Informationen Projekte Rio Negro 2010

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Verlagspostamt 1060 WIEN – P.B.B. – GZ02Z031986M

3b/2010

klimabündnis n ews u n d i n f o r m ati o n e n z u d e n p roj e k te n a m r i o n e g ro

● 20 Jahre Klimabündnis

● 17 Jahre Partnerschaft Klimabündnis Österreich – FOIRN

● Gebietserweiterung am Mittleren und Unteren Rio Negro ● Soziale und ökologische Charakterisierung des Gebiets am Mittleren und Unteren Rio Negro

● Indigenes Wissen


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klimaintro

20 Jahre Klimabündnis Liebe LeserInnen,

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mazonien steht infolge der weltweiten Verknappung von Rohstoffen und Agrarflächen wieder verstärkt im Visier vieler nationaler und internationaler Interessensgruppen, die vor allem Bodenschätze suchen und die agroindustrielle Produktion auf der Basis von Soja, Fleisch, Ölpalmen u.a.m. ausbauen wollen. Riesige Infrastrukturprojekte wie der Bau zahlreicher Wasserkraftwerke, die Fertigstellung der Straßenverbindung zum Pazifik (2011) und der Ausbau der Häfen sollen die Entwicklung der Herzregion Südamerikas vorantreiben. Das lässt befürchten, dass der Regenwald trotz gegenteiliger Beteuerungen von Regierungen und Unternehmen weiterhin der Wachstumsideologie zum Opfer fällt. Dagegen kämpfen indigene Völker und ihre Verbündeten für den Erhalt der Regenwälder, die nicht nur für ihr Überleben, sondern auch für den Erhalt der Biodiversität und als Stabilitätsfaktor für das Weltklima wichtig sind. Seit seiner Gründung setzt sich das Klimabündnis aktiv für den Schutz des Regenwaldes ein und unterstützt die indigenen PartnerInnen seit vielen Jahren bei ihrem Kampf. Mehr dazu in den folgenden Beiträgen. Johann Kandler

Klimabündnis Österreich

Die Direktoren der FOIRN v.l.n.r.: Luiz Brazão (Baré), Maximiliano Correa (Tukano), Abrahão de Oliveira (Baré), Erivaldo Almeida (Piratapuia), Irineu Laureano (Baniwa).

Neue Schutzzonen am Rio Negro als Überlebenschance für Indigene

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ie indigenen Völker Amazoniens kämpfen seit langem um die Anerkennung ihrer Rechte, insbesondere auf jene Gebiete, in denen sie seit Menschengedenken leben und arbeiten. Besonders erfolgreich dabei war die FOIRN (Föderation der indigenen Organisationen des Rio Negro), die seit 1993 von Klimabündnis-Gemeinden und Bundesländern sowie der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit politisch und finanziell unterstützt wird. Sie erreichte 1998 die Anerkennung eines Gebietes, das etwa der Größe Österreichs und Sloweniens zusammen entspricht, und sich am Oberen Rio Negro, einige hundert Kilometer nordwestlich von Manaus, an der Grenze zu Kolumbien, befindet. Ausschlaggebend dafür war auch die Zusammenarbeit mit HORIZONT3000 aus Österreich und der brasilianischen Organisation ISA (Instituto Socioambiental), welche die FOIRN bei der Umsetzung eines sozial und kulturell angepassten Regionalentwicklungsprogramms unterstützen. Anfangs konzentrierte sich die Arbeit auf das Gebiet des Munizips (Gemeinde) São Gabriel da Cachoeira am Oberen Rio Negro, doch seit einigen Jahren ha-

ben sich auch indigene Basisorganisationen vom Mittleren und Unteren Rio Negro der FOIRN angeschlossen. In dieser Region gibt es zunehmend Probleme durch die Einwanderung nichtindigener Familien und das Vordringen von Fischerei- und Tourismusunternehmen. Das erhöht die Konkurrenz um die Nutzung der knappen Ressourcen und verursacht soziale, kulturelle und wirtschaftliche Interessenskonflikte. Daher fordert die FOIRN – mit Unterstützung ihrer Partnerorganisationen – von der Regierung die Einrichtung indigener Territorien und Schutzzonen, um so der Zerstörung dieses wertvollen Lebensraumes mit seiner hohen kulturellen und biologischen Vielfalt vorzubeugen. Konkret geht es um die Einzugsgebiete nördlich und südlich des Mittleren und Unteren Rio Negro. Die direkt Begünstigten sind etwa 41.500 Menschen aus 23 ethnischen Gruppen, die in der Region in 250 Siedlungen leben. Diese Gruppen werden durch ihre regionale Koordinierungsstelle und durch 14 Basisvereine repräsentiert. Mit den Klimabündnisbeiträgen der Gemeinden und Bundesländer, sowie aus Mitteln der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit wird dieses


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Einleitende Worte „ Für uns indigene Völker bedeutet Recht auf Land Garantie für‘s Überleben, Raum für die Reproduktion unserer Lebensformen und für die Konstruktion kollektiver Zukunftsprojekte ...“ Vorhaben der FOIRN im aktuellen 3-Jahresprojekt unterstützt. Seitens der Regierung wurde von der FUNAI – Fundação Nacional do Indio – der technisch-administrative Prozess zur Datenerhebung und Identifizierung des Gebietes eingeleitet. Die FOIRN und das ISA begleiten die Arbeiten kritisch und führen mit der einheimischen Bevölkerung Erhebungen durch, um die traditionellen Nutzungsformen zu dokumentieren und kartographisch festzuhalten. Eigene sozioökonomische und ökologische Studien dienen als Basis für einen Dialogprozess innerhalb aller beteiligten Interessensgruppen und AkteurInnen. Damit sollen die Widerstände seitens lokaler PolitikerInnen, Geschäftsleute und UnternehmerInnen, die versuchen, die Einrichtung der Schutzzonen zu verhindern, überwunden werden. Weiters werden in der Region Rio Preto ein Modell zur nachhaltigen wirtschaftlichen Nutzung der Ressourcen umgesetzt und alternative Entwicklungswege aufgezeigt. Das wichtigste Produkt der Region ist die Palmfaser Piassaba, die bisher meist mit großen Nachteilen für die Einheimischen über HändlerInnen vermarktet wird. Zukünftig soll ein faires Handelssystem aufgebaut werden, ähnlich wie das Kunsthandwerksprojekt am Oberen Rio Negro. Johann Kandler

