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Interview mit Jens Kerstan, Umweltsenator

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Sagen Sie mal …

… Jens Kerstan, Umweltsenator Als Grüner in einer absurden Lage

In Jens Kerstans Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrar ist Dringlichkeit ein Dauerzustand. Zwischen Krieg und Krisen werden klima politische Rückschritte in Kauf genommen und trotzdem geht es voran.

Herr Kerstan, Sie sagten der Hamburger Morgenpost kürzlich, dass die Energiekrise zu überraschenden Entwicklungen geführt hat. Welche Entwicklungen sind das und warum kamen die so überraschend?

Diese Krise ist so gravierend, hat uns in eine solche Notsituation gebracht, dass wir auch zu ungewöhnlichen Maßnahmen greifen müssen, selbst wenn sie im Kontrast zu unseren langfristigen Zielen stehen. Es geht darum, dass bei uns die Lichter nicht ausgehen und die Wohnungen nicht kalt werden.

Darum müssen wir klimapolitisch an manchen Stellen durchaus Rückschritte oder umstrittene Maßnahmen ergreifen, um die Versorgungssicherheit aufrecht zu erhalten. Das führt auch zu der absurden Situation, dass hier ein grüner Umweltsenator für ein LNG-Terminal in Hamburg wirbt, während der zuständige Wirtschaftssenator sich dagegen ausspricht.

Ihnen steht erstmals der minimale Haushalt zur Verfügung, mit dem Sie „klarkommen“ können. Welche Maßnahmen können Sie sich noch nicht leisten?

Bisher standen im Haushalt nur neun Millionen Euro für zentrale Förderprogramme im Klimaschutz zur Verfügung, obwohl wir jährlich 50 bis 100 Millionen Euro brauchten. Das heißt, ich musste in jedem Jahr viele Millionen Euro zusammenbringen, die im Haushalt nicht eingeplant waren. Das wird jetzt geändert. Aber es bleibt an der unteren Spanne dessen, was benötigt wird, um un sere Ziele realistischerweise zu erreichen.

In der Tat fehlt uns auch der Personalkörper, um andere Behörden stärker zu unterstützen und zu beraten. Mit unseren Projekten und unseren öffentlichen Unternehmen sind wir sehr gut unterwegs. Aber in der Unterstützung der Hamburgerinnen und Hamburger in der Energiekrise hätte ich mir eine deutliche Aufstockung unserer Beratungsund Hilfsangebote gewünscht.

Anfang November hat der Klimabeirat der Stadt Hamburg, ein wissenschaftliches Gremium, Kritik an den bisherigen Bemühungen Hamburgs geäußert. Sie haben da ein paar Versäumnisse eingeräumt. Was ist schiefgelaufen und warum?

Wir haben in Hamburg einen sehr ehrgeizigen Klimaplan beschlossen und zwar am Ende eines Doppelhaushalts, wo für die vorgesehenen umfassenden Maßnahmen noch gar keine Haushaltsmittel bereitstanden. Wir hatten insbesondere vereinbart, dass nicht länger nur die Umweltbehörde für Klimaschutz zuständig sei, sondern alle Behörden ihre Verantwortung übernehmen müssen. Es war ein holpriger Start. Alle mussten ihre neue Senator Jens Kerstan (Grüne) Rolle annehmen und erlernen. erhält erstmals einen Haushalt, der ihm Da sind wir jetzt das Mindestmaß an Möglichkeiten lässt ein Stück weiter.

Praktisch zeitgleich mit der Kritik des Klimabeirats wurden vom Senat die Klimaziele verschärft. Was will Hamburg nun unternehmen, um Versäumtes aufzuholen und gleichzeitig schneller zum Ziel zu kommen?

