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unsere zeit S o z i a l i s t i s c h e Wo c h e n z e i t u n g – Z e i t u n g d e r D K P
39. Jahrgang
Nr. 1 5. Januar 2007
2,00 Euro
In dieser Ausgabe
Thema der Woche
„Wir müssen uns 2007 doppelt anstrengen“
Siemens
Global network of corrruption
Die Profitexplosion im letzten Jahr reicht der Kanzlerin noch nicht. „Für die Fortsetzung des wirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland“ sollen „wir“ uns doppelt anstrengen.
Der Schmiergeld-Skandal bei Siemens nimmt nahezu täglich neue Dimensionen an. Kein Wunder, dass sich die Konzernspitze darauf vorbereitet, selbst ins Visier der Staatsanwälte zu kommen. Kleinfeld, von Pierer und der Finanzchef Joe Kaeser haben sich mittlerweile prominente StarStrafverteidiger zugelegt. Über die Zusammenhänge, Hintergründe und mögliche Folgen des Korruptions-Skandals bei Siemens berichten wir auf
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Deutscher Spionagesatellit
Der erste deutsche Spionagesatellit des SAR-Lupe-Systems wurde am 19. Dezember 2006 in einer Umlaufbahn ausgesetzt. Die russische Cosmos-3M-Trägerrakete startete planmäßig vom russischen Weltraumbahnhof Plesetsk südlich von Archangelsk.
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Pauli der Maulwurf
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Volksmacht in Venezuela
Reinhold Weismann-Kieser war um die Zeit der für die bolivarianische Revolution triumphalen Wahlen in Venezuela. Er schildert seine Eindrücke auf
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Kredit verbraucht Slowakei an die Regierung. Inzwischen werden sie von der Wirtschaftspresse gelobt, verlieren aber die Wählergunst.
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Widersprüche
Der britische Regisseur Ken Loach zeigt in seinem neuen Film „The Wind that Shakes the Barley“ ohne falsches Pathos den irischen Unabhängigkeitskrieg und den sich anschließenden Bürgerkrieg. Er macht auch auf die inneren Widersprüche dieser Kämpfe aufmerksam.
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Die Mauer in den Köpfen betonieren!
Das durch den früheren Kultursenator Flier (Linkspartei.PDS) endredigierte „Gesamtkonzept zur Erinnerung Gedenken an die Berliner Mauer. Dokumentation, Information und Gedenken“ des Berliner Koalitionssenats, setzt den anpassungsmotivierten, demagogischen Umgang mit der Nachkriegsgeschichte und der DDR fort.
Ein Herz für Arbeiter ... ? „Kämpfen Sie für mehr Lohn ...“ – nein, das stand in keinem Gewerkschaftsblatt, sondern doch tatsächlich in der BILD-Zeitung vom 5. Dezember 2006! Die BILD-Zeitung ruft nicht nur zum Lohnkampf auf, sie liefert auch die Waffen dazu – einen „Mehr-Lohn-Antrag“ mit „den wichtigsten Argumenten, die selbst der härteste Chef schwer entkräften kann“: „Der Aufschwung in der Wirtschaft ist da ... gute Gewinne ... Auftragsbücher voll ... der massive Anstieg der Mehrwertsteuer ... weitere Belastungen ... steigende Krankenkassen- und Rentenbeiträge ... Miet-Nebenkosten ... Benzin, Gas, Heizöl, Strom usw.“ Zur Unterstützung lässt BILD „immer mehr Politiker“ wie Müntefering, Merkel, SPDGeneralsekretär Heil „und Experten“ zu Wort kommen. Gewerkschaftsnahe Verfechter einer „nachfrageorientierten“ Wirtschaftspolitik – wie z. B. Peter Bofinger und Gustav Horn – fordern in BILD „stärkere Lohnerhöhungen, um den Aufschwung fortzusetzen!“ Dazu ein Hinweis auf die Rekordgewinne der „30 Top-Unternehmen“ („stiegen seit 1999 um 15,5 Prozent im Schnitt“) und eine Grafik: „Chef-Gehälter stiegen fünfmal so stark“. Am Tag darauf werden Chefs vorgestellt, die sich diesen Argumenten nicht verschließen und ihren Beschäftigten Sonderzahlungen oder mehr Lohn zahlen – von „Berlin-Chemie (4 000 Beschäftigte)“ bis zu Dö-
nerproduzenten und Stollenbäckern: „Mehr Lohn! Die ersten Chefs zahlen schon.“ „BILD kämpft für Sie“ – die Pose als „Anwalt des kleinen Mannes“ war immer schon Werbestrategie von BILD. Doch es geht um mehr. Die Berliner Zeitung vom 2. 1. 2007 wird deutlicher: „Gewerkschaften starten Lohnoffensive ... Arbeitnehmer sollen von Aufschwung profitieren“ – wie können Unternehmer und ihre Verbände „angesichts der verbesserten Ertragslage der Unternehmen und der steigenden Belastungen der Arbeitnehmer durch die höhere Mehrwertsteuer“ 2007 die Ansprüche der Arbeitenden abwehren, ohne eine harte Tarifrunde mit massiven Arbeitskämpfen zu provozieren? Da scheint eine flexible Taktik notwendig – und der Einsatz aller Mittel im „Kampf um die Köpfe“. Der Chef des Unternehmerverbandes Gesamtmetall, Martin Kannegiesser, gab die Linie vor. In der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (2. 12. 2006) sprach er sich dafür aus, „dass unsere Mitarbeiter angemessen am Zuwachs und Erfolg beteiligt werden“. Doch: „Einen überzogenen Lohnabschluss darf es aber nicht geben“. Vor allem wollen die Metall-Bosse an „Einmalzahlungen, die abhängig gemacht werden können vom wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens“ auch „künftig festhalten“. Der BILD-Kommentar (gleiche Seite wie der „Mehr-Lohn-Antrag“) bläst ins gleiche
Horn: „Löhne im Betrieb festlegen!“ Auch dort heißt es „Jetzt ist der Aufschwung da – jetzt geht es ans Verteilen“. Doch dann geht es gegen das „Uralt-Ritual von Tarifverhandlungen“: „Schluss mit dem Tarif-Einheitsbrei. Bundesweit einheitlich sollten nur noch Eckpunkte wie Urlaub oder Kündigungsfristen festgelegt werden. Der Rest, vor allem die Lohnhöhe, muss Sache der Betriebe und ihrer Belegschaften selbst werden.“ Das wäre eine schöne Tariflandschaft –für die Kapitalbesitzer! Viele Beschäftigte mussten in den letzen Jahren schmerzlich erfahren, wie erpressbar einzelne Belegschaften sind. Angst um den Arbeitsplatz und Konkurrenz der Beschäftigten untereinander haben die Löhne und Gehälter nach unten gedrückt. Nur die Abmilderung dieser Konkurrenz durch die Organisierung in streikfähigen Gewerkschaften, also das „Uralt-Ritual von Tarifverhandlungen“, kann dieser Abwärtsspirale etwas entgegensetzen. Hinter dem „Kampf“ von BILD für „mehr Lohn“ versteckt sich die Unterstützung der Unternehmer. Die Arbeitenden sind gut beraten, wenn sie sich im Lohnkampf weiterhin auf ihre eigene Fähigkeit zum Streik verlassen, auf kampfentschlossene Gewerkschaften stützen und nicht auf „BILD-Formulare“. Achim Bigus
Tod eines Handlangers
In Bagdad starb ein „Antiimperialist aus Versehen“ am Strang
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Ein Meilenstein auf dem Weg des Irak zur Demokratie sei die Hinrichtung Saddam Husseins, tönte es aus dem Weißen Haus. Das spricht Bände darüber, was in Washington unter Demokratie und Gerechtigkeit verstanden wird. Der irakische Premierminister Nuri al Maliki war pragmatischer: Er erwarte, dass der Tod des Ex-Diktators dazu beitragen könne, die Gewalt im Irak einzudämmen. Ein Fehlschluss. Vielmehr ist zu erwarten, dass der 30. Dezember Ausgangspunkt für noch mehr Gewalt und Bürgerkrieg ist. Gegen das Verfahren und auch gegen die Auswahl der Richter gibt es ernsthafte Einwände. In diesem Fall war zwar nicht zu befürchten, dass ein Unschuldiger gerichtet wird. Wohl aber, dass Saddam Hussein zum politischen Märtyrer gemacht wird. Klar ist: Die Schauspieler, die in Bagdads grüner Zone ein Stück über Gerechtigkeit aufführ-
ten, waren Iraker. Aber das Drehbuch und die Regie stammten aus Bushs Umfeld. Hätte das Gericht eines unabhängigen Landes die Anklage auf die 124 Ermordeten von Haditha reduziert, also auf einen Bruchteil der tatsächlich geschehenen Verbrechen? Ausgeklammert blieb der Massenmord an Iraks Kommunisten und Linken. Ausgeklammert blieb das Verbrechen des Krieges, den Saddam Hussein den Irak gegen Iran führen ließ - mit mindestens einer Million, vermutlich aber über zwei Millionen Opfern. Die Inszenierung hatte zwei Ziele: schiitischen und der kurdischen Bevölkerungsgruppe wurde oberflächliche Genugtuung zuteil durch die Hinrichtung des Repräsentanten des Baath-Regimes, das Zehntausende von ihnen das Leben gekostet hatte. Und das andere: ein Mitwisser wurde zum Schweigen gebracht. Er kann nicht mehr darüber reden,
wie sehr er für seine Untaten auf die Unterstützung durch die USA angewiesen war. Fragen nach dem Grund des irakischen Überfalls auf den Iran, nach der Herkunft des damals von irakischer Seite eingesetzten Senfgases oder anderer Massenvernichtungswaffen stellen die Verteidiger jetzt nicht mehr. Ausgeklammert blieb: der Anteil des US-Imperialismus an Saddam Husseins mörderischer Karriere. So war der Strick um den Hals Saddam Husseins auch eine Rettungsleine für die, die sein Regime jahrelang unterstützt haben. Bevor sie 1991 plötzlich ihr Gedächtnis verloren, als Saddam Hussein folgenschwer irrte und, das Einverständnis seiner Spießgesellen in Washington voraussetzend, nach Kuweit griff. Da wurde er aber schon nicht mehr gebraucht und hatte sie deshalb seither an der Gurgel. Manfred Idler
Nein, eine Jeanne d’Arc der CSU ist sie gewiss nicht. Auch das „Erstgeburts-Recht“ der Kritik an den innerparteilichen Strukturen der bayerischen Demokratur-Partei steht ihr nicht zu. Da gab es vor einigen Jahren nämlich schon eine Ministerin Barbara Stamm (auch Fränkin), die wegen der Kritik an Stoiber kalt abserviert wurde. Allerdings kommt bei der Attacke von Gabriele Pauli auf Edmund Stoiber schon einiges zusammen, was die harsche Reaktion der CSU-Führung und die Dynamik in den letzten Wochen ausgelöst hat: Frau Pauli hat frecherweise an den Grundfesten der Partei gerührt. „Mitgliederbefragung“, ja wo kämen wir denn da hin? So etwas gibt es in der Bayerischen CSU nicht. Oder etwa die Forderung nach einer Mandatsbegrenzung für einen Bayerischen Ministerpräsidenten! Wer unbequem wird in den eigenen Reihen, gegen den wird dann selbstverständlich geschürt und intrigiert. Ortsansässige Bayern aus dem Volk haben über den Skandal der Bespitzelung allerdings nur mit den Schultern gezuckt. Flächendeckend überwacht wird nämlich seit Herrn Beckstein bekanntlich schon länger. Trotz allem darf man gespannt sein, wie es weitergeht. Immerhin kam ihr Vorstoß zur rechten Zeit: Stoiber ist zunehmend angeschlagen – nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern in der Partei. Vorläufig abschließende Bemerkung: Dass Frau Pauli, der Maulwurf in der CSU, an wirklicher demokratischer Veränderung in Bayern kein Interesse hat, liegt auf der Hand: auf der ver.di-Bezirkskonferenz Mittelfranken zum Beispiel war sie neulich nur eine halbe Stunde. Gewerkschaften und demokratische Kräfte gehen ihr am Arsch vorbei. Werner Lutz
LLL-Veranstaltung der DKP
Samstag, 13. Januar 2007, in Berlin, Mensa der FU Berlin, Hardenbergstraße 34 (am Steinplatz, Nähe Bahnhof Zoo) Einlass ab 18.30 Uhr, Beginn: 19.00 Uhr
Demonstration zur Gedenkstätte der Sozialisten
im der Rahmen der Liebknecht-Luxemburg-Ehrung Sonntag, 14. Januar 2007 Treffpunkt: vom U-Bhf. Frankfurter Tor, Beginn: 10.00 Uhr
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unsere zeit
Freitag, 5. Januar 2007
Gastkolumne von Herbert Mies*
Armutszeugnis Präsident, Kanzlerin, Bischof und Diakonie-Chef, ein Quartett von Oberen christlich-sozialen Gemüts befanden sich in ihren Weihnachts- und Neujahrsbotschaften in trauter Eintracht und Seligkeit. Sie sprachen von Armut in Deutschland, hegten Mitleid mit den Arbeitslosen und riefen eindringlich auf: „Reichen wir denen die Hand, die Misserfolg haben, damit sie sich wieder aufrichten.“ Präsident Köhler meinte „Arbeit zu schaffen für die Menschen in Deutschland“ sei „auch die Antwort auf Armut“. Kanzlerin Merkel betete ihm nach und verkündigte das „Herannahen einer besseren Zukunft“. Bischof Kardinal Lehmann mahnte, „Leid und Hunger vor der eigenen Tür“ seien „nicht zu übersehen“. Bischof Huber predigte „die verbesserte Rendite sollten in Arbeitsplätze investiert und nicht nur abgeschöpft werden“. Diakonie-Chef Klaus-Dieter Kottnik wiederholte die Feststellung, „die Schere zwischen Arm und Reich hat sich deutlich geöffnet“. Solche salbungsvollen Worte und „göttliche Offenbarungen“ hören sich schön an. Sie wären ganz sicher so nicht gekommen, hätten sie nicht traurige bundesirdische Vorboten gehabt. 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche bis zu einem Alter von 15 Jahren leben in Haushalten, die über weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens verfügen. 10 718 Kinder leben allein in Mannheim von Sozialhilfe. In meiner Heimatstadt wird zum zehnten Mal die Vesperkirche in der Konkordien-Kirche veranstaltet. Am Anfang wurden 120 Essen gemacht, inzwischen sind es über 400. Die Lokalpresse überschrieb ihre „rührenden“ Berichte mit „Ein Zettel hilft die Alltagssorgen zu verarbeiten, die Idee der Citykirche verbreitet sich im Südwesten“. Im September, am Weltkindertag, flatterten am
Mannheimer Paradeplatz Tausende blaue Fähnchen als Zeichen gegen die stetig steigende Armut. Die gleichen Aktionen fanden in mehr als 80 Städten unseres Landes statt. Sie holten die Kinderarmut aus dem Verborgenen und machten sie sichtbar. Sichtbar wurde aber auch dies: nach der neuesten Liste der zehn reichsten Leute steht nach wie vor Karl Albrecht (Aldi) mit 16,1 Milliarden Euro an der Spitze, 198 Millionen Euro zahlt der Pharmakonzern seinem scheidenden Chef als Abschieds-Abfindung. Da bleibt einem die Luft weg, wenn man sich diese astronomischen Summen vor Augen hält. Brutaler kann nicht dargestellt werden, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Man wird von einem unbändigen Zorn erfasst. Aber zornig wird man auch dann, wenn man von Moralapostel Köhler den Appell an die Allgemeinheit hört, „mehr Mut zu haben, sich Ziele zu setzen“. Das ist für einen Bundespräsidenten pharisäerhaft, wenn er selbst nicht den Mut hat, ihn auch nicht haben kann, die hauptsächliche Ursache für Armut und Arbeitslosigkeit beim Namen zu nennen. Die Schere zwischen Arm und Reich sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Sie hat einen Namen. Dieser heißt Kapitalismus, ganz gewöhnlicher Kapitalismus. Und die Alternative zu ihm heißt Antikapitalismus. Das hört sich so einfach an, ist aber hierzulande dem einfachen Menschen so schwer begreiflich zu machen. Aber um das zu leisten ist nun mal auch eine kommunistische Partei da. Köhler meinte in seiner Festansprache: „Gute Politik – das heißt zunächst einmal Aufrichtigkeit bei der Einschätzung unserer Stärken und Schwächen“. Eine gute Politik findet sich in der heutigen Parteienlandschaft hauptsächlich bei der DKP. Wenn man so will, dann war Köhlers Rede ungewollt eine verdeckte Botschaft, diese Partei in dem jetzt anstehenden Jahr 2007 weiter zu stärken. * Herbert Mies war von 1973 bis 1990 Vorsitzender der DKP
Der „Quasi-Fall“ von Schäuble Einige Vorgänge und Äußerungen in der „friedvollen“ Weihnachtszeit zu den Themen Freiheit, Demokratie und Sicherheit in dieser Republik verschlagen einem quasi den Atem und die Stimmung. Da war in der Süddeutschen Zeitung etwa zu lesen: „Im Grundgesetz soll es künftig neben dem ‚Verteidigungsfall’einen ‚Quasi-Verteidigungsfall’geben. Die Entführung eines Flugzeugs durch Terroristen soll einen solchen Quasi-Verteidigungsfall darstellen, der nach den Vorstellungen von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) zum Abschuss des Flugzeugs durch die Bundeswehr berechtigt.“ Wie der Minister der Zeitung erläuterte soll mit der Einführung des Quasi-Verteidigungsfalls das Luftsicherheitsgesetz, das vom Bundesverfassungsgericht am 15. Februar 2006 ausdrücklich für verfassungswidrig erklärt wurde, verfassungsgemäß gemacht werden. Nach Schäubles Darlegungen wurde deshalb in seinem Ministerium geprüft, ob ein terroristischer Angriff als Verteidigungsfall gewertet werden könne. Man habe sich zwar dagegen entschieden, den Angriff so zu benennen, stelle ihn aber „in seiner Qualität dem Verteidigungsfall gleich“. Der im Ministerium erarbeitete Grundgesetzartikel 87a solle daher lauten: „Außer zur Verteidigung sowie zu unmittelbaren Abwehr eines sonstigen Angriffs auf die Grundlagen des Gemeinwesens dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.“ Wer nun von den Sozialdemokraten einen Aufschrei erwartet hätte, sah sich getäuscht. Von denen war aber Bemerkenswertes zu hören, was Aufschlüsse über die brandgefährlichen Diskussionen gibt.
Zwar gebe es im Grundgesetz keinen „Quasi-Verteidigungsfall“ und die Grenzen von Kriegs- und Friedensrecht würden dadurch verwischt. „Es wäre vielleicht besser gewesen, dies zunächst koalitionsintern zu beraten“, meinte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Wiefelspütz. Der Vorstoß sei „nicht sachgerecht“ und auch nicht umsetzbar. Zugleich bekräftigte er jedoch die Bereitschaft der SPD, durch eine Änderung des Grundgesetzartikels 35 den Abschuss eines von Terroristen gesteuerten Flugzeugs zu ermöglichen. Immerhin erhielt Schäuble wenigstens von den Bündnisgrünen umgehend und deutlichen Protest. „Der Gesetzgeber darf keine Lizenz zum Töten Unschuldiger in Gesetzesform gießen“, meinte deren Fraktionsgeschäftsführer Beck. Zurückhaltend war die Reaktion der „Freien Demokraten“, deren Rechtspolitiker Stadler Schäuble nur milde mahnte, das Urteil des Verfassungsgerichts zu respektieren. Da sollte man unbedingt wissen, was sein freidemokratischer Kollege, der Düsseldorfer Innenminister Wolf, am 20. Dezember 2006 im NRW-Landtag – fast unbemerkt von der Öffentlichkeit – über die Bühne brachte: ein „Anti-Terror-Gesetz“, um das ungefragte Ausspionieren der Computer der Bürgerinnen und Bürger per Internet auszuweiten. Man darf wohl davon ausgehen, dass der Bundesinnenminister keinerlei Scheu hat, die Bundeswehr im Inneren endlich zum Einsatz kommen zu lassen, „weniger Demokratie“ zu wagen und auch vor dem „Quasi-Grundgesetzbruch“ nicht zurückschreckt. Dem gilt es sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu widersetzen. Rolf Priemer
Karikatur: Bernd Bücking
2007: Herausforderungen für die russischen Kommunisten Gespräch mit Anatoli Popow
Anatoli Popow: Als Abonnent der UZ möchte ich zunächst die UZ-Leser, die Mitglieder der DKP und der SDAJ zum neuen Jahr grüßen und ihrem Wirken Erfolge wünschen. Sodann möchte ich sagen den Titel zum Gespräch mit mir finde ich treffend, aber ... UZ: Aber, was ...? Anatoli Popow: ... aber ich möchte anmerken, dass 2007 nicht nur eine Herausforderung für die russischen Kommunisten, sondern auch für die kommunistische und Arbeiterbewegung in Deutschland, in Europa, ja in der Welt ist, weil es die lebensgefährliche neoliberale Globalisierungsstrategie des Imperialismus endlich zu stoppen gilt. UZ: Ende des Jahres finden die nächsten Wahlen zur Duma und im Frühjahr 2008 die Präsidentschaftswahlen statt. Wie bereitet sich die KPRF auf die Wahlen vor? Wie sehen Sie die Chancen der Partei, ihren Einfluss zu erweitern? Anatoli Popow: Die Chancen der KPRF, ihren Einfluss zu vergrößern sind gegeben, weil immer mehr Menschen mit der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lage in unserem Land unzufrieden sind. UZ: Wenn man russischen Meinungsforschungsinstituten Glauben schenken soll, hat der derzeitige Amtsinhaber trotz unpopulärer Maßnahmen wie der so genannten Monetarisierung der Vergünstigungen für Kriegs- und Arbeitsveteranen, der Reform des Bodenrechts, der Kommunalreform, dem neuen Arbeitsgesetzbuch u. a., die allesamt zu Lasten des Volkes gehen, nach wie vor hohe Zustimmungsraten. Ist angesichts dessen wirklich entschieden, dass Putin nicht für eine dritte Amtszeit kandidiert? Anatoli Popow: Ich möchte keinen Spekulationen Vorschub leisten. Das prägnanteste Merkmal der Situation in Russland besteht darin, dass 80 Prozent Arme den 20 Prozent der Reichen gegenüberstehen. Unter den mehr als 600 Milliardären der Forbes-Liste befinden sich 28 Russen. Darunter als einzige Frau die Ehegattin des Moskauer Oberbürgermeisters Luschkow mit 2,3 Milliarden US-Dollar. In Russland beherrschen Milliardäre die Wirtschaft, haben entscheidenden Einfluss auf Politik, Kultur und Moral. 15 Jahre „kapitalistischer Reformen“ in Russland brachten die Zerstückelung der mächtigen UdSSR in 15 unterentwickelte Länder, die Zerstörung der meisten Maschinenbaubetriebe, ja der gesamten Industriestruktur. „Uralmasch“ (ein großer Maschinenbaubetrieb) produzierte zu sowjetischen Zeiten 320 000 Tonnen an Ausrüstungsgegenständen, heute nur noch 30 000 Tonnen. Die Zahl der Beschäftigten ist von damals 37 000 auf
Anatoli Popow, 81, Botschaftsrat a. D., Moskau. Er kämpfte als Soldat und Offizier der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg gegen den Hitlerfaschismus. Nach dem Krieg war er zunächst für die Hohe Kommission der Sowjetunion für Deutschland, später als Diplomat in den Niederlanden, Österreich, der DDR und der BRD tätig und war mehrere Jahre Mitarbeiter der Internationalen Abteilung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Acht Jahre lang unterstützte er als Berater die KPRF-Fraktion in der Duma. Popow ist geschätzt als Zeitzeuge der deutsch-sowjetischen und der deutschrussischen Geschichte. heute 3 700 zurückgegangen. Die Kremlstrategie der Verwandlung Russlands in eine „Energieweltmacht“ bedeutet in Wahrheit die Umwandlung Russlands zu einem Energie- und Rohstoffanhängsel des Westens. Der Internationale Währungsfonds bestimmte die Rolle Russlands im Rahmen der weltweiten Arbeitsteilung als die „eines Rohstofflieferanten an entwickelte Länder“. Gleichwohl könnte ein Uneingeweihter glauben, dass sich in Russland das Leben stabilisiert, weil Hunderte Milliarden Dollarreserven, starke Gold-, Energie- und Rohstoffreserven vorhanden sind. Aber jeder Bürger, ob in der Stadt oder auf dem Land, ist besorgt und beunruhigt über das, was bei uns im Inneren des Landes heranreift. Die vornehmliche Ursache dafür ist die Privatisierung. 1992 - 1999 wurden 133 000 Betriebe privatisiert. Der Staat kassierte 9,25 Milliarden US-Dollar dafür. In Brasilien wurden nur Dutzende Staatsunternehmen privatisiert, aber der Staat bekam 66 Milliarden US-Dollar. Nach Angaben
des Rechnungshofes der Russischen Föderation wurden Industriewerke im Schnitt für 15 000 US-Dollar, Handelsunternehmen für 10 000, Baubetriebe für 7 000 US-Dollar „verkauft“. Das war keine Privatisierung, sondern die Plünderung von Volkseigentum. Es bestehen noch über 20 000 Staatsbetriebe, aber Putin will davon nur 450 beim Staat belassen. Nach der Privatisierung verdoppelte sich die Anzahl der Beschäftigten in der Energiewirtschaft, während die Arbeitsproduktivität auf die Hälfte gesunken ist. Die Regierung kümmert sich vor allem um die vorfristige Tilgung der Auslandsschulden, während die Inlandsverschuldung zunimmt. Eines der brennenden Probleme, erklärte der Sprecher des Föderationsrates, S. Mironow, ist die niedrige Qualität der Staatsmacht. Laut einer Untersuchung des Forschungsinstituts Zirkon ist es so: „Das Volk ist mit der Staatsmacht unzufrieden. Sie sei korrupt, unredlich, unsittlich, verantwortungslos, nicht effizient.“ Kein Wunder, dass in der Gesellschaft das Aggressionspotential zunimmt. Nationalistische Stimmungen wachsen. Die Macht des zunehmenden Nationalpopulismus besteht darin, dass er die soziale Unzufriedenheit sammelt und gegen konkrete „Feinde“ ausrichtet. Ein Konflikt dieser Art könnte verhängnisvolle Folgen für das Regime der „gesteuerten Demokratie“ haben. Putin hat den stärker werdenden Druck aufgegriffen und versucht ihn in demagogischer Weise für seine Politik zu nutzen, indem er so genannte nationale Programme verkündet, mit denen Notstände überwunden werden sollen. Er versucht nationale Interessen des Landes auf internationaler Ebene zu vertreten. Er sieht sich zu einigen Veränderungen in der Gestaltung der Sozialpolitik veranlasst und fordert auch von den Oligarchen sich der Verantwortung für Volksinteressen bewusst zu sein. Die Massen Russlands werden sich zunehmend der Verluste bewusst, die durch die Liquidierung der Sowjetunion und der Errungenschaften der Oktoberrevolution entstanden sind. Die Kommunisten Russlands bemühen sich in diesem Prozess ihrer Verantwortung, den Herausforderungen in unserer Zeit gerecht zu werden. UZ: Zum Abschluss, Genosse Popow, wann steht dein nächster Besuch in der Bundesrepublik an? Anatoli Popow: Im Juni werde ich wieder in Deutschland sein. Genauer gesagt, vom 22.-24. Juni 2007, beim UZ-Pressefest. Ich stehe dann gerne zu Gesprächsrunden zur Verfügung. Die Fragen stellten Walborg und Karl-Heinz Schröder
Freitag, 5. Januar 2007
unsere zeit
Hintergrund / Seite 3
Siemens – Global network of corruption
Der Korruptions-Skandal bei Siemens: Zusammenhänge, Hintergründe, mögliche Folgen – Teil 1 „über Details der Trennung“ vom COM-Chef in Griechenland informiert gewesen sein. Von diesem hatte sich Siemens Anfang April 2006 getrennt; eine Woche nach der ersten Vernehmung durch die griechische Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Schmiergeldzahlungen für Aufträge für die Olympischen Spiele. Immerhin klagt der Konzern gegen diesen Mann vor griechischen Gerichten auf die Rückzahlung von acht Millionen Euro, die sich dieser von den Schweizer Konten geholt habe. Aber die Konzernspitze kennt, wie sie sagt „keine Details“. Neubürger war Ende März 2006 Knall auf Fall aus dem Konzern ausgeschieden – mit einem Beratervertrag für Siemens natürlich – um „einfach etwas anderes zu machen“, hieß es damals in Unternehmenskreisen. Anfang März waren Erkenntnisse aus dem Ermittlungsverfahren der schweizerischen Staatsanwaltschaft im Vorstand bekannt geworden.
Der Schmiergeld-Skandal bei Siemens nimmt nahezu täglich neue Dimensionen an. Inzwischen sind auch der frühere Vorstands-Chef und heutige Aufsichtsratsvorsitzende Heinrich von Pierer und sein ehemaliger Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger in die Schusslinie geraten. Nun tritt auch noch Nokia beim geplanten Gemeinschaftsunternehmen mit Siemens auf die Bremse. Der finnische Mobilfunker will nicht in den Bestechungsstrudel gezogen werden. Ein schwerer Schlag für Siemens. Der Münchner Technologiekonzern, einst das Aushängeschild der deutschen Wirtschaft, wird in seinen Grundfesten erschüttert. Wohin das alles führt, ist noch ungewiss. Vor einigen Monaten schrieb die Zeitschrift „Capital“ über den Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG, Klaus Kleinfeld, und seine Strategie: „große Worte, wenig Substanz“. Mittlerweile sind ihm auch die großen Worte abhanden gekommen. Der Korruptionsskandal rüttelt an seiner Position. Zwei frühere Bereichsvorstände des Siemens-Telekommunikationsbereiches COM wurden inhaftiert; dazu der Ex-Chef von Siemens COM in Griechenland. Mit Thomas Ganswindt, dem ehemaligen Vorstandschef des Bereiches COM, saß nun auch ein Ex-Mitglied des Zentralvorstandes im Gefängnis. Der ehemalige Finanzvorstand Neubürger gerät immer mehr unter Beschuss. Die Einschläge kommen recht nahe an Klaus Kleinfeld und von Pierer heran. Dabei wollte Kleinfeld mit guten Zahlen auf der Bilanzpressekonferenz Anfang November das Unternehmen aus den Negativ-Schlagzeilen bringen. Die Diskussion um die Gehaltserhöhung für die Vorstände und das Handy-Debakel mit BenQ hatte schwer am Renommee des Unternehmens gezehrt. Aber nur eine Woche nach Bekanntgabe der positiven Jahresbilanz schlugen die „schwarzen Kassen“ wie eine Bombe ein. Fahnder aus Italien, Liechtenstein, der Schweiz und Deutschland enttarnten „schwarze Kassen“, die mit Millionen gefüllt waren. Inzwischen
ist „kein Kavaliersdelikt“. Von einem System „schwarzer Kassen“ habe er erst mit der Razzia im November erfahren. Wenige Tage später saß mit Thomas Ganswindt ein Ex-Vorstand aus seiner engsten Umgebung im Knast. Die Grenze zwischen sauberen Spitzen-Managern und mafiösen Dunkelmännern verschwimmt.