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ie österreichischen BündnispartnerInnen werden sich an den historischen Moment im April 1998 erinnern, als die endgültige Anerkennung der Indigenen Siedlungsgebiete am Oberen Rio Negro proklamiert wurde. Zumindest wird dieser für immer in den Köpfen der österreichischen Delegation verankert sein, die seinerzeit die immense Freude und die Feierlichkeiten in der Maloca der FOIRN begleiten und teilen konnte. Diese Errungenschaft ist vor allem ein Ergebnis des langen Kampfes der Indigenen Bewegung, angeführt von der FOIRN, die mit begleitender juristischer und technischer Beratung des ISA und mithilfe der internationalen Kooperation, insbesondere der österreichischen, die rechtliche Absicherung der traditionell bewohnten Gebiete in fünf aneinander grenzenden Territorien (mit insgesamt 10,6 Mio. Hektar) erlangte. Der Moment war auch Ausgangspunkt für die Erneuerung von Energien, die in der Folge zu bedeutenden Resultaten in der Region geführt haben: Entwicklung und Implementierung eines Modells der Indigenen Bildung; Durchführung von kommunalen Projekten zur Nutzung von Fisch- und Waldressourcen; Mitwirkung im Bereich der öffentlichen Politik (Indigener Gesundheitsdistrikt, Bürgerforum, Schutz und Kontrolle der Indigenen-Territorien, Generalplan für das Munizipium São Gabriel da Cachoeira; Implementierung eines Netzwerks von „Kultur-Stützpunkten“; Koordinierung der öffentlichen

Sektorpolitiken im Rahmen eines Investitionsprogramms der Bundesregierung u.a.m.); Entwicklung von sozial und wirtschaftlich nachhaltigen Modellen der Vermarktung von Produkten mit kulturellem und ökologischem Mehrwert; Durchführung von partizipativen Forschungsarbeiten; Veröffentlichung von Büchern indigener AutorInnen und Aufzeichnung des immateriellen kulturellen Erbes – um nur die wichtigsten zu nennen. Die Ausdehnung der politischen Arbeit von FOIRN auf die Zuflussgebiete am Mittleren und Unteren Rio Negro, die durch eine enorme soziokulturelle Komplexität indigener und nicht-indigener Bevölkerungsgruppen und die anerkannt hohe Wichtigkeit eines umfassenden Schutzes der Umwelt gekennzeichnet sind, hat nun ein Niveau erreicht, das auch Perspektiven für eine „Zukunft“ in dieser Region aufzeigt. Ausschlaggebend waren nicht zuletzt auch die Erhebungsarbeiten des ISA, das Nutzen ihrer politischen Vernetzungs- und Verhandlungspotenziale und die Hartnäckigkeit von HORIZONT3000, unterstützt durch die österreichische Partnerschaft, die „Pionierarbeiten“ auf weitere Teile des Flussbeckens zu verlagern. Die nachfolgenden Informationen und Daten stützen sich weitgehend auf Veröffentlichungen des ISA, aber auch auf eigene Beobachtungen und Schlussfolgerungen, die sich aus der intensiven Begleitung der Arbeitsprozesse am Rio Negro ergeben. Brunhilde Haas de Saneaux

HORIZONT3000

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Peter Filzwieser

Teilnehmer an der Delegationsreise 2001

„Die Fahrt mit dem Klimabündnis an den Rio Negro mit der kompetenten und liebenswerten Reiseleitung durch Johann Kandler wird für mich immer unvergesslich bleiben und hat mein Bild von der Bedeutung der indigenen Bevölkerung und ihrer Umwelt für den Fortbestand unserer Erde nachhaltig geprägt. Am meisten beeindruckt hat mich der Umgang der Erwachsenen mit den Kindern. Nie hat es ein lautes Wort oder einen bösen Blick gegeben; die Kleinen sind ganz selbstverständlich in das Leben der Dorfgemeinschaft integriert. Zu erleben, wie dieser Strom den Lebensbereich der Menschen durchzieht, ihnen dabei als Verkehrsweg, natürliche Ressource und Spielplatz dient, war ergreifend. Neben all der Bereicherung durch Menschen und Natur hat diese Reise zu einem Quantensprung in meinem persönlichen Leben geführt. Ich weiß jetzt, wie bequem eine Hängematte ist! Die damals gekaufte war und ist mein persönlicher Lieblingsplatz in vielen Weltgegenden.“ Peter Filzwieser ist Redakteur und Ombudsmann bei der Kleinen Zeitung.

Johann Padutsch Teilnehmer an der Delegationsreise 1998

„Der Besuch am Rio Negro war eines der faszinierendsten Erlebnisse meines Lebens. Dinge, für die man sich Zeit seines Lebens eingesetzt hat, wirklich zu sehen, gibt einen unglaublichen Motivationsschub! Für mich als wasserorientierten Menschen war es toll, das Leben und Fahren am Fluss zu erleben. Selbst die gerösteten Flugameisen haben erstaunlich gut geschmeckt. Aber bei so einer Reise bekommt man auch die negativen Folgen mit, die Wucht der Zerstörung durch unsere Zivilisation und den Kampf der Indigenen um Kleinigkeiten wie Funkgeräte oder einen funktionierenden Motor.“ Johann Padutsch ist Stadtrat in Salzburg und Abteilungsleiter der Raumplanung und Baubehörde

„Der Regenwald ist unsere Mutter!“

Der Erhalt des Regenwaldes in Verbindung mit der Inschutzstellung der traditionellen Siedlungsgebiete ist die Voraussetzung für das Überleben indigener Völker.

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ndigene Völker und andere traditionelle BewohnerInnen des Regenwaldes haben zu ihrer natürlichen Umgebung eine enge und vielschichtige Beziehung, die für viele Menschen in den modernen Konsumgesellschaften auf Grund ihrer weitgehenden Entfremdung von der Natur nicht auf Anhieb verständlich ist. In der indigenen Kosmovision ist der Mensch ein Teil der Natur, der mit allen anderen materiellen wie auch immateriellen Teilen in Beziehung steht. Das führt zu einer ganzheitlichen und systemischen Denkweise, in der die Prinzipien des Kreislaufs und des Gleichgewichts zwischen den Teilen die Beziehungen regeln. In dieser Logik gibt es auch keine Besitzrechte an der

Natur, die als Gemeinschaftsgut gesehen wird, sondern nur Nutzungsrechte, die jeden Einzelnen zu einem verantwortungsvollen Umgang verpflichten, damit niemand unnötigen Schaden erleidet. Aufgrund dieser Logik gibt es keinen privaten Besitz von Grund und Boden, Gewässern, Bodenschätzen usw., und deswegen fordern die indigenen Völker von der Regierung die Inschutzstellung ihrer traditionell genutzten Gebiete für die gemeinsame Nutzung um das kulturelle Überleben zu gewährleisten. Die Größe der Gebiete ist von der Bewirtschaftungsweise und der Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen abhängig. Einerseits erfordern die nährstoffarmen Böden Amazoniens einen Wanderfeldbau, andererseits werden zum Sammeln von Kräutern, Früchten und Materialien für die Herstellung von Gebrauchsartikeln zum Bau von Häusern, wie auch für die Jagd große Flächen benötigt. Die Kultur und Lebensweise der AmazonasbewohnerInnen wurde durch die jahrtausendelange Erfahrung des Zusammenlebens mit einem der komplexesten Ökosysteme der Erde geprägt. Es ist kaum bekannt, dass sich der Regenwald Amazoniens in einem äußerst labilen Zustand befindet, denn seine Existenz beruht auf zwei Kreisläufen – dem der Nährstoffe und dem des Wassers. Der Nährstoffkreislauf ist ein Paradebeispiel für die Nutzung knapper Ressourcen, denn die Böden enthalten wenig bis fast keine Nährstoffe (z.B. in