Wir mussten Hamburg in den vergangenen Jahren erstmal in die Lage versetzen, wirksam Klimaschutz betreiben zu können. Wir haben Anfang des Jahrtausends den Fehler gemacht, unsere Energieunternehmen zu privatisieren. Erst vor etwa zwei Jahren hatten wir diese zentralen Unternehmen, die Hamburger Energiewerke, Stromnetz Hamburg und Gasnetz Hamburg, wieder in eigener Regie und konnten dadurch eigenständig Politik machen, ohne jedes Mal mit privatwirtschaftlichen Unternehmen in langwierige Verhandlungen einzusteigen oder große Gesetzesvor haben zu starten. Nun haben wir das Fundament gelegt und können mit voller Kraft durchstarten. „Wir mussten Hamburg in die Lage versetzen, wirksam Klimaschutz betreiDie Bundesregierung hat im ben zu können.“

November die Laufzeitverlängerung für die drei verbliebenen AKWs beschlossen. Sie sprachen von einem annehmbaren Kompromiss, sagten aber auch, dass diese drei Kraftwerke keinen nennenswerten Beitrag leisten. Worin besteht dann der Kompromiss?

Es gibt Szenarien, dass bei einer Verkettung unwahrscheinlicher Rahmenbedingungen in bestimmten Bereichen des Stromnetzes für wenige Stunden eine Unterdeckung auftreten könnte. Wenn man dann nicht reagieren würde, könnte es in begrenzten Zeiten zu geplanten und vorher angekündigten Abschaltungen in bestimmten Regionen kommen. Es kann durchaus sein, dass man in Extremsituationen 8,6 Gigawatt in einem anderen Szenario 5,4 Gigawatt bräuchte.

Die Atomkraftwerke lösen dieses Problem nicht. Die drei AKWs liefern etwa 0,5 Terrawattstunden, das klingt erst mal wenig, ist aber viel Energie und es leistet einen Beitrag in einer Situation, in der wir nicht wissen, ob wir genügend Energie aus dem Ausland bekommen könnten. Denn die Atomkraftwerke in Frankreich laufen nicht und im Winter haben wir normalerweise aus Norwegen durch Wasserkraft produzierten Strom bekommen.

Dort sind allerdings durch die große Dürrewelle in diesem Sommer die Wasserspeicher nur zu 40 Prozent gefüllt. Das heißt, wir werden von dort keinen Strom bekommen. Und das gleiche gilt für die Wasserkraft aus den Alpenregionen. Insofern ist es vertretbar und dann eben auch nötig, eine vorhandene Quelle zu nutzen.

Seit einiger Zeit habe Sie mit der Hamburg Port Authority (HPA) über Windenergieanlagen in deren Liegenschaften gesprochen. Wie sieht es da aktuell aus?

Umweltsenator Jens Kerstan ist beim Thema Windenergie ganz in seinem Element – für deren Ausbau streitet er seit vielen Jahren

Es sieht besser aus als vor wenigen Monaten.

Hamburg ist das einzige Bundesland, in dem sogar in Industriegebieten Windanlagen aufgestellt wurden, unter anderem im Hafen.

Aber für viele Standorte bekamen wir die

Auskunft der HPA, dass sie für Windenergie nicht zur Verfügung stehen. Aktuell sprechen wir darüber, dass die

HPA zusammen mit den Hamburger Energiewerken eine Firma gründet, die dann den

Eigenstrom für die Hafenwirtschaft, für die

HPA und die Hafenunternehmen per Windkraft im Hafen bewerkstelligen soll. Und dadurch sind eine ganze Reihe von Standorten wieder ernsthaft im Gespräch, von denen vor Kurzem noch gesagt wurde, es sei völlig „... ohne den Löwenanteil ausgeschlossen, sie für Windkraft zu nutzen, weil sie für Hafenzwecke benöim Hafen ist tigt werden. Wir haben das kaum zu vom Gesetzgeber die Aufschaffen.“ gabe bekommen, einen Teil unserer Flächen für

Windkraft zur Verfügung zu stellen. Und ohne den Löwenanteil im Hafen ist das kaum zu schaffen.

