. Es ist ein Jammer. Schließlich kommen wir nach Pawe, wo die Kapuziner eine Missionsstation haben. Drei Kapuzinerpatres betreuen 13 Dörfer. Pater Johannes empfängt uns. Beim Mittagessen erzählt er uns, wie in der Zeit des Mengistu-Regimes Bauern unter Zwang umgesiedelt wurden und hier in der Benishangul-Gumuz-Region 46 neue Dörfer mit jeweils 500

Pater Johannes läutet die provisorische Glocke. 67


Kinder spielen vor der Kirche in Dorf 9 in der Pfarrei Pawe. Auf dem gleichen Grundstück steht noch die eingestürzte alte Kapelle, in der zwei Menschen den Tod fanden. Sie werden von der Bevölkerung als Märtyrer verehrt.

Familien entstanden. Wir erinnern uns: In Äthiopien wurden Mitte der 1980er-Jahre Millionen Bauern aus dürregefährdeten und übervölkerten Gebieten umgesiedelt. Was unter dem Vorwand humanitärer Hilfsmaßnahmen angeordnet wurde, war eigentlich eine „Deportation“ und eine „Zwangskollektivierung nach stalinistischem Vorbild“, wie es damals die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ beklagte. Familien wurden auseinandergerissen, Tausende Menschen kamen ums Leben. Unter den mehr als 16 000 Menschen, die hier in der Region angesiedelt wurden, waren rund 1000 Katholiken. Im Zuge dieser Maßnahmen kam Joseph Andreas, der heute Gemeindeältester ist, nach Pawe. Wir treffen uns mit ihm bei der neuen Kapelle im Dorf 9, deren Bau KIRCHE IN NOT unterstützt hat. Auf einer Bank vor dem Gotteshaus sitzend, erzählt er uns von der Zeit, in der der Glaube verfolgt wurde. Wie alt Joseph Andreas ist, weiß er nicht. Zahlen spielen hier keine Rolle. Was er aber genau weiß: Sein Glaube bedeutet ihm alles. So war es schon immer. 1985, zur Zeit des kommunistischen Terrorregimes Mengistu Haile Mariams, wurde er sogar verhaftet. Der Vorwurf: Er hatte sich mit anderen Katholiken zum Gebet versammelt. Joseph hatte Glück, dass er überlebte, denn unzählige Gläubige bezahlten damals ihre Treue zu Christus mit dem Leben. „Wir waren immer unter Beobachtung, mussten jeden Tag arbeiten, auch sonntags. Wir trafen uns also ganz früh am Morgen an einem geheimen Ort. Sie hatten uns un68


sere Bibeln weggenommen, sie zerrissen und ins Feuer geworfen. Sie sagten, wer predigt, erzieht die Leute zu Faulpelzen und hält sie nur von der Arbeit ab. Einen Priester hatten wir nicht. Ganz allein mussten wir den christlichen Geist bewahren“, erzählt er. Wer konnte, brachte seine Kinder in die Großstadt Bahir Dar, um sie dort taufen zu lassen. Aber der Weg war weit. Schon mit dem Auto fährt man mehr als vier Stunden. Als die Diktatur 1991 ein Ende fand, konnten endlich wieder Priester die entlegenen Dörfer besuchen. Joseph Andreas, einem der aktivsten Mitglieder der katholischen Gemeinde, reichten diese sporadischen Besuche jedoch nicht. „Wir brauchten einen Priester, der ständig bei uns sein würde, und eine eigene Kapelle. Die protestantischen Sekten wurden sofort aktiv, um Gläubige abzuwerben. So bin ich auf eigene Kosten mehr als 600 Kilometer nach Addis Abeba zum Erzbischof gefahren, um ihn um einen Priester und ein Gotteshaus zu bitten.“ Die erste Kapelle, die die Gläubigen selbst bauten, hatte ein Strohdach – wie alle Hütten in der Gegend. In der erbarmungslosen Dürre der Trockenzeit fing es Feuer. Die Kapelle brannte ab. Die Gläubigen ließen sich nicht entmutigen. Nun errichteten sie eine Kapelle aus Holz. Diesmal jedoch schlug das Schicksal noch härter zu: Termiten zerfraßen die Balken, und das Gotteshaus stürzte ein. Zwei Menschen starben, ein Mann wurde so schwer verletzt, dass er seitdem gelähmt ist. Sechs Kinder blieben als Halbwaisen zurück. „Die beiden Männer, die ums Leben kamen, gehörten zu den engagiertesten Mitgliedern unserer Gemeinde. Stets ermutigten sie uns, das geistliche Leben zu stärken und mehr zu tun. Wir betrachten sie als Märtyrer“, sagt Joseph sichtlich bewegt. Nun sollte endlich ein solide gebautes Gotteshaus entstehen. Die Gläubigen trugen trotz ihrer Armut viel zum Bau bei. Wieder einmal brachten sie große Opfer. KIRCHE IN NOT hat ihnen geholfen. Bald kann die Kapelle eingeweiht werden. Das Unglück hat die Menschen sogar im Glauben gestärkt. „Wir sagen, unsere neue Kapelle entsteht aus dem Blut der Märtyrer. Das gibt uns Kraft“, erklärt der siebenfache Vater stolz. Dass die Kirche hier lebt, ist offensichtlich: Jeden Sonntag strömen zahlreiche Gläubige zur heiligen Messe, und am Weißen Sonntag haben 30 Kinder ihre Erstkommunion gefeiert. Die alte Kapelle aus Lehm und Holz, die teilweise eingestürzt ist, steht noch wie ein Denkmal vor der neuen Kapelle. Wenige Meter von ihr entfernt schaukeln Kinder und drehen sich jubelnd auf einem kleinen Karussell. Im neuen Gotteshaus betet Kapuzinerpater Johannes mit den Kindern. Sie breiten ihre Hände aus und sind ganz versunken. Zwei Kinder von vielleicht drei oder vier Jahren schauen ihn mit grenzenlosem Vertrauen an. Die Saat, die Joseph Andreas und seine Mitchristen zur Zeit der Verfolgung gesät haben, trägt reiche Frucht. 69


Schmuck an einem Leichenwagen in Addis Abeba. 70


Ein Beerdigungsinstitut in der Hauptstadt. Alles ist von der Straße aus einsehbar.

Das Kreuz ist allgegenwärtig. Auch Autos werden mit Kreuzen geschmückt. 71


Leidensgenossen der heiligen Bakhita Benishangul-Gumuz ist eine der neun Verwaltungsregionen Äthiopiens. Sie liegt ganz im Westen des Landes im Grenzgebiet zum Sudan und ist eine der ärmsten Gegenden. Knapp eine Million Menschen leben hier. Etwas mehr als ein Fünftel gehört der Volksgruppe der Gumuz an. Kulturell sind sie eher mit den Völkern des Sudan verwandt als mit den anderen Volksgruppen in Äthiopien. Hier verwischen sich die Grenzen zwischen den beiden Ländern. Die Scheichs, die das Gebiet im 19. Jahrhundert beherrschten, waren Watawit, Nachfahren arabischstämmiger Sudanesen. Erst 1898 wurde das Gebiet von Äthiopiern erobert und mit der äthiopischen Zentralregierung verbunden. Ende des 19. und noch im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts fielen viele Gumuz Sklavenhändlern zum Opfer: Menschen wurden gejagt und wie Vieh verkauft. Die Gumuz waren also Leidensgenossen der heiligen Josephine Bakhita, die ungefähr zur gleichen Zeit mit kaum acht Jahren von Sklavenhändlern entführt wurde. Bakhita war um das Jahr 1870 in einem Dorf im heutigen Sudan mit zwei Schwestern und drei Brüdern aufgewachsen. Eigentlich hieß sie anders, aber als sie ihrer Familie entrissen und in die Sklaverei verschleppt wurde, war sie so traumatisiert, dass sie ihren Namen vergaß. Ihr Vater war Stammeshäuptling gewesen. Das Mädchen hatte eine glückliche Kindheit, bis eines Tages, als sie ungefähr fünf Jahre alt war und ihre Mutter aufs Feld begleitete, Sklavenhändler ihre ältere Schwester entführten, die da-

Kinder aus dem Stamm der Gumuz. Früher wurden in der Region Gumuz-Kinder von Sklavenhändlern entführt. 72


Ein Mann aus dem Stamm der Gumuz zeigt stolz sein Baby.

heim geblieben war. Von ihr gab es nie wieder eine Spur. Die ganze Familie war in tiefer Trauer. Zwei Jahre später ging Bakhita mit einer Freundin über die Felder. Auf einmal standen wie aus dem Nichts zwei bewaffnete Männer vor ihnen. Die Mädchen rannten und rannten, aber sie waren nicht schnell genug. Grobe Hände packten Bakhita an den Schultern. Das Mädchen war starr vor Angst und konnte nicht einmal schreien. Mit einer Pistole im Nacken und einem Messer trieben die Männer sie vor sich her. Ihre Füße und Beine bluteten von spitzen Steinen und Dornen. Auf dem Weg rief sie immer wieder „Mama, Papa!“, aber es nützte nichts. Ihr Schmerz war unbeschreiblich. Die ganze Nacht lang musste sie ohne Pause laufen, bis sie an eine Hütte kamen, in der viele Werkzeuge lagen. Sie glaubte, die Männer würden sie nun umbringen, und flehte um ihr Leben. Ihre strengen Gesichter blieben ihr ein Leben lang in Erinnerung. Die beiden Männer überlegten, welchen Namen sie ihr geben sollten. Einer schlug vor: „Nennen wir sie Bakhita!“ Das ist arabisch und bedeutet „die Glückliche“, Bakhita sprach später davon, es sei wie eine Prophezeiung gewesen. Das kaum achtjährige Kind wurde ungefähr einen Monat lang in der Hütte eingesperrt, in der es vollkommen dunkel war. Die Stunden kamen ihr ewig lang vor. Vom Weinen erschöpft, lag sie auf der Erde. Nur einmal am Tag öffnete sich die Tür. Dann wurde ihr 73


Kinder aus dem Stamm der Gumuz.

ein bisschen Essen gereicht. Eines Tages wurde sie aus der Hütte geholt und an eine Karawane aus Menschen gebunden, die in jedem Dorf größer wurde. Die Sklaven trugen schwere Ketten mit Schlössern. Ein achttägiger Fußmarsch fast ohne jede Unterbrechung folgte. Wenn sich einer der Sklaven bückte oder auch nur kurz stehen blieb, bereitete es seinen Weggenossen starke Schmerzen, weil sie zusammengebunden waren. Bakhita konnte genau die blutenden, tiefen Wunden ihrer Leidensgenossen sehen. „Die Menschen wurden wie Tiere behandelt“, erzählte sie später. Auf dem Sklavenmarkt fand sie bald einen Käufer. Als sich ihr kurz darauf die Gelegenheit bot, rannte sie mit einem Mädchen, das mit ihr zusammen verkauft worden war, davon. Die Kinder flohen in den Wald. Sie hatten furchtbare Angst, als sie ein wildes Tier hörten. Als es näher kam, kletterten sie auf einen Baum. Am nächsten Morgen kamen die beiden Mädchen in ein Dorf. Die Freude über die wiedererlangte Freiheit währte nur kurz, denn sie wurden wieder eingefangen. Erneut mussten sie in einer Karawane eine schier endlose Strecke bis zum Sklavenmarkt laufen. Der Sklavenhändler schlug die Sklaven unterwegs brutal mit der Peitsche. Bakhita sah Menschen vor Erschöpfung sterben. Auf dem Markt wurden Menschen wie Ware an den Meistbietenden verkauft. Ein reicher Mann erwarb Bakhita als Dienstmädchen für seine beiden Töchter. Zunächst sah es so aus, als habe das Leid nun ein Ende, denn Bakhita brauchte nur bei ihren 74


