Pakistan - Christen im Land der Taliban

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Pakistan Christen im Land der Taliban

Eva-Maria Kolmann



Pakistan Christen im Land der Taliban Eva-Maria Kolmann


Alle Rechte vorbehalten. © KIRCHE IN NOT / Ostpriesterhilfe Deutschland e. V., München 1. Auflage 2012 Impressum: Herausgeber: Text: Bildnachweis:

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KIRCHE IN NOT / Ostpriesterhilfe Deutschland e.V. Lorenzonistraße 62, 81545 München Eva-Maria Kolmann Magdalena Wolnik: Seite 7, 8, 9, 10, 11, 16, 18, 20, 25, 26, 27, 28, 29, 39, 40, 41, 43, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 53, 55, 56, 57, 58, 60 (oben), 61, 65, 70, 74, 75, 76, 77, 85, 86, 92, 96, 97, 101, 103, 106, 107, 110, 111, 114, 115, 116, 118, 119, 122, 123, 125 Bildarchiv KIRCHE IN NOT: Seite 68, 99 Privat: Seite 104 alle übrigen Bilder: P. Dr. Andrzej Halemba, KIRCHE IN NOT Magdalena Wolnik Geiger Grafik-Design, München Mayer & Söhne, Aichach


Inhaltsverzeichnis Zum Geleit

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Auf nach Pakistan

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Erste Eindrücke und ein großer Irrtum

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„Wir sind in großer Gefahr“

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„I love my Bible“

16

Alle Religionen – Hand in Hand

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Wie Lämmer unter den Wölfen

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Traumberuf Priester

27

Ein lebensgefährlicher Trip nach Belutschistan

32

„Am meisten leiden die Frauen“

39

Victor und Victor

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„Wenn du die Messe feierst, jagen wir dich in die Luft“

52

Das Christuskind in Sindh

55

Todesurteil: Mädchen oder: „Sie glauben an Affen“

62

„Die Christusstatue hat uns gerettet“

66

Ein Bischof mit Bodyguards

74

Wenn Weihnachten die Taliban an die Tür klopfen

76

„Ohne Jesus sind wir nichts“

80

Fünf Stunden Hölle

83

Unschuldig angeklagt

84

Ein furchtloser Anwalt

85

Ermordet wegen Konfetti

90

„Hängt Schwester Miriam“

91

Schulfach: Hass

93

Weihnachten im Gefängnis

98

Wo das Lamm sich an den Löwen schmiegt

101

„Schuld ist hier immer die Frau“

108

Samirs wundersame Rückkehr

113

Bomben in Lahore

115

Ein moderner Märtyrer

120

Nachwort: Christus in Pakistan

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Zum Geleit

Liebe Leserin, lieber Leser, begeistert ist niemand, wenn man ankündigt, nach Pakistan zu reisen. „Pakistan? Schlimmer geht es wohl nicht!“, sagen die einen. Betretende Mienen sieht man bei den anderen. Niemand wagt es direkt zu sagen, aber jeder fragt sich unwillkürlich, ob man von dort überhaupt jemals wiederkommen wird. Entführt, geköpft, in die Luft gejagt – das sind die Schreckensfantasien. Aber in einem Land mit fast 180 Millionen Einwohnern wird nicht nur gestorben, sondern vor allem gelebt. Menschen freuen sich. Kinder lassen Drachen steigen. Händler verkaufen auf dem Basar Plüschtiere, gefärbte Zuckerwatte, Luftballons, Berge von Blütenblättern. Grellbunt bemalt sind die Busse und Lastwagen, ein Urwald aus Blumenranken, Vögeln und Ornamenten macht jeden von ihnen zu einem Kunstwerk. Es gibt ein Pakistan, das lächelt. Ein Pakistan, das betet. Ein Pakistan, das tanzt und singt. Und doch gibt es auch ein Pakistan in permanenter Angst und Anspannung. Ein Pakistan, in dem ein Menschenleben nichts zählt. Ein Pakistan, in dem jeder jederzeit getötet werden kann. Jeder Schutz ist nur scheinbar, jede Sicherheit vermeintlich. Wer hier an nichts glaubt, ist schon verloren. Was kaum einer weiß: Auch 1,2 Millionen Katholiken leben in der „Islamischen Republik“. Eine gar nicht so geringe Zahl. In der fast ausschließlich muslimischen pakistanischen Bevölkerung bilden sie jedoch nur eine kleine Minderheit. Sie leiden noch mehr als die Mehrheit ihrer Landsleute, denn sie werden ausgegrenzt, diskriminiert und verfolgt. Viele von ihnen haben ihre Treue zu Christus bereits mit dem Leben bezahlt. Wie es leider scheint, werden sie nicht die letzten gewesen sein.

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Um ihre Erfahrungen zu teilen, ihre Geschichten anzuhören und zu erfahren, wie wir ihnen noch besser helfen können, haben Kollegen von KIRCHE IN NOT und ich diese Reise unternommen. Drei Wochen lang waren wir unterwegs, um alle pakistanischen Diözesen zu besuchen. Auch nach unserer Rückkehr nach Deutschland ist ein Teil unserer Herzen in Pakistan geblieben. Das Glaubens- und Lebenszeugnis dieser Menschen hat uns mehr gegeben, als wir es ihnen durch unsere Hilfe jemals werden vergelten können. Wir haben unseren pakistanischen Schwestern und Brüdern versprochen, zuhause ihre Geschichten zu erzählen. Wir haben ihnen versprochen, dass die Menschen, die von ihrem Schicksal erfahren werden, für sie beten werden. Und wir haben uns vorgenommen, davon zu berichten, dass Pakistan mehr ist als Terror und Bomben. Drei Wochen lang haben wir jeden Tag erfahren dürfen, dass Christus auch im Land der Taliban lebendig ist. „Ein Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht“ (Jes 9,1), sagt der Prophet Jesaja. Dieses Licht haben wir in den Augen, Herzen und in den Gebeten der pakistanischen Katholiken gesehen. Dieses Licht inmitten all der Angst, der Finsternis und der Verzweiflung, das niemand auszulöschen vermag. Ein paar Strahlen von diesem Licht möchten wir mit diesem Büchlein an Sie weitergeben.

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Auf nach Pakistan! „Wenn Sie diese Ansage in Urdu hören möchten, drücken Sie die Zwei“. Das fängt ja schon gut an. Das Tonband des pakistanischen Konsulats hilft mir nicht wirklich weiter, und nach geduldigem Abhören meldet sich noch immer niemand. Egal, dann versuche ich es eben alleine. Etwas unangenehm ist es mir schon, ein Einschreiben an das „Generalkonsulat der Islamischen Republik Pakistan“ bei der Post aufzugeben. Die Gebühr für das Visum habe ich von meinem Konto überwiesen. Geldtransfer an die „Bank of Pakistan“ – das klingt verdächtig ... Stehe ich jetzt im Fadenkreuz der Antiterrorfahndung? Nach knapp zwei Wochen ist es endlich da, das ersehnte Visum für die Reise in eines der gefährlichsten Länder der Welt. Es sieht viel harmloser aus, als ich es mir vorgestellt hatte. Gar nicht richtig nach „Islamischer Republik“. Es kommt mir auch nicht so vor, als hielte ich möglicherweise mein Todesurteil in Händen. Alles ganz normal, nur ein Aufkleber im Pass. Jetzt steht der Reise nichts mehr im Weg. Vier Wochen später am Frankfurter Flughafen: Ist das etwa unsere Schlange? Die Leute am Eincheckschalter mit Reiseziel Abu Dhabi machen auf mich einen etwas unheimlichen Eindruck. Scharen von bärtigen Männern in weißen Kaftanen tummeln sich um Gepäckwagen, auf denen sich die Gepäckstücke stapeln. Dazwischen ein paar verschleierte Frauen. Fast sechseinhalb Stunden dauert der Flug nach Abu Dhabi. Beim Start wird über Lautsprecher ein Koranvers rezitiert, auf den kleinen Bildschirmen an den Vordersitzen erscheint immer wieder neben der Entfernung zum Zielflughafen der gegenwärtige Abstand nach Mekka. Was würde passieren, wenn die Lufthansa Bibelverse und die jeweilige Entfernung nach Rom übertragen würde? Für Heiterkeit sorgen dagegen die rot-durchsichtigen Trinkbecher. Für uns sehen sie aus wie Friedhofslichter, aber vielleicht ist die Farbe in den Vereinigten Arabischen Emiraten der letzte Schrei. In Abu Dhabi müssen wir umsteigen. Wir sind ohne jeden Zweifel im Orient. Am ADACSchalter steht ein Angestellter, der wie ein Scheich aussieht. Verschleierte Sicherheitsbeamtinnen in bodenlangen taubenblauen Mänteln tasten uns Frauen ab. An der Wand – wie eine Fata Morgana – plötzlich ein überdimensionales Plakat „The Magic of Prague“. Man glaubt, neben der Prager Burg zu stehen. Das neue Reiseziel der Emirate. Mir kommt das bezaubernde Glockenspiel der Prager Loreto-Basilika in den Sinn. Hier in Abu Dhabi begrüßt uns der Ruf des Muezzins, der durch den Flughafen hallt, und es sticht uns das allgegenwärtige „Moschee“-Schild in die Augen. An jeder Ecke gibt es einen Gebetsraum. Daneben in den westlichen Konsum-Tempeln Kosmetika von Lancôme, Dior und Givenchy, Designermode, goldene Uhren, die neueste Unterhaltungselektronik, Schweizer Pralinen und als netter Gruß aus der Wüste Spielzeugkamele.

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Um 23 Uhr sollen wir weiterfliegen, aber der Flug verspätet sich um eine Stunde. Auf einem Bildschirm läuft ein amerikanischer Horrorfilm. Darunter tragen bis zu den Augen verschleierte Frauen ihre Kinder auf dem Arm. Sie gehen zu anderen Ausgängen. Auf unseren Flug nach Karatschi warten zu 99 Prozent Männer, und wir sind die einzigen westlichen Ausländer. Als durch den Lautsprecher die Durchsage schallt, dass zunächst Fluggäste mit Kindern einsteigen sollen, springen alle auf und stellen sich in die Schlange. Keiner von ihnen hat ein Kind dabei. Als wir endlich ins Flugzeug einsteigen, blicke ich in Dutzende Männergesichter. Außer uns sind nur zwei weitere Frauen an Bord, davon eine, die bis zu den Augen schwarz verschleiert ist. Ein erster Eindruck einer Gesellschaft, in der Frauen in der Öffentlichkeit kaum sichtbar sind. Ich traue mich nicht, während des Fluges noch einmal vom Sitz aufzustehen, um mich nicht den Blicken auszusetzen.

Verschleierte Frau. 7


Erste Eindrücke und ein großer Irrtum Um halb vier Uhr morgens Ortszeit landen wir in der südpakistanischen Hafenstadt Karatschi, die 18 Millionen Einwohner hat. Der Generalvikar der Erzdiözese, Father Artur Charles, holt uns mit mehreren jungen Leuten aus der katholischen Gemeinde ab, die sich die Nacht um die Ohren geschlagen haben, um uns willkommen zu heißen. Rührend. Wir machen die ersten Erfahrungen mit den obligatorischen Blütengirlanden, die jedem Gast zur Begrüßung umgehängt werden. Beim Verlassen des Flughafens fällt der erste Blick auf ein McDonald’s-Lokal. Mitsamt unseren großen Koffern werden wir hinten in einen sehr kleinen Minivan gepfercht. Heiß und unbequem ist es, und viel sieht man nicht von der Stadt, aber irgendwie kommt mir Karatschi bei Nacht „normal“ vor. Jedenfalls ist das mein erster Eindruck. Dass dieser erste Eindruck mehr als falsch war, erfahren wir am nächsten Tag. Wir wurden von unseren neuen Freunden extra hinten im Fahrzeug versteckt, da wir ein gefährliches Viertel passieren mussten. Die Leute, die uns abholten, zitterten um unsere Sicherheit, während wir von all dem nichts ahnten. In der zweiten Nacht hören wir das Maschinengewehrfeuer selbst. Mehrere Menschen sollen dabei ums Leben gekommen sein. Kämpfe, Schießereien, gezielte Tötungen sind an der Tagesordnung. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten und Personen, die sich politisch engagieren. Auch kirchliche Mitarbeiter sind in Lebensgefahr. So stürmten im

Obsthändler an einer Straße in Karatschi. 8


Busfahren in Karatschi – ein Abenteuer ...

September 2002 mehrere schwer bewaffnete Männer die Büros der 1974 gegründeten Idara-e-Aman-o-Insaf-Kommission (Kommission für Gerechtigkeit und Frieden) der Erzdiözese Karatschi. Sie erschossen sieben Männer und Frauen, die sich dort für den Schutz von Frauen, Minderheiten, Benachteiligten und Bedrängten sowie für Frieden und Verständnis zwischen den Religionen engagierten. Bereits wenige Monate zuvor war ein Vorstandsmitglied der Kommission in seinem Büro erschossen worden. Allein im Jahr 2010 sind in Karatschi nach Angaben der pakistanischen Menschenrechtskommission 237 Menschenrechtsaktivisten und Personen, die sich politisch engagierten, sowie 301 weitere Zivilisten gezielt getötet worden. Insgesamt sind 1969 Menschen gewaltsam ums Leben gekommen. Seit 2005 hat sich diese Zahl fast verdoppelt. Die Leichenhallen der Stadt sind zeitweise überfüllt, und viele der Toten sind verstümmelt. In der Stadt herrscht eigentlich schon Bürgerkrieg, wird uns immer wieder gesagt. Dafür sind die Kinder, die wir am nächsten Tag bei den Ordensschwestern der „Töchter vom Kreuz“ treffen, umso goldiger. Niedliche Winzlinge in adretten Kleidchen geben artig die Hand und sagen „good afternoon“. Etwas größere Kinder, vielleicht Erstklässler, haben sich für das Lichterfest der Hindus fein gemacht. Stolz zeigen sie uns ihre hennabemalten Hände. Wir bewundern die Verzierungen ausgiebig und loben jedes einzelne Kind – auch das kleine Mädchen, das die Händchen nicht bemalt hat, sie aber dennoch erwartungsvoll ausstreckt. Die Kinder stammen aus einem Hindu-Slum, erklärt uns Schwester Judy. Ihre Eltern schicken sie zum Betteln, aber bei den Schwestern können sie in die Schule gehen. In der Erzdiözese Karatschi unterhält die katholische Kirche 18 Kindergärten, 28 Grundschulen und 32 weiterführende Schulen. Mehr als 9


Der chaotische Straßenverkehr in Karatschi.

38 000 Schülerinnen und Schüler und über 4000 Kindergartenkinder besuchen katholische Institute, die den Angehörigen aller Religionsgemeinschaften offen stehen. Dann geht es auf in die Stadt. Jeder Blick aus dem Fenster übertrifft den vorhergehenden. An einer Straßenecke sitzen Tagelöhner, die darauf warten, dass jemand sie anheuert. Ein Mann hockt mit angezogenen Beinen auf dem Kofferraum seines parkenden Autos und tippt eine SMS in sein Handy. Fünf Personen sitzen auf einem Moped, dazwischen ein Baby. Jemand transportiert Ziegen in einer Rikscha. Mitten auf einer mörderisch befahrenen Kreuzung springen Fahrgäste aus einem Bus, ohne sich umzusehen. Ihr Gottvertrauen muss grenzenlos sein. Oben auf dem Dach des Busses sitzen zwanzig weitere Passagiere. Wie sie absteigen, wage ich mir nicht vorzustellen. Auf Müllhaufen weiden Rinder. An einem Marktstand liegen die bereits geschlachteten und gerupften Hühner auf den Käfigen ihrer noch lebenden Artgenossen. Ein kleiner Junge führt einen Eselskarren, der mit einem Berg aus Kleidern beladen ist, auf dem sein Vater seelenruhig schläft. Eines fällt besonders auf: Das Straßenbild wird fast ausschließlich von Männern geprägt. 52 Prozent der pakistanischen Bevölkerung sind Frauen, aber draußen sieht man sie kaum. 10


„Wir sind in großer Gefahr“ Mitten in dem Getümmel sind wir plötzlich am Ziel. In einer der extrem belebten engen Geschäftsstraßen von Karatschi liegt wie eine Oase die Buchhandlung der Paulusschwestern. Sie braucht sich vor katholischen Buchhandlungen in Europa oder in den USA nicht zu verstecken. Die Schwestern – eine Italienerin und vier pakistanische Ordensfrauen – bieten religiöse Literatur in reicher Auswahl an, Bibeln, Heiligenbilder, Messgewänder, Rosenkränze, Postkarten, Kinderbücher, die auf die Erstkommunion vorbereiten, christliche CDs und DVDs. Im Sekundentakt knattern bunt bemalte Busse ohne Türen vorbei, Motor-Rikschas schlängeln sich hindurch, Mopeds, Autos, Eselkarren – es herrscht unvorstellbarer Lärm. Abgase erschweren das Atmen. Auf dem Bürgersteig sitzen bärtige Männer vor ihren Läden, wieder andere laufen am Schaufenster vorbei. Ein etwas mulmiges Gefühl beschleicht mich. Diese Befürchtung ist gar nicht abwegig. Am 13. Juni 2005 wurde die Buchhandlung gestürmt, als eine Zeitung behauptete, auf christlichen Videos über das Leben der Propheten werde Mohammed verunglimpft. Die Polizei konfiszierte damals Filme und CDs und verhaftete einen Verkäufer. Der Mann wurde 24 Stunden lang festgehalten, die Schwestern eingeschüchtert und in Angst und Schrecken versetzt. Vor kurzem musste die Buchhandlung, die bereits seit 1948 besteht, geschlossen werden, weil davor Schüsse fielen, erzählt uns Schwester Daniela Baronchelli. Inzwischen gibt es offenbar einen Wachmann. Bemerkt habe ich ihn nicht unter den Männern, die auf dem Bürgersteig herumlungern. Schwer bewaffnet war er sicherlich nicht. Und wenn schon: Sollte jemand vom Motorrad aus in die Schaufensterscheibe schießen, was sollte der Wach-

Blick durch das Schaufenster der Buchhandlung der Paulusschwestern in Karatschi hinaus auf die belebte Straße. 11


Schwester Daniela Baronchelli und ein Verkäufer in der Buchhandlung der Paulusschwestern in Karatschi.

mann so schnell dagegen tun können? Schwester Daniela aus dem italienischen Brescia findet es eigentlich gut, dass der Laden sich an einem öffentlichen Platz befindet. „Hier steht er allen offen, und jeder kann kommen“, sagt sie uns. Aber sie gibt zu: „Wir sind in großer Gefahr.“ Die meisten Kunden der Buchhandlung sind Christen. Sie kaufen vor allem Bibeln und Katechismen. Allerdings bemerken die Schwestern, dass die Armut immer mehr zunimmt und dadurch auch weniger Bücher gekauft werden. Die Lage verschlechtert sich zunehmend. Arm waren die Christen schon immer, aber jetzt geht es um wirkliches Elend, weiß Schwester Daniela zu berichten. Und sie sagt bedauernd: „Unsere Christen hier sind sehr stark in ihrem Glauben, aber viele Menschen sind müde. Die Mutter hat keine Arbeit, der Vater wird aus der Fabrik entlassen. Und es gibt so viel Gewalt, so viele Menschen werden sinnlos getötet. Gott allein weiß, was aus diesem Pakistan werden soll.“ Hoffnung bereitet es ihr, dass die pakistanischen Christen trotz allem uner12


schütterlich an das Wort und die Verkündigungen Gottes glauben. Dazu nehmen sie auch Opfer in Kauf. „Als in diesem Jahr ein muslimischer religiöser Führer dazu aufrief, die Bibel in Pakistan zu verbieten, haben Gläubige Bibelexemplare aufgekauft, um sie an ärmere Mitchristen zu verteilen, damit sie im Falle des Verbotes eine eigene Ausgabe hätten“, erzählt sie. Die Paulusschwestern betreiben nicht nur die Buchhandlung, sondern sie gehen auch in Pfarreien in den Dörfern und in katholische Schulen, um dort Bibeln und religiöse Bücher zu verteilen. Dieses Medienapostolat ist sehr wichtig, es stößt aber bei vielen Muslimen auf große Ablehnung, weil sie die verkauften Artikel als „gegen den Islam gerichtet“ empfinden, vor allem Bilder und Filme. Schwester Daniela weiß aber auch von positiven Beispielen zu berichten: „Kürzlich kam ein alter muslimischer Mann zu mir, der mich um einen Job für seine Tochter bat, die Lehrerin ist. Ich erwiderte, dass ich ihr keinen Job beschaffen kann, aber darum beten werde, dass sie Arbeit findet. Daraufhin sagte der Mann zu mir: ‚Sie werden für mich beten, und ich werde für Sie beten!‘“ Dass Schwester Daniela bereits 80 Jahre alt ist, will man nicht glauben. Sie hat die ewige Jugend der schönen Seelen. Bereits seit 60 Jahren ist sie im Kloster. Als sie zwanzig war, war sie verlobt. Aber bald schon spürte sie, dass dies nicht der richtige Weg für sie war, sondern sie erkannte: „Ich muss zu Christus und mit Christus gehen.“ Sie lebt dafür, die Frohe Botschaft zu den Menschen zu bringen. KIRCHE IN NOT dankt sie nicht in erster Linie für die finanzielle Unterstützung, sondern vor allem für die „Gemeinschaft der Liebe“, die uns verbindet. „Ich liebe KIRCHE IN NOT“, sagt sie. „Ihr helft Christen dabei, im Glauben zu wachsen. Ihr seid in unserem Herzen.“ Leise spricht sie, eindringlich, mit Sanftmut, aber auch mit Kraft und mit einer klaren Lebendigkeit. Man wird in den Bann gezogen von der Liebe, mit der sie über die Menschen in Pakistan spricht, von ihrem Schmerz über das Leid, dem sie begegnet, und von der Kraft der Mission, mit der sie sich betraut weiß. Fast eine Stunde lang hören wir ihrem feinen, singenden, italienisch gefärbten Englisch zu. Sie ist glücklich in Pakistan und darüber, dass sie dafür leben darf, das Wort Gottes zu verbreiten. Ja, dass sie glücklich ist, sehen wir. Ihre Freude ist ansteckend. Und doch: Immer wieder fällt mein Blick durch die Schaufensterscheibe. Das Gefühl, schutzlos zu sein an diesem Ort, an dem die einzige Waffe Rosenkränze und Heiligenbilder sind, gibt dem Gespräch eine besondere Tiefe und Brisanz. „Lieber Gott, mach, dass wir hier lebend rauskommen und von all dem berichten können“, denke ich heimlich, während ich jeden Moment damit rechne, dass Schüsse fallen. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass es gerade jetzt geschieht, aber eine Stunde lang nehmen wir teil an dem, was die Ordensfrauen und ihre Mitarbeiter jeden Tag durchleben müssen, ja, was so viele Menschen in Pakistan täglich erleben: Die Angst, dass jederzeit etwas passieren kann, und die Gewissheit, dass das Leben an einem seidenen Faden hängt. Und doch machen sie weiter. Tag für Tag. 13


Eine junge Frau am Stickrahmen.

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Ein alter katholischer Mann in Fatimaville bei Islamabad betet versunken. Das 端berwiegend christliche Dorf wurde benannt nach dem weltber端hmten Marienwallfahrtsort Fatima in Portugal. 15


„I love my Bible“ Auch das katechetische Zentrum von Karatschi wird immer wieder bedroht. Zwar befindet es sich im oberen Stockwerk eines Hauses, ist also von der Straße aus nicht so leicht zu attackieren wie die Buchhandlung mit ihrem Schaufenster. Dennoch wird es durch Wachmänner geschützt. Die Mitarbeiter lassen sich durch alles das nicht abschrecken: Lächelnde junge Frauen und Männer zeigen uns bereitwillig ihre Arbeitsplätze. Die junge Farzana tippt das Evangelium in der Sprache Urdu in ihren Computer. Sie arbeitet an einem monatlich erscheinenden Büchlein mit den jeweiligen Tageslesungen und Stundengebeten. Ihre Kollegin Shazia zeigt uns katholische Zeitschriften und Malbücher für Kinder. Eine Gruppe von Männern und Frauen lernt gerade im Unterrichtsraum die Grundlagen der christlichen Lehre von Ehe und Familie. Im Nebenzimmer schläft selig und süß der zweijährige Sohn einer Kursteilnehmerin. Das Zentrum wurde 1972 ins Leben gerufen. Damals waren gerade alle kirchlichen Schulen in Pakistan verstaatlicht worden. Zu dieser Zeit war Joseph Kardinal Cordeiro Erzbischof von Karatschi. Er war der erste einheimische Bischof in Pakistan und der einzige Kardinal, den das Land bis heute hervorgebracht hat. Seine größte Sorge galt dem Religionsunterricht der christlichen Kinder. Auf seine Initiative ging die Gründung des katechetischen Zentrums in Karatschi ebenso zurück wie die der mittlerweile in ganz Pakistan verbreiteten Sonntagsschulen. In ihnen sind mehr als 1000 Lehrer ehrenamtlich tätig, die unzähligen Kindern Sonntag für Sonntag die Heilige Schrift in Lie-

Sonntagsschulkinder aus Karatschi führen Szenen aus dem Evangelium auf. 16


dern, Geschichten und Theaterstücken nahebringen. „Die Bibel soll zu einem Teil ihres Lebens werden“, sagt Father Artur Charles. Jedes Jahr gibt das Zentrum ein Motto für die Kinderkatechese heraus. 2011 lautete das Motto: „I love my Bible“ („Ich liebe meine Bibel“). Dieser Slogan ist ganz offensichtlich nicht nur ein Wort. Am Abend dürfen wir uns selbst davon überzeugen, mit wie viel Begeisterung Sonntagsschulkinder Szenen aus dem Evangelium nachspielen und wie sie ganz von der Botschaft durchdrungen sind. Zwar gelang es der katholischen Kirche in Pakistan im Jahr 2000, die meisten ihrer Schulen vom Staat zurückzuerlangen, bis heute sind die Sonntagsschulen jedoch ein Erfolgsmodell. Im katechetischen Zentrum werden Lehrer für die Katechese ausgebildet und das katechetische Material sowie religiöse Literatur für das ganze Land hergestellt. Auch der Lehrplan für den katholischen Religionsunterricht wird hier ausgearbeitet. Manche Leute nehmen eine mehrstündige Fahrt in den öffentlichen Bussen auf sich, um an den Kursen teilzunehmen. Sogar Frauen und Mädchen reisen allein dorthin, obwohl es für sie besonders gefährlich ist. Sie werden belästigt und können sogar Opfer von Entführungen werden. In einem Land, in dem es selbst am Flughafen einen Schalter für „unbegleitete Damen“ gibt und Frauen in der Öffentlichkeit normalerweise von ihrem Ehemann, Bruder oder Vater begleitet werden, muss der Mut und die Überzeugung dieser Frauen groß sein, dass sie dieses Risiko auf sich nehmen. Mit dem Bus zu fahren, ist in Pakistan aber auch für Männer nicht nur extrem unbequem, sondern auch gefährlich. Manchmal werden Busse überfallen. Alle Passagiere werden zum Aussteigen gezwungen, nach ethnischen oder religiösen Gruppen getrennt, und die Angehören einer bestimmten Gruppe werden erschossen. Aber die Christen stehen auch im Alltag vor vielen Herausforderungen. Das katechetische Zentrum will ihnen dabei helfen, sie zu meistern. Father Artur erzählt: „Unsere Gläubigen erleben es immer wieder, dass sie von ihren muslimischen Nachbarn und Arbeitskollegen aufgefordert werden, zum Islam überzutreten. Sie aber stehen so fest im Glauben. Wir möchten ihnen das Gefühl vermitteln, dass sie stolz darauf sein dürfen, Christen zu sein. Dafür müssen wir ihnen das Beste anbieten, was wir nur können.“ Christen haben in der Gesellschaft kaum Chancen. Während Muslime in der Gesellschaft aufsteigen, stehen Christen trotz ihrer harten Arbeit noch immer dort, wo sie bereits vor 65 Jahren standen: ganz unten. „Aber wir legen Zeugnis dessen ab, dass der lebendige Gott mit uns ist. Und das auch um den Preis des Leidens“, betont Father Artur. Stolz zeigt er uns das neue Evangeliar in Urdu, das gerade erschienen ist. Endlich ein würdiges Buch für die Liturgie. Die alten Bücher in den Kirchen fallen schon auseinander, teilweise sind sie in Geschenkpapier eingeschlagen, um sie wenigstens bescheiden zu schmücken. Jetzt konnte mit der Hilfe von KIRCHE IN NOT ein würdiges, schönes Evangeliar erscheinen. Das katechetische Zentrum hat es herausgegeben. Wie groß wird die Freude in den Pfarreien darüber sein. 17


Father Arthur Charles zeigt stolz das neue Evangeliar.