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„Wir, die Bewohner des Regenwaldes, appellieren an alle, die den Klimawandel verursachen, ihre Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren und auf erneuerbare Energiequellen umzustellen!“

Irineu Laureano FOIRN-Direktor

den Einzugsgebieten der Schwarzwasserflüsse, zu denen auch der Rio Negro zählt, und die daher als „Hungerflüsse“ bekannt sind). Trotzdem – oder vielleicht deswegen – entstand eines der artenreichsten Ökosysteme, in dem die in den Pflanzen und Tieren vorhandenen Nährstoffe durch sehr komplexe Mechanismen fast hundertprozentig im Kreislauf gehalten werden. Die Zerstörung des Regenwaldes bewirkt deren unwiederbringlichen Verlust und daher ist eine Wiederherstellung der ursprünglichen Vielfalt unmöglich. Weiters bedarf der Regenwald einer gewissen Mindestmenge von Niederschlägen mit regelmäßiger Verteilung. Drei Viertel(!) des Regens entstehen in der Region selbst durch Verdunstung und Transpiration. Studien haben gezeigt, dass sich dieser Wasserkreislauf vom Atlantik bis zu den Anden siebenmal wiederholt. Großflächige Rodungen verringern die Niederschläge und stören damit die ausreichende Wasserversorgung des Gesamtsystems. Infolge des Klimawandels treten seit einigen Jahren verstärkt Verschiebungen der Regenzeiten und längere Trockenperioden

auf. Das schadet dem Ökosystem und bewirkt unter anderem Verzögerungen bei der Aussaat und spätere Ernten, was zu Nahrungsengpässen führt und andere Aktivitäten wie das Sammeln von Früchten oder das Fischen erschwert. Das naturbedingt geringe Fischvorkommen im Rio Negro wird durch niedrige Wasserstände noch verschärft. Nachdem die Flüsse auch die wichtigsten Verkehrswege darstellen leiden die Mobilität und die Versorgung. Die Anpassung an diese schwierigen Rahmenbedingungen erfolgte nach dem Prinzip der Kooperation mit der Natur und nicht nach der Logik der Beherrschung und Unterwerfung, wie es andere Wirtschaftssysteme praktizieren, mit all den bekannten fatalen Folgen. Die Einrichtung weiterer Schutzgebiete am Rio Negro bedeutet daher nicht nur eine „Besitzsicherheit“ für die einheimische Bevölkerung, sondern den Erhalt eines Lebensraumes mit seinen einzigartigen ökologischen und kulturellen Besonderheiten, zum Wohl der gesamten Erde. Johann Kandler

Marcus Gregoric Teilnehmer an der Delegationsreise 2001

„Bei dieser Reise konnte ich sehen, dass dank der Partnerschaft schon gute Projekte gelungen sind. So wurden zum Beispiel einige Anlagen für Funkgeräte bereits mit Photovoltaik betrieben. Besonders in Erinnerung ist mir die Frage von Higino Tenório von der FOIRN geblieben. Er meinte „Wir Indigene schützen den Wald, der für das weltweite Klima große Bedeutung hat und viel CO2 bindet – und was macht ihr?“ Daraufhin habe ich den Entschluss gefasst, für jeden von mir installierten Quadratmeter Solarfläche einen Euro für die BündnispartnerInnen zu reservieren. Damit unterstütze ich aktiv die Indigenen, die wie ich selbst als Kärntner Slowene zu einer Minderheit zählen. Mein Wunsch ist, in 20 Jahren nochmals an den Rio Negro zu fahren, um zu sehen, was sich alles verändert hat“ Marcus Gregoric ist Geschäftsführer der Fa. Solarmark Sanitär und Heizungstechnik.

Walter Friedl

Teilnehmer an der Delegationsreise 1998

„Obwohl ich als außenpolitischer Redakteur des KURIER in vielen Ländern dieser Welt unterwegs war und bin, so war die Reise an den Oberlauf des Rio Negro 1998 doch etwas ganz Besonderes. Die Einzigartigkeit der Natur und die Ursprünglichkeit der mit ihr dort lebenden Menschen war faszinierend - und ist mir bis heute äußerst präsent. Ein großes Stück Land wurde den Indianern damals feierlich übergeben und somit Rechtssicherheit geschaffen. Doch Ruhekissen kann dies sowohl für die engagierten Menschen diesseits wie jenseits des Atlantiks nicht sein: Die Rechte der Indigenen müssen stets aufs Neue verteidigt werden. Denn sie sind meist die Ersten, die so genannten wirtschaftlichen Zwängen zum Opfer fallen.“ Walter Friedl ist stellvertretender Leiter der Außenpolitikredaktion beim KURIER.


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klimabündnis

Gebietserweiterung am Mittleren und Unteren Rio Negro

Erläuterungen eines komplexen Prozesses und bisherige Ergebnisse ...

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ie Region am Mittleren/Unteren Rio Negro, mit ihren Munizipien Santa Isabel und Barcelos, wird aufgrund ihrer sozio-ökologischen Vielfalt und der Integrität ihrer natürlichen Landschaften als eine Region betrachtet, der in Hinsicht auf ihren Schutz hohe Priorität zugemessen wird. In den letzten zehn Jahren hat dieser Umstand zu einigen Initiativen geführt, die die Förderung, Gründung und Neudefinition von Schutzzonen bewirken sollen. An der Identifizierung der Indigenen-Territorien sind VertreterInnen der Gemeinden, der Regierung des Bundesstaates Amazonas, einiger NGOs, des Umweltministeriums – die Region wurde in den „Ökologischen Korridor Zentralamazoniens“ aufgenommen – und der Indianerbehörde FUNAI beteiligt.

Das Flussbecken des Rio Negro wird heute als eine der am besten konservierten Regionen in Amazonien eingeschätzt. Dies ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen, die mit einer Besiedlungsgeschichte mit geringen ökologischen Auswirkungen zusammenhängen. Ein weiterer Faktor sind die sozial- und umweltrelevanten Charakteristika der Zone und – in letzter Zeit – die Schaffung von Indigenen-Territorien (TIs) und sogenannten Konservierungseinheiten (UCs).

In den Neunzigerjahren erreichte die Indigenen-Bewegung die Demarkierung einiger zusammenhängender Territorien am Oberen Rio Negro. Am unteren Teil des Flussbeckens wurden gleichzeitig Zonen für integralen Schutz und nachhaltige Nutzung eingerichtet.

Glossar Was bedeutet Territorialordnung (OT)?

Damit wird ein Prozess der Flächenwidmung für Nutzung und Besiedlung in einer Region beschrieben. Dabei sollen soziale Ansprüche und Ursprungsrechte der traditionellen Bevölkerung sowie der Schutz der Umwelt und eine nachhaltige Bewirtschaftung im Vordergrund stehen. Derzeit diskutiert die brasilianische Regierung die Richtlinien für eine Nationale Politik zur Territorialordnung. Wünschenswert ist ein breiter Dialog, der den betroffenen BewohnerInnen ein großes Mitspracherecht zusichert.

