UZ - unsere zeit - Ausgabe 52 /2009

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unsere zeit S o z i a l i s t i s c h e Wo c h e n z e i t u n g – Z e i t u n g d e r D K P

41. Jahrgang

Nr. 52 24. Dezember 2009

2,40 Euro

In dieser Ausgabe

Liebe Leserinnen und Leser!

Fünf Jahre Hartz IV Die Erwerbslosen sind Verlierer der gescheiterten Reform

Seite 2

Verheerende Bestandsaufnahme Klimawandel –eine System- und keine Technologiefrage

Seite 3

Das Geschäft mit der Zwangsarbeit Arbeit für alle statt „Ein-EuroJobs“

Seite 4

Verräterische Wortwahl? Hennes & Mauritz (H&M) setzt Betriebsräte unter Druck

Seite 5

Kriegshetze im „Stürmer“-Stil Bundeswehrsoldaten werden zum Töten ermuntert

Seite 7

Schuldenhaushalt und Tumulte Christel Wegner aus der Dezember-Landtagssitzung in Niedersachsen.

Seite 9

Guinea: Putsch im Putsch Ein „deutscher Putschist“, außer Kontrolle geraten, scheint „entsorgt“ zu werden

Seite 10

Halbzeit? Einige Anmerkungen zum bisherigen Verlauf der Finanz- und Wirtschaftskrise

Seite 15

Gipfel der Verantwortungslosigkeit Wut, Enttäuschung über den „Mini-Konsens“ von Kopenhagen. Dies sind die noch relativ moderat formulierten Urteile in den bürgerlichen Medien über das Ergebnis des UNOKlimagipfels. Im Konferenzgebäude selbst waren deutlich härtere Töne zu hören: „Verbrechen“, „Verrat an unserer Zukunft“ – das waren die Urteile vor allem von Vertretern der kleineren und ärmeren Staaten und von Ländern mit sozialistischer oder antiimperialistischer Orientierung wie Venezuela, Kuba und Bolivien. Dabei wurde klar, dass eine breite Front ärmerer Staaten den „Kompromiss“ ablehnt, den die EU und die USA erst in der letzten Nacht

nen von eventuell 20 Prozent (statt der von den UN-Klimaexperten geforderten mindest 40%) verständigen wollten sowie die vage Absichtserklärung, dass man die Erderwärmung nicht über 2 Grad Celsius ansteigen lassen wolle, erweckt Zorn und weltweite Empörung. Das Desaster hatte sich schon vor Konferenzende angekündigt. Die Präsidenten von Venezuela und Bolivien, Hugo Chávez und Evo Morales, hatten am vorletzten Verhandlungstag klar zu erkennen gegeben, dass sie von einer Konferenz, die den „wahren Grund für den Klimawandel“, nämlich das kapitalistische System nicht mit einem einzigen Wort

Referendum über die Erde

Hoffnungslos hoffnungsvoll Ein Blick auf die Beschreibung der vermeintlichen Entwicklung in Lateinamerika

Seite 16

Wohin zurück aus der Zukunft? Wie uns die Medien zeigen, was auf uns zukommt – oder auch nicht

Seite 17

Deutsche „Besonderheiten“ Über einige historische Probleme der Bewusstseinsentwicklung

Freiraum für Adressaufkleber

Seite 19 CommPress Verlag GmbH, 45127 Essen, Hoffnungstraße 18 K 4956 D Postvertriebsstück Entgelt bezahlt

Montage: deym@nn

Der bolivianische Staatschef Evo Morales hat beim Gipfel über die Klimaveränderungen in Kopenhagen die ideologischen Unterschiede zwischen Entwicklungs- und Industrieländern sowie die Tatsache angeprangert, dass nur die Folgen, nicht aber die Ursachen des Klimawandels besprochen werden. Schuld sei der Kapitalismus. Morales sagte, die Vereinten Nationen müssten die Rechte der Erde denen der Menschen gleichstellen. Er schlug den Völkern der Welt die Durchführung eines Referendums mit den folgenden Fragen vor: 1. Sind Sie damit einverstanden, die Harmonie mit der Natur wiederherzustellen, indem die Rechte der Mutter Erde anerkannt werden? 2. Sind Sie damit einverstanden, dieses Modell des Überkonsums und der Verschwendung zu verändern, welches der Kapitalismus darstellt? 3. Sind Sie damit einverstanden, dass die Industrieländer ihre Treibhausgasemissionen reduzieren und reabsorbieren, auf dass die Temperatur nicht um mehr als ein Grad steigt? 4. Sind Sie damit einverstanden, alles, was in Kriege investiert wird, umzuwidmen und einen höheren Etat für den Klimaschutz zu schaffen als für die Verteidigung? 5. Sind Sie mit einem Klimagerechtigkeitstribunal einverstanden, um diejenigen zu bestrafen, die die Mutter Erde zerstören? mit den wichtigsten „Schwellenländern“ – darunter Brasilien, Indien und China – ausgehandelt hatten. Insgesamt 25 Regierungen hatten nach einem nächtelangen Verhandlungsmarathon schließlich nichts anderes zustande gebracht als eine unverbindliche Absichtserklärung, dass man im Lauf des nächsten Jahres eine Einigung über ein Klima-Abkommen finden wolle, das an die Stelle des 2012 auslaufenden Protokolls von Kyoto treten soll. Sein Land werde dieses Dokument nicht akzeptieren, sagte der Vertreter des Inselstaats Tuvalu, Ian Fry, in der Sitzung am frühen Samstagmorgen im Konferenzplenum. Die Delegation Nicaraguas wies darauf hin, die Übereinkunft stehe im Widerspruch zu früheren Beschlüssen der Klimakonferenz, darunter der 2007 beschlossenen „Bali Roadmap“. Der völlig unverbindliche Charakter des „Copenhagen Accord“, der keinerlei einklagbare internationale Verpflichtungen enthält, auch die darin enthaltenen nebulösen Ankündigungen, dass die Unterzeichner sich 2010 schriftlich über eine Begrenzung von CO2-Emissio-

erwähne, nichts erwarteten. Die Rettung von „Mutter Erde“ – so Morales – erfordere nicht nur die Eindämmung des globalen Temperaturanstiegs bei 1 Grad Celsius und nicht bei 2 oder gar noch mehr. „Wenn wir die Erde retten wollen, müssen wir mit diesem Wirtschaftssystem Schluss machen“ rief Morales den Konferenzteilnehmern zu. In dieselbe Kerbe schlug Chávez, der den kapitalistischen Großmächten vorwarf: „Wenn das Klima eine Bank wäre, hätten die reichen Länder es längst gerettet.“ Fidel Castro hatte nur zwei Tage vorher in einer Botschaft an Chávez die Bedeutung der Konferenz so beurteilt: „An jenem Ort wird im jetzigen Augenblick die wichtigste politische Schlacht der Menschheitsgeschichte ausgefochten. Dort kann das gesamte Ausmaß des Schadens wahrgenommen werden, den der entwickelte Kapitalismus der Menschheit zugefügt hat. Heutzutage muss diese nicht nur verzweifelt um die Gerechtigkeit kämpfen, sondern ebenfalls um das Überleben der Gattung.“ Castro, Chávez, Morales: drei antiimperialis-