Wir wollen Fotos machen, aber in den Räumen ist das Licht zu schlecht. Daher treten wir hinaus auf den Balkon. Father Artur hält lächelnd das neue Evangeliar in die Kamera. Unten auf der Straße steht an einem Laden ein großes Schild „Talib Jewellers“. Der Plural von „Talib“ (Schüler, Suchender) lautet „Taliban“. Es gibt Namen, die mehr Vertrauen erwecken ... Ein bärtiger Mann, der so aussieht, wie man sich Taliban vorstellt, schaut zu uns hoch und ruft einen Polizisten. „Lasst uns jetzt bloß verschwinden“, denke ich mir, und mache Father Artur auf das aufmerksam, was sich meiner Meinung nach gerade auf der Straße zusammenbraut. Anscheinend war dem Mann aber nur langweilig, denn er und der Polizist vertiefen sich in ein Gespräch. Die Szene erinnert mich an eine Reportage, in der zwei westliche Touristinnen in einem pakistanischen Bergdorf vor vermeintlichen Taliban flohen, die sie „drohend“ musterten und anscheinend von „Allah“ sprachen. Die Damen ahnten Böses – wer will es ihnen verdenken? Hinterher stellte sich jedoch heraus, dass die beiden Männer sich nur über die zweifelhafte Schönheit der Birkenstock-Sandalen der Frauen ausgetauscht hatten ... 18


Alle Religionen – Hand in Hand Eine Begegnung, die zeigt, dass es in allen Religionsgemeinschaften Menschen guten Willens gibt, die an einer friedlichen und angstfreien Zukunft für Pakistan mitarbeiten wollen, dürfen wir am nächsten Tag, dem 27. Oktober, erleben. Zeitgleich mit dem 3. Interreligiösen Gebetstreffen in Assisi, zu dem Papst Benedikt XVI. Vertreter der verschiedenen Religionen eingeladen hatte, versammeln sich in Karatschi knapp 300 Menschen zum gemeinsamen Gebet für den Frieden. Im Publikum sitzen junge Franziskanermönche neben muslimischen verschleierten Frauen. Nonnen, Journalisten, Geschäftsleute, Muftis, protestantische Pastöre, Sikhs mit Turbanen und auch wir von KIRCHE IN NOT – alle sind gekommen, um sich gemeinsam für den Frieden einzusetzen. Gastgeber der Veranstaltung ist der Presseclub von Karatschi. Als Redner treten hohe Vertreter der schiitischen und sunnitischen islamischen Glaubensgemeinschaften, des Hinduismus und der christlichen Kirchen auf. Erstmals ist auch ein Angehöriger der fundamentalistischen islamischen Partei „Jamiat-e-Islami“ der Einladung gefolgt. Er unterstreicht in seiner Ansprache die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit anderen Religionsgemeinschaften und verurteilt

Kleine Mädchen in Lahore beten um Frieden für das Land und für die Welt. 19


den Terror im Namen des Islam. Ungewohnte Worte aus dem Mund eines Vertreters dieser Partei, die sonst durch andere Töne auffällt. Alle offiziellen Gäste sitzen nebeneinander unter einem Plakat, das Bilder vom ersten Friedensgebetstreffen in Assisi zeigt. Auf mehreren Fotos ist Papst Johannes Paul II. zu sehen. Auf der Gebetskarte, die verteilt wird, ist er unter einem Emblem mit einem Regenbogen und einer weißen Taube ebenfalls mit religiösen Führern abgebildet. Daneben ist das Friedensgebet abgedruckt, das er für das Gebetstreffen in Assisi verfasst hatte. Alle beten es gemeinsam auf Englisch. Dann singen die jungen Franziskanermönche einen Hymnus in Urdu. Der mittlerweile emeritierte Erzbischof von Karatschi, Evarist Pinto, spricht mit Leidenschaft. In seiner Ansprache ruft er aus: „Es gibt keinen anderen Weg, als anzuerkennen, dass wir in Gott Schwestern und Brüder sind“, und: „Niemand, keine Regierung, gibt uns Rechte, sondern wir empfangen sie von Gott“. In der Stadt Karatschi und in ganz Pakistan gebe es viel Gewalt. Christen glaubten daran, dass „Jesus Christus nicht nur eine Friedensbotschaft gibt, sondern selbst der Frieden ist“. Mit großer Geste weist er

Ein Kalenderblatt, das Mut macht: Auch in Lahore beten die Vertreter verschiedener Religionsgemeinschaften gemeinsam um Frieden. 20


auf das Bild Papst Johannes Pauls II. Er erinnert daran, wie der selige Papst in Assisi sein Haupt demütig neigte, als er mit den Führern der Religionen der Welt gemeinsam betete. „Heute ist es für die Menschen nicht mehr leicht, ihr Haupt vor Gott und voreinander zu neigen. Wir sind zu stur geworden, sind unserer Ansichten zu sicher“, sagt er mit Nachdruck. Am Ende der Veranstaltung sprechen alle Teilnehmer gemeinsam das Gebet des heiligen Franziskus von Assisi: „Mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens“. Anschließend gibt es einen Imbiss und die Gelegenheit, einander besser kennen zu lernen. Ähnliche interreligiöse Friedensgebetstreffen finden auch in anderen Städten Pakistans statt. In Zukunft sollen es mehr werden. In vielen Pfarrgemeinden wurde an diesem Tag ebenfalls für den Frieden gebetet. Kapuzinerpater Pascal Robert, der das interreligiöse Friedensgebetstreffen mitorganisiert hat, freut sich darüber, dass die Begegnung so gut verlaufen ist. Er habe alle religiösen Führer als sehr kooperativ erlebt, berichtet er. Eine neue Idee ist ihm dabei auch schon gekommen: Ihm schwebt eine Art gemeinsame Wallfahrt vor, während derer die Teilnehmer in Autos und Bussen die heiligen Stätten der verschiedenen Religionsgemeinschaften besuchen. Das Problem mit dem Islam besteht seiner Ansicht nach darin, dass jede einzelne Gruppierung sich auf den Koran beruft. „Die einen, die sagen ‚Wir müssen zusammenarbeiten’, berufen sich auf den Koran, aber genauso jene, die meinen ‚Der Islam ist die einzige Religion’. Das macht die Sache schwierig“, erklärt er. Die moderateren Muslime würden durch die Extremisten ebenfalls bedroht. Trotz allem glaubt Pater Pascal daran, dass der Dialog zwischen Christen und Muslimen gefördert werden muss und sinnvoll ist. „Was die Lage der Kirche in Pakistan heute trotz aller Schwierigkeiten einfacher macht, ist, dass es inzwischen vor allem einheimische Priester und Ordensleute gibt. Die ausländischen Missionare konnten einfach ausgewiesen werden. Und es wurde ihnen vorgeworfen, sie würden etwas Fremdes nach Pakistan bringen und die hiesige Religion verändern wollen. Bei einem einheimischen Klerus geht das nicht so leicht. Außerdem leistet die Kirche eine Menge sozialer Arbeit im Land.“ Eine wichtige Rolle spielen nach Ansicht des Kapuziners katholische Schulen, die von christlichen und muslimischen Kindern besucht werden. „Es ist wichtig, dass die Schüler dort nicht nur lesen und schreiben lernen, sondern dass wir über Werte sprechen. Sonst wird sich nichts ändern.“ Ob er bei all seinem Engagement für den Frieden nicht manchmal Angst hat, fragen wir ihn. „Niemand kann einen zweimal töten. Das Leben ist niemals sicher, man kann sich nicht vor allem schützen, sondern man muss schlichtweg leben und das tun, was man tun muss“, lautet die Antwort des fröhlichen und tatkräftigen Ordensmannes, der seine guten Ideen gern in die Tat umsetzt. Man muss etwas einfach tun, einfach damit beginnen – und oft gelingt es dann, ist seine Erfahrung. 21


Ein katholisches Brautpaar in Islamabad legt seine H채nde auf die Heilige Schrift.

Ein kleines M채dchen beim Friedensgebet in Lahore. 22


Ein jugendlicher Schuhputzer in Lahore. 23


Wie Lämmer unter den Wölfen Ein ganz anderes Gesicht zeigt uns Karatschi am nächsten Morgen. Es ist Freitag. Heute ist die Stimmung nervös, angespannt. Unsere Begleiter schauen immer wieder auf die Uhr. Schaffen wir es, noch vor dem Freitagsgebet ans Ziel zu gelangen? In der Frühe haben sich die Muezzins selbst übertroffen. Waren es schon in den vergangenen Tagen Hunderte von ihnen, die um kurz nach fünf Uhr morgens ihre Stimmen zu einem Chor vereinigten, weil sie nicht zeitgleich, sondern versetzt zu rufen begannen, so klingt es heute wie ein nicht enden wollender Schlachtruf. Fast eine Stunde lang schwillt das Rufen immer wieder an, bis es auf seinem Höhepunkt zu einem heiseren Schrei wird. Der Muezzin, den man am lautesten und aus nächster Nähe hört, hat eine aggressive und raue Stimme. Es klingt nicht wie ein Gebet. Ich denke an Bischof Luigi Padovese, einen guten Freund unseres Hilfswerkes, der im Juni 2010 in der Türkei von seinem eigenen Fahrer unter „Allahu akbar“-Geschrei mit einem Messer nahezu enthauptet wurde.

Pfarrer Saleh Diego auf dem Dach der St.-Peter-Kirche in Karatschi, der größten Kirche Pakistans, an der zum Zeitpunkt unserer Reise noch gebaut wurde.

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Seminaristen des Vorseminars von Karatschi beim Gebet in ihrer Kapelle, dem Herzen des Seminars.

In der Stadt hört man am Freitag die Predigten der Mullahs, die per Lautsprecher auf die Straße übertragen werden. „Von Gott predigen sie selten“, sagt uns einer unserer Begleiter. Nicht selten kommt es anschließend zu Ausschreitungen und Übergriffen, wenn sich eine Predigt gegen die „Ungläubigen“ gerichtet hat. Wir stehen auf dem Dach der Peterskirche, deren Bau KIRCHE IN NOT unterstützt hat und an der an diesem Tag noch mit Hochdruck gearbeitet wird. Denn schon zwei Wochen später soll sie durch den Apostolischen Nuntius in Pakistan, Edgar Peña Parra, und den Erzbischof von Karatschi, Evarist Pinto, eingeweiht werden. Es handelt sich um die größte Kirche Pakistans. Auf drei Etagen finden bis zu 5000 Gläubige Platz. Von ihrem Dach aus zählen wir allein im Umkreis von vielleicht einhundert Metern zehn Moscheen. Dies sind jedoch nur diejenigen, deren Minarette hoch genug sind, dass sie die Häuser überragen. In Wirklichkeit gibt es noch zahlreiche kleinere Gebetshäuser. Praktisch jede Straße und jedes Gässchen hat eine eigene Moschee. Wie wir es später bei unseren Fahrten durch das Land immer wieder sehen dürfen, hat sogar jede Tankstelle einen muslimischen Gebetsraum. An diesem Freitag sind wir unterwegs zum Vorseminar von Karatschi, dessen Bau KIRCHE IN NOT ebenfalls unterstützt hat. Wir biegen in eine Straße ein, die direkt in einen Stadtteil führt, der als „Krawallviertel“ bekannt ist. Immer wieder gehen von hier gewaltsame Unruhen aus. Das Straßenbild ändert sich abrupt. Es ist kaum Verkehr auf den Straßen, und es sind fast keine Läden zu sehen. Alle Frauen sind bis zu den Augen schwarz verschleiert, die Knaben kommen offensichtlich aus der Koranschule, die Männer wirken aggressiv. Unser Auto fällt auf, ich verhülle spontan mein Gesicht. Man kann die angespannte Stimmung fast mit den Händen greifen. Dahinter erhebt sich eine Bergkette. Dort verstecken sich Einheiten von Al-Kaida. Ein beklemmendes Bild. Von 25


Seminaristen des Vorseminars von Karatschi tanzen zur Begrüßung einen traditionellen Erntetanz der Provinz Sindh.

dieser feindlichen Umgebung umringt, liegt hinter einer hohen, gelben Mauer das Vorseminar. „Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe“ (Lk 10,3), sagt Jesus zu seinen Jüngern. Im Vorseminar von Karatschi werden diese Worte erschreckend konkret. Lächelnde junge Männer mit strahlenden Augen und einem offenen Wesen bereiten sich hier darauf vor, eines Tages möglicherweise als Priester an den Altar zu treten. Dabei könnten sie jeden Tag entführt oder getötet werden. Wie Schafe mitten unter den Wölfen leben sie. Ihr Seminar wirkt wie ein kleines Paradies, in dem Blumen blühen und Hymnen erklingen. Aber ringsherum lauert überall der Tod. Bislang wurden nur Steine über die Mauer des Seminars geworfen. Ein anderes Mal könnten es Granaten sein. Der 19-jährige Yousaf (Name geändert) erzählt uns von der Angst, die seine Familie um ihn hat. „Sie wollten mich nicht gehen lassen und haben gesagt: ‚Wir schicken dich nicht aufs Seminar, damit du stirbst! Wir wollen, dass du Priester wirst, nicht, dass du erschossen wirst!‘ Ich aber habe ihnen geantwortet: ‚Wenn es Gottes Wille ist, dass ich Priester werde, so werde ich Priester werden!‘ Ich bin froh, dass Gott mich so stark im Glauben hat werden lassen.“ Seine Kommilitonen nicken zustimmend. Sie alle empfinden ähnlich. In der Kapelle, die das Herz des Seminars bildet, sehen wir, woher diese Stärke kommt. 27 junge Männer knien mit zum Gebet gefalteten Händen auf dem Boden. Mit tiefer Andacht und Überzeugung singen sie: „Wir warten im Dunkeln und sehnen uns nach Licht. Wir sehnen uns nach der Wahrheit und warten auf Dich. Mach uns zu Deinem Eigentum, zu Deinem heiligen Volke, auf dass die Welt es sieht, (…) Die Welt ist in Aufruhr und sehnt sich nach Frieden. Sie sehnt sich nach Hoffnung und verzweifelt oft. Dein Wort allein hat die Macht uns zu retten.“ Das Lied passt genau zu dem, was diese jungen Männer in Pakistan erleben. 26


Traumberuf Priester Am Abend desselben Tages nehmen wir in der St.-Patrick-Kathedrale von Karatschi an der Weihe eines Diakons teil, der sich bereits auf seine Priesterweihe im Dezember freut. Der 27-jährige Ryan Joseph, der dort auf dem Boden liegt, während in Latein die Allerheiligenlitanei gesungen wird, weiß ebenfalls, dass es ernst werden kann, wenn er sagt, er schenke sein Leben Gott. Hier in Pakistan ist dies kein schnell dahingesagtes Wort. „Wenn es passieren sollte, wird Gott mir Kraft schenken“, sagt er ruhig, wenn er über seinen möglichen Tod spricht. Mit seinen Mitbrüdern tauscht er sich oft über dieses Thema aus. Denn Gewalt, Tod und Unterdrückung sind allgegenwärtig. Für den gerade erst geweihten Diakon sind die Kirchenväter eine starke Quelle der Inspiration, da sie viel über die Verfolgung und das Martyrium schreiben. Was für uns oftmals aussieht wie Schriften aus einer vergangenen Zeit, spiegelt hier die tägliche Erfahrung eines Priesters wider. Wichtig ist ihm auch die brüderliche Gemeinschaft mit anderen Priestern. „Ein Priester allein kann nichts tun, aber wir stehen zusammen“, sagt er uns. In dieser Gewissheit kann ein Priester trotz all der Bedrängnis seiner Berufung folgen. Besonders rührt es ihn, wie sehr die pakistanischen Gläubigen ihre Priester lieben. „Für ihre Priester würden die Leute sogar ihr Leben hingeben.“

Joseph Ryan (27) wird in der St.-Patrick-Kathedrale von Karatschi zum Diakon geweiht. Kurz darauf wurde er zum Priester geweiht. 27


Der Chor der St.-Patrick-Kathedrale von Karatschi.

„Ich habe keine Angst, denn Gott hat mich berufen. Hier ist es teilweise gefährlich, die Priesterkleidung zu tragen. Auch das Blasphemiegesetz ist eine ständige Bedrohung. Jeder kann einen in jedem Augenblick beschuldigen, den Islam beleidigt zu haben. Auf dem Seminar wurden wir geistig auf das Priestertum vorbereitet. Die wahre ‚Ausbildung’ eines Priesters vollzieht sich jedoch draußen. Ich warte nur auf das Wort: ‚Geh!’“ Besonders gespannt ist er darauf, seine „Berufung in der Berufung“ zu finden, wie er es nennt. „Don Bosco fand seine besondere Berufung in der Arbeit mit den Jugendlichen. Was wird wohl meine Aufgabe sein?“, fragt er sich. „Ich bin für alles offen und überlasse mich ganz dem Willen Gottes. Ich will Gott und der Kirche dienen“, sagt der junge Mann, dessen jugendliche Gesichtszüge fast immer von einem Lächeln erhellt werden. Ein besonderes Anliegen ist es ihm, christliche Mädchen davor zu schützen, sich mit Muslimen einzulassen. „Manche Mädchen laufen mit einem Moslem davon. Dann werden sie benutzt und nach kurzer Zeit weggejagt. Ich möchte etwas dagegen tun“, sagt er uns. Priester war schon als Kind sein Traumberuf. Jeden Freitagmorgen um acht ging er in die Kindermesse. Dort sah er den Priester und wollte so werden wie er. In seiner Familie wurde der Rosenkranz gebetet und regelmäßig die Heilige Schrift gelesen. Der Glaube gehörte ganz selbstverständlich zum Leben dazu. Im Gegensatz zu den meisten pakistanischen Christen, die in bitterer Armut leben, stammt Ryan aus einer Mittelschichtfamilie. Seine Mutter – eine jung aussehende gepflegte Dame – hätte sich eigentlich 28


Der neugeweihte Diakon Ryan Joseph (rechts) mit seinen Eltern und Erzbischof Evarist Pinto von Karatschi.

gewünscht, dass ihr ältester Sohn Ingenieur wird. Aber die Familie akzeptierte seinen Wunsch, Priester zu werden. Als Ryan hingegen eine Zeit lang das Seminar verließ, um seine Berufung zu prüfen, verdiente er in einem Unternehmen viel Geld. Seine Eltern hätten es damals auch begrüßt, wenn er diesen Weg weitergegangen und nicht Priester geworden wäre, sondern Karriere gemacht hätte. Aber nach eineinhalb Jahren spürte Ryan, dass ihn das alles nicht ausfüllte. Er war innerlich unruhig, unzufrieden. Auch andere sagten ihm, dass sie das Gefühl hatten, er solle Priester werden. So ging er zurück aufs Seminar. Heute ist seine Mutter stolz und glücklich. Sie ist froh darüber, ihn nicht von seinem Weg abgehalten zu haben. Sie sagt: „Ich habe meinen Sohn nicht verloren, sondern die ganze Kirche gewonnen!“ Am 3. Dezember 2011 war es endlich so weit: Am Samstag vor dem zweiten Adventssonntag wurde Ryan Joseph zum Priester geweiht. Nach seiner Weihe schrieb er uns einen Brief: „Es ist unbeschreiblich, und ich finde keine Worte, um auszudrücken, was ich jetzt empfinde. Aber ich fühle mich gesegnet, berührt von Gott. Jeden Tag schaue ich mir viele Male meine gesalbten Hände an und staune darüber, dass Gott mich aus Millionen Menschen auserwählt und mir die Gnade geschenkt hat, gewöhnliches Brot und gewöhnlichen Wein in Seinen kostbaren Leib und Sein kostbares Blut zu wandeln, wodurch ich Ihn für zahllose Menschen greifbar werden lasse. Ich fühle mich privilegiert und bin sehr, sehr glücklich über alles, was Gott getan hat!“

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Seminaristen in Lahore singen „Panis Angelicus“ in der Aula ihres Seminars.

Eine Garküche in Lahore. 30


Eine katholische Ordensschwester in stillem Gebet. 31


Ein lebensgefährlicher Trip nach Belutschistan Alle Proteste haben nicht gefruchtet: Nach Quetta, einer Stadt mit 900000 Einwohnern nahe der afghanischen Grenze im Westen Pakistans, fliegt Pater Dr. Andrzej Halemba, der zuständige Projektreferent von KIRCHE IN NOT, allein. Eigentlich stieß sein Vorhaben bei den Priestern in Karatschi auf besorgte Mienen. „Dort ist es viel zu gefährlich. Sie sollten nicht dorthin fahren“, ist die einhellige Meinung. Im Jahr 2010 wurden in der Provinz Belutschistan 548 Morde und 484 Mordversuche verübt. Wer der falschen Volksgruppe angehört, wird abgeknallt – so einfach geht das hier. Außerdem wurden 300 Menschen entführt und die Leichen von 59 vermissten Personen aufgefunden. Im Juli 2011 – drei Monate vor unserer Reise nach Pakistan – wurden dort ein Mann und eine Frau aus der Schweiz entführt. Für das Jahr 2011 gibt es noch keine Zahlen, aber die Lage verschlechtert sich zusehends. Als „Paradies für Taliban“ und „Nährboden für Fanatismus und Fundamentalismus“ gilt die Region. Seit 1948 wird in Belutschistan ein blutiger Konflikt zwischen der pakistanischen Regierung und den Rebellen, die für die Autonomie der Provinz kämpfen, ausgetragen.

Das Verlangen nach Unabhängigkeit wird in Belutschistan immer größer. Tausende Flaggen einer islamistischen Partei wehen in den Straßen von Quetta. 32


Überall in Quetta sieht man Polizisten und Soldaten.

Bahngleise und Gaspipelines werden in die Luft gejagt, von den Bergen werden Raketen geschossen. Die Rebellen fordern, dass Belutschistan selbständig wird. Dabei werden sie von afghanischen Taliban unterstützt, heißt es. „Bleiben Sie um Gottes willen die ganze Zeit im Haus des Bischofs und gehen Sie nicht raus. Die Priester können Sie ja auch dort treffen“, sagen unsere Freunde in Karatschi. Pater Andrzej hat sich nicht daran gehalten. Immerhin wollte er sehen, wie es der Kirche dort im Apostolischen Vikariat Quetta wirklich geht. Mit 347188 Quadratkilometern ist es fast so groß wie Deutschland und erstreckt sich beinahe über das halbe pakistanische Staatsgebiet. Allerdings ist Belutschistan auch das am dünnsten besiedelte Gebiet des Landes. Nur knapp acht Millionen Menschen leben hier, davon rund 30000 Katholiken. Die Hälfte der katholischen Einwohner lebt in der Stadt Quetta, der Rest lebt weit über das ganze Gebiet verstreut. 33


Obwohl selbst arm, haben die Katholiken aus Quetta am „Weltmissionssonntag“ für die Weltkirche gesammelt.

Als Pater Andrzej, der lange Jahre Missionar in Sambia war und Abenteuer gewöhnt ist, nach Quetta fliegt, ist der Flug ausnahmsweise einmal pünktlich. Die Abkürzung der pakistanischen Fluglinie PIA wird im Land scherzhaft gedeutet als „Perhaps I arrive“ („Vielleicht komme ich an“). Flüge nach Quetta sind besonders betroffen. Um vier bis neun Stunden verspäten sie sich. Dieser Flug ist der erste seit langer Zeit, der pünktlich ist. Im Flugzeug ist Pater Andrzej der einzige westliche Ausländer. Die meisten Passagiere sind offensichtlich Belutschen, einige sind Punjabis. Bereits beim Anflug ist zu erkennen, wie rau das Klima in den Bergen auf 1680 Metern Höhe ist. „Vom Flugzeug aus erblickt man einen Ozean aus Felsen. Die Steine sind schwarz und grau, dunkel, unwirtlich, feindlich. Weit verstreut sieht man kleine Siedlungen von einigen wenigen Häusern, die von Mauern umgeben sind. Dort, wo Menschen leben, gibt es ein paar Tiere, aber man sieht kein Grün“, beschreibt der aus Polen stammende Priester seine ersten Eindrücke. In den Bergen soll es sogar noch wilde Tiere geben. 34


Trotz der angespannten Lage in Belutschistan können diese katholischen Jungen noch lachen.

