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VEHICLE-TO-GRID
Ist die offene Speicherfrage die größte Hürde für die Energiewende?
Das würde ich so sagen, ja. Während einer sogenannten Dunkelflaute steht weniger als ein Prozent der Nennleistung zur Verfügung. Wir bräuchten 70 GW als Flexibilitätsoption. Wichtig: Wir sollten dabei nicht von der einen Abhängigkeit in die nächste stolpern. Zum Beispiel dürfen wir uns nicht von bestimmten Rohstoffen und Materialien abhängig machen, etwa von Lithium etc. Hier sehe ich noch jede Menge Forschungs- und Entwicklungsbedarf – wofür wiederum die Rahmenbedingungen des Marktes fehlen.
Was halten Sie von den Forderungen nach einem Preisdeckel für den Großhandel von Strom, Öl, Kohle und Gas?
Als Ökonom bin ich eher skeptisch, wenn in die Mechanismen des Marktes eingegriffen werden soll. Es wäre besser, die Finger davon zu lassen, denn die Folgewirkungen sind oft nicht seriös abzuschätzen. Stattdessen sollten Betroffenen, die besonderer finanzieller Unterstützung bedürfen, Pauschalbeiträge zur Verfügung gestellt werden. Dieser Weg ist sicherlich der bessere.
Die CoronaKrise wurde als Turbo für die Digitalisierung bezeichnet. Lässt sich für die jetzige Krise in Bezug auf die Energiewende Ähnliches behaupten?
Hier ist meine Antwort zweigeteilt: ja und nein. Auf der einen Seite muss man widersprechen, weil wir nun eine enorme finanzielle Belastung der Volkswirtschaft erleben. Damit haben wir auch weniger Möglichkeiten, in den Ausbau der erneuerbaren Energien zu investieren. Jetzt steht ganz klar das Krisenmanagement im Vordergrund. Für wegweisende Entscheidungen mit langfristiger Wirkung scheint im Moment nicht die Zeit zu sein. Auf der anderen stimmt die berühmte Formulierung von der „Krise als Chance“ aber doch. Wir erkennen nämlich alle plötzlich, welche Einsparmöglichkeiten es gibt. Die Potenziale sind enorm: Wenn ich die Heizung nur um ein Grad herunterdrehe, kann mir das mehrere Prozent an Einsparung bringen. Diese Chance wird nun gesehen und in die Tat umgesetzt. Welchen Beitrag kann die zirkuläre Wertschöpfung leisten?
Ihr Beitrag kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es ist absolut unerlässlich, Materialien länger zu nutzen und in einem Kreislauf zu halten. Man nehme nur das Magnesium, das unter anderem in Legierungen in der Autoindustrie oder bei Verpackungen zum Einsatz kommt. Wir sprechen hier von einer Verzehnfachung der Produktion in den letzten 20 Jahren. Bei der Herstellung des Rohmaterials wird ein Vielfaches an Energie im Vergleich zu Recycling-Lösungen gebraucht. Bis zu 95 % ließen sich durch Sekundärmaterialien einsparen. Doch nicht nur aus energetischen Gründen macht das Sinn – ich verweise nur auf die derzeitigen Material- und Lieferengpässe.
Welche Rolle kann die EMobilität in der zirkulären Werftschöpfung einnehmen?
Es ist auf jeden Fall gut, dass bei den Batteriekonzepten – übrigens auch im stationären Bereich – die Rohstoff-Frage inzwischen immer mitgedacht wird. Sie gehört mit in den Fokus. Insofern kann die E-Mobilität einen Beitrag leisten. Allerdings bleibt die Problematik des grünen Stroms.
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© Nadiia Ganzhyi / unsplash
Was meinen Sie damit?
Die E-Mobilität macht nur Sinn, wenn sie aus erneuerbaren Energiequellen gespeist wird. Dafür aber sind viele Flächen nötig. Es entsteht eine Konkurrenzsituation mit dem Naturschutz oder der ökologischen Landwirtschaft.
Ihre Lösung des Flächenproblems?