tische Revolutionäre unterschiedlicher Herkunft und Erfahrungen befinden sich damit in Übereinstimmung mit einem großen Teil der internationalen Umweltbewegung. Von dieser Warte betrachtet, ist der Konferenzausgang für die Entwicklung der ganzen Menschheit eine Tragödie. Noch in der Nacht demonstrierten deshalb Aktivisten gegen den Kompromiss der führenden Staats- und Regierungschefs. Ein Transparent mit der Aufschrift „Klima-Schande“ machte deutlich, wie das offizielle Abschlusspapier der Konferenz, das den Namen „Vertrag“ nicht verdient, international ankommt. Wie die „Süddeutsche Zeitung“ mit verständnisvollem Unterton bemerkte, warf Venezuelas Vertreterin Claudia Salerno Caldera dem dänischen Konferenzpräsidenten Lars Loekke Rasmussen vor, er unterstütze einen „Staatsstreich“ gegen die Vereinten Nationen, da Staaten wie Venezuela und Kuba keinen Einfluss auf die Erklärung gehabt hätten. Ein Vertreter Boliviens warf dem dänischen Regierungschef Verstöße gegen die Regeln von Demokratie und Transparenz und „diktatorisches Verhalten“ vor. US-Präsident Obama, der in einer gruseligen Medienkampagne vor Konferenzende wie ein Messias gefeiert wurde, der in Kopenhagen einschweben und die „Rettung“ bringen würde, brachte wieder außer wohlfeiler Rhetorik nichts Akzeptables mit. „Er benimmt sich wie ein Kaiser“ sagte ein kubanischer Delegierter. Wie eine trantutige Oberlehrerin bzw. ein geschwätzig plappernder Pennäler wirkten an seiner Seite die deutschen Delegationsspitzen Merkel und Röttgen. Eine Zwitterrolle zwischen den klaren Worten der antiimperialistischen Regierungsvertreter aus Lateinamerika und dem verantwortungslosen Geschachere um Emissionsrechte zugunsten der reichen kapitalistischen Staaten nahm die VR China ein. Der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao verfocht zwar über weite Strecken der Verhandlungen auch die Interessen der „3.-Welt-Staaten“ und deren Forderungen nach einer effektiven finanziellen Unterstützung für die Entwicklung klimafreundlicher Technologien, aber eine eigene verbindliche Verpflichtung wollte er nicht abgeben. Eine verpasste Chance, denn es ist gerade die VR China, die in wenigen Jahren einen beachtlichen Fortschritt bei der Entwicklung und massenhaften Anwendung von klimafreundlicher Solarenergietechnik gemacht hat und teilweise vorbildliche Klima schonende Projekte vorweisen kann. „Sozialismus oder Barbarei“ – dieses geflügelte Wort von Rosa Luxemburg bekommt mit dem Desaster von Kopenhagen eine neue Aktualität. Hans-Peter Brenner

Mit dieser letzten Ausgabe der UZ im Jahre 2009 möchten wir allen Autorinnen und Autoren, Spendern und Lesern für ihre solidarische Unterstützung unserer sozialistischen Wochenzeitung danken. Wir wünschen einige Tage der Erholung und Entspannung. Mit der UZ starten wir am 8. Januar ins neue Jahr 2010. Ein Jahr der andauernden schweren FinanzWirtschaftskrise liegt hinter uns, ein Jahr, das noch mehr Bewegung gegen die Abwälzung der Krisenlasten erfordert. Wir werden uns auch im neuen Jahr dafür engagieren, dass der Widerstand gegen Kapital und Kabinett wächst und die linken Kräfte, die DKP und ihre Zeitung UZ stärker werden.

Herausgeber, Redaktion und Verlag

Lenin Liebknecht Luxemburg Die traditionelle LLL-Veranstaltung der DKP findet am 9. 1. 2010 im Stiftssaal, Haus der Urania, An der Urania 6, Berlin (U-Bahnhof Wittenbergplatz) statt. Neben der Rede des Vorsitzenden der DKP, Heinz Stehr, werden Vertreterinnen und Vertreter aus den Jugendaktionen für bessere Bildung von Schule und Hochschule sprechen, sowie ein Vertreter der spanischen kommunistischen Partei. Unsere Veranstaltung wird umrahmt von einem Kulturprogramm mit der Gruppe „Böse Mädchen“, Berlin; Bernd Köhler (Schlauch) und IWO2 aus Mannheim. Beginn: 19.30 Uhr (Einlass: 19.00 Uhr). Eintrittspreis: 10.- / 7,- Euro Es werden Eintrittskarten zum Vorverkauf angeboten. Vorbestellungen für die Eintrittskarten sind an die jeweiligen Bezirksorganisationen zu richten. Das Jugendkonzert, u. a. von der SDAJ, findet um 21.00 Uhr im Saal Loft (5. Etage) im Haus der Urania statt. (Siehe Seite 12) Die LL-Demonstration am 10. Januar beginnt um 10 Uhr (Treffpunkt 9.30 Uhr) am U-Bahnhof Frankfurter Tor


Seite 2 / Profile

unsere zeit

Donnerstag, 24. Dezember 2009

Das Problem heißt nicht CO2, sondern Kapitalismus Erklärung des Sekretariats des Parteivorstandes der DKP zum Weltklimagipfel in Kopenhagen Der Weltklimagipfel in Kopenhagen ist gescheitert. Darüber kann auch das dürftige Abschlusspapier nicht hinweg täuschen, dessen unverbindlichen Ziele nicht einmal beschlossen, sondern von der Konferenz nur „zur Kenntnis genommen“ wurden. Beinahe 120 Staats- und Regierungschefs haben Tonnen des Klimakillers CO2 produziert, um nach Kopenhagen zu reisen und dort der Welt zu demonstrieren: Der Kapitalismus kann es nicht. Offensichtlich gibt es keinen Weg, um im Rahmen der kapitalistischen Weltwirtschaftsordnung die globale Klimakatastrophe abzuwenden. Seit Jahren ist bekannt, wohin der weltweit ungehemmte CO2-Ausstoß führt: In die globale Erwärmung. Das einzige, was der Kapitalismus als systemtypische „Lösung“ auf den Weg gebracht hat, ist ein neuer Geschäftszweig: Der internationale Handel mit Umweltverschmutzung. So entstand eine neue Finanzindustrie, die modernen Ablasshandel organisiert und damit einmal mehr glänzende Profite scheffelt. Eine nachhaltige Reduzierung des Treibhausgases bedeutet dies natürlich nicht. Die multinationalen Konzerne und ihre willigen Helfer in der Politik wollen und können sich nicht auf verbindliche Reduktionen festlegen. Das würde Profite schmälern. Und nichts wäre schlimmer für sie. Das Kapital ignoriert – und muss in seinem systemimmanenten Streben nach Maximalprofit ignorieren –, dass wir auf unserem Planeten in einer endlichen Welt mit ihren objektiven Grenzen leben. Die Natur ist weder in der Lage, in ständig wachsendem Maße der Produktion die Rohstoffe zu liefern noch deren Abfälle aufzunehmen. Dass schon heute an den Folgen der globalen Erwärmung Tag für Tag Menschen leiden und sterben, nehmen die Vertreter des Kapitals in Kauf. Mehr noch: Den Ländern der Dritten Welt und den sogenannten „Schwellenländern“ wie Indien und China wollen sie die wirtschaftliche Entwicklung faktisch verbieten. Sie ignorieren, dass es zwar eine gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortung gibt, die die historische Verantwortung der industrialisierten Länder ebenso berücksichtigt wie das Recht der armen Länder auf Entwicklung. Sie ignorieren, dass die entwickelten Industrieländer vorangehen müssen bei einem grundlegenden Wandel der Produktions- und Konsumtionsweise – mit einschneidender Reduzierung der Emissionen, mit drastischer Energieeinsparung und einem raschen Wechsel zu erneuerbarer Energie. Sie ignorieren, dass die entwickelten Industrieländer den armen Ländern umfassende technische und finanzielle Unterstützung für die Überwindung von Unterentwicklung und Armut und für den Aufbau umweltschonender Produktion