jungen Herrinnen zu sitzen und ihnen in der Hitze Kühlung zuzufächeln. Das Glück war aber von kurzer Dauer, denn eines Tages ließ sie versehentlich eine große Vase fallen, die in tausend Stücke zersprang. Der Herr schlug daraufhin so lange mit der Peitsche auf sie ein, bis sie bewusstlos zusammenbrach. Bald darauf verkaufte er sie weiter. Nun wurde sie vom türkischen Konsul gekauft. Seine Ehefrau und seine Mutter misshandelten das Mädchen erbarmungslos. Bei jeder Kleinigkeit, die ihnen nicht passte, hagelte es Peitschenhiebe. Es gab kaum einen Tag, an dem das Mädchen nicht grausam gequält wurde. Die anderen Sklaven waren zum Zeichen, dass sie das Eigentum ihrer Herrschaften waren, tätowiert beziehungsweise trugen ein Brandzeichen. Eines Tages bemerkten die Frauen, dass sie vergessen hatten, Bakhita ebenfalls damit zu zeichnen. Nachdem sie das Muster mit Mehl auf ihre Haut gezeichnet hatten, nahmen sie ein Rasiermesser und fügten ihr an der Brust sechs Schnitte, am Bauch 60 Schnitte und am rechten Arm 48 Schnitte zu. Um das Zeichen noch sichtbarer werden zu lassen, rieben sie mit roher Gewalt Salz in die Wunden. Die Schmerzen waren unvorstellbar. Bakhita glaubte, sie müsse sterben. Aber später sagte sie: „Gott hatte Besseres mit mir vor.“ Als sie ungefähr 14 Jahre alt war, wurde sie an einen italienischen Diplomaten verkauft. Endlich hatte das Leid ein Ende. Bakhita wurde gut und liebevoll behandelt. Als er nach Italien zurückkehrte, nahm er sie als Kindermädchen für das neugeborene Töchterchen einer befreundeten Familie mit. In dieser Familie lernte sie den christlichen Glauben kennen und lieben. Sie kam auch in Kontakt mit katholischen Ordensfrauen. Schon als Kind hatte sie sich unter dem funkelnden Sternenhimmel gefragt, wer wohl dies alles erschaffen habe. Sie wollte diesen Gott kennen lernen und ihm danken. Nun hatte sie ihn gefunden. Bevor sie sich taufen ließ, schenkten ihr ihre Dienstherrschaften die Freiheit. Sie trat in den Orden der Canossianerinnen ein und nahm den Namen Josephine an. Schon bald verbreitete sich der Ruf ihrer Heiligkeit. 1949 starb sie nach einigen Jahren der Krankheit. Auf dem Sterbebett wurde die heilige Bakhita wieder in die Zeit ihrer Sklaverei versetzt. „Nehmt mir die Ketten ab! Sie sind so schwer!“, rief sie im Delirium. Als sie 1949 starb, erwiesen ihr unzählige Menschen die letzte Ehre. Während ihres Ordenslebens sagte sie: „Würde ich die Sklavenhändler, die mich entführt, und sogar diejenigen, die mich gefoltert haben, wiedersehen, so würde ich niederknien und ihre Hände küssen. Denn ohne sie wäre ich heute keine Christin und keine Ordensfrau.“ Am 1. Oktober 2000 wurde Josephine Bakhita von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen. Ihr Leben ist ein Geschenk an die Kirche in Afrika. Es ist aber auch ein Gewinn für die Menschheit, dass sie ihre Geschichte erzählen konnte. Denn unzählige Sklaven starben, ohne dass je ein Mensch von ihrem Schicksal erfahren hätte. 75


Dieser Mann ist stolz auf sein pr채chtig geschm체cktes Pferd. 76


Eine Frau tr채gt ihr Kind auf dem R체cken. 77


Geschundene Töchter Evas Die Wangen der Frau, die in dem kleinen Dorf Ohaba auf uns zukommt, sind mit Ziernarben geschmückt. Jungen Mädchen werden traditionell am Oberkörper, am Rücken und im Gesicht mit glühendem Metall Muster in die Haut gebrannt, weil dies in den Augen der Gumuz ihre Attraktivität steigert. Die Frau trägt einen Säugling auf ihrem Rücken, aber er ist ganz versteckt in der noch viel zu großen Ledertrage. Vorsichtig dürfen wir hineinschauen. Das Baby ist noch so winzig, dass es an eine Bienenlarve in ihrer schützenden Wabe erinnert. In dieser Haltung „sitzt“ es zusammengekauert da. Seine Haut ist noch ganz hell. Herausnehmen will die Mutter das Baby nicht. Hier gibt es noch viel Aberglauben. Der Böse Blick könnte dem Kind schaden. Vielleicht auch unsere Kameras. Einen Namen hat der Säugling auch noch nicht, denn Namen erhalten die Kinder bei vielen Stämmen erst, wenn sie eine gewisse Zeit überlebt haben.

Eine Frau aus dem Stamm der Gumuz. An ihrem geschorenen Kopf und der rot gefärbten Kopfhaut erkennt man, dass sie erst kürzlich ein Kind geboren hat.


Wenn die Stunde der Niederkunft kommt, müssen die Gumuz-Frauen ihre Dörfer verlassen. Mindestens drei Tage müssen sie an einem abgelegenen Ort bleiben. Die Menschen sind davon überzeugt, dass das Blut, das bei der Geburt fließt, einen Fluch über die Familie bringt. Deshalb gebären die Frauen ihre Kinder ganz allein im Wald, im Busch oder am Ufer eines Flusses. Kommt es zu Komplikationen, sterben die Mutter oder das Kind meistens. Manchmal lassen auch beide ihr Leben. Bisweilen dauert die Geburt tagelang und vollzieht sich unter schlimmsten Qualen, denn viele Mädchen werden sehr jung verheiratet – eigentlich zu jung, um schon Mutter zu werden. Zudem sind diese Mädchen bei der ersten Entbindung noch unerfahren und wissen sich nicht zu helfen. Geschont werden die Frauen in der Schwangerschaft nicht. Sie sammeln Brennholz, hacken es klein und schleppen es über weite Strecken nach Hause oder zum Verkauf auf den Markt. Sie holen das Wasser von weither, mahlen stundenlang Getreide mit einer Steinmühle, sammeln Wurzeln und Samen zum Essen und tragen bei all dem fast immer noch ein Kind auf dem Rücken. Dazu kommt, dass es in der Kultur der Gumuz ein Nahrungstabu für schwangere Frauen gibt. Schwangere dürfen beispielsweise Eier, Hühnerfleisch und bestimmte Teile von gejagten Tieren nicht verzehren, weil der Aberglaube besagt, dass sie sonst sterben. Außerdem dürfen sie mancherorts auch keine Nahrungsmittel zu sich nehmen, die Kohlenhydrate und bestimmte Mineralien enthalten. So sind die werdenden Mütter oft mangelernährt, was wiederum zu gesundheitlichen Problemen bei Mutter und Kind führt. Nicht nur das Blut einer gebärenden Frau, sondern auch das einer Frau während der Periode kann in der traditionellen Vorstellungswelt der Gumuz einen Fluch über die Familie bringen. So müssen Frauen sich in dieser Zeit des Monats ebenfalls absondern. Würden sie das Haus betreten, so würden die Götter ärgerlich werden und die Familie zerstören, so besagt es der Aberglaube. Eine Frau darf jemandem, dem sie während dieser Tage begegnet, nicht die Hand geben, sondern muss ein Stöckchen nehmen und es ihm statt der Hand zum Gruß reichen. Sie darf auch für andere kein Essen zubereiten oder Wasser holen. Wenn ein Gumuz-Mann heiratet, muss er der Familie seiner Braut eine Schwester oder eine andere weibliche Verwandte überlassen. Dahinter steht der Gedanke, dass die Arbeitskraft des Mädchens, das verheiratet wird, nicht mehr seiner eigenen Familie, sondern der des Mannes zur Verfügung steht und somit Ersatz notwendig ist. Da Frauen sehr hart arbeiten, wäre es ein herber Verlust, wenn ein Mädchen ersatzlos wegginge. Dies führt ebenfalls dazu, dass Witwen nicht zu ihrer Herkunftsfamilie zurückgehen können, da sonst auch die Frau, die bei der Hochzeit gegen sie ausgetauscht wurde, wieder an ihre eigene Familie zurückgegeben werden müsste, obwohl sie inzwischen verheiratet ist und Kinder hat. So werden Witwen in der Regel mit einem Bruder oder einem anderen männlichen Verwandten ihres verstorbenen Ehemannes verheiratet. Sie werden nicht gefragt, ob sie wollen. 79


Die Praxis des Austausches von Frauen ist zwar mittlerweile gesetzlich nicht mehr erlaubt, wird jedoch nun versteckter betrieben, indem die Familie des Bräutigams der Familie der Braut das Mädchen nicht mehr am Tag der Hochzeit, sondern einige Zeit später überlässt. So fällt es weniger auf. Viele Mädchen werden bereits verheiratet, wenn sie selbst noch fast Kinder sind. Die Vielehe ist verbreitet, und oft werden Mädchen entführt und zwangsverheiratet. Dass Frauen und Kinder geschlagen werden, ist an der Tagesordnung. Ebenso sind auch Praktiken wie das Entfernen der Mandeln und der Milchzähne durch traditionelle Heiler weit verbreitet. Die Mandeln werden als nutzlos und als Hindernis beim Schlucken angesehen. Die Milchzähne werden entfernt, weil bei zahnenden Kindern beobachtetes Erbrechen und Durchfall auf die wachsenden Zähne zurückgeführt werden. Somit kommen die Leute zu dem Ergebnis, dass die Milchzähne schädlich sind, und lassen sie von Heilern und Medizinmännern entfernen. Man kann sich leicht vorstellen, dass dies nicht nur sehr schmerzhaft ist, sondern dass es dabei oft zu schweren Infektionen und anderen Komplikationen kommt. Manche Kinder sterben sogar an den Folgen. Eine weitere ernste Gefahr ist dabei die Infektion mit HIV, denn die Heiler „operieren“ zahlreiche Kinder, ohne ihre primitiven Werkzeuge zu reinigen. Ist ein Kind infiziert, werden die anderen angesteckt. So breitet sich HIV/Aids leicht aus. In einem Punkt haben die Frauen der Gumuz Glück: Wenigstens bleiben sie vor der Genitalverstümmlung verschont, der sogenannten „weiblichen Beschneidung“. Rund die Hälfte der Frauen in Äthiopien wird Opfer dieser barbarischen Praktik, die dazu führt, dass Frauen oft ein Leben lang unter schwersten Schmerzen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen leiden. Beschnittene Frauen leben nicht nur in abgelegenen und unterentwickelten Dörfern. Als ich bei der entsprechenden Kommission der Katholischen Kirche in Äthiopien um weitere Informationen zu diesem Thema bitte und nachfrage, ob eine Frau bereit wäre, von ihrem Schicksal zu berichten, erlebe ich eine Überraschung: Eine der Frauenbeauftragten erzählt selbst, was sie erlebt hat. Sie ist 26 Jahre alt, eine moderne, gebildete und dynamische junge Frau, die normalerweise Berichte schreibt und Projekte koordiniert. Sie wurde in Soddo geboren, arbeitet aber woanders. Im Alter von elf Jahren wurde sie beschnitten. „Wir jungen Mädchen im gleichen Alter wurden am gleichen Tag beschnitten. Ich wurde von einer Hebamme beschnitten. Bei einer Freundin, Hana, vollzog dies eine traditionellen Beschneiderin. Sie blutete eine Woche lang sehr stark. Dann musste sie ins Krankenhaus. Es hat zwei Monate gedauert, bis die Entzündung verheilt war. In der Gegend, aus der ich stamme, werden Mädchen noch immer beschnitten.“ Durch die knappen Worte schimmerte noch immer Schmerz und Entsetzen hindurch. Dieser Fall gehört noch zu den günstigeren, in dem das Mädchen in einem Krankenhaus behandelt werden konnte. Dies ist jedoch die Ausnahme. Die Frau erzählt auch von einem weiteren Fall „schädlicher traditioneller Praktiken“, wie diese Art von Sitten in Studien genannt werden. Sie sagt: 80


„Lassen Sie mich noch etwas erzählen, was ich mit eigenen Augen gesehen habe. Ich traf eine Frau auf der Straße, die ihren zwei Monate alten Sohn in die Klinik trug. Sie hieß Askale. Ich fragte sie: ‚Was ist passiert?‘ Sie antwortete mir, sie habe dem Baby das Gaumenzäpfchen im Hals entfernen lassen. Auch diese Praktik kommt oft vor. Das Kind konnte nun nicht mehr trinken. Es war nicht mehr zu retten. Nach drei Tagen starb es.“

Die Frauen aus dem Stamm der Gumuz tragen ihre Babys und Kleinkinder in Tragen aus Leder auf dem Rücken.


Christliche Metzger markieren ihre Läden mit Kreuzen, muslimische mit Halbmonden, da die religiÜsen Speisevorschriften unterschiedlich sind.

