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aufbrechen | Pfarrer Peter Nüsser

WAS UNS TRÄGT

Ich habe mein Umfeld, die Leute, mit denen ich täglich privat und berufl ich unterwegs bin, gefragt: Was ist dir wichtig im Leben? Wo suchst du Halt? Wo machst du dich fest mit deinem Leben, und aus welchen Quellen lebst du? Wer und was hält und trägt dich?

Aus welchen Quellen lebst du?

Erwartungsgemäß waren die Antworten so unterschiedlich und vielfältig wie die Befragten selbst. Und doch, bei aller individueller Unterschiedlichkeit der Antworten gab es eine Konstante, die sich bei allen ähnlich wiederfand: Wichtig ist mir die Familie, der/die Partner/in, meine Kinder, meine Arbeit, meine Freunde, mein Zuhause. Auch meine Hobbies und die Erfahrung, dass ich auch im sozialen Engagement im ganz Kleinen etwas zu einem gemeinsamen Größeren beitragen kann. Eigentlich alles, was mich und mein Leben ausmacht. Alles das, was mich zu dem Menschen macht, der ich bin. Das sind meine Lebenskontexte, das macht mein Lebensumfeld aus. Das ist mein Leben, das all meinem Tun einen Sinn gibt und das mich hält und trägt.

Und ja, neben all diesen Antworten kam bei den meisten natürlich (?) auch „Gott“ und „mein Glaube“ als Antwort vor. Wobei dieser Begriff „Gott“ eher ganz weit beschrieben und definiert wurde. Nicht unbedingt als der, den man im Kindesalter kennenlernte, sondern eher als eine höhere Macht, eine Ur-Kraft, die über allem ist und über all unser menschliches Erfassenkönnen hinausgeht. Und auch die Antwort „mein Glaube“ war nicht unbedingt so beschrieben, wie wir ihn aus dem Katechismus oder aus der Lehre der Kirche kennen. Mehr war es das Beschreiben eines Glaubens an eine höhere Macht und Kraft, die schon immer da war und ist, die das Gute wirkt, und die am Ende allem einen letzten Sinn geben wird.

Ob es aber nun die allgemein zwischenmenschlichen oder eben auch die religiösen Inhalte waren, die den Befragten wichtig waren. Eines war als Erkenntnis unisono allen gemeinsam: Gehalten, bejaht, angenommen, getragen und geliebt zu werden mit allem, was zu mir gehört, mit allem, was ich bin und ausmache, das sind ganz existenzielle Urbedürfnisse eines jeden Menschen. Zu wissen, da ist jemand, der mir nahe ist, der bei und mit mir ist, der mich hält und trägt, wenn mein Leben in Schieflage oder gar ins Wanken gerät... Diese Gewissheit und das alles macht uns eigentlich erst lebens-fähig! Und, ich denke, ohne diese Grunderfahrungen des Menschseins kann kein Mensch leben, kann er nicht wirklich Mensch sein.

Nichts ist selbstverständlich

Aber so sehr wir uns das alles wünschen und für lebensnotwendig erachten: Nichts im Leben ist und bleibt uns selbstverständlich und garantiert. Aktuell erfahren wir das ja gerade wieder neu. Scheinbare Sicherheiten werden brüchig, lösen sich auf und stellen neue Fragen: Wie wird es weitergehen mit dem Krieg in der Ukraine? Mit der Klimaerwärmung und der wirtschaftlichen Krise und der Explosion der Lebenshaltungskosten? Wird alles so sein und bleiben, wie wir uns das wünschen und erhoffen? Auch in meiner kleinen, eigenen Lebenswelt, dort, wo ich bin und lebe und stehe. Wird alles gut gehen, bleiben oder werden?

Und dann letztlich natürlich auch die letzte aller Fragen, die über alle diese Fragen hinaus geht: Wer oder was trägt mich, wenn mein Leben in dieser Welt einmal zu Ende gehen wird? Wenn alle die von mir benannten und erkannten Dinge und Personen mich nicht mehr tragen können? Werde ich dann auch weiter gehalten, angenommen, bejaht und getragen sein?

Nicht nur für uns Christen ist das eine ganz entscheidende Frage. Es ist eigentlich die Frage überhaupt. Für uns, die wir versuchen, unser Leben aus dem christlichen Glauben heraus zu gestalten, ist es aber im Grunde keine Frage mehr, denn Gott hat sie uns in Jesus Christus längst beantwortet. Gott hat nicht das Sterbenmüssen aus der Welt genommen, aber er hat dem Tod das letzte Wort genommen. Er hat in seinem Sohn Jesus Christus dem Wort des Todes eine Antwort gegeben: „Wer an mich glaubt, wird leben auch wenn er stirbt. Und jeder, der an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben“

(Johannes 11,25). Ja, als Christen wissen wir, dass zwar auch uns das Sterbenmüssen nicht erspart bleibt. So, wie es auch Jesus selbst am Kreuz nicht erspart blieb. Aber wir glauben daran und vertrauen darauf, dass Gott uns durch dieses Sterben hindurch hält und trägt und in eine neue, größere Wirklichkeit führen wird, die wir uns hier und jetzt nur ansatzweise bildhaft vorstellen können.