und Energieerzeugung geben müssen. Ob die durch den Kapitalismus in 150 Jahren seiner Entwicklung verursachten Umweltschäden überhaupt noch reparabel sind, bleibt offen. Dass so schnell wie möglich radikale Maßnahmen zur Treibhausgasreduktion ergriffen werden müssen, ist klar. Dass der Kapitalismus dies nicht leisten kann, ist spätestens seit Kopenhagen offensichtlich. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez sagte auf der Konferenz unter großem Beifall zahlreicher Vertreter aus der Dritten Welt: „Verändern wir nicht das Klima. Verändern wir das System! Und als Ergebnis werden wir beginnen, den Planeten zu retten. Der Kapitalismus, das zerstörerische Entwicklungsmodell, macht Schluss mit dem Leben. Er droht, endgültig der Gattung Mensch ein Ende zu bereiten!“ Die Reaktionen auf Chávez und ähnliche Redebeiträge sind es, die für mehr als einen Funken Hoffnung in der Welt sorgen. Denn in Kopenhagen gab es neben dem unwürdigen Schauspiel vor allem der westlichen Staatschefs, die zu keinem Zeitpunkt an einem ernsthaften Ergebnis interessiert waren, eine bemerkenswerte Entwicklung: Unbeeindruckt von massiven Repressionsmaßnahmen der „Sicherheitskräfte“, von Schlagstockeinsatz, Tränengas und Wasserwerfern, von willkürlichen Verhaftungen und Maulkorberlass, selbst für die bürgerliche Presse entstand in Kopenhagen die Keimzelle einer starken, globalen Klimabewegung. Zigtausende von Aktivisten aus der ganzen Welt trafen sich in begleitenden Veranstaltungen, bei Aktionen im Rahmen des alternativen „Klimaforums 09“, das eine eigene Deklaration verabschiedete. Umweltaktivisten, Gewerkschafter, Christen, Vertreter indigener Völker, Globalisierungskritiker und auch zahlreiche Kommunisten vereinbarten, nach dem Gipfel in ihren Heimatländern Strukturen für eine internationale Umweltbewegung zu entwickeln. Ziel ist u.a. die Mobilisierung von mehr als einer Million Aktivisten zur Klimakonferenz 2010 in Mexiko City. Die Deutsche Kommunistische Partei begrüßt diese Initiative und wird sich an den entsprechenden lokalen Aktivitäten beteiligen, denn für die DKP ist klar: Der Kapitalismus bekommt seine katastrophalen Auswirkungen auf den Planeten Erde nicht in den Griff – weder national noch international. Die größte Umweltbelastung ist das System. Das ist schon heute Konsens in großen Teilen der sich entwickelnden internationalen Umweltschutzbewegung. Und das ist gut so. Essen, 21.12.2009

Visionäre Vorreiterin Die grüne Frau Claudia Roth hat die „Klima-Queen“, Frau Angela Merkel, kritisiert. Der „Glamour“ sei ab. Das ist ungerecht. Weniger jetzt, Frau Merkel mit dem Begriff „Glamour“ in Verbindung zu bringen, und dann auch noch zu behaupten, er sei ab. Nein, es geht um den Vorwurf, Merkel habe in Kopenhagen Deutschlands „Vorreiterrolle kläglich verspielt“. Auf so eine Idee können auch nur Grüne kommen. Die „Klima-Queen“ hat diese Anwürfe denn auch zurückgewiesen. Man dürfe die Ergebnisse ihres Weltklimagipfels nicht schlecht reden. Kopenhagen sei „ein erster Schritt hin zu einer neuen Weltklimaordnung, nicht mehr aber auch nicht weniger.“ Wer Kopenhagen jetzt nur schlecht rede, beteilige sich „am Ge-

schäft derer, die bremsen, statt voranzugehen.“ Und bremsen, das will sich die Klima-Queen nicht vorwerfen lassen. Beispielsweise solche Klima-Retter wie den Porsche Cayenne oder den Mercedes S-Klasse. Als EU-Kommissar Stavros Dimas diese Spitzenprodukte deutscher Autobaukunst sinnlos ausbremsen wollte, ist Frau Merkel mutig vorangeschritten. Vermutlich der allererste Schritt zu einer neuen Weltklimaordnung. Das wär' doch gelacht, wenn wir's uns hier nicht so richtig gemütlich machen könnten. Auch ohne Zentralheizung. Spart Energie. Neue Weltklimaordnung. Visionär, unsere „Klima-Queen“. Guntram Hasselkamp

Karikatur: Bernd Bücking

Fünf Jahre Hartz IV Die Erwerbslosen sind Verlierer der gescheiterten Reform Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung IAB legte am vergangenen Dienstag eine Bilanz über fünf Jahre Hartz IV vor. Die UZ sprach darüber mit Walter Bauer. Walter Bauer ist Mitglied der ANA – Aktionsgemeinschaft Nürnberger Arbeitsloser und arbeitet im Nordbayerischen Erwerbslosen Netzwerk mit. Er ist selbst seit einem halben Jahr wieder „auf Hartz IV“. UZ: Die Bilanz der IAB ist überschrieben mit: „Der Arbeitsmarkt hat profitiert“. Doch wer ist der wahre Nutznießer von Hartz IV? Walter Bauer: Die Aussage „Der Arbeitsmarkt hat profitiert“ reizt zu der Frage: Wer auf diesem Markt hat tatsächlich profitiert? Bekanntermaßen waren es nicht die Erwerbslosen. Aber noch einmal zurück zum IAB. Als Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit hat es u. a. die Aufgabe, die Einführung der Hartz-Gesetze zu begleiten und auf die Effektivität im Sinne der Gesetzgeber zu untersuchen. Dass dieses Institut nach fünf Jahren Hartz IV fordert „Die Hartz-Gesetze sind gescheitert, die Hartz-Gesetze müssen weg!“, habe ich nicht erwartet. Aber dass selbst das IAB einen solchen, gemessen am Anspruch der Hartz-IV-Verfechter, sehr zurückhaltenden „Erfolgsbericht“ nach fünf Jahren veröffentlichen muss, ist schon für das Scheitern all ihrer Zielvorgaben kennzeichnend. Auch aus dem Anspruch eines wortgewaltigen SPD-Bundeskanzlers, mindestens die hohen Erwerbslosenzahlen zu halbieren ist bekanntlich nichts geworden. Übrig blieb eine „grundsätzliche positive Einschätzung der Neuordnung der Grundsicherung für Erwerbslose“. Der Kernpunkt der „positiven“ Einschätzung ist: „Auch wenn es nicht voll zum Tragen kommt, konnte strukturelle Arbeitslosigkeit verringert werden ... (und) trägt dazu bei, einer neuerlichen Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit in der Krise entgegenzuwirken und einen künftigen Wirtschaftsaufschwung beschäftigungsfreundlicher zu gestalten.“ IAB-Vizechef Ulrich Walwei vermutet sogar, dass ohne Reform die Zahl der Erwerbslosen „im sechsstelligen Bereich“ läge. Ich würde ihm recht geben, wenn seine Aussage bedeuten würde: Ohne die in Maßnahmen, Praktika, staatlich finanzierten Arbeitsplätzen und Beschäftigungsgesellschaftskonstruktionen steckenden Menschen, also alle, die aus der Statistik herausfallen, aber weiterhin erwerbslos sind, würde die Erwerbslosenstatistik noch schlechter, aber ehrlicher sein. Zum Beispiel falle ich Mitte 2010 als nicht mehr vermittelbar, aber immer noch erwerbslos, aus der Statistik. Bin aber weiterhin Kunde der ARGE.

Dieser verschwommenen positiven Einschätzung stehen reale Profiteure von Hartz IV gegenüber. Es sind die Zeitarbeitsfirmen, die Billiglohnbetriebe, in die die ALG-II-BezieherInnen unter Sanktionsandrohungen gezwungen werden. Aber auch einige Kommunen, die kommunale Aufgaben durch Ein-EuroJobs oder „Bürgerarbeit“ billiger erledigen lassen und dabei tarifliche kommunale Arbeitsplätze abbauen, sowie auch Wohlfahrtsverbände, die das Ein-EuroJob-Angebot massiv ausnutzen, sind Profiteure und wollen Hartz IV nicht mehr missen. Ich kenne keinen, der sich als Gewinner versteht, wenn er durch das Hartz IV System „aktivierend“ gezwungen wurde, sich nackt auszuziehen, Blindbewerbungen am Fließband zu versenden und Disziplinierungsmaßnahmen durchzustehen. Nur nicht in diese Mühle des Hartz-IV-Systems zurück, ist für viele die Devise. Es sind die Verlierer der Hartz-Gesetze, vor allem die rund 1,3 Millionen Menschen, die zu Niedriglöhnen arbeiten müssen und als „Aufstocker“ weiterhin Hartz-IV-Leistungen erhalten. Zu den Verlierern gehören auch diejenigen, die in den Betrieben mit dem Hartz-IV-Hammer zum Akzeptieren von Lohnkürzungen und Verschlechterung der Arbeitsbedingen gezwungen werden. Wie immer sind es vor allem alleinerziehende Menschen, die am stärksten unter Druck stehen. Dies kann auch der IAB-Bericht nicht verschweigen. UZ: Wie sind denn die realen Chancen für Hartz-IV-Bezieher, eine bedarfsdeckende Tätigkeit aufnehmen zu können? Walter Bauer: Die Hartz-IV-Verteidiger handeln mit der „Erfolgsmeldung“: „Die Zahl der ALG-II-BezieherInnen ist seit 2006 von 5,4 Millionen auf 4,9 Millionen gesunken.“ Aber wohin? Nur die Hälfte fand tatsächlich lang- oder kurzfristige Arbeit. Schon vor einiger Zeit stellte das IAB fest: „Die Löhne der Abgänger in Erwerbstätigkeit sind relativ gering. Annä-