Wir müssen stärker auf Effizienz und Suffizienz setzen: Benötigt wirklich jeder ein E-Mobil? Wenn alle Erwachsenen in Deutschland individuell auf diese Weise unterwegs sein wollten, hätten wir ein gewaltiges Energie- und Flächenproblem. In vielen Vierteln stehen die Autos schon jetzt im Halteverbot. Wo sollen da noch die Ladestationen hin? Bei intelligenten Lösungen wäre ein Verzicht auf das eigene Auto nicht negativ spürbar. Carsharing zum Beispiel kann die Freiheit ermöglichen, immer und überall auf Mobilität zurückgreifen zu können, ohne sich um Reparaturen, Versicherung etc. kümmern zu müssen. Diese Vorteile müssen noch viel stärker herausgestellt und Alternativen, darunter der ÖPNV, massiv gefördert werden.
Aktuell sind wir von einer Energiesouveränität bekanntlich meilenweit entfernt. In welchem Zeitraum können wir sie zumindest ein stückweit zurückgewinnen?
Was die akute Krise angeht, bin ich ganz zuversichtlich, dass wir bis Anfang nächsten Jahres keine allzu großen Probleme bekommen werden. Aber wie geht es dann weiter? Was kommt nach dem Krisenmanagement ohne Atomkraft und Kohle? Da sehe ich derzeit noch keine schlüssigen Konzepte.
Würden Sie denn für eine Verlängerung der AtomkraftNutzung plädieren?
Wohl eher nicht. Die Atomkraftwerke bringen schon im Normalbetrieb enorme Risiken mit sich. Und was passieren kann, wenn man sich zu sehr auf Atomstrom verlässt, zeigt das französische Beispiel in direkter Nachbarschaft.
Vielen Dank für das Gespräch.
PROF. DR. WOLFGANG IRREK
ist seit August 2010 Professor für Energiemanagement und Energiedienstleistungen am Institut Energiesysteme und Energiewirtschaft der Hochschule Ruhr West in Mülheim an der Ruhr und Bottrop (www.energy-campus.de). Davor war er stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Sein Arbeitsschwerpunkt an der Hochschule Ruhr West liegt in der Lehre und Mitwirkung am weitergehenden Aufbau der Hochschule. Darüber hinaus forscht er zu nationalen und internationalen Rahmenbedingungen, Strategien und Steuerungsinstrumenten in Energiewirtschaft und Energiepolitik im Spannungsfeld zwischen Liberalisierung und Nachhaltigkeit. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf dem Bereich der Energieeffizienz und der Energieeffizienz-Dienstleistungen. Wolfgang Irrek leitet den Bachelor- und den Master-Studiengang „Wirtschaftsingenieurwesen-Energiesysteme“ und ist Mitglied im fachlichen Beirat der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz (DENEFF).
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VW-Ladestation Elli strebt u.a. mit Hilfe der VG2-Technologie an, Elektromobilität zu optimierten; das Ziel: stromsparende, nachhaltigere Energiegewinnung.
VEHICLETO-GRID
WENN DAS ELEKTROAUTO ZUM STROMANBIETER WIRD
Dass Elektroautos schon jetzt ihren Anteil an der Transformation des Verkehrssektors leisten, bezweifeln wohl die wenigsten. Einige Unternehmenspartnerschaften spinnen diesen Gedanken nun weiter und stellen die Weichen voll auf Sektorkopplung. Das eigene Fahrzeug nimmt hierbei eine ungewohnte Rolle ein.
© Nissan
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Ebenso integrieren Nissan und Bosch die VG2-Technologie; so auch bei i-rEzEPT, das die intelligente Anbindung von Automobilien ans Stromnetz erforscht und diese optimieren will.