Am Flughafen warten bereits Pater Yohanes Damianus und ein anderer Priester. Herzlich heißen sie Pater Andrzej willkommen. Aber dass sie Angst um ihren Gast haben, merkt man ihnen an. „Gehen Sie so schnell wie möglich zum Auto, schauen Sie nicht um sich, bleiben Sie nicht stehen“, sagen sie ihm. So rasch es geht, huschen sie zum Wagen, ohne nach rechts oder links zu schauen. Bloß keine Aufmerksamkeit auf sich lenken, bloß nicht gesehen werden ... Pater Andrzej muss hinten sitzen. Sofort ziehen die Priester die Vorhänge vor die Scheiben. Für Weiße ist es hier extrem gefährlich. Dem Apostolischen Nuntius, der kurz zuvor Quetta besuchen wollte, erteilte die Regierung aufgrund der hohen Gefahr für Leib und Leben keine Genehmigung für den Aufenthalt in der Stadt. Niemand wollte das Risiko auf sich nehmen. In den Straßen wehen Tausende weiß-schwarz-gestreifte Flaggen einer islamistischen Partei im Wind. Immer stärker strebt die Provinz nach Unabhängigkeit, immer größer 35


Frauen in der Kathedrale von Quetta. Auf der Straße sieht man sie kaum.

werden die Wut und das Gefühl, Unrecht zu erleiden. In Quetta selbst werden eher reiche Opfer gesucht, die gegen Lösegeld entführt werden. An der Grenze zu Afghanistan hingegen gibt es regelrechte ethnische Säuberungen. Wer dort kein Belutsche ist, wird automatisch als Feind angesehen. Oft werden in Belutschistan Busse überfallen. Dann werden alle Insassen rausgeholt, und alle Punjabis werden entführt oder auf der Stelle erschossen. Kürzlich hatte der katholische Katechet Shezad, der ebenfalls aus der Provinz Punjab stammt, Glück. Der Bus, mit dem er unterwegs war, wurde von Rebellen angehalten. Jeder der Insassen wurde überprüft. Als Shezad an der Reihe war, sagte er: „Ich bin katholischer Katechet.“ Die Rebellen erwiderten: „An dir als Katholiken haben wir kein Interesse. Hau 36


ab!“ „Viele Menschen in Belutschistan schätzen, was die katholische Kirche tut, vor allem, wenn es um die katholischen Schulen geht“, erklärt Pater Andrzej. Alle anderen Passagiere des Busses sind bis heute verschwunden. Wahrscheinlich sind sie nicht mehr am Leben. Seit 2005 wurden in Belutschistan 22 Lehrer ermordet. Ein Priester, der nicht möchte, dass wir seinen Namen nennen, berichtet von einem Vorfall, der sich zwei Jahre zuvor zutrug. Er besuchte weit verstreut lebende katholische Familien an der afghanischen Grenze. Tagelang war er unterwegs. In dem Ort Noshki, ca. 130 Kilometer von Quetta entfernt, übernachtete er im Haus des katholischen Lehrers Musthaq. Am nächsten Morgen fuhr der Priester weiter. Kurz darauf erfuhr er, dass der 45-jährige Mann von einer Gruppe Belutschen erschossen wurde. Erst kürzlich hatte er seine Stelle als Lehrer angetreten. Zuvor hatte er in einem medizinischen Labor gearbeitet, wo er auch als Lehrer noch ein paar Stunden wöchentlich tätig war, um etwas dazuzuverdienen. Als Musthag abends noch im Labor seiner Arbeit nachging, kamen Belutschen und erschossen ihn. „Wenn du nicht wärest, hätte einer von uns die Stelle bekommen. Du nimmst uns Arbeit und Brot weg“, sagten sie. Kurz darauf packten drei katholische Familien ihre Sachen und flohen aus der Region. In Noshki lebt heute nur noch eine katholische Familie. Sicher ist in Belutschistan niemand. Alle haben Angst. „Jedes Gebäude hat einen Hinterausgang als Fluchtweg. Auch das Haus des Bischofs hat eine zweite Ausfahrt, damit man im Notfall rauskommt“, berichtet Pater Andrzej Halemba. Dennoch sind sie nicht sicher. Das Haus des Bischofs liegt in dem abgesperrten Stadtviertel, wo auch die Regierungsgebäude stehen. „Der Stadtteil ist durch hohe Mauern und Wachposten geschützt, aber manchmal schießen Rebellen der ‚Balochistan Liberation Army‘ kleine Raketen über die Mauern“, fährt er seine Beschreibung fort. Durch diese Angriffe auf das Regierungsviertel ist auch das Haus des Bischofs stark gefährdet. Überall gibt es Checkpoints, und in manche Stadtviertel kann man nur mit einer Sondergenehmigung gelangen, die man schon Tage vorher beantragen muss. Sogar der Bischof kann nicht überall hinfahren und wird immer wieder kontrolliert. Die Kathedrale, die Unserer Lieben Frau vom Rosenkranz geweiht ist, liegt in einem Kasernenviertel, für das man eine solche Sondergenehmigung benötigt. So können viele Gläubige zu den Gottesdiensten nicht dorthin kommen. Sogar Bischof Victor Gnanapragasam braucht eine Genehmigung, wenn er zur Kathedrale gelangen will. Jedes Mal muss er vorher die Behörden anrufen und die Erlaubnis beantragen. Von den Sicherheitskräften an den Checkpoints wird er immer wieder angehalten und kontrolliert. Da die Bewegungsfreiheit in der Stadt stark eingeschränkt ist, würden die Gläubigen gern noch eine weitere Kirche bauen. Aber sie sind größtenteils arm, und Baugrundstücke sind extrem teuer. So hilft es nur, wieder und wieder einen Passierschein zu beantragen, um zur heiligen Messe zu gelangen. Trotz dieser Schwierigkeiten ist die Kathedrale sonntags überfüllt. 37


Für die Priester, die alle keine Belutschen sind, wird die Lage immer schwieriger. Früher konnten sie überall hin fahren. Heute wird das Gebiet, auf dem sie sich bewegen können, immer kleiner. Viele Orte sind aufgrund der Kämpfe zwischen den Rebellen und der Regierung nicht zugänglich. „Sobald die Kämpfe unterbrochen werden, versuchen wir, unsere Gläubigen zu besuchen. Wir riskieren, dabei durch Landminen und raketenbetriebene Granaten getötet zu werden. Es macht uns sehr traurig, dass wir die Menschen nicht häufiger besuchen können“, sagt der Bischof. Dass die Priester manche Orte nicht regelmäßig besuchen können, liegt aber auch an den großen Entfernungen. Es ist ein großes Problem, dass viele Gläubige in sehr kleinen Gemeinschaften weit über das riesige Gebiet der Provinz Belutschistan verstreut leben. In einem Ort sind es drei Familien, in einem anderen nur eine Familie, woanders vielleicht vier. Dort ein geregeltes kirchliches Leben aufzubauen, ist schwer. Einige christliche Gemeinden sind 800 oder gar 1000 Kilometer von Quetta entfernt. Jede Fahrt dorthin kostet also viel Geld. Die katholische Kirche in Quetta bräuchte vor allem lokale Berufungen, aber die bleiben bislang aus, obwohl Bischof Victor Gnanapragasam erklärt: „Wir tun alles, um junge Männer dazu zu ermutigen, Priester zu werden. Nach jeder Sonntagsmesse beten wir um Berufungen. Wir predigen über die Priesterberufung und veranstalten jedes Jahr ein Programm, um Berufungen zu fördern. Hoffentlich werden unsere Bemühungen zu der Zeit, die der Herr der Ernte festlegt, die erwünschten Früchte tragen.“ Die meisten Priester stammen aus der Provinz Punjab, wo die Mehrheit der pakistanischen Katholiken lebt. Das Problem ist nicht der mangelnde Glaubenseifer, sondern die geringe Zahl der Gläubigen. Bei nur 30000 Katholiken im Apostolischen Vikariat Quetta, von denen die Hälfte weit verstreut lebt und nur selten einen Priester sieht, ist es kaum zu erwarten, dass es bald viele Berufungen geben wird. Allerdings sind die Gläubigen sehr stark mit der Kirche verbunden und helfen, wo immer es geht. „Am Weltmissionssonntag haben die Katholiken in Quetta sogar eine Kollekte für die Weltkirche abgehalten. Und das, obwohl sie selbst arm sind“, freut sich Pater Andrzej. Als Pater Andrzej Halemba am nächsten Tag zurückfliegen soll, verspätet sich der Flug um sechs Stunden. Wieder ist er der einzige Weiße. Er hat auch in Quetta keine Angst, den Priesterkragen zu tragen. Am Flughafen spricht ihn ein älterer Mann an, der den wartenden Fluggästen Tee und Kaffee serviert und den Müll wegräumt. „Sie sind Priester, welche Freude! Auch ich bin Katholik“, sagt er und holt wie zum Beweis seinen Rosenkranz heraus. „Warten Sie, ich rufe meinen Kollegen. Der ist auch katholisch.“ Zu zweit kommen sie wieder. „Meine Tochter hat gerade einen kleinen Sohn bekommen. Nächste Woche wird er getauft“, erzählt der eine von ihnen. Pater Andrzej schenkt ihm seinen Rosenkranz als Taufgabe für den neugeborenen Enkel. Für diese Begegnungen mit den Christen in Quetta hat sich die lebensgefährliche Reise gelohnt.

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„Am meisten leiden die Frauen“ Während Pater Andrzej Halemba ins gefährliche Belutschistan reist, gehen wir in die Slums. Genaugenommen in zwei der mehreren hundert Slums von Karatschi, in denen 7,6 Millionen der 18 Millionen Einwohner der Stadt leben. In ganz Pakistan lebt die Hälfte der Bevölkerung der Städte in Slums. Pater Pascal Robert, den wir bereits zwei Tage zuvor bei dem Friedensgebetstreffen kennen gelernt hatten, hat auch hier einfach gehandelt, als er die Not sah: „Am meisten leiden hier die Frauen. Sie werden geschlagen. In den Familien gibt es viele Probleme. Ihre Männer nehmen oft Drogen und bringen kein Geld nach Hause. Die Frauen haben keinen Beruf erlernt, müssen aber ihre Kinder ernähren. Oft verdingen sie sich als Hausangestellte und kommen niemals aus dem Elend heraus“, sagt er uns. Deshalb hat er kurzerhand zwei Nähschulen aus dem Boden gestampft. Abends lernen Christinnen, Muslimas und Hindufrauen im Alter zwischen 15 und 40, Kleider zu nähen und sie kunstvoll zu besticken. Pater Pascal träumt davon, das Angebot noch zu erweitern. Es soll nicht nur Näh- und Stickkurse geben, sondern jede Frau, die etwas herstellen kann, soll andere Frauen darin unterrichten: Kerzen machen, Taschen herstellen, Verzierungen mit Henna herstellen – alles das wäre denkbar. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Der größte Vorteil besteht darin, dass sich diese Tätigkeiten für die Heimarbeit eignen, denn nicht immer ist es in der Familie gern gesehen, wenn eine Frau außer Haus arbeitet. Außerdem sind keine großen Investitionen notwendig.

Nähschulen: Eine Chance für Frauen am Rande der Gesellschaft. 39


Kapuzinerpater Pascal Robert betet mit einem kranken Mann im Slum.

Diese Arbeit trägt nicht nur zum Familieneinkommen bei, sondern sie verleiht den Frauen auch mehr Selbstbewusstsein. „Wir hätten es nie für möglich gehalten, dass wir so etwas können!“, sagen sie einstimmig. Schon in der Erziehung ist es so angelegt, dass die Frauen zu Hause bleiben sollen und nichts lernen. Kursteilnehmerin Nadia sagt uns: „Jungen werden immer bevorzugt. Jungen bekommen eine Chance, können etwas lernen. Sie kriegen sogar das bessere Essen. Eltern haben Angst, ihre Töchter in die Schule zu schicken. In einem islamischen Umfeld werden Mädchen behütet, aber sie dürfen nicht raus. Und die Männer fühlen sich besser, wenn ihre Frauen ungebildet sind. Dann können sie sie leichter kontrollieren. Ungebildete Mütter legen wiederum keinen Wert darauf, ihre Töchter in die Schule zu schicken. Sie sagen sich: ‘Wenn wir es nicht geschafft haben, dann schaffen sie es auch nicht‘.“ Alle Frauen aus dem Kurs können von einem harten Schicksal berichten. Da ist beispielsweise Reshida. Sie ist bereits seit 16 Jahren Witwe und hat sechs Kinder, die sie seitdem allein durchfüttern musste. Die 25-jährige Ajsha war nur fünf Monate lang ver40


Frauen im Elendsviertel.

heiratet. Von ihrer Schwiegermutter wurde sie geschlagen und schließlich aus dem Haus gejagt. „Meine Schwiegereltern haben mir jeden Kontakt zu meinen Eltern und Geschwistern verboten“, sagt sie leise. „Von meinem Mann konnte ich keine Hilfe erwarten. Er stand immer auf der Seite seiner Mutter.“ Als getrennt lebende Frau hat sie in der pakistanischen Gesellschaft keinen Platz. So hat sie keine große Zukunft zu erwarten. Aber der Nähkurs wird ihr dabei helfen, wenigstens für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Draußen ist es mittlerweile dunkel geworden. In der zweiten Nähschule ist gerade der Strom ausgefallen. Das schummrige Notlicht lässt alle näher zusammenrücken. Hier nehmen die Frauen kein Blatt vor den Mund. Die Mehrheit von ihnen sind Christinnen. Die 26-jährige Asia wollte immer etwas lernen, aber ihre Mutter starb bereits früh. So musste sie sich um die Geschwister kümmern. Mit zwölf heiratete sie. Ihr ältestes Kind ist vierzehn Jahre alt. Sie sieht viel älter aus, als sie ist. Ich hätte sie auf 50 geschätzt, aber in den Slums altern die Frauen früh. Sie ist die starke Stimme in der Gruppe. „Asia“, erklärt sie uns ihren Namen, „ist eine Frau, die stark im Glauben ist.“ Und sie sagt es offen: „Die in einem islamischen Land glauben, dass sie machen können, was sie wollen. Wir haben dieses Blasphemiegesetz. Wir haben Angst um unsere Kinder. Wenn sie zur Arbeit rausgehen, kann es gegen sie verwendet werden. Überall im Land haben die Leute Angst davor, getötet zu werden. In Karatschi gibt es so viele Waffen, in Lahore die Bombenattentate. Frauen haben keine großen Chancen. Wenn wir zur Bushaltestelle gehen, werden wir überall belästigt. Wir fühlen uns unsicher und haben Angst.“ „Die Männer starren uns auf der Straße an“, fügt eine andere hinzu. „Aber wir sind es von Kindesbeinen an gewöhnt, in diesem Umfeld zu kommen und zu gehen. Die jungen Frauen müssen sich aber immer gut verschleiern, um keine Probleme zu bekommen.“ 41


Immer wieder erleben die Frauen, dass einige Muslime sie und ihre Angehörigen unter Druck setzen, zum Islam überzutreten. Rafik, der Katechet, hat erst letzte Woche bei einem Besuch in einer Familie gehört, dass ein Mann, der schon vierzehn Jahre lang in einer Fabrik arbeitete, vor die Wahl gestellt wurde: Entweder wirst du Moslem, oder du kannst gehen.“ Pater Pascal fragt in die Runde: „Wer von euch möchte gern auswandern?“ Die Hälfte der Frauen hebt sofort die Hand. Eine, die sich nicht gemeldet hat, steht auf und sagt: „Wir wollen alle weg, aber ihr könnt uns ja sowieso nicht mitnehmen. Wozu sollen wir die Hand heben?“ Ihr größter Traum ist es, in ein Flugzeug zu steigen. Bloß weg von hier. Warum, fragen wir. „Mein Mann nimmt Drogen, ich will weg, um etwas für meine Kinder zu tun!“, antwortet sie. Andere nicken. So ähnlich geht es allen. Aber die Nähkurse geben ihnen wenigstens eine bescheidene Perspektive. Und vielleicht ist es auch ein erster Schritt, um das Leben ihrer Töchter zu verbessern, denn Mütter, die etwas lernen, erziehen ihre Töchter anders. Aber auch die Erziehung der Söhne verändert sich dadurch. Pater Pascal meint: „Wenn Jungen sehen, wie der Vater ihre Mutter schlägt, halten sie es für eine Form der Männlichkeit. Die Kurse sind für die Mütter ein Weg zu mehr Selbstachtung. Das hat auch Einfluss auf das Frauenbild der Söhne.“ Am Ende singen die Frauen ein Marienlied, und Pater Pascal spendet den Segen. Ein altes Mütterchen – sie sieht aus wie neunzig, mag aber vielleicht erst Mitte fünfzig sein – bittet uns in ihr bescheidenes Häuschen. Sie hat trotz ihrer Armut Rosengirlanden für Pater Pascal und uns gekauft und bietet uns Tee und Gebäck an. Die Gastfreundschaft dieser armen Frau beschämt uns. Sie hat acht Kinder, die bereits jugendlich beziehungsweise erwachsen sind. Sie haben alle eine Behinderung, vier davon eine schwere. Draußen auf der Straße vor der offenstehenden Tür des Hauses toben Kinder herum. Sie wollen uns auf sich aufmerksam machen und kreischen vor Freude, wenn wir ihnen winken. Irgendwann gehe ich allein hinaus auf die Straße des Slums. Ich fühle mich sicher in der Gesellschaft der Kleinen, die Kinder umzingeln mich, jedes gibt die Hand, wir toben herum, machen Quatsch. Hier vor diesem Haus im Slum trägt Pakistan für mich das Gesicht lachender Kinder. Der Abschied fällt schwer. Aber nicht überall ist es hier sicher und friedlich. Die Slums, in denen Pater Pascal die Nähschulen eingerichtet hat, liegen in der ältesten Pfarrei Karatschis. Sie wurde im Jahr 1862 gegründet, feiert also 2012 ihr 150-jähriges Bestehen. Früher war die HerzJesu-Kirche eine Holzkirche, aber am 8. Dezember 1992 wurde das Gotteshaus von islamistischen Extremisten niedergebrannt. Gegen halb drei in der Nacht griff ein aufgebrachter Mob von fünftausend mit Schlagstöcken und Benzin bewaffneten Männern die Pfarrei an und steckte das Pfarrhaus und die Kirche in Brand. Der damalige Pfarrer Bruno Sequeira wurde brutal angegriffen und kam nur knapp mit dem Leben davon. Der Wachmann konnte ihn gerade noch in Sicherheit bringen. Die Kirche wurde 42


Pater Pascal Robert mit Kindern aus „seinem“ Slum.

mittlerweile wiederaufgebaut. 150 katholische Familien gehören der Pfarrgemeinde an. Sie leben jedoch in einem gefährlichen Umfeld, denn in weiten Teilen ihres Stadtviertels haben sich Afghanen angesiedelt. Überall gibt es Waffen, und der Extremismus nimmt zu. In der Tat gleicht das Straßenbild teilweise eher dem im Grenzgebiet zu Afghanistan. So hätte ich mir Peschawar vorgestellt. Am Abend wieder eine andere Welt in der gleichen Stadt. Pater Pascal lädt uns ein, eine Kleinigkeit bei Pizza-Hut zu essen. Eigentlich sind wir schon zu müde, aber immerhin wird es schnell gehen, denken wir uns. Wir wollen ihm die Freude machen. Und etwas originell ist es schließlich auch, im Pizza-Hut von Karatschi zu essen. Vor der Tür steht – wie vor allen „westlichen“ Lokalen und Geschäften - ein mit einem Maschinengewehr bewaffneter Wächter. Im Inneren fühlen wir uns wie in Europa, auch wenn die Gäste Pakistanis sind. Schnell geht es allerdings nicht. Von „Schnellrestaurant“ kann keine Rede sein. Hier hat man Zeit. Nach einer halben Stunde werden die ersten Speisen serviert, und eine weitere Ewigkeit später kommen die Getränke. 43


... aufpassen, dass der Schleier nicht verrutscht! 44


Kinder auf einem „Balkon“ in einem Hindu-Slum in Karatschi.

Viele Frauen verzieren ihre Hände kunstvoll mit Henna. 45


Victor und Victor Einen Slum besuchen wir auch mit zwei Franziskanerpatres, die beide Victor heißen. Sie parken das Auto an einer stark befahrenen Straße. Neben den abgestellten Autos verkaufen Händler Ziegen für das bevorstehende Opferfest. Einer der Händler trägt einen gelben Turban. Seine Ziegen sind mit bunten Halsbändern geschmückt. Sie rupfen abgeschnittenes Gras und grüne Blätter und ahnen nicht, welches Schicksal sie schon in wenigen Tagen ereilen wird. Dann werden gläubige Muslime im Gedenken an das Opfer des Abraham vor ihren Häusern eine Ziege, ein Schaf, ein Rind oder sogar ein Kamel schlachten. Aber jetzt erfreuen sich die Tiere noch ihres Lebens. Kinder führen soeben gekaufte Ziegen an der Leine nach Hause, manche Tiere sind sogar mit Henna bemalt. Auf einem Schrottauto am Straßenrand ist Heu ausgestreut. Auch hier können sich die Tiere laben, die in diesen Tagen das Straßenbild prägen. In einer einfachen Schiffschaukel schaukeln zwei Kinder. Ein bärtiger Mann lässt sie in die Höhe schnellen. Unweit hängt ein Werbeplakat, das fast wie im Westen aussieht. Darunter der mörderische Verkehr, angesichts dessen man sich immer wieder wundert,

Ein Händler verkauft in Karatschi Ziegen für das bevorstehende Opferfest. 46


Franziskanerpater Victor Sawera auf einer belebten Straße mitten in Karatschi.

dass nicht mehr tödliche Unfälle passieren. Wir bleiben allerdings nicht auf der größeren Straße, sondern biegen zu Fuß in ein Gässchen ein. In den Armenvierteln auf dem Gebiet der St.-Philips-Pfarrei leben vor allem Christen. Sie freuen sich, wenn die Franziskaner sie besuchen. Victor Sawera, der jüngere der beiden Victors, wurde erst 2009 zum Priester geweiht. In seiner braunen Kutte mit dem hölzernen Rosenkranz bietet er auf einer pakistanischen Straße einen ungewöhnlichen Anblick. „Ich bin ein glücklicher Priester“, sagt er von sich. Traurig macht es ihn, dass es sich viele Eltern nicht leisten können, ihre Kinder in die Schule zu schicken. „Alles wird immer teurer, und viele Kinder werden zum Arbeiten geschickt. Die Mädchen müssten mit ihren Müttern in fremde Haushalte gehen, um dort zu putzen und Wäsche zu waschen. Sie dürfen nicht zur Schule gehen“, beklagt er. Manche Eltern, die ihre Kinder dennoch zur Schule gehen lassen, verlangen dann erst recht von ihnen, dass sie zusätzlich noch arbeiten gehen. Denn die Schule kostet Geld, und so sollen die Kinder etwas dazuverdienen, um sich an den Schulgebühren zu beteiligen. Wird ein Kind wegen nichtgezahlter Schulgebühren nach Hause geschickt, kommt es nie wieder zurück in die Schule. „Die Eltern denken ans nackte Überleben“, weiß Pater Victor. Gerade viele Christen stehen auf der untersten Stufe der Gesellschaft. Sie fegen die Straßen oder reinigen die Abwassergossen in den ärmeren Vierteln. Während in Pakistan 57 Prozent der Gesamtbevölkerung nicht lesen und 47


Drei kleine Jungen auf einem Moped. Im Slum wundert sich niemand über diesen Anblick.

schreiben können, sind es unter den Christen aufgrund ihrer Armut sogar 75 Prozent. Manche von ihnen ergeben sich ihrem Schicksal und glauben nicht daran, dass es ihren Kindern einmal besser gehen könnte. „Aber es gibt auch Eltern, die nicht meinen, dass es vom Schicksal so bestimmt sei, dass ihre Kinder in der untersten sozialen Schicht bleiben müssen“, so der Franziskaner. „In den Slums gibt es viele Drogensüchtige. Wir versuchen, ihnen zu helfen. Schon 10- bis 12-jährige Kindern schnüffeln Klebstoff. Er zerstört das Gehirn. Viele Jugendliche rauchen auch Haschisch oder spritzen sogar Heroin. Es ist eine schreckliche Situation“, berichtet er uns. Wir sehen es selbst, wie heruntergekommen aussehende Männer auf der Erde sitzen und Drogen konsumieren. Einige der Drogensüchtigen wirken völlig apathisch. Ein anderer winkt Pater Victor zu. Wieder ein anderer zieht gerade eine Spritze auf. Ein weiterer injiziert dem Mann, der neben ihm kauert, etwas in den Unterschenkel. Gleich wird er sich selbst eine Spritze setzen. Nicht wenige infizieren sich 48


Frauen im Slum bitten Pater Victor Sawera, ihre Kinder zu segnen.

mit HIV, weil sie die Spritzen gemeinsam benutzen. Pater Victor warnt uns vor herumliegenden Infusionsnadeln. Verletzt man sich daran, kann man sich mit allen möglichen Krankheiten infizieren. Wir geben acht, aber was ist mit den Kindern, die hier überall spielen? Wir gehen weiter, tiefer hinein in den Slum. Durch die engen und verwinkelten Gässchen fahren drei Jungen auf einem Moped. Sie sind höchstens zwölf oder dreizehn Jahre alt, vielleicht auch erst elf. Niemand stört sich daran. Ein Händler schiebt auf einem Karren Gemüse durch die Gassen. Auberginen, Blumenkohl, Kartoffeln, Erbsenschoten, Möhren bietet er zum Verkauf an. Über einem kleinen Büdchen, in dem man Brausepulver und andere Herrlichkeiten in bunten Papiertütchen erwerben kann, hängt ein Sonnensegel mit der Aufschrift „All about lifestyle“. Ein Eselskarren zwängt sich ebenfalls durch das Armenviertel. Vor einem Haus parkt eine ärmliche Rikscha. Ist sie kaputt oder das Arbeitsgerät des Hausherrn? Es gibt hier im Slum auch eine Kapelle, die der heiligen Jungfrau Maria geweiht ist. Über dem Eingang steht „God bless“, „Gott segne dich“. Dort wird jede Woche die heilige Messe gefeiert. Etwa 500 Gläubige nehmen daran teil. Aus den Eingangstüren der ärmlichen Häuser schauen Frauen hervor, die die beiden Franziskaner darum bitten, ihre Kinder zu segnen. Einige alte Frauen drücken die beiden Priester an ihr Herz. Jungen, die auf der Straße herumgelungert oder gespielt haben, laufen ihnen und uns nach. Alle sind froh, dass die beiden Victors gekommen sind. 49


Ein Raubvogel auf einem Kreuz (St.-Patrick-Kathedrale, Karatschi).

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Diese katholische Kinder in Sukkur werden betreut, während ihre Mütter lesen und schreiben lernen.