hernd jeder zweite verdient weniger als 7,50 Euro brutto pro Stunde.“ Auch wenn von den offiziellen 4,92 Millionen ALG-II-BezieherInnen allein 1,3 Millionen „Aufstocker“ sind, ist es kennzeichnend für die geringe Chance einen Job mit „bedarfsdeckender“ Entlohnung zu bekommen. Dafür sprechen auch die steigenden Zahlen der Erwerbstätigen mit zwei und drei Mini-Jobs. Also nichts mit „bedarfsdeckender Bezahlung und regulären Arbeitsplätzen“. „Arm trotz Arbeit“ erfasst immer mehr Menschen, und die sozialen Bewegungen und Gewerkschaften sehen darin eine große Gefahr der Massenarmut. Nochmals zur „Abgangsstatistik“. Es ist bekannt, dass ein nicht geringer Teil der Abgänge begründet ist durch Übergang in Rente oder Ausbildung, aber auch eine Veränderung in eine Bedarfsgemeinschaft. Es sind oft statistische Abgänge in Altersarmut oder Veränderungen von sozialen Abhängigkeiten innerhalb einer „Bedarfsgemeinschaft“. UZ: In welchem Rahmen sind besonders Frauen von Hartz IV betroffen? Walter Bauer: Die Stellung der Frauen und der Umgang mit ihnen, ob in der „Bedarfsgemeinschaft“ oder als Alleinerziehende und Alleinstehende widerspiegelt ihre Rolle in der Gesellschaft. Als erstes ist ungefragt immer der Mann der „Vorstand in der Bedarfsgemeinschaft“. Eine Mutter wird, obwohl die Voraussetzungen nicht vorhanden sind, moralisch und auch durch Zwang zur „Unterbringung des Kindes“ und zur „Arbeit“ gedrängt. Arbeitsaufnahme für noch weniger Lohn als ihr männlicher Mitbewerber wird als selbstverständlich angenommen. In der Frage der Betreuung der Kinder wird in diesem Bericht ein Handlungsbedarf und Verbesserung eingefordert. Aber dieser „Handlungsbedarf“ steht ja schon seit fünf Jahren im Raum. UZ: Als Ziel der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik nennt das IAB die Befähigung der Hilfebedürftigen zu eigenverantwortlichem und autonomem Handeln. Wie sieht die Realität aus? Walter Bauer: Fünf Jahre Hartz IV sind auch fünf Jahre Anti-Hartz-Bewegung. Dieser Bewegung wurde von Anfang an klar: Hier geht es nicht um „Fordern und Fördern“. Hier geht es um „Fordern“ um möglichst viele aus dem Sozialsystem zu verdrängen, egal wohin und egal wie. Der Kostenfaktor Erwerbslosigkeit muss abgebaut werden. Individuelle Probleme und Situationen spielen keine Rolle. Eigenverantwortlich bist du für deine Situation. Wie in vielen Begriffen bei den Hartz-Gesetzen ist es auch eine bewussFortsetzung auf Seite 4


Donnerstag, 24. Dezember 2009

unsere zeit

Hintergrund / Seite 3

Klimapolitik – antimonopolistischer und antikapitalistischer Kampf

Verheerende Bestandsaufnahme

Die DKP versteht Klimapolitik als Teil eines an die eigentlichen Wurzeln der Naturzerstörung und -gefährdung gehenden politischen Eingreifens. Die gegenwärtige Dimension der Temperaturbeschleunigung stammt nicht einfach von „den Menschen“. Der gegenwärtige Stand der Zivilisation und Technologie, die Energie- und Verkehrsstrukturen und die dadurch geprägten Lebens- und Konsumgewohnheiten sind nicht naturgegeben „anthropogene“ Faktoren. Sie sind Bestandteil einer vom Kapitalismus geprägten Lebensform. Gründliche und grundsätzliche Lösungen auch im Kampf gegen den beschleunigten Klimawandel erfordern also eine antikapitalistische und antimonopolistische Ausrichtung und Zielsetzung. Auf diese grundsätzlichen Zusammenhänge verweist der entsprechende Antrag zur Umwelt- und Klimapolitik des 18. Parteitages der DKP vom Februar 2008. Entschließung des 18. Parteitags der DKP (Auszug)

Klimawandel – eine System- und keine Technologiefrage · Von Hans-Peter Brenner Die Kopenhagener Klimakonferenz basiert mit ihren Einschätzungen auf den Analysen und Prognosen des UNO Klimarates (Intergovernmental Panel on Climate Change – IPCC). Der PCC-Report 2007 – ergänzt durch drei weitere IPCC-Berichte und zwischenzeitlich durch eine fast unübersehbare Menge weiterer wissenschaftlicher Analysen und Studien vertieft und erhärtet –präsentierte sechs Szenarien über die möglichen Folgen des sich beschleunigenden vom „Menschen“ – d. h. von der kapitalistischen Produktions- und Lebensweise – verursachten globalen Temperaturanstieges. Im besten Fall sei bis 2100 mit einer Erwärmung von 1,1 bis 2,9 Grad Celsius zu rechnen, im schlimmsten Fall mit 2,4 bis 6,4 Grad. Am wahrscheinlichsten sei ein Anstieg um 1,7 bis 4 Grad. Der Meeresspiegel werde bis 2100 im besten Szenario um 19 bis 37, im schlimmsten Fall um 26 bis 59 Zentimeter steigen. Dieser Bericht von 2007 und die anderen folgenden IPCC-Berichte wurden schon bei ihrem Erscheinen innerhalb der Gemeinschaft der Klimaforscher als viel zu „konservativ“ und nicht auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand stehend kritisiert. Sie geben – eben weil sie nur den Minimalkonsens der beteiligten Staatenvertreter darstellen – zumindest aber die auf jeden Fall eintretenden Klimawandel-Effekte an. Sie schildern also nicht den möglich „GAU“, sondern den am niedrigsten eingestuften Gefährdungseffekt. Doch selbst diese so moderaten Daten reichen aus, um das die Menschheit bedrohende Klima-Drama zu verdeutlichen. Fazit: Selbst wenn alle CO2-Emissionen sofort gestoppt würden, stiege die Temperatur noch um weitere 0,6 Grad, da das Klimasystem nur sehr träge reagiert. Der Meeresspiegel würde auch dann noch

„über viele Jahrhunderte“ steigen. Sollte die Erwärmung aber deutlich über drei Grad bis zum Jahr 2100 liegen, würde das Festlandeis Grönlands vollständig abschmelzen – mit wahrscheinlich katastrophalen Folgen für die Küstengebiete der Welt. Hauptbetroffene sind neben den tiefer gelegenen Insel-, Fluss- und Küstenregionen vor allem die durch den Klimawandel besonders hart geschädigten Trockengebiete. Dürre und Hungersnöte sind die eine, Überschwemmungen und Überflutungen die andere Seite derselben Medaille. Darunter leiden besonders die Elends- und Hungergebiete in den unterentwickelt gehaltenen Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas.