Noch vor wenigen Jahren wäre es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einem Affront gleichgekommen, das Autofahren – auch das elektrische – als durchweg nachhaltige Fortbewegungsweise zu bezeichnen. Über Benziner muss an dieser Stelle nicht gesprochen werden, und auch elektrisch betriebene Fahrzeuge, die zumindest bei der Fahrt kein CO2 ausstießen, bewegten sich in vollständiger Abhängigkeit vom Strommix des jeweiligen Staates, in dem sie verkehrten; und dieser wurde in aller Regel nur zu einem verhältnismäßig kleinen Teil aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen. Auch das Argument des Energieverlusts wurde in der E-Debatte zum Dauergast, primär aus dem Grund, dass etwa Windräder oder Solaranlagen häufig nicht in den Gebieten errichtet wurden und werden, in denen der Mobilitätsdruck besonders hoch ist, sondern eher in der Peripherie. In naher Zukunft könnten sich diese beiden Punkte nun erledigt haben: Bosch, Nissan, Shell und VW-Tochter Elli sind nur einige der zahlreichen Unternehmen, die in derzeit unter Hochdruck Konzepte entwickeln, mithilfe derer das Elektroauto von beinahe allen ökologisch relevanten Anklagepunkten freigesprochen werden soll. Die Schlüssel hierzu: ein modifiziertes Ladekabel und ein intelligentes System.
Smart Charging, Internet of Energy Dieses System vollbringt es, per Internetverbindung eine Kommunikation zwischen allen beteiligten Akteuren zu ermöglichen und diese aufeinander abzustimmen – solange das Elektroauto an der Ladestation hängt. In Anlehnung an das Internet of Things, das vereinfacht gesagt die Schnittstelle zwischen Online und Offline darstellt, wird all das, was innerhalb eines smarten Energiesystems geschieht – von Energieproduktion über deren Distribution bis hin zur Konsumption – als Internet of Energy bezeichnet. In Kontext der Elektromobilität geht es hierbei vor allem um einen kontinuierlichen Datenaustausch zwischen Ladeinfrastruktur, Elektroauto und Netzbetreiber. Hierfür kommt ein bidirektionales Ladekabel zum Einsatz, das während des Ladevorgangs einen beidseitigen Strom- und Datenfluss ermöglicht und Energie daher nicht nur in die Autobatterie transportieren kann, sondern auch aus ihr heraus und zurück ins Netz. An die Stelle eines einseitigen Ladevorgangs tritt auf diese Weise ein neuer Kreislauf.
Diese als Vehicle-to-Grid bezeichnete Technologie wurde bereits 2007 erprobt und findet mittlerweile, nachdem der Nissan LEAF im Jahr 2018 als erstes Modell seine Zulassung erhielt, in einigen Elektrofahrzeugen bereits Verwendung. Dabei wird überschüssiger Strom in der Batterie „gelagert“, bis er an anderer Stelle benötigt wird; die Rückspeisung ins Netz wird dem „Prosumenten“, also dem Konsumenten, der gleichzeitig Strom „produziert“, vergütet. Das Fahrzeug fungiert auf diese Weise als eine Art Zwischenspeicher, der das Stromnetz entlasten kann, sollte das Angebot einmal knapp sein.
Effiziente Energienutzung – EAutos als verteilter Speicher Neuartige Smart-Charging-Technologien führen dies nun noch einen Schritt weiter, indem der überschüssige Strom nicht zurück ins Netz gespeist wird, sondern nach Möglichkeit gar nicht entsteht, indem intelligente Algorithmen geplante Ladevorgänge mit den vorhandenen Netzkapazitäten abgleichen. So werden die Fahrzeuge nur dann geladen, wenn das Stromangebot hoch ist, also etwa in der Mittagszeit oder bei einer hohen Windstärke. Im weiteren Sinne trägt das Internet of Energy also dazu bei, die Energieeffizienz zu erhöhen, was eine nachhaltige Erzeugung genauso miteinschließt wie einen möglichst verlustarmen Transport, aber auch einen verantwortungsbewussten, sparsamen Verbrauch. Die Energieversorgung soll auf diese Weise verlässlicher und flexibler werden, um den wechselnden Anforderungen gerecht zu werden. All diese unterschiedlichen Parameter – wie Nutzungsverhalten und Energieverfügbarkeit – werden akkurat aufeinander abgestimmt. Das Ziel: Möglichst jede Kilowattstunde verfügbaren Stroms nutzen, bestenfalls nicht weniger und auf keinen Fall mehr, denn aktuell gehen jährlich noch etwa 6.000 GWh erneuerbaren Stroms verloren.