Statt fernzusehen, schauen drei Generationen dem Straßengeschehen zu. Männer nehmen in Pakistan oft auf offener Straße äußerst bequeme Haltungen ein. 51


„Wenn du die Messe feierst, jagen wir dich in die Luft“ Franziskanerpater Victor John hat in diesem Jahr bereits das Silberne Jubiläum seiner Priesterweihe gefeiert. 2001 wurde er bedroht. Einflussreiche Belutschen besetzten damals ein Grundstück neben einer katholischen Schule. Der Priester versuchte, etwas dagegen zu tun, und wandte sich an die Regierung. Daraufhin erhielt er Drohbriefe und -anrufe mit der Botschaft: „Wenn du die Messe feierst, jagen wir dich mit einer Bombe in die Luft!.“ Die Polizei riet ihm dazu, daheim zu bleiben. Wenn er das Haus verlassen wollte, bekam er Begleitschutz. „Meiner Meinung nach gehört sich das nicht für einen bescheidenen Franziskaner“, sagt er bedauernd, aber er hatte keine Wahl. Bis heute ist Pater Victor traumatisiert. Wenn ein Motorrad nahe an sein Auto heranfährt, überfällt ihn die Angst. Aber mit der Zeit ist es besser geworden, und er ist als Pfarrer der St.-Philips-Pfarrei immer für seine Pfarrkinder da. Neun heilige Messen werden hier jeden Sonntag gefeiert. Aber die Pfarrkirche ist schon längst zu klein geworden. KIRCHE IN NOT hilft beim Bau einer neuen, größeren Kirche. In allen Diözesen erzählen uns die Priester, dass sie bereits Drohbriefe erhalten haben. Alle bestätigen zudem, dass ihre Telefone abgehört werden und dass sie merkwürdige Anrufe bekommen, in denen jemand vorgibt, ein Moslem zu sein, der zum Christentum übertreten möchte. Ein Priester erschrak sehr, als ihn jemand auf seinem privaten Handy anrief. Diese Nummer hat nur seine engste Familie, da seine Mutter schwer

Die beiden Franziskanerpatres Victor John (rechts) und Victor Sawera zeigen stolz, wie ihre neue Pfarrkirche aussehen soll. 52


Eine alte Frau im Slum freut sich über den Besuch von Franziskanerpater Victor John.

krank ist und er dieses Telefon auch nachts nicht ausschaltet. Woher kannte der Anrufer die Nummer? Überall herrscht Angst. Ein anderer Priester berichtet, er sei von der Polizei verhört worden, weil er irgendwann eine harmlose SMS an jemanden schrieb, den er kaum kannte, der aber angeblich ein Foto in einem Armeeviertel aufgenommen haben soll. Sofort wurden alle Personen, die auch nur flüchtig mit diesem Mann in Kontakt standen, ebenfalls verdächtigt. Und sogar Bischöfe erhalten Briefe, in denen sie aufgefordert werden, zum Islam überzutreten. Pater Victor meint: „Es hat schon immer Probleme gegeben, aber früher ist alles nicht so schwierig gewesen wie jetzt. Karatschi ist für alle gefährlich. Man weiß nie, wann jemand kommt, um jemanden zu töten. Die Menschen werden durch die vielen schlechten Nachrichten depressiv. Auch die Muslime leiden unter dem erstarkenden Extremismus.“ Hass und Gewalt nehmen immer mehr zu. Besonders schlimm findet er aber dies: „Immer dann, wenn in Europa oder den USA etwas passiert, baden es die pakistanischen Christen aus. Die Kirche wird zur Zielscheibe. Aber wir sind doch keine Amerikaner, wir sind Pakistaner!“ 53


Kinder in einer katholischen Schule auf dem Gelände der St.-Philips-Pfarrei.

Probleme bereiten auch die Spannungen mit Afghanistan. Einige Flüchtlinge seien zwar in ihre Heimat zurückgekehrt, aber die, die zurückgeblieben sind, hätten starke Beziehungen mit Afghanistan, sagt er uns. Insgesamt halten sich noch 1,6 Millionen registrierte afghanische Flüchtlinge in Pakistan auf. Wir haben es selbst gesehen, wie viele Afghanen in Karatschi leben. Ganze Stadtviertel sehen so aus wie afghanische Städte. Von dort geht viel Gewalt aus. Pater Victor erklärt uns: „Die afghanische Regierung unterstützt teilweise die Terroristen wie das Haqqani-Netzwerk und die Taliban im Grenzgebiet. Die pakistanische Regierung hat Angst vor jeder Art von Anschlägen. Sie ist aber durch die herrschende Korruption geschwächt und kann die Grundbedürfnisse der Bevölkerung nicht befriedigen. In manchen abgelegenen Gebieten gibt es tagelang keinen Strom, auch in den Städten gibt es Probleme mit der Elektrizität. Und die Arbeitslosigkeit nimmt zu.“ Zu seiner Pfarrei gehören sechs katholische Schulen. Er berichtet uns: „In vielen muslimischen Schulen werden christliche Schüler misshandelt. Auch christliche Lehrer sind nicht gleichberechtigt. Und in den Slums dürfen Christen nicht einmal aus demselben Glas trinken wie Muslime. Immerhin: Manche gut ausgebildeten Muslime, die katholische Schulen besucht haben, sind anders.“ Wir besuchen mit ihm eine Schulklasse. Erstklässler in adretten Schuluniformen singen „Thank you, God, for everything“ („Dank sei dir, Gott, für alles“). Sie haben das Glück, eine Schule besuchen zu können und nicht diskriminiert zu werden. 54


Das Christuskind in Sindh Die Autofahrt nach Hyderabad sollte sich trotz der Dunkelheit einfach gestalten. Die Schnellstraße ist gut ausgebaut, und eigentlich sollte es kein Problem sein. Allerdings sind viele LKWs unterwegs. Wir bewundern die farbenfrohen Verzierungen. Es muss einen wahren Wettkampf der Fahrer geben, wer den buntesten Wagen hat. Fast wird die Straße zu einem Bilderbuch. Wenig beruhigt es uns allerdings, als wir erfahren, dass die Fahrer Haschisch rauchen, um ihren harten Alltag zu vergessen. Darauf, dass sie in den Rückspiegel schauen, bevor sie ausscheren, kann man sich nicht verlassen. Daher hupt unser Fahrer jedes Mal wie wild, bevor er an einem Lastwagen vorbeifährt. Wir haben Glück: Wenigstens auf das Hupen scheinen die Fahrer zu reagieren. Auf einmal läuft jedoch ein Esel ganz nahe vor unserem Auto auf die Fahrbahn. Der Aufprall scheint fast unvermeidlich zu sein. Dass ich die Schnalle des Sicherheitsgurts bei Fahrtantritt nicht gefunden habe (hier scheint niemand so etwas zu benutzen), bereue ich in diesem kurzen Augenblick bitter. Aber der Esel reagiert mit sichtlicher Geistesgegenwart und läuft zurück. Weiter geht die Fahrt mit wildem Gehupe, vorbei an Hunderten von Lastwagen. Dann rennt auf einmal vor unserem Auto ein Mann über die Autobahn. Mutig, die Fahrbahn so zu überqueren. Es hätte leicht das letzte Mal sein können. Aber wieder einmal hat jemand mehr Glück als Verstand gehabt. So treffen wir nach zweistündiger Fahrt heil in Hyderabad ein und werden von Bischof Max John Rodrigues herzlich begrüßt.

Der romantische Sonnenaufgang täuscht: Auch 2011 wurden durch Hochwasser Millionen Menschen obdachlos. 55


Eine Kamelherde in der Diözese Hyderabad.

Am nächsten Morgen fahren wir schon vor sechs Uhr los. Eine lange Autofahrt liegt vor uns. Die Schönheit der Landschaft verrät nicht auf den ersten Blick, dass 2010 und 2011 verheerende Überschwemmungen viele Millionen Menschen obdachlos gemacht haben. Kaum etwas deutet dem Unwissenden an, dass das Wasser, in dem sich das Morgenrot spiegelt, dort nicht hingehört. Es könnte eine Seenplatte sein. Kurz nach Sonnenaufgang erblicken wir neben der Straße eine riesige Kamelherde mit ihren Hirten. Majestätisch wiegen sich rund 250 Kamele im Morgenlicht. Wir halten an, machen Fotos. Ganz nahe kommen wir der Herde, die seelenruhig und stolz in einem schier endlosen Zug die Straße überquert und sich von unserer Gegenwart nicht beeindrucken lässt. In der Provinz Sindh begegnen uns immer wieder Kamele, auch als Zugtiere vor Wagen. Vor den kleinen Karren wirken sie überdimensional groß. Den Baumwollfeldern jedoch sieht man an, dass sie durch die Überflutung geschädigt worden sind. Die weißen Baumwollbüschel hängen an braunen, kaputten Stauden. Die Felder sehen aus wie von schmutzigem Schnee bedeckt. Und dann immer wieder die Elendsquartiere am Weg. Unter an Stöcken befestigten Stoff- und Plastikfetzen hausen ganze Familien. Einige Lager sehen besser aus – hier haben internationale Hilfsorganisationen Zelte gestiftet. Auch KIRCHE IN NOT hat der Kirche in Pakistan geholfen, sich um heimatlos gewordene Menschen zu kümmern. Aber die meisten der Flutopfer haben kaum einen Schutz gegen die Kühle der Nacht, Regen, Sonne und die schwirrenden Mücken. Von einem Dach über dem Kopf kann keine Rede sein, im besten Fall von einigen Tüchern, im schlechtesten Fall von zerfetzten Lumpen. Die Menschen leben zusammen mit dem wenigen Vieh, das sie retten konnten. Wir sehen Frauen, die bis 56


Die Flutopfer hausen unter erbärmlichen Bedingungen. Im Vordergrund: Eine durch Hochwasser zerstörte Baumwollplantage.

zu den Knien in schmutzigen Tümpeln stehen und mit Tonkrügen und Kanistern brackiges Wasser schöpfen. Und immer wieder erblicken wir am Weg eingestürzte Lehmhütten – das Zuhause dieser Menschen, das nicht mehr da ist. 1,9 Millionen Häuser und 10000 Schulen wurden durch die Fluten zerstört oder schwer beschädigt, 5,3 Millionen Arbeitsplätze vernichtet. Aber es gibt auch Hoffnungszeichen. Unter einem Baum sitzt eine Schulklasse und lernt das Alphabet. 25 buntgekleidete kleine Mädchen und knapp dreißig Jungen sitzen im Kreis und wiederholen aus voller Kehle, was der Lehrer ihnen vorspricht. Ihre Familien haben durch die Flut alles verloren, aber langsam fangen sie an, an die Zukunft zu denken und selbst ihr Schicksal in die Hand zu nehmen. Hier unter diesem Baum wurde wenige Tage vor unserem Besuch mit dem Unterricht begonnen. Langsam geht das Leben weiter. Ein kleiner Junge treibt Ziegen an der Schulklasse vorbei. Fröhlich winkt er. Am Eingang des „Dorfes“, das nur aus elenden Notunterkünften besteht, verkauft ein Händler auf einem einfachen Tisch Zwiebeln, Süßigkeiten und Gewürze. Dass er großen Umsatz damit macht, ist nicht anzunehmen. Auf dem Weg zu den notdürftigen „Zelten“, auf dem man über Wasserlöcher hüpfen muss, entdecken wir auch künstlich gegrabene Löcher. Darin schwimmen einige mittelgroße Frösche. Was auf den ersten Blick aussieht wie Swimmingpools für Amphibien, sind Vorratsbehälter. Die Menschen essen, was sie finden können, aber viel Fleisch kann an den armseligen Fröschen nicht dran sein. Die Männer, Frauen und Kinder in dem Notlager empfangen uns freundlich. An einem geflochtenen Bettgestell unter freiem Himmel, das kaum einen Meter vom Wasser entfernt steht, hängt ein gefaltetes Tuch. Plötzlich streckt sich daraus eine kleine Hand 57


Nach der Flutkatastrophe 2011: Frauen schöpfen brackiges Wasser.

empor. Das Tuch ist eine Wiege, in der ein Baby liegt. Ich knie mich vor die blaue Hängematte und schaue vorsichtig hinein. Der kleine Junge bewegt sich, spielt mit seinen Händen, blinzelt, schaut um sich. Mir kommt Bethlehem vor zweitausend Jahren in den Sinn. So ähnlich muss es gewesen sein, als die Hirten das Christuskind fanden. Nur dass es hier nicht einmal ein Dach über dem Kopf hat. Der Vater nimmt den Kleinen

Provisorischer Unterricht unter einem Baum. Viele Schulen wurden durch die Flutkatastrophen von 2010 und 2011 zerstört. 58


Fast wie damals in Bethlehem: Dieses Baby fanden wir in einem der zahlreichen Elendslager für Flutopfer.

stolz auf den Arm. Man sieht, dass die Eltern das Kind lieben, dass sie sich darüber freuen, obwohl sie nichts haben. Vielleicht denken sie aber nicht einmal, dass sie „nichts“ haben, denn sie haben ihre Kinder – und sie haben überlebt. Mir kommen die Leserkommentare und Meinungsforen im Internet in den Sinn, in denen verbitterte Mitmenschen anonym schreiben, dass man den Flutopfern in Pakistan am besten gar nicht helfen solle, weil „das alles eh nur Terroristen sind“. Welch ein menschenverachtender Zynismus. Das sind keine Terroristen, das sind kleine Babys, Kinder, schwangere Frauen, alte Menschen, einfache Männer ... Schon 2010 waren 10 Millionen Kinder von den Überschwemmungen betroffen, darunter 2,5 Millionen Kinder unter fünf Jahren. Die meisten Flutopfer waren schon vorher arm. Jetzt leben sie in unvorstellbarem Elend. Am schlimmsten trifft es die Kinder. Schon vor der Flutkatastrophe hat in Pakistan eines von zehn Kindern nicht seinen fünften Geburtstag erlebt. Infolge der Flutkatastrophe ist das Leben von bis zu 3,5 Millionen Kindern bedroht. Jedes von ihnen hat ein Gesicht und einen Namen. Ob das kleine Baby, das wir in dem Notlager in seiner hellblauen Wiege gefunden haben, diesen Winter überlebt hat, werden wir nie erfahren. Aber noch heute spielt sich millionenfach unter den Augen einer gleichgültigen Weltöffentlichkeit das Drama von Bethlehem ab. Noch heute gibt es für Millionen Menschen keinen Platz in der Herberge. Und vielleicht ist uns heute das Christuskind begegnet. Irgendwo in einem Elendskamp in der Provinz Sindh in Pakistan.

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Männer sitzen auf einer Brücke und schauen dem Straßenverkehr zu.

Ein kleiner „Laden“ am Rande eines Elendslagers für Flutopfer. 60


Eine von der Flut betroffene Frau in der Provinz Sindh. 61


Todesurteil: Mädchen oder: „Sie glauben an Affen“ Eigentlich sind wir nach Kunri gekommen, um das von dem Hochwasser beschädigte Haus der Columbanerschwestern zu besichtigen. Schwester Marie Galvin aus Irland und Schwester Perlita Ponge von den Philippinen helfen sonst anderen, aber jetzt brauchen sie selbst Hilfe. Deshalb haben sie sich an KIRCHE IN NOT gewandt. Das Wasser hat das ganze Gebäude überflutet. Mit Eimern haben die Schwestern versucht, der Wassermassen Herr zu werden. Jetzt ist noch immer alles feucht, und an den Wänden wird sich Schimmel bilden, wenn hier nichts getan wird. Hilflos standen sie vor den Schäden und wussten nicht weiter. KIRCHE IN NOT hilft ihnen jetzt dabei, ihr Kloster wiederherzurichten. Auch die Baustelle, auf der mit der Unterstützung unserer Wohltäter bereits die neue Pfarrkirche entsteht, schauen wir uns an. Die alte St.-BenediktKirche wurde 1998 durch ein schweres Erdbeben so stark beschädigt, dass sie einzustürzen drohte. Mit vereinten Kräften machten sich die Gläubigen daran, ihr Gotteshaus zu retten. Notdürftig wurden die Säulen und Balken abgestützt. Der heftige Monsunregen im vergangenen Jahr gab dem Gotteshaus jedoch den Rest. Mit der Hilfe von KIRCHE IN NOT wurde mit dem Neubau begonnen. Die neue Pfarrkirche ist nun höher gelegen und sicherer vor Überflutung. Der Bau schreitet gut voran. Als wir gehen, machen die Bauarbeiter sich wieder fleißig ans Werk. Hier in der Diözese Hyderabad bietet Pakistan ein anderes Bild als rund um Karatschi. Aus den roten Motorrikschas auf der Straße dringt überall ohrenbetäubende Musik, die an indische Bollywood-Filme erinnert. Die Atmosphäre ist entspannter. Auch die meisten Frauen sind anders gekleidet. Sie sind sogenannte „tribals“, gehören also ethnischen Minderheiten an. Viele sind Hindus. Die St.-Benedikt-Pfarrei von Kunri ist die älteste Pfarrei Pakistans, in der „tribals“ leben. 1958 wurde sie von Franziskanern gegründet. Sie erstreckt sich über ein weites Gebiet, und die 2400 Gläubigen leben über zahlreiche Orte verstreut. Die Orte Josefabad 1 und Josefabad 2, in denen 65 beziehungsweise 40 katholische Familien leben und die damit stärker katholisch geprägt sind, haben eine besondere Geschichte. Hier wurde nämlich Land gekauft, um befreite Leibeigene anzusiedeln. In Pakistan herrscht vielerorts noch ein Feudalsystem wie im Mittelalter. Die Landlords, also die muslimischen Großgrundbesitzer, behandeln noch heute ihre Landarbeiter wie Sklaven. Ihren Befehlen müssen die Arbeiter bedingungslos gehorchen. „Manchmal holen sie die Leute sogar aus der Kirche. Wenn sie rufen, müssen die Arbeiter kommen“, wird uns erzählt. Die Landlords und die Fabrikbesitzer haben die wahre Macht im Land. Durch Korruption haben sie die Polizei, die Justiz, das gesamte System unter sich gebracht. Sie können morden und vergewaltigen, ohne dass dies geahndet wird. Schänden sie die Frau oder Tochter eines ihrer Leibeigenen, so kann dieser nur schweigen. Am schlimmsten ist es, wenn sich Landarbeiter verschulden. Dann gerät ihre ganze 62


Aus den Motorrikschas der Provinz Sindh dringt oft ohrenbetäubende Bollywood-Musik.

Familie in vollkommene Abhängigkeit vom Landlord. Eine Krankheit genügt. Dann müssen sich die Leute Geld von ihrem Herrn leihen. Dieser verlangt horrende Zinsen. Aus dieser Knechtschaft kommen die Familien ohne Hilfe von außen nie wieder heraus. Es gibt aber auch einige „gute“ Landlords, die für ihre christlichen Landarbeiter sogar eine Kapelle erbauen ließen und selbst zur Einweihung gekommen sind. Wir folgen Pfarrer James Kajo, der uns zu einem bescheidenen Häuschen neben dem Schwesternkonvent führt. Er will uns etwas zeigen. Wir wissen nicht genau, was uns erwartet, aber wahrscheinlich wohnt in dem Häuschen der Katechet. Als wir eintreten, fällt mein erster Blick auf das Bett. Dort liegt auf einem blauen Kissen ein winziges Etwas in einem blütenweißen Wolljäckchen. Ein braunes Gesicht schaut unter einer Mütze hervor. Vielleicht eine Puppe? Aber haben die Kinder in dieser ärmlichen Hütte so fein gearbeitete Puppen? Plötzlich bewegt sich die Puppe“. Mein Gott, das ist ja ein Baby! Wie klein es ist ... Aber es ist wunderschön, mit feinen Gesichtszügen und lebhaften Augen. Was Pfarrer Kajo uns nun erzählt, lässt uns den Atem stocken. Das Baby sollte von seinen hinduistischen Eltern getötet werden, weil es „nur“ ein Mädchen ist. Normalerweise hält in solchen Fällen die ganze Familie dicht, und das Kind „stirbt einfach“. Da in Pakistan viele Babys sterben, fällt es niemandem auf. Häufiger noch werden kleine Mädchen jedoch schon vor der Geburt abgetrieben. Dieses Baby hatte jedoch Glück im Unglück, denn es wurde im Krankenhaus geboren. Pfarrer Kajo erfuhr, dass das Kind ungewollt war, und rettete die Kleine. 63


Teresa Lawrence und ihr Pflegekind Regina. Die leiblichen Eltern wollten die Kleine töten, weil sie „nur“ ein Mädchen ist.

Bei Teresa Lawrence, der Frau des Katecheten, ist die kleine Regina, wie sie nun heißt, in guten Händen. Sie wird geliebt und umsorgt. Getauft werden sollte Regina wenige Tage nach unserem Besuch. An ihrem Kissen hat Teresa bereits ein kleines Kreuz und einen Rosenkranz befestigt, damit das Baby beschützt wird. Shontif, die dreißigjährige Schwester des Priesters, hat bereits drei ungewollte Kinder bei sich aufgenommen. Die Situation der Hindus in Pakistan ist teilweise noch schlimmer als die der Christen. Denn das Christentum wird von den Muslimen immerhin noch als Buchreligion angesehen, während die Hindus „an Affen glauben“, wie es ein muslimischer Schüler im Brustton der Überzeugung behauptet. In der Provinz Sindh leben mehr Hindus als Christen. Insgesamt machen Hindus 1,5 Prozent an der Bevölkerung Pakistans aus. Im Pfarrhaus von Kutchi Kholi treffen wir einen ehemaligen Hindu, der katholisch geworden ist. Er heißt Kheyo Patan und ist mit einer Christin verheiratet. „Bei unserer 64


Trauung musste ich meine Hand auf die Bibel legen. Dabei hatte ich ein seltsames Gefühl“, erzählt er uns. „Meine Frau hat am hinduistischen Lichterfest immer Kerzen vor dem Bild der Muttergottes angezündet. Irgendwie habe ich da gespürt, dass ich auch gläubig werden will. Ich habe mich aber nicht getraut, mit dem Priester zu sprechen. Eines Tages bin ich dann doch zu ihm gegangen. Er fragte mich: ‚Warum fürchtest du dich?’ Dann nahm er meine Hand und betete. Er sagte zu mir: ‚Jetzt wirst du keine Angst mehr haben.’“ In der darauffolgenden Nacht träumte Kheyo, dass die Erde bebte. Eine Taube stieg auf, und er hörte eine Stimme sagen: „Du wirst nie wieder Angst haben.“ Seitdem ist er Christ. Sein zehnjähriger Sohn will Priester werden, seine achtjährige Tochter Ordensfrau. Als wir auf den Hof hinausgehen, spielen die beiden Kinder gerade mit einem rotgestreiften Kätzchen. Der „angehende Priester“ nimmt es hoch und zeigt es mir. Die „zukünftige Nonne“ ist etwas schüchterner. Wir erfahren, dass in der katholischen Schule, in die die beiden Kinder gehen, Schüler aus fünf verschiedenen Volksgruppen gemeinsam lernen. Darunter sind auch hinduistische Kinder. Am Lichterfest, das „Diwali“ genannt wird, feiern die Hindus den Sieg des Guten über das Böse, des Lichtes über die Finsternis. „Einer der Götter bekämpfte das Böse und brachte das Licht“, erklärt ein hinduistischer Lehrer ihnen das Fest. „Bei euch ist Christus das Licht der Welt“, weiß er. Die christlichen Kinder singen oft das Lied „Jesus ist das Licht der Welt“. „Beide Religionen werden in der katholischen Schule geachtet“, sagt Kheyo.

Hindufrauen in der Diözese Hyderabad. 65


„Die Christusstatue hat uns gerettet“ Ein neuer Tag. Bischof Rodrigues hat ein volles Programm für uns vorbereitet, und die Fahrt mit den Umwegen über die verschiedenen Stationen soll insgesamt zehn Stunden dauern. Bereits um fünf Uhr morgens brechen wir mit ihm auf. Für die lange Fahrt werden wir belohnt: Wir dürfen miterleben, wie er in einem Slum von Dherki die FranzXaver-Kirche einweiht, die mit der Hilfe von KIRCHE IN NOT gebaut wurde. Der Bischof kommt nicht mit leeren Händen zu den Gläubigen: Die Paulusschwestern aus Lahore haben große Pakete mit religiösen Büchern, Bibeln, Rosenkränzen und Messgewändern gespendet. Schwere Kartons werden aus dem Auto ausgeladen und in die Kirche gebracht. Nach der offiziellen Einweihung setzt der Bischof sich auf die Stufen des Altars und spricht mit den Kindern über Jesus Christus. Ganz einfach spricht er zu ihnen, wie ein liebevoller Großvater. Er erzählt, die Kinder hören gebannt zu, er stellt Fragen, die Kleinen antworten. Auch die Erwachsenen lauschen aufmerksam. Ein Mädchen steht auf und betet mit gefalteten Händen und geschlossenen Augen vor. Draußen wimmelt es von Fliegen, der Slum ist von übelriechenden Abwassergossen durchzogen. Hier leben Christen, die nur in der Kirche spüren, dass sie eine Würde haben. Überall sonst sind sie niemand, gelten als Straßenkehrer, werden von Muslimen als „dreckig“ beschimpft. Aber in der Kirche wissen sie, dass sie reich sind. Sie haben Christus.

Bischof Max John Rodrigues von Hyderabad erzählt Kindern von Jesus. 66


Diese Christusstatue hat den Missionsfranziskanerinnen von Christus König in Sukkur 2009 das Leben gerettet.

Hinterher begegnen wir dem zwanzigjährigen Stephen. Im Alten Testament las er vor sechs Monaten von Melchisedek, dem ersten Priester, der in der Heiligen Schrift erwähnt wird. Von ihm steht geschrieben: „Melchisedek, der König von Salem, brachte Brot und Wein heraus. Er war Priester des Höchsten Gottes“ (Gen 14,18). In Psalm 110, Vers 4, heißt es: „Du bist Priester auf ewig nach der Ordnung Melchisedeks.“ Diese Worte fielen in sein Herz, und er spürte den Ruf Gottes. Schüchtern und ungelenk steht er vor uns, der junge Mann aus dem Slum, der uns sagt: „Ich möchte auch Priester werden.“ Wir müssen noch weit fahren an diesem Tag, denn wir wollen auch noch nach Sukkur. Langsam wird es Abend. Wir sehen Palmen, soweit das Auge reicht. Tausende Palmen prägen die Landschaft. Schier unendliche Dattelpalmenplantagen überziehen die Region wie Wälder, in deren Blättern sich ein zauberhaftes Licht bricht. Aus einem Nebenarm des Flusses Indus steigen Wasserbüffel im Abendnebel ruhig und majestätisch ans Ufer. Darüber steht ein kleiner Hindutempel. Ein Motiv für ein Poster. In einer Dorfmoschee knien Männer auf ihren Gebetsteppichen und sprechen ihr Abendgebet. 67


2009: Bischof Max John Rodrigues von Hyderabad steht fassungslos in der von Islamisten zerstörten Marienkirche von Sukkur.