Tango Korrupti Siemens ist nicht zum ersten Mal mit „schwarzen Kassen“ auffällig, sondern kann auf eine eindrucksvolle Sammlung von Korruptionsaffären zurückblicken. Siemens hat die damit beauftragten Mitarbeiter, ganz im Gegensatz zu den Tausenden normaler Mitarbeiter, die in den letzten Jahren auf die Straße gesetzt wurden, nie im Stich gelassen. Wer auffiel, schied mit einem gut dotierten Beratervertrag aus. Wenn einer aufflog, dann wurde er den Strafverfolgern geopfert, die Anwaltskosten übernommen und mit hohen Zahlungen ruhig gestellt: lebenslange Versorgung gegen Stillschweigen. Einzeltäter, die gegen den Kodex des Unternehmens verstoßen haben, erklärte der Konzern ein jedes mal. Anfang der Neunzigerjahre war der erste große Siemens-Schmiergeldprozess beim Landgericht München. Beim Bau der Klärwerksanlagen in München hatte es
Aus Münchener Abendzeitung, 14. 12. 2006 brennt es überall im Konzern. Nachdem der Aufsichtsrat nach langem Zögern eine Prüfung veranlasste, haben Bilanzprüfungen innerhalb von drei Wochen zweifelhafte Zahlungen in Höhe von 480 Millionen für die Jahre 1999 bis 2006 zutage gefördert. Geldflüsse, die weder dem Finanzamt noch den Wirtschaftsprüfern der KPMG in jahrelanger Arbeit aufgefallen waren? Und wo es um Bestechung geht, da ist die Steuerhinterziehung nicht weit. Vorsorglich korrigierte der Konzern seinen bereits veröffentlichten Abschluss für das vergangene Geschäftsjahr – „geprüft und mit dem uneingeschränkten Prüfungsvermerk versehen“, heißt es im schon publizierten Bericht des Aufsichtsrates – nach unten. 168 Millionen werden für voraussichtlich fällig werdende Steuernachzahlungen zurückgestellt. Der Gewinn nach Steuern verringert sich dadurch auf 3,033 Milliarden Euro.
Manager oder Mafiosi „Drah di net um, der Kommissar geht um“, hieß ein populäres Lied in den 80-er Jahren. Jetzt geht der Kommissar bei Siemens aus und ein. Von „Bandenbildung“ durch führende Manager spricht die Staatsanwaltschaft. Aufsichtsratschef von Pierer beteuerte, dass niemand in der Konzernspitze etwas geahnt oder gar gewusst habe. „Eine Gruppe von Mitarbeitern hat sich zusammengeschlossen, um alle Sicherungen außer Kraft zu setzen“, sagte er. „Kompromisslos aufräumen“, würden sie, versicherten von Pierer und Kleinfeld in einem Schreiben an die verunsicherte Belegschaft. Denn Korruption
verdächtig nach Korruption gestunken. Obwohl das Unternehmen Akten stoßweise vernichtete – die Akten waren zum Zerschreddern nach Erlangen gebracht worden, weil die Aktenvernichtungsanlage in München überlastet war – reichten die Beweise. Leitende Siemens-Manager wurden wegen Schmiergeldzahlungen zu Haftstrafen verurteilt. Nach dem Auffliegen der verdeckten Konten erscheint nun auch die Behauptung des ehemaligen CDU-Schatzmeisters Uwe Lüthje in neuem Licht. Bis auf das Sterbebett hatte er heilige Eide geschworen, dass der Siemens-Konzern seiner Partei in den Achtzigerjahren aus „schwarzen Kassen“ in der Schweiz mit fünf oder sechs Millionen Mark unter die Arme gegriffen habe. Am 28. April 2004 verurteilte ein Mailänder Gericht Siemens zu einer Entschädigungszahlung von 160 Millionen Euro und schloss den Konzern für ein Jahr von Geschäften mit öffentlichen Verwaltungen und staatseigenen Firmen in Italien aus. Siemens hatte sich mit Schmiergeldzahlungen an zwei Vorstände einer Tochter des halbstaatlichen Stromgiganten Enel Monopolgeschäfte im Wert von 362 Millionen Euro gesichert. Das Geld war über Tarnfirmen in Abu Dhabi und Dubai auf die Konten der zwei Manager geflossen. Der Richter begründete die Strafe damit, weil „das Unternehmen die Zahlung von Schmiergeld zumindest als eine Möglichkeit betrachtete, für deren Umsetzung eigens ‚schwarze Kassen’ eingerichtet wurden“. Seit dieser Zeit ruht die Mitgliedschaft von Siemens bei der An-
Der Weg des Geldes
ti-Korruptionsorganisation Transparency International. In Norwegen hat Siemens seit Dezember 2003 Ärger wegen Schmiergeldzahlungen. Jüngst hat das norwegische Verteidigungsministerium Fujitsu-Siemens auf die schwarze Liste gesetzt und von Ausschreibungen ausgeschlossen. Hintergrund ist die Korruptionsaffäre um die Siemens-Tochter Siemens Business Services (SBS), die das norwegische Militär jahrelang mit überhöhten Rechnungen geprellt hatte. Norwegische Medien berichten, dass Berater und Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums großzügig mit Reisen und Geschenken bedacht worden waren und im Gegenzug auf eine genaue Prüfung der Abrechnungen verzichtet hatten. Ein Gericht in Bozen betrachtet eine Fünf-Millionen-Zahlung an den früheren Generaldirektor für das staatliche Telefonwesen in Italien als Schmiergeldzahlung. Siemens habe sich so den Einstieg in den italienischen Telekommunikationsmarkt erkauft. Bereits 2003 war es deswegen zu einer Hausdurchsuchung durch die Staatsanwaltschaft in der Münchner Konzernzentrale gekommen. Dass die Spitzenmanager des COM-Bereiches ein grundsätzlich gestörtes Verhältnis zu Gesetz und Rechtsstaat haben, haben sie in der Vergangenheit verschiedentlich dokumentiert. So wurde im Jahr 2003 Hunderten von Beschäftigten betriebsbedingt gekündigt. Rechtswidrig – wie der Betriebsrat von Beginn an feststellte und es die Arbeitsgerichte in zwei Instanzen bestätigten. Der Konzern wollte ein Exempel schaffen, dass in einem Großbetrieb unter Missachtung der sozialen Auswahl betriebsbedingte Kündigungen möglich seien. „Ein Feldversuch zur Ausreizung des Kündigungsschutzes“, sagte der Rechtsvertreter der Siemens AG in einem Kündigungsschutzprozess. Pikant war, dass zur Durchführung der Massenkündigungen eine Tochter des Wirtschaftsprüfungsunternehmens KPMG angeheuert worden war. Ein Verstoß gegen die Bilanzrichtlinien, denn die KPMG testiert die Siemens-Bilanz. Deshalb sind andere wirtschaftliche Beziehungen verboten. Strafrechtlich auffällig wurde COM, als das Unternehmen den E-Mail-Verkehr und die Daten auf den Computern des Betriebsrates in der Hofmannstraße ausspionierte. Damals funktionierte noch der Draht zur Staatsanwaltschaft. Zufälligerweise war die Staatsanwältin, die auf Ersuchen der Betriebsleitung die Durchsuchung genehmigte und sonderbarerweise nicht die Polizei, sondern den Siemens Werkschutz damit beauftragt hatte, die Tochter eines leitenden Angestellten aus der COM-Sparte. Das Landgericht München hat die Durchsuchung später als rechtswidrig verurteilt. Der Leiter der betriebsinternen Revision wurde daraufhin
beauftragt, die Ausspähung der Betriebsratsdaten – 2003/2004 durch SiemensManager begangen, 2005 ans Licht gekommen – zu untersuchen. Dieser versprach die lückenlose Aufklärung. Der Betriebsrat wartet noch heute auf die Ergebnisse. Und wird wohl weiter warten, denn der besagte Herr sitzt nun in Untersuchungshaft. Wegen „Bandenbildung“.
Die Spur führt in die Zentrale In der Com-Sparte hätten sich der kaufmännische Leiter, der Vertriebschef, der Leiter des Rechnungswesens und der Leiter der Revision „ihre Posten zunutze gemacht“, sagt die Konzernspitze. Aber offenkundig ist diese Geschichte von der Bandenbildung untergeordneter Manager, die ohne Wissen der Konzernführung und mit raffinierten Methoden Hunderte Millionen aus dem Konzern schleusten, eine Legende. Bereits seit mindestens zwei Jahren musste der Vorstand im Bilde über die Schwarzgeldkonten sein. Der Konzern hat sogar Millionenbeträge von Liechtensteiner Konten zurückgebucht und in die Bilanz eingestellt, als diese als Schwarzgeldkonten aufgeflogen und von der Staatsanwaltschaft freigegeben worden waren. Im November 2004 hatte die Staatsanwaltschaft in Liechtenstein gegen Reinhard S., die Schlüsselfigur im Korruptionsskandal, ein Verfahren wegen des Verdachts auf Bestechung und Geldwäsche eingeleitet. Just zu diesem Zeitpunkt schied er aus dem Unternehmen aus. Ein üppiger Beratervertrag verhinderte, dass er zum Sozialfall wurde. Über 50 000 Euro monatlich; im Juli dieses Jahres eine Sonderzahlung von 678 000 Euro – für besondere Leistungen oder Schweigegeld? Die Liechtensteiner Staatsanwaltschaft wandte sich im Laufe ihrer Ermittlungen an das Münchner Unternehmen mit der Bitte, einen Aufsichtsrat der Siemens AG befragen zu dürfen. Der Vorstand verweigerte diesen Wunsch; der Aufsichtsrat behauptet, nie von diesem Ansinnen erfahren zu haben. Inzwischen wird auch der ehemalige Finanzvorstand Neubürger vom inhaftierten COM-Finanzvorstand Kutschenreuther schwer beschuldigt. Er soll die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG veranlasst haben, den Bilanzprüfungsbericht zu korrigieren und auffällige Finanztransaktionen zu ignorieren. Neubürger verteidigt sich, dass Kutschenreuther wohl „bewusst einen falschen Bericht unterschrieben“ habe. Da sei das auf seiner Ebene nur schwer zu erkennen gewesen, dass die Bilanzen manipuliert waren. Er sei „hinters Licht geführt worden“. Neubürger hat seinen Job anscheinend so verstanden, nur die Echtheit der Unterschrift prüfen zu müssen. Bei einem Jahreseinkommen von 1,4 Millionen Euro ist wohl auch nicht mehr zu erwarten. Auch wollen weder Neubürger noch Kleinfeld
In den Neunzigerjahren waren die „schwarzen Kassen“ noch ganz konventionell in Österreich und der Schweiz eingerichtet worden. Das Geld wurde in Koffern über die Grenze gebracht, in Salzburg oder bei der Raiffeisenlandesbank in Innsbruck eingezahlt und auf die geheimen Konten transferiert; zeitweise zwischen 75 und 100 Millionen jährlich. Nachdem Ende der Neunzigerjahre auch im Ausland begangene Korruption strafbar wurde und die Schmiergeldzahlungen nicht mehr von der Steuer abgesetzt werden konnten, begann die Suche nach einem besseren Modell. Dringend wurde es, als die Genfer Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen gegen die dunklen Geschäfte des früheren Staatspräsidenten von Nigeria, der im Lauf der Jahre viele hundert Millionen zur Seite gebracht hatte, auf eine Spur stieß, die zu Siemens führte. Der Kaufmann Reinhard S. wurde mit dem Aufbau des neuen Modells betraut und brachte es zeitgleich in einer Bilderbuch-Karriere innerhalb kurzer Zeit bis zum Direktor. Unterstützung erhielt er bei seiner Aufgabe von der „Compliance-Abteilung“ des Konzerns. „Die Einhaltung von Verhaltensregeln, Gesetzen und Richtlinien zu überwachen und Hilfestellung bei Fragen dazu zu geben, gehört zu den Aufgaben der Compliance-Beauftragten. Das englische Wort steht für Einwilligung und Einverständnis und bedeutet bei Siemens, dass alle Mitarbeiter sich an ,Recht und Gesetz’ halten“, heißt es in der Mitarbeiter-Zeitschrift von Siemens Anfang November 2006. Das mit der Hilfestellung muss ein Leitender bei Compliance, der Abteilung zur Bekämpfung der Korruption im Unternehmen, gründlich missverstanden haben. Für das neue Schmiergeldsystem wurden Firmen in Liechtenstein, Österreich, in der Schweiz, Sudan, Lettland, den USA und auf den British Virgin Islands in der Karibik gegründet. Über Scheinrechnungen für nie erbrachte Leistungen wurden Millionenbeträge aus dem Konzern auf die Konten dieser Firmen geschleust. Dann wurden sie noch einmal umgebucht und über einen Treuhänder mit Sitz in Lugano an Siemens-Manager in der ganzen Welt für geschäftsfördernde Zwecke weitergereicht. Dieses Umbuchen wurde Reinhard S. zum Verhängnis. Als er in Liechtenstein einen Millionenbetrag vom Konto abhob und wenige Tage später auf ein anderes Konto bei der gleichen Bank einzahlte, wurde die Bank misstrauisch und informierte die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Geldwäsche. Inzwischen wird in Norwegen, Deutschland, der Schweiz, in Liechtenstein, Ungarn, Italien und Griechenland wegen mutmaßlicher Schmiergeldzahlungen ermittelt. Wie der Fall des COM-Chefs in Griechenland vermuten lässt, wurden dabei auch schon mal Zahlungen auf das eigene Konto vorgenommen. Als Entschädigungen für das gefährliche Treiben gewissermaßen. Michael Huber Teil 2 des Siemens-Korruptions-Skandals lesen sie in der nächsten UZ-Ausgabe am 12. 1.
Seite 4 / Wirtschaft, Gewerkschaft, Soziales
unsere zeit
DGB gegen Gesundheitsreform
Die Rücknahme der „so genannten Gesundheitsreform“ haben die Vorsitzenden der DGB-Bezirke Hessen-Thüringen und Baden-Württemberg gefordert. Wie der DGB weiter mitteilte, sicherten die beiden Bezirke den Ministerpräsidenten der zwei CDU-geführten Bundesländer in deren Kritik am Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministeriums volle Rückendeckung zu. Nach Feststellung der DGB-Bezirksvorsitzenden Stefan Körzell (Hessen-Thüringen) und Rainer Bliesener (Baden-Württemberg) ist die derzeitige Gesundheitsreform „Murks“. „Im Interesse der Versicherten ist uns ein Ende mit Schrecken lieber als ein Schrecken ohne Ende. Korrekturen an der Gesundheitsreform reichen nicht aus. Dieses Machwerk, dem jede soziale Komponente fehlt, muss vom Tisch“, erklärten sie. Auch die weitere Belastung der Versicherten zu Gunsten stabiler Beiträge bei den Arbeitgebern müsse verhindert werden.
RTL blockiert Tarifeinigung
Mit Empörung reagiert ver.di auf die Blockadepolitik der RTL-Geschäftsführung bei den laufenden Tarifverhandlungen. ver.di forderte deshalb Deutschlands größtes Privatfunkunternehmen auf, endlich konstruktiv an einer Tarifeinigung mitzuwirken. Hintergrund der aktuellen Zuspitzung ist ein abrupter Kurswechsel der RTL-Geschäftsführung bei den Verhandlungen am 19. 12.. Eine bereits greifbar nahe Einigung über ein konzernweites einheitliches Tarifgefüge ist dabei zunichte gemacht worden. Die Verhandlungen endeten ohne Ergebnis.
„Heuschrecke“ übernimmt Gewerkschaftsimmobilien
Der umstrittene Verkauf von Gewerkschaftsimmobilien an Privatinvestoren ist perfekt. Die Investmentgesellschaft Cerberus hat nach eigenen Angaben ein Paket mit 37 gewerblich genutzten Liegenschaften von der Gewerkschafts-Immobiliengesellschaft GGI gekauft. Über den Kaufpreis sei Stillschweigen vereinbart worden, teilte Cerberus mit. Bereits nach Bekanntwerden der Verkaufsabsichten hatte es eine Welle des Protests gegeben. Sachsens DGB-Vorsitzender Hanjo Lucassen reagierte mit scharfer Kritik auf den Verkauf. Es werde ein wichtiges Stück Geschichte der Arbeiterbewegung „in die Hand von ‚Heuschrecken’ gegeben“. Die Gewerkschaft mache sich unglaubwürdig, wenn sie an Finanzinvestoren verkaufe, deren Geschäftsstil in Sonntagsreden gegeißelt werde, so Lucassen.
Freitag, 5. Januar 2007
Neues Jahr beginnt mit Protesten
Der DGB plant in mittelfränkischen Betrieben Aktionswoche gegen Sozialabbau Vom 29. Januar bis zum 2. Februar plant der DGB Mittelfranken eine Aktionswoche „gegen den sozialen Kahlschlag“. Da die Unternehmer die treibende Kraft beim Sozialabbau sind, soll der Protest nun in die Betriebe getragen werden. Nach den Demonstrationen am 21. 10., will jetzt der DGB Mittelfranken den Protest weiter führen. Geplant sind Betriebsversammlungen, Flugblatt- und Plakataktionen sowie Protestbriefe an Abgeordnete. Höhepunkt in der Aktionswoche wird der 1. Februar sein. An diesem Tag soll während der Arbeitszeit eine Protestkundgebung stattfinden. Im Anschluss an eine Betriebsräte-Versammlung zu dem Thema „Arbeiten ohne Ende – Erleb’ ich noch die Rente?“, sagte auf einer Pressekonferenz der mittelfränkische DGB-Vorsitzende Stephan Doll: „Der Kuchen wird immer größer, aber wir kriegen immer weniger davon ab.“ Doll bezeichnete die Rente mit 67 – bei offiziell vier Millionen Arbeitslosen – als „schizophren hoch drei“ und kündigte weiteren Widerstand an gegen
„eine Politik, die gegen die Menschen gemacht wird“. Der 1. Bevollmächtigte der IG Metall Nürnberg, Gerd Lobboda, bezeichnete die Rentenpläne von Bundesarbeitsminister Franz Müntefering als „hin-
Briefe mit trockenem Brot IG BAU protestiert gegen Rente mit 67
Mit ungewöhnlichen Aktionen protestiert die Industriegewerkschaft BauenAgrar-Umwelt (IG BAU) in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gegen die Rente mit 67. Zum einen schickte die Gewerkschaft an die Bundestagsabgeordneten in diesen Tagen Briefe mit trockenem Brot, um auf die finanziellen Nachteile für viele Betroffene aufmerksam zu machen. Zum zweiten will sie Abgeordnete für einen Tag auf Baustellen oder Steinbrüche einladen, damit diese aus erster Hand erleben, was die Erhöhung des Renteneintrittsalters für viele hart arbeitende Menschen bedeutet. Mit den Aktionen wolle die IG BAU die Politiker bewegen, im neuen Jahr gegen die Rente mit 67 zu stimmen, sagte ihr Regionalleiter Mitteldeutschland, Ingo Thaidigsmann, in Magdeburg. „Die wenigsten Menschen erreichen das reguläre Renteneintrittsalter von 65 Jahren. Die Rente mit 67 trifft die Arbeitnehmer in Ost- und Mitteldeutschland besonders hart. Hier werden viele Menschen künftig eine Rente erhalten, die auf Grund
von Niedrigstlöhnen und Arbeitslosigkeit nur noch knapp über der Mindestrente liegt.“ Für die meisten Arbeiter am Bau, im Forst, in Zementwerken und Steinbrüchen und Gebäudereinigerinnen würde die vom Bundeskabinett beschlossene Erhöhung des gesetzlichen Rentenalters auf 67 Jahre zu einer drastischen Kürzung ihrer Rentenansprüche führen. Ihre Arbeit ist so hart, dass schon heute nur die wenigsten bis zu ihrem 65. Lebensjahr berufstätig bleiben können. Erwerbsminderungsrenten bekommen viele von ihnen aber nicht, weil sie jetzt auf rein theoretische andere Beschäftigungsmöglichkeiten bis zu 6 Stunden am Tag verwiesen werden, obwohl es solche Jobs am Arbeitsmarkt überhaupt nicht gibt. Auch die Schwerbehindertenrente gibt es jetzt erst später. 45 Beitragsjahre, um früher abschlagsfrei in Rente gehen zu können, schaffen die meisten von ihnen ebenfalls nicht, denn Zeiten der Arbeitslosigkeit werden dabei nicht mitgezählt.
terlistig“, da sie in Wirklichkeit ein „gigantisches Rentenkürzungs-Programm“ seien. „Wir werden diese Politik nicht hinnehmen“, betonte Lobboda. Mehrere Betriebsräte von mittelfränkischen Be-
trieben erklärten auf der BetriebsräteVersammlung, dass sie sich die Rente mit 67 bei der heutigen betrieblichen Situation absolut nicht vorstellen können. Schon heute seien, nicht nur im Drei-SchichtBetrieb, die Beschäftigten mit 57 und 58 Jahren „vollkommen fertig“. So berichtete ein Betriebsrat von Nestle-Schöller, dass schon jetzt Frauen, die 35 oder 40 Jahre am Band gearbeitet haben, mit 500 Euro in Rente gehen – „In welcher Gesellschaft leben wir denn?“ Und ein Betriebsrat von Frankenbrunnen schilderte: „Kaum einer, der im Drei-Schicht-Betrieb arbeitet, schafft es bis 65. Fast jeder muss aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand. Und es ist traurig, welche Abschläge der dann selbst nach 40 Betriebsjahren hinnehmen muss.“ Deshalb betonte mittelfränkische DGBVorsitzende Stephan Doll, wolle der DGB in den kommenden Monaten „weiter Druck auf allen Ebenen machen“ um die Politik zum „Einlenken zu zwingen“. W. T.
„Schloss Sanssouci für kleine Prinzen“ Welcher DDR-Bürger hätte 1989 das geglaubt, was jetzt in Potsdam als bezeichnende Randerscheinung einer klaren Klassengesellschaft das Licht der „Welt der Reichen“ erblickt. Dort entsteht in der denkmalgeschützten „Villa Ritz“ eine staatlich subventionierte „Nobel-Kita“ für Reiche. Eine Pädagogin auf sieben Kinder, Unterricht in mehreren Sprachen, aber auch „tugendhaftes Verhalten“ und „Sinn für Ästhetik und Schönheit“ sollen beigebracht werden. Betrachtet man sich die Berufe der fünf Gründungsgesellschafter, Steuerberater, Investmentbanker und Psychologen, wird der „Lehrstuhl: Ehrlich währt am längsten“ nicht aufgelegt werden. Und schaut man sich nur die bekannt gewordenen Vorstands-Bereicherungsorgien, die ständigen Bestechungsaffären aus den oberen Etagen oder auch ihre unterschiedlichen Arten von Betrug an, so kann man sich ein Bild machen von dem potentiellen Eltern-Reservoir für das „Schloss Sanssouci für kleine Prinzen“, wie die Kita schon heute genannt wird. „Wir möchten, dass Sie als Familie ihre wertvolle Zeit mit ihrem Kind verbringen
und gleichzeitig ihrem zeitintensiven Job nachgehen können“, schreiben die Gesellschafter an ihre dünkelhafte HighSociety-Kundschaft. Zwischen 500 und 1 000 Euro soll die Betreuung im Monat kosten. Schamlos kassieren sie die 84 Prozent gesetzlichen Landeszuschuss für das „pädagogisch notwendige Personal“. Doch was ist pädagogisch notwenig? Reicht eine Erzieherin – oder muss es eine Pädagogin mit Uni-Abschluss sein? Das lässt das Gesetz offen. Jugendamtsleiter Norbert Schweers argumentiert: „Die Stadt trägt auch Verantwortung für wohlstandsverwahrloste Kinder. Es ist doch besser, wenn sie zusammen mit Gleichaltrigen in einer Kita als von einer Gouvernante betreut werden.“ Nun kann man nur hoffen, dass in Potsdam die armen anständigen Kinder von Harz-IV-Empfängern nicht mit den verwahrlosten Kindern der oberen Zehntausend zusammen gezwängt werden und eventuell so werden müssen, wie diese. Rolf Knecht
Angriff auf unseren Lohn!
Das Entgeltrahmenabkommen (ERA) und der Stand in den Betrieben Die Unternehmer der Metall- und Elekto-Industrie haben sich zu einer Lohnsenkungsoffensive zusammengetan. Allen voran Siemens, berühmt und berüchtigt, schlägt den Takt bei der Einführung des neuen ERA. Aus den Tochterbetrieben wie BoschSiemens und Osram ist zu hören, dass mehr als die Hälfte der neuen Eingruppierungen so genannte „Überschreiter“ sind (siehe Kasten). Auch Nachfolgebetriebe wie Oce in Poing bei München oder Liteco, die noch die Siemens-Arbeitsbewertung (SAB) im Arbeiterbereich haben, sind im Fahrwasser von Siemens, der offensichtlich die Vorgaben macht.
Niemand bekommt weniger Das verkündeten die Tarifvertragsparteien. Über drei Jahre wurden uns aber schon Prozente aus den Tarifrunden vorenthalten, die in betriebliche Ausgleichskonten flossen, um den Unternehmern Kostenneutralität bei der Einführung vom ERA zu sichern. Wir haben also schon vorgelegt. Das ERA kommt fortschrittlich daher, denn es hebt endlich die Trennung zwischen Arbeitern und Angestellten auf. Die Arbeitsprozesse im industriellen Wandel habe das längst vorweggenommen. Aber es ist erstmal gut, dass diese Gruppen im Betrieb nicht mehr getrennt
sind, denn das gibt die Möglichkeit des gemeinsamen Kämpfens. Die manuelle Arbeit ist auf dem Rückzug, was zu begrüßen ist. Die bisherigen Arbeitsbewertungssysteme drückten den Lohn vor allem bei minder qualifizierten Tätigkeiten („Leichtlohngruppen“). Nun wird der Hebel angesetzt, wo wenig Widerstand zu erwarten ist und wo die Zahl der Beschäftigten relativ zunimmt – bei den Ingenieuren und Technikern. Das ERA wird schon seit mehreren Jahren verhandelt. Es ist ein Tarifvertrag, der nicht durch Kampf zustande gekommen ist, sondern am grünen Tisch. Dieses „Jahrhundertwerk“ wird nun eingeführt in einer Situation, da die Gewerkschaften mit dem Rücken an der Wand stehen! Der Flächentarif ist in Auflösung, in Hunderten Ergänzungstarifverträgen wurde vereinbart, dass die Kollegen unbezahlte Arbeit zu leisten haben – in so einer Situation durfte das ERA keine Unterschrift der IG Metall bekommen! Bei ver.di im öffentlichen Dienst ist Ähnliches in Vorbereitung!
Unruhe ist Pflicht! Jede Belegschaft ist auf sich gestellt. Zuerst sind also die Betriebsräte gefordert. Sie haben ein Mitbestimmungsrecht und müssen den Eingruppierungen zustimmen. Da ist es hilfreich, wenn die Kolle-
gen sich beim Betriebsrat über den Stand informieren, besser kollektiv, wie es die Kollegen von MAN Turbo in Oberhausen gemacht haben. Sie haben so ihre Sache in die eigenen Hände genommen! Oder die Siemens-Sekretärinnen, die auf einer Betriebsversammlung massiv gegen das Management protestiert haben.