Mitten in der Hauptstadt werden Schafe zum Verkauf angeboten. 82


Ein kleines M채dchen tr채gt sein Br체derchen auf dem Arm. 83


Die Ordensschwester mit der Taschenlampe Krank sieht die junge Frau aus, die in Ohaba an einem Zaun lehnt. Sie wirkt, als würde sie jeden Moment umkippen. Ihre Augen sind glasig, und sie wirkt apathisch. Schwester Lucia nimmt sie zur Seite, spricht liebevoll mir ihr, redet ihr gut zu, nimmt sie in die Arme. Bevor die Katechese beginnt, geht die junge italienische Franziskanerin durch das ganze Dorf. Für jeden hat sie ein gutes Wort. Sie fragt, wie es den Leuten geht, schaut nach den Müttern, die erst vor kurzem entbunden haben, sieht nach den Babys und nach den Kranken und lädt die Kinder ein, in die Kapelle zu kommen. Wir begleiten sie bei ihrem Rundgang durch das kleine Dorf mit seinen armen, teilweise windschiefen Strohhütten. Viele Kinder folgen uns. Ihre Kleidung ist zerlumpt, an manchen hängt sie in Fetzen herab. Trotzdem strahlen die Kinder. Sie wirken glücklich. Immer wieder wollen sie fotografiert werden. Wenn sie ihr Bild auf dem Display der Kamera erblicken, jubeln sie laut und anhaltend: „Joooooooooooo! Joooooooooooooo!“ Als wir zur Kapelle kommen, hören wir bereits draußen den begeisterten Gesang und das rhythmische Klatschen. Der Katechet, der Schwester Lucia hilft, ist bereits da. Dutzende Kinder sitzen in den Bänken, viele Mädchen mit kleineren Geschwisterchen auf dem Arm oder auf dem Rücken. „Jesus ist der Sohn Gottes, geboren von der Jungfrau

Schwester Lucia leuchtet bei der abendlichen Katechese mit der Taschenlampe. 84


Maria“, singen sie lauthals. Jetzt, da Schwester Lucia da ist, kommen auch noch die übrigen Kinder und immer mehr Erwachsene. Wir setzen uns mitten zwischen den Kindern hin und klatschen den Rhythmus mit. Es ist dunkel in der Kapelle. Heute beginnt die Katechese erst am Abend, da wir spät angekommen sind und Schwester Lucia auf uns gewartet hat. Hier geht die Sonne früh unter, und so ist es um sieben bereits stockfinster. Strom gibt es keinen. Davon lässt sich jedoch niemand abschrecken. Die junge Ordensfrau weiß sich zu helfen: Sie benutzt eine einfache Taschenlampe als Scheinwerfer. Vorne werden zehn Jugendliche aufgereiht. Jeder von ihnen hält ein Blatt Papier in der Hand. Schwester Lucia dreht das erste davon um. „Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben!“ steht darauf. Schwester Lucia liest es vor, die Kinder wiederholen es im Chor. Ihre traditionelle Religion kennt viele Götter: Es gibt einen Flussgott, einen Erdgott, einen Sonnengott, einen Baumgott, den Gott eines Berges und so weiter. Die Gumuz in diesem Dorf haben sich nun dafür entschieden, den christlichen Gott anzunehmen und sich katholisch taufen zu lassen. Schwester Lucia dreht nacheinander alle zehn Blätter um und liest die Gebote vor. Die Kinder wiederholen sie lautstark. Wieder und wieder sagen sie die Gebote auf. Schwester Lucia lenkt dabei den Lichtstrahl der Taschenlampe geschickt durch den Raum. Sie stellt einige Fragen. Die Kinder können schon gut darauf antworten. Mehr als eine

Schwester Lucia geht durch das Dorf Ohaba und schaut, ob jemand Hilfe braucht. 85


Schwester Lucia mit einem Kind aus dem Stamm der Gumuz.

Stunde dauert die Katechese. Am Ende singen die Kinder wieder ein Lied. Es scheint gar nicht enden zu wollen, so begeistert wiederholen sie immer wieder den Refrain. Als die Katechese zu Ende ist und wir die Kapelle verlassen, funkeln am Himmel unzählige Sterne. Schwester Lucia leuchtet uns auch hier noch den Weg mit ihrer Taschenlampe. Die Dorfbewohner gehen im Dunkeln nach Hause. Überall in den kleinen Dörfern sehen wir die Familien vor ihren Hütten am Feuer sitzen. Unterwegs holen wir eine Mitschwester von Schwester Lucia ab, die in einem anderen Dorf die Katechese gehalten hat. Vier Franziskanerinnen kümmern sich hier um 29 Dörfer. Jeden Tag halten sie in mehreren davon Katechese. Die Franziskanerinnen leben in Gilgel Beles, einem kleinen Städtchen. Bei ihnen übernachten wir. Als wir ankommen, fällt mehrfach der Strom aus. Dennoch gibt es hier die wohl leckerste Pizza von ganz Äthiopien. Ich schlafe im Haus der Schwestern, meine beiden männlichen Mitreisenden übernachten im Gästetrakt, der normalerweise für Exerzitien und Besinnungstage für Mädchen genutzt wird. Als ich mein Zimmer beziehe, ist eine Schwester gerade dabei, Wasser in den Abfluss der Dusche zu gießen. „Da können Tiere herauskommen“, erklärt sie mir. Ich habe Glück: Der Abfluss scheint unbewohnt zu sein. Was für Tiere die Schwester gemeint hat, erzählen mir meine Mitreisenden, als wir vor dem Abendessen einen Augenblick allein sind: Bei ihnen kamen drei Skorpione aus dem Ausguss, als sie sich duschen wollten. Vorsichtshalber stelle ich alle meine Taschen, die ich auf den Boden gelegt hatte, hoch auf den Tisch und verbarrikadiere die Badezimmertür. Mein Respekt vor den Schwestern, die hier Tag für Tag unter schwierigsten Bedingungen arbeiten, ist grenzenlos. 86


Bethlehem lacht Am nächsten Tag fahren wir wieder zurück nach Bahir Dar, um von dort aus nach Addis Abeba zurückzufliegen. Unterwegs besuchen wir die Missionskarmelitinnen in Injibara. „Der Wasserhahn funktioniert nicht“, sagt Schwester Maria Luiza bedauernd, als wir uns die Hände waschen wollen. Die vier aus Lateinamerika stammenden Missionskarmelitinnen, die sich in Injibara um Waisenkinder kümmern, müssen jeden Tag mit dem Auto zum Fluss fahren, um dort Wasser zu schöpfen. Das liebevoll gepflegte Gebäude, in dem sie leben, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Leben hier hart ist. Die Luxushotels, in denen Touristen für mehrere Hundert Euro die Nacht am Ufer des Tanasees die Seele baumeln lassen und unter blühenden Bäumen bunte Cocktails nippen, sind nur eineinhalb Autostunden entfernt. In Wirklichkeit sind es Lichtjahre. Wassermangel ist überall in Afrika ein Problem. Während wir in Europa literweise erstklassiges Trinkwasser durch die Toilette spülen und in Wasser baden, das die gleiche Qualität hat wie Mineralwasser in Flaschen, ist hier jeder Tropfen kostbar. Wir sehen Frauen und Kinder dort Wasser holen, wo wenige Meter weiter Kühe baden. Wer Glück hat, kann seinen Esel mit den Kanistern beladen. Die anderen schleppen Kanister oder große, schwere Tonkrüge selbst kilometerweit durch die Hitze. Oft stundenlang. Was-

Die kleine Bethlehem ist ein Waisenkind. Bei den Missionskarmelitinnen in Injibara hat sie ein neues Zuhause gefunden.


serpumpen und Brunnen sind ein Segen. Die katholische Kirche hat zahlreiche von ihnen gebaut, aber sie kosten viel Geld. Auch Schwester Maria del Carmen, Schwester Maria Luiza, Schwester Araceli und Schwester Maria Evangelina brauchen dringend einen Brunnen für ihr Waisenhaus. Im Hof der Schwestern kocht eine Frau auf einer Feuerstelle das Mittagessen für die Waisenkinder. Die meisten sind tagsüber in der Schule oder im Kindergarten. Nur die vier kleinsten sind zuhause. Abainech, Matheus, Tarik und Bethlehem sind zwischen einem und drei Jahren alt. Als wir ankommen, kniet Schwester Maria del Carmen gerade vor einer blauen Plastikschüssel und wäscht Tarik und Matheus. Als sie uns sieht, kommt die dreijährige Bethlehem lachend auf uns zu und lässt sich hochheben. Was für schöner Namen: Bethlehem, „Haus des Brotes“, der Ort, an dem das Christuskind geboren wurde. Die Schwestern freuen sich über unseren Besuch. Da zwei Priester dabei sind – Pater Abebe Tekle Mariam aus Bahir Dar und Pater Dr. Andrzej Halemba von KIRCHE IN NOT – haben sie die Gelegenheit, an einem Werktag die heilige Messe mitzufeiern. Aus der Eucharistie schöpfen sie ihre Kraft und ihre Liebe. Normalerweise können sie nur sonn-

Wasserholen ist überall in Äthiopien beschwerlich.


Die Missionskarmelitinnen in Injibara kümmern sich liebevoll um Waisenkinder.

tags die Messe besuchen, denn in Injibara gibt es keinen Priester. Heute ist für sie also ein Freudentag. Flink, aber andächtig machen sie sich daran, die Kapelle vorzubereiten. Der Tabernakel ist aus Holz und steht auf einem Baumstamm. Er gleicht – wie in vielen Kirchen Äthiopiens – einer afrikanischen Hütte. Als Pater Abebe die Hostie emporhebt und spricht: „Seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt!“, laufen draußen vor dem Fenster der Kapelle drei laut blökende Schafe vorüber. Wie Christus, das Lamm Gottes, schon damals in Bethlehem in einem Stall zwischen Ochs und Esel geboren wurde und von armen Hirten mit ihren Schafen angebetet wurde, so ist es auch hier. Die kleine Bethlehem lacht und spielt indessen im Hof. In ihr finden die Schwestern Tag für Tag das Christuskind. In Äthiopien gibt es etwa 4,6 Millionen Waisenkinder. Es ist eine Million mehr, als Berlin Einwohner hat, dreieinhalbmal München. Hinter jedem dieser Kinder verbirgt sich eine Tragödie. Jedes hat ein Gesicht und einen Namen. Viele Eltern sind an AIDS oder an anderen Krankheiten gestorben. Die Verwandten sind selbst bitterarm und können nicht noch mehr kleine Münder füttern. Manche der Kinder wurden schon als Säuglinge ausgesetzt. Viele sind selbst infiziert. Niemand will sie. Die Krankenhäuser können sich nicht kümmern, die Adoptionsagenturen nehmen nur gesunde Kinder. Außerdem sind es viel zu viele Kinder, die allein sind. Unzählige enden auf der Straße. Manche hingegen finden einen Engel: Katholische Ordensfrauen kümmern sich vielerorts in Äthiopien um Kinder, die niemanden mehr haben. Die kleine Bethlehem gehört zu ihnen. Sie darf lächeln, denn sie hat bei den Missionskarmelitinnen in Injibara ein neues Zuhause gefunden. 89


Eine Frau beim Wasserholen. 90


Ein Mann auf dem Weg zum Markt. 91


Moderne Sklaverei Mit Entsetzen und Befremden denken wir an den Sklavenhandel vergangener Zeiten. Aber auch heute noch geraten Menschen in die Sklaverei. Vor einem Gebäude in Bahir Dar sehen wir viele junge Frauen. Einige sitzen auf den Stufen, andere stehen im Eingang. Hoffnungsvoll warten sie darauf, dass die Behörde ihnen einen Pass ausstellt. Sie alle wollen weg. Ins Gelobte Land oder dahin, was sie dafür halten. Eine Arbeit im Ausland scheint der Schlüssel zum Glück zu sein. Tausende junge Frauen verlassen Jahr für Jahr Äthiopien, um sich im Libanon, in Saudi-Arabien, in den Vereinigten Arabischen Emiraten, im Jemen, in Dschibuti, Israel, Ägypten oder anderswo als Hausangestellte zu verdingen. Viel Geld kann man dort verdienen, so glauben sie zumindest. Wenn sie erst so unermesslich reich sein werden, wie sie es nie waren, können sie ihre Familien unterstützen, sich ihre Träume erfüllen und endlich ein gutes Leben fernab von Hunger, Not und Elend führen. In einem Land, in dem 39 Prozent der Bevölkerung von rund einem Euro am Tag leben müssen, sind versprochene 100 Euro Lohn im Monat viel Geld. Die Realität sieht anders aus. Als Haussklavinnen ausgebeutet, ihrer Freiheit beraubt, sexuell missbraucht, um ihren Lohn betrogen, sehen viele von ihnen den großen Traum von Freiheit und Wohlstand bald in einem Alptraum enden. Manch eine Frau, die ebenso hoffnungsvoll die große Reise antrat, kehrte sogar mit abgehackten Händen in die Heimat zurück, weil ihre Arbeitgeber in Saudi-Arabien sie des Diebstahls bezichtigten. Dafür sieht die Scharia diese drakonische Strafe vor. Eine der Frauen, die das große Glück in der Ferne suchten und als psychisches Wrack zurückkehrten, ist Belaynesh. 18 Jahre war sie alt, als sie ihre Heimatstadt Jimma im Süden Äthiopiens verließ, um in Addis Abeba Arbeit zu finden. In der Hauptstadt wohnte sie bei ihrer Tante. Einen Schulabschluss hatte sie nicht, und auch eine Berufsausbildung konnte sie nicht vorweisen. In Äthiopien können nur etwas mehr als ein Drittel der Frauen und rund die Hälfte der Männer überhaupt lesen und schreiben. Monat für Monat verging, ohne dass sich der jungen Frau eine wirkliche Perspektive eröffnet hätte. Irgendwann fing auch ihre Tante an, sie zu drängen. Schließlich fand sie einen Vermittler, der ihr gegen Bezahlung über eine Agentur in Beirut eine Anstellung im Libanon verschaffte. Zunächst war Belaynesh glücklich: Das Ehepaar, bei dem sie als Haushaltshilfe arbeiten sollte und das zwei kleine Kinder hatte, versprach, ihr monatlich 120 Euro zu zahlen. Sie putzte das Haus, wusch und bügelte die Wäsche und kochte außerdem manchmal das Essen. Nach einem Monat wurde jedoch alles anders. Plötzlich musste sie auch noch im Haushalt von Verwandten der Familie mit anpacken. Von früh um fünf bis weit nach Mitternacht schuftete sie, ohne jemals Geld dafür zu erhalten. Ihre Freiheit wurde immer mehr eingeschränkt, und ihr wurde verboten, das Haus zu verlassen. Nach vier 92