Klimapolitik auf Kapitalisten-Art Die Ängste und Proteste gegen diese Katastrophen werden stärker und sind aus unterschiedlichen Motiven gespeist. Ähnlich wie zu den Hochzeiten der Friedensbewegung in den frühen 80er Jahren ist die Bewegung zum Stopp der Klimakatastrophe generationen- und klassenübergreifend. Neu ist im Vergleich zur Friedensthematik, dass auch relevante Teile der Klasse, die durch die von ihr geschaffene kapitalistische Produktionsweise diesen beschleunigten Klimawandel hervorruft, sich – aus eigennützigen Motiven – im Sinne einer Begrenzung der Katastrophe zu Wort meldet. Die wichtigsten deutschen Kapitalistenverbände, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitergeberverbände (BDA) sowie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), arbeiten an einem Konzept des „grünen Kapitalismus“. In der systematisch verbreiteten Selbstdarstellung führen sich diese Hauptzentralen des deutschen Monopolkapitals als weltweit führende Vertreter klimafreundlicher Innovationen auf.

Die „Klimaschutzargumente der deutschen Wirtschaft“ 1. Wirksamer Klimaschutz braucht ein verbindliches internationales Abkommen. Für das Klima ist es nebensächlich, wo Treibhausgase freigesetzt werden. Daher bedarf es eines internationalen Abkommens, das eine langfristige Planungs- und Investitionssicherheit bietet und weltweit zu Investitionen in klimaschonende ?Technologien ermutigt. 2. Wirksamer Klimaschutz braucht fairen Wettbewerb. Die deutsche Industrie erfüllt anspruchsvolle Klimavorgaben. Sie unterstützt messbare, vergleichbare, absolute Minderungsziele für Industrieländer und fordert auch für Schwellenländer verbindliche Vorgaben. Die Lasten des Klimaschutzes müssen international angemessen verteilt werden. 3. Wirksamer Klimaschutz braucht einen globalen Kohlenstoffmarkt. Der Emissionshandel ist ein marktwirtschaftliches Instrument, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren. Er sorgt dafür, dass weltweit ökonomisch effizient in den Klimaschutz investiert werden kann. Über die flexiblen Mechanismen können auch Länder beitragen, die nicht am Emissionshandel teilnehmen. 4. Wirksamer Klimaschutz braucht klare Regeln für Technologiekooperationen. Auf die Innovationskraft der Unternehmen kommt es an. Der Schutz geistigen Eigentums ist Voraussetzung für Investitionen in Forschung, Entwicklung und weltweite Verbreitung klimaschonender Technologien. 5. Wirksamer Klimaschutz braucht innovative Technologien. Die deutschen Unternehmen sind Weltmarktführer bei Klimaschutztechnologien. Wir begreifen Klimaschutz als wirtschaftliche Chance für Wachstum und Beschäftigung entlang der gesamten industriellen Wertschöpfungskette. Quelle. http://www.wirtschaftfuerklimaschutz.eu/index.asp Wichtige Energiekonzerne wie RWE und Siemens feilen mit besonderem Eifer an ihrem Image als „zukunftsorientierte“ Energieunternehmen, die eigentlich nichts sehnlicher wünschen als den radikalen ökologischen Umbau der gesamten Energieversorgung. Lediglich ein „klitzekleiner Vorbehalt“ müsse gemacht werden: für eine „Übergangszeit“ seien „modernisierte“ Kohlekraftwerke und die „besonders sicheren“ deutschen Kernkraftwerke unverzichtbar. Einige der wichtigsten Energie-Monopolisten sind stark engagiert in der Entwicklung von Solar- und WindenergieParks. Besonders das gigantische Pro-

Die wichtigsten Daten des IPCC-Berichts 2007 ★ Der Kohlendioxid-Gehalt der Luft stieg seit 1750 um 35 Prozent an. Der heutige Wert ist der größte seit 650 000 Jahren. 78 Prozent der Erhöhung gehen auf die Nutzung fossiler Brennstoffe zurück, 22 Prozent auf die Nutzung von Landflächen, etwa durch Rodungen. ★ Andere Treibhausgase wie Methan oder Lachgas sind zusammen etwa halb so stark an der Erwärmung beteiligt wie der Anstieg des Kohlendioxids. Die Konzentration von Methan und Lachgas hat seit 1750 um 148 bzw. 18 Prozent zugenommen. ★ Die globale Oberflächentemperatur ist um 0,74 Grad gestiegen; elf der letzten zwölf Jahre waren die wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen. ★ Die Temperaturzunahme der letzten 50 Jahre ist doppelt so hoch wie die der letzten 100 Jahre. ★ Die Arktis hat sich doppelt so stark erwärmt wie im globalen Mittel. ★ Klima-Vergleiche und Rekonstruktionen besagen, dass die Temperaturen der vergangenen 50 Jahre sehr wahrscheinlich höher waren als jemals zuvor in den vergangenen 1300 Jahren. ★ Die schneebedeckte Fläche hat seit 1980 um etwa 5 Prozent abgenommen. ★ Die Gletscher schmelzen weltweit und lassen die Weltmeere derzeit um 0,8 Millimeter pro Jahr zusätzlich steigen.

Widerstand gegen die Zerstörung und Gefährdung unserer natürlichen Lebensgrundlagen entwickeln

★ Das Meereis in der Arktis ist seit 1978 im Jahresmittel um acht Prozent zurückgegangen und im Sommer um 22 Prozent. In der Antarktis ist dagegen kein Rückgang zu beobachten. ★ Neben dem Meereseis geht auch das Festlandeis in Grönland und der Antarktis zurück: Die Schmelze und Gletscherabbrüche und tragen 0,4 Millimeter pro Jahr zum Meeresspiegelanstieg bei. ★ Die Temperaturen in den oberen Schichten des Permafrostbodens sind seit 1980 um drei Grad gestiegen, die Fläche des saisonal gefrorenen Bodens hat seit 1900 um sieben Prozent abgenommen, im Frühling sogar um 15 Prozent. ★ Die Ozeane sind im globalen Mittel wärmer geworden, bis in Tiefen von 3 000 Meter. Diese Erwärmung trägt durch die Ausdehnung des Wassers ebenfalls zum Anstieg des Meeresspiegels bei. ★ Der Meeresspiegel ist seit 1993 durchschnittlich um etwa drei Millimeter pro Jahr gestiegen, im 20. Jahrhundert um 17 Zentimeter. Mehr als die Hälfte davon geht auf die thermische Ausdehnung des Ozeans zurück, etwa 25 Prozent auf das Abschmelzen der Gebirgsgletscher und rund 15 Prozent durch das Abschmelzen der Eisschilde. Quelle: Alfred Wegener Institut/spiegel-online

jekt „desertec“, mit dessen Hilfe Solarstrom aus der Sahara nach Europa transportiert werden soll, wird von diesen Energiemonopolisten gemeinsam mit den größten Versicherungskonzernen betrieben. Dabei geht es um die gigantische Summe von 400 Mrd. Euro, die allein für die Installation und den Energietransport umgesetzt werden. Ein gigantisches finanzielles Projekt, das verdeutlicht in welchen Größenordnungen die Energiekonzerne mit anschließenden Gewinnen rechnen. Die BDI-Positionen (s. Kasten oben) verdeutlichen, wie sehr dem deutschen und internationalen Großkapital daran gelegen ist, die in der Klimapolitik angelegten Fragen nach den gesellschaftlichen Ursachen und den gesellschaftlichen Alternativen zum kapitalistisch geprägten Umgang mit der Natur auszublenden. Ihr Konzept heißt „Klimaschutz mit Augenmaß und ohne Systembrüche“ zur Stärkung der eigenen Führungsrolle auf dem Energiesektor. Fazit: Der BDI propagiert eine Klimapolitik, die hauptsächlich dazu geeignet ist, den bisherigen Technologievorsprung auf diesem Gebiet zu sichern, den Handel mit den so genannten „Emissionsrechten” – einem Schacher mit „Verschmutzungsrechten“, der eine Perversion von Klimaschutz darstellt – betreiben zu können. Die Berufung auf die angebliche Notwendigkeit fossiler Energieträger entlarvt sich dabei als ein reines Schielen nach der für die Energiekonzerne billigsten und profitabelsten Struktur der Energieversorgung ohne Rücksicht auf die Folgen für das Weltklima.