Was tun bei Abgruppierung? Schon jetzt muss der Betriebsrat unterstützt werden bei der Beurteilung der Eingruppierungen, die ihm vom Unternehmer vorgelegt werden. Wir können gemeinsam zum Betriebsrat gehen, um mit ihm die abgeforderten Tätigkeiten zu diskutieren, was für ihn sehr hilfreich ist. Er muss sein Mitbestimmungsrecht nutzen, um zu widersprechen. Nach erfolgter Eingruppierung kann individuell widersprochen werden. Die Gewerkschaft ist in die Pflicht zu nehmen, um uns bei Klagen vor dem Arbeitsgericht zu unterstützen. Sie ist auch notwendig als Sammelpunkt des Widerstands! Mehrwertsteuer und ERA – die kommende Metalltarifrunde muss genutzt werden, um den Lohnraub durch Regierung und Kapital aufzuhalten. Aus „AufDraht“ Dezember-Ausgabe, Zeitung der DKP München und Gruppe Kommunistische Arbeiterzeitung München
Das ist der Stand in anderen Betrieben MAN Turbo AG Oberhausen: Die Auslastung ist bis 2009 gesichert. Es finden keine Abgruppierungen statt. Das Management will wohl nicht provozieren. Und die Kollegen waren aktiv. DaimlerChrysler Untertürkheim: Dort gilt der ERA für Baden Württemberg. Alle Montagearbeiter sollen in die Entgeltgruppe 5 (Angelernte) kommen, was eine Abgruppierung bedeutet. (FR, 30. 10. 2006) Hier passiert eine gewollte Entwertung von erworbener Qualifikation. Mercedesfahrer Achtung!, sollten die Kollegen ihre Qualitäten nun für sich behalten. MTU München: Es gibt fast 2 000 Widersprüche des Betriebsrates. In Ludwigsfelde (Brandenburg) ist die Belegschaft sauer, bei mehr als der Hälfte (275) hat der Betriebsrat widersprochen. (FR, 30. 10. 2006) Heizungsbauer Viessmann: Zwei Drittel der 3 600 Beschäftigten wurden tiefer eingestuft. Hyco Pacoma: 90 Prozent der 452 Beschäftigten sollen niedriger eingruppiert werden. Die Kollegen fordern nun Mitwirkung bei der Erstellung der Arbeitsbeschreibungen. (FR, 16. 11. 2006) Siemens: Der bayerische IG-Metall-Bezirksleiter Neugebauer nennt als Beispiel 100 Siemens-Sekretärinnen, die niedriger eingestuft werden sollen. Angestellte sollen bis zu 500 Euro niedriger eingruppiert werden. Er rechnet für Siemens mit 30 000 bis 40 000 Widersprüchen. (FR, 30. 10. 2006) Von Siemens-COM in München-Martinstraße ist zu hören, dass der Betriebsrat 800 Widersprüche verfasst hat. Aveva Sachsenwerk Regensburg: Ein Kollege berichtet: „Bei uns ist der momentane Stand so, dass das Kapital über 6 Prozent der Lohnkosten durch die Einführung von ERA spart. 70 Prozent der Beschäftigten sind Verlierer (ERA-Überschreiter). Von 220 Kollegen, die die Facharbeiterlohngruppe 7 haben, werden sich in Zukunft noch 22 in der vergleichbaren ERA-Entgeltgruppe 5 wiederfinden, alle anderen werden abgestuft. Besonders betroffen sind Arbeiter im Akkord (sehr hoher Organisierungsgrad) und Angestellte.“
Freitag, 5. Januar 2007
unsere zeit
Wirtschaft, Gewerkschaft, Soziales / Seite 5
Metaller kritisieren Rentenpläne
Merkels IT-Gipfel
Öffentlichkeit und Datenschützer blieben außen vor „Wir brauchen Mut zu Leuchtturmprojekten auch bei hoch innovativen technologischen Anwendungen“ dichten die „hochrangigen“ Teilnehmer von Merkels Gipfel zur Informationstechnik am 18. Dezember 2006 in ihrer Abschlusserklärung (http://www.bundeskanzlerin.de/Content/DE/Artikel/2006/12/Anlagen/2006-12-18-it-abschlusserklaerung,property=publicationFile.pdf). Die Anti-Marxistin Merkel hat sich mal wieder dran gemacht, jenes Wort von Marx wahr zu machen, wonach der Staat ein Ausschuss der Bourgeoisie zur Verwaltung ihrer Geschäfte ist: „Ich glaube, wir haben heute eine Tür dazu aufgestoßen, dass in Deutschland die Unternehmen in der IT-Branche zusammen mit der Politik sich besser vernetzen.“ Auf der Abschlusserklärung prangt neben dem mickrigen Logo der Bundesregierung klotzig das Logo des Hasso-Plattner-Instituts, des einzigen vollständig von der Wirtschaft finanzierten Uni-Instituts in Deutschland. Hasso
Plattner steht für die Softwarefirma SAP, die er gegründet hat. Das Institut in Potsdam war Austragungsort des Gipfels. Die Gipfelthemen wurden in Arbeitsgruppen vorbereitet. Deren Zusammensetzung ist nur wenigen bekannt. Auf jeden Fall hatte sich die Industrie die wichtigsten Positionen gesichert. So geht es unter dem beschönigenden Titel „e-Health“ um die elektronische Patientenkarte, die ebenso wie die Personalausweise von der weltweit operierenden Firma Gieseke & Devrient produziert und global vermarktet werden sollen. Wirtschaftsminister Glos ergänzte gegenüber dem ZDF: „Oder auch die Job-Karte, wo man besser überwachen kann, wer legal, wer illegal arbeitet.“ Der frühere Innenminister Schily hat sich ebenfalls mit dieser „Sicherheits“industrie verbandelt. Die entsprechende Arbeitsgruppe wurde denn auch von einem Vertreter dieser Firma geleitet. Die Bundesregierung will die rechtli-
chen und technischen Rahmenbedingungen für die Branche der Informationsund Kommunikationstechnik verbessern, „die Integration Bürger und Staat beschleunigen und eine sichere Informationsgesellschaft schaffen“, wo wir wieder beim Personalausweis mit biometrischen Daten sind. Ein einheitliches Bundesmelderegister, das in den 1970er Jahren noch abgewehrt werden konnte, wird nun zurechtgezimmert: „Der Ausbau einer hocheffektiven öffentlichen Verwaltung wird durch moderne IKT-Lösungen vorangebracht: mit einem bürgerfreundlichen Bundesmelderegister als Hilfestellung für die sichere und eindeutige Identifikation und Authentifizierung bei elektronischen Geschäftsprozessen, dem fälschungssicheren elektronischen Personalausweis sowie der Einrichtung von digitalen Bürgerportalen und einheitlichen Telefonservicenummern zur leichteren und schnelleren Nutzung von Dienstleistungen der öffentlichen Hand.“
Bei soviel Bürgerfreundlichkeit verblüfft nur eines: Weder das Parlament noch die Zivilgesellschaft noch ein Datenschützer waren in irgendeiner Weise an Merkels Gipfel beteiligt. Da hätte sich Kritik regen können an der Art, wie die Kanzlerin „Weltspitze“ erreichen möchte. Auch in Zukunft bleibt das Fußvolk ausgesperrt, denn es sind auch weiterhin nur „hochrangige“ Arbeitsgruppen und Gesprächskreise vorgesehen. 2007, nach Erledigung von Details, geht es auf der CeBit-Messe in Hannover weiter. Für die Leuchtturmprojekte werden „stringente Umsetzungskonzepte“ erarbeitet. Im wichtigsten dieser Projekte soll die US-amerikanische Suchmaschine Google durch ein echt europäisches Produkt namens Theseus alias Quaero ausmanövriert werden. Um das hinzukriegen, setzen die Gipfelstürmer auf den Import von IT-Fachleuten von außerhalb der EU, denn hierzulande herrsche daran ein großer Mangel. Wolf Goehring
„Wir müssen uns 2007 doppelt anstrengen“ Die Profitexplosion im letzten Jahr reicht der Kanzlerin noch nicht
Es herrscht Champagnerlaune in den Vorstandsetagen. In den letzten Monaten versuchten sich die „führenden Wirtschaftsforschungsinstitute“ mit immer höheren Wachstumsprognosen zu übertreffen. Es ging darum das Weihnachtsgeschäft, das in diesem Jahr durch zum Jahreswechsel in Kraft getretene, drastische Mehrwertsteuererhöhung mitbeflügelt wurde, auch durch ein Bündel von Wachstums-, Arbeitsplatz- und Lohnerhöhungsphantasien zusätzlich zu befördern. Für die ganz Glaubensstarken kündigte der SPD-Vorsitzende Beck gar ein Ende der Reformen an. Dass es sich bei den kühnen Bemerkungen Kurt Becks, außer der erhofften Wirkung auf den Geschäftsklimaindex, substantiell um die standardisierte sozialdemokratische Seelenmassage handelt, hat die Kanzlerin umgehend in ihrer pastoralen Neujahrsbotschaft kundgetan. „Reformen zahlen sich aus“, hieß die Leitbotschaft Merkels. Der milde konjunkturelle Aufschwung von etwa 2,4 Prozent der sich nach fünf Jahren der Stagnation in einer, durch die miserablen Bundestags-Wahlergebnisse veranlassten, taktischen „Reformpause“ mühsam seinen Weg bahnen konnte, muss nicht nur als Motiv für Verkaufsförderung, sondern auch als Begründung für weitere „Reformanstrengungen“ herhalten. Und die sollen auch im nächsten Jahr weitergehen. „Wir” (!) müssten „uns also 2007 schlichtweg doppelt anstrengen (...) für die Fortsetzung des wirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland“, so Merkel. Dass „wir“ seit Jahren Exportweltmeister sind und sich dieser Umstand nahezu ausschließlich bei den zu Investoren geadelten Spekulanten und allenfalls noch in den Taschen ihrer Geschäftsführer „auszahlt“, macht der brandenburgischen Pfarrerstochter keine Kopfschmerzen. Im Gegenteil: Die „Steuerbelastung für einbehaltene Gewinne der Kapitalgesellschaften soll ab 1. Januar 2008 unter Einschluss der Gewerbesteuer auf unter 30 Prozent gesenkt werden“. Gleiches sei auch für Personengesellschaften geplant. „Internationale Kapitalanleger“ möchte die Kanzlerin mit einer Abgeltungssteuer von 25 Prozent auf Zinsen und Dividenden ködern. Und dem unter dem neoliberalen Formierungskurs leidenden „Mittelstand“ möchte man mit Erleichterungen im Erbschaftssteuerrecht zumindest ein gewisses Trostpflaster zukommen lassen. Damit wäre für die Unternehmenssteuer Kirchhof realisiert (ohne Kassierung der Schlupflöcher). Der Kurs der Verlagerung der Staatsfinanzierung weg von der (direkten) Unternehmensbesteuerung zu den (indirekten) Massenverbrauchssteuern wäre ein
Mit Flugblättern, Info-Ständen, Fragebogen- und Unterschriftenaktionen haben am 14. 12. 2006 Metaller in vielen Betrieben und Städten im Südwesten die Beschäftigten über die Pläne der Bundesregierung informiert. Darunter u. a. mehrere Daimler-Standorte, Bosch-Betriebe, Mahle, Hugo Boss, Johnson Controls, König Metall, Hirschmann, Heller, Metabo und Dürr Systems. Im Mittelpunkt der Kritik steht die Erhöhung des Rentenzugangsalter auf 67 und das geplante ersatzlose Auslaufen der Altersteilzeit im Jahr 2009. IG-Metall-Bezirksleiter Jörg Hofmann kritisierte die Rentenpolitik der Bundesregierung als „völlig verfehlt“. Die Regierungspläne seien ein „Angriff auf die Gesundheit der Beschäftigten“ und eine „Rentenkürzung durch die Hintertür“. Die künftigen Rentner seien zudem von Altersarmut bedroht. Während die derzeitige zu erwartende Durchschnittsrente eines Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie bei etwa 950 Euro liege, drohe diese bei Umsetzung der Regierungspläne auf unter 700 Euro abzusinken. „Davon kann niemand leben.“ Es sei entwürdigend, wenn „Menschen, die ein Leben lang in die Rentenkasse einbezahlt haben, knapp über Hartz-IV-Niveau in die Rente robben müssen“, so Hoffmann.
Neues Steuergesetz beschert Großkonzernen Milliardensummen Das neue Körperschaftssteuergesetz beschert deutschen Großunternehmen Milliardensummen. Alleine die drei Konzerne Allianz, Münchener Rück und RWE verbuchen in diesem Jahr wegen der neuen Steuerregeln Sondererträge von zusammen 1,5 Milliarden Euro. Die Allianz werde einen Sonderertrag von 500 Millionen Euro verbuchen, sagte eine Sprecherin. Bei der Münchener Rück sind es 400 Millionen Euro. RWE hatte bereits am 12. 12. 2006 bekannt gegeben, dass der Sonderertrag bei rund 600 Millionen Euro liegen werde. Die Allianz rechnet weiter mit einem Gewinn von mindestens sechs Milliarden Euro und damit mindestens 36 Prozent mehr als 2005. RWE geht von einem Gewinnanstieg um mindestens 40 Prozent im Vergleich zu den 2,2 Milliarden Euro im vergangenen Jahr aus. Die Münchener Rück kalkuliert weiter mit einem Überschuss zwischen 3,2 und 3,4 (2005: 2,7) Milliarden Euro. Demnach werden die drei Großkonzerne in diesem Jahr mindestens 12,3 Milliarden Euro nach 9,3 Milliarden Euro in 2005 verdienen.
Grässlin stellt Strafanzeigen gegen Daimler-Chef Zetsche Foto: dpa
Champagnerlaune auch bei den Börsenmaklern, die am 29. 12. 2006 in der Börse in Frankfurt am Main auf die hervorragende Jahresbilanz 2006 des Deutschen Aktien-Index (DAX) anstoßen. großes Stück vorangebracht. Die Funktion des Staates als „Unterdrückungsinstrument der jeweils herrschenden Klasse“ bedeutet ja nicht, dass diese „herrschende Klasse“ ihr „Unterdrückungsinstrument“ auch selbst finanzieren muss. Mit der Durchsetzung neoliberaler Strukturen ist die „herrschende Klasse“ da ganz anderer Meinung. Die Großaufgabe heißt also weiterhin: „weitgehende Befreiung des Finanzkapitals von den Unterhaltskosten des Staats- und der Sozialsysteme“. Dennoch standen die schwarz-rosa Großkoalitionäre vor der Notwendigkeit, eine Zwischenkorrektur vor allem bei den Staatsfinanzen anzubringen. Dessen brachiale Unterfinanzierung unter Eichel hatte den propagandistischen Zweck, in einem der reichsten Staaten der Erde, bei wachsendem Bruttosozialprodukt, die Notwendigkeit des „Sparens“, also des Sozialabbaus, und der weiteren Massenbelastungen zu begründen. Bei Beibehaltung und Verschärfung dieses Kurses drohten die eigenen ökonomischen Rahmenzieldaten (Maastricht) dauerhaft in Gefahr zu geraten. Daher war eine gewisse finanzpolitische Konsolidierungsphase erforderlich, die vor allem die fiskalischen Voraussetzungen für einen weiteren „Reformschub“ schaffen soll. Die schwarz-rosa Hoffnungen, die ge-
planten weiteren Steuersenkungsmaßnahmen im Windschatten eines „selbstragenden Aufschwungs“ durchwinken zu können, dürften allerdings auf nicht allzu festen Boden gegründet sein. Realwirtschaftlich kann trotz leicht verbesserter Arbeitslosenzahlen primär von einer immensen, konjunkturpolitisch eher zweifelhaften Profitexplosion gesprochen werden. Auch wenn im letzten Jahr wieder ein Anstieg der Anlageinvestitionen vermeldet wurde, ist das Wachstum doch weitgehend exportinduziert, also vom Wirtschaftswachstum anderer Volkswirtschaften abhängig. Zwar sind die Wachstumsraten der BRIC- Staaten (Brasilien, Russland, Indien, VR China) nach wie vor auf strammem Wachstumskurs, aber deren Anteil am Welt-BSP (Bruttosozialprodukt) liegt (noch) bei nur etwa 10 Prozent, doch die größte Volkswirtschaft der Welt, USA, (28 Prozent des Welt-BSP) befindet sich seit Beginn dieses Jahren konjunkturell im Sinkflug (von 5,6 auf 2 Prozent). Es ist kaum zu erwarten, dass dies die exportorientierte deutsche Wirtschaft (6 Prozent Welt-BSP) unbeeindruckt lässt. Dazu kommt, dass die schon lange prognostizierte Verschiebung des Währungsgefüges zu Lasten des Euro in diesem Jahr schon deutlich spürbar ist. Der Euro wurde gegenüber dem Dollar um
13 Prozent und gegenüber dem Yen um über 10 Prozent aufgewertet. Die absehbare Politik der EZB wird diesen Trend noch weiter stützen. Den weitaus größten Teil ihres Exports wickelt die deutsche Wirtschaft, zu Lasten ihrer Nachbarn, ohnehin innerhalb der EU ab. Dies hat dort zu erheblichen wirtschaftlichen Problemen geführt. Der Hauptverbündete Frankreich sieht sich angesichts des deutschen Aufschwungs mit einem Nullwachstum konfrontiert. So ist die Wachstumseuphorie des deutschen Imperialismus eine widersprüchliche Angelegenheit. Seine Stärke ist die Schwäche der anderen und verkehrt sich politisch in ein zunehmendes Integrationshindernis. Ob die EU, „Europäer in Siegerlaune“ (Handelsblatt), so die USA als „Weltkonjunkturlokomotive“ ablösen können, darf bezweifelt werden. Bleibt der von Beck in Aussicht gestellte „kräftige Schluck aus der Pulle“. Lohnfragen sind bekanntlich Machtfragen. Angesichts der seit Jahren durchgesetzten Reallohnverluste setzte die zur Stabilisierung der Konjunktur erforderliche Verbesserung der Massenkaufkraft – außer als Akt konzertierten Sozialpaternalismus’ – eine neue Qualität gewerkschaftlicher Mobilisierung voraus. Trotz „Siegerlaune“, hier wird nichts verschenkt werden. Klaus Wagener
Der Sprecher der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler (KADC) und Freiburger Buchautor, Jürgen Grässlin, hat am 18. 12. 2006 bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart Strafanzeige gegen den Vorstandsvorsitzenden der Daimler Chrysler AG, Dr. Dieter Zetsche, sowie vier weitere Mercedes-Mitarbeiter und -Händler erstattet. Die Strafanzeigen wurden wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage bzw. des Meineides, des Betruges und der Untreue gestellt. Hintergrund sind die dem Buchautor Grässlin durch seine umfangreichen Recherchen vorliegenden neuen Unterlagen, die seiner Ansicht nach eindeutig belegen, dass führende Mercedes-Mitarbeiter und -Händler aktiv in Graumarktgeschäfte verwickelt gewesen sind – dies jedoch vor Gericht nicht offengelegt haben.
IG BCE fordert 6,5 Prozent mehr Einkommen Für die 75 000 Beschäftigten in der baden-württembergischen Chemieindustrie fordert die IG BCE 6,5 Prozent mehr Lohn. Mit dieser Forderung gehe man in die Tarifrunde, teilte die IG Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) am 14. 12. 2006 in Stuttgart mit. Landesbezirksleiter Ralf Stockheim sagte, damit werde die Produktivitätsentwicklung der Branche berücksichtigt und neben der zu erwartenden Preissteigerung eine reale Einkommenserhöhung sichergestellt. Die Verhandlungen beginnen am 23. Januar in Karlsruhe.
Seite 6 / Innenpolitik
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Freitag, 5. Januar 2007
Bundesrepublik steigt in Weltraumrüstung ein Erster Spionagesatellit gestartet
Der erste deutsche Spionagesatellit des SAR-Lupe-Systems wurde am 19. Dezember 2006 in einer Umlaufbahn ausgesetzt. Die russische Cosmos-3M-Trägerrakete startete planmäßig vom russischen Weltraumbahnhof Plesetsk südlich von Archangelsk und brachte den ersten von insgesamt fünf Radarsatelliten in seinen erdnahen Orbit in cirka 500 km Höhe. Hauptauftragnehmer des Bundesamts für Wehrtechnik und Beschaffung BWB ist die Bremer Firma „Orbitale Hochtechnologie AG“ (OHB). Sie entwickelte das Gesamtsystem und hat dabei die Federführung über ein Konsortium bekannter europäischer Raumfahrtunternehmen übernommen. 2003 hatte der russische Rüstungsexporteur Rosoboronexport am Rande der Luftschau
MAKS in Schukowski bei Moskau mit der COSMOS International Satellitenstart GmbH einen Vertrag abgeschlossen, wonach Russland insgesamt fünf SAR-Lupe-Satelliten ins All starten soll. Dem ersten Satelliten werden die weiteren in Abständen von vier bis sechs Monaten folgen. 2008 soll SAR-Lupe voll funktionsfähig sein. Jeder Ort auf der Erde kann dann gezielt – unabhängig vom Wetter und von der Tageszeit – „aufgeklärt“ werden. Objekte von einem halben Meter Größe würden so aus dem All identifizierbar. Die Technologie (Kosten 733 Millionen Euro) sei so ausgereift, dass ihre Bilder mit denen der USA vergleichbar würden und im Tausch angeboten werden könnten. Deutschland werde damit zum Global Player in diesem Bereich, betonten die
Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, Lühr Henken und Peter Strutynski, in einer Presseerklärung anlässlich des Starts des ersten deutschen Spionagesatelliten. Mit dem neuen Satellitensystem verfügt die Bundeswehr zudem künftig über eigene Möglichkeiten zur „strategischen Aufklärung“ und damit über eine verbesserte Führungsmöglichkeit bei Auslandseinsätzen. In drei Jahren soll dieses System mit dem optischen und auf Infrarotbasis arbeitenden französischen Helios-II-Satelliten verkoppelt werden. Die Verteidigungsministerien von Frankreich und Deutschland hatten ein entsprechendes Abkommen im Rahmen eines deutschfranzösischen Gipfeltreffens vor vier Jahren in Schwerin beschlossen. Die
Foto: dpa
Am 19.12. wird im Plesetsk-Kosmodrom in Archangelsk die 3M-Trägerrakete mit dem deutschen Spionagesatelliten SAR Lupe für den Start aufgerichtet. OHB-System AG betonte in einer Mitteilung vom 1. Dezember 2006: „Die Nutzung der beiden Satellitensysteme im Verbund gilt als erster Meilenstein für eine europäische strategische Aufklärung.“ SAR-Lupe wird Bestandteil des „Europäischen Aufklärungsverbunds“. Lühr Henken (Hamburg) und Peter Strutynski (Kassel) stellten in der Presseerklärung des Bundesausschusses Friedensratschlags fest: „Damit wird der Einstieg in die EU-Weltraumrüstung unter deutsch-französischer Führung vollzogen. Der autonome Einsatz der schnellen Eingreiftruppen der EU und ihrer Speerspitze, den Battlegroups, wird effektiviert, und zwar unabhängig von den USA. In der Produktbeschreibung des Herstellers heißt es über SAR-Lupe unmissverständlich: ‚Für die Bundesregierung ist es unerlässlich, krisenhafte Entwicklungen weltweit frühzeitig zu erkennen, und dabei einseitige Abhängigkeiten von Aufklärungsbildern Dritter zu vermeiden.’ Grafik: dpa
So funktioniert das Satelliten-Aufklärungssystem der Bundeswehr. Der Satellit nimmt das Zielgebiet auf (Punkt neben dem Ende der gestrichelten Linie) und sendet die Daten an die Bodenstation in Gelsdorf bei Bonn (Antenne). Der erste von insgesamt fünf Satelliten wurde jetzt ins Weltall geschossen werden. Das Gesamtsystem soll 2007 voll einsatzfähig sein.
Die Länder der Welt müssen sich nun auch von der EU bedroht fühlen. Dies wird zu Gegenmaßnahmen führen, die letztlich auch die Bekämpfung dieser Satelliten einbezieht. Dabei wird es nicht
nur um die Störung von Satelliten, sondern auch um deren Zerstörung gehen. Militärische Satelliten werden Weltraumwaffen nach sich ziehen. Die logische Konsequenz ist dann die Herstellung von Anti-Satelliten-Waffen und Anti-Anti-Satellitenwaffen usw. – auch der Weltraum bliebe von Waffen nicht verschont. Damit handeln Bundesregierung und EU eklatant gegen die Forderung der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die in einer Resolution (der damals auch Deutschland zustimmte) ‚alle Staaten, insbesondere die führenden Raumfahrtnationen (nachdrücklich auffordert), aktiv zu dem Ziel der Verhütung eines Wettrüstens im Weltraum beizutragen’. (Res. A 51/123: ‚Internationale Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung des Weltraums’vom 13. Dezember 1996, Ziffer 33)“ Gefordert wird durch die Friedensbewegung, das SAR-Lupe- Projekt zu „entmilitarisieren“. Dies heißt, die Aufklärungssatelliten ausschließlich zu zivilen Zwecken zu nutzen, SARLupe dem Geschäftsbereich des Bundesverteidigungsministeriums zu entziehen und der internationalen Gemeinschaft öffentlich zugänglich zu machen. Nina Hager
Der „gläserne“ Patient? Elektronische Gesundheitskarte in der Testphase
Mit einem Jahr Verzögerung wurde jetzt in Schleswig-Holstein die bundesweite Testphase für die Einführung der neuen elektronischen Gesundheitskarte gestartet. In Flensburg erhielten die ersten Freiwilligen diese unter Ärzten und Patientenvertretern, aber auch vor allem unter Datenschützern umstrittene E-Card. In der ersten Testphase sollen in Schleswig-Holstein und in Sachsen zunächst jeweils 10 000 Versicherte die E-Card erhalten. In einem weiteren Schritt sollen Anfang 2007 andere Testregionen in Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz folgen. Die Gesundheitskarte ist mit einem Mikroprozessor, einer neuen lebenslang gültigen Versichertennummer und einem Lichtbild versehen. Sie soll zunächst nur elektronische Rezepte sowie die Notfalldaten der Patienten speichern. Die Karte ist aber technisch in der Lage weitere Zusatzfunktionen wie das Speichern ganzer Patientenakten und von Arztbriefen zu erfüllen, auch digitalisierte Bilder von Röntgenaufnahmen, CT- bzw. MRT-Untersuchungen können gespeichert werden. Ab Mitte 2007 soll die Gesundheitskarte flächendeckend eingeführt werden. Die Kosten werden auf 1,4 bis 1,6 Milliarden Euro veranschlagt. Sie sollen sich innerhalb von fünf Jahren amortisiert haben, weil – so die Hoffnung der Befürworter – Doppel- oder Mehrfachmedikationen und „überflüssige“ Behandlungen zu hohen Spareffekten führen.
Gravierende Bedenken und Einwände Doch die Einwände gegen die Einführung der Gesundheitskarte sind gravierend. Neben der Kostenfrage, die vor allem die Ärzteschaft skeptisch macht, denn die Praxen müssen ja die entsprechenden Investitionen für die Einführung der Lesegeräte weitgehend selbst übernehmen, stellen sich für die Patienten sehr dringliche Fragen. Wer garantiert den Datenschutz? Was geschieht, wenn der „gläserne Patient“ sich bei Einstellungsuntersuchungen von einem Betriebsarzt quasi „nackt bis aufs Hemd“ mit seiner gesamten Krankheitsgeschichte präsentiert? Was geschieht, wenn bei geplanten Rationalisierungsmaßnahmen mit einem einfachen Mausklick eine Belegschaft nach bestimmten Krankheitsbildern durchleuchtet und selektiert wird? Was geschieht, wenn jemand eine (Lebens-)Versicherung abschließen will und dann gegebenenfalls ein Vertrauensarzt ebenfalls mit einem Klick die gesamte Krankheitsgeschichte aufblättern kann und dann auch Versicherungsbewerber aussiebt? Was geschieht mit Patienten, die „empfindliche“ psychiatrische oder psychotherapeutische Diagnosen während zeitweiliger Krisensituationen erhalten haben, die sie nun ihr gesamtes Leben auf der E-Card begleiten? Wer garantiert, dass die Daten wirklich nur für Gesundheits- und Behandlungszwecke bei den Krankenkassen und Ärzten verbleiben?
Wer behält die Daten-Hoheit? Diese Fragen wurden jetzt bei einer Befragung von 277 IT-Experten durch das Marktforschungsinstitut „Wegweiser GmbH“, die vom Verband der Krankenhausdirektoren, dem Hartmannbund und verschiedenen Industrieverbänden unterstützt wurde, jedoch kaum behandelt. Bei ihnen sind die Erwartungen an die Gesundheitskarte vor allem wegen des erwarteten „erheblichen Potentials für Effizienzverbesserung“ hoch geschraubt. 86 Prozent der Experten erwarten eine „Prozessoptimierung“ sowie eine verbesserte Kooperationsmöglichkeit unter den „Leistungserbringern“ (80 Prozent).
Anders ist die Stimmung unter Ärzten und Psychotherapeuten. Die Bedenken sind massiv. Bei einer Delegiertenversammlung der Ärztekammer Nordrhein wurde Anfang Dezember gegen nur eine Gegenstimme ein 5-Punkte-Katalog beschlossen, der Bedenken und Forderungen an die Einführung der Gesundheitskarte zusammenfasste. Stärkere Gewichtung ärztlicher Belange; in und nach der Testphase muss die Transparenz erhöht und die Ergebnisse ihrer Auswertung, ihre Evaluation, müssen ebenfalls transparenter werden. Die technische Sicherheit im Umgang mit den empfindlichen Patientendaten muss vor allem im stationären Bereich erhöht werden. Nur die
Foto: dpa
Das Modell einer Gesundheitskarte mit ihrem Konterfei hält die Bundesministerin für Gesundheit und Soziales, Ulla Schmidt, am 14. 3.2005 bei ihrem Rundgang über die weltgrößte Computermesse CeBIT in Hannover grinsend in die Kamera. Sie wird wissen warum.
Ärzte und nicht das Verwaltungspersonal dürfen Zugriff auf die Daten haben. Die Arzt-Patienten-Beziehung darf nicht verschlechtert werden. Die Datenhoheit der Patienten muss garantiert sein. Krankenkassen, Versicherungen oder die Politik dürfen keinen Einblick in die Daten bekommen. Schutz vor dem Erstellen von „Patienten- und Arztprofilen“, es darf keinen automatischen Datenabgleich bei jedem Arztbesuch geben. Ausgeglichene Kosten-Nutzen-Relation sowohl für die Praxen wie für die Krankenhäuser schon in der Planungs- und Testphase. Die „Ärzte Zeitung“ zitierte am 5. 12. eine bemerkenswerte Äußerung der Vorsitzenden des Ausschusses „E-Health“ der Ärztekammer Nordrhein, Dr. C. Groß: „Wir wollen sie (die Gesundheitskarte) nach unseren Regeln haben und nicht so, wie die Politik und die IT-Industrie meinen, sie uns überstülpen zu müssen.“ Zumindest an dieser Stelle gibt es offenbar eine große Interessenüberschneidung zwischen Patienten und Ärzteschaft. Die ernsthaften Bedenken gegen die E-Card erfordern jetzt große Anstrengungen gegen möglichen Missbrauch. Muss nicht das ganz Projekt gestoppt und verhindert werden, solange diese Unklarheiten bestehen? Der Datenschutz der Patienten muss an erster Stelle stehen. Hat die politische und gewerkschaftliche Linke dies schon ausreichend erkannt? Hans-Peter Brenner
Freitag, 5. Januar 2007
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Innenpolitik / Seite 7
Boykott der Studiengebühren jetzt auch in Heidelberg
Leerer Bauch statt Mittagessen
Nach Tübingen, Karlsruhe, Stuttgart und Freiburg will sich jetzt auch Heidelberg als eine der großen Universitäten Baden-Württembergs dem Boykott der Studiengebühren anschließen. Damit beteiligen sich sowohl die Pädagogische Hochschule als auch die Universität in Heidelberg an dem geplanten Boykott. Für diesen Boykott wird ein Treuhandkonto eingerichtet, auf das die Studierenden die Studiengebühren anstatt an die Universität überweisen. Dieses Konto wird von einem Anwalt verwaltet, dem genaue Vorgaben über die Kontoführung gemacht werden. Für die endgültige Durchführung des Boykotts ist ein bestimmtes Quorum (Prozentsatz) an Beteiligung erforderlich. Über die Höhe dieses Quorums soll nach den Weihnachtsferien in einer Vollversammlung abgestimmt werden. Das Quorum wird vorrausichtlich zwischen 20-30 Prozent der Studierenden betragen.