Was ist ein Indigenes-Territorium (TI)?

Der Artikel 231 der brasilianischen Verfassung anerkennt als TI Landstriche, die von Indigenen dauerhaft besiedelt sind und genutzt werden. Weiters sind TIs Gebiete, die für das Wohlergehen der indigenen BewohnerInnen von großer Bedeutung sind und ein kulturelles Leben in Tradition ermöglichen. Außerdem sind die Gebiete unverzichtbar für die Bewahrung von natürlichen Ressourcen. Die brasilianische Bundesregierung erkennt ein TI im Zuge


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Franziska Simmer Teilnehmerin an der Delegationsreise 2001

Währenddessen fehlten am Mittleren Rio Negro weiterhin die Vorsorgemaßnahmen mit Bezug auf den kollektiven Gebietsanspruch der Indigenen und auf die Schaffung ökologischer Schutzeinheiten, wobei sich zugleich die ökonomischen Aktivitäten des Fischfangs (Zier- und Speisefische) intensivierten und neue Formen, wie etwa die Sportfischerei und der Bau von Hotels für den Ökotourismus auftauchten. 1999 wurden eine Reihe von Forschungsarbeiten über die biologische

eines Identifizierungsprozesses an, für den die Indianerbehörde FUNAI die Verantwortung trägt. Dieses Organ hängt vom Justizministerium ab. Ein TI sichert der Bevölkerung dauerhafte Verfügung und exklusive Nutzung der dort vorhandenen natürlichen Ressourcen zu. Die brasilianische Verfassung sieht auch das „Ursprungsrecht“ der Indigenen vor, ein Recht der Herkunft für diejenigen, die dieses Land schon bewohnt haben, bevor andere Völker es erreichten. Und deshalb sagt das Gesetz, dass ein TI souverän ist. Ab dem Augenblick, in dem das TI anerkannt wird, erlöschen alle anderen territorialen Regelungen, seien es Schutzzonen oder Eigentumstitel.

Vielfalt in Amazonien mit Projekten des Umweltministeriums zusammengeführt und nach Regionen organisiert (Seminar „Consulta Macapá“). Bei dieser Gelegenheit wurden die Prioritäten für Aktionen und Studien zur Bewahrung der Umwelt und zum Schutz der sozialen Rechte in verschiedenen Regionen Amazoniens bewertet. Das Seminar klassifizierte die Region von Santa Isabel und Barcelos als „höchst prioritär“, und empfahl die Durchführung von Studien und Projekten der Gebietskontrolle, die Ausarbeitung von Plänen zur nachhaltigen Bewirtschaftung und von Umweltdiensten, ebenso wie die Schaffung von geschützten Zonen (APs) bzw. Konservierungseinheiten und Indigenen-Territorien. Diese Empfehlungen scheinen in den letzten Jahren zur Orientierung der Regierungs- und NichtregierungsInstitutionen beigetragen zu haben, sodass diese ihre Aufmerksamkeit auf die Region lenkten. Unter diesen sind besonders hervor zu heben: Der indianische Dachverband FOIRN, das Instituto Socioambiental (ISA), die Stiftung Vitória Amazonica (FVA), der WWF Brasilien, das Sekretariat für nachhaltige Entwicklung am Amazonas (SDS –AM), und die Indianerbehörde FUNAI.

Fortsetzung Seite 8

„Wenn ich auf meiner Sonnenterrasse in der Hängematte liege, die wir in Manaus für unseren Besuch bei unseren BündnispartnerInnen gekauft haben, wandern meine Gedanken oft zu den Indianerdörfern am Oberen Rio Negro. Ich erinnere mich an lachende Kinder, die vergnügt in den Flüssen badeten, an die Gastfreundschaft der Menschen, die in kleinen Dorfgemeinschaften sehr karg, aber im Einklang mit der Natur lebten. Sie teilten mit uns geräucherten Fisch, Bananen und „Caxirí“, ein Bier, das aus Maniok gebraut wird. Und Sie haben uns eines voraus: Sie wissen, dass nur ein Leben im Einklang mit der Natur Zukunft hat und das Glück nicht mit materiellen Dingen zusammenhängt. Die Partnerschaft mit den Indianervölkern am Rio Negro bietet uns vor allem die Chance, zu erkennen, dass nachhaltige Entwicklung und der sorgsame Umgang mit der Mitwelt eine Überlebensfrage ist.“ Franziska Simmer ist Mitarbeiterin von die umweltberatung in Niederösterreich und dort als Fachberaterin für den Klimaschutz tätig.

Gottfried Krasa

Teilnehmer an der Delegationsreise 1998

„Der Schutz des Regenwaldes und die Unterstützung der IndianerInnen in Amazonien waren für mich lange Zeit graue Theorie. Im Jahr 1998 habe ich die Tucano-IndianerInnen, unsere KlimabündnispartnerInnen in Amazonien, besucht. Sie haben sich am Ende der Welt angesiedelt - im hintersten Winkel des brasilianischen Amazonas-Dschungels. Dort, wo es keine Straßen mehr gibt und das Dickicht der „grünen Hölle“ fast undurchdringlich erscheint. Und dort habe ich Klimabündnisprojekte „live“ gesehen, deren Sinn, Zweckhaftigkeit und Erfolg miterlebt. Seither weiß ich: Die Klimabündnisarbeit in Niederösterreich hat ganz konkrete Auswirkungen auf das Leben der IndianerInnen und auf die „Klimamaschine“ Amazonien. Es zahlt sich aus, aktiv für die Ziele des Klimabündnisses zu arbeiten!“ Gottfried Krasa ist Leiter der Abteilung Umweltrecht der Niederösterreichischen Landesregierung.


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Andreas Linhart

Teilnehmer an der Delegationsreise 1998

„Unsere KlimabündnisReise zum Rio Negro im April 1998 ist bis heute meine bislang eindrucksvollste und abenteuerlichste Dienstreise geblieben. Mitten im Urwald Amazoniens in einem Indio-Dorf übernachten, inklusive Verkostung von gerösteten Ameisen und „Caxirí“, des von den Frauen gebrauten ManiokBieres – das erlebt man nicht alle Tage. Beeindruckt war ich aber auch vom „Spirit“ der gemeinsamen Treffen mit jenen Indigenen, die – unterstützt vom Klimabündnis – für die Erhaltung ihres Lebensraumes kämpfen.“ Andreas Linhart ist Chefredakteur des GesundheitsMagazins News LEBEN.

Fortsetzung von Seite 7 Zwecks Förderung des Dialogs und der Sensibilisierung (vor allem öffentlicher Stellen) sowie der technischen und politischen Zusammenarbeit in Bezug auf die territoriale Ordnung, werden auf Initiative der FOIRN und des ISA seit 2008 Seminare zwischen den BewohnerInnen mit staatlichen und nichtstaatlichen, für die Problematik relevanten Organisationen, abgehalten. Gemeinsam sind sind sie darum bemüht, ein Mosaik an geschützten Arealen in den Munizipien von Santa Isabel und Barcelos zu erwirken. All das geschieht unter Einbeziehung sozialer und umweltpolitisch relevanter Aspekte, allen voran den Gebietsansprüchen der indigenen Völker.