Monaten begann der Hausherr, sie sexuell zu belästigen. Anfangs konnte sie ihm entgehen, indem sie es vermied, mit ihm allein zu sein. Kurz darauf kam er jedoch früher von der Arbeit nach Hause. Belaynesh war gerade dabei, in einem Hinterzimmer die Wäsche zu machen. Sie war allein. Plötzlich betrat der Hausherr den Raum, und bevor sie wusste, wie ihr geschah, warf er sie zu Boden und vergewaltigte sie. Die darauffolgenden Wochen waren die Hölle für die junge Frau. Wieder und wieder wurde sie belästigt und missbraucht. Auch die Hausherrin begann, sie zu beleidigen und handgreiflich zu werden. Mehrfach bat Belaynesh sie darum, sie wieder zurück zu der Agentur zu bringen, die ihr die Arbeitsstelle vermittelt hatte. Die Frau weigerte sich jedoch. Im Gegenteil: Jeden Morgen drehte sie den Schlüssel im Schloss herum und sperrte Belaynesh ein, wenn sie selbst das Haus verließ, um zur Arbeit zu fahren. Schließlich versuchte die Äthiopierin zu fliehen, aber der Hausherr erwischte sie dabei, stieß sie ins Auto und warf sie ohne Dokumente, ohne Geld und ohne ihre Habseligkeiten an einer Polizeistation aus dem Wagen. Anstatt dort Hilfe zu finden, wurde sie geschlagen und ins Gefängnis geworfen. An den Namen der Agentur, die ihr die Arbeit vermittelt hatte, konnte sie sich nicht erinnern, die Telefonnummer ihrer bisherigen Dienstherren kannte sie nicht, ihr Lohn wurde ihr niemals ausgezahlt. Drei Monate saß sie im Gefängnis. In der Haft wurde sie depressiv und versuchte mehrfach, sich das Leben zu nehmen. Eine örtliche Organisation, die sich um solche Fälle kümmert, wurde auf ihr Schicksal aufmerksam. So kam sie frei und kehrte nach Äthiopien zurück, ist jedoch infolge der schrecklichen Erlebnisse schwer traumatisiert. Bis heute leidet sie an Angststörungen und Depressionen. Ihr Selbstwertgefühl ist dahin, mit Mühe versucht sie, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Für die Zukunft sieht sie keine andere Möglichkeit, als es noch einmal zu versuchen, im Ausland ein besseres Leben aufzubauen. „Ich will nicht wieder dorthin, aber wenn ich dort eine Arbeit finde, muss ich wohl gehen. Vielleicht in ein anderes arabisches Land. Diesmal habe ich vielleicht Glück“, meint sie. Nicht nur junge Frauen und Mädchen werden Opfer von Menschenhandel und Ausbeutung, sondern auch Jungen. Emanuel war 13, als er mit dem Segen seiner Eltern und 90 Euro in der Tasche sein Heimatdorf in Nordäthiopien verließ, um im Jemen oder in Saudi-Arabien Arbeit zu finden. Er zahlte einem „Vermittler“ fast sein ganzes Geld, damit dieser ihn über die Grenze nach Somalia bringen würde. Von dort aus sollte er in den Jemen gelangen, wo ihm eine Arbeitsstelle bei einer großen Baufirma versprochen worden war. Stattdessen erwartete ihn eine Odyssee durch Äthiopien, auf der Emanuel ständig hungern musste. Als er schließlich doch noch in der somalischen Hafenstadt Bossaso ankam, musste er ein Fischerboot besteigen. Mit dem Geld, das ihm geblieben war, bezahlte er die Überfahrt. In dem Boot hätten normalerweise höchstens 50 Menschen Platz finden können. Die Menschenhändler pferchten jedoch 250 Personen hinein, die so wenig Platz hatten, dass sie kaum atmen oder ihre Beine ausstrecken konnten. Als das Schiff drei Tage später im Jemen ankam, waren viele der illegalen Auswanderer nicht mehr am Leben. Die Menschenhändler hatten ihnen befohlen, mehrere 93


Kilometer vor der Küste ins Wasser zu springen, damit sie selbst keine Probleme mit der jemenitischen Küstenpolizei bekämen. Viele der Männer, Frauen und Kinder, die an Bord waren, konnten jedoch nicht schwimmen und ertranken jämmerlich. Einige andere waren von den Menschenhändlern bereits auf hoher See ins Wasser geworfen worden, um zu verhindern, dass das völlig überladene Schiff umkippte. Als er im Jemen ankam, erkannte Emanuel, dass die Menschenhändler ihn betrogen hatten. Niemand erwartete ihn an der Küste, um ihn zu seinem neuen Arbeitgeber zu bringen. Er war ganz allein und hatte drei Tage lang nichts gegessen. Schließlich folgte er einer Gruppe äthiopischer Einwanderer in die Stadt. Nachdem er einige Tage auf der Straße verbracht hatte, heuerte ihn ein jemenitischer Farmer an. Auf seiner Farm musste der 13-jährige Junge oft mehr als 15 Stunden am Tag die schwersten Arbeiten verrichten. Seinen Lohn sah er nie. Nach fünf Monaten gelang ihm die Flucht. Nun wollte der Junge in der Stadt sein Glück versuchen. Nach einigen Wochen, in denen er hungerte und alle Hoffnung verlor, wurde er von der Polizei festgenommen und nur mit dem, was er auf dem Leib trug, nach Äthiopien zurückgeschickt. Zu seiner Familie will der Junge nicht zurückkehren. Zu groß ist die Scham über das vermeintliche „Scheitern“. „Was würde mein Vater sagen? Was würden die Leute in meinem Heimatdorf sagen, wenn ich mit leeren Händen zurückkehre? Mein Vater hat seine wenigen Ziegen und seine Habseligkeiten verkauft, um den Vermittler zu bezahlen. Nun hat meine Familie nichts mehr. Sie alle warten darauf, dass ich Geld nach Hause schicke. Wie könnte ich also so zurückkehren?“, sagt er. Stattdessen will er nun in der Stadt Dire Dawa oder Jijiga im Grenzgebiet zu Somalia Arbeit finden. „Wenn ich genug Geld gespart habe, werde ich meiner Familie etwas davon schicken und dann versuchen, noch einmal in den Jemen zu gelangen.“ Emanuel und Belaynesh sind zwei von mehr als 25.000 jungen Frauen und Männern aus Äthiopien, die sich jedes Jahr durch falsche Versprechungen ins Ausland locken lassen. Viele werden ihre Geschichten nie erzählen können, weil sie auf der Reise ins Ungewisse ums Leben gekommen sind oder weil sie nie wieder den Weg in die Freiheit finden. Was erwartet wohl die vielen bunt gekleideten jungen Frauen, die an diesem Tag in Bahir Dar auf ihren Pass warteten?

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Eine unruhige Region Die vielleicht eindrucksvollste Station unserer Reise ist Gambella. Und das, obwohl das Auswärtige Amt auf seiner Website schreibt: „In der Gambella-Region wurden in letzter Zeit vermehrt sicherheitsrelevante Zwischenfälle, Stammeskonflikte und gewalttätige Auseinandersetzungen berichtet, teilweise auch ausgehend von Stammesgruppen aus Südsudan. Bei einem Überfall waren auch ausländische Staatsangehörige betroffen.“ Fast hätten wir in der Tat Pech gehabt, denn am ersten Abend berichtet ein Priester, für den nächsten Tag seien Demonstrationen angekündigt. Es könnte Unruhen geben, da es wieder einmal irgendwo ein Massaker gegeben habe. In diesem Fall würden die Mobilfunknetze abgeschaltet, und wir müssten im Haus bleiben. Am Ende war alles doch nur halb so schlimm, und wir konnten das Haus verlassen. Dass es unruhig ist, bemerkt man jedoch schon bei der Ankunft am Flughafen. Die starke Präsenz von Militärposten fällt sofort auf. Es ist ein winziger Flughafen mit je einem Flug pro Tag von Addis Abeba und zurück. Die Angestellten stellen die Bordkarten mit dem Kugelschreiber aus, ein Junge verkauft ein paar Getränke aus zwei Kühlschränken, die nicht funktionieren. Im Eingang wird das Gepäck von Hand durchsucht. Ein paar Fahrzeuge der UNO holen Passagiere ab. Auffällig ist, dass viele Fluggäste Pakistaner sind. Davon werden wir später noch hören. Die Zufahrtsstraße zum Flughafen ist unbefestigt, links und rechts öde Buschlandschaft. Es könnte eine Straße sein, die zu einer abgelegenen Missionsstation führt. Hinter einer Kurve erblicken wir auf einmal unzählige Menschen, die auf der Erde sitzen. Dazwischen laufen unzählige halb- oder ganz nackte Kinder herum oder schauen wie gebannt den wenigen Autos auf der Straße nach. Es sind Flüchtlinge aus dem Südsudan. Auch ihnen werden wir später noch begegnen. „Endlich ist es hier kühler!“, sagt Bischof Angelo Moreschi. „Dies ist die erste Woche, in der wir in unseren Betten schlafen können. Bisher haben wir draußen schlafen müssen, weil es so heiß war.“ Und lachend fügt er hinzu: „Aber dann hat mich immer eine Katze gestört.“ „Kühler“ ist relativ, denn noch immer sind es fast 40 Grad. Bei unserer Ankunft sieht es nach Regen aus. Es ist drückend und stickig. Überall wimmelt es von Fliegen. Sobald wir die Autotür öffnen, umschwirren sie uns. Bei den „Missionarinnen der Nächstenliebe“ sehen wir einen Kranken auf einer Trage liegen, der mit einem Wedel permanent die Fliegen verscheucht. Sicherlich ist er damit effektiver als die Schwester, die mit einer Dose Insektenspray versucht, der Plage Herr zu werden. Einige Fliegen sterben, unzählige kommen nach. Pater Dr. Andrzej Halemba von KIRCHE IN NOT, der lange Jahre Missionar in Sambia war, erzählt daraufhin einen Missionarswitz: „Im ersten Jahr stellt der Missionar den Suppenteller weg, wenn eine 95


Fliege in der Suppe ertrinkt. Im zweiten Jahr fischt er sie aus der Suppe und isst weiter. Im dritten Jahr isst er sie mit. Und wenn er ganz lange in Afrika war und wieder nach Hause zurückkehren muss, ist er so an die Fliegen gewöhnt, dass er welche einfängt und sie sich in die Suppe tut!“

Ein junges Mädchen trägt ein Perlhuhn zum Markt.


Abba Angelo – ein Leben für Äthiopien „Abba Angelo, Abba Angelo“, schreien die Kinder, wenn sie den alten, weißen Jeep mit der zersprungenen Frontscheibe erblicken. „Abba Angelo“, rufen auch die Erwachsenen dem Wagen hinterher. Bischof Angelo Moreschi sitzt selbst am Steuer. Ihn erkennt hier jeder schon aus der Ferne. Sogar die vielen Soldaten, die an der Landstraße die Autos anhalten, winken ihm und lassen ihn passieren. Man spürt: Hier ist der aus dem italienischen Brescia stammende Bischof wahrhaft zuhause. „In Äthiopien habe ich das Evangelium wirklich verstanden“, sagt er mit strahlenden Augen. Im Apostolischen Vikariat Gambella stimmt vieles von dem, was sich die meisten Menschen unter Afrika vorstellen. Es gibt sogar noch Löwen und andere wilde Tiere. Wenn die Leute in den Flüssen baden, müssen sie Angst vor Krokodilen haben. Das Klima ist extrem heiß, und wenn es Unwetter gibt, so sind sie heftig. In diesem Jahr flog bei einem Sturm eine ganze Kapelle einen Kilometer weit weg, berichtet der Bischof. Viele der Kapellen sind nämlich nur aus Brettern oder Ästen zusammengefügt. So kann ein gewaltiger Sturm sie mitreißen.

Schon durch unzählige Hände gegangen: Dieses völlig zerlesene Exemplar der Kinderbibel von KIRCHE IN NOT fanden wir in einer Dorfkapelle. 97


Die Haare des Mädchens sind von der Unterernährung ausgebleicht. Dieses traurige Phänomen sieht man leider bei vielen Kindern in Äthiopien.