„Friedrich Engels hat zu Ausgang des 19. Jahrhunderts in seiner ,Dialektik der Natur’ viele historische Beispiele dafür angeführt, wie durch unbedachtes, nur auf kurzzeitigen Vorteil ausgerichtetes menschliches Handeln schon im Altertum ökologische und klimatische Fernwirkungen ausgelöst wurden – zum Beispiel durch das Abholzen der Wälder in Italien und später im gesamten Mittelmeerraum – die zu dramatischen klimatischen Veränderungen geführt haben. Karl Marx und Friedrich Engels haben davor gewarnt, dass die Menschen gegenüber der Natur nicht die Mentalität von ,Eroberern’ zeigen dürfen. Marx hat im ,Kapital’ den kategorischen ,ökologischen Imperativ’ formuliert, dass jede Generation Verantwortung für die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen zu tragen habe. ,Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias (gute Familienväter) den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.’ Der künstlich von den kapitalistischen Produktionsverhältnissen und der kapitalistisch deformierten Arbeits- und Lebensweise beschleunigte Klimawandel, vor dem Wissenschaftler schon seit mehreren Jahrzehnten warnten, ist bereits im Gang. Hauptursache ist in erster Linie der von der kapitalistischen Produktionsweise verursachte Treibhauseffekt ... Der forcierte Klimawandel ist nicht das Ergebnis unspezifischer ,anthropogener’ Faktoren. Er wird von den weltweit pro Jahr ausgestoßenen über 27 Milliarden Tonnen (!) CO2 hervorgerufen. Man muss etliche Millionen Jahre in der Klimageschichte zurückgehen – in die Zeiten eines wesentlich wärmeren eisfreien Erdklimas –, um ähnlich hohe CO2-Konzentrationen zu finden. Im Jahre 2005 wurde der höchste CO2-Wert seit mindestens 700 000 Jahren – so weit reichen die Daten aus Eiskernen zurück – registriert. Das führt zu Bedingungen, mit denen der Mensch es noch nie zu tun hatte, seit er den aufrechten Gang gelernt hat. Es ist die durch die kapitalistische Produktions- und Austauschweise deformierte Technologie, die diesen Anstieg des CO2 verursacht, daran gibt es keinerlei Zweifel.“


Seite 4 / Wirtschaft, Gewerkschaft, Soziales

ver.di erzielt Tarifabschluss bei IBM ver.di hat sich mit IBM in der Tarifrunde 2009/2010 für die etwa 20 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland auf deutlich bessere Beschäftigungsbedingungen und eine höhere Vergütung geeinigt. „Wir haben ein umfassendes Tarifpaket geschnürt, das sowohl wichtige qualitative als auch quantitative Elemente enthält“, betonte ver.di-Verhandlungsführer Rolf Schmidt. Der Abschluss setze für 2010 Maßstäbe bei der Entwicklung der Gehalts- und Beschäftigungsbedingungen in der IT-Branche und sei unter anderem auf eine gestärkte gewerkschaftliche Basis in dem Unternehmen zurückzuführen. Demnach sei mit IBM ein Tarifvertrag Altersteilzeit (ATZ) abgeschlossen worden, der ab 1. Januar 2010 in Kraft tritt. IBM werde dabei einen 25-prozentigen Zuschuss sowie zusätzlich 2,5 Prozent der betrieblichen Jahressonderzahlung leisten. Damit werde der Wegfall der staatlich geförderten Altersteilzeit kompensiert, betonte Schmidt. Der ATZ-Tarifvertrag hat eine Laufzeit von zwei Jahren. Gleichzeitig wurde vereinbart, die Gehälter im Jahre 2010 wie auch im noch laufenden Jahr um 1,9 Prozent anzuheben. Für die betriebliche Sonderzahlung gelte zudem ein Mindestbetrag von 1 000 Euro.

Mindestlohn Ablehnung ver.di plant Aktionen „Wir sind empört, dass die Regierungskoalition es nicht geschafft hat, sich auf die Allgemeinverbindlichkeit des Mindestlohns für die Abfallwirtschaft zu verständigen, um endlich den Weg für faire Löhne bei den Entsorgern frei zu machen“, erklärt Erhard Ott, ver.diBundesvorstandsmitglied. Es sei völlig unverständlich, dass ein Mindestlohn für die Abfallwirtschaft zeitweilig durch ein Veto der FDP blockiert und die Entscheidung damit verschoben werde. Die Zeit, die sich die Koalition zur Meinungsbildung nehme, würden ver.di und die Beschäftigten nun für Aktionen nutzen. Mehr als 20.000 Beschäftigte seien wegen ihrer geringen Löhne direkt von diesem Aufschub betroffen. Sie hätten gehofft, noch in diesem Jahr einen Lohn zu erhalten, der ihnen ein auskömmliches und angemessenes Einkommen sichere. Nun würden sie weiterhin mit Hungerlöhnen von 4 bis 6 Euro pro Stunde abgespeist. Ein Mindestlohn für die Abfallwirtschaft schiebe dem bestehenden Lohndumping-Wettbewerb in der Branche einen Riegel vor. Nun müsse befürchtet werden, dass die Lohnspirale sich weiter nach unten bewege. „Jeder Tag, an dem der Mindestlohn nicht gezahlt wird, bedeutet, dass Menschen für harte Arbeit nur Dumpinglöhne erhalten, die nicht ausreichen, um eine Familie zu ernähren“, betonte Ott.

Beschäftigte erhalten effektiv weniger Geld Die Tarifabschlüsse 2009 brachten den Beschäftigten deutliche Lohnsteigerungen, allerdings nur auf dem Papier. Denn die Folgen der Wirtschaftskrise fraßen diesen Zuwachs schnell wieder auf. Kurzarbeit, der Abbau von Provisionen und die Nutzung tariflicher Öffnungsklauseln nannte der Leiter des Tarifarchivs des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der HansBöckler-Stiftung, Reinhard Bispinck, als Gründe für die insgesamt negative Entwicklung der effektiv gezahlten Bruttomonatsverdienste. 2009 fielen die Tarifabschlüsse zwar tendenziell niedriger aus als im Vorjahr, sie lagen zwischen zwei und vier Prozent. Jedoch stiegen die Verbraucherpreise weniger als im Vorjahr. Allerdings hätten allein beim Entgelt zehn bis 15 Prozent der Betriebe Abstriche gemacht. Zum Beispiel verzeichnet die Bundesagentur für Arbeit knapp 450 000 KurzarbeiterInnen. Dennoch beurteilt Bispinck dieses Instrument insgesamt als positiv: es habe Arbeitslosigkeit verhindern können. Mehr Infos mit einer Übersicht über die wichtigsten Tarifabschlüsse 2009 stehen auf der Website www.boeckler.de

unsere zeit

Donnerstag, 24. Dezember 2009

Fortsetzung von Seite 2

Fünf Jahre Hartz IV te Täuschung, den Begriff von „eigenverantwortlich und autonomem Handeln“ in diesem Zusammenhang zu verwenden. Wo Repression, Diffamierung, Schüren von Überlebensängsten, finanzieller und moralischer Druck auf Menschen und Familien die Regel ist, sind diese Begriffe ein Hohn. Denn in Regionen mit hoher Erwerbslosenquote ist es mit „eigenverantwortlichem und autonomem Handeln“ nicht weit her. „Eine Aktivierung ins Leere hinein sollte also nicht erfolgen“, rät das IAB. Aber welcher Fallmanager ist so ehrlich dies so zu gestehen? Durch zwangsweise Einweisung in Trainingsmaßnahmen, Praktika, Ein-EuroMaßnahmen usw. erlernt keiner das eingeforderte Handeln. Dass dies nicht eine weit her geholte Behauptung der Hartz-IV-GegnerInnen ist, scheint auch das IAB zu wissen, denn nicht umsonst wird im Bericht darauf verwiesen: „ ... wenn Aktivierung nicht Zwang und Sanktionen bedeutet, sondern als Mittel verstanden wird, Eigenverantwortung und Autonomie der Betroffenen zu fördern.“ Nur wird diese Praxis diesem Hartz-IV- System widersprechen.

nächste Zukunft?