Provinzposse aus Wuppertal
Wir leben in einem der reichsten Länder der Erde. Die Ausgaben für die Rüstung und für Militäreinsätze rund um den Erdball bleiben unangetastet. Um die Preise künstlich hoch zu halten, werden in der EU jährlich tonnenweise Lebensmittel vernichtet. In allen Städten gibt es „Tafeln“ und Suppenküchen. Wir Wuppertaler leben in einer Großstadt mit noch annähernd 360 000 Einwohnern. Wir alle zahlen Steuern – viel Steuern! Und doch kommt es in dieser Stadt zu einem Skandal, der erschüttert und beschämt, der aber auch wütend macht und Engagement herausfordert! Was viele befürchtet, gegen das viele – auch wir Kommunistinnen und Kommunisten – gekämpft haben, ist eingetreten: Mit den Stimmen der „Großen Koalition“ aus CDU und SPD wurde am 18. Dezember 2006 im Stadtrat das kostenlose Schul-Mittagessen für bedürftige Kinder gestrichen. CDU und SPD argumentieren so: Bisher wurde an bedürftige Kinder der „Wuppertal-Pass“ ausgegeben. Neben anderen Vorteilen berechtigte er auch zum kostenlosen Mittagessen in den wenigen Ganztagsschulen. Mit der Einführung der Offenen Ganztagsgrundschule (OGGS) habe sich die Situation grundlegend geändert. Die Zahl der Berechtigten sei derart angeschwollen, dass eine kostenlose Ausgabe des Mittagessens in den Schulen mit Ganztagsangebot nicht mehr finanzierbar sei. Zudem seien das „freiwillige“, also nicht gesetzlich vorgeschriebene Leistungen, die man ohnehin nicht mehr finanzieren dürfe. Außerdem fehle eine „kostenneutrale Gegenfinanzierung“. Dabei geht es um einen Betrag von circa 600 000 Euro. Peanuts – angesichts des Haushaltsvolumens einer Großstadt wie Wuppertal. Den wahren Grund nannte, wenn auch verschämt, der Sozialdezernent der Stadt. Er erinnerte daran, dass der jetzige Ministerpräsident Rüttgers vor der Wahl versprochen habe, an den Mitteln für die Jugendhilfe werde nicht gekürzt. Kaum habe er die Wahl gewonnen, habe er sein
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„Sozial“staat BRD. Heute Folge 5 723: „Die Ausnahme oder das gute Beispiel“: In einem Caritas-Projekt in Köln-Meschenich bekommen Kinder aus Problemfamilien nach der Schule kostenlos ein Mittagessen und werden bei den Hausaufgaben betreut. In Wuppertal laufen derweil die Folgen 1 bis 5 722 unter dem Sammeltitel: „Die Regel oder sehenden Auges in die Katastrophe“ Versprechen gebrochen. Tatsache ist, die Mittel für die Jugendhilfe im Land NRW werden um mehr als 20 Millionen Euro gekürzt. Für Wuppertal bedeutet das eine Mindereinnahme von 1,7 Millionen Euro. Das, so der Sozialdezernent, der der SPD angehört, sei der wahre Grund für die Misere. Ganz nebenbei: Diese Feststellung, die der Vertreter der Linkspartei bereits Wochen vorher äußerte, brachte ihm von der CDU den wütenden Vorwurf ein: „Sie sind ein Populist, Herr Krüger!“ Allen, die den erstaunlichen Erkenntnissen des Sozialdezernenten lauschten, drängte sich die ganz naheliegende Frage auf: Ja, und warum macht ihr mit der CDU hier in Wuppertal gemeinsame Sache? Warum beschließt ihr gemeinsam die Streichung des kostenlosen Mittagessens für bedürftige Kinder? Auf eine Antwort warten wir bis heute. Gegen diesen Schwall von Rechtfertigungen trugen die Vertreter der Schulen, der freien Träger und der GEW im Ju-
gendhilfeausschuss und im Schulausschuss viele gute und zutreffende Argumente vor: Sie verwiesen darauf, dass im ALG II ganze 78 Euro für das Essen angesetzt sind. Wenn aber davon bereits 40 Euro für das Mittagessen abgehen, dann bleiben noch ganze 38 Euro für Frühstück, Abendessen und für die Tage, an denen das Kind nicht am Schulmittagessen teilnimmt, z. B. an den Wochenenden. Die Sprecherin der Betreuungsvereine in Wuppertal, Frau Angelika Meissner, wie auch die „Koordination Offene Ganztagsgrundschule“ erklärten und warnten u. a.: Das gemeinsame einheitlich warme Mittagessen ist Bestandteil des pädagogischen Konzepts im Ganztag. In Zukunft werden bei der Verpflichtung zum gemeinsamen Mittagessen Kinder mit Chipstüten und Mittagessenteilnehmer nebeneinander sitzen. Alle Konzepte zur gesunden Ernährung und gesunden Schule sind damit über den Haufen geworfen. Eine Klassifizierung und Stig-
matisierung ist damit zwangsläufig verbunden. Mittagessen ist nicht nur Nahrungsaufnahme, sondern ein fester Bestandteil im sozialen Miteinander. Viele Eltern werden wegen der finanziellen Belastung ihre Kinder von der Ganztagsbetreuung einfach abmelden. Es werden genau die Kinder sein, die vom Ganztagsangebot in ihrer Entwicklung profitieren könnten. Es bleibt die Frage: Wie kann der eingetretenen Situation begegnet werden? Unverzeihlich wäre ein resignatives Hinnehmen. Schlimm wäre auch, wenn wir uns mit dem Hinweis auf einen sogenannten „Härtefallfonds“ beruhigen ließen. Erste Gespräche zwischen verschiedenen Parteien und Gruppierungen haben bereits begonnen. Konkrete Aktionen werden in der nächsten Zeit geplant und umgesetzt. Dazu muss es ein breites Bündnis geben, in dem auch Einzelpersönlichkeiten, vor allem auch bekannte Künstler unserer Stadt mitarbeiten sollten. Dirk Krüger
Der sächsischen NPD gehen die Nachrücker aus Der Listenletzte belegt nur das Niveau der Partei
„Es gibt viele Österreicher, solche und solche. Aber wenn ich Sie so sehe, dann wird mir der andere immer sympathischer“ – dieser Spruch des NPD-Redners Klaus-Jürgen Menzel war gegen den aus Österreich stammenden Vorsitzenden der Linkspartei-Fraktion Prof. Peter Porsch gerichtet. Zwar versagte deren Landtags-Vizepräsidentin Regina Schulz dem Nazi-Provokateur daraufhin die weitere Teilnahme an der Landtagssitzung. Was jedoch überhaupt nicht verdeckt, dass Landtagspräsident Iltgen (CDU) sich treu geblieben ist, wenn es nur gegen Linke geht, und wieder einmal eklatant beim Umgang mit Nazis versagt hat. Menzel war an diesem Novembertag schon kein Mitglied der NPD-Fraktion mehr und auch aus der NPD geflogen, aber nicht wegen seiner Altnazi-Reden. Die Seinen werfen ihm lediglich finanzielle Ungereimtheiten vor. Menzel, das ist übrigens der, der in der eben erwähnten November-Landtagssitzung zwei Patronenhülsen hochhalten wollte, was ihm Iltgen dann doch laut Hausordnung untersagte. Also beschränkte er sich auf verbale Attacken. Es ging gegen den Stephanie-Peiniger Mario M. Er sei Jäger und hätte da eine Therapie für den Halbverrückten ... Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Menzel wegen unerlaubten Waffenbesitzes. Er hatte doch nach diesem Vorfall tatsächlich versucht, eine mit Schreckschussmunition geladene Waffe in den Landtag zu schmuggeln. Fürwahr schlimm. Nun hat er Hausverbot. Apropos: Schon aufopferungsvoll, wie sich Nazi Menzel für Stephanie ins Zeug legte. Wäre da nicht sein ehemaliger Fraktionskollege und Landespressespre-
Köpfe geschrumpft. Drei spektakuläre Austritte Schlag auf Schlag. Allerdings, diese Nazis sitzen nach wie vor im Parlament, als Fraktionslose. Es mochte ja ganz gut klingen, als Mirko Schmidt aus Meißen damals verlautbarte, er wolle sich „nicht dem Willen einer kleinen autoritären Führungsgruppe aus dem Westen unterordnen“. Was hinter dieser Aufmüpfigkeit steckt, ist nur der Streit um die NPD-Strategie. Fraktionschef Apfel und seine Westclique steuern mit ihrer „Totalopposition“ ein „viertes Reich“ an, geben sich sehr theoretisch. Das macht sie für die „bodenständigen“ sächsischen Nazis, die einfach nazikompatible Änderungen im gegenwärtigen System – Ausländer raus u. ä. – wollen, zu abgehoben vom Leben hier und heute.
cher Matthias Paul. Der legte seine Posten jetzt freiwillig ab, wie eine gereizte Fraktionsspitze bekannt gab. Man konnte es diesmal nicht auf irgendwelche finanziellen Unregelmäßigkeiten schieben. Die Polizei hat in Pauls Büros und in seiner Wohnung Festplatten sichergestellt. Um es kurz machen, „Porno-Paul“ soll schon als 19-Jähriger mit einem 14-Jährigen aus dem Bahnhofsmilieu verkehrt haben. Fraktionschef Apfel kündigte an, falls sich die Vorwürfe bestätigten, würde Paul die „härtest mögliche Strafe bekommen“. Inzwischen lästert die hiesige Presse, gemeint sein könne ja wohl nur die Todesstrafe, denn die fordert die NPD schließlich für Kinderschänder. Die Staatsanwaltschaft hat ganz schön zu tun mit den NPDlern. Neben Paul und
Menzel, der zudem einem rechten Schläger vor dem Amtsgericht ein falsches Alibi verschafft haben soll, wird auch gegen Fraktionschef Holger Apfel und Winfried Petzold wegen Beleidigung ermittelt. Sie sollen in einer Neujahrsbotschaft auf der Internetseite der Fraktion zwei Aussteiger aus der rechten Szene als „Vortragsnutten“ beschimpft haben. Was sie gegen Antifas hetzen, ist nicht so wesentlich. Ja, das waren noch Zeiten, als eine zwölfköpfige NPD-Mannschaft einmütig den Plenarsaal des sächsischen Landtags verlassen konnte, wenn ihr etwas nicht schmeckte. Zum Beispiel am 21. Januar 2005 die Schweigeminute für die Opfer der NS-Gewaltherrschaft. Kaum zwölf Monate später war die deutschstolze Nazifraktion plötzlich auf neun
Nun schreiben wir Anfang 2007 und die Fraktion ist weiter geschrumpft. Platz für Nachrücker, aber die sind ausgegangen. Als letzter der Wählerliste kam in der letzten Sitzungswoche des Jahres 2006 mit Peter Klose ein typischer Nazi mit ziemlich vulgärer Ausdrucksweise als neue Nummer 9 in die NPD-Landtagsfraktion. Arbeitslos, geboren 1953 im Vogtland. 1994 von den Republikanern – als deren stellvertretender Landesvorsitzender – ausgeschlossen. Wechsel zur NPD. Seit 1995 ist er Kreisvorsitzender der NPD in Zwickau usw. Wegen Volksverhetzung, beispielsweise wegen seiner Hassausbrüche gegen Sinti und Roma, mehrmals belangt, jedoch nie verurteilt. Nein, so richtig vorzeigbar ist es nicht, was bei der NPD noch so da ist. Weniger gefährlich wird die Truppe deshalb noch lange nicht. Maxi Wartelsteiner
Anschlag der „AntiAntifa“
Nach einem faschistischen Farbbeutel-Anschlag auf ihr Wohnhaus erklärte das bekannte antifaschistische Ehepaar Ursula und Wolfgang Richter aus Dortmund: In der Nacht vom 22. auf den 23. Dezember 2006 wurde auf das Haus, in dem wir wohnen, mit brauner Farbe – offenbar Farbbeuteln – ein Anschlag verübt. Die Täter hinterließen eine gesprayte Botschaft: Frohes Fest – AntiAntifa. Die sogenannte „AntiAntifa“ der Neonazis hat sich darauf spezialisiert, Demokraten und Antifaschisten zu bedrohen und zu terrorisieren. Sie verbreitet Listen mit Namen und Anschriften und fordert dazu auf, nach Belieben aktiv gegen diese Personen zu werden. Die Farb- und Schmierattacke zu Weihnachten ist ein neuer Beleg für die Dreistigkeit, mit der sich die Naziszene in Dortmund bewegt. Die Spur ihrer Gewalttaten zeichnen Sachbeschädigungen, Überfälle auf Ausländer/innen und auf Jugendliche, Schmähbriefe, Morddrohungen und Mord. Wir bekräftigen, dass die Nazis mit allen gebotenen Mitteln bekämpft werden müssen: # mit politischen Mitteln – die Parteien, der Rat und die Bezirksvertretungen sind gefordert, # mit Mitteln der Aufklärung – die Schulen und Hochschulen, die Gewerkschaften und Kirchen, die Medien sind gefordert, # mit polizeilichen und juristischen Mitteln – die Behörden sind gefordert, # mit Zivilcourage – die Bürger und Bürgerinnen sind gefordert. Wir lassen uns nicht einschüchtern.
Neonazis scheiterten in Minden erneut
Die Hoffnung der Neonazis, am 24. Dezember auf wenig Widerstand zu stoßen und endlich durch Minden marschieren zu können, ging nicht auf. Dieses Demonstrationsdatum empörte besonders viele Mindenerinnen und Mindener. So nahmen 1500 Menschen an der Menschen- und Lichterkette teil, die den Dom und die Martinikirche mit der Marienkirche verband. Dazu hatte der Runde Tisch des Bürgermeisters aufgerufen. Das „Aktionsbündnis Minden gegen Nazis“, in dem auch die DKP vertreten ist, hatte zur Teilnahme an der Auftaktkundgebung der Menschen- und Lichterkette aufgerufen und danach zu Mahnwachen entlang der Nazi-Route. Die Mahnwache am Wesertor wurde durch Mitglieder der Gewerkschaft ver.di, der Antifa und später durch zahlreiche Teilnehmer der Lichterkette verstärkt. Gemeinsam gelang es dieser Menge von mehreren hundert Antifaschisten, den Neonazis den Weg in die Innenstadt zu versperren. Die Neonazis kamen auch diesmal nur einige hundert Meter weit. Die Neonazis waren in Minden und Münster mit ihrer Klage gegen das Verbot ihrer Demonstration gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht aber gab der Klage der Neonazis recht und hob das Verbot auf. Es hat damit seine Neonazi-freundliche Rechtsprechung bekräftigt und die Reihe seiner skandalösen Urteile fortgesetzt.
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Illisu-Staudamm: Katastrophal für den Irak und für Syrien
Betr.: Staudammbau in der Türkei Firmen aus Deutschland und Österreich werden eine Exportrisikogarantie zur Absicherung von Aufträgen für das türkische Illisu-Staudammprojekt erhalten. Der Illisu-Staudamm wird besonders für den Irak und Syrien katastrophale Auswirkungen haben. Am Unterlauf des Euphrat und Tigris, in Syrien und im Irak, wird durch die vielen Staudämme in der Türkei, durch die Verdunstung und die Bewässerung, noch viel weniger Wasser fließen als heute schon. Im Irak und in Syrien wird Land verwüsten. Dort werden ganze Landstriche zur trockenen Hölle werden. (...) Tausende Menschen müssen für das Ilisu-Projekt umgesiedelt werden, ohne dass die örtliche Bevölkerung, die Kurden, dazu etwas zu sagen hätten. Archäologische Zeugnisse aus den Anfängen der menschlichen Zivilisation, vor 12 000 Jahren, werden durch den Staudamm zerstört. Im Gebiet des Illisu-Staudammes in der Türkei leben Kurden, die auch politisch mehr oder weniger rechtlos sind. Im türkischen Parlament gibt es heute keine kurdischen Abgeordneten mehr, da die Kurdische Demokratische Partei bei den Wahlen nicht die erforderlichen zehn Prozent der Stimmen erreichte. Die kurdische Sprache ist immer noch nicht offiziell anerkannt. Ein kurdisches Fernsehprogramm wird vom Ausland her gesendet, was Ankara sogar zu verhindern suchte. Die Kurden, die im Fortschrittsbericht der EU-Kommission vom 6. Oktober 2006 zahlenmäßig mit 15 bis 20 Millionen angegeben sind, bilden nahezu ein Viertel der Bevölkerung der Türkei. Ankara gewährt den Kurden die grundlegenden bürgerlichen Freiheiten, wie Presse- Meinungs-, Versammlungsfreiheit nicht, auch nicht das Recht Schulen und Universitäten zu betreiben in den Kurdisch unterrichtet wird. Zeitungen, Ra-
dio- und Fernsehprogramme auf Kurdisch darf es nicht geben. Der neue Waffenstillstand, der von der kurdischen Widerstandbewegung ausgerufen wurde, wird von der türkischen Regierung bis heute ignoriert. Unter diesen mehr als fragwürdigen Umständen, die den Regierenden in Deutschland und Österreich wohl bekannt sind, wird den Konzernen die am Bau des Illisu-Staudammes in der Türkei beteiligt sind also eine Milliarde Exportrisikogarantie gewährt. Heinrich Frei, Zürich
Strategiewechsel Betr.: Verhältnis USA/BRD Die Hochzeit der Wendehälse wurde mit dem Bericht der Baker-Kommission eröffnet. Es ist erstaunlich, wer nun alles aus der VIP- und Fernsehgesellschaft nach Jahren des Schweigens, der Ratlosigkeit, der öffentlichen Duldung und Anbiederung an den Bush/Sharon-Olmert Kurs im Kampf und Krieg der Kulturen zum Fahnenflüchtling wird. Ob staatlich geprüfter und examinierter Beamter, Lehrer, Wissenschaftler oder Jurist, ob CDU, SPD, FDP oder Grünenpolitiker, Journalist oder Wirtschaftsfachkraft, kirchlicher Würdenträger oder Hochschulprofessor, die meisten haben die letzten Jahre zugeschaut und haben sich dem Bush-Kurs angedient. Wes Brot ich ess’, dess’ Lied ich sing. (...) Anstatt den Völkermord im Nahen Osten politisch zu verurteilen, verteilte Angela Merkel in Stralsund Bismarckheringe an Bush und seine Begleiter. Mit Auslandseinsätzen in Afghanistan und im Libanon, mit geheimdienstlichen Verhör- und Foltermethoden buhlte man um die Freundschaft mit Bush und stellte sich auf die Seite der Kriegstreiber. Und nun ist alles anders. Strategiewechsel! Die Schurkenstaaten Syrien und Iran sollen in eine Friedenslösung angeblich eingebunden werden, mit Hilfe der Bundesregierung. (...) Die Kriegslasten werden
Herzlichen Glückwunsch! Unser Genosse
Dr. Hans-Günter Szalkiewicz
den Möchtegern-Cowboys langsam zu teuer. Die Schuld für künftigen Völkermord soll dem Iran und Syrien angelastet werden. Um eine politische, friedliche Lösung ernsthaft zu erreichen, ist es doch erst einmal eine Grundvoraussetzung, den begangenen Völkermord zu ächten und die verantwortlichen Politiker vor einem internationalen Gerichtshof anzuklagen und zu verurteilen. Internationales Völkerrecht, wie es in den Friedensverträgen nach dem 30-jährigen Krieg oder in den Nürnberger Prozessen nach der Nazi-Gewaltherrschaft festgeschrieben wurde, muss wieder geltendes Recht werden und die Befürwortung von Präventivkriegen grundsätzlich abgelehnt werden. Eine Menschenrechtscharta 2007 muss eine neue Grundlage für ein friedliches Zusammenleben aller Völker schaffen, die sich klar und unmissverständlich von den Strategen des „Kriegs der Kulturen“ abgrenzt. Die Menschenrechte auf Frieden und Arbeit, soziale Gerechtigkeit, Bildung und Gesundheit in einer intakten Umwelt müssen gegen Rüstung, Krieg und Völkerhass gemeinsam durchgesetzt werden. (...) Ulrich Farin, Bramsche
Sozialismus im 21. Jahrhundert? Betr.: Sozialismus-Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung Schon zum zweiten Mal fand in diesem Jahr, am 11. November 2006, organisiert von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, eine Konferenz mit dem anspruchsvollen Thema „Sozialismus im 21. Jahrhundert“ statt. Die Thematik entspringt dem dringenden Bedürfnis vieler Menschen, Antworten auf die verheerende Entwicklung im real existierenden, globalisierten Kapitalismus zu finden, die über das bestehende System hinaus gehen und Wege dorthin weisen. Fast zwei Jahrzehnte nach der vorläufigen Niederlage des real existierenden Sozialismus in Europa wäre es auch höchste Zeit, Lehren und
Freitag, 5. Januar 2007 Schlussfolgerungen aus der Niederlage zu ziehen, um offensiv die Gestaltung der Zukunft angehen zu können. Michael Brie nahm in der Eröffnungsrede für die Stiftung in Anspruch, diese Thematik nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene voran zu treiben. Welchen Beitrag hat die besagte Konferenz dazu geleistet? Um es auf einen Nenner zu bringen: Leider keinen. Sie hat den Wirrwarr der Stimmen unter den „Linken“ eher vergrößert, sie hat den persönlichen Eitelkeiten der Darsteller neuen Spielraum gegeben, sie hat sich überwiegend in abstrakten und theoretischen Disputen erschöpft und sie war offensichtlich ohne inhaltliche Zielstellung vorbereitet und durchgeführt worden. Ausgangspunkt der Diskussionen war die (...) theoretische Position eines „Computersozialismus“, die der in Lateinamerika wirkende deutsche Soziologe Heinz Dieterich vertritt und verbreitet. Auf den Punkt gebracht besagt Dieterichs Theorie: Der neue Sozialismus des 21. Jahrhunderts stellt sich dann ein, wenn Waren nicht mehr zu Preisen, sondern zu durch Computer berechnete Arbeitszeiten ausgetauscht werden und jeder Bürger basisdemokratisch mit Computern über alle Entscheidungen abstimmen kann. Eigentum, Macht, Klassen, Klassenkampf erledigen sich quasi von selbst. Schon auf der ersten „Sozialismuskonferenz“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung wurde diese Position eindeutig zurückgewiesen und klargestellt: Die entscheidenden Fragen sind immer noch Eigentum und Macht. Warum gibt die Rosa-Luxemburg-Stiftung Heinz Dieterich und seinem Kybernetiker Paul Cockshott (GB) erneut die Plattform, um ihre absurden Theorien zu verbreiten? Will auch sie von den eigentlichen Problemen des Klassenkampfes ablenken? ( ) Erfreulicherweise kamen bei der Podiumsdiskussion aber auch einige Praktiker zu Wort. Klaus Blessing – Wirtschaftpraktiker in der DDR – legte in verständ-
lichen und nachvollziehbaren Thesen seine Schlussfolgerungen aus 40 Jahren sozialistischer Entwicklung in der DDR und fast 20 Jahren Erfahrungen mit der kapitalistischen BRD dar. Sie mündeten in dem Vorschlag, durch die Stiftung regelmäßig Sozialismuskonferenzen zu veranstalten, aber zielgerichtet, um wirklich Konzepte für das 21. Jahrhundert zu entwickeln. Deshalb solle zwischen den Konferenzen ein Arbeitsgremium geschaffen werden, das tatsächliche diskussionswürdige Positionen ausarbeitet. Die Veranstalter der Konferenz wanden sich in ihren Schlussbemerkungen wie die Aale, als Klaus Höpcke nachfragte, wie dieser Vorschlag umgesetzt würde. (...) Charlotte Müller, Berlin
Ein hervorragender Artikel!
Betr.: „Die ‚Wende’ trieb Zehntausende in den Tod“, UZ vom 24. 11., Seite 15 Gerhard Feldbauer wie auch den Autoren der GMB-Studie gebührt höchste Anerkennung für die mutige Beschäftigung mit diesem grausigen Ergebnis des Sieges der „freien Welt“ über den Sozialismus. Wir haben auf dem neulich stattgefundenen Parteitag der KP Irlands ausführlich über die zu ziehenden bzw. nicht gezogenen Schlussfolgerungen aus der konterrevolutionären Zerstörung des Sozialismus diskutiert. Beschäftigung mit den ganz praktischen Ergebnissen der sogenannten Wende – denke ich – ist die einzig richtige Art der Verarbeitung unserer Niederlage. Ich werde unserem Parteivorstand vorschlagen, den Artikel, wie auch die GMB-Studie in ein Bildungsmaterial aufzunehmen, das wir zu dem Thema erstellen werden. Marion Baur, Irland Wir bitten darum, uns kurze Leserzuschriften zuzusenden. Sie sollten unter der Länge von einer Spalte bleiben.Die Redaktion behält sich außerdem vor, Leserzuschriften zu kürzen. Die Redaktion
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feierte am 3. Januar seinen
75. Geburtstag
Seit Jahrzehnten ist Hans-Günter aktiv in der kommunistischen Bewegung. Sein Weg führte von der SED über die PDS zur DKP und er beteiligte sich am Aufbau der Bezirksorganisation in Berlin. Vor knapp fünf Jahren übernahm Hans-Günter für einige Jahre den Vorsitz der Berliner DKP und hat heute als stellvertretender Vorsitzender einen großen Anteil an dem Wirken der Partei. Das Streben ideologische Klarheit in der Partei zu erreichen, zielgerichtetes Wirken und das Bemühen seine Erfahrungen in der Organisationsarbeit zu vermitteln sind die Kennzeichen seiner heutigen Aktivitäten. Wir wünschen uns weitere viele erfolgreiche Jahre mit Hans-Günter an unserer Seite und ihm Gesundheit und weiterhin Schaffenskraft in seinem Wirken.
Bezirksvorstand der DKP Berlin DKP Gruppe Nord-Ost
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11. Januar 2006
Freitag, 5. Januar 2007
unsere zeit
Das Thema / Seite 9
Poder Popular – Volksmacht in Venezuela Ein Reisebericht von Reinhold Weismann-Kieser
Die folgenden Reiseerlebnisse und Eindrücke wurden in der letzten Phase des Wahlkampfs und der Präsidentenwahl auf einer Beobachtungstour gewonnen, die als Gruppenreise in Zusammenarbeit mit der Tageszeitung „junge welt“ organisiert worden war. „Chávez wird bleiben!“ Das war die zentrale Parole der „Chàvistas“, der Parteien und Gruppen, die für die Wiederwahl des Präsidenten eintraten. Zwei ausgebreitete Hände forderten „¡Diez millones votos por el buche!“, auf Anhieb 10 Millionen Stimmen! Beide bestimmten das Bild der Straßen jeweils in Verbindung mit Chávez’ Porträt. Rote Shirts und Mützen und die entsprechenden Wandmalereien kamen dazu. Aufbauprojekte von örtlicher und nationaler Bedeutung werden nicht ohne sein Bild angekündigt. Auf den ersten Blick schien es, als ob hier ein reiner Personenwahlkampf geführt würde und natürlich wurde die Faszination in die Waagschale geworfen, die von seiner Person ausgeht. Drei Begriffe tauchten jedoch regelmäßig auf den Plakaten auf: „Participación“ (Beteiligung) der Betroffenen als Prinzip der „Bolivarianischen Verfassung“ der V. Republik von 1999, „Volksmacht“ und „Volksregierung“. Das Spektrum der „Chávistas“, der Parteien und Gruppen, die den Präsidenten unterstützen, ist groß. Es reicht von den Tupamaros über die Kommunistische Partei (PCV) hin zu zahlreichen sozialistischen Parteien und Gruppen. Die Präsidentenpartei ist die MVR, die Bewegung für die V. Republik. Alle stehen mehr oder weniger ausdrücklich für Sozialismus und Volksherrschaft und beziehen sich dabei auf Bestimmungen und Geist der Verfassung. Die Chávistas führten einen klaren, polarisierenden Wahlkampf
lamentarismus auf der Straße („en calle“) und zielt darauf, die parlamentarische Arbeit möglichst volksnah zu führen.