Leider gibt es hier auch das, was vielen Menschen zu Äthiopien einfällt: Hunger. Vor allem in der Trockenzeit gibt es fast nichts zu essen. In jeder der zahlreichen Dorfkapellen sehen wir Kinder, deren krause Haare von der Unterernährung hell geworden sind. Die meisten von ihnen werden sterben, weil sie keine Widerstandskraft haben und Krankheiten sie hinwegraffen. Das kleine Mädchen mit dem kunstvollen Geflecht aus Zöpfchen, das in der ersten Reihe so inbrünstig singt, betet und zum Klang der Trommel in die Hände klatscht, ist schon vom Hunger gezeichnet. Abba Angelo bringt den unterernährten Kindern nährstoffhaltige Spezialkekse mit, wenn er die Dörfer besucht. Artig reihen die Kleinen sich auf, warten geduldig ab, bis jedes von ihnen ein Päckchen erhält. Als der Bischof sie segnet, falten sie brav ihre Händchen und beten versunken. Auf dem Altar, der aus Ästen zusammengezimmert 98


ist, liegt Nahrung für ihre Seelen: eine völlig zerfledderte Kinderbibel von KIRCHE IN NOT. Immer wieder muss der Katechet ihnen daraus vorlesen. Sie bekommen nicht genug von den Geschichten. Die Kinderbibel gießt die Frohe Botschaft in die Herzen dieser armen Kinder. Wenn die Kleinen von Jesus hören, strahlen ihre Augen. Die katholische Kirche ist hier willkommen. Viele Menschen sagen zu den Priestern: „Wenn die katholische Kirche kommt, wird alles fruchtbar“. Und sie staunen: „Wo die Kirche ist, ist Wasser. Die Regierung gibt uns schlechtes Wasser, aber die Kirche bringt gutes Wasser. Wir lieben euren Gott, bitte kommt auch zu uns!“ Die Kirche bringt nicht nur Wasser, sondern auch Getreidemühlen, Kindergärten und Hilfe bei der Entwicklung der Landwirtschaft. Sie möchte zudem auch Versöhnung zwischen den Stämmen stiften, denn immer wieder kommt es zu blutigen Fehden, insbesondere zwischen den

Alle Kinder kennen Abba Angelo Moreschi, den Bischof von Gambella.


Stämmen, die Ackerbau betreiben, und denen, die Viehherden weiden. Das Vieh frisst die Ernte ab, die Bauern nehmen den Hirten Weidefläche weg. „Es ist der Konflikt zwischen Kain und Abel, den wir aus der Bibel kennen“, sagt Bischof Angelo. Immer wieder werden Menschen deswegen getötet. Die Kirche möchte die verfeindeten Stämme lehren, dass es andere Lösungen für Konflikte gibt als die Sprache der Waffen. Bischof Angelo, der sich seinen Namen, der „Engel“ bedeutet, redlich verdient hat, feierte am 13. Juni 2012 seinen 60. Geburtstag. Dieses Jahr begeht er noch ein Jubiläum, denn seit 30 Jahren lebt und arbeitet er in Äthiopien. Sein halbes Leben. In Wirklichkeit ist es jedoch ein ganzes Leben, denn gegeben hat er alles. Seine Gesundheit ist ruiniert, sein Leben hat er an die Menschen verschenkt, die er liebt. Sein Hirtendienst hat schon heute Spuren hinterlassen. Manche Kinder im Apostolischen Vikariat Gambella nennen jeden Weißen „Abba Angelo“. Sie können sich nicht vorstellen, dass es weiße Menschen gibt, die nicht wie er sind. Und doch ist es fraglich, wie die Geschichte enden wird. Die Lage in der Region ist hochexplosiv. Wenige Tage vor unserer Reise haben Rebellen acht Männer erschossen, die von auswärts kamen und auf einer Farm arbeiteten. Kurz darauf geschah ein Mord an einem Pakistaner, einem Großgrundbesitzer. Es brodelt in der Region. Reiche Ausländer kaufen riesige Landflächen auf, die so groß sind wie manche europäischen Länder. Mit jedem Flugzeug kommen ausländische Investoren. Die Einheimischen werden hingegen enteignet. „Stellt euch vor, halb Deutschland würde an Inder und Pakistaner verkauft“, erklärt uns Bischof Angelo. Die einheimische Bevölkerung profitiert nicht davon, sondern wird ihrer Lebensgrundlage beraubt. Noch mehr Menschen hungern, die Hirten finden keine Weide mehr für ihr Vieh, die Wälder werden zerstört. Hass und Unruhe nehmen zu. Die Wut wächst, die Armee versucht, die Lage im Griff zu behalten, aber auch gegen die Soldaten regt sich Widerstand, denn oft misshandeln sie die Bevölkerung. Dazu kommt der Krieg zwischen Nord- und Südsudan, der Zustrom von Flüchtlingen und die Zunahme von Gewalttaten durch Rebellen im Grenzgebiet. Ein einheimischer Priester sagt beim Abendessen plötzlich: „Sie werden hier noch alle Ausländer töten.“ Auch der Bischof und die ausländischen Priester müssten sich Sorgen machen, meint er. Bischof Angelo will es nicht glauben: „Quatsch, die Leute kennen uns hier doch! Ihr habt doch gesehen, wie sie uns gewinkt haben!“ Und doch: Ein Zweifel bleibt. Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass die Stimmung kippt.

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Ein Dorf am Ende der Welt Schon vor dem Dorf Poul, einer der vier Außenstation der Pfarrei Itang, wird Bischof Angelo Moreschi von den älteren Dorfbewohnern mit traditionellen Tänzen begrüßt. Sie bewegen sich mit großer Leichtigkeit zum Rhythmus der Trommeln. Es ist ungewöhnlich, dass die älteren Leute tanzen, denn normalerweise tanzt eher die Jugend, während die Älteren zuschauen. Pfarrer Desaleng Doelaso erklärt uns: „Nach der Tradition tanzen die älteren Leute, um einen Stammeshäuptling zu begrüßen. Sie empfangen ihn vor dem Dorf und begleiten ihn tanzend hinein. Heute ist der Bischof gekommen. Ihm gebührt die gleiche Ehrerbietung wie früher den Stammeshäuptlingen.“ Anschließend zieht das ganze Dorf in einer großen Prozession aus Männern, Frauen und unzähligen Kindern zu der Baustelle, wo die Mehrzweckhalle entsteht, die KIRCHE IN NOT finanziert. Hier werden sich die Gläubigen in Zukunft zur heiligen Messe, zum Gebet, zur Katechese, zu Bildungsprogrammen und anderen Aktivitäten treffen. Traditionell wird in der Region mit Holz und Lehm gebaut. Solche Bauten sind zwar billig,

Die Gläubigen im Dorf Poul warten geduldig auf die Ankunft des Bischofs. 101


sie stürzen jedoch durch Regenfälle, Überschwemmungen und Termitenfraß schon nach wenigen Jahren ein. Damit das nicht immer wieder passiert, entsteht hier ein solides Gebäude. Die Dorfbewohner sind stolz darauf. Bislang gab es hier nämlich nichts außer Bäumen und winzigen Hütten. Das Dorf liegt fast buchstäblich am Ende der Welt. Die „Straße“ ist streckenweise schon in der Trockenzeit schwer befahrbar. Wenn der Fluss Baro in der Regenzeit über die Ufer tritt, ist das Dorf jedoch vier Monate lang ganz von der Außenwelt abgeschnitten. Die Einwohner können nicht einmal die Nachbardörfer erreichen. Der Pfarrer kann in dieser Zeit nur mit einem Motorboot zu den Gläubigen gelangen. Bis die Mehrzweckhalle fertig ist, müssen die Menschen noch unter den Bäumen auf der Erde sitzen, wenn der Priester kommt. Heute ist es sogar der Bischof, der zu ihnen spricht. Viele der Dorfbewohner bereiten sich erst noch auf die Taufe vor. Bischof Angelo betet mit ihnen das Vaterunser und erzählt ihnen von Gott. Frauen stillen im Hintergrund ihre Babys. Vorne sitzen die Dorfältesten. Sie alle wollen mehr über das Evangelium erfahren.

Diese Jungen haben gerade im Fluss gebadet. 102


Dieser ältere Mann tanzt zur Begrüßung des Bischofs.

Ein etwa einjähriges Mädchen, das auf dem Schoß seiner Mutter an einem der Kekse knabbert, die der Bischof zuvor verteilen ließ, hat auffallende Flecken im Gesicht und sieht krank aus. Diese Symptome werden durch Parasiten verursacht. Das ist kein Wunder, denn die Menschen baden im Fluss und verwenden das Flusswasser. Man kann es sich leicht vorstellen, wie viele Krankheiten dadurch übertragen werden. Eine Mutter haben wir auf dem Weg mit ihrem kleinen Kind im Wasser gesehen. Alles spielt sich am Fluss ab. Unterwegs sind wir einer Gruppe Jungen begegnet, die gerade aus dem Wasser gekommen sind. Eigentlich sahen sie aus wie nach einem Schlammbad, aber sie winkten uns begeistert zu und kamen zum Auto gerannt. Sie waren so dünn, dass man ihre Rippen sehen konnte. 103


Mit Trommeln wird der Bischof willkommen geheißen.

Eine junge Mutter kommt etwas zu spät zu der Versammlung. Sie trägt ein Kleinkind auf dem Arm und ist sichtlich schwanger. Behutsam und etwas schwerfällig setzt sie sich auf die Erde. So arm das Dorf ist, so reich ist es an Kindern. Pater Dr. Andrzej Halemba, Projektreferent von KIRCHE IN NOT, der lange Jahre Missionar in Sambia war und viele Länder Afrikas wie seine Westentasche kennt, meint dazu: „In Afrika ist das Überleben für kinderreiche Familien leichter. Wenn Eltern nur zwei oder drei Kinder haben, müssen sie sich ständig um sie kümmern. Sind es mehr, erziehen sich die Geschwister gegenseitig und übernehmen viele Aufgaben. Die Kinder sind dann auch sehr diszipliniert. In einem Dorf wie Poul wäre es mit wenigen Kindern viel schwieriger.“ Afrika ist entgegen landläufiger Überzeugungen nicht überbevölkert. Andere Kontinente wie Europa oder Asien sind viel dichter besiedelt. Äthiopien beispielsweise hat bei einer Fläche, die mit rund 1,1 Millionen Quadratkilometern mehr als dreimal so groß ist wie Deutschland, nur knapp 90 Millionen Einwohner. In Äthiopien leben auf einem Quadratkilometer durchschnittlich 72 Menschen, in Deutschland 229. Pater Halemba erklärt: „Afrika ist bedroht durch den gefährlichen geistigen Kolonialismus der westlichen Wertsysteme. Werte wie die Religiosität und die Familie waren immer der ganze Stolz des „Schwarzen Kontinentes“. Papst Benedikt XVI. sagte in seiner Predigt zur Eröffnung der Zweiten Afrikasynode, die im Oktober 2009 in Rom stattfand, dass die sogenannte Erste Welt dabei ist, ihren geistigen Giftmüll nach Afrika zu exportieren. Die traurige Wahrheit ist nämlich, dass viele Organisationen nur vorgeben, sich humanitären Aktivitäten zu widmen. In Wirklichkeit sind sie Nutznießer von Zuschüssen, die dafür verwendet werden, eine neuheidnische Moral und ein ethisches System zu fördern, das Abtreibung, Sterilisation und Empfängnisverhütung anstrebt.“ 104


Die Armut muss anders bekämpft werden. Bei der internationalen Caritas-Konferenz, die Anfang Juni 2012 in Wien stattfand, sagte der Präsident von Caritas International, Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga, die Erde verfüge über genug Ressourcen, damit niemand hungern müsse. Dank des wissenschaftlichen Fortschritts könne man heute so viele Nahrungsmittel produzieren wie nie zuvor. Wegen der verbreiteten Habgier diene dies jedoch nicht der Menschheit, sondern sei zu einem Geschäft der Wirtschaft geworden. Die Staatsführer in aller Welt müssten mithelfen, Hunger für immer von der Erde verschwinden zu lassen. Pater Werenfried van Straaten, der Gründer von KIRCHE IN NOT, findet in seinem Buch „Wo Gott weint“ klare Worte über den unnötigen Hungertod so vieler Menschen: „Jeder dieser Sterbefälle hätte vermieden werden können, wenn die besitzenden Völker ihr technisches Können früh genug in den Dienst der Weltnot gestellt hätten. Aber das haben wir nicht getan. Unser Geld und unsere Energie werden für andere Sachen missbraucht. Nicht um die Rettung, sondern um die Ausrottung des Menschengeschlechtes vorzubereiten. Denn im Weltraum, in der Tiefe der Ozeane und an unzugänglichen Stellen in fernen Ländern lauert der Tod und steht das Tier der Verwüstung zum Sprung bereit. Dazu werden die Reichtümer der Erde gebraucht und nicht, um den hungernden Kindern des Königs der Schöpfung Brot zu reichen.“

Die Dorfältesten empfangen Bischof Angelo Moreschi mit einem Tanz. 105


Im Apostolischen Vikariat Gambella wäre der Boden eigentlich fruchtbar. Was hier fehlt, ist beispielsweise ein Bewässerungssystem, das es gestatten würde, auch in der Trockenzeit die Felder zu bewirtschaften. Dazu kommt die Tatsache, dass ausländische Investoren das Land aufkaufen, die Bevölkerung aber nichts davon hat. Mancherorts wird Baumwolle angebaut oder auch Getreide für Biosprit, der in Europa verwendet wird, während die Kinder in den umliegenden Dörfern unterernährt sind. Kinder bereits im Mutterleib zu töten, wie es manche Organisationen im Rahmen der Armutsbekämpfung propagieren, wäre hingegen so, als würde man zur Bekämpfung bestimmter Krankheiten die Kranken ausrotten und das Ergebnis als Erfolg feiern. Der Hunger und die Armut sind auch eine Anfrage an unseren Wohlstand und unsere westliche Lebensweise. In Äthiopien habe ich endgültig verstanden, was Pater Werenfried mit einem eindrucksvollen Bild beschrieben hat: „Stellt euch vor, wir säßen zu

Bischof Angelo Moreschi lässt nährstoffhaltige Kekse an die Kinder verteilen. Viele Kinder sind unterernährt.