Es gibt derzeit drei parallele Regierungsinitiativen in der Region, die sich alle auf eine territoriale Ordnung richten: ● die Indentifizierung von IndigenenTerritorien, ● das Aufzeigen prioritärer Areale für die Umweltbewahrung ● und die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung. Im Fall des Mittleren Rio Negro konvergieren die Empfehlungen dieser öffentlichen Organe in Richtung Schaffung eines Mosaiks von Schutzzonen (APs), d.h. der Einrichtung von Konservierungseinheiten und Arealen mit spezieller Bestimmung. Doch haben die von diesen Initiativen präsentierten Mosaike unterschiedliche Grenzen und überschneiden sich teilweise mit Territorien, die von den Indigenen als Siedlungs- und Nutzungsgebiete beansprucht werden. Brunhilde Haas de Saneaux

Glossar Was ist eine Konservierungs-Einheit (UC)?

Ein UC ist eine aufgrund ihrer ökologischen Relevanz und zum Schutz der Kollektivrechte ihrer BewohnerInnen speziell gewidmete Region. Es gibt zwei große Kategorien von UCs: (1) mit nachhaltiger Bewirtschaftung und (2) mit integralem Schutz. Der größte Unterschied zwischen diesen Kategorien ist die Tatsache, dass nur in den UCs mit nachhaltiger Bewirtschaftung eine dauerhafte Besiedlung erlaubt ist. Für beide Kategorien gibt es Untergruppen, wie z.B. die RESEX (Reservate für Extraktionswirtschaft), die zu den UCs mit nachhaltiger Bewirtschaftung gehören, oder die Parks und ökologischen Stationen, die zu den UCs mit integralem Schutz gehören.

Die UCs können auf Bundes-, Staats- oder Munizipalebene geschaffen werden und werden mehrheitlich durch die öffentlichen Umweltabteilungen verwaltet. Im Falle der Bundes-UCs ist es das ICMBio (Institut Chico Mendes) des Umweltministeriums, welches den Prozess der Gründung begleitet und für Verwaltung und Ausbildung der Managementräte verantwortlich ist. Dabei ist eine Beteiligung der Zivilgesellschaft vorgesehen.

Was ist ein ökologischer Korridor?

Ziel eines ökologischen Korridors ist es, verschiedene existierende Konservierungs-Einheiten (UCs) zusammenzufassen. Erreicht wird dies durch Besiedlung und Verbesserung der Umweltbedingungen zwischen bestehenden UCs.


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Soziale und ökologische Charakterisierung des Gebiets am Mittleren und Unteren Rio Negro ● Die Region (mit einer Gesamtfläche

von über elf Mio Hektar) ist traditionell, seit mindestens zweitausend Jahren, durch eine Anzahl verschiedener indigener Völker bewohnt. Derzeit leben dort über 40.000 Personen (aus 23 ethnischen Gruppen), auf ca. 750 Ansiedlungen verteilt.

● Die indigenen Völker der Region haben hochspezialisierte Anpassungsformen an ihre Umwelt entwickelt – auf Grund der sauren, wenig fruchtbaren Böden und der fischarmen Flüsse zählt die Region am Mittleren und Unteren Rio Negro zu den ärmsten Amazoniens.

● Die Region wird durch den Lauf des

Alto und Médio Rio Negro entwässert, der sein Wasser aus unzähligen Flüssen und kleinen Fließgewässern erhält und als das größte Schwarzwasser-Flussbecken der Welt gilt.

● Schwarzwasser-Flussbecken

sind durch eine enorme Vielfalt an MikroÖkosystemen gekennzeichnet, die in Zusammenhang mit der allgemeinen Nährstoffarmut stehen.

● Das Gebiet umschließt diverse Vegetationstypen und besitzt hohe biologische Relevanz.

● Es handelt sich um eine der Regionen, in der die Biodiversität noch am besten erhalten ist, wenngleich wissenschaftlich noch wenig erforscht.

● Die Primärwälder sind praktisch intakt. Die Auswertung von Satellitenaufnahmen ergibt eine Abholzung von lediglich 0,5 % für Felder und Dorfansiedelungen.

Die Völker vom Rio Negro haben sich 1987 angesichts massiver militärischer und wirtschaftlicher Interessen in der Föderation der indigenen Organisationen vom Rio Negro (FOIRN) zusammengeschlossen, um so ihre Interessen auf nationaler/internationaler Ebene zu verteidigen und die Verwirklichung eines umfassenden regionalen Entwicklungsprogramms voranzutreiben.

Andreas Drack

Teilnehmer an der Delegationsreise 2001

„Die Reise in der Partnerregion war eines meiner bedeutendsten Erlebnisse in meinem Leben. Ich berichte noch heute viel darüber, schöpfe auch nach fast 10 Jahren zeitlichem Abstand noch aus den Erlebnissen: Indem ich gesehen habe, dass indigene Völker am Oberen Rio Negro mit der Natur und auch im Umgang miteinander harmonieren. Indem Errungenschaften der entwicklelten Welt nur genutzt werden, soweit diese die nachhaltige Lebensweise stärken. In dem ich Bilder mit Kindern und Erwachsenen voller Glück und Freude noch heute in mir trage.“ Andreas Drack ist Mitarbeiter der Oö. Akademie für Umwelt und Natur. Drack ist außerdem Gemeinderat, Mitglied im Beirat von Klimabündnis Österreich und u.a. gemeinsamer Ländervertreter zum Arbeitsbereich Klimaschutz, Ko-Vorsitzender des Kyoto-Forums und Klimaschutzbeauftragter des Landes OÖ.

Helmut Opletal

Teilnehmer an der Delegationsreise 2001

„Die Reise 2001 zu den indigenen Gruppen am oberen Rio Negro gehört zu den spannendsten meiner journalistischen Karriere, auch weil ich hautnah erleben konnte, wie sehr Klima, Natur und die Menschen, die darin leben – sowohl hier bei uns als auch im Amazonas-Wald in Brasilien – miteinander verbunden und verzahnt sind. Nicht alles ist perfekt, aber es scheint klar: Will man den Wald schützen, dann muss man das zusammen mit den Leuten tun, die dort leben, die nicht schrankenlose kommerzielle Ausbeutung, sondern angepasste Nutzung betreiben, für die Boden und natürliche Ressourcen Gemeinschaftsgut und nicht nur „Ware“ sind. Und die Unterstützung aus Österreich lässt die Menschen am Rio Negro spüren, dass ihre Kultur und Lebensform auch anderswo Anerkennung finden, auch in Zukunft einen „Wert“ haben.“ Helmut Opletal ist langjähriger Mitarbeiter des ORFRadio (Ö1), dzt. Gastprofessor an der Universität Wien.