Als wir Sukkur erreichen, ist es schon dunkel. Im Marien-Kloster erwarten uns die Schwestern in ihren weißen Saris mit roten Streifen am Saum bereits. Die Missionsfranziskanerinnen von Christus König sind eine einheimische Kongregation. Gegründet wurde sie 1937 in Karatschi. Heute ist ein großer Tag für die vier Ordensfrauen: Bischof Rodrigues soll ihre neue Kapelle einweihen. Auch hier hat KIRCHE IN NOT bei der Renovierung geholfen. Sukkur liegt in einer Region, in der bis zu neun Monate im Jahr extreme Hitze herrscht. Über 50 Grad kann es heiß werden. Während des Monsuns gibt es hingegen starke Regenfälle. Das ganze Klostergebäude war bereits schwer beschädigt und von Rissen durchzogen. Durch den Regen drohte schließlich die Decke einzustürzen. Jetzt nach der Renovierung können die Schwestern wieder dort leben, ohne befürchten zu müssen, von herabstürzenden Teilen der Decke erschlagen zu werden. Und sie können wieder junge Berufungen aufnehmen. Drei Mädchen zwischen siebzehn und neunzehn Jahren haben sich ihnen angeschlossen. 68


Im April 2006 hatten die Schwestern jedoch Glück, dass sie mit dem Leben davonkamen. Eigentlich war es jedoch weniger „Glück“ als vielmehr ein Wunder. Wir erinnern uns: Die Stimmung war nach den Mohammed-Karikaturen, die eine dänische Zeitung im Februar 2006 abgedruckt hatte, aufgeheizt; die ganze islamische Welt war in Aufruhr. Brennende Flaggen, tausende emporgereckte Fäuste, gebrüllte Sprechchöre, Transparente mit Morddrohungen und Hassparolen, gekreuzigte Strohpuppen, Fotomontagen, auf denen der Karikaturist geköpft dargestellt wurde, Pappsärge mit der Aufschrift „Dänemark“ – die Wut kannte keine Grenzen. Als dann auch noch die Behauptung aufkam, ein pakistanischer Christ habe Koranseiten verbrannt, brach über Sukkur ein Tag der Rache und des Zorns herein. Ein aufgebrachter Mob aus tausenden Fanatikern machte sich auf den Weg zur Marienkirche. Unterwegs hatte die Menge bereits die protestantische Erlöserkirche zerstört. Auf dem Gelände der katholischen Kirche stehen auch die Schule und das Kloster der Schwestern. Die entfesselte Gewalt richtete sich zunächst gegen das Gotteshaus. Die Fanatiker rissen die Heiligenfiguren herunter, warfen die Bänke um und schleuderten Messkelche, liturgische Bücher und Gewänder auf die Erde. Schließlich versuchten sie, gewaltsam den Tabernakel aufzubrechen. Am Ende zündeten sie das Gotteshaus an. Die Kirche wurde in Schutt und Asche gelegt, ein Teil der Schule brannte ebenfalls nieder. Die gewaltbereiten Horden zogen nun weiter, um auch das Schwesternkloster zu überfallen. Auf dem Weg dorthin fiel ihnen jedoch die große Christusstatue ins Auge,

Schwester Rosey mit Kindern aus der katholischen Schule. Im Hintergrund die wiedererrichtete Marienkirche von Sukkur. 69


Ein Traum in Weiß: ein katholisches Brautpaar in Islamabad. Freunde sprühen Kunstschnee.

die zwischen Kirche und Kloster steht. Die weiße Steinfigur stellt Christus als König dar. Der Hass der Menge richtete sich nun gegen Christus König. Die aufgebrachten Männer versuchten, die Statue in Stücke zu schlagen. Allerdings erwies sie sich als massiver als gedacht. Immer wieder schlugen sie darauf ein, aber es gelang ihnen nicht, sie zu zerstören. Während sie noch am Werk waren, traf die Polizei ein. So blieben die Schwestern vor den Übergriffen des Mobs verschont. Die Kirche wurde wieder aufgebaut, allerdings nicht von der Regierung, die zwar Hilfe zugesagt hatte, ihr Versprechen jedoch nie einlöste, sondern mit der Unterstützung von KIRCHE IN NOT. Am nächsten Morgen sehen wir, wie sich hier auf dem Hof die Schulkinder tummeln. Kleine Mädchen in blau-weiß karierten Kleidchen spielen unter den Blicken der Christusstatue Fangen. Größere Mädchen mit Zöpfen unterhalten sich und grüßen wohlerzogen. Kleine Jungen bewundern Pater Andrzejs Fotokamera. Als die Glocke läutet, stellen alle sich artig in Reihen auf. Die Kleinsten haben für uns gebastelt. „Wel Come“ steht auf einem Schild unter einem lächelnden Gesicht aus Glanzpapier, das ein kleiner Junge hochhält. Orthografisch nicht ganz richtig, aber rührend und süß. Eine Karte bekommen wir auch. Sie ist mit künstlichen Blumen und einem gemalten Hasengesicht verziert. Dann singen die Kinder noch ein Lied für uns und klatschen dabei in die Hände. Nichts erinnert mehr daran, dass hier einmal ein entfesselter Mob das Kirchengelände überfiel. Die Schwestern erinnern 70


sich daran, als sei es gestern gewesen, dass die Christusstatue sie rettete. Mögen wenigstens diese Kinder niemals solche Bilder sehen müssen. Aber wir wissen: Es kann jederzeit wieder passieren. Schwester Rosey sagt uns das, was wir in Pakistan immer wieder hören: „Wo auch immer in der Welt jemand etwas tut, was Muslime als Beleidigung auffassen, wir zahlen den Preis dafür. Alle Wut richtet sich hier in Pakistan gegen uns Christen. Wenn in den USA oder in Europa etwas geschieht, müssen wir leiden.“ Fast fünf Stunden dauert am nächsten Tag die Rückfahrt nach Hyderabad. Auf der Schnellstraße geraten wir in einen Stau. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, aber irgend etwas geht hier vor sich. Wir können nicht genau sehen, was los ist, aber es scheint Unruhen zu geben. Autoreifen werden verbrannt, die Straße ist blockiert. Demonstrationen und Kundgebungen können in Pakistan schnell in Gewaltorgien ausarten. Oft gibt es Tote und Verletzte. Ich erinnere mich in diesem Augenblick daran, dass ich vor vier Jahren selbst eine Pressemeldung geschrieben habe, als Ordensschwestern in Lahore auf der Straße in eine Demonstration gerieten. Ihr Auto wurde mit Steinen beworfen und völlig zerstört. Die Schwestern selbst kamen mit dem Schrecken davon, aber solche Situationen sind hochexplosiv. Bischof Rodrigues wird sichtlich unruhig. Er dreht sich um und macht eine Geste, die offensichtlich besagt, ich solle mein Gesicht verhüllen. Ich ziehe den Schleier ganz übers Gesicht und wünsche mir in diesem Moment zum ersten Mal in meinem Leben eine Burka. Wir als Ausländer könnten schnell zum Hassobjekt werden. In manchen Situationen ist es in Pakistan nicht falsch, unsichtbar zu sein. Der Fahrer dreht mitten auf der Schnellstraße und fährt als „Geisterfahrer“ zurück, bis er in einen Seitenweg einbiegen kann. In Deutschland undenkbar, hier ganz normal. Auch in den Städten sieht man immer wieder, dass jemand auf durch Absperrungen getrennten Spuren einfach auf der falschen Seite fährt – sei es, weil er es sich anders überlegt hat, sei es, weil er Zeit sparen will und gar nicht erst auf die andere Spur wechselt. So fahren wir übers Land und durch kleine Dörfer und umgehen den Unruheherd. Als wir an einem anderen Ort in einen Stau geraten, tragen zwei Männer einen Kampf mit den Fäusten aus. Als sie fertig sind, geht es weiter. Es gibt aber in Pakistan auch nette Verkehrshindernisse. So begegnen uns am Wochenende nach dem Opferfest Dutzende Hochzeitsgesellschaften mit ihren bunt geschmückten Autos. Die Bräute sieht man jedoch nirgends. In den mit bunten Blütengirlanden überzogenen Autos sitzt jeweils der Bräutigam, der zum Haus der Braut gebracht wird. Meistens sitzt er darin nicht allein, denn oft quetschen sich noch vier oder fünf Personen auf die Rückbank. Der Rest der Verwandtschaft folgt in gemieteten Bussen. Auch in einer Kirche in Islamabad erleben wir eine Trauung. Als das Brautpaar vor das Portal tritt, wird es mit weißem Kunstschnee besprüht. Der chemisch-beißende Gestank ist auch in 15 Metern Entfernung noch atemberaubend. Aber wahrscheinlich ist Schnee hier der Inbegriff von Romantik. Ein Traum in Weiß. 71


Unter geschickten Frauenh채nden entstehen bezaubernde Bl체tenmuster.

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„Evangelisierung durch Kinder“ lautet das Motto des Dar-ul-Kalam-Zentrums in der ErzdiĂśzese Lahore. Mit kreativen Mitteln verbreiten Kinder und Jugendliche die Frohe Botschaft. 73


Ein Bischof mit Bodyguards Bischof Andrew Francis von Multan wird von einer Polizeieskorte begleitet, wenn er sein Haus verlässt. Immer fährt ein Polizeiwagen mit drei mit Maschinengewehren bewaffneten Beamten mit. In seiner Diözese gibt es zahlreiche Terrorcamps. Bischof Andrew fährt aber sogar in Gebiete jenseits des Flusses Indus, in die sich die Regierung nicht traut. Christen gibt es dort nicht, aber er sieht, dass die Menschen Hilfe brauchen. In manchen Regionen gibt es viele Kinder mit Down-Syndrom. Dies kann auf Ehen zwischen nahen Verwandten zurückgeführt werden. Niemand hilft den Menschen, außer der katholischen Kirche. Zahllose Familien sind zudem auch hier von der verheerenden

Besichtigung einer durch Hochwasser verwüsteten Kapelle. Die Polizeieskorte von Bischof Andrew Francis ist immer dabei.

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Kinder stehen Spalier für Bischof Andrew Francis von Multan. Die Kirche entstand mit der Hilfe von KIRCHE IN NOT.

Flutkatastrophe betroffen. Aber Bischof Andrew betont: „Ich bin Seelsorger, kein Sozialarbeiter.“ Und er macht die Erfahrung, dass viele Menschen gar nicht so sehr an materieller humanitärer Hilfe interessiert sind. „Immer wieder bitten mich die Leute darum, dass ich für sie bete.“ Als der Bischof die Diözese 1999 übernahm, krochen auf dem Gelände des Bischofshauses Schlangen herum, und in dem maroden Haus gab es nicht einmal Stühle. „Ohne KIRCHE IN NOT wäre ich gestorben“, sagt er. Dann krempelte er die Ärmel hoch. Heute umgibt ein gepflegter Garten sein geschmackvoll eingerichtetes Bischofshaus, dessen Türen seinen Priestern immer offen stehen. Nur 15 Diözesanpriester hat Multan, viel zu wenige für das riesige Gebiet, das mit fast 99000 Quadratkilometern größer ist als Österreich. Aber es gibt einen Hoffnungsschimmer, denn zurzeit bereiten sich 42 junge Männer aus der Diözese auf das Priestertum vor. Erst kürzlich kam der Apostolische Nuntius, Edgar Peña Parra, nach Multan, das auch „Stadt der Mangos“ genannt wird, weil es dort so viele Mangobäume gibt. Bischof Andrew Francis schaffte es, auch Muslime für den Besuch des Vatikanbotschafters zu begeistern. So schmückten viele von ihnen ihre Häuser und die Straßen mit gelb-weißen Vatikanflaggen. Massen von Menschen wollten sich segnen lassen. Wer dem Nuntius nicht selbst die Hand geben konnte, küsste sein Auto. 75


Wenn Weihnachten die Taliban an die Tür klopfen Bischof Andrew hat auch gute Beziehungen zu einer örtlichen Madrasa, einer Koranschule. Gemeinsam mit ihm können wir sie besuchen. Es ist ein großes, helles, modernes Gebäude. Der Direktor der Schule war früher in der Armee. Heute leitet er die Madrasa, in der die 600 Schüler nicht nur den Koran lernen. Mathematik, Geschichte, Computer – es stehen alle Fächer auf dem Lehrplan, in denen Schüler auch in anderen Schulen unterrichtet werden. In der Koranschule unterrichten auch Frauen. Zwar sind sie bis zu den Augen verschleiert, aber sie können hier als Lehrerinnen tätig sein. In einem Raum hocken vielleicht zwanzig zwölf- bis vierzehnjährige Knaben auf dem Boden und rezitieren aus dem Koran. In einem anderen Klassenzimmer schreiben die Schüler etwas auf Arabisch in ihre Hefte, was die verschleierte Lehrerin diktiert. Nebenan sitzen ältere Jugendliche vor Computern. Wir Frauen werden von niemandem angeschaut. Am Ende des Besuches beten unsere muslimischen Gastgeber gemeinsam mit uns. Bischof Andrew hat keine Angst, hier den Namen „Jesus Christus“ auszusprechen. Er ruft

Eine Koranschule in Multan. 76


Bischof Andrew Francis besucht eine Koranschule in Multan.

auch den Heiligen Geist auf alle herab. Es wird toleriert. Jemand, den wir hinterher treffen, sagt uns hingegen, die Koranschule tue nur so, als sei sie offen und tolerant gegenüber Andersgläubigen. Was sollen wir glauben? Fakt ist jedoch, dass es „den Islam“ nicht gibt. Es gibt zahlreiche verschiedene Strömungen, die sich untereinander nicht einig sind. Von großer Offenheit und Toleranz bis hin zu dem erbarmungslosen Töten Andersgläubiger, darunter auch anderer Muslime, die nicht mit der eigenen Interpretation des Islam übereinstimmen, ist alles zu finden. Und jeder von ihnen stützt seine Auffassung auf den Koran. Es gibt in Pakistan Muslime, die an Weihnachten ihre Festtagskleidung anziehen, um mit ihren Kindern in einer Kirche eine Krippe anzuschauen, und es gibt andere, die selbst ihre moderateren Glaubensgeschwister töten. Bischof Josef Coutts, den wir später in Faisalabad treffen sollten, berichtete uns sogar davon, dass in einem Bergdorf, in dem es viel Gewalt gibt, eine Talibangruppierung die Christen an Weihnachten beschützt hat. Diese Taliban gingen noch einen Schritt weiter und sagten dem Pfarrer: „Sag uns Bescheid, wenn jemand von euch nicht zum Gottesdienst kommt, wir kümmern uns dann darum!“ Man stelle sich vor, dass bei weniger eifrigen Gemeindemitgliedern auf einmal an Weihnachten die Taliban vor der Türe gestanden haben könnten, um sie aufzufordern, zur heiligen Messe zu gehen ... 77


Ministranten in der Herz-Jesu-Kathedrale von Lahore.

Im Frauenhaus von Faisalabad absolvieren junge Frauen eine Ausbildung zur Kosmetikerin. Sie kÜnnen dann ihr eigenes Geld verdienen, indem sie zum Beispiel Bräute frisieren und schminken. 78


G채ste werden in Pakistan mit Rosenbl채ttern bestreut und mit Girlanden geschm체ckt.

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„Ohne Jesus sind wir nichts“ Am nächsten Tag fahren wir fast vier Stunden mit dem Auto. Stets begleitet uns dabei unsere Polizeieskorte. Ich frage mich, ob die Polizisten nicht mehr Angst haben müssen als wir, denn in der letzten Zeit sind Polizei und Armee die Hauptziele terroristischer Anschläge. Eigentlich machen unsere bewaffneten „Schutzengel“ einen netten Eindruck, und auf ihrem Jeep steht in großen Buchstaben „NO FEAR“ („Keine Angst“). Dennoch stellt sich die Frage, ob man in diesem Land der Polizei trauen kann. Die Korruption ist hoch, und immer wieder hören wir davon, dass Polizisten nach Dienstschluss ihren Sold durch Raubüberfälle aufbessern. Außerdem können auch unter Polizisten Extremisten sein. Der Gouverneur der Provinz Punjab, der im Januar 2011 ermordet wurde, weil er sich gegen das Blasphemiegesetz aussprach, wurde von seinem eigenen Leibwächter erschossen. Dieser gehörte einer Eliteeinheit der Polizei an. Was wäre, wenn nun einem unserer Bodyguards auf einmal in den Sinn käme, „Ungläubige“ zu töten? Die Maschinengewehre, die sie in Händen halten, sehen bedrohlich aus. Nach über vier Stunden Fahrt sind wir am Ziel. Hasilpur liegt nicht weit entfernt von der indischen Grenze. Als der Staat Pakistan 1947 entstand, kamen viele Inder dorthin. 300 katholische Familien leben in Hasilpur, die meisten von ihnen verdingen sich als

Benjamin aus Hasilpur wird zum Diakon geweiht. 80


Tagelöhner. Lange haben die Gläubigen auf ein eigenes Gotteshaus gewartet. Die 1950 aus Lehmziegeln erbaute Kapelle, in der sich die Gemeinde früher zum Gebet versammelte, wurde durch starke Regenfälle schwer beschädigt. Im Jahr 2005 wurde die Benutzung des Gebäudes von den Behörden endgültig verboten, denn der baufällige Gebetsraum drohte einzustürzen. So versammelten sich die Menschen jeden Sonntag und Dienstag unter freiem Himmel zur heiligen Messe. Aber im Sommer herrscht hier extreme Hitze, und im Winter wird es sehr kalt. Aus eigener Kraft begannen die Gläubigen mit dem Bau einer Kirche. Infolge der Flutkatastrophe von 2010 wurden Baumaterialien jedoch extrem teuer, da überall versucht wurde, die zerstörten Gebäude wiederaufzubauen. Deshalb hat KIRCHE IN NOT geholfen. Der Priestermangel macht sich auch hier bemerkbar. Der Pfarrer ist für drei Pfarreien zuständig. Die Entfernungen sind groß. Dennoch feiert er jeden Sonntag und Dienstag in allen drei Pfarreien die heilige Messe. Heute wird hier in der dem heiligen Martin von Porres geweihten neuen Pfarrkirche Benjamin, ein junger Mann aus dem Dorf, zum Diakon geweiht. Er freut sich schon auf seine Priesterweihe. Als wir ankommen, steht auf der Straße vor dem Kirchenportal ein Mann mit einem bunt geschmückten Kamel, um den Bischof willkommen zu heißen. Im Kircheneingang tanzen kleine Mädchen in lilafarbenen Satinkleidchen mit Tüllschleiern einen traditionellen Willkommenstanz. Sie tragen Öllämpchen und singen: „Unser Weg ist der Weg des Kreuzes. Ohne Jesus sind wir nichts.“ In der Kirche warten bereits die Gläubigen. Rechts sitzen die Frauen auf dem Boden, links die Männer. Laut beginnt der Chor zu singen, als der Bischof, die Priester und die Ministranten mit ihren goldenen großen Rundkragen in die Kirche einziehen. Stolz sitzen Benjamins Eltern in der ersten Reihe. Hier ist alles ärmlicher als bei der Diakonenweihe, an der wir eine Woche zuvor in der Kathedrale von Karatschi teilgenommen haben. Die Messbücher fallen fast auseinander und sind in Geschenkpapier eingeschlagen. Zur Gabenbereitung bringen Gläubige außer Brot und Wein statt der großen Blumenkörbe einen Blumenkohl, etwas Mais und einige Bananen zum Altar. Aber die Freude ist hier nicht geringer. Die Allerheiligenlitanei in Urdu singen alle mit. Als Bischof Andrew dem jungen Benjamin die Hände auflegt, beginnt draußen der Muezzin zu rufen. Hier, in diesem muslimischen Umfeld, will der junge Benjamin in Zukunft als Priester wirken. Ein mutiger Entschluss. Nach der Weihe klatschen alle Beifall, als der frisch geweihte Diakon seine Gewänder anzieht. Nach der Kommunion kriecht eine kranke Frau auf allen Vieren in den Altarraum, um sich von Bischof Andrew segnen zu lassen. Er legt ihr die Hände auf. Mit glücklichem Gesichtsausdruck entfernt sie sich. Der Segen spielt hier eine wichtige Rolle. Die Menschen lassen sich und ihre Kinder bei jeder Gelegenheit von den Priestern segnen. 81


Draußen wartet schon unsere Polizeieskorte auf uns. Sie begleitet uns zum neugegründeten „John Paul II. Harmony Centre“ in Vehari. Viele Gläubige beten indessen noch vor der Mariengrotte. Die Verehrung der Muttergottes ist tief verwurzelt. Nahezu jede Kirche in Pakistan hat auf ihrem Gelände eine Mariengrotte, und vor und nach jedem Gottesdienst sehen wir dort die Gläubigen in innigem Gebet versunken, vor allem Frauen und Kinder. Die Mariengrotte ist mit einer gelb-weißen Vatikanflagge geschmückt. Es ist ein sichtbares Symbol dafür, dass auch die Gläubigen in Hasilpur ein Teil der weltumspannenden katholischen Kirche sind. Das eben erst eröffnete Zentrum, das nach Papst Johannes Paul II. benannt ist, soll den Dialog zwischen Christen und Muslimen fördern. Als wir davorstehen, beginnt der Muezzin zu rufen. Wie lange wird es hier in dieser Islamistenhochburg in der Diözese Multan dauern, bis das Zentrum zum ersten Mal bedroht wird? „Unser Weg ist der Weg des Kreuzes“ hatten die kleinen Mädchen mittags gesungen, um den Bischof willkommen zu heißen. Klarer kann man die Situation der Christen in Pakistan kaum umschreiben.

Der neugeweihte Diakon Benjamin reicht seinen Eltern die heilige Kommunion. 82


Fünf Stunden Hölle Die mehr als fünfstündige Autofahrt nach Faisalabad sollte zum wahren Horrortrip ausarten. Noch vor Fahrtantritt hatten uns unsere neuen Freunde eingeschärft, nicht die schwarze Sonnenschutzverkleidung von den Autofenstern zu entfernen. Nicht wegen der Sonne, die schon kurz darauf sowieso unterging, sondern zu unserer Sicherheit. Wir erinnern uns: Ringsherum liegen Camps, in denen Terroristen ausgebildet werden. Es wäre also besser, wenn uns niemand sehen würde. Wenig später bricht die Finsternis herein. Die Dämmerung währt hier nur kurz, schnell wird es dunkel. Wir fahren und fahren. Der Fahrer tut nur so, als könne er Englisch. Seine geradebrechten Auskünfte widersprechen sich. Eigentlich wird die Entfernung nach seinen Angaben immer größer. Wir brettern in mörderischem Tempo über eine enge, unbeleuchtete Landstraße. Wo wir uns befinden, können wir nicht erkennen. Die wenigen Straßenschilder mit ihren arabischen Schriftzeichen helfen mir herzlich wenig. Langsam verliert man in so einer Situation das Gefühl für Raum und Zeit und ergibt sich seinem Schicksal. Die Stimmung steigt jedoch ins Unermessliche, als uns ein Priester aus Multan anruft, der uns fragt, ob alles in Ordnung sei, und sagt: „Ich mache mir Sorgen um euch, weil der Fahrer ein Moslem ist.“ Nichts gegen Muslime, aber in der Finsternis jemandem auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein, von dem man nicht weiß, ob er nicht Kontakte zu einem der umliegenden Terrorcamps hat, ist eine beunruhigende Vorstellung. O Gott, vielleicht werden wir doch noch entführt, denke ich mir. Wer weiß, wohin er uns bringt. Was nützen uns schwarz verkleidete Scheiben, wenn der Verräter womöglich mit im Auto sitzt? „Wie weit ist es noch?“ Jetzt ist es plötzlich doppelt so weit wie vor einer Stunde. Das Misstrauen wächst. Am Ende kommen wir jedoch an dem Pfarrhaus an der Grenze zwischen den Diözesen Multan und Faisalabad an, wo uns der Fahrer des Bischofs von Faisalabad abholen soll. Der Pfarrer begrüßt uns liebenswürdig. In seinem Garten leuchten bunte Lichter – rot, gelb, blau, grün. Der Ort kommt mir in diesem Moment wie das Paradies vor. Bei einer Tasse Chai, dem obligatorischen Gewürztee mit Milch, und frittiertem Gebäck kehren die Lebensgeister wieder. Gott sei Dank, wir sind gerettet. Etwas revidiert wird dieser Eindruck, als der nette Priester uns erklärt, warum die Mauern um sein Haus so hoch sind: „Hier sind überall die Taliban“, sagt er entschuldigend. Als wir weiterfahren, bemerken wir, dass wir unserem ersten Fahrer Unrecht getan haben. Es geht nämlich noch schlimmer. Dieser Fahrer ist zwar kein Moslem, aber er rast mit noch irrsinnigerer Geschwindigkeit . Im Vergleich damit verblasst der Gedanke an die Taliban. Hier sind die Straßen zwar beleuchtet, aber durch die Frontscheibe sieht man kaum etwas. Das Licht bricht sich in unzähligen Kratzern. Die ganze Scheibe ist davon überzogen, wie von einem dichten Netz. Inzwischen sind Kolonnen von Tanklastern unterwegs. Vielleicht einen Meter Abstand hält unser Fahrer. Ungeduldig fährt er 83


auf, als könne er sie vor sich herjagen. Mir kommen Schreckensbilder von brennenden Tanklastern in Afghanistan in den Sinn. Was wäre, wenn jetzt einer von ihnen direkt vor uns in Flammen aufginge? Pater Andrzej fängt an, den Rosenkranz zu beten. Ich lehne mich zurück und schließe die Augen. Nur der Klang meiner eigenen Stimme gibt mir das beruhigende Gefühl, dass ich noch lebe. „... den du, o Jungfrau, zu Bethlehem geboren hast“ – Bethlehem, Christuskind ... Werden wir Weihnachten noch erleben? Auf einmal ein leichter Knall, ein Aufprall. Jetzt haben wir auch noch einen Hund überfahren. Den Fahrer kümmert das nicht. Hier gilt das Gesetz des Stärkeren, der Hund hat Pech gehabt. Die Fahrt scheint endlos zu sein, auch hier werden die Zeitangaben immer länger. „Noch eine Stunde“. Vierzig Minuten später soll es immer noch eine Stunde sein ... Als wir mehr tot als lebendig in Faisalabad im Nordosten Pakistans eintreffen, ist es zehn Uhr abends. Den pakistanischen Whisky, den uns Bischof Joseph Coutts als Willkommenstrunk anbietet, können wir gut gebrauchen.

Unschuldig angeklagt 1986 wurde in Pakistan das sogenannte Blasphemiegesetz verabschiedet. Zwar schützt es grundsätzlich jede Religion vor Beleidigung, jedoch sieht das Gesetz besonders drakonische Strafen für die Schmähung des Islam vor. Die Schändung des Koran wird mit lebenslanger Haft geahndet, auf die Beleidigung des Propheten Mohammed steht sogar die Todesstrafe. Ein bloßer Verdacht genügt, eine Behauptung reicht aus, um einen Menschen hinter Gitter zu bringen. Die Beweislast ist umgekehrt: Nicht der Ankläger muss Beweise für die von ihm vorgebrachten Anschuldigungen vorbringen, sondern der Beschuldigte muss seine Unschuld beweisen. Ein Ankläger wird dabei niemals wiederholen, was der Angeklagte wirklich oder angeblich gegen den Koran oder den Islam gesagt hat beziehungsweise gesagt haben soll, denn sonst würde er selbst sich ebenfalls der Gotteslästerung schuldig machen. Dies erschwert die Beweisaufnahme zusätzlich. In der Praxis wird zudem nicht zwischen einer absichtlichen Tat und einer Handlung unterschieden, derer sich eine Person gar nicht bewusst ist. Wirft ein Kind oder eine Person, die nicht lesen kann, altes Zeitungspapier, auf dem zufällig auch ein Koranvers abgedruckt ist, auf den Müll, oder behauptet ein geistig Verwirrter, er sei der Prophet Mohammed, so wird diese Tat genauso so behandelt, als habe jemand in voller Absicht den Koran oder den Propheten geschmäht. In vielen Fällen sind die Vorwürfe auch völlig aus der Luft gegriffen. Zwar wurde noch nie ein Todesurteil vollstreckt, aber selbst wenn der Angeklagte nach einem langen Verfahren in letzter Instanz freigesprochen wird, ist er nicht in Sicherheit, denn in vielen Fällen nehmen Extremisten das Gesetz in die eigene Hand und töten ihn. Zwischen 1986 und 2010 wurden 34 Personen gelyncht. Die Hälfte der getöteten Beschuldigten waren keine Muslime. Ein Priester sagt uns: „Sobald eine Blasphemiebehauptung aufkommt, kochen die Emotionen hoch. Es ist wie im Mittelalter. Die 84


Anhänger der islamistischen „dawat-e-islamia-Bewegung“ sind an ihren grünen Turbanen zu erkennen. Der Extremismus nimmt zu.