Banmujer – die andere Bank
Fotos: rwk
Lange Schlangen vor den Wahllokalen prägten das Straßenbild am 3. Dezember gutschein, über den Geld aus den Öleinnahmen individuell an Bedürftige ausgeschüttet werden sollte, anders als die staatlichen Leistungen zur Zeit, die immer mit der Verpflichtung zur Eigeninitiative und kollektiven Selbstorganisation verbunden sind. Selbstbewusst kam jedoch der Konter: „Chávez wählen, das ist deine Tarjeta!“
Der Tag der Entscheidung
Am Wahltag, dem 3. Dezember, wird das Ausmaß der Mobilisierung in den Barrios sinnfällig: Schon um vier reißen uns Böller aus dem Schlaf. Um halb acht öffnen die Wahllokale, aber schon um halb fünf sollen die ersten Wählerinnen und Wähler angestanden haben. Als wir mit unserem Bus vor einem Wahlzentrum aufkreuzen, stehen die Menschen bis um die Ecke Schlange. Der Einlass erfolgt schleppend und wird von Soldaten kontrolliert. Später, als wir Gelegenheit haben, Wahllokale auch von innen zu besichtigen, werden wir verstehen, warum. Zunächst überrascht die freundliche Stimmung, die trotz des Schlangestehens herrscht. Das Wahlverfahren ist kompliziert und langwierig: Einlass nach Registrierungs- bzw. Identitätsnummer im Personalausweis. Feststellung der Identität mit Fingerabdruck-Scanning und Ausstellung einer Wahlkarte. Wahlakt in der Kabine am Wahlautomaten. Einwurf des Kontrollausdrucks in die Wahlurne. Einfärben des kleinen Fingers mit Tinte als zusätzlicher Schutz gegen Doppelabstimmungen. Man stelle sich vor, welche WahlbeteiVor dem neuen Diagnosezentrum in Torres ligung bei uns auf diese Weise zustande käme. In in einer gespaltenen Gesellschaft. Die diesem bis auf die Zentren dünn besiedel„diez millones“ wären das Maximum an ten Land waren es immerhin rund 75 ProStimmen gewesen, das mobilisierbar zent! war. Dabei ging es nicht nur um vage Die Regeln am Wahltag und am Montag Versprechungen. Die Chávistas konnten danach sind streng: Kein Alkoholausvielmehr mit der beispielhaften Wirkung schank, keine politischen Kundgebunihrer sozialen und Entwicklungsprojekte gen, nicht mal das Tragen roter oder blauin den Barrios, den Vierteln und Siedlun- er Hemden und Mützen! In den Barrios gen der Armen, und auf dem Lande rech- sieht man das aber nicht so eng. Schon am nen und dem Maß an Organisierung und Nachmittag herrscht, bei langen SchlanPolitisierung an der Basis, das mit ihnen gen vor den Wahllokalen, siegesgewisse verbunden ist. Chávez repräsentiert also Volksfeststimmung. Als die ersten Profür die bisher ausgegrenzten Mehrheit gnosen den 61-Prozent-Sieg von Chávez konkrete Hoffnungen und wo er auftritt, ankündigen, ist die Hölle los! Jubel und recken sich ihm die Hände entgegen. Böller ohne Ende. Zum Abschluss seiner Kampagne in Caracas versammelten sich rund 2 Millio- Die Kommune von Carora. nen Menschen, ein Meer von roten Hem- Ein Alcalde ist ein mächtiger Mann. Er den, Mützen und Fahnen. herrscht in der Gemeinde über die WahMerkwürdig blass wirkte dagegen der rung der herrschenden Interessen. IngeGegenkandidat Rosales. Auf dem Stan- niero Julio Chávez, Alcalde der Municidardplakat versuchte er sich in Erlöserpo- pia Torres im Bundesstaat Lara, sagt nicht se, wirkte aber sehr marionettenhaft (was ohne Stolz, er sei machtlos. Über die gewohl auch seiner politischen Rolle ent- samten Mittel seiner Gemeinde, staatlispricht ...). Ob er mit seiner Parole „Den che Zuwendungen wie lokale Steuern Wechsel wagen!“ seine Anhänger mobili- werde durch die Betroffenen in Volksversieren konnte, kann ich schwer abschät- sammlungen entschieden. Participación, zen, nennenswerte Einbrüche in das La- also die Entwicklung revolutionärer ger seines Gegners hat ihm das nicht ge- Strukturen von unten benennt er als bracht. Gegen die „diez millones“ setzte Grundprinzip der Bolivarianischen Revoer den Appell an die nationale Einheit lution. Zwar gehe es dabei um die Ent(„Somos 26 millones“), aber auch der wicklung einer Vielzahl ökonomischer, musste stumpf bleiben gegenüber den bo- sozialer, Bildungs- und Gesundheitsprolivarianischen Traditionen von nationaler jekte, im Kern aber um eine KulturrevoUnabhängigkeit. Sein einziger Versuch, lution, die Politisierung der Massen gebei den Gegnern zu punkten, war das Pro- gen die Strukturen des alten Systems. Ihr jekt „Tarjeta negra“, eine Art Einkaufs- Ziel sei eindeutig sozialistisch und huma-
nistisch. Parteien weist er dabei keine zentrale Rolle zu. Mit dem Wahlsieg von Chávez und der Verhinderung des Putsches seien Machtverhältnisse entstanden, die die Revolution vorangebracht und auch den Wahlsieg der bolivarianischen Kräfte in seiner Kommune erleichtert hätten. Als Schwerpunkt nennt er den Aufbau des neuen Gesundheitssystems, da das alte, private die meisten Menschen von gesundheitlicher Fürsorge ausgeschlossen habe. Die neuen diagnostischen Zentren, die mit Hilfe kubanischer Ärzte aufgebaut werden, verfügen über moderne Mittel der Radiologie, der Sonografie, der Elektrokardiographie usw. Gleichzeitig erfolge der Aufbau von Krankenhäusern und von 200 dezentralen ärztlichen Posten in der Gemeinde. Gleichrangig sei die Veränderung des Schulsystems. Die neue Bolivarianische Schule biete drei Mahlzeiten für die Kinder an. Nur so könne erreicht werden, dass viele Kinder überhaupt zur Schule kommen. „Die erste Aufgabe der Kinder in der Schule ist essen!“ Weiterhin seien Informatikzentren und Universitäten in den Kreisen im Aufbau, um ein weiterführendes Bildungswesen zu entwickeln. Mit der Unterstützung aus Kuba sei es in den zwei Jahren seit dem Wahlsieg in der Gemeinde gelungen, die hohe Rate von Analphabeten unter den Erwachsenen auf insgesamt 400 Personen zu drücken. Als zentrales Instrument zur wirtschaftlichen Entwicklung der Barrios bezeichnet er die Banco Comunal, die öffentliche Kredite an Projekte vergibt, die vorher von Volksversammlungen bewertet und ausgewählt wurden. Die Entwicklung der landwirtschaftlichen Produktion habe das Ziel des Aufbaus von Kooperativen und diene der Sicherung der Nahrungsmittelversorgung. Land, das die Bauern an Kapitalisten verloren hatten, und Großbesitz, der von den Eigentümern vernachlässigt wurde, werde zu diesem Zweck an die Bauern verteilt. Zum Aufbau erhielten sie finanzielle und technische Unterstützung. Auch hier spielten die Helferinnen und Helfer aus Kuba eine große Rolle.
war. Diese Verhältnisse wurden zwar mit der V. Republik beseitigt, das hatte aber zunächst Sabotage, Unterschlagung von Material und Geräten und Missachtung der Bedürfnisse armer Patienten durch Teile des medizinischen Personals zur Folge. Während des Putschversuchs kam es deshalb sogar zu Todesfällen unter den Patienten. Die Delegierten haben nun die Aufgabe, die Patienten zu befragen, die Material- und Gerätebestände zu kontrollieren und Diskussionen mit dem Personal zuführen. Bei Verstößen können sie der Klinikleitung Sanktionen empfehlen. Inzwischen ist es gelungen, einen großen Teil des Klinikpersonals für eine konstruktive Zusammenarbeit zu gewinnen. Die ideologische Auseinandersetzung dreht sich im Kern um die herkömmliche Auffassung, medizinische Qualifikationen seien ein Mittel zur Erreichung eines höheren Einkommen.
Parlamentarismo Social en Calle Parlamente sind bei uns heilige Hallen. Zwar dürfen sich die Abgeordneten fast nach Belieben beschimpfen und durch Zwischenrufe unterbrechen, Kundgebungen irgendwelcher Art von den Zuhörertribünen sind jedoch streng verpönt und setzten sofort die Saaldiener in Marsch. Selbst vor Demonstrationen lassen sich unsere Volksvertreter durch Bannmeilen schützen. Ganz anders die Verhältnisse in der Nationalversammlung der Bolivarianischen Republik. Dort gilt ebenfalls das Prinzip der „Participación“. Am 25. November, dem internationalen Tag gegen die Gewalt gegen Frauen, tagte die Nationalversammlung auf der Bühne des großen Theaters in Caracas zur 2. Lesung eines „Gesetzes für das Recht der Frauen auf ein Leben frei von Gewalt“. Zu den 130 Artikeln dieses Regelwerks,
Volkskontrolle gegen Klassenmedizin Seit der V. Republik hat die kostenlose Gesundheitsversorgung für alle Verfassungsrang. Das konnte natürlich nicht einfach durch eine Verstaatlichung der vorhandenen Strukturen umgesetzt werden. Dies wäre schon am Widerstand des medizinischen Personals gescheitert. Mit dem Netz von Familienärzten und Diagnosezentren in den Barrios sind deshalb neue Strukturen neben den privaten Angeboten im Aufbau. Von dort aus erfolgt je nach Befund die Einweisung in geeignete Kliniken. Das Gesundheitssystem ist verfassungsgemäß der Kontrolle der örtlichen Volksversammlungen unterworfen. Sie wählen zu diesem Zweck eine Gruppe von Delegierten mit weitgehenden Inspektions- und Kontrollrechten. Besonders wichtig ist diese Kontrolle in den Krankenhäusern, denn die dort vorgefundenen Strukturen ließen sich nicht von heute auf morgen umkrempeln. In einem Hospital am Rande der großen Barrios im Westen von Caracas treffen wir uns mit vier solcher Delegierten. Sie berichten, dass früher ein Teil der Kapazitäten der Klinik, ähnlich wie bei uns, der privaten Nutzung durch die Ärzte vorbehalten
„Gründe deine Kooperative mit Banmujer“ das die Formen der Gewalt umfassend beschreibt, die Pflichten der staatlichen Organe zur Vorbeugung, Beratung zum Schutz der Frauen festlegt und Strafvorschriften gegen die Täter bestimmt, lag eine Vielzahl von Änderungsanträgen vor. Der Zuschauerraum des Theaters war gefüllt mit Gruppen von aktiven Frauen, die durch Sprechchöre und Zwischenrufe und mit Transparenten die Abgeordneten auf die Dringlichkeit ihres Anliegens hinwiesen und sie zur raschen Verabschiedung des Gesetzes ermutigten. Der sachlichen Debatte schien das keinen Abbruch zu tun. Das Prinzip, das hier zur Anwendung kam nennt sich Par-
Die Frauenbank befindet sich im schmucklosen Bürohochhaus als Abteilung des Wirtschaftsministeriums im geschäftigen Zentrum von Caracas – da, wo der Verkehr am dichtesten und der Lärmund Abgaspegel am höchsten ist. Wir werden freundlich mit Saft, grünen Äpfeln und Milchkaffee empfangen. Dann werden uns die Prinzipien der „Bank zur Entwicklung der Frau“ vorgestellt. Entwicklung werde grundsätzlich politisch, sozial und kulturell verstanden. Zwei Programmschwerpunkte seien dabei auf die Gemeinschaften mit afrikanischer oder indianischer Herkunft gerichtet. Die Arbeit der Bank geht auf ein Dekret von Chávez von 2001 zurück, stehe aber in vieler Hinsicht erst am Anfang. Man stütze sich jedoch auch auf internationale Erfahrungen, z. B. in Bangladesch. Politisch gehe es um die Verankerung des Prinzips der Partizipation. Nach einer Erhebung über die Zentren der Armut und der Lebenssituation der Frauen nähmen Promotorinnen (oder Promotoren) den Kontakt zu den Frauen und den Institutionen der Kommunen auf. Die Bank stelle sich dann auf Volksversammlungen vor und analysiere in Workshops die kommunale Probleme. Daraus ergäben sich konkrete Projekte, die in der Bank bewertet und mit den Bewerberinnen beraten würden. Die bankübliche Frage nach Sicherheiten spiele keine Rolle. Entscheidend sei die Eignung der Projekte zur Verbesserung der örtlichen Lebensbedingungen und zum Aufbau kooperativer Strukturen. Bisher finanziere sich die Bank nicht aus Spareinlagen sondern ausschließlich aus staatlichen Mitteln, sei also ein Instrument der Entwicklungsförderung. Allerdings müssten die Projekte insoweit auch ökonomischen Prinzipien genügen, als eine Rückzahlungsverpflichtung bestehe.
Gegen Korruption und Bürokratie! Korruption und Bürokratie waren die Krebsschäden der IV. Republik und ihrer Vorläufer. Niemand erwarte, dass sie mit der Ausrufung der V. Republik und der Verabschiedung ihrer Verfassung plötzlich verschwunden wären. Fragt man nach den Hauptproblemen und -sorgen für die Zukunft der Revolution, steht diese Frage immer im Vordergrund. Zwar herrscht großes Vertrauen in die persönliche Integrität Hugo Chávez’ und seiner engeren Kampfgefährten und deren ehrlichen Willen zur Verwirklichung der Bolivarianischen Verfassung. Aber schon über die Ebene der Staatsgouverneure hört man skeptische Töne, auch wenn diese als Chávisten gewählt wurden. Wir treffen zwei Sekretäre der Gewerkschaft der Elektrizitätsarbeiter. Auch sie setzen große Hoffnungen in den bolivarianischen Prozess und in die Wiederwahl von Chávez. Sie weisen darauf hin, dass 80 Prozent der Bevölkerung 40 Jahre lang von den lebensnotwendigen Gütern wie Wohnung, Arbeit, Bildung und Gesundheit ausgeschlossen waren. Dies habe sich nun zu ändern begonnen. Bei allen Fehlern, die dem Prozess bisher anhafteten, überwiege deshalb das Positive. Allerdings müsse der Kampf gegen Korruption und Bürokratie auf allen Ebenen geführt werden. Dies gelte auch für die Gewerkschaften. Sie hätten bisher jahrelang die Arbeiter verkauft und sich ein Monopol bei der Vermittlung von Stellen in den Betrieben zugelegt. Um eingestellt zu werden mussten drei Monatslöhne an den Verband abgeführt werden. Sein Verband sei dabei, dies zu überwinden. Auch in den anderen Verbänden finde ein positiver Wandel statt. Die Kräfte, die während des Putsches und der Streiks von 2002/03 gegen die Regierung gestreikt hatten, hätten weitgehend an Einfluss verloren. In seinem Verband seien 80 Prozent für Chávez und den revolutionären Prozess.
Seite 10 / Ausland
31 000 Flüchtlinge Etwa 31 000 Afrikaner haben 2006 auf der Flucht vor Armut in ihrer Heimat die Kanarischen Inseln erreicht. Das waren fast so viele in den vorgegangenen vier Jahren zusammen. Die meisten Flüchtlinge wagten die Überfahrt in überfüllten Booten, viele kamen dabei ums Leben.
Kokaverabeitung in Bolivien Ungeachtet ihrer internationalen Ächtung hat Bolivien am 30. Dezember in der Nähe von Cochabamba den Bau einer ersten Verarbeitungsanlage von Kokaprodukten in Angriff genommen. Die 250 000 Dollar teure Fabrik gehört zum seit April 2006 bestehenden „Handelsvertrag der Völker“ zwischen Kuba, Venezuela und Bolivien, in dessen Rahmen in Bolivien bereits der Anbau von Soja und Quinua, einem Getreide, gefördert wurden.
Weniger Einwanderer Die Zahl der Einwanderungen nach Israel ist 2006 auf den niedrigsten Stand seit 18 Jahren zurückgegangen. Als Hauptgrund nannte die Immigrationsbehörde die drastisch gesunkene Anzahl der Juden, die aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion kommen. Insgesamt wanderten im Laufe des Jahres rund 21 000 Juden nach Israel ein, 2005 waren es noch 22 657.
Ex-Bischof will kandidieren Für die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr will der ehemalige Bischof von San Pedro in Paraguay gegen die sechzigjährige Vorherrschaft der Colorado-Partei kandidieren. Fernando Lugo, der bei den Landarbeitern über Einfluss verfügt, wurde nach seiner weihnachtlichen Ankündigung, in die Politik zu gehen, vom Vatikan umgehend mit dem Ausschluss aus der Katholischen Kirche bedroht.
Einigung in letzter Minute Kurz vor dem Jahresende haben Russland und Belarus (Weißrussland) eine Einigung im Streit um die Gaspreise erzielt Sonst hätte der Energiekonzern Gasprom am Morgen des 1. Januar dem Nachbarland den Hahn abgedreht. Minsk hatte gedroht, im Gegenzug die Transitleitungen nach Westeuropa zu sperren.
Uribe: Gift auf Territorium Ecuadors Die von Kolumbien am 11. Dezember wieder aufgenommenen Besprühungen von Kokapflanzungen an der gemeinsamen Grenze haben zu einer Krise mit der scheidenden Regierung Ecuadors geführt, da die kolumbianischen Flugzeuge auch ecuadorianisches Territorium mit dem hochgiftigen Glifosat besprühen. Ecuadors Staatschef Palacio orderte den Botschafter aus Bogotá zurück; der ab übernächster Woche amtierende Rafael Correa sagte aus Protest einen geplanten Besuch bei Kolumbiens Präsident Uribe ab.
Verfassungsberatungen ausgesetzt Nach zweimonatiger Dauer sind am 29. Dezember in Birma die Beratungen über eine Verfassung ausgesetzt worden. Aus Delegiertenkreisen verlautete, der Vorsitzende Generalleutnant Thein Sein habe während einer Plenarsitzung angekündigt, dass die Arbeit im kommenden Jahr fortgesetzt werde. Ein genaues Datum sei nicht genannt worden. Die Militärregierung hatte die Arbeit der Verfassungsgebenden Versammlung als einen frühen Schritt bei der Wiederherstellung der Demokratie in Birma bezeichnet. Die Opposition hat die Beratungen dagegen als Farce abgetan. Die Delegierten seien alle von der Militärregierung ausgewählt worden, hieß es.
Visumpflicht für US-Bürger/innen Bolivien verlangt seit dem 1. Januar von allen Staatsangehörigen der USA ein Visum, so wie es seit langem auch umgekehrt der Fall ist. „Auch wenn Bolivien ein kleines Land ist, so hat es doch Würde“, sagte Präsident Evo Morales.
unsere zeit
Freitag, 5. Januar 2007
Argentiniens Kampf um Aufarbeitung der Diktatur
Verheerende Bilanz
In allen den Redaktionen der bürgerlichen Zeitungen und in den TV-Sendern bemühten sich Journalisten, ein möglichst positives Bild über die Ereignisse der letzten zwölf Monate zu zeichnen. Manchen Bilanzziehern gelang das etwas besser, andere hatten Probleme damit. Tatsache ist, dass uns der Rückblick auf 2006 wieder einmal mit Grauen erfüllt. Vor allem wegen der Kriege, die die Bush-Regierung im Namen des „Kampfes gegen den Terror“ führt oder unterstützt. Der Krieg im Irak hat dreieinhalb Jahre nach Bushs „Mission accomplished“ mehr Tod und Verderben gebracht als die Schreckensherrschaft eines Saddam Hussein, von dem uns befreit zu haben sich der Mann im Weißen Haus heute noch brüstet. Allein die USA haben den Ölinteressen im Irak bereits mehr Menschen geopfert als bei den Anschlägen vom 11. September getötet wurden. Im Zweistromland herrscht Bürgerkrieg, den man mit noch so schönen Worten nicht mehr vertuschen kann und der auch mit der Hinrichtung des Ex-Diktators alles andere als beendet wurde. Der Krieg in Afghanistan läuft immer mehr aus dem Ruder und die NATO ist auf dem schlechtesten Wege, sich dort in ein Abenteuer zu stürzen, das ebenso enden könnte wie einst der schmutzige Krieg der USA in Vietnam. Und nun ist in Somalia ein Stellvertreter-Krieg ausgebrochen, der zu neuem Leid und Elend führen wird und dazu beiträgt, die Welt statt sicherer immer unsicherer zu machen. Der Nahe Osten wird täglich mehr zu „Absurdistan“. Israel führt nach Belieben beinahe täglich Razzien durch, „gezielten Tötungen“ fallen immer wieder angeblich „gesuchte Terroristen“, aber auch viele Zivilpersonen zum Opfer. Das
Das Verschwindenlassen geht weiter
Foto: dpa
Über Washington knallt es nur an Silvester. höchste Gericht Israels erklärte erst jüngst derartige staatsterroristische Angriffe für „rechtens“. Und die EU-Nomenklatura applaudiert Olmert. Den Krieg Israels gegen den Libanon mochte die EU bis heute nicht als das bezeichnen, was er war, nämlich ein völkerrechtswidriges Verbrechen. Stattdessen wird in die UNO-Resolution hineininterpretiert, was nicht drinsteht, und die darin enthaltene Forderung nach Räumung der 1967 besetzten Gebiete wird weiterhin „übersehen“. Ebenso wird die freie Entscheidung der Wähler missachtet, das sich Anfang des Jahres eine neue Regierung für Palästina gewählt hatten, weil sie der alten nicht mehr trauten. Und als ob das nicht schon reichte, wird weiterhin eine Drohkulisse gegen den Iran aufgebaut und eine Situation heraufbeschworen, die ebenfalls bald aus dem Ruder laufen könnte.
Natürlich gab es auch viele Ereignisse, über die wir uns freuen können. Bei Wahlen in Venezuela, in Bolivien, in Chile in Ecuador und in Nicaragua siegten diejenigen, die eine antiimperialistische Linie verfolgen und mutig gegen wachsende Drohungen aus dem Norden auftreten. Wahlerfolge hatten Kommunisten und andere fortschrittliche Kräfte auch anderswo, wie jüngst auf Zypern. Darüber wiederum herrscht bei den Herrschenden wachsender Verdruss, und so greifen sie zu „altbewährten“ Mitteln des Antikommunismus und verbieten z. B. kurzerhand den Kommunistischen Jugendverband im EU-Land Tschechien. Denn sie wissen, es sind vor allem die Kommunisten, die ihnen die verheerende Bilanz dessen vorhalten, was im Namen von „Freiheit und Demokratie“ überall in der Welt angerichtet wird. Uli Brockmeyer
Wahlversprechen vergessen
In der Slowakei hat die Sozialdemokratie ihren Kredit schon verbraucht Die europaweit heftig umstrittene, aus Nationalisten und Sozialdemokraten zusammengesetzte Regierung der Slowakei beschloss kürzlich eine Reform der Einkommenssteuer, die dieses Jahr in Kraft treten soll. Premier Robert Fico gewann als Spitzenkandidat seiner sozialdemokratischen Smer-Partei die Wahlen im eben vergangenen Jahr vor allem mit dem Versprechen, mit der brutalen, neoliberalen Politik der rechten Vorgängerregierung Schluss zu machen. Ein wichtiges steuerpolitisches Symbol des rabiaten slowakischen Neoliberalismus war die so genannte „Flat Tax“, ein einheitlicher Steuersatz von 19 Prozent für alle wichtigen Steuerarten, der unabhängig vom Einkommen fällig wird. Sein Wahlversprechen, die slowakische „Flat Tax“ abzuschaffen und durch progressive Steuersätze zu ersetzen, wird Premier Fico wohl nicht halten. Der einheitliche Einkommenssteuersatz findet sich auch in der ab 2007 gültigen Steuergesetzgebung, nur wird er von einer „Millionärssteuer“ ergänzt, die laut der Regierung einer „sozialen Steuerpolitik“ dienen soll. Dabei scheint es sich bei der besagten Steuer eher um eine populistisches Manöver zu handeln, denn es sind gerade mal 90 000 Bürger der Slowakei von ihr betroffen. Diese Steuerzahler mit einem Einkommen ab umgerechnet 1 319 Euro müssen auch nicht einen höheren Steuersatz fürchten, sondern eine geringfügige Senkung der pauschalen Abschreibungsmöglichkeiten. In einer klassisch populistischen Geste sollten die Einkünfte der Parlamentarier die Einkommensgrenze bilden, ab der die „Millionärssteuer“ fällig wird, doch inzwischen ist klar, dass die slowakischen Volksvertreter diese Abgabe ebenfalls nicht zu zahlen brauchen, da ein Teil ihrer Einkünfte als „Aufwandsentschädigung“ ausbezahlt wird. Weitere steuerpolitische Vorhaben, die Ficos Sozialdemokraten im Wahlkampf propagierten, wie die Erhebung einer Sondersteuer auf Einkünfte von Banken und Monopolen, sind schon seit längerer Zeit „vergessen“ worden. Teile der slowakischen Regierungskoali-
tion können sich sogar vorstellen, die Steuern noch weiter zu senken. Der radikale Nationalist Jan Slota erklärte gegenüber der österreichischen „Presse“, dass er sich für eine Senkung der Flat Tax auf 17 oder gar 15 Prozent gegen ende der Legislaturperiode „stark machen werde“. Äußerungen wie diese haben offensichtlich zu einem beeindruckenden Einbruch von Slotas „Slowakischer Nationalpartei“ (SNS) bei den kürzlich abgehaltenen Kommunalwahl beigetragen, die zudem zu einer blamablen, persönlichen Niederlage des strammen, nie um rassistische Pöbeleien verlegenen Nationalisten führte. Slota verlor den Bürgermeisterposten in seiner politischen Heimstadt Zilina, den er seit der „Wende“ bekleidete, an einen Christdemokraten. Es war vor allem die Koalition mit Slotas SNS, die Premier Fico europaweite Kritik und den Ausschluss seiner Partei aus der Fraktion der europäischen Sozialdemokraten einbrachte. Ficos Smer scheint den Zenit ihrer Popularität ebenfalls überschritten zu haben, da die angestrebte Abwahl des konservativen Bürgermeisters in Bratislava scheiterte und zudem etliche durch die Sozialdemokraten angepeilten Oberbürgermeisterposten nicht errungen wurden – nur im südslowakischen Nitra und in Banska Bystrica erreichte die Smer ihre Wahlziele. Die europäischen Sozialdemokraten (SPE) suspendierten die Mitgliedschaft von Ficos Smer-Partei Mitte Oktober – offiziell wegen der Bildung einer Koalition mit der Nationalpartei (SNS) Jan Slotas. Nur 15 tschechische und slowakische EU-Sozialisten stimmten gegen den Ausschluss der Smer. Die westeuropäische Sozialdemokratie wirft ihrer Bruderpartei vor, durch die Koalition mit der nationalistischen SNS die „gemeinsamen europäischen Werte“ verraten zu haben. In den ersten Monaten seiner Regierungszeit brachte Robert Fico ebenfalls westeuropäische Investoren und deren wirtschaftsnahe Journaille gegen sich auf, als er einen vorläufigen Stopp aller Privatisierungen ankündigte. Unmittelbar betroffen war eine Tochterfirma der Öster-
reichischen Bundesbahn, die Rail Cargo Austria (RCA), die den Zuschlag für die staatliche slowakische Gütereisenbahn Cargo Slovakia schon sicher glaubte. Kurz nach den Wahlen ließ Robert Fico verlauten, dass ein solcher Verkauf einer „Katastrophe“ für die Slowakei gleichkäme und schloss eine Privatisierung der slowakischen Güterbahn definitiv aus. Ihre Besorgnis artikulierten auch Österreichs Finanzkreise, als Ficos „Bankensteuer“ noch im Gespräch war, da davon vor allem die österreichischen Geldinstitute betroffen gewesen wären, die in der Slowakei den Markt dominieren. Die österreichische „Erste Bank“ hat mit der Slovenska Sporitelna den Marktführer im Privatkundengeschäft erworben, die Raiffeisen International mit der Tatra Banka das drittgrößte Institut des Landes – die ehemals lautstark auf Zeitungsseiten vorgetragenen Befürchtungen des österreichischen Finanzkapital entpuppten sich nun als unbegründet. In Sachen Euro-Einführung gab Bratislava schon kurz nach den Wahlen im Juni klein bei und verpflichtete sich zu einer Finanzpolitik, die klar an der Einführung der Europäischen Währung Anfang 2009 festhält. Nur einen Monat nach der Regierungsbildung, im Juni 2006, erklärte Fico bei einem Treffen mit Nationalbankchef Ivan Sramko, dass die für Anfang 2009 geplante Einführung des Euro absolute Priorität habe, auch wenn aufgrund der Erfüllung der Maastricht-Kriterien einige soziale Wahlversprechen auf der Strecke bleiben würden. Zufrieden mit der Regierung Fico zeigt sich nun auch die wirtschaftsnahe Presse. Die „Business Week“ lobte kürzlich die „umsichtige Politik“ Ficos, der seine Wahlversprechen „kürzte“, das „Gerüst der Reformen“ der Vorgängerregierung beibehielt und sich zu einer baldigen Einführung des Euro verpflichtete. Bei einem solchen Führungszeugnis werden sicherlich die europäischen Sozialdemokraten auch die slowakischen „Genossen“ bald wieder in ihrer Mitte willkommen heißen. Zygmunt Szczypiorek
In Argentinien konnten die politischen Parteien der Rechten zu anderen Zeiten demagogisch operieren, aber heute ist ihr Prestige, so weit sie überhaupt noch existieren, schwer angeschlagen. Was bleibt, ist die Aktion von Mördergruppen, die im ganzen Land existieren und im Staatsapparat, vor allem den Provinzpolizeien, fest verankert sind und auch in Regierung, Parlament und Justiz ihre Leute haben. Im vergangenen September wurde der Bauarbeiter Jorge Julio López, der im Strafprozess gegen den Polizeikommissar Miguel Etchekolatz, einen der berüchtigtsten Folterer der Diktatur, als Belastungszeuge auftrat, entführt und ist seither verschwunden. Nachdem Etchekolatz zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt wurde, wurde der Familie anonym nahegelegt, sich keinesfalls an die Menschenrechtsorganisationen zu wenden und schon gar nicht die öffentliche Meinung zu mobilisieren: dann würde der Mann vielleicht mit einem bloßen „Denkzettel“, aber immerhin lebend davonkommen. Die Leute ließen sich schrecken und unternahmen nichts oder wenig. Es war zum Teil aus diesem Grunde, dass die Mobilisierung, die Massensolidarität mit López nur schleppend einsetzte. Was aber die Täter wohl vor allem bezweckten (dass die Strafprozesse gegen die Mörder und Folterer der Militärdiktatur eingestellt würden), erreichten sie nicht. Also gab es am 27. Dezember einen neuen Terrorakt. Der 51-jährige Links-Aktivist Luis Ángel Gerez, auch ein Bauarbeiter und Vater von acht Kindern, wurde ebenfalls entführt. Auch er hatte als Zeuge einen Folterer entlarvt: den Polizeisubkommissar Luis Abelardo Patti, der so frech war, eine Kandidatur fürs Parlament zu präsentieren. Aber Gerez’ Aussage hatte verhindert, dass er dieses Amt antreten konnte. Jetzt aber war die Reaktion eine andere. Die Familie wandte sich sogleich an die Menschenrechtsorganisationen und an die Linksparteien. Massendemonstrationen fanden statt. Ein großer Teil der Medien reagierte, wie es sich gehört. Und die Regierung begriff, dass dieser Anschlag auch und zumal direkt gegen sie gerichtet war. Präsident Néstor Kirchner hielt über Radio und Fernsehen eine Rede, in der er erklärte, dass die Strafprozesse gegen die Militärmörder nicht eingestellt werden würden und dass er an das Volk, an alle politischen Parteien und soziale Organisationen appelliere, um durch Massenmobilisation dem Rechtsterrorismus Einhalt zu gebieten. Unter diesen Umständen wurde Gerez am 29. Dezember um 20.30 Uhr freigelassen. Es war eine dramatische Situation: alle Welt saß am Bildschirm, als die Nachricht kam: „¡Apareció! – Er ist gefunden!“ Er war halbnackt und taumelte unter schwerem Nervenschock durch die Straßen eines Dorfes. Er war schwer gefoltert worden und wies Male von Schlägen am Kopf und am Rumpf auf, sowie Fesselspuren an Hand- und Fußgelenken, und Wunden von brennenden Zigaretten am ganzen Körper. Er hatte Kraft genug, um sich zu weigern, ein Polizeifahrzeug zu besteigen, wenn nicht ein Mitglied seiner Familie oder einer seiner Freunde dabei wäre. Ein Menschenleben gerettet: durch die entschlossene, einmütige Aktion des Volkes und der Regierung, die sich hier betrug, wie sich eine Regierung angesichts eines gewalttätigen Anschlags auf die Legalität betragen soll! Es ist ein bedeutender Sieg der „Democracia Participativa“, der direkten Aktion des Volkes auf diesem Kontinent, wo, wie man weiß und täglich spürt, ein breiter, revolutionärer Prozess im Gange ist. Ohne Zweifel handelt es sich um einen weiteren Beitrag zu diesem Prozess, der sicher von den Menschen als solcher erkannt werden wird.Alfredo Bauer, Buenos Aires
Freitag, 5. Januar 2007
unsere zeit
Ausland / Seite 11
Vergewaltigung durch Blauhelme
Machtfragen
Krieg am Horn von Afrika
Schutztruppe für Haiti ist in der Kritik
Seit Juni 2004 ist die UN-Stabilisierungsmission für Haiti (MINUSTAH in der französischen Abkürzung) in dem Karibikstaat stationiert. Es geht offiziell um die Befriedung des Landes nach dem gewaltsamen Sturz des gewählten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide, betrieben durch die USA und Frankreich. Die derzeit aus 8 800 Polizisten und Soldaten bestehende Schutztruppe setzt sich außer u. a. spanischen, chinesischen und pakistanischen Militärs im Wesentlichen aus südamerikanischen Verbänden zusammen, die den USA und der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich damit den größten Teil der Schmutzarbeit abnehmen. Von den zwanzig Oberkommandierenden sind aber nur zwei Südamerikaner, die anderen kommen aus Italien, den USA, Frankreich oder Kanada. Wie auch in anderen Fragen von „übergeordnetem Interesse“ (Handel, Schuldenzahlung) sind sämtliche „Linksregierungen“ des Kontinents mit mehr oder weniger Eifer dabei: Brasilien (mit 1 200 Soldaten), Chile, Argentinien, Uruguay; aber auch andere wie Ecuador oder Paraguay haben ihre UN-Blauhelmkontingente in Haiti. Chiles Senat hat Ende November mit 25 Ja-Stimmen gegen acht Enthaltungen (der rechtsextremen UDI) einer Verlängerung des Einsatzes bis Juni zugestimmt. Außenminister Alejandro Foxley: „Wir können uns nicht zur Unzeit aus Haiti zurückziehen.“ Denn es geht ja angeblich um Aufbau von „Gebäuden, Straßen und sozialen Projekten, die durch die Europäische Union und die Interamerikanische Entwicklungsbank finanziert werden“, wie das ecuadorianische Verteidigungsministerium bei der Entsendung von 66 Blauhelm-Soldaten nach Haiti im Dezember bekannt gab. Als wäre nicht schon die Tatsache dieser militärischen Kooperation mit den USA (und der damit untrennbar verbundenen Anerkenntnis der Rechtmäßigkeit des Sturzes von Aristide) angesichts der gern gepflegten USA-Schelte fragwür-
dig genug, so kommen verschiedene Skandale hinzu, die MINUSTAH-Soldaten zu verantworten haben. Es häufen sich die Vorwürfe wegen sexueller Nötigung, Vergewaltigung und anderer Delikte, vorwiegend gegen Kinder und Jugendliche, begangen durch UN-Soldaten. Über dreißig Fälle werden von der haitianischen Justiz untersucht, wobei es immer wieder um Nötigung gegen Begünstigung bei Lebensmittelzuteilungen etc geht. In die internationale Presse schaffen es aber eher Gefechte der Truppen mit „Rebellen“, deren Herkunft in den Meldungen in der Regel unklar bleibt. So starben bei Auseinandersetzungen in Cité
Soleil, einem nördlichen Stadtteil der Hauptstadt Port-au-Prince, kurz vor Weihnachten mindestens drei Menschen, zwei Dutzend wurden verletzt. Die Aktion, mit der die MINUSTAH ihren Ruf aufpolieren und gleichzeitig von den Skandalen ablenken will, galt der Bekämpfung der Entführungsindustrie, einem der florierenden Geschäfte im ärmsten Land Amerikas. In Haiti lebt die Mehrheit der acht Millionen Menschen von weniger als 1,50 Euro pro Tag. Die Vereinten Nationen haben am 18. Dezember ihre Mitgliedsländer aufgefordert, knapp 75 Millionen Euro an Wirtschaftshilfe und für die Sicherung von Basisdienstleistungen für die Not leiden-
den Menschen bereitzustellen. Im Februar entscheiden die UN über eine Verlängerung des MINUSTAH-Einsatzes über den 30. Juni hinaus. Während der Kommunalwahlen Anfang Dezember kamen vier Personen ums Leben, wobei sich die MINUSTAH in einem Kommuniqué über den insgesamt friedlichen Verlauf zufrieden zeigte. Die Wahlen, zu denen 29 000 Kandidat/inn/en für 1 142 Sitze antraten, waren der letzte Schritt der Rückgabe der „parlamentarischen Souveränität“ Haitis nach der Präsidentschafts- und der Parlamentswahl zu Beginn des Jahres. Günter Pohl
EnergieSchlüsselrolle
Turkmenistan zwischen USA und Russland Foto: dpa
Die „guten Onkels“ von der UN sind in Verruf geraten.