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Bisher demarkiertes Gebiet unserer ParterInnen am Alto Rio Negro

Geplante Demarkierung am Mittleren und Unteren Rio Negro

Größenvergleich mit Österreich und Slowenien

Indigene Gebiete bereits offiziell anerkannte, im Anerkennungsprozess befindliche, bewohnte und traditionell genutzte, oder im Ansuchen um Anerkennung befindliche indigene Gebiete (TIs) Naturschutzgebiete


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Hintergründe zum Projekt Gebietserweiterung am Mittleren und Unteren Rio Negro Name des Projekts: Neu-Ordnung und Management der Indigenen-Territorien im Flussbecken Rio Negro Ziele: ● Demarkierung von weiteren Indigenen-Territorien in den Munizipien von Santa Isabel und Barcelos – was fast einer Verdoppelung des bisherigen Gebiets entsprechen würde ● Förderung der (Selbst-)Verwaltung und territorialen Ordnung im Flussbecken des Rio Negro durch lokale AkteurInnen und Organisationen Durchführung: ● Unterstützung und Begleitung in den Demarkierungsprozessen

● Erfassen der Interessen und Konflikte hinsichtlich Landschafts-/Ressourcennutzung und Absicherung der Nutzungsrechte

● Entwicklung eines Managementplans zur nachhaltigen Nutzung und Vermarktung der natürlichen Ressourcen im Mikroflussbecken des Rio Preto ● Förderung und Kontinuität einer nachhaltigen Bewirtschaftung auch am Mittleren und Unteren Rio Negro

Zielgruppen: Direkt begünstigt sind 41.500 Personen aus 23 ethnischen Gruppen. Diese werden durch die FOIRN vertreten. Laufzeit: 2008-2011

Etappen für den Demarkierungs-Prozess Indigener Territorien

Identifizierung des Territoriums einschließlich einer anthropologischen Untersuchung durch eine technische Gruppe, die von der Indianerbehörde FUNAI bestellt wird. Gemäß der brasilianischen Gesetzgebung muss diese Arbeit von Indigenen Vereinen bzw. Führungskräften begleitet werden.

Der Präsident der Indianerbehörde (FUNAI) analysiert und bewilligt den Bericht der technischen Gruppe, unter Berücksichtigung folgender Inhalte: ● Geschichte, Beschreibung der traditionellen Beschäftigungen, Sitten und Gebräuche der Bevölkerung ● Technische Informationen zu Umwelt und der Vermessung ● Definition der Grenzen und Erhebung der Besitzverhältnisse.

❸ Die vollständige Karte mit allen Details und Erklärungen auf Englisch kann unter: www.raisg.socioambiental.org unter der Rubrik „mapa“ herunter geladen werden

Die Einspruchsfrist wird eröffnet: 90 Tage für die Befragung von Personen, die sich durch den Antrag auf Demarkierung geschädigt fühlen. Wenn es keinen Einspruch gibt, oder dieser keine ausreichende Begründung hat, wird die Arbeit durch das Justizministerium bewilligt, und die Grenzen des TI werden in einer öffentlichen Bekanntmachung vorgestellt.

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Der technische Prozess der physischen Demarkierung obliegt der FUNAI: Aufstellen von Tafeln, Öffnung von Schneisen, die mit Demarkationspunkten und -hinweisen durchsetzt wird. Homologation, d.h. endgültige Anerkennung durch den Präsidenten der Republik mittels eines eigenen Dekrets und Registrierung im Grundbuch und Sekretariat für Bundeseigentum.


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Indigenen-Bewegung

und Prozess der Demarkierung am Mittleren/Unteren Rio Negro „ Wenn es keine Anerkennung und Demarkierung unserer Territorien gibt, wird unsere Geschichte nur noch in den Büchern stehen, und allein dort. Aber unsere Kinder und Enkel werden nicht die Fische von den Zeichnungen oder den Worten essen können.“ Clarindo Chagas, Tariano

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eit 1998 kämpft die Indigenen-Bewegung am Mittleren/Unteren Rio Negro mit Unterstützung der FOIRN um die Anerkennung ihrer Territorien, die sie in traditioneller Form bewohnen und bewirtschaften. Implizit hat die Bundesregierung die Existenz von Indigenen-Gemeinden in den Munizipien Santa Isabel und Barcelos anerkannt, indem sie den DSEI-RN (spezieller Gesundheitsdistrikt für Indigene am Rio Negro) auf Grundlage einer von der FOIRN und den Basisvereinen ASIBA und ACIMRN durchgeführten anthropologischen Erhebung, auf die Region des Mittleren Rio Negro ausgedehnt hat. Zu Beginn des Jahres 2007 bildete die FUNAI zwei Technische Gruppen (GT) für die Identifizierung von IndigenenTerritorien in dieser Region. Aufgrund der mangelhaften technischen und theoretischen Ergebnisse der eingesetzten Techniker-Arbeitsgruppen konnte das offizielle Identifizierungsverfahren bislang nicht abgeschlossen werden. So fehlten z.B. kartographierte geographische Grenzen der vorgeschlagenen Territorien, auch die Darstellung der Lebens- und Nutzungsweisen der indigenen Völker war inkonsistent.

Für die Indigenen Völker hängt die Kontinuität und Aktualisierung ihrer Lebensweise von der Garantie ihrer Siedlungs- und Nutzrechte ab. Viele der Alternativen des Umweltschutzes und der territorialen Ordnung sichern weder die Indigenen-Rechte noch respektieren sie die Geschichte ihrer Vorfahren. In den Gemeinden und Munizipalsitzen der Region leben Indigenen-Gruppen und FlussbewohnerInnen ohne definierte geographische Grenzen zusammen. Die wiederkehrenden Verzögerungen und Unterbrechungen der offiziellen Identifizierungsverfahren haben zu einer Intensivierung der Konflikte geführt, die sich auf den Zugang zu den natürlichen Ressourcen beziehen, insbesondere zu den Gewässern.

Schon während der Abhaltung des 1. Seminars für territoriale Ordnung in Barcelos wurde deutlich, dass die Verzögerung des Identifizierungsprozesses bei den BewohnerInnen der Gemeinden Ängste und Unsicherheiten auslöst. Das Warten auf die Demarkierung dauert nun schon elf Jahre: Acht Jahre der Forderungen seitens der lokalen Indigenen-Bewegung und noch einmal drei weitere Jahre Arbeit der technischen Gruppen für die Identifizierung. Und nun wird die Sorge um den Schutz ihres Lebensraumes durch das verstärkte Eindringen von Fischerei- und Tourismusunternehmen und der daraus folgenden Verringerung der verfügbaren Ressourcen immer größer. Es gibt weniger Fische, weniger Jagdwild und mehr Arbeit, wie es die Teilnehmenden ausdrückten. Betroffene schildern ein erhöhtes Aufkommen an „GefrierSchiffen“ (Schiffe mit Kühlgeräten für kommerzielle Zwecke des Fischfangs), eine Zunahme von Touristen-Schiffen und -Veranstaltern der Sportfischerei, illegale Holzextraktion (in dieser Region eine Neuheit) und die kontinuierliche Ausbeutung von Kies.