UZ: Was prognostiziert das Institut für die

Fünf Jahre Hartz IV sind auch fünf Jahre Widerstand gegen das Gesetz.

Walter Bauer: Die Prognose des IAB bezüglich der zu erwartenden Erwerbslosigkeit 2010 und der anschließende Hartz-IV-Anstieg 2011 ist nicht optimistisch. Vor allem für Frauen, ältere aber auch junge Erwerbslose wird keine rosige Zukunft gezeichnet. Denn die Konkurrenz um die weniger werdenden Stel-

len wächst. Es wird ausgeführt: „Zu erwarten ist, dass die negativen Wirkungen der Krise erst im Jahre 2010 voll auf den Arbeitsmarkt durchschlagen (werden). Weil die Neueinstellungen bereits deutlich zurückgegangen sind, wird es gerade für arbeitsmarktferne Personen immer schwieriger, eine Stelle zu finden. ... Dass solche Übertritte (ALG I zu ALG II) in den Jahren 2010 und 2011

in höherem Umfang als zuletzt stattfinden werden, ist bereits abzusehen.“ Das IAB fordert die Politik auf, sich darauf einzustellen. Und die herrschende Politik wird sich mit ihren Vorstellungen darauf einstellen. Das ist sicher. Sicher ist aber noch nicht, ob die sozialen Bewegungen und die Gewerkschaften darauf eingestellt sind. Ich bin davon noch nicht überzeugt. Einige Demos oder Unterschriftensammlungen im Jahr 2010 machen noch keine gesellschaftliche Veränderung. Aber Veränderungen sind „zukunftsnotwendig“. Die Ergebnisse von fünf Jahre Hartz IV und die Urteile des Verfassungsgerichts zu den Jobcentern könnte ein Anlass sein, die Forderung „Weg mit Hartz IV“ und die Forderung nach einer Neuausrichtung auf eine wirklich soziale Sozialgesetzgebung neu zu beleben. Bei den kommenden Antikrisenaktionen der sozialen Bewegungen und den Reaktionen der Gewerkschaften auf die mit Sicherheit wachsende Langzeiterwerbslosigkeit hoffe ich auf die Forderung nach einem „Systemwechsel“. Nicht zurück zum alten, weg mit Hartz IV, ein soziales System ist nötig. Die Fragen stellte Werner Sarbok

Das Geschäft mit der Zwangsarbeit Arbeit für alle statt „Ein-Euro-Jobs“ Seit fünf Jahren gibt es „Ein-Euro-Jobs“. Sie gehören zu den Hartz-Gesetzen, die von der damaligen Regierungskoalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen ausgearbeitet und von allen Parteien im Bundestag beschlossen wurden. Nur die PDS (heute Partei „Die Linke“) stimmte dagegen.

Billige Arbeiter per Gesetz Seit Einführung der Hartz-Gesetze ist der Anspruch auf Arbeitslosengeld für unter 50-Jährige nach spätestens 12 Monaten und für über 58-Jährige nach 24 Monaten erloschen. Dann gibt es nur noch Arbeitslosengeld II. Das ist eine Hilfe zum Lebensunterhalt und zu den Kosten für Unterkunft und Energie, mit der niemand auskommt. Das soll so sein. Denn man will die Betroffenen zwingen, jede noch so schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen. Niedriglöhner freuen die Unternehmer. Und die, die noch einen Arbeitsplatz haben, bekommen Angst und werden ebenfalls billiger und williger. So wird Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen gemacht.

Geschäft mit der Zwangsarbeit Empfänger von Arbeitslosengeld II werden kaum noch angemessen beraten und vermittelt, obwohl rund 70 Prozent von ihnen eine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Statt dessen werden sie gezwungen, sogenannte Stellen mit Mehraufwandsentschädigung anzunehmen. Die haben eine Laufzeit von bis zu einem Jahr bei ca. 30 Arbeitsstunden pro Woche. Dafür gibt es 130 Euro pro Monat Mehraufwandsentschädigung, mit

der Fahrtkosten, Arbeitskleidung usw. bezahlt werden müssen. Das macht pro Stunde etwa einen Euro. Lehnt der Betroffene einen solchen „Ein-Euro-Job“ ab oder macht er nicht richtig mit, wird sein Regelsatz um 30Prozent gekürzt bzw. ganz gestrichen. „Ein-Euro-Jobs“ sind ein glänzendes Geschäft auch in Stuttgart. Das Sozialunternehmen Neue Arbeit beschäftigt Hunderte Arbeitslose z. B. als Putzkräfte. Sie erhalten nur die Mehraufwandsentschädigung, der Kunde bezahlt aber 10 Euro die Stunde. Zusätzlich bekommt das Unternehmen aus Steuergeldern bis zu 500 Euro je „Ein-Euro-Jobber“ für den „Verwaltungsaufwand“.

Gewerkschaften, Erwerbslosenverbänden und anderen nach Umwandlung der „Ein-Euro-Jobs“ in sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, von denen man leben kann. Aber es geht nicht nur um existenzsichernde Arbeit für „Ein-EuroJobber“, es geht um Arbeit für alle. Die jährlich steigende Produktivität der Arbeit ist vor allem der Gewinn einer Minderheit von Kapitalbesitzern. Für immer größer werdende Teile der Bevölkerung bringt sie befristete Beschäftigung, Leiharbeit, Minijobs, Arbeitslosigkeit und Ein-Euro-Jobs. Das darf nicht so bleiben. Die höhere Arbeitsproduktivität muss in Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich umgewandelt werden!

Arbeitszeitverkürzung jetzt!

Aus der Dezemberausgabe von „Stuttgart links“, der Stadtzeitung der DKP Stuttgart

Die DKP unterstützt die Forderung von

Hartz-IV-Ratschlag der UZ-Redaktion Am Dienstag, den 30. März 2010, findet der nächste Hartz-IV-Ratschlag der UZ-Redaktion statt. Als Themen sind vorgesehen: 1. Gegenwehr gegen Hartz IV entwickeln – Aktionstätigkeit, die Hilfe zur Selbsthilfe organisieren! 2. Kampf gegen Ein-Euro-Jobs Der Ratschlag beginnt um 19.00 Uhr in Essen, Hoffnungstraße 18. Die UZ-Redaktion bittet um Anmeldung bei Werner Sarbok, Tel. 0201 225447 oder per E-Mail an termine@unsere-zeit.de.

Gewerkschafter fordern Abzug aus Afghanistan Initiative nach dem Tod eines Fuldaer Bundeswehrsoldaten Der aus Fulda stammende 24jährige Fallschirmjäger Patrice S. von der Saarlandbrigade gehörte im Oktober zu den Opfern des deutschen Kriegseinsatzes in Afghanistan. Nach 14 Monaten des Leidens verstarb er an den schweren Verletzungen, die er am 6. August 2008 bei einem Anschlag in Masar-i-Sharif erlitt. Der junge Mann hatte sich zur Bundeswehr gemeldet, nachdem er keinen entsprechenden Ausbildungsplatz gefunden hatte. Wenn die vorliegenden Angaben stimmen sind bis Dezember 2009 beim Kriegseinsatz in Afghanistan 36 Bundeswehrsoldaten und drei Polizisten ums Leben gekommen. Josef Jung, damals Kriegsminister, schwadronierte am Grab des jungen Mannes vom „Einsatz für Frieden, Freiheit und Recht“ und bestand darauf, Deutschland werde in Afghanistan „in seinem Engagement nicht nachlassen.“ Was Jung unter „Recht“ versteht, zeigte er mit der Vertuschung des verbrecherischen Luftangriffs vom 4. September bei