Extremisten sagen: ‚Wer angeklagt wird, ist schuldig.‘“ Auch das Leben der Richter ist bedroht. „Kommt der Richter zu dem Ergebnis, der Angeklagte sei unschuldig, so bedeutet dies im Umkehrschluss, dass der Ankläger ein Lügner ist. So wird er behaupten, der Richter sei ein schlechter Muslim“. Richter würden bedroht und sogar getötet. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass das Gesetz derzeit aufgehoben werde, da es sich um etwas „höchst Emotionales“ handele. Oft ist es sogar kontraproduktiv, wenn Druck aus dem Ausland ausgeübt wird, da Extremisten dann Angst vor einem Gesichtsverlust haben und somit umso mehr auf die härteste Bestrafung eines Angeklagten drängen. Als Benedikt XVI. sich am 10. Januar 2011 beim Neujahrempfang für das Diplomatische Corps mit großer Klarheit für die Abschaffung des Blasphemiegesetzes einsetzte, wurde dies von Islamisten als Affront aufgefasst und stieß auf große Empörung. „Sie wollen dann die Ehre des Islam und des Propheten umso mehr verteidigen“, so der Priester.

Ein furchtloser Anwalt Aber auch nicht alle Muslime heißen dieses Gesetz gut. Irgendwo in Pakistan treffen wir uns mit einem muslimischen Anwalt, der das Blasphemiegesetz kritisiert. Er setzt sich für Menschen ein, die der Beleidigung des Islam beschuldigt werden und unschuldig im Gefängnis sitzen. Seinen Namen können wir nicht nennen, auch nicht den Ort, an dem er lebt. 85


Überall in Pakistan sieht man Moscheen, fast jede Straße hat eine eigene. Hier: eine neugebaute Moschee in Multan.

Der Anwalt spricht mit uns, obwohl er uns nicht kennt und wir ihm mit einem ungeschickten Satz in den Medien schaden könnten. „Schaden“ heißt hier „töten“. Jeder in Pakistan weiß: Wer das Blasphemiegesetz kritisiert, ist so gut wie tot. Davor blieben nicht einmal hochranginge Politiker verschont. Am 4. Januar 2011 wurde Salman Taseer, der Gouverneur der bevölkerungsreichsten pakistanischen Provinz Punjab, von seinem Leibwächter erschossen, weil er das Blasphemiegesetz kritisierte und sich für die Freilassung von Asia Bibi, des derzeit bekanntesten Opfers dieses Paragrafen, einsetzte. Sein Mörder wurde zwar zum Tode verurteilt, der Richter, der das Urteil ausgesprochen hatte, musste jedoch inzwischen das Land verlassen. Er und seine Familie sind in Lebensgefahr. Der Attentäter wird hingegen in extremistischen Kreisen als Held gefeiert. Am 2. März 2011 wurde Shahbaz Bhatti, der Minister für Minderheiten, der einzige Christ im pakistanischen Kabinett, auf dem Weg zur Arbeit in seinem Auto von maskierten Männern aus dem gleichen Grund erschossen. Eine Taliban-Gruppierung bekannte sich zu dem Anschlag. Auch der Anwalt, mit dem wir an diesem Morgen sprechen, ist bereits bedroht worden. Seine Familie – er hat drei Kinder – ist ebenfalls in Gefahr. Dennoch macht er weiter. Er sagt: „Als Muslim glaube ich, dass Allah den Anfang und das Ende meines Lebens festgelegt hat. Es ist meine Pflicht als Anwalt, unschuldige und arme Menschen vor Unrecht zu schützen.“ Honorar nimmt er keines für solche Fälle. 86


„95 Prozent der Anklagen wegen Beleidigung des Propheten Mohammed oder des Koran sind in Pakistan falsch“, sagt er uns. Anfang dachte er selbst, es sei gut, jemanden zu bestrafen, der die Religion beleidigt. Aber er stellte fest: In den meisten Fällen wird das Gesetz missbraucht, um Rache zu üben oder jemandem zu schaden. Fast alle Anklagen richten sich gegen arme Menschen, die keinen Status in der Gesellschaft haben und sich somit nicht verteidigen können. „Manchmal hat sich nur jemand darüber beklagt, dass der morgendliche Ruf des Muezzin zu laut ist und die Kinder oder kranke und alte Menschen nicht schlafen können“, berichtet er. Der Beschuldigte steht der Anklage allein und schutzlos gegenüber, denn niemand traut sich, zu seinen Gunsten auszusagen. Jeder Zeuge muss um sein Leben fürchten. „Der Angeklagte kommt allein und in Handschellen ins Gericht, der Ankläger kommt mit vierzig oder sechzig bärtigen Männern, die ihn unterstützen“, beschreibt der Anwalt die Situation des Angeklagten vor Gericht. In der Regel würden alle entlastenden Beweise für das Berufungsverfahren in letzter Instanz aufgespart. In letzter Instanz sei seines Wissens noch niemals jemand für schuldig befunden worden. Bis dahin habe der Angeklagte jedoch bereits lange Zeit – bis zu sieben Jahre – im Gefängnis verbracht. Die Polizei untersucht solche Fälle aufgrund allgemeiner Überlastung nicht ordnungsgemäß, erfahren wir. Es sei vorgeschrieben, dass Beweise innerhalb von 14 Tagen zusammengetragen werden müssten. Spreche die Beweislage für die Schuld des Angeklagten, werde er inhaftiert. Jedoch dauere die Beweisaufnahme oftmals 14 Monate, und während dieser Zeit säße der Beschuldigte im Gefängnis. Nicht selten würden die Ermittlungen allerdings auch „hastig“ durchgeführt und sogar wichtige Beweise der Unschuld würden übersehen. Mit den Folgen des Blasphemiegesetzes befasst sich auch die Kommission für Gerechtigkeit und Frieden der katholischen Kirche in Pakistan, deren Arbeit KIRCHE IN NOT unterstützt. Die Kommission verhilft mittellosen Angeklagten zu rechtlichem Beistand und dokumentiert die Blasphemiefälle jährlich in ihrem Menschenrechtsbericht. Ihren Angaben zufolge wurden im Jahr 2010 38 Menschen der Blasphemie angeklagt, darunter 14 Christen. Seit der Einführung des Blasphemiegesetzes im Jahr 1986 bis Mitte 2011 gab es 1081 Anklagen. Die ganze Verwandtschaft des Beschuldigten – bis zu einhundert Personen – wird jedoch oft ebenfalls bedroht. Nicht selten müssen ganze Familien umgesiedelt werden, weil ihr Leben in Gefahr ist. Aber auch der Sitz der nationalen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden in Lahore musste an einen sichereren Ort verlegt werden, da die Kommission immer wieder bedroht wird. Die Mitarbeiter gehen ihrer Arbeit unter Lebensgefahr nach. Father Nisar Barkat von der Kommission für Gerechtigkeit und Frieden in der Diözese Faisalabad hat ebenfalls bereits Drohungen erhalten, weil sich die Kommission für die Opfer dieses Paragrafen einsetzt. Er betont jedoch: „Ich habe keine Angst, die Wahrheit zu sagen. Eines Tages werde ich ohnehin sterben müssen. Wenn ich wegen eines solchen Falles sterben sollte, empfinde ich tiefen Frieden. Priestern kommt in dieser Gesellschaft die prophetische Rolle zu, die Wahrheit zu sprechen.“ 87


Die große Schwester kümmert sich um ihren kleinen Bruder. Vielleicht wird sie bald eine eigene Familie haben. Die Flutkatastrophe führt dazu, dass noch mehr Mädchen blutjung heiraten müssen. 88


Ein kleines M채dchen betet vor.

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Ermordet wegen Konfetti Die dramatischen Folgen solcher an den Haaren herbeigezogener Blasphemievorwürfe können ganze Dörfer treffen. Wir besuchen die Pfarrei in Gojra in der Diözese Faisalabad, wo es vor zwei Jahren zu einer wahren Orgie der Gewalt kam. Am 30. Juli 2009 sollte in einem Dorf nahe Gojra eine Hochzeit gefeiert werden. Mit Trommeln wird der Bräutigam vor dem Haus der Braut willkommen geheißen. Christliche Kinder zerreißen Zeitungen und ein paar alte Bücher, um Konfetti daraus zu machen. Es soll ein fröhliches Fest werden. Aber es kommt alles ganz anders. Denn unter dem Altpapier sind auch Buchseiten, auf denen Koranverse stehen. Jemand hat es gesehen. Das Unheil nimmt seinen Lauf. Der Mullah verkündet durch die Lautsprecher der Moschee im ganzen Dorf: „Der Heilige Koran wurde geschändet! Tut etwas, ihr gläubigen Männer!“ Das ließen sich die Muslime nicht zweimal sagen. Ein aufgebrachter Mob brennt 80 Häuser von Christen und zwei kleine protestantische Kirchen nieder. Am nächsten Tag springt die Empörung auf Gojra über, obwohl dort gar nichts vorgefallen war. Dreitausend aufgehetzte muslimische Fanatiker stürmen mit Stöcken und Schusswaffen bewaffnet das christliche Viertel. Die traurige Bilanz: 105 christliche Häuser werden niedergebrannt. Hier gibt es Tote: Eine achtköpfige Familie wird in ihrem

Pfarrei und Kloster von Gojra werden permanent bewacht. Schwester Sheila (2. von links) kann nur mit einem bewaffneten Wachmann das Haus verlassen. 90


Haus eingeschlossen und verbrennt dort. Hinter den Angriffen steckte nach Angaben von Bischof Joseph Coutts eine militante Islamistengruppierung, die Pakistan von Christen säubern will. „Immerhin hat die Regierung aber die abgebrannten Häuser wiederaufgebaut“, sagt er uns, als wir Gojra besuchen. Und noch etwas Positives berichtet er: „Zwei Mullahs haben sich ein Jahr später für die Übergriffe entschuldigt.“ Einer von ihnen schrieb sogar ein Gedicht darüber. Aber dass die Lage zurzeit ruhig ist und es nicht zu weiteren Übergriffen gekommen ist, ist auch der starken Polizeipräsenz zu verdanken. Das Pfarrhaus, die Kirche und das Schwesternkloster stehen noch immer unter Polizeischutz. Schwester Sheila, die aus England stammt, aber schon seit vielen Jahren in Pakistan arbeitet, kann das Haus nur mit einem bewaffneten Leibwächter verlassen. Wohin auch immer sie geht, ihr „Schutzengel“ muss sie begleiten. Es ist ein befremdlicher Anblick, die zierliche ältere Ordensfrau neben einem Mann mit Maschinengewehr zu sehen.

„Hängt Schwester Miriam“ Einer Ordensschwester, die aufgrund falscher Blasphemievorwürfe fast getötet worden wäre, begegnen wir an einem anderen Ort. Ihren Namen möchte sie nicht veröffentlicht sehen. Nennen wir sie also einfach Schwester Miriam. Seit Anfang der 1990er-Jahre leitet die sympathische Ordensfrau eine katholische Mädchenschule irgendwo in Pakistan. Unterrichtet werden dort – wie in fast allen kirchlichen Schulen des Landes – sowohl christliche als auch muslimische Kinder. Auch die Lehrerinnen sind „gemischt“. Die einen sind Christinnen, die anderen Muslimas. Eigentlich hatte immer Harmonie geherrscht, aber eines Tages kippte plötzlich die Stimmung: Eine dreizehnjährige katholische Schülerin hatte etwas gesagt, was als Kritik am Islam aufgefasst wurde. Zumindest soll sie etwas gesagt haben. Irgendwas. Angeblich. Wie es wirklich war, konnte, wie üblich, niemand mehr feststellen. Es entstand allerdings große Unruhe. Zunächst in der Schule. Dann sprang die Empörung wie ein Funke, der auf trockenes Stroh trifft, auch auf die Stadt über. Das Mädchen sollte vor den Mullah gezerrt und gesteinigt werden. Aufgeheizte Muslime bezogen vor der Schule Stellung, brüllten wütende Parolen und warfen mit Steinen. Sie verlangten den Tod des Mädchens. Entgehen sollte es ihm nur, wenn es zum Islam überträte. Schwester Miriam schützte ihre Schülerin und wollte sie nicht herausgeben. Daraufhin bewarf der aufgebrachte Mob auch sie mit Steinen. Dennoch gelang es ihr, das Kind aus der Schule herauszuschmuggeln und es an einen sicheren Ort zu bringen. Drei oder vier Mullahs gaben eine Fatwah heraus, in der es hieß: „Wer auch immer Schwester Miriam oder das Mädchen tötet, tut etwas Gutes.“ In der Stadt wurden Pla91


Ein katholisches Mädchen in diesem Alter hatte angeblich den Islam beleidigt und sollte gesteinigt werden.

kate und Transparente aufgehängt, auf denen stand: „Hängt Schwester Miriam!“ Schließlich machte ein Lokalpolitiker allem ein Ende. Er wagte zu sagen: „Diese Bastarde vertreten nicht das Gesetz. Das Gesetz vertrete ich hier! Wir alle kennen die Schwestern und schicken unsere Kinder zu ihnen in die Schule. Die Lehrer sind doch schuld, wenn sie ihre Schüler nicht ordentlich unterrichten!“ Dies war noch lange vor dem 11. September 2001. „Damals konnte so jemand den Mullahs noch die Stirn bieten“, sagt uns ein Priester. Schwester Miriam steckt diese Geschichte noch immer in den Knochen. Bis heute hat sie Angst. Besonders schlimm war für sie die Erfahrung, dass die muslimischen Lehrerinnen und Schülerinnen aus ihrer eigenen Schule mitmachten. Dabei waren es Personen, mit denen sie vorher vertrauensvoll zusammengearbeitet hatte. Vielen von ihnen muss sie bis heute Tag für Tag begegnen. Die Schülerinnen haben inzwischen die Schule abgeschlossen, aber viele der Lehrerinnen sind noch da. Entlassen kann Schwester Miriam sie nicht, sonst geht es ihr wieder an den Kragen. „Man weiß nie, was passiert. Jederzeit kann die Stimmung kippen“, sagt sie uns. Für die Ordensfrau bedeutet das Leid aber auch eine Stärkung des Glaubens: „Wir müssen ein heroisches Leben führen, denn überall in Pakistan werden Menschen getötet. Die Kapelle ist der Ort, der uns Kraft schenkt. Dort erfahren wir durch Jesus Christus geistliche Hilfe und Unterstützung.“ 92


Schulfach Hass Überall, wohin wir kommen, hören wir dasselbe: Pakistanische Schulbücher tragen viel zu Intoleranz und Hass gegenüber religiösen Minderheiten bei. In vielen Schulbüchern, besonders in denen, die für Sozialkunde und den Sprachunterricht bestimmt sind, werden die Angehörigen von Minderheiten (also auch Christen) als minderwertig und als Bürger zweiter Klasse dargestellt. Dass ihnen gewisse begrenzte Rechte zugestanden werden, ist gewissermaßen eine Gnade seitens der großmütigen pakistanischen Muslime. Teilweise werden Anleitungen gegeben, wie sie zu behandeln sind, so als seien sie eine völlig andere Art von Mensch. In manchen Schulbüchern werden Nicht-Muslime hingegen gar nicht erst erwähnt. „Vom Kindergarten bis zum Ende der Schullaufbahn wird in allen Fächern nur der Islam unterrichtet“, bringt es Father Nisar Barkat von der Kommission für Gerechtigkeit und Frieden in der Diözese Faisalabad auf den Punkt. „Es wird so dargestellt, als sei das Land nur für Muslime bestimmt.“ Sogar in nichtreligiösen Unterrichtsfächern spielt der Islam eine große Rolle. Wir erfahren, dass es Aufsatzthemen gibt wie: „Schreibe deinem Freund einen Brief und lade ihn ein, zum Islam überzutreten.“ Sogar in den Mathematik- und Chemieunterricht fließt immer wieder der Islam ein, berichtet Father Nisar. Im Geschichtsunterricht würden die Verdienste von Nicht-Muslimen für Pakistan nicht erwähnt. Außerdem würden sich Schulbücher oft abfällig über Nicht-Muslime äußern. Die Kirche hat bereits an die Regierung appelliert, die Schulbücher zu überarbeiten. Kleine Verbesserungen gibt es bereits, aber viel muss noch getan werden. Der damalige Bischof von Faisalabad, Joseph Coutts, erklärt uns, wie Christen im Bildungssystem noch diskriminiert werden: „In Studienfächern, für die ein bestimmter Notendurchschnitt verlangt wird, können muslimische Schüler durch den Besuch des Koranunterrichts Extrapunkte sammeln und werden dann an der Universität aufgenommen. Christen haben diese Möglichkeit natürlich nicht.“ Ein christlicher Name reicht bisweilen aus, damit ein Kandidat nicht zum Studium zugelassen wird. In den Schulen werden christliche Schüler oft von Lehrern beschimpft, ungerecht behandelt oder aufgefordert, zum Islam überzutreten. Eine Studie der „United States Commission on International Religious Freedom“, die sich eingehend mit der religiösen Diskriminierung in pakistanischen Schulbüchern befasst hat, legt dar, dass Pakistan auf dem Lehrplan durch seine muslimische Identität definiert wird. Die Verteidigung Pakistans ist gleichbedeutend mit der Verteidigung des Islam. Einige Ergebnisse der Studie sind alarmierend: Nur 60 Prozent der Lehrer an öffentlichen Schulen meinen, Angehörige religiöser Minderheiten seien ebenfalls pakistanische Bürger. Von denen, die sie immerhin als Staatsbürger betrachten, sehen sie viele nicht als gleichwertig mit muslimischen Pakistanis an. Noch erschreckender: 80 Prozent der Lehrer erklärten in der Untersuchung, jeder Nicht-Moslem sei ein „Feind 93


des Islam“. Fast alle Lehrer halten den gewalttätigen Dschihad für die Pflicht eines jeden Moslems. Die Hälfte der Lehrer an öffentlichen Schulen spricht sich dagegen aus, mit Nicht-Muslimen zusammen zu essen, während es unter ihren Schülern sogar fast alle sind. In Pakistan gibt es zudem über 15000 registrierte Koranschulen (Madrasas) und Tausende weitere, die nicht registriert sind. Die Madrasas sind in der Praxis autonom und können ihren Lehrplan selbst festlegen. Unter den Schülern und Lehrern an Koranschulen ist immerhin teilweise auch eine Vorstellung des Dschihads als geistigem Kampf um die eigene religiöse Vervollkommnung verbreitet. Dennoch kommt die Studie zu

Christliche Kinder werden in öffentlichen Schulen oft beschimpft und benachteiligt.

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dem Ergebnis, dass in jedem in Koranschulen verwendeten Schulbuch der Dschihad als gewalttätiger Kampf gegen die Ungläubigen dargestellt wird. Die Koransure „Tötet die Ungläubigen, wo auch immer ihr sie findet“ werde oftmals aus dem Zusammenhang gerissen. So könnten Schüler auf die Idee kommen, es handele sich um ein Gebot Gottes, überall die Ungläubigen zu töten. Nirgends werde erwähnt, dass die Entscheidung über einen Krieg von einem Staat gefällt werden muss. So könne der Leser sich persönlich für den Kampf verantwortlich fühlen. „In allen analysierten Schulbücher wird dem Schüler eine Welt präsentiert, in der Konzepte wie Nation, Verfassung, Rechtsstaatlichkeit, stehende Heere oder multilaterale Organisationen – außer wo sie von der islamischen Glaubenslehre oder vom Gesetz der Sharia vorgeschrieben sind – nicht existieren“, heißt es in der Studie. Das bedeutet, dass religiöse Gesetze und Anordnungen direkt für den Einzelnen gelten und von ihm – ohne Kontrolle durch rechtliche Organe oder Institutionen – ausgeführt werden. Einer selektiven Interpretation religiöser Texte sind damit Tor und Tür geöffnet, das heißt, jeder kann den Text so verstehen, wie er es möchte, und danach handeln. In den Schulbüchern der Madrasas, die größtenteils schon seit Jahrhunderten verwendet werden, kommen drei Arten von „Ungläubigen“ vor. Die ersten sind die „kafir“, die in nicht-muslimischen (also „feindlichen“) Ländern leben. Sie gelten als Feinde und müssen bekämpft werden, bis sie zum Islam übertreten. Die zweite Gruppe bilden die sogenannten „dhimmis“. Dabei handelt es sich um Nicht-Muslime, die unter islamischer Herrschaft leben. Sie haben gewisse Rechte und Pflichten, sind aber niemals gleichwertig mit Muslimen. Die dritte Gruppe bilden ehemalige Muslime, die sich vom Islam abgewandt haben. Sie werden als „murtids“ bezeichnet. In einigen Büchern ist vorgesehen, ihnen eine dreitägige Frist zu setzen, damit sie ihre Entscheidung überdenken und wieder zum Islam zurückkehren können. Tun sie es nicht, werden sie getötet. Tötet sie jemand jedoch bereits vor Ablauf dieser Frist, so wird diese Tat nicht geahndet. Es gibt aber auch Quellen, die den sofortigen Tod des Abtrünnigen fordern. Besonders groß ist der Hass, der in den pakistanischen Schulen gegen Indien und den Hinduismus geschürt wird. Der Hass gegen Christen hat hingegen oftmals seine Ursache in dem Hass gegen den Westen, insbesondere gegen Amerika. Pater Pascal Robert aus Karatschi erklärt: „Das Christentum wird mit Amerika gleichgesetzt. Wenn es ein Problem mit Amerika gibt, geht es gar nicht wirklich um das Christentum, aber die Leute reden über die Religion. Viele Probleme sind eigentlich politisch, werden aber auf der religiösen Ebene ausgetragen.“ Und er fügt hinzu: „Irgendwann muss die Gesellschaft merken, dass es nicht hilfreich ist, Kinder im Hass zu erziehen. Heute sind die Feindbilder die USA, Israel oder die Hindus. Wenn diese Feinde wegfallen, kann der Hass sich eines Tages gegen die pakistanische Gesellschaft richten, denn diese Kinder kennen dann nichts anderes, als zu hassen.“ 95


Frauen in einem Lager für von der Flut betroffene Menschen.