„ Das, was die Leute wollen und was sie dringend benötigen, ist ein Dokument, irgendetwas, das ihnen hilft, die ausbeuterischen Aktivitäten zu kontrollieren. So wie die Lage jetzt ist, können wir nicht länger bleiben.“ Olanildo

aus der Gemeinde Acuacú, am Rio Padauiri

In dem Maße, in dem sich die IndigenenBewegung besser organisiert, um eine gewisse Kontrolle über die Nutzung ihrer traditionellen Siedlungsgebiete auszuüben, positionieren sich die Gegner (HändlerInnen, Unternehmen zur Ausbeutung natürlicher Ressourcen, Fischerei-Tourismus, aber auch Teile der öffentlichen Munizipal-Verwaltung) immer


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Projekt Indigenes Wissen

E „Wir haben zu wenig zum Überleben, denn es gibt immer weniger Fische, weniger Jagdwild, weniger von allem. Ich bin eine Tochter von hier, von diesem Fluss, und meine Sorge ist: Ich habe meine Kinder im Überfluss aufgezogen, aber für meine Enkel ist es schon schwierig.“ Dona Jarda

aus Ponta da Terra am Rio Quiuni

deutlicher und engagierter gegen die Demarkierung der Indigenen-Territorien und andere Formen der Widmung, wie etwa Naturschutzzonen. Vor allem wegen des Nichtvorhandenseins von Regulierungen für kommerzielle Aktivitäten in Gebieten mit traditionell indigener Bewirtschaftung wurden provisorische Verhaltensregeln und Nutzungsabkommen zwischen BewohnerInnen der Indigenen-Gemeinden und lokalen Unternehmen ausgearbeitet. Die Hoffnung aber liegt in der Wiederaufnahme und Beschleunigung der Identifizierungsarbeiten durch FUNAI, diesmal mit effektiver Beteiligung der betroffenen Gemeinden, so wie es im Gesetz vorgeschrieben ist, sowie in der Weiterentwicklung von Methoden der Vernetzung, die Anerkennung der territorialen Rechte und Initiativen zur Konservierung integrieren. Die Zusammenführung der Vorschläge könnte zu einem Mosaik von Schutzzonen führen, in einer innovativen Art und Weise und sozial- wie umweltgerecht, und so Fehler vermeiden, die in anderen Regionen Amazoniens begangen wurden. Brunhilde Haas de Saneaux

in weiteres Vorhaben der FOIRN, das in den Jahren 2010-2011 mit österreichischer Unterstützung umgesetzt wird, ist die Erfassung und Systematisierung von Indigenem Wissen und die Förderung des interkulturellen Dialogs in der Region Rio Negro. In den vergangenen 15 Jahren wurde ein indigenes Bildungswesen aufgebaut, das sich durch die Anpassung an die speziellen soziokulturellen und ökologischen Rahmenbedingungen auszeichnet und mittlerweile weit über die Region hinaus als Vorbild gilt. Im Zuge dieses oft mühsamen Prozesses wurde sehr viel Wissen in verschiedensten Bereichen (wie z.B. Indigene Geschichte, Kultur und Medizin, die regionale Pflanzen- und Tierwelt, Pädagogik, Organisation, Rechte, Wirtschaft) erarbeitet, dass nun mittels moderner Technologien gesammelt, systematisiert und allen Beteiligten sowie Interessierten besser zugänglich gemacht werden soll. Zukünftig kann damit das Entstehen einer „Indigenen Universität“ unterstützt

werden, die mithelfen soll, die erreichten Erfolge und Verbesserungen abzusichern und langfristig eine zukunftsfähige, sozial gerechte und kulturell angepasste Entwicklung zu gewährleisten. Nicht zuletzt ist das im Sinne des Klimabündnisses, Klima und Regenwald zu schützen.

Hintergründe zum Projekt Indigenes Wissen Ziele: ● Förderung des indigenen Wissens und des interkulturellen Dialogs, als einer der Grundlagen für die soziale und ökologische Nachhaltigkeit ● Stärkung der Dialog-Kanäle der FOIRN zu den verschiedenen Indigenen-Initiativen der Region und mit anderen Regierungs- und Nichtregierungs-Akteuren Durchführung: ● Systematisierung, Zusammenführung des vorhandenen Wissens

● Erstellung einer Internet-Plattform mit Darstellung der Kenntnisse und Produkte, einschließlich technischer und wissenschaftlicher Daten ● Verbreitung des gesammelten Wissens

● Ausarbeitung eines Vorschlags für eine höhere Indigenen-Bildung am Rio Negro

Zielgruppen: Netzwerke der indigenen ForschungsmitarbeiterInnen, politisch-pädagogische BeraterInnen, ProfessorInnen, MitarbeiterInnen der Kulturzentren, Arbeitsteams der Abteilungen für Bildung und Kommunikation und die KoordinatorInnen der Kulturstützpunkte der FOIRN. Laufzeit: April 2010-Dezember 2011


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17 Jahre Partnerschaft FOIRN 1993 Beginn der Klimabündnis-Partnerschaft Österreich - Amazonien • Erster

Besuch einer Delegation der Partnerorganisation FOIRN in Österreich • Manifest-Unterzeichnungen in österreichischen Klimabündnis-Städten und Gemeinden

1994

Mit österreichischer Hilfe werden erste Gemeinschaftsboote angeschafft • Installation eines solarbetriebenen Sprechfunknetzes • Vorstellung von Wayuri (der Zeitschrift der FOIRN) im Klimabündnis-Rundbrief und Klimabündnis in Wayuri

1995

Einweihung des neuen Vereinshauses der FOIRN in São Gabriel • FOIRN wird als Verhandlungspartner von der brasilianischen Regierung ernst genommen • Kulturhaus (Maloca) in São Gabriel wird eröffnet • Zweiter Besuch einer FOIRN-Delegation in Österreich

1996 Die Área Indígena Alto Rio Negro wird von der brasilianischen Regierung als Siedlungsgebiet der Indigenen anerkannt • Erstes Symposium der Völker des Rio Negro in Manaus • Besuch eines Vertreters der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit im Außenministerium am Rio Negro 1997

Beginn der Landvermessungsarbeiten durch FOIRN und ISA • Traditionelles Kunsthandwerk aus dem Rio Negro wird erstmalig in São Paulo ausgestellt • Konzept für ein differenziertes indigenes Bildungswesen • Neuerlicher Besuch einer Delegation vom Rio Negro

1998

Abschluss der Landdemarkierung - ca. 110.000 km2 - und endgültige Anerkennung der traditionellen indigenen Siedlungsgebiete • Erste Reise einer österreichischen Klimabündnis-Delegation zu unseren Bündnis-Partnern am Oberen Rio Negro