Hier entsteht mit Hilfe von KIRCHE IN NOT die Kapelle im Dorf Poul.

zehn Geschwistern an einem Tisch. Jeder von uns bekommt einen Teller Suppe. Was tun wir? Sie und ich und noch einer, drei von den zehn, wir essen zu dritt acht Teller leer, und den anderen sieben überlassen wir zwei Teller. Das tun wir nicht nur mit der Suppe, sondern auch mit dem Fleisch, mit den Kartoffeln, dem Gemüse, dem Brot und der Milch, mit allem, was für uns zehn auf den Tisch kommt. Das tun Sie, das tue ich, das tun wir alle. Denn wir gehören zu den 30 Prozent der Weltbevölkerung, die in Ruhe 80 Prozent der Früchte der Erde aufessen, während die übrigen 70 Prozent mit dem Rest zufrieden sein müssen. (...) Wir trinken die Milch, die eigentlich den zwanzig, dreißig oder gar vierzig Prozent der Babys zukommt, die in bestimmten Ländern in ihrem ersten Lebensjahr sterben müssen, weil sie keine Milch haben. Vier von zehn Babys können ihr erstes Lebensjahr nicht vollenden, weil wir es zu gut haben.“ Jeden Tag sterben in Afrika 12 000 Kinder unter fünf Jahren. Das sind mehr als 4,6 Millionen im Jahr. Die meisten von ihnen sterben an Unterernährung oder an Krankheiten, die eigentlich leicht behandelbar wären. Jeder Missionar kann bestätigen: „Eine afrikanische Mutter weint genauso um ihr Kind wie eine deutsche Mutter!“ Man braucht keine übersinnlichen Fähigkeiten zu haben, um zu erkennen, dass in Poul noch viele Kinder an Hunger und Krankheiten sterben werden. Auf der Rückfahrt sehen wir am Wegesrand zwar Frauen, die Mehlsäcke auf dem Kopf tragen, aber nur von Mehl allein können sie ihre Kinder nicht ernähren. Die Frauen kommen von der Getreidemühle, die die katholische Kirche eingerichtet hat. Immerhin ein Anfang. Vorher gab es gar nichts. Auf die Dauer wird die Kirche hier noch mehr aufbauen, um das Leben der Menschen zu verbessern. Aber manche der Kinder werden das nicht mehr erleben. 107


Ein M채dchen an einer Wasserpumpe. 108


Ein Junge schaukelt neben der Dorfkapelle. 109


Wo Rahel um ihre Kinder weint „Vorsicht! Nehmt die Kameras weg!“ In einer riesigen roten Staubwolke donnert der Jeep einer Sicherheitspatrouille an uns vorüber. Es ist gerade noch einmal gut gegangen. Die Soldaten können rabiat werden, wenn sie jemanden erwischen, der sich den Flüchtlingen aus dem Südsudan nähert, die erschöpft an der Straße zum Flughafen der westäthiopischen Stadt Gambella sitzen. „Sehr schrecklich“, nennt der Priester, der uns begleitet, die Sicherheitskräfte. Kameras sind nicht erwünscht, aus dem Fahrzeug aussteigen dürfen wir nicht. Heimlich nehmen wir vom Autofenster aus Fotos auf. Unter einem Baum nahe der Straße sitzen ausgemergelte Frauen mit halbnackten Kleinkindern. An den Ästen haben sie bunte Plastiktüten aufgehängt. Darin ist alles, was sie auf dem langen Fußmarsch mit sich tragen konnten. Das Thermometer zeigt noch immer fast 40 Grad an. Mehr als 200 Kilometer sind viele der Flüchtlinge durch die mörderische Hitze gelaufen, bis sie endlich eine vorläufige Bleibe gefunden haben. Eine ausgezehrte Frau erblickt unser Auto, steht auf, streckt flehend die Arme aus. Fast ein biblisches Motiv. „Rahel weint um ihre Kinder“, schießt es mir unwillkürlich durch

So oft es geht, schickt der Bischof einen Tankwagen mit Wasser zu den Flüchtlingen aus dem Südsudan. 110


den Kopf. Acht Kinder, die um den Baum herumspringen, fängt sie ein und schart sie um sich. Sie macht Gesten, als bettele sie darum, dass die Welt ihr Elend sieht. Sie zeigt auf ihre Kinder, reckt die Hände gen Himmel. Alt sieht sie aus. Nach dem Alter der Kinder zu urteilen, kann sie jedoch erst um die dreißig sein. Wie mag sie mit acht Kindern den Fußmarsch bewältigt haben? Soweit das Auge reicht, überziehen farbige Flecken die karge Landschaft. Überall im Busch haben entwurzelte Menschen eine armselige Unterkunft gefunden. Die meisten von ihnen sind Frauen und Kinder. Die Männer sind im Krieg. Ein kleiner Junge spielt mit einem alten Fahrradreifen, Kinder klettern im Gestrüpp herum, wiegen sich auf den Ästen eines Busches und schaukeln. Die Mütter hocken auf Tüchern oder auf der nackten Erde. Im Gebüsch trocknet Wäsche. Rauch steigt von einigen Feuerstellen auf. In wenigen Töpfen kocht die Mahlzeit, die für viele reichen muss. Allein im Apostolischen Vikariat Gambella, das an den Südsudan grenzt, haben bislang zehntausende Flüchtlinge Zuflucht gesucht. Täglich werden es mehr. Bischof Angelo Moreschi tut alles, was in seiner Macht steht, um ihnen zu helfen. Sooft die Behörden es erlauben, schickt er einen Tankwagen zu den durstigen Menschen. Wasser ist hier

Flüchtlinge aus dem Südsudan sitzen erschöpft an der Straße. Eine Frau streckt flehend die Arme aus. 111


Ein Flüchtlingsjunge aus dem Südsudan hat Brennholz gesammelt.

unermesslich kostbar. Ebenso kostbar sind jedoch Worte und Gesten der Hoffnung. Da, wo die Flüchtlinge länger bleiben und es gestattet wird, spenden die Priester auch den Seelen Trost. Die meisten der Südsudanesen sind Christen. Bereits drei Flüchtlingskapellen gibt es an verschiedenen Orten des Vikariats. In Zukunft wird noch viel mehr Hilfe benötigt werden, denn auch in diesem Augenblick packen Frauen im Südsudan ihr Bündel, scharen ihre Kinder um sich und machen sich auf den weiten, beschwerlichen Weg. Die Zeichen für die Zukunft stehen schlecht. Es droht ein Krieg zwischen dem Nordund dem Südsudan. Experten sprechen davon, dass ein solcher Krieg noch fatalere Folgen haben könnte als der Bürgerkrieg zwischen 1983 und 2005, der mehr als zwei Millionen Menschenleben forderte und viele Millionen Menschen heimatlos machte. Wenn es keinen Frieden zwischen Nord- und Südsudan geben wird, wird wieder eine Generation. Die Freudenfeuerwerke und Trommeln, mit denen die menschen im Südsudan die „Geburt“ ihres eigenen Staates feierten, sind längst vergessen. Wenn es keinen Frieden zwischen Nord- und Südsudan geben wird, wird wieder eine Generation von Kindern nichts anderes kennen lernen als Angst, Tod und Gewalt oder das Elend eines Flüchtlingslagers. „Es gibt das Böse. Wenn jemand nicht daran glaubt, möchte ich ihn hierher bringen und ihm alles das zeigen, was hier geschieht“, sagt Pater Dr. Andrzej Halemba, Projektreferent von KIRCHE IN NOT. Wir müssen weiterfahren, dürfen nicht zu lange stehen bleiben. Kinder winken uns. Wir winken zurück. Mehr können wir in diesem Moment nicht tun. Denn Sicherheitspatrouillen donnern die Straße zum Flughafen von Gambella entlang, wo Rahel um ihre Kinder weint. 112


Auf der Flucht vor dem Hungertod und vor Al-Shaabab Teils jahrelang war der Regen am Horn von Afrika ausgeblieben. Das Ergebnis: 12,4 Millionen hungernde Menschen, darunter 750 000 unmittelbar vom Tod bedroht. In der zweiten Hälfte des Jahres 2011 berichteten die Medien einige Monate lang über die dramatische Lage. Die erschütternden Bilder und Berichte gingen um die Welt. Vor allem das Foto eines toten Babys, das gerade in einer kleinen Grube beerdigt wurde, bleibt mir unvergesslich. Das winzige, braune Kind lag bereits in dem Erdloch. Wenige Sekunden später wurde mit bloßen Händen Erde auf das unbedeckte Baby geschüttet. Wieviele Tausend Mal haben sich solche Szenen abgespielt? Viele Todesfälle am Horn von Afrika hätten vermieden werden können. Viel früher hätte die internationale Gemeinschaft reagieren können. Die Hungersnot zeichnete sich bereits 2010 klar ab. Die Salesianer Don Boscos in Äthiopien, die den Flüchtlingen im Grenzgebiet zu Somalia helfen, beklagen, dass damals keiner darauf hörte, als vor einer großen Katastrophe gewarnt wurde. Auch jetzt ist das Interesse der Weltöffentlichkeit an der Lage am Horn von Afrika wieder weitgehend erloschen und richtet sich auf andere Brennpunkte. Aber die Dürre hält an. Noch immer kommen jeden Tag viele somalische Flüchtlinge nach Äthiopien. Sie fliehen nicht nur vor dem Hungertod, sondern auch vor den islamistischen Al-Shaabab-Milizen, die weite Teile Somalias kontrollieren. Binnen drei Jahren haben sie mehr als 18 000 Zivilisten getötet. Eine Million Menschen mussten fliehen. Al-Shabaab wird von den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union wegen ihrer Verbindung zur al-Qaida offiziell als Terrororganisation bezeichnet. Sie wollen einen islamischen Gottesstaat errichten und rekrutieren junge Menschen, die in radikal-islamistischen Schulen ausgebildet werden, in denen der „Heilige Krieg“ und der „Märtyrertod“ durch Selbstmordattentate verherrlicht werden. Als 2010 die große Hungerkatastrophe begann, verwiesen die Al-Shaabab-Milizen alle westlichen Hilfswerke des Landes. Nun versuchen sie, die Verzweifelten an der Flucht zu hindern. Sie halten die Menschen auf, die bereits viele Tage lang mit ihren Kindern Hunderte Kilometer zu Fuß durch die Hitze gelaufen sind, und zwingen sie dazu, wieder umzukehren. Viele der Flüchtlinge geben jedoch nicht auf. Sie versuchen, an einer anderen Stelle die Grenze zu passieren. Es ist ein Umweg von mehreren Wochen. Die meisten sind Frauen, Kinder und ältere Leute, denn viele Männer wurden in Somalia von Al-Shabaab entführt oder getötet. Völlig erschöpft kommen die Flüchtlinge in dem Durchgangslager in Dolo Odo im Südosten Äthiopiens an. Dort müssen sie einige Tage verbringen, um sich registrieren zu lassen. Die Registrierung nimmt Zeit in Anspruch. Jeder einzelne Flüchtling muss erfasst werden. Da 113


die meisten nicht schreiben können, signieren sie das Formular mit ihrem Fingerabdruck. Tagelang warten sie, bis sie endlich an der Reihe sind, denn jeden Tag können nur 50-70 Flüchtlinge registriert werden. In dieser Zeit helfen ihnen die Salesianer mit Lebensmitteln und sauberem Trinkwasser. Außerdem brauchen viele dringend medizinische Hilfe. Solange die Menschen nicht registriert sind, haben sie nicht den offiziellen Status von Flüchtlingen und fallen aus den Versorgungsprogrammen der Vereinten Nationen heraus. KIRCHE IN NOT unterstützt das Hilfsprogramm der Salesianer Don Boscos, damit die Flüchtlinge nach dem langen, erschöpfenden Fußmarsch mit dem Nötigsten versorgt werden können. Pater Cesare Bullo von den Salesianern in Addis Abeba zeigt uns Dutzende Fotos von Menschen, die in Dolo Odo Zuflucht gesucht haben. So viele Gesichter, so viele Schicksale auf wenige Quadratzentimeter Fotopapier gebannt. Zu unserer Enttäuschung durften wir die Flüchtlingslager in diesem Teil des Landes nicht besuchen. Die Al-Shaabab-Milizen treiben nämlich mittlerweile auch in der äthiopischen Somali-Region an der Grenze zu Somalia ihr Unwesen. Übrigens: Die meisten der Flüchtlinge sind Muslime. Sie haben Todesangst vor ihren eigenen fanatischen Glaubensgenossen. Unter fanatischen Islamisten leiden alle: Christen und Muslime gleichermaßen.