Diese Kinder in der Diözese Hyderabad gehören ethnischen Minderheiten an. 96


Angehende Katecheten in Khushpur zeigen ausgelassene T채nze. 97


Weihnachten im Gefängnis In einem pakistanischen Gefängnis zu sitzen, ist wirklich eine Strafe. Folter ist an der Tagesordnung. Die Haftbedingungen sind miserabel. Für hundert Häftlinge gibt es eine einzige Waschgelegenheit, und die Zellen sind winzig und überfüllt. In den 91 Gefängnissen des Landes können eigentlich nur etwas mehr als 42600 Gefangene untergebracht werden. In Wirklichkeit sind dort mehr als 75500 Menschen inhaftiert. Manche Häftlinge sterben an Hitzschlag oder weil ihr Herz aussetzt. Einige sterben an der Folter, aber das sagt niemand laut. Manche werden auch von Mithäftlingen schwer misshandelt. Allein im Jahr 2010 sind in Pakistan 72 Menschen in Haft gestorben. Für Christen ist es noch viel härter: Werden sie schon im „normalen Leben“ unterdrückt, so ist ihre Lage auch in den Gefängnissen noch schlimmer als die der muslimischen Häftlinge. In der Haftanstalt von Faisalabad kommt an Weihnachten jedoch auch zu ihnen das Christkind. Dominikanerpater Iftikhar Moon und seine Mitbrüder besuchen die Gefangenen. Ein Raum wird weihnachtlich geschmückt. Bunte Glitzergirlanden und Sterne aus Glanzpapier verleihen den grauen Wänden einen Hauch von Weihnachtsstimmung. Dort feiern sie die heilige Messe. Im vergangenen Jahr kam auch Bischof Joseph Coutts mit und feierte Weihnachten mit den Christen im Gefängnis. Die Gefangenen singen Weihnachtslieder. Einer von ihnen trägt die Lesungen vor. Hinterher dann die Bescherung: Lebensmittel, Decken, Medikamente und andere Gaben werden verteilt. Auch die Wärter bekommen kleine Geschenke: Kekse oder Limonade. Einige von ihnen feiern Weihnachten mit, obwohl sie Muslime sind. Pater Iftikhar sagt: „Manche Polizisten sind gute Menschen, die uns helfen. Aber einige sind auch gierig und verlangen Geld.“ Da die meisten Christen sehr arm sind, können es sich ihre Familien nicht leisten, die Wärter zu bestechen. So bekommen christliche Häftlinge im Gegensatz zu ihren muslimischen Mithäftlingen fast nie Besuch. Viele wären auch schon längst entlassen worden, wenn sie sich die ihnen auferlegte Geldbuße hätten leisten können. Manchmal können die Dominikaner ihnen helfen. In den Gefängnissen von Faisalabad, der drittgrößten Stadt Pakistans, sitzen 5000 Menschen. Davon sind 85 bis 100 Christen. Die meisten von ihnen sind aufgrund von Drogendelikten oder illegalem Alkoholhandel inhaftiert. In Pakistan dürfen nämlich nur Nicht-Muslime Alkohol erwerben, und auch sie benötigen eine Genehmigung. Manche Nicht-Muslime, also auch Christen, kaufen daher Alkohol und verkaufen ihn auf dem Schwarzmarkt teuer an Muslime. Meistens macht die Polizei mit und ist eine feste Größe in diesem Geschäft. Aber jederzeit kann sie die Schwarzhändler verhaften. Pater Iftikhar, dessen Arbeit KIRCHE IN NOT unterstützt, besucht aber nicht nur regelmäßig die christlichen Gefangenen. Er geht auch nicht nur zu denen, die wegen leichterer Delikte inhaftiert sind, sondern er kümmert sich ebenso um diejenigen, denen die Todesstrafe droht. Fünf oder sieben zum Tode Verurteilte teilen sich eine winzige Zelle, 98


Weihnachtsbescherung im Gefängnis von Faisalabad. Links: Dominikanerpater Iftikhar Moon.

berichtet er. In den Todeszellen des Landes sitzen 8000 zum Tode Verurteilte, die jahrelang warten müssen, bis sich in letzter Instanz ihr Schicksal entscheidet. Im Jahr 2010 wurden landesweit 356 Menschen zum Tode verurteilt, davon sieben Frauen. Wenn Pater Iftikhar die Todeskandidaten in Faisalabad besucht, verschließt der Wärter hinter ihm die Tür. Dann hört sich der Ordensmann ihre Probleme an. „Manche bereuen ihre Taten. Ich bin Männern begegnet, die ihre Ehefrauen getötet hatten. Sie haben geweint und für ihre Taten vor Gott Buße getan. Einmal saß auch ein alter Mann in der Todeszelle. Er war Auftragsmörder gewesen. Wie viele Menschen er getötet hatte, wusste er gar nicht mehr. Auch er weinte. Er bereute seine Taten zutiefst“, erzählt Pater Iftikhar. Aber es gibt auch jene, die nicht die Wahrheit sagen und sich nicht zu ihren Verbrechen bekennen wollen. „Da waren zum Beispiel drei Freunde, die zusammen auf einer Baustelle arbeiteten. Sie entführten ein Kind und verlangten am Telefon Lösegeld von der Familie. Sie bekamen das Geld, brachten den Jungen aber trotzdem um. Wenn sie zusammen sind, sagen sie, dass sie es waren, aber jeder einzelne beschuldigt jeweils die beiden anderen. Überhaupt lügen hier viele. Fast alle behaupten, unschuldig zu sein, und erhoffen sich davon Vorteile.“ Und noch etwas bereitet dem Dominikanerpater Sorgen: „Es gibt in den Gefängnissen regelrechte kriminelle Banden. Sie bekämpfen sich gegenseitig, und oft haben sie Handys und gehen vom Gefängnis aus ihrem ‚Job’ nach. Sie lassen draußen Menschen ermorden und Geld in die Haftanstalt schaffen.“ In der islamischen Kultur ist das Verständnis von Vergebung völlig anders als im Christentum. Es geht um Vergeltung nach gleichem Maß. Üblich ist auch die Praxis des sogenannten „Blutgeldes“. Wenn die Familie des Opfers damit einverstanden ist, zahlt der Mörder Geld und entkommt der Todesstrafe. Manchmal wird auch ein junges Mäd99


chen aus der Familie des Täters mit einem alten Mann aus der Opferfamilie verheiratet. „Manche Täter lassen sich allerdings lieber hängen, als solch ein Opfer anzunehmen“, weiß Pater Iftikhar. Die Dominikaner helfen aber nicht nur den Häftlingen, sondern auch ihren Angehörigen. Vor allem, wenn der Gefangene der einzige Ernährer seiner Familie gewesen ist. Die Verhaftung bedeutet für seine Frau und seine Kinder, dass sie in großer Not zurückbleiben. Hier versuchen die Dominikanerpatres, die bitterste Not zu lindern. Zudem setzen sie sich auch dafür ein, dass sich die Familie des Opfers mit dem Täter versöhnt und ihm vergibt. Inzwischen ist die Situation für den Gefängnisseelsorger schwieriger geworden. Bei einem Ausbruchsversuch kam es zu einem Kampf zwischen Gefangenen und Polizisten; seitdem wird alles sehr streng gehandhabt. Nun darf Pater Iftikhar nur noch an den Feiertagen das Gefängnis betreten. Er hat sich bereits beim Gefängnisdirektor beschwert. „Das ist meine Arbeit“, hat er ihm gesagt. Zumindest an Weihnachten werden Pater Iftikhar und seine Mitbrüder aber wieder ins Gefängnis gehen können. Sie werden den Häftlingen Trost spenden und sie zwei Stunden lang ihr hartes Los vergessen lassen. Zwei Stunden lang werden die Gefangenen sich wie richtige Menschen fühlen. Und in der heiligen Messe wird es auch für sie heißen: „Siehe, ich verkünde euch große Freude. Denn heute ist euch der Retter geboren“. (vgl. Lk 2,10f.) Inzwischen haben die christlichen Häftlinge in Faisalabad noch einen weiteren Schutzengel, der eng mit den Dominikanerpatres zusammen arbeitet. Moazzam Aslam Bhatti, ein junger christlicher Anwalt, setzt sich besonders für sie ein. Mit dem im März 2011 ermordeten katholischen Minister Shahbaz Bhatti ist er übrigens nicht verwandt. Studiert hat er in Großbritannien. Dort hätte er sofort einen guten Job gefunden, aber er sagt uns. „Ich bin nach Pakistan zurückgekehrt, um hier das zu tun, was in meiner Macht steht, um den Menschen zu helfen.“ Seine Erfahrung ist nämlich, dass christliche Häftlinge in pakistanischen Gefängnissen besonders stark diskriminiert werden. Zwar werden Christen überall in der pakistanischen Gesellschaft marginalisiert und benachteiligt, ihre Situation in den Gefängnissen ist jedoch besonders prekär, sagt er uns. Er besucht regelmäßig christliche Gefangene und leistet ihnen rechtlichen Beistand. „Es ist alarmierend, dass viele, die wegen Bagatellvergehen inhaftiert sind, entlassen werden könnten, wenn sie die ihnen auferlegte Geldbuße zahlen könnten“, berichtet er. Betroffen davon sind auch Kinder, die zusammen mit ihren Müttern im Gefängnis bleiben müssen. Christen werden auch bei der Verteilung von Lebensmitteln, Kleidung und Medikamenten sowie bei der Ausübung ihrer Religion benachteiligt. „Dies muss sich ändern“, fordert Bhatti. In der Regel haben christliche Häftlinge aufgrund ihrer Armut und ihrer niedrigen sozialen Position gar keinen Anwalt. „Ihnen muss in verstärktem Maße rechtlicher Beistand geleistet werden, damit sich ihre Situation verbessert.“ Um dies zu tun, ist der junge Anwalt aus dem Ausland zurückgekehrt. 100


Wo das Lamm sich an den Löwen schmiegt Ein friedliches und einladendes Bild bietet die St.-Paulus-Pfarrei von Pansara, die ca. 25 Kilometer südwestlich von Faisalabad gelegen ist und erst im Februar 2010 eingerichtet wurde. Schüler haben die Außenmauer des Geländes mit bunten Bildern einer friedlichen Welt bemalt. Ein Lamm schmiegt sich vertrauensvoll an einen Löwen – nach der Erfahrung des Opferfestes, an dem Millionen Tiere auf offener Straße geschlachtet worden sind, ein besonders berührender Anblick. Eine Katze liegt in einem Vogelhäuschen, ohne dass die Vögel sich fürchten müssten, Schüler in Schuluniformen stehen in einem Rosengarten. Darunter steht geschrieben „Peace on Earth“ (Frieden auf Erden). Und friedlich ist es hier wirklich. Eine weiße Kapelle mit fünf Kuppeln und Ornamenten aus Kacheln vor dem blauen Himmel lässt ein Gefühl von „Tausend und einer Nacht“ aufkommen. Es ist das örtliche Marienheiligtum. Die katholische Schule ist in strahlendem Türkis angestrichen. Jungen spielen draußen Fußball, allen voran ein kleiner Junge, der viel jünger ist als die anderen. Er ist kleiner als seine Freunde, aber er bleibt tapfer am Ball. Im Garten stehen Obstbäume. Bevor die Überschwemmung in 2011 die meisten von ihnen zerstörte, waren es viel mehr, erzählt Pfarrer Parvez Emmanuel bedauernd. Alle möglichen Früchte reiften hier im Garten: Orangen, Grape-

Jungen spielen Fußball vor dem Marienheiligtum und der katholischen Schule von Pansara. 101


Pfarrer Parvez Emmanuel in der St.-Paulus-Kirche von Pansara. Der Baum symbolisiert die Pfarrei.

fruits, Mangos, Äpfel. Jetzt hat er neue Bäume gepflanzt. Aber bis sie reiche Früchte tragen, wird es noch dauern. Neben dem Pfarrhaus steht eine Voliere mit Tauben und Wellensittichen. Nur der gelbbraune Hund bellt drohend, aber der Pfarrer beruhigt ihn schnell. Dr. Parvez Emmanuel ist ein Cousin des im März 2011 ermordeten Ministers für Minderheiten Shahbaz Bhatti. Den Tod seines Cousins hat er sehr betrauert. „Als Kinder waren wir immer zusammen“, erzählt er uns. „Es war ein großer Tag der Trauer, als er ermordet wurde. Sogar Muslime haben ihn beweint.“ Mehrere Familienangehörige von Shahbaz Bhatti haben das Land verlassen, weil sie ihr Leben in Gefahr gesehen haben. Pfarrer Emmanuel hat auch Drohanrufe erhalten. Aber er bleibt, denn er sagt: „Es ist besser, ein Märtyrer zu sein, als ein Flüchtling.“ Er bittet uns in seine kleine, bescheidene Wohnung. In seinem Zimmer, das zugleich Schlaf-, Ess- und Wohnraum ist, sieht man sofort, dass hier ein friedfertiger Mensch 102


Die Muttergottesstatue, die im Marienheiligtum von Pansara verehrt wird.

wohnen muss. An der Wand hängt das gleiche Bild, das wir bereits an der Außenmauer des Geländes gesehen haben: das Lamm, das sich an den Löwen kuschelt. Es scheint zu lächeln. An seinem alten Kühlschrank klebt ein Aufkleber des Gnadenreichen Jesuskindes von Prag, im Regal stehen zahlreiche kleine Figürchen: winzige Krippenszenen, kleine Madonnen, Engel ... Aber der promovierte Bibelwissenschaftler zeigt uns auch die Bücher, die er geschrieben hat. Es sind poetische Bücher über die Gleichnisse und Wunder Jesu, die für Kinder und Jugendliche bestimmt sind. Die Schüler können die Geschichten beispielsweise als Theaterstücke nachspielen. Auch andere Bücher hat er geschrieben, die den Glauben vertiefen sollen. Zu der neuen Pfarrei gehören 30 Dörfer. „In manchen Dörfern wissen die Menschen zwar, dass sie Katholiken sind, aber sie haben vorher noch nie einen Priester gesehen“, berichtet er uns. Seitdem Pfarrer Emmanuel sie regelmäßig besucht, hat die Pfarrei bereits 1000 neue Mitglieder gewonnen. „Die Katecheten helfen mir sehr. Sie gehen in die Dörfer, laden die Leute zum Gebet und zu den Gottesdiensten ein, besuchen die 103


Kranken und bereiten die Gläubigen auf den Empfang der Sakramente vor. Aber wir bräuchten hier noch einen zweiten Priester“, sagt er. Deshalb hilft KIRCHE IN NOT beim Bau eines neuen Pfarrhauses, denn das alte ist schon für einen Priester zu klein. In einem Dorf hat Pfarrer Emmanuel zweihundert Katholiken getroffen, die bislang nicht praktizieren konnten. Sie möchten nun auch regelmäßig die heilige Messe feiern. Sie haben eine Kapelle, aber der Priester erklärt: „Die Muslime haben dort vier Moscheen. Sie sagen unseren Leuten: ’Was habt ihr schon? Tretet besser zum Islam über!‘“ Denn die Katholiken der Pfarrei sind arm, und nur fünf Prozent können lesen und schreiben. Schon Kinder müssen in den Ziegeleien arbeiten. Überall an der Straße haben wir die Ziegeleien gesehen. Mit bloßen Händen fertigen die Arbeiter die Ziegel an und lassen sie in der Sonne trocknen. Beginnt es zu regnen, bevor die Rohlinge in den Öfen gebrannt wurden, deren hohe Schornsteine die Landschaft prägen, so war die ganze Arbeit umsonst. Der Fabrikbesitzer sagt dann jedoch: „Was kann ich dafür, dass es zu regnen begonnen hat?“ Also bezahlt er die Leute nicht, erfahren wir. Sie werden wie Sklaven gehalten. Manche der Dorfbewohner sind Tagelöhner oder Straßenkehrer, wieder andere besitzen einen kleinen Eselskarren. „Die Leute sind total abhängig. Wenn die Mutter in fremden Familien putzen geht und krank wird, muss an ihrer Stelle die Tochter die Arbeit übernehmen“, berichtet der Pfarrer. In die Schule gehen nur die wenigsten Kinder.

Auch beim Marienfest „Salam-a-Mariam“ in Pansara herrscht Angst vor Übergriffen. Im Hintergrund (s. Markierung) stehen Wachposten mit Maschinengewehren. 104


Im November wird in der St.-Paulus-Pfarrei drei Tage lang ein Fest zu Ehren der heiligen Jungfrau gefeiert. Es wird „Salam-a-Mariam“ genannt („Ave Maria“). Drei Tage lang wird zu Ehren der Muttergottes gesungen, gebetet und getanzt. Viele Menschen kommen von weither, um daran teilzunehmen. Sie übernachten im Schulgebäude auf dem Fußboden der Klassenräume. Von früh um sieben bis abends um neun wird gefeiert. Kinder führen die Geheimnisse des Rosenkranzes in kleinen Spielszenen auf. „So erfahren sie alles über das Leben Jesu. Und auch die erwachsenen Zuschauer lernen noch eine Menge“, sagt Pfarrer Emmanuel. Außerdem wird ein Bibelquiz veranstaltet, bei dem Schüler der verschiedenen Schulen gegeneinander antreten und ihr Wissen über die Heilige Schrift unter Beweis stellen. In Lahore konnten wir solch ein Bibelquiz miterleben. Fragen wie „Welcher Evangelist starb nicht den Märtyrertod?“ oder „Wie viele Briefe schrieb der heilige Apostel Paulus?“ konnten die Schüler mit Leichtigkeit beantworten. Auch hier in diesem Dorf wissen die Kinder erstaunlich viel über die Heilige Schrift. Im Publikum sind auch Muslime. Das letzte Mal sollen es fast 200 gewesen sein. 2011 wurde zum ersten Mal ein muslimischer Gelehrter zu dem Marienfest eingeladen, der die Mariensuren aus dem Koran erklären sollte. Obwohl die Frau in Pakistan ohne Zweifel als unterdrückt angesehen werden darf, ist die Mutter in ihrem häuslichen Umfeld hoch angesehen. „Das Paradies ist unter den Füßen der Mutter“, sagt ein pakistanisches Sprichwort. „Maria ist als Mutterfigur fürsorglich, kümmert sich, liebt“, erklärt Pfarrer Emmanuel. „Es kommen alle zur Muttergottes, vor allem die, die traurig und krank sind oder Probleme haben. Darunter sind auch Muslime. Es kommen viele kinderlose Frauen, die darum beten, endlich Mutter zu werden. Andere Gläubige bringen ihre kleinen Kinder, legen sie der Gottesmutter zu Füßen und sagen zu Maria: ‚Sorge für mein Kind, wie du dich um das Jesuskind gekümmert hast!’“ Viele Leute bringen der heiligen Jungfrau Geschenke mit. Die Frauen legen ihr beispielsweise reich bestickte Dhubattas um, das sind die großen Schals beziehungsweise Schleier, die zur traditionellen Kleidung gehören. In einem Ort kamen 300 davon zusammen. Sie wurden hinterher an Bräute verteilt – mit dem Segen der Muttergottes. Außerdem bringen die Frauen Blumen, Kerzen und künstliche Blüten. Manche Gläubige spenden auch Gaben wie Ziegen, Hühner oder Eier und kochen Reis für die Pilger, die von weither kommen. Wieder andere spenden Geld, mit dem Kranken und Notleidenden geholfen wird. Dass auch bei diesem friedlichen Marienfest Angst herrscht, sehen wir, als Pfarrer Emmanuel uns sein Fotoalbum zeigt. Auf einem Foto vom vergangenen Jahr sehen wir im Vordergrund Kinder in weißen Gewändern, die ihre Hände zum Gebet gefaltet haben. Ein berührendes Bild kindlicher Frömmigkeit. Erst auf den zweiten Blick bemerkt man im Hintergrund den Polizisten, der mit schussbereitem Maschinengewehr auf der Mauer steht. Ein weiterer Polizist steht auf einer niedrigeren Mauer gleich neben der Marienkapelle. Auch hier an diesem scheinbar so friedlichen Ort muss mit allem gerechnet werden.

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Der kleine Junge ist soeben aus dem Mittagsschlaf erwacht. Die Fliegen stören ihn nicht.

Wasserbüffel auf einer Dorfstraße. 106


Ein Ehepaar in der N채he von Islamabad. Sie leben in einem katholischen Dorf, das sich im Aufbau befindet.

Ziegen f체r das Opferfest werden an der Leine nach Hause gef체hrt. 107


„Schuld ist hier immer die Frau“ Auf der vierstündigen Fahrt nach Rawalpindi leisten uns Schwester Nazreen Daniels vom Orden der Loreto-Schwestern und eine junge Lehrerin Gesellschaft. Wir hatten verstanden, sie wollten in Rawalpindi etwas erledigen. In Wirklichkeit kommt Schwester Nazreen mit, um uns eine Freude zu bereiten und um sich mit uns zu unterhalten. Die junge Lehrerin hat sie mitgenommen, um nicht in der Dunkelheit allein mit dem Fahrer unterwegs zu sein. Noch am Abend desselben Tages fahren sie nämlich vier Stunden wieder zurück nach Faisalabad. Wir sind sprachlos über so viel Liebenswürdigkeit. In dem Fahrzeug ist es eng. Wir sitzen eingepfercht auf der Rückbank des Minivans. Unser Gepäck hätte fast nicht mehr reingepasst. Am Ende klappt es doch. „No problem“, sagt der Fahrer, „Kein Problem“, wie man es hier ständig hört. Irgendwie geht hier alles, was man woanders für unmöglich halten würde. Wir sitzen also eingeklemmt wie die Ölsardinen hinten im Fahrzeug und führen Frauengespräche.

Frauen in der pakistanischen Gesellschaft – fast immer außen vor.

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Frauen in einem Stickkurs. Eine bescheidene Chance.

Schwester Nazreen ist eine gebildete Frau. Ihre Doktorarbeit hat die gebürtige Pakistanerin in den Niederlande geschrieben. In ihrer Heimat setzt sie sich für Mädchen und Frauen ein, die Opfer von Gewalt geworden sind. Erst kürzlich kam ein 13-jähriges Mädchen zu ihr, das nach einer Vergewaltigung bereits im fünften Monat schwanger war. Kiden – so heißt das Mädchen – ging zum Putzen in die Häuser fremder Familien. Kinderarbeit – ein Thema für sich. Eines Tages wurde sie in ein Haus gerufen, um dort ihren Dienst zu tun. Einer der Söhne der Familie vergewaltigte sie jedoch. Dies passierte noch einige Male. Am Ende war sie schwanger. Erst als sie im fünften Monat war, offenbarte sie sich Schwester Nazreen. Die Ordensfrau kümmerte sich um das Mädchen, brachte sie zum Arzt und zu einer Psychologin. Als das Baby geboren wurde, erlitt die 13-jährige Mutter noch einen Schicksalsschlag: Das Kind – es war ein Junge – starb. „Was für eine Zukunft hat ein Mädchen, das vergewaltigt wurde? Vielleicht kann es noch an einen alten Mann verheiratet werden“, sagt Schwester Nazreen uns. Ein anderes vergewaltigtes Mädchen, um das sie sich vor nicht langer Zeit kümmerte, war erst acht Jahre alt. In einer Gesellschaft, in der die Jungfräulichkeit eine große Rolle spielt, sind solche Mädchen am Ende, bevor sie zu leben begonnen haben. „Noch immer wird oft nach der Hochzeitsnacht das Bettlaken mit dem Blutfleck öffentlich zur Schau gestellt. Stellt sich heraus, dass die Braut nicht mehr Jungfrau war, wird sie zu ihrer Familie zurückgeschickt.“ Ich frage, was eine Braut macht, die Jungfrau ist, aber aus irgendwelchen Gründen nicht blutet. Schwester Nazreen weiß es nicht genau. Ihr Blick zeigt aber, dass eine solche junge Frau nichts zu lachen hat. Vergewaltigungsopfer können zudem keine Gerechtigkeit erwarten. Mehrere Augenzeugen sind erforderlich, um eine Vergewaltigung nachzuweisen. Aber natürlich werden 109


Manche Frauen haben Glück. Sie lernen als Erwachsene lesen und schreiben. Die Kirche hilft ihnen.

solche Verbrechen nicht in der Öffentlichkeit verübt. Die Frau hat also keine Chance. Wie sollte sie beweisen, dass sie die Wahrheit sagt? Oft werden die Opfer auch mit dem Blasphemiegesetz erpresst. Ihnen wird gesagt: „Entweder schweigst du, oder wir sagen, du habest den Propheten beleidigt.“ Da jeder weiß, dass die Beleidigung des Islam mit lebenslanger Haft oder sogar mit der Todesstrafe geahndet wird, schweigen die Opfer. Frauen, die religiösen Minderheiten angehören, also auch Christinnen, sind besonders gefährdet. Sie werden von muslimischen Männern entführt und vergewaltigt, um sie dazu zu zwingen, zum Islam überzutreten. Die Nationale Kommission für Gerechtigkeit und Frieden der katholischen Kirche in Pakistan kommt in ihrem Jahresbericht zu dem Ergebnis, dass es sich um „systematische“ Übergriffe handelt. Im Frauenhaus von Faisalabad hatten wir ein Plakat gesehen: „Wir kämpfen gegen Vergewaltigung! Zeig niemandem deine nackte Schulter!“ Mit Schwester Nazreen sprechen wir darüber, wie Frauen hier von Männern angeschaut werden. „Sie vergewaltigen einen mit den Augen“, bringt es Schwester Nazreen auf den Punkt. Eigentlich sollte es so sein, dass auch ein paar Zentimeter sichtbarer weiblicher Haut nicht als Einladung zur Vergewaltigung aufgefasst werden. Aber es ist noch ein langer Weg, bis die Männer in dieser Gesellschaft dies verstehen. Bis dahin müssen Frauen sich schützen, indem sie sich verhüllen und möglichst niemals alleine irgendwohin gehen. In manchen Gebieten tragen sogar Ordensschwestern den Gesichtsschleier. 110


Schuld ist sowieso immer die Frau. Schuld ist sie, wenn sie vergewaltigt wird, schuld ist sie auch, wenn eine Ehe kinderlos bleibt. Niemand kommt auf die Idee, dass auch der Mann unfruchtbar sein könnte. „Wird eine Frau nicht schwanger, nimmt sich der Mann eine zweite Frau. Die erste Frau wird im Haus wie eine Sklavin behandelt“, berichtet die Ordensfrau. Sie kennt sogar einen Fall, in dem eine Ehefrau mit dem Vieh in den Stall gesperrt wurde. Jahrelang sprach niemand mit ihr. Häusliche Gewalt ist in Pakistan eher die Regel als die Ausnahme. Zuverlässige Zahlen darüber gibt es nicht, da sich dies hinter verschlossenen Türen abspielt. Aber Schwester Nazreen weiß: „Die Frauen lernen von Kindheit an, dass der Mann das Recht hat, sie zu schlagen und zu misshandeln. Sie betrachten sich als Eigentum des Mannes. Gibt der Ehemann ihnen Wasser zu trinken, so trinken sie. Gibt er ihnen nichts, so leiden

Auf ihre Kinder ist diese Frau stolz.

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sie Durst. Manchmal frage ich sie: ‚Was denkt ihr?’ Sie antworten mir: ’Schwester, wir denken nicht!’ Jedes Jahr werden in Pakistan zudem bis zu 1000 Frauen im Namen der sogenannten „Ehre“ ermordet. Auch absichtliche Entstellungen kommen vor, wenn Frauen beispielsweise eine Eheschließung ablehnen oder sich in jemanden Unerwünschten verliebt haben. In Karatschi hatte ich, als wir im Stau standen, hinter dem Fenster eines Fahrzeugs eine dieser bedauernswerten Frauen gesehen. Sie war verschleiert, aber über den Rändern des Schleiers erkannte man, dass ihr offenbar die Nase abgeschnitten und das Gesicht mit Säure verätzt worden war. Welch eine Tragödie, welch ein zerstörtes Leben verhüllte der schwarze Schleier dieser Frau ... Der zunehmende Extremismus in der pakistanischen Gesellschaft bedroht auch das wenige, was Frauen inzwischen erreicht hatten. Bischof Joseph Coutts hatte uns bei unserem Besuch in Faisalabad berichtet, dass islamistischen Extremisten die Bildung von Frauen ein Dorn im Auge ist. Im Nordwesten des Landes haben sie daher bereits Anschläge auf Dutzende Mädchenschulen verübt, um den Schulbesuch der Mädchen zu verhindern und dafür zu sorgen, dass sie zuhause bleiben.

Schwester Nazreen Daniels hilft vergewaltigten Frauen.

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Samirs wundersame Rückkehr Entführungen von Kindern werden in Pakistan zu einem immer größeren Problem. Allein in Karatschi wurden im Jahr 2010 2582 Kinder entführt. Angesichts dessen ist es erstaunlich, wie zutraulich selbst kleine Kinder gegenüber Fremden sind. Überall kommen sie auf uns zu und wollen uns die Hand geben. Kaum ein Kind verhält sich schüchtern und ängstlich. In Lahore lernen wir den neunjährigen Samir kennen. Es ist ein Wunder, dass er noch lebt, denn er wurde erst drei Wochen zuvor entführt und an die pakistanisch-afghanische Grenze verschleppt. „Noch nie zuvor ist in Pakistan ein entführtes Kind zu seinen Eltern zurückgelehrt“, sagt uns Pfarrer Andrew Nisar. Alles kam so: Am liebsten spielt Samir mit seinem Drachen. Auf der Straße vor der Kathedrale von Lahore lässt er ihn immer wieder steigen. Dies tat er auch am 23. Oktober 2011. An diesem Tag warten seine Eltern jedoch vergeblich auf ihren Sohn. Eine Überwachungskamera, die eigentlich die Kathedrale schützen soll, zeigt, wie er von einem bärtigen Mann in weißer Kleidung entführt wird. Die Eltern sind verzweifelt, die ganze Pfarrgemeinde liegt tagelang auf den Knien und fleht um ein Wunder. Alle wissen: Entführte Kinder werden als Selbstmordattentäter nach Afghanistan gebracht. Oder es werden ihnen Gliedmaßen abgehackt, damit sie für die Bettelmafia Geld heranschaffen. Zurückgekommen ist noch keines. Aber Pfarrer Andrew Nisari glaubt an das Wunder. Er macht den Eltern Mut: „Euer Sohn kehrt zurück!“ Samir selbst erinnert sich nur noch an den Schwamm, der ihm unter die Nase gehalten wurde. Danach ist alles schwarz. Erst zehn Tage später erwacht er wieder. Da steht er mit seinem Entführer am Fluss Indus irgendwo bei Peschawar an der Grenze zu Afghanistan. „Lass uns mal schauen, wie tief das Wasser ist“, sagt der Mann. „Ich habe Angst, ich will nicht sterben“, erwidert der Junge. „Nein, ich halte deine Hand“, sagt der Entführer. Als Samir sich noch immer sträubt, wirft er ihn ins Wasser und geht fort. Pfarrer Nisar meint, der Entführer habe sich des Jungen entledigen wollen, da der Fall im Fernsehen gezeigt wurde und ihm die Sache zu gefährlich wurde. Der kleine Samir ertrinkt jedoch nicht. Er kann sich an Bambusrohren festhalten und an Land retten. Er rennt und rennt. Auf der Straße begegnet er einem Mullah, einem islamischen Geistlichen. Ihm sagt er, er wolle nach Hause nach Lahore. Der Mann hilft ihm. An einem Haus sieht der Junge ein Plakat mit der Muttergottes von Mariamabad, dem pakistanischen Marienheiligtum. „Bring mich dorthin, zu diesen Leuten“, sagt er dem Mullah. Dort wohnen Christen. Samir kennt die Telefonnummer seiner Mutter auswendig. Gegen Mitternacht klingelt bei ihr das Telefon. Alle sind fassungslos vor Freude. Noch in derselben Nacht bricht der Vater auf, um seinen Sohn in Peschawar abzuholen. Noch von unterwegs ruft Samir Pfarrer Nisar an: „Was ist mit meiner Erstkommunion?“, fragt er ihn. 113


Samir (9) wurde entführt, als er mit seinem Drachen auf der Straße spielte. Wie durch ein Wunder kam er frei.