Sein Name ist Immanuel

Wenn wir uns in diesen Tagen nun wieder einmal auf Weihnachten vorbereiten, dann erinnert uns die Liturgie gerade auch an diese Wahrheit. Der Advent spricht unermüdlich von der Wiederkunft Christi. Er will uns nicht nur auf das Erinnerungsfest der Geburt Jesu damals in Bethlehem vorbereiten, sondern er will unseren Blick vor allem auch auf den Tag lenken, an dem Christus wiederkommen wird, um alles in seiner Liebe zu vollenden.

An Weihnachten feiern wir ja keine „heile Welt“, kein sentimentales Wintermärchen für zwei Wochen – quasi als Ausnahmezustand und Atempause über den Jahreswechsel. Nein, Weihnachten ist das Erinnerungsfest, dass ER da ist – auch und gerade für mich! Weihnachten erinnert uns daran, dass da jemand kommt, der in allem meines Lebens bei und mit mir sein will. Wir erinnern uns an den „Immanuel“. Dieser Name, den der Engel Gabriel damals Jesus gab, dieser Name heißt übersetzt: Gott ist mit uns! Gott ist da für uns! Gott ist bei und in und mit mir in allem, was ist und jemals in meinem Leben sein wird.

Ich bin immer da, wo du bist

Was dieser Jesus-Name „Immanuel“ in seiner letzten Tiefe meint, das beschreibt ein sehr schöner, alter Bibeltext. Im Alten Testament finden wir im Buch Exodus die Erzählung von Mose und dem brennenden Dornbusch. Mose führt das Volk Israel aus der Gefangenschaft und der Knechtschaft Ägyptens heim ins Gelobte Land, in die Freiheit. Und in einem brennenden Dornengestrüpp (einem Symbolbild für den oft beschwerlichen Lebensalltag) begegnet Gott dem Mose. Dort spricht er ihn an. Und als Mose ihn fragt: „Wer bist du? Was soll ich meinen Leuten sagen, wer du bist?“ Da antwortet er ihm: „Sag ihnen, ich bin der Ich-bin-da!“

Diesen zunächst etwas befremdlich klingenden Gottesnamen, hat der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber (1878-1965) einmal sehr schön ausgelegt. Er hat diesen Namen „Ich bin der Ichbin-da“, den Gott sich da gibt, aus dem Hebräischen so übersetzt: „Ich bin dein Gott, der immer da ist, wo du bist!“ Und Martin Buber malt das dann auch weiter aus, um es zu erklären, zu verdeutlichen, um es auch uns nahe zu bringen, wer und wie Gott für uns ist und sein will: „Wenn du fröhlich bist und dich deines Lebens freust, dann bin ich da! Wenn du tanzen, singen, lachen und über Mauern springen willst, dann bin ich da! Aber auch, wenn dir das Leben einmal schwer wird, wenn dir nicht mehr zum Lachen zumute ist, dann bin ich da! Ich werde gerade auch dann da sein, wenn dir deine letzten Lebensschritte schwer werden. Und wenn du dein Leben in meine Hände zurück legen wirst, dann bin ich für dich da! Ich bin der, der immer da ist, wo du bist!“

Was uns trägt

Ja, es ist und bleibt eine existenzielle Frage, die sich wohl jeder von uns im Laufe seines Lebens mindestens einmal stellt: Was hält und trägt mich? ...eine Zeit lang? ...ein Leben lang? ...und dann auch über dieses Leben hinaus?

Der niederländische Th eologe und Dichter Huub Oosterhuis (geb. 1933) fragt in seinem geistlichen Lied „Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr“: „Bist du der Gott, der Zukunft mir verheißt? Ich möchte glauben, komm mir doch entgegen!“ Und in einem schon alten, uns bekannten Weihnachtslied (Gotteslob Nr. 251) singen wir:

„Treuer Immanuel, werd auch in mir nun geboren. Komm doch, mein Heiland, denn ohne dich bin ich verloren. Wohne in mir, mache mich eins nun mit dir; der mich zum Leben erkoren!“

Pfarrer Peter Nüsser

Was uns trägt

Brücken verbinden, was getrennt ist. Sie führen weiter, wenn der Weg endet. Sie tragen von einem Ufer zum anderen, überspannen Wasser, Schluchten, Täler. Wenn ich ein neues Ufer suche, muss ich über eine Brücke gehen. Wenn ich mit dem Fremden vertraut werden will, mit dem Neuen, muss ich zu ihm hinübergehen. Brücken sind Gnaden auf dem Weg. Ein leichter Bogen oder feste Balken tragen mich über das Ende meines Weges hinaus zum Anfang eines neuen.

Jörg Zink

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