Flüchtlinge aus Somalia lassen sich registrieren. Sie „unterschreiben“ mit einem Fingerabdruck. 114


Äthiopien – ein muslimisches Land? Manche glauben, Äthiopien sei ein muslimisches Land. Einige sind ganz verwundert, wenn sie erfahren, dass die Kultur und Geschichte des Landes so stark im Christentum verwurzelt ist und Äthiopien ein uraltes christliches Land ist. Dennoch kam es bereits im siebten Jahrhundert mit dem Islam in Berührung. Einige Quellen besagen, dieser erste Kontakt habe um das Jahr 615, also noch zu Lebzeiten des Propheten Mohammed, stattgefunden, andere berichten, es sei um 640, wenige Jahre nach seinem Tod, dazu gekommen. Einig sind sich die Quellen darüber, dass die ersten Anhänger Mohammeds in Mekka verfolgt wurden und daraufhin flohen. Sie fanden Zuflucht in Äthiopien und wurden dort freundlich aufgenommen, was dazu führte, dass der Koran die Äthiopier als „demütiges Volk von Priestern und Mönchen“ bezeichnet und den „Heiligen Krieg“ gegen sie verbietet. Im Laufe der Zeit breitete sich der Islam immer weiter aus. Heute machen Muslime einen Anteil von etwa 40 Prozent an der äthiopischen Bevölkerung aus. Manche Regionen sind überwiegend islamisch geprägt, so beispielsweise die Somali-Region im Grenzgebiet zu Somalia. Auch in weiten Gebieten im Osten der Diözese Adigrat an der Grenze zu Eritrea leben überwiegend Muslime.

Ausblick vom Balkon des Priesterseminars in Addis Abeba: eine neue Moschee. 115


In den Straßen Äthiopiens sieht man immer mehr verschleierte Frauen.

Bischof Tesfasellassie Medhin von Adigrat erzählt uns, dass die Menschen in seiner Diözese in der jüngeren Vergangenheit viel gelitten haben. Eritrea hatte 1993 nach fast dreißig Jahren Krieg die Unabhängigkeit erlangt. 1998 brach zwischen Äthiopien und Eritrea wieder ein Krieg aus. Damals wurde fast die Hälfte der Diözese zerstört. Bis heute dauern die Bemühungen an, alles das, was im Krieg vernichtet wurde, wieder aufzubauen. Um all diesen Herausforderungen zu begegnen, arbeiten in Adigrat Katholiken, Orthodoxe und Muslime eng zusammen. Denn sie müssen nicht nur der physischen Zerstörung der Gebäude und der Infrastruktur begegnen, sondern vor allem auch einem Ozean von menschlichem Leid: heimatlose Menschen, Waisenkinder, Kriegsversehrte, Herzen, in denen noch Hass lodert, sowie immer mehr Aids-Kranke bedürfen der Hilfe und der Fürsorge. Katholiken, Orthodoxe und Muslime haben sich zusammengeschlossen, um gemeinsam Kranke und Gefangene zu besuchen, Armen zu helfen, Versöhnung zu säen und gemeinsam einen Weg in die Zukunft zu finden. „Wir haben drei ineinandergelegte Hände als Symbol für unsere Aktivitäten gewählt“, erklärt der Bischof. Besonders nahe waren sich Katholiken, Orthodoxe und Muslime, als 2005 Papst Johannes Paul II. starb. „Ich habe an Muslime und Orthodoxe einen Brief geschrieben, um sie einzuladen, mit uns gemeinsam zu beten und für das Leben des Heiligen Vaters zu danken. Bei der Gedenkmesse, die gleichzeitig mit seinem Begräbnis in Rom stattfand, war ein Viertel der Kathedrale voll von Muslimen. Nach dem Requiem haben wir die Orthodoxen und die Muslime in den Altarraum gebeten und haben mit ihnen gemeinsam gebetet. Es war unglaublich! Nach dem Gottesdienst haben wir alle zu einem gemeinsamen Frühstück eingeladen. Alle haben erzählt, was Johannes Paul II. ihnen bedeutet hat und wie sehr sie ihn geschätzt haben.“ 116


In Äthiopien entstehen immer mehr neue Moscheen.

Über dem Altar der Kathedrale von Adigrat hängt ein Gemälde, das ein äthiopischer Künstler gemalt hat. Darauf ist das Jüngste Gericht dargestellt. Bischof Tesfasellassie Medhin hatte angeregt, dass auf dem Bild der Wiederkunft Christi nicht nur die Kathedrale von Adigrat, sondern auch die älteste orthodoxe Kirche der Stadt sowie eine Moschee abgebildet werden solle. „Ich glaube, dass Christus bei seiner Wiederkunft nicht fragen wird, ob man orthodox, katholisch oder Muslim war, sondern, ob man seinen Glauben recht gelebt hat“, betont der Bischof. Und er erzählt noch eine Geschichte: „Als ich zum Bischof geweiht wurde, besuchte ich ein Dorf, um dort die heilige Messe zu feiern. Auch Orthodoxe und Muslime nahmen daran teil, und Muslime spendeten einen Ochsen für das anschließende Fest. Dies sind nur ein paar Beispiele, dass wir in freudigen und traurigen Tagen zusammenhalten.“ 117


Ein Moslem in Addis Abeba.

Dennoch weiß der Bischof, dass nicht alles nur rosig ist: „Man darf natürlich auch nicht naiv sein. Wenn Muslime in der Überzahl sind, können sie leicht die Christen dominieren. Aber Angst löst keine Probleme. Wenn wir uns vor dem Islam fürchten, können wir nichts Gutes bewirken. Wir müssen einen klugen Dialog führen und gemeinsam handeln. In der heutigen Welt haben wir keine Alternative. Am wichtigsten ist es, dass die Kinder gemeinsam aufwachsen und einander kennen lernen. Wenn sie gemeinsam aufwachsen, werden sie nicht aufeinander schießen.“ Obwohl es in einigen Gebieten bisweilen zu Konflikten kommt und sogar vereinzelt Kirchen in Brand gesteckt werden, ist das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen in Äthiopien traditionell eher gut. Solche Übergriffe sind bislang Einzelfälle. Dennoch ist leicht zu erkennen, dass der Islam sich immer mehr ausbreitet und teilweise radikalisiert. Viele neue Moscheen entstehen, eine davon wurde kürzlich direkt neben dem Priesterseminar in Addis Abeba errichtet. Auch verschleierte Frauen sind im Straßenbild keine Seltenheit mehr, Übereinstimmend berichten uns unsere Projektpartner, dass man noch vor einigen Jahren keine Frauen mit Gesichtsschleier gesehen hat. Bereits jetzt sind Muslime nach den orthodoxen Christen die zweitgrößte Religionsgemeinschaft des Landes. 118


320 Kilometer für eine E-Mail Leider konnten wir Pater Boniface Isenge während unserer Reise nicht besuchen. Äthiopien ist immerhin dreimal so groß wie Deutschland. So war es unmöglich, überall dorthin zu gelangen, wo die Katholische Kirche Gott und den Menschen dient. Aber der kenianische Spiritanerpater hatte uns bereits vor einiger Zeit seine Geschichte erzählt, als er unsere internationale Zentrale in Königstein im Taunus besuchte und uns um Hilfe bat. Wenn Pater Boniface seine E-Mails checken will, muss er 320 Kilometer zurücklegen. Denn im Busch im Süden Äthiopiens, wo er als Missionar mit den Menschen aus dem Stamm der Borana zusammenlebt, gibt es kein Internet. Auch sonst gibt es sehr wenig von dem, was wir für gewöhnlich als „Zivilisation“ bezeichnen. Die Borana sind Nomaden. Ein Teil von ihnen ist zwar schon sesshaft geworden, weil katholische Missionare Brunnen gebohrt haben, in deren Umkreis sich die Menschen niedergelassen haben. Aber noch immer ziehen viele von ihnen auf der Suche nach Weideplätzen mit ihren Rinderherden umher. Die Kühe sind ihr größter Reichtum. Ein Rind hat für sie so großen Wert, dass sie es nicht einmal verkaufen würden, berichtet Pater Boniface. Da der Süden Äthiopiens jedoch sehr trocken ist, ist Wasser eine Frage von Leben oder Tod. Da ist es kein Wunder, dass es oft zu Kämpfen mit den Angehörigen anderer Stämme kommt, wenn das Wasser oder die Weidemöglichkeiten knapp werden und ein Stamm sein Vieh auf das Gebiet des anderen treibt. Seitdem die Katholische Kirche hier präsent ist, gibt es weniger Kämpfe. Vorher war es selbstverständlich: Ein Mann musste tapfer sein. Zog der andere die Waffe, musste auch er sein Gewehr benutzen. Es hieß: „Er oder ich“. Heute wird das langsam anders: Die christlichen Stammesangehörigen rufen sofort dazu auf, Frieden zu schließen. Auch für die Frauen verändert sich das Leben zum Positiven: In der Kultur der Borana „heiratet“ ein Mädchen nicht, sondern „wird geheiratet“. Bei der Trauung wird es nicht gefragt, ob es einverstanden ist. Es gab bislang kein Bewusstsein für die Würde der Frau. Wurde ein Mädchen vor der Hochzeit schwanger, wurde es an einen feindlichen Stamm verkauft. Die Katholische Kirche lehrt die Menschen, dass Mann und Frau vor Gott denselben Wert haben. Immer größer wird auch das Interesse an Bildung. „Wir halten die Leute dazu an, ihre Kinder in die Schule zu schicken und Bildung lieben zu lernen“, sagt Pater Boniface. Das gilt auch für die Mädchen. Die Spiritanerpatres haben in der Region mehrere Schulen eröffnet. Erst waren die Menschen misstrauisch. Aber sie haben verstanden, dass Bildung ihnen dabei hilft, ihre Lebensumstände zu verbessern und ihre Rechte zu vertreten. Außerdem können sie ihren Glauben vertiefen, indem sie die Bibel und religiöse Schriften lesen. „Die Menschen lieben es, uns zuzuhören. Sie haben sich gefreut, als wir zu ihnen kamen. Sie sind sehr gastfreundlich und haben gleich ihr Essen und die Milch ihrer 119


Kühe mit uns geteilt. Sie wissen auch, dass wir ihnen helfen. Wir teilen alles mit ihnen, holen Wasser mit ihnen, legen mit ihnen die Fußmärsche zurück“, erzählt Pater Boniface. Als er zu den Borana kam, musste er erst ihre Sprache erlernen, und das war gar nicht so einfach. Aber er berichtet, dass die Borana sich darüber freuen, einen Ausländer ihre Sprache sprechen zu hören. Dies sei sogar hilfreich, denn sie hören aufmerksam zu und korrigieren ihn – und auf diese Weise kommt die Botschaft an: „Dies ist ein Teil meiner Freude“, sagt er uns strahlend. Die älteren Leute nehmen den christlichen Glauben nicht so schnell an, aber die Jugendlichen, vor allem die jungen Mädchen, sind sehr offen für die christliche Lehre. Die heilige Messe ist gut besucht. Wenn die Glocke einmal läutet, sind schon alle Gläubigen da und warten auf den Priester. Bleibt der Priester aus, fragen alle, wo er ist. Pater Boniface Isenge will, dass der Glaube „starke Wurzeln“ hat. Um stark verwurzelt zu sein, ist ein Gotteshaus wichtig, in dem die heilige Messe gefeiert werden kann und sich die Gläubigen versammeln können. 16 Kilometer von der ersten Missionsstation der Spiritaner in Dhadim entfernt liegt Hako Bake. Dies ist die Ortschaft mit dem wichtigsten Markt in der Region. Viele Christen haben sich bereits dort angesiedelt, weil sie dort Handel treiben und etwas verdienen können. Sie leben zu weit von der Missionsstation entfernt, wo die Katechese stattfindet und die Gottesdienste gefeiert werden. So vergessen sie teilweise, dass der Sonntag der Tag des Herrn ist, und haben kaum eine Möglichkeit, ihren Glauben zu leben und weiterzuentwickeln. Um dem entgegenzuwirken, bauen die Missionare dort mit Hilfe von KIRCHE IN NOT eine Kirche, die ein wichtiges Zentrum der Evangelisierung unter den Borana sein wird.