„Kollektive Kandidatur“ ohne Einheit FKP-Sekretärin Marie George Buffet als Kandidatin nominiert
Zwei Tage vor Weihnachten hat die Nationalsekretärin der Französischen Kommunistischen Partei, Marie George Buffet, ihre Entscheidung bekannt gegeben, als Kandidatin zur französischen Präsidentenwahl am 22. April 2007 anzutreten. In ihrer dazu veröffentlichen Erklärung und einen Tag später bei einem Auftritt im Fernsehen betonte sie, dass sie diese Kandidatur aber nicht als Parteikandidatur der FKP verstanden wissen will. Sie rufe vielmehr alle Komponenten der antiliberalen Sammlungsbewegung auf, eine „kollektive Kandidatur“ unter Achtung der verschiedenen Strömungen, die sich in dieser Bewegung zusammengefunden haben, aufzubauen. Deshalb gab sie gleichzeitig die zeitweilige Suspendierung ihrer Funktion als Nationalsekretärin der FKP bekannt. Die einseitige Bekanntgabe dieser Kandidatur ist in der antiliberalen Sammlungsbewegung allerdings umstritten und teilweise auf heftige Kritik gestoßen. Zur Begründung hatte M. G. Buffet angeführt, dass ein längeres Hinausschieben des aktiven Wahlkampfs der „Antiliberalen“ über den Jahresanfang hinaus nicht mehr zu rechtfertigen sei. Schließlich gehe es darum, die Rechten dauerhaft zu schlagen und statt einer sozialliberalen Verzichtspolitik, wie sie die sozialdemokratische „Parti Socialiste“ und ihre Kandidatin Ségolène Royal verkörpert, „einem anderen Weg der Linken“ zum Erfolg zu verhelfen, der in die Bildung einer Regierung münden kann, „die von der Mobilisierung des Volkes getragen wird und den Aktionären, der Brüsseler EU-Kommission, dem globalisierten Kapitalismus entgegentritt“. Doch während die Rechten, die PS und auch die Rechtsextremisten unter Le Pen bereits in Aktion sind, sei die antiliberale Sammlung immer noch blockiert
Die Welt hat zum Jahresabschluss einen neuen Krieg bekommen: Äthiopische Flugzeuge und Panzer treiben in Somalia islamistische Milizen zurück. Sie hatten in dem seit 15 Jahren von Bürgerkrieg, Anarchie und Armut zerrütteten Nachbarland mit einer Regierung ohne Macht mehr und mehr die Kontrolle übernommen und träumen von einem Gottesstaat. Was man nicht nur in Addis Abeba mit Sorge sieht. Vor allem Washington fürchtet ein Rückzugsgebiet für Al Kaida und andere Terroristen. Doch trotz Unterstützung für die zerstrittenen Warlords im Lande konnte der Vormarsch der Islamisten nicht aufgehalten werden, auch weil es den geschundenen Menschen an erstrebenswerten Alternativen fehlt. Und weil die Rebellen Hilfe aus Eritrea bekommen, das seit Jahren im Grenzstreit mit Äthiopien steckt. So ist dieser neue Regionalkrieg am Horn von Afrika viel globaler, als es auf den ersten Blick scheint. In Somalia geht es um viele Interessen, kämpfen nicht nur Clans um die Macht, sondern auch ausländische Mächte um Einfluss und strategischen Bodengewinn. Äthiopiens massives Eingreifen könnte dabei fatale Folgen haben. Es radikalisiert die Islamisten, die man gerade erstmals an den Verhandlungstisch gebracht hatte, verschafft ihnen neuen Rückhalt in der Bevölkerung und verschärft die Gefahr eines Flächenbrandes, bis hin zur Spaltung der Afrikanischen Union. O. S.
durch eine Debatte der Spitzen über die Kandidatur. Dieser lähmende Zustand müsse nun dringend beendet werden. In der Tat hatten sich die Vertreter der politischen Organisationen, die sich der „antiliberalen Sammlung“ angeschlossen hatten (FKP, eine Minderheit der trotzkistischen „LCR“, die Vereinigungen „Mars“, „Gauche Républicaine“, „Convergence Citoyenne“, „Alter Ekolo“ und „Alternatifs“ sowie die PRS), in zwei zentralen Zusammenkünften nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten für die Präsidentenwahl einigen können. Dabei hatten sich alle Beteiligten zuvor auf zwei großen nationalen Zusammenkünften im September und Oktober auf eine gemeinsame politische Strategie (Ablösung der Rechtsregierung, keine Wiederholung einer „Linksregierung“ à la Jospin, Durchsetzung einer tatsächlichen Abkehr von neoliberaler Politik) und auf ein 100Punkte-Programm „für die soziale Transformation“ geeinigt. Die Frage, welche Person letztlich für das antiliberale Bündnis als gemeinsame Spitzenkandidat/in bei der Präsidentenwahl benannt würde, erschien demgegenüber als eher untergeordnet. Wesentlich wichtiger ist es eigentlich, bei der nach der Präsidentenwahl im Juni 2007 folgenden Parlamentswahl möglichst viele Parlamentssitze für die „antiliberale Sammlung“ zu gewinnen, da davon die künftige Regierungsbildung entscheidend abhängt. Der Zwang zur Personalisierung der vielgestaltigen linken Bewegung auf eine einzige „Spitzenfigur“ ergab sich lediglich aus den institutionellen Bestimmungen des einst von General de Gaulle erfundenen Präsidialregimes mit Direktwahl des Staatspräsidenten. Um den Streit über die Kandidaturfrage zu entschärfen, hatte M. G. Buffet vorgeschlagen, die „Falle der Personalisie-
rung“ dadurch zu umgehen, dass ein gemeinsames „Spitzenkollektiv“ aller von den verschiedenen Strömungen der „antiliberalen Sammlung“ vorgeschlagenen Linkskandidaten gebildet wird, das in strikter Gleichberechtigung über alle Fragen der Wahlkampfführung gemeinsam entscheidet und auch in der Öffentlichkeit und im Fernsehen als kollektive Vertretung der „linken Sammlung“ gleichberechtigt sichtbar gemacht wird. Dies wurde von den anderen beteiligten Vereinigungen aber nicht als ausreichende Garantie akzeptiert. Einige erklärten, eine Kandidatur der FKP-Parteichefin auf keinen Fall akzeptieren zu können, weil dadurch der Eindruck entstehen würde, dass die Linkskandidatur der „Antiliberalen“ von der FKP dominiert sei. Teilweise wurde sogar behauptet, dass die FKP die lokalen Komitees „unterwandert“ habe, um die antiliberale Sammlung so unter ihre Hegemonie zu bringen. Die FKPFührung ihrerseits erklärte dazu, dass sie keinerlei Führungsrolle beanspruche, aber auf Gleichberechtigung und Gleichbehandlung im Bündnis bestehe und somit wie alle anderen das Recht zum Vorschlag einer Kandidatin haben müsse. Eine politische Ausgrenzung oder Diskriminierung der FKP könne nicht akzeptiert werden, zumal sie tatsächlich die landesweit am besten organisierte und stärkste politische Kraft ist, die sich für das Zustandekommen des antiliberalen Bündnisses auf zentraler wie auf örtlicher Ebene aktiv engagiert hat. Die Führung der sozialdemokratischen PS war bestrebt, diesen Streit im Lager ihrer linken Konkurrenz durch das Schüren antikommunistischer Vorurteile bis zum Verweis auf die „stalinistische Vergangenheit“ der FKP kräftig anzufachen. Bei der Ankündigung ihrer Kandidatur verwies M. G. Buffet nun darauf, dass es
unter diesen Umständen leider nicht gelungen sei, unter den „Spitzen“ der antiliberalen Sammlung einen Konsens über die Frage der Präsidentschaftskandidatur zu finden. Doch bei der Ende November/Anfang Dezember durchgeführten Befragung bzw. Abstimmung der Basis der lokalen Komitees der „antiliberalen Sammlung“ hatte sich bei den 569 Komitees, die Protokolle darüber an die zentrale Koordinierungsstelle geschickt hatten, eine deutliche Mehrheit von etwa 62 Prozent für M. G. Buffet ergeben. Die Kandidaturfrage hat allerdings auch innerhalb der FKP zu einer Verstärkung innerparteilicher Differenzen geführt. Sechs Mitglieder des nationalen Exekutivkomitees der FKP, darunter der Historiker Roger Martelli und der frühere Humanité-Direktor Pierre Zarka, haben ihren Rücktritt aus diesem Führungsgremium erklärt, weil sie sich mit ihrer in einer öffentlichen Erklärung erhobenen Forderung, die Kandidatur von M. G. Buffet im Interesse der Gemeinsamkeit mit den anderen Kräften der antiliberalen Bewegung zurückzuziehen, nicht durchsetzen konnten. In einer zweiten Mitgliederabstimmung der rund 90 000 FKP-Mitglieder, an der trotz der kurzfristigen Ansetzung 56,4 Prozent teilnahmen, hatten sich 81,5 Prozent der Abstimmenden für die Beibehaltung der Buffet-Kandidatur ausgesprochen. In ihrer Kandidaturerklärung betonte M. G. Buffet die Notwendigkeit, sich ungeachtet vorhandener Meinungsunterschiede zusammenzuschließen, um das große Ziel einer antiliberalen Wende in Frankreich durchzusetzen. Mit ihrer Kandidatur ziele sie darauf ab, „die Blockaden zu überwinden und die Dynamik der Volksbewegung wieder in Gang zu bringen, damit die Hoffnung neu belebt wird“. Pierre Poulain
Derzeit wird fast das gesamte in Turkmenistan geförderte Gas durch alte Pipelines aus sowjetischer Zeit, die vom staatlichen russischen Energiekonzern Gasprom übernommen wurden, zur Versorgung großer Teile West-Russlands, aber auch zur Weiterleitung nach Westeuropa gepumpt. Laut dem russischen Ökonomen Mikail Delyagin „kann der europäische Teil Russlands ohne das Gas aus Turkmenistan nicht existieren“. Daher stelle „die Kontrolle über das turkmenische Gas einen kategorischen Imperativ für Russlands Entwicklung in den nächsten zehn Jahren dar“, so Dalyagin kürzlich im US-finanzierten Sender Radio Free Europe/Radio Liberty". Auch China ist zunehmend auf den Import von Öl und Gas angewiesen, um sein rasantes Wirtschaftswachstum zu unterfüttern. Ab Januar 2009 sollen jährlich 30 Milliarden Kubikmeter Gas über eine neue Pipeline aus Turkmenistan kommen. Nijasow hatte China zudem eingeladen, sich an der Entwicklung des gigantischen Iolotan-Feldes zu beteiligen, das allein 7 Billionen Kubikmeter Gas enthalten soll – mehr als alle nachgewiesenen Reserven Saudi-Arabiens. Damit spielt Turkmenistans eine Schlüsselrolle in der künftigen Energieversorgung Chinas und auch Russlands. Aber auch Washington plant seit langem eine Pipeline unter dem Kaspischen Meer hindurch, um die reichen Energiereserven Turkmenistans gen Westen zu pumpen. Das zweite Projekt des Bush-Teams ist eine Pipeline vom Kaspischen Meer durch Afghanistan nach Pakistan zu Verladehäfen am Indischen Ozean. Aber der stets misstrauische „exkommunistische Diktator“ Nijasow wollte den US-amerikanischen Plänen nicht folgen. Mit einer neuen US-gesponserten „Reform“-Regierung in der turkmenischen Hauptstadt könnte die Bush-Regierung Russland in große Schwierigkeiten bringen, den heimischen Gasbedarf zu befriedigen und zugleich seinen Exportverpflichtungen nach Westeuropa nachzukommen, und auch Chinas Hoffnungen auf mehr zentralasiatisches Gas torpedieren. Rainer Rupp
Seite 12 / Aktionen, Erfahrungen, Ideen
Termine FR # 5. Januar
Freiburg: DKP-Treff, NiF Rufacher Straße 6a,
19.30Uhr.
MO # 8. Januar
Kiel: DKP-Treff, Club M, Stadtfeldkamp 22, 19.30 Uhr.
DI # 9. Januar
Berlin: Mitgliederversammlung der DKP-
Gruppe Pankow-Lichtenberg. Altes ND-Gebäude, Raum 311, Fanz-Mehring-Platz 1, 19.00 Uhr.
MI # 10. Januar
München: „Parteiprogramme im Vergleich – Eckpunktepapier Linkspartei PDS/WASG und Parteiprogramm der DKP.“ Referent Walter Listl. Gruppenabend der DKP-Gruppen im Münchner Osten. KommTreff, Lothringer Straße 6, 19.00 Uhr. Düsseldorf: Mitgliederversammlung der DKP Eller. Gaststätte Pils, Ecke Richardstraße/Schlesische Straße, 19.30 Uhr. Wuppertal: Grundfragen der marxistischen Philosophie. MASCH Wuppertal, Gathe 55, 19.00 Uhr.
DO # 11. Januar
Flensburg: Mitgliederversammlung der DKP. Restaurant „Feuerstein“, Norderstraße 98, 20.00 Uhr.
SA # 13. Januar
Berlin: Antifaschistisches Jugendtreffen der
VVN-BdA. Stadthaus Böcklerpark, Prinzenstraße 1, 14.00 Uhr. Berlin: Lenin-Liebknecht-Luxemburg-Veranstaltung der DKP. Mensa der Technischen Universität, Hardenbergstraße 34, 19.00 Uhr.
SO # 14. Januar
Berlin: Liebknecht-Luxemburg-Demonstrati-
on. U-Bahnhof Frankfurter Tor, 10.00 Uhr.
DI # 16. Januar
Recklinghausen: DKP-Treff, Kellerstraße 7, 19.30 Uhr.
MI # 17. Januar
Tübingen: Öffentliche Treffen der DKP. Linkes
Forum, Ammergasse 14, 1. Stock, 20.00 Uhr. Tübingen: Öffentliches DKP-Treffen. Linkes Forum, Ammergasse 14, 1.Stock, 20.00 Uhr.
SA # 20. Januar
Köln: Neujahrstreffen der DKP Köln, Buchle-
sung mit Heinz Stuckmann. Freidenkerzentrum, Bayenstraße 11, 15.00 Uhr.
unsere zeit
Freitag, 5. Januar 2007
DKP initiierte Denkmal für Arbeiterkultur Die rote Fahne am Bürgerhaus Mörfelden
In Mörfelden-Walldorf hat die DKP/OLFraktion im Stadtparlament im Jahre 2002 ein Denkmal für die Erbauer des alten Mörfelder Volkshauses (heute das Bürgerhaus) initiiert und durchgesetzt. Es gab einen Wettbewerb – unter 33 Einsendungen wurde ein beeindruckender Vorschlag ausgewählt. In der Presse ist jetzt zu lesen: „Die aufgefalteten Seitenteile wirken aus der Perspektive wie rote Fahnen im Wind. Ein Schrei in Rot!“ „Also seid ihr verschwunden, aber nicht vergessen“, steht auf der roten Stahlskulptur von Professor Gerhard Schweizer, mit der er die Jury überzeugte. Mit dem Zitat aus Bertolt Brechts Gedicht „An die Kämpfer in den Konzentrationslagern“ will der Darmstädter Künstler an die wechselvolle Geschichte des in den Jahren 1928 bis 1930 in unzähligen ehrenamtlichen Stunden von Arbeitern errichteten Volkshauses und das Schicksal seiner Erbauer erinnern. Nur kurze Zeit konnten sich die Einwohner in der damaligen armen Arbeitergemeinde Mörfelden an ihrem Volkshaus erfreuen. Es wurde eröffnet mit der Aufführung des Filmes „Panzerkreuzer Potemkin“, hier sprachen Erich Weinert und Willi Münzenberg, es gab viele Sport- und Kulturveranstaltungen. 1933 wurde das Gebäude von den Nazis geschlossen und der Ar-
beiter-Verein zur staatsfeindlichen Organisation erklärt. Viele der Erbauer, es waren alles Kommunisten, wurden in Konzentrationslager verschleppt. Die rote, an Fahnen erinnernde Stahlskulptur solle nun als Ort des Gedenkens dienen. Die Winkel der Faltungen der Skulptur und die Schriftzeichen hat Schweizer nach perspektivischen Gesichtspunkten konstruiert. Das Zitat ist nur dann lesbar, wenn der Betrachter an einem bestimmten Ort steht oder sich zumindest diesem nähert. Die Jury (hier arbeitete auch ein DKP-Genosse mit) begeistert sich für die perspektivische Faltenskulptur, weil sie an den Baushausstil erinnert und dennoch Leichtigkeit vermittelt. Das Werk ist an der höchsten Stelle 5,50 Meter und an der niedrigsten 1,56 Meter hoch. Mehrere Meter lange Stahlplatten in Rot sind so verschweißt, dass sich eine mehrfach gewinkelte Konstruktion ergibt. „Das Rot erinnert an die kommunistische Fahne. Die Vielschichtigkeit und die subtile Metapher des Werks haben mich überzeugt“, sagte einer der Preisrichter, Prof. Ariel Auslender, bei der Vorstellung. Außerdem begeistere ihn, wie klug Schweizer mit der Perspektive gearbeitet habe. Die Buchstaben im Vordergrund seien kleiner als die Buchstaben im Hintergrund, so dass von einem Standpunkt aus der Spruch in gleichför-
migen Lettern geschrieben scheint. Wer um sie herum gehe und andere Standorte suche, sehe ein abstraktes Standbild, durch dessen Durchblicke das Licht scheint, und ein „schönes Bild“ ergebe. Licht und Schatten würden im Wechsel der Jahreszeiten erlebbar, urteilte zudem die Jury. Mit dem Brecht-Zitat habe Schweizer die Zeit und den Geist der Gründer getroffen. Zudem lehne die
Geometrie des Werks an die Entstehungszeit des Volkshauses an, so die Jury. Das Kunstwerk soll im nächsten Sommer auf der Wiese vor dem Haupteingang des Bürgerhauses aufgestellt werden. Die DKP / Linke Liste-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung Mörfelden-Walldorf freut sich über die weitere Erinnerungsstätte in der Stadt. Rudi Hechler
Foto: Hechler
Gerd Schulmeyer, Fraktionsvorsitzender der DKP/LL, begutachtet das Modell des Denkmals.
CDU-Vorsitzender stolperte über „blöden Alleingang“ Antifaschisten in Gevelsberg verunglimpft
Über seinen „blöden Alleingang“ (CDURatsfrau Annette Fischer) stürzte der Gevelsberger CDU-Stadtverbandsvorsitzende Thorsten Uhle im Dezember. Er hatte u. a. eine „stalinistische“ Zukunftsvision für Gevelsberg präsentiert, in der auch die Umbenennung einer Schule der Stadt in „Honecker-Antifa-Schule“ eine Rolle spielte. In Gevelsberg gibt es seit Jahren eine rührige Antifa, in der auch der bekannte Kommunist Heinz Müller tätig ist. Als sich die örtliche SPD im November auf ihrem Parteitag als Schwerpunkt mit Strategien der Neonazis beschäftigte, trat Heinz Müller in diesem Rahmen als sachkundiger Gastredner für die lokale Antifa auf. In seinem Redebeitrag ver-
wies Müller auch auf Äußerungen von CDU-Politikern wie der „durchrassten Gesellschaft“ (Stoiber) und „Kinder statt Inder“ (Rüttgers) und sprach seine Befürchtung aus, dass damit rechtem Gedankengut der Nährboden bereitet würde. Das brachte den CDU-Vorsitzenden von Gevelsberg in Wallung. Folgt man ihm, so sei ohnehin die SPD an allem schuld. Das verkündete er in Leserbriefen und auf der CDU-Internetseite. Und diffamierte DKP-Mitglied Heinz Müller in bewährt antikommunistischer Form. Anschließend verlor er dann wohl jedes Maß. Auf der CDU-Homepage stellte er „die eigene linksextreme und demokratiefeindliche Gesinnung“ der Gevelsberger SPD fest, beschwor die Gefahr, dass
bald der Eingangsbereich des Gevelsberger Gymnasiums mit einem Hammer-und-Sichel-Monument umgestaltet werden könne und eines zukünftigen SPD-Antrags, das städtische Gymnasium in „Honecker-Antifa-Schule“ umzubenennen. Ebenfalls stellte die CDU im Rat den Antrag, den städtischen Zuschuss in Höhe von 340 Euro für den „Antifaschistischen Arbeitskreis“ zu streichen. Damit forderte der CDU-Chef den breiten Widerstand der demokratischen Öffentlichkeit heraus. Der Schulleiter des Gymnasiums verwahrte sich dagegen, in die CDU-Polemiken hineingezogen zu werden. Parteilose Bürger wie der Schulleiter einer weiteren Schule würdigten die „beeindruckenden Ge-
schichtsstunden“, die der Antifaschistische Arbeitskreis an und außerhalb seiner Schule durchgeführt habe. Die Schulpflegschaftsvorsitzende des Gymnasiums erklärte, dass der CDU-Chef „den gebotenen objektiven Raum“ verlassen habe. Diese und weitere öffentlichen Proteste wurden der Gevelsberger CDU zuviel, sie wollte ihren Chef auf einer Vorstandsitzung zum Einlenken bewegen. Dieser zeigte sich jedoch beratungsresistent und legte schließlich seine Funktion als Vorsitzender des CDU-Stadtverbandes nieder. Die Partei erklärte, dass Uhle alles als „blöden Alleingang“ zu verantworten habe und seine Polemik „in keiner Weise mit der Partei abgesprochen gewesen sei“.
Häufigste Frage: Wie geht es Fidel? Dr. Sánchez Robaina stand auf vielen Veranstaltungen Rede und Antwort
Auf Einladung der DKP hielt sich Dr. Yosvany Sánchez Robaina vom 13. November bis 13. Dezember 2006 in Deutschland auf. Er ist Repräsentant der Asamblea Poder Popular (Landtag) der Provinz Matanzas. Auf vielen Veranstaltungen gab er Antworten auf Fragen, die Freundinnen und Freunde Kubas bewegen: Was ist mit Fidel? Wie geht es weiter? Wer sind die Miami-5? Wird Kuba der 51. Staat der USA? Geht der Traum der Miami-Five in Erfüllung? Wieso ist das kubanische Gesundheitswesen das Beste der Dritten Welt? Zum Abschluss seiner Reise stellte ihm Werner Sarbok einige Fragen. UZ: Welche Erwartungen hattest du an die Reise nach Deutschland und wurden sie erfüllt?