Bislang zeigt sich die Hamburger Regierung optimistisch, dass wir warm durch den Winter kommen. Woher kommt diese Zuversicht?

Wir müssen trotz voller Gasspeicher Energie sparen, um über diese Krise hinwegzukommen. Selbst in dem unwahrscheinlichen Fall einer Gasmangellage gehe ich fest davon aus, dass niemand in Hamburg wird frieren müssen. Die Haushaltskunden sind nach EURecht geschützte Kunden. Wenn nötig, wird also zuerst in der Industrie und der Wirtschaft rationiert. Erst wenn alle Stricke reißen, würde auch bei den Haushaltskunden rationiert. Aber das sehe ich zurzeit nicht.

Ich kann nur an alle Hamburgerinnen und Hamburger appellieren, den Energieverbrauch zu reduzieren und wenn möglich, monatlich einen Betrag zurückzulegen, um sich auf die Jahresabrechnungen im Energiebereich vorzubereiten.

Im August haben Sie die Baustelle des neuen Fernwärmetunnels eröffnet. Der dient auch für Wärme aus dem Gas- und DampfturbinenWerk an der Dradenau. Könnte man dieses Werk nach aktuellem Stand überhaupt betreiben, da es mit Gas läuft?

Das Kraftwerk ist so konzipiert, dass es 30 Prozent Wasserstoff verbrennen kann. Wenn mehr grüner Wasserstoff zur Verfügung stünde, könnte man durch einen Austausch der Brenner einfach und kostengünstig zu 100 Prozent auf Wasserstoff umstellen. Leider steht grüner Wasserstoff derzeit nur in sehr kleinen Mengen zur Verfügung, sodass dies noch nicht möglich ist. Wir müssen jetzt das russische Gas ersetzen. Dass wir jetzt allerdings neben Atomkraft und Kohleausstieg auch gleichzeitig vollständig aus dem Gas aussteigen, halte ich nicht für machbar. Wir werden also noch eine Zeit lang Gaskraftwerke brauchen.

Neben Wasserstoff hat LNG, also verflüssigtes Erdgas, an Bedeutung gewonnen. Für Sie ist es aber nur eine Übergangslösung.

Es ist kein Geheimnis, dass ich kein Fan von LNG bin. Wir müssen uns von fossilen Energieträgern unabhängig machen und die Erneuerbaren Energien ausbauen. Um aber durch diese Krise ohne Gasmangellage zu kommen, müssen wir auch in saure Äpfel beißen. Denn wenn es nicht gelingt, mehr Gas ins Netz zu speisen, werden die exorbitanten Energiepreise bestehen bleiben und die Wirtschaft erhebliche Probleme bekommen. Deshalb planen wir auch nur einen temporären LNG-Terminal und setzen für die Zukunft auf grünen Ammoniak und grünen Wasserstoff.

Das zuständige Wasserschifffahrtsamt hat Bedenken geäußert und eine vorläufige Absage für ein Terminal in Hamburg erteilt. Ist das LNG-Terminal in Hamburg endgültig vom Tisch?

Wir warten auf die letzten Ergebnisse der umfangreichen Prüfung.

Sie sind nach eigener Aussage ein Optimist. Also, warum schaffen wir die Wärme, Energie und Klimawende?

So schwierig die Aufgabe auch erscheint, ich bin und bleibe Optimist und glaube, dass wir es schaffen werden. Am Ende des Tages halte ich es mit Luther: Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch ein Apfelbaum pflanzen.

Herr Kerstan, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Fragen: michael.wendland@kloenschnack.de Infos: www.hamburg.de/bukea

ZUR PERSON: Jens Kerstan

ist seit April 2015 Hamburgs Senator für Umwelt, Klima, Energie und Agrar. Er ist Mitglied der Grünen. In seine Verantwortung fallen auch die Themen LNG und der neue Wasserstoffstandort in Moorburg. Lesen Sie hierzu das ungekürzte Interview unter:

www.kloenschnack.de/interviews/ jens-kerstan-2022

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