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Kirchen – ein überflüssiger Luxus? Mancher Leser wird sich vielleicht fragen, warum man in einem armen Land wie Äthiopien den Bau von Kirchen unterstützen sollte. Ist dies kein überflüssiger Luxus? Sollte man nicht lieber etwas Nützliches bauen? Im Gespräch mit unserem Hilfswerk schildern afrikanische Bischöfe und Priester jedoch immer wieder, wie wichtig für die afrikanischen Christen Kirchengebäude sind. Die Afrikaner haben ein starkes Empfinden für den „heiligen Raum“. Oft bedauern sie, dass sie sich von manchen europäischen Katholiken in diesem Anliegen nicht verstanden fühlen. Das Gespür für das Heilige und für das Geheimnis geht in der westlichen Welt mehr und mehr verloren, während es in Afrika selbstverständlich ist. Bischof Angelo Moreschi von Gambella erklärt: „Wir müssen die Evangelisierung und die Entwicklungshilfe verbinden. Denn für die Afrikaner ist alles spirituell. Wenn wir das Geistliche nicht berühren, speisen wir sie nur mit einer halben Sache ab.“ Zudem ist die Kirche das Herz einer Gemeinde. Das gesamte Leben spielt sich rund um die Kirche ab. In Gebieten, in denen beispielsweise der Islam stark vertreten ist, fühlen sich die Gläubigen sogar minderwertig, wenn ihr Gott kein Haus hat, während die Muslime eine imposante Moschee nach der anderen bauen. Manchmal werden Christen dann von ihren muslimischen Nachbarn gedemütigt. Immer wieder sagen ihnen die an-

Eine völlig überfüllte Dorfkapelle. 121


deren: „Schaut mal, was ist das für ein Gott, der in einer baufälligen Hütte wohnt? Was habt ihr nur für eine elende Religion!“ Pater Werenfried van Straaten, der Gründer von KIRCHE IN NOT, erzählte immer wieder, dass ein Bischof aus einem Entwicklungsland sich einmal bei ihm beklagte. „Wenn ich einen Stall für die Schweine bauen möchte, ist es kein Problem, das Geld von einer Hilfsorganisation zu erhalten. Aber wenn ich Gott ein Haus bauen will, bekomme ich nichts.“ Auch in Äthiopien hören wir Ähnliches. Einer der Bischöfe wird regelrecht wütend, als er davon spricht. Er sagt uns: „Euer Hilfswerk ist anders, und deshalb schätze ich euch so. Aber sogar viele katholische Organisationen geben immer mehr ihre Identität auf. Sie wollen Andersgläubige nicht vor den Kopf stoßen und verlieren vollkommen ihr Rückgrat. Manche werden sogar beleidigend, wenn ich um Hilfe für Kirchen, Klöster oder Pfarrhäuser bitte. Eine Organisation antwortete mir: ,Wir sind nicht dazu da, um Unterkünfte für Priester und Schwestern zu bauen!‘ Ich erwiderte: ‚Priester und Schwestern können doch nicht in Hotels wohnen! Wollt ihr, dass ich meine Berufung zu hassen beginne? Wir verlieren hier immer mehr an Boden. Überall werden Moscheen gebaut!‘“ Er warnte die Industrieländer: „Der Verlust des Charakters wird auch euch schwächen. Die Länder, die die Welt missioniert haben, werden dann am Ende auch uns schwach machen, denn unsere Länder werden von dieser Mentalität vollkommen erfasst werden.“ Deshalb ist es für KIRCHE IN NOT ein Herzensanliegen, den Gläubigen dabei zu helfen, Kirchen und Kapellen zu bauen.

Eine kleine Dorfkapelle aus Lehm. 122


„Ich war hungrig ...“ Vor vielen Jahren schrieb Pater Werenfried einen Brief an Jesus Christus. Darin stellte er ihm eindringlich die Not der vielen Menschen vor Augen, denen er auf seinen Reisen begegnet war und in denen er Christus selbst erkannt hatte. Auch wir haben auf unserer Reise durch Äthiopien Christus getroffen. Er wohnte in einer Grashütte am Ende der Welt oder schlief in einem Betonrohr auf einer Baustelle in Addis Abeba. Seine Eltern hatten ihn als Baby ausgesetzt oder waren tot. Er hatte Hunger, er hatte Durst, er hatte Malaria, Aids oder Tuberkulose. Seine Haare waren blond von der Unterernährung. Auf seinem Gesicht saßen Fliegen. Er weinte. Er war nackt. Er war ein Flüchtling. Viele Hundert Kilometer war er durch die sengende Hitze gelaufen, geflohen vor den Todesmilizen in Somalia und vor dem Krieg im Sudan. Skrupellose Menschenhändler hatten ihm ein besseres Leben versprochen. Sie verschleppten ihn stattdessen in die Sklaverei oder stießen ihn unterwegs aus dem Boot. „Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben, ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben, ich war nackt, und ihr habt mich gekleidet“ (Mt 25,35-36) – alles das nimmt die Katholische Kirche in Äthiopien Tag für Tag wörtlich. Sie ist barmherziger Samariter und Zeugin der wunderbaren Brotvermehrung. Allzu oft stehen Priester und Schwestern aber auch mit leeren Händen vor dem Ozean der Not. Sie bitten uns um Hilfe – nicht für sich, sondern für diejenigen, in denen Christus weint. Ich möchte dieses Buch mit den Worten schließen, die Pater Werenfried in seinem Brief an Christus gerichtet hat. Sie sind heute für KIRCHE IN NOT ebenso aktuell wie damals. Deshalb ersetze ich hier, fast zehn Jahre nach dem Tod Pater Werenfrieds, das Wort „ich“ durch „wir“: „Bittet uns jemand in Deinem Namen, so wagen wir es nicht, ihn ohne Hilfe wegzuschicken. Denn wir denken immer, Du selbst stehst vor uns und klagst Dein Leid, und Du selbst schreibst die Briefe, in denen an unsere Hilfe appelliert wird. (...) Nachdem Du tausendmal zu uns gekommen bist in den Notleidenden, die uns zu helfender Liebe bewegt haben, kannst Du nicht wollen, dass wir sie jetzt im Stich lassen. Darum stehen wir an Deiner Tür und klopfen an. Zu allen Fenstern dieses Hauses rufen wir und bitten. Du hast gesagt: ‚Bittet, und ihr werdet empfangen, klopfet an, und es wird euch aufgetan werden ...‘ Öffne jetzt die Herzen aller, die diese Zeilen lesen. Lass sie einsehen, wie schlimm es wäre, wenn wir Tausende enttäuschen müssten. Lass sie ehrlich die Not der anderen mit ihrem eigenen Wohlstand vergleichen. Und lass sie barmherzig sein nach ihrem Vermögen, auf dass sie selbst Barmherzigkeit erfahren. Amen.“

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Seminaristen in Addis Abeba.

Viele Menschen leben vom M端llsortieren. Diese Jugendlichen wurden aggressiv, als sie uns bemerkten. 124


Ein kleines M채dchen in einer Dorfkapelle singt inbr체nstig mit und klatscht in die H채nde. 125


Artikel für ein aktives Glaubensleben Glaubenspaket Grundausstattung Die wichtigsten Gegenstände für den katholischen Glauben – in einem Paket. Inhalt: Neues Testament, Kleiner Katholischer Katechismus, Kreuz, Papst-Rosenkranz, Betrachtungen, Grundgebete, Tipps für den Glaubensalltag und vieles mehr. Format: 31 x 24 x 6,5 cm 19,90 Euro* Art.-Nr.: 2007 Sonderausgaben zu den Sakramenten der Taufe, Erstkommunion und Firmung sowie Seelsorge und Kinderbibel erhältlich. Die Prayerbox ist ein kleines handliches Döschen, das in jede Tasche passt. Sie dient dem Gebet unterwegs und auf Reisen – also immer, wenn der Platz knapp wird. In der Prayerbox sind enthalten: 10-Perlen-Rosenkranz, „Kreuz der Einheit“, Weihwasserfläschchen, Grundgebete auf Deutsch, Englisch und Italienisch 2,00 Euro* Art.-Nr.: 2004 Sonderausgabe für Pilger erhältlich. Die Kinderbibel ist eines der größten Projekte von KIRCHE IN NOT. Weltweit wurden bereits fast 50 Millionen Exemplare in 172 Sprachen verbreitet, um Kindern und Familien überall die Frohe Botschaft in ihrer Muttersprache zu überbringen. Die Texte der Kinderbibel sind in kindgerechter Sprache verfasst. Die vielen bunten Illustrationen vermitteln die Inhalte des Alten und Neuen Testaments altersgerecht und verständlich. Querverweise zur Einheitsübersetzung sind abgedruckt. Für Kinder ab 5 Jahren geeignet. 2,50 Euro*, Art.-Nr.:5003 Die Kinderbibel gibt es auch als Hardcover, Mal-, Bilder- und Hörbuch und im bekannten „Pixi“-Format mit Kurzgeschichten aus der Bibel. Am Beginn unseres Werkes steht der Priester Werenfried van Straaten, genannt der „Speckpater“. Mit unerschütterlichem Gottvertrauen ausgestattet bettelt der Niederländer nach dem II. Weltkrieg zunächst für die Deutschen und sammelt im Laufe der Jahre Milliarden für die Kirche in Not weltweit. Dieses Buch erzählt packend von der Anfangszeit des Hilfswerks KIRCHE IN NOT. 5,00 Euro* Art.-Nr.: 5025 Weitere Schriften von und über Pater Werenfried erhältlich. Adressen und Bestellmöglichkeiten finden Sie auf Seite 128. *Versandkosten bei kostenpflichtigem Material: 4 Euro pro Bestellung nach D (EU: 6 Euro, Nicht-EU: 10 Euro). Ab einem Warenwert von 50 Euro entfallen die Versandkosten nach D, ebenso bei der Bestellung von ausschließlich kostenlosem Material nach D. Mit der Lieferung erhalten Sie eine Rechnung, bitte bezahlen Sie auf das dort angegebene Konto. Änderungen möglich, alle Angaben ohne Gewähr. © KIRCHE IN NOT, 2012 Diese und weitere Artikel finden Sie auch unter: http://www.kirche-in-not.de/shop

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Informationen zur Situation von Christen weltweit Pakistan – Christen im Land der Taliban Eva-Maria Kolmann, Journalistin und Mitarbeiterin von KIRCHE IN NOT, bereiste Pakistan und berichtet über die dramatische Lage der Christen in diesem Land. Format: DIN A5, 128 Seiten, farbig bebildert. Kostenlos, Art.-Nr.: 7035

Die Kirche in der Türkei Zum Gedächtnis an den 2010 ermordeten Apostolischen Vikar von Anatolien, Bischof Luigi Padovese. Der Autor Professor Rudolf Grulich geht in dem 80 Seiten umfassenden Band auf die zwei Jahrtausende lange Geschichte des Christentums in Kleinasien ein. Format: DIN A5, 80 Seiten Kostenlos, Art.-Nr.: 7038

Der Irak – Christen im Land der Propheten Fotos, Reportagen und Interviews über den Irak. Dort gibt es eine uralte christliche Tradition, doch heute befinden sich die Christen in Bedrängnis. Von den einst 1,2 Millionen irakischen Christen leben heute noch etwa 300 000 im Land. Die meisten sind ins Ausland geflohen, viele wurden ermordet. Format: DIN A5, 80 Seiten, farbig bebildert. Kostenlos Art.-Nr.: 7031

Christen in großer Bedrängnis Das Buch „Christen in großer Bedrängnis“ erläutert anhand einiger ausgewählter Länderberichte Ursachen und Formen heutiger Unterdrückung von Christen weltweit. Format: DIN A5, 112 Seiten. Kostenlos Art.-Nr.: 7025

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Bezugsadressen Weitere Schriften und Informationsmaterial können Sie bestellen:

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Äthiopien ist eines der ärmsten Länder der Welt. Hunger und Krankheit sind vielerorts anzutreffen. Im Kampf der Mächtigen um Profit und Ressourcen zählen die leidenden Menschen nur wenig. Dennoch gibt es Hoffnung im Glauben. Die Autorin Eva-Maria Kolmann reiste mit einer Delegation von KIRCHE IN NOT nach Äthiopien, um sich über die aktuelle Lage der Menschen und der Kirche vor Ort zu informieren. Sie besuchten die Menschen vor allem dort, wo die katholische Kirche Christus dient in den Ärmsten der Armen. Sie sahen die Grashütten der Stämme, die noch vor kurzem Nomaden waren, und trafen auf Flüchtlinge aus dem Südsudan, die nach einem mörderischen Fußmarsch erschöpft an der Straße saßen. Sie entdeckten auch den größten Schatz Äthiopiens, nämlich die vielen lebensfrohen Kinder. Das Buch fasst die Eindrücke dieser Reise und der Begegnungen zusammen. Die zahlreichen farbigen Bilder dokumentieren die materielle Not, zeigen aber auch die Freude der Menschen, die im christlichen Glauben verwurzelt sind.


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