Dr. Sánchez Robaina
Yosvany Sánchez Robaina: Die Erwartungen bezüglich meines Aufenthaltes in Deutschland wurden erfüllt: es kam ein fruchtbarer und produktiver Meinungsaustausch zustande mit der Leitung der DKP, der die Beziehungen zwischen der DKP und der Kommunistischen Partei Kubas weiter gestärkt und die Beziehungen zur Provinzregierung der Poder Popular der Provinz Matanzas erweitert hat. Ich konnte informieren über die Strategien, die die kubanische Regierung auf dem Gebiet des Gesundheitswesens, der Erziehung, der Einsparung von Energie, beim Wohnungsbau, auf dem Gebiet der
Kultur und des Sports, beim Aufbau des Tourismus, für die immer mehr aktivere Beteiligung der Frauen an den Aufgaben der kubanischen Revolution sowie zur Erhöhung der industriellen Produktion im Lande entwickelt hat. Zum anderen hatte der Besuch den Zweck, den politischen Willen zu verstärken im Kampf zur Aufhebung der unrechtmäßigen Blockade der USA gegen Kuba. Bei den Gesprächen konnte ich an konkreten Beispielen die negativen Auswirkungen der Blockade im ökonomischen, sozialen, kulturellen, wissenschaftlichen und akademischen Bereich
erläutern. In allen Veranstaltungen wurde der Terrorismus, der von der Regierung der USA genährt und geschützt wird, verurteilt, und man setzte sich für die gerechte Sache der Feilassung der fünf vom Imperium inhaftierten Helden, der „Miami5“, ein. UZ: Welche Fragen wurden dir bei den Veranstaltungen am häufigsten gestellt? Wo lagen die Interessen der Besucher? Yosvany Sánchez Robaina: Die Fragen, die von den Teilnehmer bei jedem Treffen am meisten gestellt wurden, waren die nach dem Gesundheitszustand von Comandante en Jefe Fidel Castro Ruz sowie Fragen zur aktuellen Situation in Kuba während seiner Genesungsphase. Eine andere Frage die bei jedem Treffen gestellt wurde, war die im Hinblick auf den solidarischen Einsatz der kubanischen Ärzte in anderen Ländern der Welt. UZ: Bei deutschen Arbeiter steht die Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes ganz oben auf der Liste ihrer Sorgen. Wie hast du das wahrgenommen? Yosvany Sánchez Robaina: Bei meinem Aufenthalt in Deutschland konnte ich sehen, welche Sorgen den Menschen die Arbeitslosigkeit bzw. das knappe Angebot an Arbeitsplätzen aufgrund der Privatisierung der Betriebe und der entsprechenden Modernisierung und Automatisierung der wichtigsten Produktionszweige macht. Daraus ergibt sich auch die Rolle der Gewerkschaften zur Bewah-
rung der Rechte der arbeitenden Menschen in den Betrieben. In diesem Sinne gibt es Probleme wie die geringfügige oder minimale Verfügbarkeit über Arbeitskräfte in großen Betrieben, die Senkung des durchschnittlichen Lohnes der Arbeitsnehmer, sowie der häufige Abbau oder Entlassung von Arbeitsnehmern wegen der immer zunehmenden automatisierten Produktionsprozesse. UZ: Du hast während deiner Deutschlandreise von dem Amok laufenden Schüler von Emsdetten erfahren. Ist so etwas auf Kuba denkbar? Yosvany Sánchez Robaina: Wenige Stunden nach meiner Ankunft in Deutschland informierten mich Kollegen und Freunde über dieses schmerzhafte Ereignis. Realitäten wie diese sind in Kuba undenkbar, weil Familie und Staat in erster Linie die Verantwortung für die Entfaltung der Kinder und der Jugendlichen tragen und auf die körperliche und geistige Entwicklung des Individuums achten, insbesondere der Jugend. Gleichzeitig wird eine Erziehung gewährleistet, in der moralische und ethische Werte betont werden, die sehr entfernt sind von Gewalt und Misshandlung in den Schulen. Die Türen der Unterrichtsräume und der Erziehungseinrichtungen – bis hin zum Uni-Niveau – sind in Kuba immer offen. Kuba gewährleistet eine Erziehung durch die ein hohes Bildungsniveau, die Entwicklung einer vollständig generellen
Kultur der kubanischen Jugend erreicht. Es gibt deswegen mitten in der Entwicklung einer Erziehung dieser Art keinen Zeitraum, um solche soziale Missbildungen zu kultivieren. UZ: Zum Abschluss bitten wir dich noch um einen Satz an die Leser der UZ, der Zeitung der DKP. Yosvany Sánchez Robaina: Zum Schluss möchte ich der Führung der Deutschen Kommunistischen Partei und der Arbeitsgruppe Solidarität mit Kuba meinen Dank aussprechen, dass ich bei vielen Treffen die Gelegenheit hatte, mit Hunderten von Menschen einen Meinungsaustausch durchzuführen und über die Errungenschaften der kubanischen Revolution auf ökonomischem und sozialem Gebiet und vor allem auf dem Gebiet des Gesundheitswesens aufgrund der hervorragenden Medizin, die bei uns entwickelt wird, informieren konnte. Ich bedanke mich außerdem für die gute Planung durch die Organisatoren. Allen Lesern/innen wünsche ich ein erfolgreiches 2007, nicht nur damit ihre persönliche Wünsche in Erfüllung gehen, sondern damit wir auch alle zusammen für eine bessere Welt kämpfen und an der Seite derjenigen stehen, die gegen den Imperialismus kämpfen und für die Verteidigung der gerechten Sache wie die der des kubanischen Volkes gegen die Blockade der USA und für die Freilassung unserer fünf in US-Gefängnissen inhaf-
Freitag, 5. Januar 2007
unsere zeit
Feuilleton / Seite 13
Der normale Wahnsinn
Pop + Politik = Pfui
Protestsongs werden wieder auf die Formel gebracht · Von Kai Degenhardt Im vergangenen Frühjahr erschienen die neuen Alben von Bruce Springsteen und Neil Young. Das eine war eine offene Hommage an Pete Seeger und den traditionellen, politisch dissidenten US-amerikanischen Folksong aus den Zeiten der Bürgerrechtsbewegung (Springsteen – We Shall Overcome, The Seeger Sessions). Das andere eine wütendes Rockpamphlet aus 10 gegen die amtierende US-Regierung gerichteten Songs, gipfelnd in der Zeile: „Let’s impeach the president for lying, and misleading our country into war“ (Young – Living With War). Bemerkenswert daran ist, dass beide vor vier Jahren, kurz nach den Anschlägen vom 11. September, politisch genau andersrum, also offiziell US-patriotisch, reagiert hatten: Springsteen widmete sein damaliges Album „The Rising“ dem heldenhaften Einsatz der New Yorker Feuerwehr. Neil Young ging sogar noch einen Schritt weiter, unterstützte die „Patriot Act“ geheißenen Notstandsgesetze der Bush-Regierung und feierte im Song „Let’s Roll“ den Mut der für die „amerikanischen Werte“ – Gerechtigkeit, Wahrheit, Liebe, Freiheit – gestorbenen Flugzeugpassagiere. Man mag zu dieser politischen Gesinnungs-Flatterhaftigkeit stehen, wie man will. Die schon seit den Anti-KriegsDemos und dem Präsidentschaftswahlkampf 2004, verbunden mit dem Slogan „Not in our name“, sich abzeichnende Tendenz zu ein bisschen mehr Sozialkritik und Linkssein im Pop ist ja, wenn man auch wirklich keine längerfristigen Hoffnungen daran knüpfen sollte, erst einmal gut und nicht schlecht. Vom hiesigen Feuilleton wurde sogar schon ein junges deutschsprachiges Pendant dazu in der Band „Wir sind Helden“ entdeckt und entsprechend gehypet. Die würden mit ihren Songs „Guten Tag“, „Rüssel
am Schwanz“, oder „Müssen nur wollen“ bissige Kommerzkritik üben sowie Leistungsgesellschaft und Konformitätsdruck geißeln. Weitergehende Forderungen wurden von der Band aber nicht erhoben, und der taz erzählten sie: „Natürlich haben wir eine Meinung zu politischen Themen. Aber man darf auch nicht unterschätzen, dass es immer Gegenstimmen gibt. Man wird ständig daran erinnert, dass man Sachen nicht einfach daher sagen sollte.“ Das nennt sich hierzulande also die neue „Stimme einer kritischen Generation“ (Berliner Zeitung). Die Stimme einer älteren Deutsch-RockGeneration hat sich zuletzt, auch in der immer noch sich als alternativ bezeichnenden taz dazu gemeldet. BAP-Sänger Wolfgang Niedecken: „Ich habe Politrock nie gemocht. Ich habe heute noch Probleme, wenn ich Politrocktexte höre. Das ist mir zu platt, zu sehr Holzhammer.“ Zur Erinnerung: Der Mann hat in den Achtzigern mit Joseph Beuys den Song „Sonne statt Reagan“ gesungen und sich später dann an der Seite Rudolf Scharpings für die Bombardierung Belgrads stark gemacht. Sven Regener, Mitte vierzig, Sänger, Texter und Trompeter der im linksliberalen Milieu sehr beliebten Band „Element of Crime“ und Autor des Bestseller-Romans „Herr Lehmann“ sagt – na klar – auch in der taz: „Ich bin gegen Politik in der Musik. Es ist bei dieser Art von Agitproprock noch nie etwas Gutes herausgekommen.“ Wo drückt da bloß der Schuh? – möchte man fragen. Jedem Popkultur-Schaffenden ist spätestens seit den Sechzigerjahren klar, dass die Geschmackspräferenzen der Oberund Mittelschichten der angelsächsischen Welt in Sachen modischer Unterhaltungsformate international verbindlich sind. Diese Leit-Milieus haben sich
seitdem regelmäßig die Musik, die Kleidung und sogar die Sprache der ärmeren Schichten zum ästhetischen Vorbild erkoren und zum universalen Idiom der weißen Jugend gemacht – vom schwarzen Rhythm & Blues über Reggae und Punk bis zum Coolness-Faktor Ghetto heute. Wer den Anschluss halten will, hat sich daran zu orientieren und rechtzeitig übern großen Teich zu schauen, was da in den Mittelschichten in Sachen Style so abgeht. Und genau das scheint die Deutsch-Rocker derzeit zu irritieren. Was könnte das Transponieren der in den USA wieder angesagten politischen Sprache in der Pop- und Rockmusik auf hiesige Verhältnisse bedeuten? In Zeiten, in denen die seit den Fünfzigerjahren stetig anhaltende soziale Absetzbewegung der Mittelschichten von – ja genau: dem Proletariat auch hier für immer zu Ende zu gehen scheint. Wo die propagierten Erfolgs-Leitlinien der Parvenüs mit den wirklichen Lebenschancen ihrer Kinder nicht mehr in Deckung zu bringen sind und die Gemeinsamkeiten der „Prekarisierten“ mehr oder weniger ins Auge stechen. Sollen sie jetzt – Niedecken, Grönemeyer, Regener und Naidoo – Politrock für Hartz-IV-Verlierer spielen? Solidarität mit den sozial Ausgegrenzten üben, auf den Spuren von Woody Guthrie oder Zupfgeigenhansel? In karierten Hemden auftreten wie Wolle Petry – komplett unsexy? Das genaue Gegenteil wurde doch in den letzten fünfzehn, zwanzig Jahren, im Zeichen von Pop und Glamour, von Bambi-Gala bis Echo-Verleihung, von ihnen erwartet und abverlangt. Für die Kollegen in den Pop-Mutterländern – Großbritannien und den USA – ist dies, dank Reaganomics und Thatcherismus in den Achtzigern, heute längst kein Problem mehr. Dort sind die Lebensver-
hältnisse der gehobenen Klassen von denen des Proletariats seit vielen Jahren weitgehend entkoppelt. Kostümierungen sind stets als solche erkennbar, und niemand gerät so leicht in den Verdacht des Klassenverrats, weil jeder weiß, was dabei auf dem Spiel steht. Außerdem sind die dortigen Popstars in der Regel Weltstars und gehören wie Wirtschaftsaristokraten, Hollywood-Schauspieler und Staatsminister zum Jetset. Kein Mensch käme auf die Idee, den Gallagher-Brüdern oder den Pussycat Dolls ernsthaft die Absicherung einer solidarischen Altersversicherung oder den betrieblichen Kündigungsschutz als Songthemen ans Herz zu legen. In der deutschen Provinz gehen die Uhren diesbezüglich aber anders. Hier muss man damit rechnen, auf offener Straße vom SPD-Vorsitzenden zum Waschen und Rasieren verdonnert zu werden. Kein Wunder, dass auch die hiesigen Popsänger sich Sorgen machen. Nicht nur um das immer kleiner werdende, zahlungskräftige Publikum. Auch um die unbarmherzigen Medien, die einen gleich in der Luft zerreißen, wenn man nur eine Bewegung in die politisch falsche Richtung macht. Und das in Zeiten, in denen selbst die Berufs-Anpasser vom taz- und Zeit-Feuilleton nicht recht wissen, wo die Reise hingeht. Und dann war da ja auch noch das schwarzrotgoldene Sommermärchen ... Neu ist: Noch bevor irgendjemand überhaupt die Befürchtung aussprechen konnte, deutsche Pop-Helden könnten sich mit einer eventuell entstehenden, außerparlamentarischen sozialen Bewegung auch nur ansatzweise solidarisieren, schreien alle laut und ungefragt in jedes ihnen hingehaltene Mikro: „You can count me out!“1 1 „Rechnet nicht mit mir“ – so lautete John Lennons Absage an die Studentenbewegung 1968 im Beatles-Song „Revolution“
Ken Loachs „irischer Film“ meint nicht nur Irland „Unsere Forderungen sind maßvoll – wir wollen nur die Welt!“ (James Conolly)
Es ist zuviel Armut für die Idylle. Das Cottage in der Talsenke. Ein Symbol. Der Überfall kommt überraschend und rücksichtslos. Für die „Black and Tans“, die berüchtigte, geheuerte Schläger- und Killertruppe, mit der das noble britische Empire die zunehmend rebellischeren irischen Untertanen zur Räson zu bringen versucht, ist nur ein toter Ire ein guter Ire. Ihr Ziel sind einige junge Männer, die gerade vom Hurling (eine Art Hockey) gekommen sind. Micheail (Laurence Barry), der trotz der Brutalität der Razzia seinen Namen stur nur auf Gälisch nennt, wird von ihnen kurzerhand erschlagen. Die rücksichtslose Brutalität des britischen Terrors bringt den jungen Arzt Damien O`Donovan (Cillian Murphy) dazu, seine mögliche Karriere an einem führenden Londoner Krankenhaus zu überdenken. Gesellschaftlicher Aufstieg und Integration oder Widerstand, Guerillakampf in der IRA (Irisch-Republikanische Armee) mit allen Konsequenzen heißt die Alternative. Damien entscheidet sich – wie schon sein Bruder Teddy (Padraic Delaney) – für die IRA. Ken Loach zeigt die Härte des irischen Unabhängigkeitskrieges (1919-21) und des sich anschließenden irischen Bürgerkrieges (1921-23) ohne falsches Pathos. Die Angst vor der Folter, die beklemmende Erschießung des noch jungen Verräters und auch die wachsende Schlagkraft der Kämpfer. Er zeigt ebenso die Veränderungen, die der Krieg bei den Menschen bewirkt. Insbesondere bei dem eher intellektuellen Damien. Mit fortschreitendem Kampf bricht aber auch die innere Widersprüchlichkeit des nationalen Befreiungskampfes auf. Teddy schirmt einen Geldverleiher, einen üblen Wucherer, gegen die neue Gerichtsbarkeit der Aufständischen ab. Der Verleiher finanziert Waffenkäufe der IRA. Die soziale Frage ist von der nationalen nicht zu trennen. Die verschworene
Regisseur Ken Loach Gruppe der Kämpfer beginnt sich zu entfremden. Das Gefühl allein, Ire zu sein, reicht nicht mehr. Um die Frage, wie weit der Kampf geführt werden muss, drehen sich die Debatten. Die Briten hinauswerfen und sonst alles beim Alten lassen, hieße nur die Fahne wechseln. Es bedeute, dass John Bull auch weiterhin durch seine beherrschende Wirtschaft die Zügel in der Hand behielte, zitiert Damien den Marxisten und Gewerkschafter James Connolly. Connolly galt unter Linken als Autorität. Er war mit den anderen Führern des Osteraufstandes von 1916 von den britischen Besatzern, weil er, schwerverletzt, nicht mehr stehen konnte, an einen Stuhl gefesselt erschossen worden. Zur Enttäuschung Damiens vertritt sein Bruder die Position der „Free-Stater“, die auch den Status eines Dominion unter der Oberhoheit des Empires und auch die faktische Abtrennung von sechs der 32 Grafschaften zu akzeptieren bereit waren. Teddys Argument ist ein pragmatisch-machtpolitisches. Die Herren des britischen Empire, die gerade der Abschlachtung von 17 Millionen auf den
Schlachtfeldern des Großen Krieges zugesehen hätten, würden kaum zögern den Aufstand einiger hundert schlecht bewaffneter Iren niederzuschlagen. Der Vertrag sei das Maximum dessen, was rauszuholen gewesen wäre. Dieser anglo-irische Vertrag von 1921 ist allerdings nicht das, wofür Damien und mit ihm zahlreiche weitere in der IRA gekämpft haben. Noch haben sie Waffen; und damit geht der anglo-irische Krieg in den irischen Bürgerkrieg über. Wobei, was Loach nicht zeigt, die ehemalige Kolonialmacht auf Seiten der „Free-Stater“ mit der Bereitstellung schweren Geräts eingreift. Die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, die Schwäche der Arbeiterbewegung tun ein übriges und die linken „Irregulars“ der IRA bleiben letztlich ohne Chance. Wieder wird das Cottage aus der Eingangssequenz von Soldaten umstellt. Wieder werden seine Bewohner herausgetrieben, vor der Hauswand aufgestellt und mit Karabinern bedroht. Nur diesmal von Soldaten der „Free-Stater“. Und wieder sind es die Kämpfer der IRA, die sich wehren, die nun auf irischen Soldaten schießen. Es gibt Tote auf beiden Seiten. Die Dramatisierung des Bürgerkrieg zu einem Bruderkampf macht die ganze Tragik der Situation deutlich. Wer – wen? Es gibt keinen Ausweg. Den Kritikern der bürgerlichen Medien ist diese eindrucksvoll-fesselnde Aufarbeitung eines Entscheidungsmomentes des irischen Befreiungskampfes zumeist sauer aufgestoßen. Eines Moments im Kampf gegen eine Besatzung, die von der Eroberung Heinrichs II. (1170) bis heute anhält und in der sich koloniale Unterdrückung in allen ihren möglichen Ausprägungen geradezu prototypisch darstellt. Kritisches gegen die Thatcher-Absurditäten ging da noch als Sozialromantik durch. Und war „Land and Freedom“ noch leicht als Attacke gegen
den Stalinismus interpretierbar, „Bread and Roses“ als Seitenhieb gegen das bigotte Amerika, so ist „The Wind That Shakes The Barley“ keineswegs Vergangenheit. Statt klappriger Lastwagen gibt es heute Humvees und statt Karabiner Schnellfeuergewehre, doch ansonsten ist alles sehr ähnlich geblieben. Allenfalls brutaler. Die Parallelen zu einem der wichtigsten imperialistischen Großprojekte der Gegenwart sind unübersehbar. Loach, das ahnt die Journaille, macht nicht den üblichen Geschichtsklamauk. Er meint, was er zeigt. Auch der Widerstand gegen die imperialistische Neugestaltung des Nahen Ostens wird von einer erbitterten Debatte über Ziele und Methoden gerade in der deutschen Linken begleitet. Auch er wird mehrheitlich nicht von antikapitalistischen Kräften getragen. Die daher unschwer vorherzusagenden künftigen Winkelzüge, wechselnden Kumpaneien und großen Gemetzel beruhen letztlich nicht, auch das macht Loach klar, auf den individuellen Fehlleistungen ihrer Protagonisten, sondern sind im sozialen und ideologischen Gefüge der sie tragenden Gruppierungen begründet. Das macht für die Zukunft nicht unbedingt Hoffnung. Ebenso wenig macht es der Film. Hoffnung kann sich Loach allenfalls im Kleinen vorstellen. Wenn es um „die Welt“ geht, sollte man sich nichts vormachen. Als das Exekutionskommando Damien auf Befehl Teddys erschießt, bricht Teddy vor seinem an den Hinrichtungspfahl gefesselten toten Bruders zusammen. In der Exekution der historischen Alternative ist auch die eigene Zukunftsfähigkeit zerstört. Das letztlich ist es, was Teddy in Damien beweint, und was den trendigen Kulturverwaltern von FAZ bis Spiegel ein mulmiges Gefühl bereitet. Klaus Wagener „The Wind That Shakes The Barley“ F/I/GB 2006. Re-
... und die Gewöhnung daran Es beginnt mit einer Liebesgeschichte und endet als Politthriller. Beinahe jedenfalls, aber Bella Block schweigt. Dabei hätte das, was sie im Zusammenhang mit dem Prozess gegen einen der Folter angeklagten Polizisten herausbekommt, schon das Zeug zu einem hochrangigen Skandal mit allem Drum und Dran. Presserummel, Untersuchungsausschuss, rollende Köpfe in Politik und Justiz. Bella Block, aus dem Polizeidienst ausgeschieden und nur noch gelegentlich als Privatdetektivin tätig, übernimmt die Bewachung der Anwältin Susanne Behrendt zunächst widerwillig, fühlt sich dann überflüssig und gibt den Auftrag zurück. Danach aber überschlagen sich die Ereignisse. Der Prozess platzt, als die Verteidigerin – eben Susanne Behrendt – nicht vor Gericht erscheint. Eine miese Pressekampagne gegen sie wird gestartet. Bella fühlt sich nun doch genötigt, der ihr eigentlich sympathischen Person, die offensichtlich zu Recht Angst hatte, zu helfen. Aber sie kommt zu spät, sie findet ihre Ex-Klientin ermordet in der leeren Hotelbadewanne. Jetzt beginnt sich Bella ernsthaft dafür zu interessieren, welche Zusammenhänge zwischen Susanne, ihrem Prozessgegner, dem prominenten Staatsanwalt Frings, und dem großen Thema „Folter“ bestehen. Doris Gercke verknüpft die Fäden der Handlung, die Beziehungen der Hauptpersonen zueinander, Bella Blocks Erkenntnisse und ihre aus Lebenserfahrung erwachsenden Schlussfolgerungen zu einem raffinierten Knäuel, das den Leser – in diesem Fall die Leserin – mit in das Geflecht aus Gefühlen und Geschehnissen hineinzieht. „Folter“, das scheint zunächst ein weit her geholtes Thema, zugeordnet Schlagzeilen über Ereignisse in Bananenrepubliken oder Militärdiktaturen. Wir leben schließlich in einem Rechtsstaat, wo solche Methoden selbstverständlich von jedermann mit Recht verabscheut und verurteilt werden. Aber je weiter Bella Block in ihrem Ermittlungen kommt, sie und andere sich Gedanken über diese Problematik machen, desto mehr Biertischgespräche fallen der Leserin ein, Schlagzeile und Leserbriefe zu empörenden Verbrechen, etwa an Kindern, oder auch zur Bedrohung durch den seit jenem 11. September 2001 allgegenwärtigen „Terrorismus“ und seine „Bekämpfung“. Alle mit dem Tenor „Rübe runter“. Gercke versteht es, die Gewöhnung an den ganz normalen Wahnsinn beklemmend deutlich zu machen. Und so ist es nur folgerichtig, dass Bella Block am Ende ihre Erkenntnisse für sich behält. Denn: „Ich meine, im Grunde habe ich dir doch nichts Neues erzählt. Alles Informationen, die mehr oder weniger öffentlich zugänglich sind. Aber niemand rührt sich. Stattdessen werden Komödien aufgeführt ... Nichts weiter als Feigenblattverteilung für die Politiker der Opposition. Und die Leute lassen sich etwas vormachen.“ Aber Bella resigniert nicht völlig. Am Ende stellt sie fest: „Man muss nur wissen, wann es sich lohnt, laut zu werden. Das ist das ganze Geheimnis.“ Doris Gerckes Geheimnis jedenfalls ist es, brisante und hochaktuelle Themen in superspannende, wunderbar geschriebene und amüsante Romane zu verwandeln. „Georgia“ ist das jüngste Beispiel dafür. Helga Humbach
Doris Gercke, Georgia, ein Bella-Block-Roman, Hoffmann und Campe, 222 S., 19,95 Euro. Zu beziehen beim Neue Impulse Versand, Hoffnungstraße 18, 45172 Essen. Tel. 0201/24 86 482, Fax: 0201/24 86 484, E-Mail: NeueImpulse@aol.com
Seite 14 / Anzeigen
unsere zeit
In Memoriam Klaus Harbart ✝ 29.12.2005
Unser Freund ist unvergessen. Seine Art, ohne Aufhebens beharrlich und verlässlich mit Geschick und Ideen sich gegen Hass und Gewalt, für Frieden und Menschenrechte zu engagieren, bleibt Vorbild und Ansporn. Wir haben ihm viel zu verdanken. Er ist viel zu früh von uns gegangen. Peter Altmann, Angela Antoni, Ernst Antoni, Peter Asmussen, Dieter Bahndorf, Peter Baumeister, Bernd, Hans Canjé, Hans Coppi, Gerd Deumlich, Heiner Fink, Raimund Gaebelein, Christine Gabler-Gechter, Jürgen Gechter, Josef Gerats, Alfred Hartung, Mechthild Hartung, Cornelia Kerth, Michael Landmann, Käthe Martin, Tobias Niemann, Paul Pockrandt, Michael Quelle, Traute Sander, Ulrich Sander, Walter Schmidt, Ulrich Schneider, Gunnar Siebecke, Wolfgang Teuber, Rosel Vadehra-Jonas, Wera Richter, P. C. Walther, Peter Wegner, Thomas Willms Durch einen bedauerlichen Fehler waren in der Anzeige vom 22.12.06 die UnterzeichnerInnen nicht korrekt wiedergegeben, was wir mit heutiger Anzeige korrigiert haben. Wir bitten um Entschuldigung.
Lieber Klaus,
wir werden auch immer älter und vergesslicher. Nachträglich die allerbesten Wünsche zum 75. Geburtstag! Du warst von Anfang an in der kommunistischen Bewegung in Bochum dabei. Du hast für deine Überzeugung und unsere Partei im Knast gesessen. Die DKP wurde durch dich in Bochum mitaufgebaut. Jahrelang hast du in verschiedenen Funktionen mit für eine kämpferische Partei gesorgt. Heute ist die VVN Bochum ohne dich nicht mehr denkbar. Wir danken dir für deinen unermüdlichen Einsatz, den du trotz deiner gesundheitlichen Probleme noch zeigst. Auch deine menschliche Wärme und Freundschaft ist dabei sehr wichtig! Deine GenossInnen der DKP Bochum
Unsere Genossin
Magret Hofmann
ist 80! Wir gratulieren und wünschen Dir weiterhin Schaffenskraft und gute Gesundheit. Deine Genossinnen und Genosssen aus dem Märkischen Kreis. Wir gratulieren unserer Genossin
Am 19. Dezember 2006 ist unser Genosse
Fritz Rollar nach langer, schwerer Krankheit kurz vor seinem 75. Geburtstag verstorben. Wir trauern um einen aufrechten Kommunisten und Antifaschisten, der sein ganzes Leben geradlinig und unerschütterlich für die beste Sache der Welt gekämpft hat – eine Welt des Friedens und des Sozialismus. Nichts hat seine Überzeugung brechen können. Unsere aufrichtige Anteilnahme gilt seiner Frau, unserer Genossin Helga, den Kindern, Enkeln und Urenkeln! Parteivorstand der DKP – Zentrale Schiedskommission DKP Bezirksvorstand Rheinland-Westfalen DKP Kreisvorstand Köln DKP Gruppe Kalk / Bezirk VIII VVN/BdA Kreis Köln
Luise Rath herzlich zu ihrem
Statt Blumen und Kränze bitten wir im Sinne von Edith um Spenden an die DKP-Kuba-Solidarität Konto 253525502, BLZ 37010050 – Postbank Köln (Kennwort Edith Bartkowski).
Allen Genossinnen und Genossen, Freunden und Mitstreitern gegen Sozialabbau, für Frieden und eine sozialistische Zukunft wünschen wir Gesundheit und Kampfeskraft im Jahre 2007. Silvia, Volker, Eduard, Dieter Bez. Rheinland-Pfalz
Allen Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunden ein kämpferisches, solidarisches und erfolgreiches Jahr 2007! Wir laden ein:
Politischer Jahresauftakt Freiburg: Hintergründe, Erfahrungen, Signal?
Deutsche Kommunistische Partei Calenberger Neustadt/Mitte Kreis Hannover Euch noch fester zu verbinden, war ein wunderschöner Entschluss zum Jahresende (Und für uns gar nicht so überraschend, wie Ihr vielleicht denkt).
Annelies, Isa und Werner
Die Trauerfeier ist am Freitag, den 19. Januar 2007 um 11 Uhr in der Trauerhalle des Nordfriedhofes, Essen-Altenessen.
DKP Kreisvorstand Darmstadt-Dieburg DKP Darmstadt DKP Reinheim
Lieschen, wir alle kennen Dich als eine warmherzige, liebenswerte, aber auch kämpferische und engagierte Genossin. Viele von uns erinnern sich noch gerne an die Zeit als Du im FZH Linden hinter der Theke standest. Wir wünschen Dir alles Gute, vor allem Gesundheit, für Dein weiteres Leben im Kreise Deiner Familie.
Edith Bartkowski
Die trauernden Hinterbliebenen sowie Genossinnen und Genossen 45326 Essen, Am Schlagbaum 17
Wir wünschen allen Genossinnen und Genossen, den Leserinnen und Lesern der UZ Kraft und Gesundheit für das Erreichen unserer gemeinsamen Ziele!
Mit dem Bürgerbegehren in Freiburg am 12. November 2006 wurde mit über 70 Prozent der Verkauf städtischer Wohnungen erfolgreich verhindert.
Statt Karten
Nach schwerer Krankheit entschlief unsere liebe Tante, Schwester, Cousine und Genossin.
Nach einem erfolgreichen Kommunalwahljahr steht jetzt die Stärkung der DKP auf der Tagesordnung!
95. Geburtstag.
Renate und Jörg die herzlichsten Glückwünsche zur Hochzeit!
geb. Bardzik 9.9.1926 - 28.12.2006
Freitag, 5. Januar 2007
LLL-Veranstaltung der DKP Die Lenin-Liebknecht-Luxemburg-Veranstaltung der DKP findet am Samstag, den 13. Januar 2007 in Berlin, Mensa der Technischen Universität Berlin, Hardenbergstraße 34 (am Steinplatz, Nähe Bahnhof Zoo) statt. Beginn: 19.00 Uhr
Als Gast begrüßen wir
Hendrijk Guzzoni, Mitglied des Gemeinde(stadt-)rates Freiburg für die Linke Liste-Solidarische Stadt (LiSSt), Mitglied im DKP-Parteivorstand Donnerstag, 11. 1. 07, 19 Uhr, Bistro der Breiten 63, Breite Straße 63, Saarbrücken-Malstatt Kostenbeitrag: Soli
DKP-Bezirksvorstand Saarland und DKP-Kreisvorstand Saarbrücken
Jugendkommission des Parteivorstandes Samstag, 20. Januar, um 11.00 Uhr im Haus des DKP-Parteivorstandes, Hoffnungstraße 18 in Essen. Die Sitzung wird gegen 16.00 Uhr beendet sein. Zentrales Thema: Erarbeitung von Ideen und Vorschlägen, um die Partei und UZ mit jugendlichen Mitgliedern bzw. Abonnenten zu stärken. Diskussion zu den Bereichen Schulpolitik, Hochschulpolitik und Arbeiterjugendpolitik sowie zur Zusammenarbeit von SDAJ, AMS und DKP.
Vorschlag zur Tagesordnung 1. Einleitende Beiträge zu jugendpolitischen Themen 2. Diskussion 3. Beschlussfassung Die Sitzung richtet sich ausdrücklich nicht nur an Mitglieder der Jugendkommission oder Vertreter/inn/en der Bezirke, sondern an alle Interessierten aus der Partei. Anmeldungen oder Absagen bitte über den Parteivorstand in Essen.
DKP / Karl-Liebknecht-Schule
Weingut
Eicher
Am Stadtpark 68, 51373 Leverkusen – Tel: 0214/45418 – E-Mail: karl-liebknecht-schule@web.de
Rheinterrassen
Tagesseminar Samstag, den 20. Januar 2007
Bachstraße 7 67577 Alsheim Tel.: 06249-4128 Fax: 06249-67263
Thema: Marxistische Bildungsarbeit in Theorie uns Praxis „Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben.“ (Lenin Ausgewählte Werke I, 358) Referentin: Nina Hager
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Das Seminar beginnt um 11 Uhr und endet gegen 17 Uhr.
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Es sprechen: Heinz Stehr, Vorsitzender der DKP Eingeladen sind Vertreter der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens und der Botschaft Venezuelas Kulturprogramm: Oma-Körner-Band und Gruppe „Singender Tresen“ Veranstalter: DKP-Parteivorstand und DKP-Bezirksvorstand Berlin Einlass ab 18.30 Uhr. Eintrittspreis: 8,- bzw. 5,- Euro.
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Achtung: UZ, Bestellkarten und Pressefestbuttons für Großwerbung bei der LLL-Demonstration in Berlin bitte bis Dienstag, den 9. 1. 07 bestellen. Für den Verkauf an der Gedenkstätte liegen UZs am Stand des Parteivorstandes bereit.