Am nächsten Tag kommt Samir nach Hause. Die ganze Pfarrgemeinde hat auf ihn gewartet. Alle weinen, auch Pfarrer Nisar. Immer wieder wird der Junge umarmt und mit Blütengirlanden umhängt. Alle danken Gott. Nachts schreit er noch immer im Schlaf „Schlag mich nicht, schlag mich nicht“. Dann weint seine Mutter. Aber er lebt. Eine Woche nach seiner Rückkehr empfängt Samir die erste heilige Kommunion. 2012 wird er wieder auf der Pfarrwallfahrt nach Mariamabad zur Ehre der Muttergottes singen können. In diesem Oktober hat seine Stimme allen gefehlt. 114


Bomben in Lahore Samirs Familie war bereits vor seiner Entführung leidgeprüft: Seine dreijährige Schwester Mirab wurde am 11. März 2008 bei einem schweren Bombenanschlag getötet, bei dem die Kathedrale von Lahore und mehrere kirchliche Gebäude stark beschädigt wurden. 30 Menschen wurden getötet, fast 250 verletzt. Die Buchhandlung der Paulusschwestern wurde nahezu gänzlich zerstört. Schwester Timothy Villaram berichtet: „Eine Schwester bückte sich gerade, um etwas vom Boden aufzuheben. In diesem Moment flog Glas von der geborstenen Fensterscheibe durch den Raum. Hätte sie aufrecht gestanden, wäre ihr der Kopf abgetrennt worden.“ Der ganze Laden wurde zerstört, das Dach und die die Decke stürzten ein, Wände brachen zusammen, sogar die Fundamente des Gebäudes wurden durch die Wucht der Explosion beschädigt. Nur die Heiligenbilder blieben unversehrt. „Dies überzeugte unsere Schwestern wieder einmal davon, dass sie unter dem Schutz unserer besonderen Patrone stehen. Wir bitten alle darum, dem Herrn dafür zu danken, dass Er seine liebende Gegenwart unter uns gezeigt hat“, so Schwester Timothy. Die Schwestern waren damals dabei, verschiedene Aktionen für Ostern vorzubereiten. Nun standen sie plötzlich vor den Trümmern ihres Missionszentrums und mussten bei Null beginnen: „Wir mussten aus den Ruinen wieder aufstehen und die Kraft finden, um mit Mut und im Glauben an den Herrn und an unsere paulinische Berufung neu zu anzufangen“. KIRCHE IN NOT half ihnen dabei. Die

Vor der Sonntagsmesse in der Herz-Jesu-Kathedrale von Lahore wird jeder Kirchgänger auf Waffen untersucht. 115


Sicherheitsposten vor der Kathedrale von Lahore.

Schwestern schrieben damals in ihrem Dankbrief: „Der Brief, in dem Ihr uns Eure Hilfe angekündigt habt, schenkt uns die Freude, uns als Teil der Mutter Kirche zu fühlen, die für die Armen und Kleinen in Pakistan in ihrer Bedrängnis und Gefahr sorgt.“ An Weihnachten desselben Jahres detonierte eine Bombe bereits zu früh, mit der während der Christmette ein Attentat auf die Kathedrale verübt werden sollte. Dadurch wurde eine Katastrophe in letzter Minute verhindert. Sonst hätte es Hunderte Tote gegeben. Die Gläubigen ließen sich jedoch nicht vom Messbesuch abschrecken, sondern in der Folge waren die Kirchen so voll wie nie zuvor. Die Priester wurden jedoch auch nach dem missglückten Anschlag noch in anonymen Briefen bedroht. Sie sollten „zum Islam übertreten oder die Konsequenzen tragen“. Pfarrer Andrew Nisari erklärte damals gegenüber KIRCHE IN NOT: „Wir sind von Bedrohungen umgeben. Ich predige den Leuten, dass sie sich auf den Tod vorbereiten sollen. Viele von uns werden in ihrem Bett oder im Krankenhaus sterben. Aber wie wunderbar wäre es, im Haus Gottes zu sterben.“ Jetzt stehen allerdings Polizisten vor dem Portal der Kathedrale, und jeder Gottesdienstbesucher wird auf Waffen untersucht. In der Einfahrt zur Kathedrale sind Blockaden errichtet worden, um die man im engen Slalom herumfahren muss. So wird 116


verhindert, dass jemand bei geöffnetem Tor schnell und ungehindert die Einfahrt passieren kann. Die Straße vor der Kathedrale ist während der heiligen Messe abgesperrt. Es dürfen keine Autos vorbeifahren, denn in einem Auto könnte eine Bombe gezündet werden. Eine absolute Sicherheit gibt es jedoch nicht. Allein im vergangenen Jahr starben in Pakistan 2542 Menschen durch Terroranschläge. 5062 wurden verletzt. Bischof Joseph Coutts sagte uns: „Die Terroristen sind bereit, zu töten und getötet zu werden. Sie bedrohen jeden. Sie töten sogar muslimische Gelehrte. Ein Mullah, der eine sehr gute Predigt darüber hielt, warum Selbstmordanschläge nicht zum Dschihad gehören, wurde eine Woche später von einem 14-jährigen Selbstmordattentäter in den Tod gerissen.“ Der Terror versetzt nicht nur das ganze Land in Angst und Schrecken, sondern er führt unter anderem auch dazu, dass mehr Kinder arbeiten müssen. Denn werden die Väter durch Bomben getötet oder so schwer verletzt, dass sie keiner Arbeit mehr nachgehen können, so müssen die Kinder zum Lebensunterhalt der Familie beitragen. Mehr als 21 Millionen Mädchen und Jungen arbeiten in Pakistan ohnehin schon. Die Terroranschläge tragen dazu bei, dass diese Zahl noch steigt. Die Regierung versucht, die Sicherheitslage in den Griff zu bekommen. In der pakistanischen Hauptstadt Islamabad hatten wir bereits zahlreiche Checkpoints auf den Straßen gesehen. Als wir den Apostolischen Nuntius, den Botschafter des Vatikan, besuchen wollten, mussten wir vorher die Nummer unseres Fahrzeugs registrieren lassen. Man braucht eine Erlaubnis, um in das hermetisch abgeriegelte Diplomatenviertel zu gelangen. Jedes Auto wird auf Bomben untersucht. Die meisten Botschaften sind noch einmal mit hohen Mauern, Stacheldraht und allen möglichen Sicherheitsvorkehrungen umgeben. Aber auch sonst stehen überall in der Stadt Soldaten und Polizisten mit Maschinengewehren. Auch in Lahore sind viele Bewaffnete auf den Straßen zu sehen. Was sie genau tun oder verhindern sollen, ist mir nicht ersichtlich. In Wirklichkeit scheint mir, ist man hier ganz auf seinen Schutzengel angewiesen. Denn ist jemand entschlossen, Böses zu tun, so wird er auch einen Weg dazu finden. Dass die Waffen der Sicherheitsposten im letzten wenig bewirken, zeigt schon allein die Tatsache, dass Armee und Polizei zurzeit die bevorzugten Anschlagsziele der Terroristen sind. Immer wieder sterben Soldaten und Polizisten in Bombenanschlägen. Wie also sollen sie die Zivilbevölkerung schützen, wenn sie sich selbst nicht schützen können, frage ich mich in den Straßen von Islamabad und Lahore. Trotz aller Tragik haben die Pakistaner noch nicht den Humor verloren. Pfarrer Andrew Nisari aus Lahore erzählt uns lachend, einmal sei ein Mullah, der zu einer Gruppe von Terroristen gehörte, verhaftet worden. Es klingt wie in einem Witzfilm: Der Mann hatte sich mit einer Burka verkleidet, aber durch den Stoff drangen Barthaare hindurch. Dies erregte berechtigtes Misstrauen, und der Terrorist wurde festgenommen. 117


Ein „geparktes“ Kamel in Karatschi.

Eselskarren mitten in Lahore. 118


Vater und Sohn betreiben einen mobilen StraĂ&#x;enimbiss.

Der Milchmann kommt! 119


Ein moderner Märtyrer Vom 6. bis zum 9. November 2011 wird das islamische Opferfest begangen. Am 7. November schlachten muslimische Gläubige in Pakistan und in anderen islamischen Ländern nach dem Gebet in der Moschee auf offener Straße unzählige Schafe, Ziegen, Rinder und Kamele. Stunden später sieht man von den Tieren, die in den vergangenen Wochen überall das Straßenbild geprägt hatten, nur noch einige Gedärme auf den Straßen liegen. Wir besuchen an diesem Tag das größte katholische Dorf Pakistans, das scherzhaft auch als „pakistanischer Vatikan“ bezeichnet wird. Dort bleiben uns die schlimmsten Bilder erspart. Abends im Fernsehen sehen wir Rinder, die sich sträuben und von mehreren Männern zu Boden geworfen werden. Meine Familie in Deutschland berichtet von einem Foto in einer Zeitung, auf dem in Lahore ein schon blutendes Kamel Amok lief. Khushpur, 40 Kilometer südlich von Faisalabad, wurde 1902 von belgischen Missionaren gegründet. Damals gab es dort nichts, keine medizinische Versorgung und nicht einmal Straßen, von Strom oder Telefon ganz zu schweigen. Es wimmelte von Schlangen. Heute sieht es anders aus. Dennoch scheint die Zeit hier stehen geblieben zu sein. Auf einem Feld ziehen vier Ochsen einen vorsintflutlichen Pflug. Wasserbüffel, die ge-

Die Pfarrkirche von Khushpur, des größten katholischen Dorfes in Pakistan. 120


In Khushpur scheint die Zeit stehen geblieben zu sein.

rade ihrem Schlammbad entstiegen zu sein scheinen, ziehen gemächlich Karren mit Zuckerrohr oder stehen in kleinen Gruppen träge mitten im Dorf herum. Kleine Esel traben vor Wagen gespannt die unbefestigten Dorfstraßen entlang. Vor einem kleinen Laden steht eine alte Frau, in einem Hauseingang schaut eine Mutter mit einem Baby auf dem Arm auf die verschlafene Straße hinaus. Der äußere Schein trügt aber: Denn mit seinen fast 8000 Katholiken und einem außerordentlich aktiven kirchlichen Leben gilt der Ort als Rückgrat der katholischen Kirche in Pakistan. Bis heute sind aus der dortigen katholischen Gemeinde zwei Bischöfe, 35 Priester, einhundert Ordensfrauen und mehrere Ordensbrüder hervorgegangen. Es gibt eine Schule, eine Kirche und ein Dominikanerinnenkloster. 1965 richteten Lasallebrüder in Khushpur zudem das „Nationale Ausbildungszentrum für Katecheten“ ein, das von KIRCHE IN NOT unterstützt wird. Dort haben bis heute über 800 Katecheten ihre Ausbildung abgeschlossen. Aus dieser „Hochburg“ der katholischen Kirche in Pakistan stammt auch der am 2. März 2011 ermordete katholische Minister für Minderheiten Shahbaz Bhatti. Hier in Khushpur steht sein Elternhaus. Sein Vater war Lehrer. Er starb, kurz bevor sein 42-jähriger Sohn für seinen Einsatz gegen das Blasphemiegesetz durch Maschinengewehrsalven regelrecht hingerichtet wurde. Hier in Khushpur ist Shahbaz Bhatti auch begraben. Sein Grab ist bis heute mit Rosenblättern bestreut. Die pakistanische Bischofskonferenz stellte bereits drei Wochen nach seiner Ermordung einen offiziellen Antrag an den Vatikan, ihn in die Liste der „Märtyrer der Weltkirche“ aufzunehmen. Noch in seinem letzten Interview hatte der Minister sein Engagement als „Zeugnis für Christus“ bezeichnet. Papst Benedikt XVI. sagte am Sonntag nach Bhattis Tod nach dem Angelus-Gebet: „Ich bitte Jesus, den Herrn, dass das 121


Das Elternhaus des am 2. März 2011 ermordeten katholischen Ministers für Minderheiten, Shahbaz Bhatti.

bewegende Lebensopfer des pakistanischen Ministers das Bewusstsein für den Mut und den Einsatz wecke, die Religionsfreiheit aller Menschen zu schützen und auf diese Weise ihre gleiche Würde zu fördern.“ Er sollte nicht das letzte Opfer gewesen sein. Kurz nach unserer Reise wurde ein 18- jähriges katholisches Mädchen ermordet, das ebenfalls aus Khushpur stammte. Maria Manisha – so hieß das Mädchen – wurde von einem muslimischen Mann entführt und erschossen, da sie es ablehnte, ihn zu heiraten und zum Islam überzutreten. In einem Text, der als sein „Geistlichen Testament“ gilt, schrieb Shahbaz Bhatti 2005: „Von klein auf war es für mich selbstverständlich, die Kirche zu besuchen und in den Glaubenswahrheiten und im Opfer und der Kreuzigung Jesu eine tiefe Formung zu erfahren. Es war Jesu Liebe, die mich veranlasste, meine Dienste der Kirche zur Verfügung zu stellen. Die schrecklichen Bedingungen, unter denen die Christen Pakistans lebten, erschütterten mich. Ich erinnere mich an den Karfreitag, als ich erst 13 Jahre alt war: Ich hörte eine Predigt über Jesu Opfer für unsere Erlösung und für die Rettung der Welt. So fühlte ich mich gedrängt, als Antwort auf diese Seine Liebe unseren Brüdern und Schwestern meine Liebe zu schenken, indem ich mich in den Dienst der Christen stelle, besonders der Armen, der Notleidenden und der Verfolgten, die in diesem islamischen Land leben. Mir wurden hohe Würden und Regierungsämter angeboten, damit ich meinen Kampf aufgebe, aber ich habe sogar unter Gefahr meines eigenen Lebens stets abgelehnt. Meine Antwort war immer dieselbe: Nein, ich will Jesus dienen als einfacher Mensch. 122


Das Grab von Shahbaz Bhatti.

Diese Hingabe macht mich glücklich. Ich will keine Popularität und keine Machtpositionen. Ich wünsche mir nur einen Platz zu Jesu Füßen. Ich möchte, dass mein Leben, mein Charakter, meine Handlungen für mich sprechen und zeigen, dass ich Jesus Christus nachfolge. Dieser Wunsch ist so groß in mir, dass ich mich in meinen Anstrengungen für die Notleidenden, die Armen und die verfolgten Christen Pakistans auserwählt fühlen würde, wenn Jesus mein Leben als Opfer annehmen würde. Für Christus will ich leben und für Ihn will ich sterben. Deshalb verspüre ich keine Angst in diesem Land. Viele Male wollten mich die Extremisten ermorden oder einsperren. Sie haben mich bedroht, verfolgt und meine Familie terrorisiert. Ich aber sage: Solange ich lebe, bis zu meinem letzten Atemzug, werde ich fortfahren, Jesus zu dienen und dieser armen, leidenden Menschheit, den Christen, den Notleidenden, den Armen.“ Am 2. März 2011 durfte Shahbaz Bhatti für Christus sterben, wie er es sich gewünscht hatte. 123


Nachwort: Christus in Pakistan Viele haben uns gefragt: „Habt ihr keine Angst gehabt?“ Viel mehr noch als um uns selbst haben wir uns jedoch um die Menschen gefürchtet, die wir im Land der Taliban zurücklassen mussten. Tag für Tag müssen sie mit der Gefahr leben. Tag für Tag rechnen sie mit dem Tod. Wir konnten nach drei Wochen abreisen. Sie müssen bleiben. Jetzt, da wir zurück in Deutschland sind, sehe ich ihre Gesichter jeden Tag vor mir. Ich weiß nicht, was aus ihnen werden wird, aus Pater Pascal, der kleinen Regina, den Kindern im Slum, den tapferen Bischöfen, dem neugeweihten Priester Ryan, den Schwestern, die jeden Tag zu Fuß zu den Ärmsten der Armen gehen ... Wie viele von ihnen werden womöglich getötet werden? Pater Werenfried van Straaten, der Gründer unseres Hilfswerkes, nannte die Verfolgten die „Elite der Kirche“. Eindringlich sprach er von Christus, der auf den Kalvarienbergen der Gegenwart in Seiner Kirche aufs Neue gekreuzigt wird. Ich möchte Pater Werenfrieds dramatische Aufzählung der heutigen Passion Christi ergänzen: Christus stirbt auch in den Maschinengewehrsalven in Karatschi, in den Bombenanschlägen von Lahore, unter den Gewaltausbrüchen eines aufgeheizten, fanatischen Mobs und in den entführten Kindern, die nach Afghanistan verschleppt werden. Mögen wir alles tun, was in unserer Macht steht, um unsere bedrängten Schwestern und Brüder zu trösten.

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Artikel für ein aktives Glaubensleben Glaubenspaket Grundausstattung Die wichtigsten Gegenstände für den katholischen Glauben – in einem Paket. Inhalt: Neues Testament, Kleiner Katholischer Katechismus, Kreuz, Papst-Rosenkranz, Betrachtungen, Grundgebete, Tipps für den Glaubensalltag und vieles mehr. Format: 31 x 24 x 6,5 cm 19,90 Euro* Art. Nr. 2007 Sonderausgaben zu den Sakramenten der Taufe, Erstkommunion und Firmung erhältlich. Die Prayerbox ist ein kleines handliches Döschen, das in jede Tasche passt. Sie dient dem Gebet unterwegs und auf Reisen – also immer, wenn der Platz knapp wird. In der Prayerbox sind enthalten: 10-Perlen-Rosenkranz, „Kreuz der Einheit“, Weihwasserfläschchen, Grundgebete auf Deutsch, Englisch und Italienisch 2,00 Euro* Art. Nr. 2004 Sonderausgabe für Pilger erhältlich. Die Kinderbibel ist eines der größten Projekte von KIRCHE IN NOT. Weltweit wurden bereits fast 50 Millionen Exemplare in 172 Sprachen verbreitet, um Kindern und Familien überall die Frohe Botschaft in ihrer Muttersprache zu überbringen. Die Texte der Kinderbibel sind in kindgerechter Sprache verfasst. Die vielen bunten Illustrationen vermitteln die Inhalte des Alten und Neuen Testaments altersgerecht und verständlich. Querverweise zur Einheitsübersetzung sind abgedruckt. Für Kinder ab 5 Jahren geeignet. 2,50 Euro*, Art. 5003 Die Kinderbibel gibt es auch als Hardcover, Mal-, Bilder- und Hörbuch. Am Beginn unseres Werkes steht der Priester Werenfried van Straaten, genannt der „Speckpater“. Mit unerschütterlichem Gottvertrauen ausgestattet bettelt der Niederländer nach dem II. Weltkrieg zunächst für die Deutschen und sammelt im Laufe der Jahre Milliarden für die Kirche in Not weltweit. Dieses Buch erzählt packend von der Anfangszeit des Hilfswerks KIRCHE IN NOT. 5,00 Euro* Art. Nr. 5025 Weitere Schriften von und über Pater Werenfried erhältlich. Adressen und Bestellmöglichkeiten finden Sie auf Seite 128. *Versandkosten bei kostenpflichtigem Material: 4 Euro pro Bestellung nach D (EU: 6 Euro, Nicht-EU: 10 Euro). Ab einem Warenwert von 50 Euro entfallen die Versandkosten nach D, ebenso bei der Bestellung von ausschließlich kostenlosem Material nach D. Mit der Lieferung erhalten Sie eine Rechnung, bitte bezahlen Sie auf das dort angegebene Konto. Änderungen möglich, alle Angaben ohne Gewähr. © KIRCHE IN NOT, 2012 Diese und weitere Artikel finden Sie auch unter: http://www.kirche-in-not.de/shop

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Erfahren Sie mehr über das Leben der Christen im Irak Im Mai 2011 hat eine Delegation von KIRCHE IN NOT die christlichen Gemeinden im Norden des Irak besucht. Der Pressesprecher von KIRCHE IN NOT in Deutschland, André Stiefenhofer, hat seine Eindrücke von dieser Reise in dem mit zahlreichen farbigen Fotos bebilderten Buch „Der Irak: Christen im Land der Propheten“ zusammengefasst. Darin kommen die Bemühungen um den interreligiösen Dialog vor Ort ebenso zur Sprache wie die Bedrohung durch den Terror und die schwierige Lage der Flüchtlinge im Nordirak. Das Buch schildert darüber hinaus das lebendige Glaubensleben der irakischen Christen und berichtet von vielen persönlichen Begegnungen vor der Kulisse uralter christlicher Klöster und Kultur. Das weiterführende Buch „Der Irak: Christen im Land der Propheten“ können Sie sich unentgeltlich im Büro von KIRCHE IN NOT Lorenzonistr. 62 81545 München oder mit einer E-Mail an kontakt@kirche-in-not.de sowie telefonisch unter 089 - 64 24 888-0 bestellen.

Der Irak – Christen im Land der Propheten. Taschenbuch, 80 Seiten, Bestell-Nr.: 7031, Kostenlos erhältlich. Lieferzeit: ca. 1 Woche.

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Bezugsadressen Weitere Schriften und Informationsmaterial können Sie bestellen:

in Deutschland bei KIRCHE IN NOT Lorenzonistraße 62 D-81545 München Telefon: 0 89 - 64 24 888-0 • Telefax: 0 89 - 64 24 888-50 E-Mail: info@kirche-in-not.de • Internet: www.kirche-in-not.de Spenden: Liga Bank München, BLZ: 750 903 00, Konto-Nr.: 215 2002

in Österreich bei KIRCHE IN NOT Postfach 96 Hernalser Hauptstraße 55 A-1172 Wien Telefon: 01 40 - 52 553 • Telefax: 01 40 - 55 46 275 E-Mail: kin@kircheinnot.at • Internet: www.kircheinnot.at Spenden: PSK, BLZ: 60.000, Konto-Nr.: 92.065.338

in der Schweiz bei KIRCHE IN NOT Schweiz/Fürstentum Liechtenstein Postfach 5356 Cysatstraße 6 CH-6000 Luzern 5 Telefon: 0 41 - 41 04 670 • Telefax: 0 41 - 41 03 170 E-Mail: mail@kirche-in-not.ch • Internet: www.kirche-in-not.ch Spenden: Crédit Suisse Luzern, Konto-Nr.: 0463-997.427-10-1

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KIRCHE IN NOT ist ein internationales katholisches Hilfswerk päpstlichen Rechts, das der Kirche überall dort hilft, wo sie verfolgt oder bedrängt wird oder nicht genügend Mittel für die Seelsorge hat. Das Hilfswerk wurde 1947 vom niederländischen Prämonstratenserpater Werenfried van Straaten (1913 – 2003) gegründet. Damals organisierte Pater Werenfried in Belgien und Holland Hilfe für die heimatvertriebenen Deutschen und rief zur Versöhnung mit den verfeindeten Nachbarn auf. Da er anfangs vor allem Speck bei den flämischen Bauern sammelte, nannte man ihn bald den „Speckpater“. KIRCHE IN NOT ist ein pastorales Hilfswerk, das in mehr als 130 Ländern aktiv ist. Schwerpunkte der Hilfe sind gegenwärtig die Kirche in islamisch geprägten Ländern, in denen Christen meist Bürger zweiter Klasse sind, der Wiederaufbau der Kirche in den Staaten des ehemaligen Ostblocks, die Hilfe für die durch Sekten bedrängte Kirche in Lateinamerika sowie Unterstützung für die Kirche in Afrika, die oft in Auseinandersetzungen mit dem Islam steht. Immer wichtiger wird auch die Neuevangelisierung in den westlichen Ländern. Sitz der internationalen Zentrale ist Königstein im Taunus (Deutschland). Das deutsche Büro hat seinen Sitz in München. In weiteren sechzehn Ländern unterhält KIRCHE IN NOT nationale Sekretariate.

Unser Werk ist ein Treffpunkt der Weltkirche, wo sich Gottes Kinder aus allen Ländern der Erde in übernatürlicher Liebe begegnen und gegenseitig bereichern. Für die Gebenden ist es eine Gnade, in Gedanken und Gebet mit denen vereint zu sein, die von Jesus selig genannt werden, weil sie arm sind oder Verfolgung leiden. Für die Empfangenden hingegen ist es eine Freude, sich mit jenen verbunden zu wissen, die wegen ihrer Barmherzigkeit selig gepriesen werden. Pater Werenfried van Straaten


Die Islamische Republik Pakistan versteht sich offiziell als säkularer Staat, doch der politische Alltag und die Gesetzgebung stehen immer stärker unter dem religiösen Druck islamistischer Kräfte. Diese zunehmende Radikalisierung einer über Jahrhunderte moderaten islamischen Kultur wirft ihre Schatten insbesondere auf die Minderheiten des Landes. Knapp 185 Millionen Menschen leben in Pakistan, davon sind etwa 2,2 Prozent Christen. Um deren Lage aus erster Hand einschätzen zu können, hat im November 2011 eine Delegation des weltweiten katholischen Hilfswerks KIRCHE IN NOT das Land bereist. Mit dabei war die Publizistin Eva-Maria Kolmann, die in diesem Buch tagebuchartig über ihre Erlebnisse während dieser Projektreise berichtet. Ein Hauptaugenmerk legt sie dabei auf das Schicksal der pakistanischen Frauen, die ihrer Beobachtung nach in Pakistan oft als „Menschen zweiter Klasse“ behandelt werden. Ebenso zur Sprache kommt die zunehmend schwierige Situation aller Christen im Alltag. Besonders das sogenannte „Anti-Blasphemiegesetz“, das die Schändung des Korans oder die Beleidigung des Propheten Mohammed unter harte Strafen stellt, wird vielerorts als Anklagegrund gegen unliebsame Personen missbraucht, ohne dass sich diese tatsächlich eines dieser „Vergehen“ schuldig gemacht hätten.


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