1999 Öffentliche Anerkennung des Rio Negro-Projekts durch den österreichischen Außenminister • TV-Ausstrahlung des Filmes „Cachoeiras - eine Reise zu den Amazonasindianern am Rio Negro“ • Eröffnung der ersten Fischzuchtstation im Nebenflussgebiet Alto Tiquié 2000 Einleitung des Anerkennungsverfahrens der restlichen Indigenengebiete am Oberlauf des Rio Negro • Ausweitung des Aktionsfeldes der FOIRN auf die Dorfgemeinschaften des Unteren Rio Negro • Offizielle Anerkennung der indigenen Lehrpläne in den Pilotschulen des Tuyuka- und Baniwa-Volkes • Erste Forschungskonferenz in São Gabriel – Beginn eines Dialogs zwischen „westlicher Wissenschaft“ und indigenem Wissen 2001

Die FOIRN gewinnt an Handlungsspielraum durch neue Kooperationsabkommen mit brasilianischen Bundesbehörden • Zweite Reise einer österreichischen Klimabündnis-Delegation an den Oberen Rio Negro • Einleitung einer österreich-indigenen Schulpartnerschaft (VS Bruck/Leitha - Escola Poani) • Einkommensschaffung für indianische Kunsthandwerksproduzenten durch das Projekt „Arte Baniwa“


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und Klimabündnis Österreich 2002 Eröffnung der zweiten Fischzuchtstation in Iauareté/Uaupés • Die indianischen Frauen am Rio Negro mobilisieren sich und schaffen eine Abteilung für Frauenanliegen innerhalb der FOIRN • Gründung einer grenzüberschreitenden Agenda („CANOA“) zur Kooperation und Allianz für den Nordwesten Amazoniens • Teilnahme eines FOIRN-Vertreters am europäischen Klimabündnistreffen in Graz 2003 Einleitung der sozio-ökonomischen Datenerhebung im Einzugsgebiet von São Gabriel • „10 Jahre Klimabündnis-Partnerschaft zwischen Österreich und Rio Negro“ – Bilanz und Perspektiven für gemeinsames Handeln • Vierter Besuch einer Delegation vom Rio Negro • FOIRN erhält den Prêmio Direitos Humanos 2003, einen brasilianischen Preis für Verdienste um die Menschenrechte • Gemeinsam mit dem ISA erhält die FOIRN auch den Preis „Chico Mendes“ des brasilianischen Umweltministeriums für die erfolgreichen Projekte Fischzucht und Kunsthandwerk 2004 Delegationsbesuch Peru und Solarpartnerschaft • KB Konferenz in Brüssel mit COICA • 10 Jahres-Bericht von Petra Navara 2005 Neu gewähltes Führungsteam der FOIRN • Eröffnung des Kunsthandwerkladens Wariró • Dürrekatastrophe in den Monaten Juni bis Oktober in Amazonien • Erste AbsolventInnen der Tuyukaschule erhalten ihre Zeugnisse • Besuch des österreichischen Botschafters Werner Brandstetter am Rio Negro 2006 Fünfter Besuch einer Delegation vom Rio Negro • Erstellung eines regionalen Bildungskonzepts unter Berücksichtigung des Regionalplans für nachhaltige indigene Entwicklung • Ratifizierung der UN-Deklaration zu den Rechten indigener Völker durch die Generalversammlung der UN 2007 Ausruf des Notstands aufgrund von Niedrigwasser am Rio Negro • Die FOIRN feiert ihr 20-jähriges Bestehen und damit u.a.: 19 Jahre indigenen Rechte in der brasilianischen Verfassung, 9 Jahre indigenes Gebiet am Oberen Rio Negro, 7 Jahre Festlegung der schriftlichen Baniwasprache und Gründung der ersten Schule, Projekte zur wirtschaftlichen Verbesserung, Wiederbelebung der eigenen Kultur u.v.m. 2008 Erneuter Besuch einer Delegation vom Rio Negro – erstmals mit Stationen in der Slowakei und Tschechien • Pedro Garcia wird erster indigener Bürgermeister in São Gabriel da Cachoeira und André Baniwa sein Stellvertreter, beide waren zuvor in der FOIRN aktiv • Neu gewähltes Führungsteam der FOIRN 2009 Siebter Besuch einer Delegation vom Rio Negro – u.a. auch im ungarischen Parlament • Installation einer 0,78 kWp Photovoltaikanlage in São Jorge durch Beiträge von österreichischen Klimabündnis Mitgliedern 2010

Installation von zwei 0,78 kWp Photovoltaikanlagen in zwei Dörfern am Curicuriari-Fluss durch Beiträge österreichischer Klimabündnis-Mitglieder.

Brunhilde Haas de Saneaux. Sprachstudium in Paris, London und Santo Domingo. Seit über 20 Jahren im entwicklungspolitischen Umfeld tätig (DED-Dominikanische Republik; IIZ/Horizont3000-Wien). Seit Beginn der Klimabündnis-Kooperation mit Amazonien zuständig für Planung, Koordination und Abwicklung der Projektzusammenarbeit und Vernetzungstätigkeit auf europäisch-amazonischer Ebene. Kontakt: brunhilde.haasdesaneaux@horizont3000.at Johann Kandler arbeitete von 1972 bis 1992 in Brasilien (davon 10 Jahre im Amazonasgebiet), wo er gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung für den Erhalt des Regenwalds und die Rechte der Einheimischen kämpfte. Außerdem hat er die Comissão Pastoral da Terra - CPT (Landpastorale) mitbegründet und war ihr langjähriger Leiter in den Bundesstaaten Acre und Minas Gerais. Seit 1993 zeichnet Johann Kandler die Öffentlichkeitsarbeit zur Klimabündnis Partnerschaft mit der FOIRN in Österreich aus. Dank seines Engagements formt diese Partnerschaft einen festen Bestandteil der Klimabündnis Arbeit. Die FOIRN zählt heute, unter anderem Dank der Unterstützung durch die Klimabündnismitglieder und die österreichische Entwicklungszusammenarbeit, zu einer der bedeutendsten indigenen Vertretungen im Amazonasgebiet. Kontakt: johann.kandler@klimabuendnis.at Medieninhaber, Herausgeber, Verleger:

Klimabündnis Österreich, Hütteldorfer Str. 63-65, 1150 Wien • Redaktion: Brigitte Drabeck, Brunhilde Haas de Saneaux, Johann Kandler • Fotos: Aloisio Cabalzar, Laise Diniz (ISA), Andreas Drack, Brunhilde Haas de Saneaux, Johann Kandler, Archiv Klimabündnis, Horizont3000, FOIRN, ISA• Graphik&Layout: Andreas Strasser • Druck: Kärntner Druckerei. Auf DesiStar, Recyclingpapier aus 100% Altpapier mit Druckfarben auf Basis nachwachsender Rohstoffe • © für die Beiträge: Horizont3000/Klimabündnis Österreich, Wien 2010.

Diese Veröffentlichung wurde mit Unterstützung der Europäischen Union hergestellt. Für den Inhalt dieser Veröffentlichung ist allein Klimabündnis Österreich verantwortlich; der Inhalt kann in keiner Weise als Standpunkt der Europäischen Union angesehen werden.“


17 Jahre Partnerschaft Österreich – Rio Negro

20 Jahre Klimabündnis


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