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Freitag, 5. Januar 2007
unsere zeit
Marxistische Theorie und Geschichte / Seite 15
Die Mauer in den Köpfen betonieren! Zum „Mauer-Konzept“ des Berliner Koalitionssenats · Von Hans Krolop
Vor einiger Zeit legte der damalige Senator Dr. Thomas Flierl (Linkspartei.PDS) ein von ihm endredigiertes „Gesamtkonzept zur Erinnerung an die Berliner Mauer: Dokumentation, Information und Gedenken“ vor (vgl. S. 1, alle Seitenzahlen in Klammern beziehen sich auf dieses Dokument). Im Prozess seiner Erarbeitung fand es die Zustimmung der Kulturausschüsse des Berliner Abgeordnetenhauses und des Bundestages, von „Opferverbänden“ und der verordneten „Delegitimierung“ der DDR dienenden „Gedenkstätten“. Sein erklärtes Ziel ist es, im Kontext des von der Bundesregierung geplanten Geschichtsverbundes „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ dazu beizutragen, „auch den nachfolgenden Generationen die Geschichte der deutschen Teilung im Stadtbild Berlins sichtbar und begreifbar zu machen“ (S. 3), mithin „historische Aufklärung der Umstände, die zur Errichtung, zur 28-jährigen Existenz und zur Überwindung der Mauer führten“ (S. 13), zu leisten. Zu diesem Zwecke sollen Objekte wie die „Gedenkstätte Berliner Mauer“ an der Bernauer Straße, die Ausstellung am Checkpoint Charlie, der „Tränenpalast“, die East Side Gallery, Wachtürme, die „Geschichtsmeile Berliner Mauer“, der „Berliner Mauerweg“ und viele andere ausgebaut, erweitert, einschließlich „virtuelle(r) Rekonstruktionen“ (S. 17), auf einander abgestimmt und vernetzt, der Personalbestand der jeweiligen Betreiber zum Teil aufgestockt werden. Ein zentrales Motiv ist die weitere Gestaltung als Touristenattraktion; Geschäft und ideologische Indoktrination sollen noch enger ineinander greifen. Eine Kernaussage des Konzepts ist die aus dem Stehsatz zur Rechtfertigung der völkerrechtswidrigen, aggressiven BRD-„Frontstadt“ und NATO-Politik entlehnte Standardparole: „Die Berliner
Mauer war keine Grenze im üblichen Sinne zur Außensicherung eines Staates.“ (S. 4) Sie mutiert hier zur „innerstädtischen Grenze in Berlin“ (S. 15). Diese Lebenslüge der Kalten Krieger durchzieht wie ein roter Faden in allen möglichen Variationen das ganze Konzept. Ausgiebig wird das Thema Flucht über die Mauer" strapaziert. Das einzige, höchst schmalspurige Erklärungsmuster (in der Phrase variiert) lautet: um „aus einem diktatorischen System in den demokratisch verfassten Teil ihres Landes zu gelangen“ (S. 1). Es wird nicht nur unterschlagen, dass die meisten „Flüchtlinge“ alles andere als politische Motive hatten, auch über die Tatsache, dass und warum die „Fluchtbewegung“ sich nach dem Anschluss verstärkt fortsetzte und bis heute anhält, geht man schamhaft hinweg. Der „Fluchthelfer“ soll vielerorts ehrend gedacht werden. Auch hier steilt man sich einäugig und scheut den doch sehr nahe liegenden Vergleich mit den „kriminellen Schleuserbanden“ der heutigen Polizeiberichte. An Geldgier und Menschenverachtung kamen ihnen ihre „heroischen“ Vorläufer aus der „Frontstadt“ durchaus gleich, waren aber ungleich gefährlicher, denn sie zündelten tagtäglich am Pulverfass des Kalten Krieges. Die Maueröffnung 1989 „lenkte ... die Demokratiebewegung der DDR in Richtung staatliche Einheit“ (S. 5). Der Satz könnte von Helmut Kohl stammen und wird den unterschiedlichen, zum Teil widersprüchlichen Intentionen der Akteure dieser Bewegung wohl kaum gerecht, aber gerade diese Sicht soll dem Publikum oktroyiert werden. Die „geöffnete und abgetragene“ Mauer soll dem Konzept gemäß als Symbol „einer in der deutschen Geschichte beispiellos erfolgreichen Demokratie- und Freiheitsbewe-
gung“ (S. 5) abgefeiert werden. Arme deutsche Geschichte! könnte man nur sagen, wenn diesem Galimathias ein gewisser Realitätsgehalt zukäme. Die Konzeptoren verkneifen sich aber beispielsweise die Frage, warum die doch endlich der „Demokratie“ und „Freiheit“ teilhaftig gewordenen Ostdeutschen zu Millionen in den Westen wanderten. Schon gar nicht stellen sie die noch viel spannendere, warum fast die Hälfte, mitunter schon über die Hälfte der Wähler die freiheitlich-demokratischen Wahlen boykottieren, warum Politologen einen „dramatischen“ Rückgang der Akzeptanz der „repräsentativen Demokratie“ konstatieren. Natürlich darf bei all dem im „MauerKonzept“ eine Fundamentalposition der bürgerlichen Reaktion nicht fehlen: die (hier zustimmend zitierte) These von der „Gewaltherrschaft der beiden deutschen Diktaturen“ (S. 14). Das ganze Konzept ist durch extreme Einseitigkeit der historischen Darstellung und eine entsprechende ausschließliche Schuldzuweisung an die SED, die DDR und deren Bürger gekennzeichnet. – Es fällt übrigens auf, dass an keiner Stelle irgend ein Bezug auf die Sowjetunion, die Sowjetarmee usw. genommen wird, vermutlich eine durch ein Machtwort des damaligen Bundeskanzlers veranlasste „diplomatische“ Rücksicht. Die ausschlaggebenden Ursachen, Voraussetzungen der Grenzsicherung im Raum Berlin werden unterschlagen: die vom imperialistischen Westen betriebene Spaltung Deutschlands – und Berlins –, der gnadenlose Kalte Krieg (Wirtschafts- und Währungskrieg, psychologischer Krieg, „verdeckter Kampf“, Militärspionage und Sabotage – systematisch und massenhaft) der BRD, der selbsterklärten „Frontstadt“ West-Berlin und der NATO gegen die DDR, in dem deren Gegner vor keinem Verbrechen
zurückschreckten und für den sie zahlreiche willige Vollstrecker sowohl in der BRD (und besonders in Westberlin) als auch in der DDR fanden. Der Regierende Bürgermeister Ernst Reuter (SPD) erklärte 1950: „Berlin ist die billigste Atombombe!“ Über alles das schweigen Senator Flierl und seine Kopflanger. Man zetert heuchlerisch und demagogisch über die Folgen und verschweigt die Ursachen. Warum hat der damalige Senator Flierl, bevor er mit diesem Pamphlet gegen die historische Wahrheit zu Felde zog – und damit zugleich der Linkspartei. PDS eine weitere politische Hypothek aufbürdete –, nicht beispielsweise bei Stephan Hermlin Rat gesucht? Als 1961 Günter Grass und der Westberliner Publizist Wolfdietrich Schnurre ihm zumuteten, sich gegen „das Unrecht vom 13. August“ zu erklären, antwortete ihnen Hermlin: „Von welchem Unrecht sprechen Sie? Wenn ich Ihre Zeitungen lese und Ihre Sender höre, könnte man glauben, es sei vor vier Tagen eine große Stadt durch eine Gewalttat in zwei Teile auseinandergefallen. Da ich aber ein ziemlich gutes Gedächtnis habe und seit vierzehn Jahren wieder in dieser Stadt lebe, erinnere ich mich, seit Mitte 1948 in einer gespaltenen Stadt gelebt zu haben, einer Stadt mit zwei Währungen, zwei Bürgermeistern, zwei Stadtverwaltungen, zweierlei Art von Polizei, zwei Gesellschaftssystemen, in einer Stadt, beherrscht von zwei einander diametral entgegengesetzten Konzeptionen des Lebens. Die Spaltung Berlins begann Mitte 1948 mit der bekannten Währungsreform. Was am 13. August erfolgte, war ein logischer Schritt in einer Entwicklung, die nicht von dieser Seite der Stadt eingeleitet wurde.“ (UZ, 10. August 2001) Das „Mauer-Konzept“ ist in seinem fri-
Zwischenbilanz eines Krieges
Die Geschichte des Kolonialismus wird auf neuer Ebene fortgeschrieben Brigitte Kiechle hat ein sehr informatives Buch über den von den USA entfesselten Aggressionskrieg gegen den Irak vorgelegt. Zu Recht nennt sie ihr Buch eine Zwischenbilanz. Für besonders wichtig halte ich, dass Brigitte Kiechle diesen Krieg vor allem hinsichtlich seiner Auswirkungen auf die Lebensbedingungen des irakischen Volkes und seines Widerstandes gegen die Besatzung analysiert. Die Autorin weist überzeugend nach, dass insbesondere auch die Art der Kriegführung der USA und ihrer Verbündeten diesen angeblich zur Demokratisierung dieses Landes inszenierten Krieg als einen das Völkerrecht und die Menschenrechte missachtenden imperialistischen Raubkrieg entlarvt. Die mit Hilfe der UNO vor Kriegsbeginn durchgeführte fast vollständige Entwaffnung des Irak und die systematische Zerstörung der Infrastruktur, der Lebensbasis der Bevölkerung verdeutlichen das ebenso wie das Besatzungsregime. „Der gesamte Irak-Krieg und die Besatzung stellen sich aus der Sicht der irakischen Bevölkerung (...) als endloses Massaker dar. Ein für die Bevölkerung spürbarer Wiederaufbau ist nicht zu sehen. Die US-Besatzung stellt einen Gewaltakt dar, der die Geschichte des Kolonialismus auf neuer Ebene fortschreibt.“ (S. 12) Die Autorin erinnert daran, dass der Oberbefehlshaber der US-Truppen im Irak angesichts des Widerstandes der Iraker bereits Mitte Juli 2003 „offen von einem Guerillakrieg gesprochen“ hat und charakterisiert die Wurzeln dieser Qualität des Widerstands so: „Trotz unterschiedlicher Haltung zur Frage des Krieges und der Beendigung der Diktatur der Baath-Partei war die überwiegende Mehrheit der irakischen Bevölkerung, unabhängig von ethnischen, religiösen und / oder politischen Zugehörig-
keiten, nicht bereit, die Fremdherrschaft und das Modell der USA zur künftigen Kontrolle und wirtschaftlichen Ausplünderung des Landes zu akzeptieren.“ (S. 29) Dadurch steht die Kriegführung des Aggressors zur Beherrschung des Landes immer wieder vor dem „gleichen Dilemma: Sie können zwar die aufständischen Städte dank ihrer erdrückenden militärischen Überlegenheit ohne große eigene Verluste in relativ kurzer Zeit einnehmen, haben aber nicht die Macht, sich dauerhaft gegen eine feindselig eingestellte Bevölkerung zu behaupten.“ (S. 41) „Die Folge sind beispiellose Kriegsverbrechen der Besatzer. Hohen Anteil an der Terrorisierung der irakischen Zivilbevölkerung haben auch die von den USA gemieteten privaten Söldnereinheiten. Diese irregulären Einheiten werden von den US-Kommandeuren als Speerspitze der Aufstandsbekämpfung betrachtet.“ (S. 87) Brigitte Kiechle weist nach, dass die USA mit der Übernahme der Kontrolle über die zweitgrößten Erdölvorräte der Welt bereits wichtige Kriegsziele erreicht haben. (S. 100 ff.) Ein spezifisches ökonomisches Interessenfeld ist das durch die Kriegszerstörungen im Irak entstandene gigantische Wiederaufbaugeschäft. Hauptauftragnehmer und Hauptnutznießer dieses Wiederaufbaugeschäfts sind die USKonzerne Halliburton und Bechtel; „Die Iraker selbst profitieren vom Wiederaufbau am wenigsten.“ (S. 120) Sehr wichtig ist auf diesem Hintergrund die Auseinandersetzung der Autorin mit der das Völkerrecht missachtenden Praxis des UN-Sicherheitsrates. So legitimierte er insbesondere mit seinen Resolutionen Nr. 1483 und 1511 nachträglich einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg samt der mit ihm angestrebten neokolonialistischen Beherrschung des Irak
durch die USA und erklärte die imperialistischen Besatzer offiziell zu einer „internationalen Friedenstruppe“. (S. 131 ff.) Dem vielfältigen zivilen Widerstand des irakischen Volkes gegen die imperialistischen Besatzer, der auch in den deutschen Massenmedien weitgehend ignoriert oder bewusst verschwiegen wird, widmet Brigitte Kiechle ebenfalls ein gesondertes Kapitel. (S. 243-263) Sie weist nach, in welch großem Umfang unter dem Besatzungsregime ausländische Arbeitskräfte als Teil der Kriegsmaschinerie beschäftigt werden und mit denen besonders die gewerkschaftlichen Rechte der irakischen Arbeitskräfte in Frage gestellt werden sollen. Die irakischen Gewerkschaften haben jedoch ihre Kampfkraft bewahrt, unmittelbar nach der Invasion der USA sogar auch eine „Gewerkschaft der arbeitslosen Arbeiter im Irak“ gegründet und darin in kurzer Zeit mehr als 150 000 Mitglieder organisiert. Angesichts der realen Stärke der irakischen Gewerkschaften und ihrer Aktivitäten gelangt die Autorin zu dem Schluss: „Die organisierte Arbeiterschaft ist heute der politisch stärkste Gegner der Besatzerpläne zur Ausplünderung des Irak und der Besatzung selbst.“ (S. 250) Kiechle kann nachweisen, dass die irakischen Gewerkschaften bisher schon einen umfassenden Zugriff der Besatzer auf das irakische Erdöl verhindert haben. Das aber heißt: „Die entscheidende Auseinandersetzung um die Ölindustrie steht noch bevor.“ (S. 258) Und: „Die Gewerkschaftsbewegung befindet sich somit im Zentrum der wichtigsten Auseinandersetzung für die Zukunft des Irak.“ (S. 263) Obwohl der Irak bereits ein säkular ausgerichteter Staat war, in dem die Religionszugehörigkeit für das Zusammenleben der Menschen keine entscheidende Rolle gespielt hat, schufen die religi-
ös orientierten Parteien „bereits in den ersten Monaten nach der Invasion Fakten, deren Folgen nur schwer wieder umkehrbar sind.“ (S. 267) Zugleich wirkt sich die Zerstrittenheit und Schwäche der zwei irakischen kommunistischen Parteien negativ aus. Beide Organisationen lehnen eine Unterstützung des derzeitigen bewaffneten Widerstandes aufgrund der Dominanz nationalistisch-baathistischer und islamistischer Strömungen ab.“ (S. 279) Die Autorin kritisiert, dass es die Linke im Irak bisher insgesamt nicht vermocht hat, „eine tatsächliche, auch organisationspolitische Alternative aufzubauen und Aktionsbündnisse zu entwickeln, die sich an den wesentlichen sozialen Problemen orientieren ... Zu Recht wendet sich Brigitte Kiechle dagegen, jegliche bewaffnete Aktionen im Irak „zu einem ‚nationalen Befreiungskampf’ schön zu reden und ihnen das Gütesiegel ‚antiimperialistisch’ zu verleihen.“ (S. 292) Denn: „Die derzeitigen Hauptakteure des bewaffneten Widerstandes sind Gruppierungen, die mit demokratischen und emanzipatorischen Grundsätzen nichts verbindet.“ (S. 294) Und: „Die Ermordung von Gefangenen ..., Bombenattentate auf belebten Einkaufsmärkten und Warteschlangen von Arbeitsuchenden etc. sind keine Widerstandstaten sondern Verbrechen.“ (S. 296) Damit ist zugleich markiert, welche Veränderungen im politischen Kräfteverhältnis das irakische Volk noch erkämpfen muss, um sich vom Joch der neokolonialistischen Invasoren zu befreien und einen wirklich demokratischen Irak ohne religiöse und ethnische Diskriminierung zu schaffen. Ernst Woit Brigitte Kiechle: Das Kriegsunternehmen Irak – eine Zwischenbilanz. Schmetterling Verlag Stuttgart 2006.ISBN 3-89657-569-4. 304 Seiten. 18,80 Euro
volen Umgang mit den historischen Tatsachen und Zusammenhängen anti-aufklärerisch. Es ist den Denkschablonen des Kalten Krieges verhaftet und darauf gerichtet, diese am Leben zu erhalten, verstärkt und noch effektiver zu kolportieren. Sein Ziel ist gleichermaßen die massive Diffamierung der DDR und aller Bestrebungen, das kapitalistische Herrschafts- und Gesellschaftssystem zu überwinden, wie die Verdrängung der Rolle von BRD und NATO in der Vergangenheit und ihrer Probleme in der Gegenwart. Nicht zu vergessen ist, dass für die Realisierung dieses politischen, auf Massenmanipulation und Herrschaftssicherung gerichteten Vorhabens – ungeachtet „leerer Kassen“ und eines knallharten „Spar“kurses des Berliner Senats – 37 438 584 Euro eingesetzt werden sollen (S. 65). Das „Mauer-Konzept“ setzt eine Linie des anpassungsmotivierten, demagogischen Umgangs mit der Geschichte fort, wie sie durch die berüchtigte Präambel des Koalitionsvertrages von 2001, die einstimmige Erklärung des Abgeordnetenhauses zum 17. Juni 2003 und die skandalöse Rede von Bürgermeister Harald Wolf (PDS) am 20. Juli 2003 markiert wird. Diese Linie hat zu der sich seit Jahren vollziehenden Schleifung der Berliner PDS-Hochburgen und der bisher schwersten politischen Niederlage der Linkspartei.PDS am 17. September 2006 wesentlich beigetragen. Wie die Linkspartei.PDS Berlin sich mit dem „Mauer-Konzept“ ihres Senators auseinandersetzt, wird wesentliche Aufschlüsse darüber geben, ob und wie sie Lehren aus ihrer eklatanten Wahlniederlage zu ziehen gedenkt.
Deckname „Betti Gerber“
Vom Leben und Wirken des Antifaschisten Otto Kohlhofer Otto Kohlhofer wurde als Arbeiterkind in München geboren. Mit 14 Jahren begann er in einem Münchner Metallbetrieb eine Ausbildung zum Feinmechaniker. Früh engagierte er sich politisch. Ein von ihm mitorganisierter Streik und sein antifaschistisches Engagement führten zum Rausschmiss aus der Firma. Ihm wurde der Abschluss seiner Lehre verweigert. Erwerbslosigkeit folgte. Nach der Machtübertragung an Faschisten arbeitete er illegal für den Kommunistischen Jugendverband. Unter dem Decknamen Betti Gerber sorgte er für die Verbreitung antifaschistischer Schriften. 19 Jahre war Kohlhofer alt, als die Nazis ihn 1935 verhafteten. Ab 1938, nach Gefängnis und zweieinhalb Jahren Zuchthaus, erfuhr er das KZ Dachau am eigenen Leibe. Die Religions- und Weltanschauungsgrenzen überschreitende Solidarität und der Widerstand der Häftlinge half ihm und vielen anderen zu überleben. Daraus zog er Folgerungen, denen er auch nach 1945 treu blieb. Trotz aller Hindernisse, Auseinandersetzungen und Enttäuschungen blieb Kohlhofer Kommunist, obgleich er sich nach dem KPD-Verbot nicht mehr parteipolitisch band. Aktiv wirkte er bei den Naturfreunden und in der Friedensbewegung. Jahrzehnte lang setzte er sich mit unermüdlichem Engagement für die Errichtung der KZ-Gedenkstätte und die Gründung der Internationalen Jugendbegegnungsstätte in Dachau ein. Seine Tochter Christa Willmitzer und ihr Mann Peter haben eine Biografie erstellt, die das Leben und das Wirken dieses Antifaschisten umfassend würdigt. Christa und Peter Willmitzer: Deckname „Betti Gerber“. Vom Widerstand in Neuhausen zur KZ-Gedenkstätte Dachau. Otto Kohlhofer 1915-1988, Alitera Verlag, München 2006, 172 Seiten, ISBN 3-86520-183-0
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unsere zeit
Wunder gibt es immer wieder ...
Meine progressive Woche
... z. B. beim Skispringen
Vom 23. bis 29. Dezember
Samstag
Schöne neue Dienstleistungsgesellschaft. Erster Teil: die Feinkostabteilung in „ihrer Galeria Kaufhof“. Dorthin verirre ich mich eigentlich selten. Aber irgendwann heute früh ist mir eingefallen, dass morgen Heiligabend ist. Zumindest erzählt mir mein Radiosender seit einer Woche, dass ich – wie alle Männer eben – „so“ bin. Also, ich verirre mich selten dorthin, weil es mir zu teuer ist. Heute ist mir aber (fast) nichts zu teuer und deshalb steuere ich den Wild- und Wildgeflügelstand an. Ein Hasenrücken soll es sein. Die Verkäuferin zeigt mir einen wunderbaren – wie einst bei Muttern. Der ist gekauft. „Ich gebe ihnen einen eingepackten.“ Kurzer Blick auf die Klarsichtfolie. „Ok“. Warum nicht? Darum nicht. Als ich ihn zum Spicken auspacke, stelle ich fest, dass er nicht vollständig abgezogen ist. Hasen haben nicht sieben, aber einige Häute. Bei der ungewohnten und zeitraubenden Verrichtung beschädige ich das Fleisch. Folge: die Poren schließen nicht, der Braten schmeckt viel zu bitter. Danke, Galeria Kaufhof, für die bevorzugte Einstellung von gut bezahltem Fachpersonal.
Donnerstag
(Nicht nur) Dracula, der alte Blutsauger, allein weiß, was seine Nachfahren in Brüssel, Bukarest und Sofia geritten hat, die armen Völker links und rechts der unteren Donau in den Strudel der EU zu ziehen. Die „notwendigen Reformen“ jedenfalls werden fürchterlich. Doch Bulgaren und Rumänen müssen nicht nur bald wachsende Not, sondern auch Ignoranz und Dummheit deutscher Medien ertragen. Allerlei Kommentatoren entblöden sich nicht, sich mit ihrem Nichtwissen über die alten Kulturvölker der Rumänen und Bulgaren zu brüsten. Ceausescu, Securitate und Siebenbürgen scheinen das einzige zu sein, was den Ignoranten einfällt. Dass die Thraker schon ein uraltes Kulturvolk waren, als die Germanen noch jagten und sammelten, geht wahrscheinlich über ihr Vorstellungsvermögen. Solche Leute machen Urlaub in Miami, Mallorca, (vielleicht noch) der Toskana und meinen sie hätten die Welt gesehen. Immerhin wird solcherlei Blödheit dadurch gemildert, dass sie sich durch Schreiben selbst entlarvt.
Freitag
Die Börse meldet ein Superjahr 2006. Über 20 Prozent sind die DAX-Kurse gestiegen – nach 30 Prozent im Jahr 2005. Was das heißt?
Jeder noch so doofe Reiche, der sein Geld einfach in die Werte steckt, auf die alle mit den Fingern zeigen, ist in den letzten beiden Jahren um 50 Prozent reicher geworden. Während jeder noch so schlaue Lohnempfänger wieder einmal Reallohneinbußen in mannigfacher Gestalt hinnehmen musste – etwa Erhöhung der Wochenarbeitszeit, Kürzungen bei Weihnachts- und Urlaubsgeld, Streichung von übertariflichen Leistungen, Wegfall der Pinkelpause und und und. Den Ideen der Kapitalisten sind keine Grenzen gesetzt. Übrigens. Mein spezieller Service für Masochisten. Im nächsten Jahr soll es so weiter gehen. Sagen die Börsianer. ★ Schöne neue Dienstleistungsgesellschaft. Zweiter Teil: Das (wirklich) typisch spanische Restaurant. Der Weihnachtsrummel ist vorbei. Ohne jede Katastrophe, obwohl nahezu alle engeren Familienmitglieder sich persönlich begegnet sind. Da haben wir (als Ringrichter, pardon Gastgeber) eine Belohnung verdient. Übrigens auch dafür, dass wir in dieser Woche schon wieder gearbeitet haben und für das ganze Jahr und sowieso. Also gehen wir heute mal essen ohne die üblichen Beschränkungen. Das heißt, es gibt Wein und für jeden eine Vorspeise, ein Hauptgericht, einen Espresso und einen Trester zum Schluss. Essen und Getränke sind ok, aber mehr auch nicht. Der Preis liegt um genau 80 Prozent über dem, was in DM-Zeiten unser Limit für runde Geburtstage war. Ich kann mich nicht erinnern, dass es seitdem auch 80 Prozent Lohnerhöhungen gegeben hätte. Aber mich trösten die – von der Regierung bezahlten – Wirtschaftsinstitute. Diese Preiserhöhungen sind ja nur gefühlt – spätestens ab heute möchte ich hinzufügen, erst geschmeckt und dann erlitten. Und das ganz real, meine lieben Institute. Adi Reiher
Gerd Müller hatte einmal „Ladehemmung“ (es war wirklich nur einmal in seiner Karriere). Da sagten etliche, er selbst auch, er denke plötzlich zuviel nach beim Torschuss. Links, rechts, hoch, halbhoch, flach? Unterm Torwart durch, Tor des Jahres, wichtig, Rekord, wohin springt Nigbur? Da kann man schon nervös werden. Müller überwand die Krise, als er wieder Helmut Rahns Devise unbedacht anwandte: „Immer rin mit die Pille.“ Mehr als alle anderen Mannschaftsspieler ist es der Torjäger, der „es“ einfach tun muss. Reflektieren kann man später, oder lieber vielleicht doch nicht. Es reicht zu üben, um Bewegungsautomatismen zu verankern. Ein anderes Beispiel ist der „Yips“ beim Golf-Putt. Da treffen selbst gestandene Profis das Loch aus zwei Metern nicht mehr – weil die „Muskeln zucken“, die wohl eher die Nerven sind. Bernhard Langer wurde drei Mal in seiner Karriere davon befallen. Er puttete dann mit einem überlangen Schläger, mit beinahe absurd anmutender Technik. Eine offensichtliche Selbstüberlistung. Aber es half. Er konnte „es“ erneut tun. „Es“ tun, müssen auch und immer wieder die Skispringer. Wobei der Nervenkitzel hier auch aus der Angst erwächst, die angesichts des „Fluges“ vor jedem Sprung zu überwinden ist. Dazu kommt der komplizierte Bewegungsablauf aus Anfahrt, Absprung, Flug und Landung. Auch die Witterungsbedingungen – vor allem der Wind – spielen eine große Rolle. Von den persönliche Verhältnissen und dem enervierenden Medienrummel unserer Tage haben wir da noch gar nicht gesprochen. All das rechtfertigt die Vermutung, dass hier der gewinnt, der am wenigsten nachdenkt. Vielleicht ist dies der eigentliche Grund, warum es in diesem Sport immer wieder „Wunderkinder“ gibt, die gleich auf dem allerhöchsten Niveau mitmischen wie jetzt der 16-jährige Österreicher Gregor Schlierenzauer, der gleich sein erstes Springen bei der Vierschanzentournee in
Der rote Kanal – TV-Tipps von Ali Alman
WDR-dok: Spaß mit Hitler!? (D, 2006)
(D, 2006)
Mo., 8. 1., 23.15 - 0.00 Uhr, WDR
Schauen, was geht (D, 2006)
Wir sind die Elite (D, 2006)
Di., 9. 1., 23.45 - 0.25 Uhr, Phoenix
Jungsein im Ruhrgebiet
Auseinandersetzung mit einem demnächst erscheinenden Film von Dani Levy.
Jungsein gutbürgerlich
Freitag, 5. Januar 2007
Di., 9. 1., 23.00 - 23.45 Uhr, Phoenix Jungsein auf türkisch
Di., 9. 1., 22.15 - 23.00 Uhr, Phoenix
Kalter Krieg ums Öl
Abhängen am Hochofen
Do., 11. 1., 22.15 - 22.45 Uhr, Phoenix
Die USA und China auf Kollisionskurs.
Foto: dpa
Der neue „Wunderspringer“ Gregor Schlierenzauer passiert am 1. 1. 2007 in der Luft über Garmisch-Partenkirchen den Kampfrichterturm. großer Manier gewann. „Das ist Skispringen vom anderen Stern“, meint der deutsche Bundestrainer Peter Rohwein. Zu Schlierenzauers Siegsprung auf 142 Meter in Oberstdorf meinte Österreichs Cheftrainer Alexander Pointner: „Wie Gregor da weggestiegen ist, das war eine andere Dimension. Der ist kein OneHit-Wonder.“ Und ein ehemaligesWunderkind, der Finne Toni Nieminen, meinte: „Er kann Jahre dominieren. Gregor hat unglaubliches Talent und die richtigen Leute um sich rum.“ Wenn die Herren sich da mal nicht irren. Viele, sehr viele, die jung große Erfolge hatten, stürzten ab. Da war zunächst einmal Toni Nieminen selbst. In der Saison 1991/92 gewann er die Springen wie er wollte – auch er 16 Jahre alt. Er siegte bei der Vierschanzentournee, holte zwei Goldmedaillen bei den Olympischen Winterspielen in Albertville und erreicht schließlich auch im Gesamtweltcup den 1. Rang. Mehr ging nicht. Aber auch nicht in Tonis weiterer Laufbahn. Der „kleine Mann“ wuchs und wurde zu schwer für den Sport der Leichtgewichte. Ein anderes Beispiel ist der Österreicher Toni Innauer, der seine sportliche Ausbildung wie Schlierenzauer im Schigymnasium Stams (Tirol) erhielt. 1975 erschien er 17-jährig auf der Springerbühne als der wahrscheinlich eleganteste Stilist der Skisprung-Geschichte. Nach den ersten Erfolgen kam Rückschlag auf Rückschlag. 1980 hörte Innauer mit 22 Jahren (!) auf – immerhin standesgemäß mit dem Olympiasieg auf der Normal-
schanze. Andere Springer mit großen Formschwankungen sind unter anderem der Schweizer Simon Amman, der Österreicher Andreas Goldberger, die Deutschen Sven Hannawald, Alexander Herr und Martin Schmitt. Auch der Pole Adam Malysz ist mal Top, mal nur Durchschnitt. Wenige schaffen es wie Jens Weißflog oder Janne Ahonen in fast der gesamten Laufbahn ganz vorne mitzuspringen. Das schaffte geraume Zeit auch Matti Nykänen, der finnische „Wunderspringer“. Heute vermutet man, auch deswegen weil er an der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) leidet. Zu deren Symptomen gehört das Handeln ohne nachzudenken – siehe oben. Für einen Skiflieger und andere Spitzensportler vielleicht nicht schlecht. Doch die weiteren Symptome dieser Krankheit wie leichte Ablenkbarkeit und geringes Durchhaltevermögen, sowie ein leicht aufbrausendes Wesen – außerdem ist Matti alkoholkrank – brachten ihm nach Skisprung-, Schlager- und Striptease- auch eine Knastkarriere von mittlerweile so anderthalb Jahren ein. Der und der bewahre Gregor Schlierenzauer davor. Wahrscheinlich ist das eh nicht. Aber angesichts der Diffizilität des Skispringens wäre vor allem der österreichische Trainer gut beraten, wenn er seinen Gregor nicht allzu hoch in den Himmel hebt. Nirgendwo kommt der sportliche Absturz schneller als beim Skispringen. Siggi Emmerich
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UZ-Aktion 2007: Zwei Abos für einen Preis
Zwei Revolutionäre für ein Ziel
Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht hatten ein Ziel: eine sozialistische Welt, befreit von Militarismus und Krieg, Nationalismus und dem Diktat kapitalistischer Ausbeutung. Für dieses Ziel kämpften sie als revolutionäre Politiker und Publizisten. Für dieses Ziel kämpften sie solange es ging in der und um die Sozialdemokratische Partei. Als die sich immer weiter von ihren ursprünglichen Zielen, Traditionen und vom Marxismus entfernte, gründeten Karl und Rosa mit anderen Linken die Kommunistische Partei Deutschlands als revolutionäre, marxistische Partei der Arbeiterklasse. Deswegen wurden sie ermordet.
Zwei Publikationen für ein Ziel Die Wochenzeitung „Unsere Zeit - Zeitung der DKP“ und die theoretische Zeitschrift „Marxistische Blätter“ stehen in dieser Traditionslinie. Auch nach der Niederlage des Sozialismus stellen wir uns organisiert der Aufgabe, Marxismus und Arbeiterbewegung zusammenzuführen für eine solidarische, sozialistische Welt. Deswegen werden wir totgeschwiegen, diffamiert, ausgegrenzt.
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