Kundus, bei dem über 140 Menschen, meist Zivilisten, ums Leben kamen. Der Druck der Partei „Die Linke“ im und außerhalb des Bundestages und der Öffentlichkeit zwang Jung, seinen neuen Posten als Arbeitsminister im neuen Schwarz-gelben Kabinett von Merkel-Westerwelle zu räumen. Der DGB-Kreisverband Fulda nahm den Tod des jungen Menschen zum Anlass und initiierte einen Appell, in dem der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan gefordert wird. In dem Aufruf heißt es: „Wir sind bestürzt über die steigende Zahl der Opfer, die der Krieg in Afghanistan fordert. Junge Menschen werden in den Krieg geschickt, Töten und Sterben von den verantwortlichen Politikern billigend in Kauf genommen.“ Statt weiterer Aufstockung der Kontingente fordert der Appell den Abzug der Bundeswehr, die sofortige Einstellung aller Waffenlieferungen, keine logistische Unterstützung des Krieges, dafür die Bereitstellung von Mitteln für den zivilen

Wiederaufbau. Zu den Erstunterzeichnern gehörten die hessischen MdB sowie Landtagsabgeordnete Hessens und Thüringens und weitere Funktionäre der Partei „Die Linke“ (einschließlich der einstimmigen Zustimmung von deren Landesparteitagen), Funktionäre der SPD und von Bündnis 90/Grüne, regionale DGB-Vorsitzende, Betriebsräte und ein breiter Kreis gesellschaftlicher Kräfte von Hochschullehrern, Ärzten und Schauspielern bis zu Persönlichkeiten der Kirchen, christlicher Organisationen/Institutionen (Pax Christi, der Bistümer, Ordensleute) der Freidenker, von Friedensforen, darunter des Darmstädter Signals, aber auch Freunde und Bekannte von ums Leben gekommenen Bundeswehrangehörigen sowie von Vereinigungen von Berufssoldaten. Von dem Anklang, den der Fuldaer Aufruf findet, zeugen bisher die Unterschriften von zirka 2000 Unterstützern. Bereits vor fünf Jahren beschäftigte der

Tod einer aus Fulda stammenden Soldatin die Öffentlichkeit Hessens. Die 34jährige Tatjana Reed mit deutscher und US-amerikanischer Staatsangehörigkeit kam als Sergeant der 66. in Kaiserlautern stationierten Transportkompanie der US-Besatzungsarmee am 22. Juli 2004 in Irak ums Leben. Verwandte berichteten damals, dass der alleinstehenden Mutter einer zehnjährigen Tochter eine Zurückstellung vom Kriegseinsatz nicht gewährt worden war. Um den Druck auf Bundestag und Bundesregierung zu erhöhen, werben die Initiatoren des Fuldaer Appells um eine bundesweite Unterstützung ihres Aufrufs. Gerhard Feldbauer

Die Fuldaer Erklärung siehe http://www.kreisverband-fulda.dgb.de; Online Unterzeichnung unter https://www.friedenmitmachen.de/29/truppenabzug_jetzt!_frieden_ statt_krieg!


Donnerstag, 24. Dezember 2009

unsere zeit

Wirtschaft, Gewerkschaft, Soziales / Seite 5

Flashmob im Schlecker XL-Markt Rund 150 TeilnehmerInnen bei Protestversammlung in Schlecker-Filiale in Bremen Die 150 TeilnehmerInnen der FlashmobAktion am Samstagvormittag zur besten Einkaufszeit haben sich zunächst ganz unauffällig im ersten Bremer Schlecker XL-Markt aufgehalten. Um Punkt elf Uhr traten sie aus dieser Rolle heraus und bildeten eine Versammlung. Das Thema: prekäre Arbeitsbedingungen bei Schlecker XL und anderswo. In kurzen klaren Sätzen kamen viele der TeilnehmerInnen zu Wort. Die Mindestforderungen an Schlecker bei der Schließung von Filialen und Eröffnung neuer XL-Märkte lauteten: „Das Personal der geschlossenen Filialen muss zu den alten Bedingungen übernommen werden. Die für Schlecker geltenden Tarifverträge müssen auch für XL-Märkte gelten. Schlecker-Betriebsräte müssen auch für XL-Märkte zuständig bleiben“. Ein Kollege vom Komitee „Wir sind der GHB“ (Gesamthafenbetriebsverein) schilderte: „Lohnkürzungen von 14 bis 18 Euro auf 8 Euro. Davon kann niemand eine Familie ernähren“. Eine Taxifahrerin: „Die Leute haben weniger Geld zum Taxi fahren. Manchmal nehme ich in einer Schicht ganze 30 Euro ein“. „Klar ist, da hilft es nur, wenn viele zusammen stehen, um das zu ändern. Deshalb werden weitere Aktionen folgen – auch beim nächsten XL-Markt, der in Bremen 2010 eröffnet werden soll,“ formulierte eine Aktivistin des Bremer

Bündnisses „Wir zahlen nicht für eure Krise“. „Der flashmob heute war ein guter Anfang“. Nach dem flashmob in der Schlecker-Filiale formierten sich die AktivistInnen zu einem spontanen Demonstrationszug durch die Bremer Gröpelinger

Heerstraße und Lindenhofstraße. Anlass der Aktion war das seit ungefähr einem Jahr von Schlecker betriebene Konzept der Schlecker XL-Märkte, um verlorene Marktanteile gegenüber seinen Konkurrenten zurück zu gewinnen:

größer, schöner, vielseitiger. 200 solcher Märkte sind in diesem Jahr entstanden – geplant sind bis zu 1 000. Jeder XLMarkt ersetzt 3 bis 5 kleinere Filialen im Umkreis, die teilweise geschlossen werden. Den Mitarbeiterinnen wird gekündigt – bestenfalls werden sie versetzt. In

den neuen XL-Filialen wird dann neu eingestellt – für bis zu 40 Prozent weniger Lohn. Schlecker hat für die XL-Märkte eine GmbH gegründet, begeht damit Tarifflucht und umgeht die bei Schlecker

mühsam erkämpften Betriebsräte, die immerhin eine gewisse Kontrolle des Gebarens der „Königsfamilie Schlecker“ bedeuten. Schlecker stellt das Personal für die neuen Märkte durch seine eigene Zeitarbeitsfirma „Meniar“ mit Sitz im ostdeutschen Zwickau ein. Das bedeutet: Die Frauen werden „neu eingestellt“. Tariflöhne, Urlaubs- und Weihnachtsgeld, die manches Mal in 10, 20 oder mehr Jahren erworbenen Ansprüche auf Altersvorsorge oder bei fest Beschäftigten besserer Kündigungsschutz gelten nicht mehr. Stattdessen Niedriglöhne zwischen 6,50 und 8 Euro, 12 Tage weniger Urlaub, befristeter Vertrag mit 6 Monaten Probezeit, in der ohne Begründung gekündigt werden kann. Wenn Schlecker damit durchkommt, wird das auch bei anderen Discountern und in anderen Wirtschaftsbereichen Schule machen. Auch andere „Billigheimer“ halten Tarifverträge nicht ein. Zu diesen gehören Aldi, KiK und Lidl, aber auch viele namhafte Unternehmen wie etwa C & A, Peek & Cloppenburg, Woolworth, Hornbach, Ikea, Netto, Norma, Rossmann und Tchibo. Und in allen Branchen wird die Krise von Unternehmen genutzt, Löhne zu drücken und ArbeitnehmerInnenrechte einzuschränken. Dagegen hilft nur solidarischer Widerstand von möglichst vielen.

Verräterische Wortwahl? Hennes & Mauritz (H&M) Deutschland setzt Betriebsräte unter Druck Gewerkschaftlich orientierte Betriebsräte systematisch unter Druck zu setzen, sie in der Belegschaft auszugrenzen zu versuchen und ihnen quasi jede berufliche Entwicklungsmöglichkeit zu nehmen, das sind Methoden des schwedischen Konzerns Hennes & Mauritz in Deutschland. Dies unterscheidet H&M nicht sonderlich von manchem anderen Unternehmen. Doch die Abmahnung der Betriebsratsvorsitzenden der H&M-Filiale in Viernheim, Heidi Peter (...), geht einen wesentlichen Schritt weiter –- zu weit! Sie bedient sich offenbar bedenkenlos eines Begriffs, der in der dunkelsten deutschen Vergangenheit –- in der Zeit des Naziregimes - eindeutig neu geprägt wurde: H&M wirft der Betriebsratsvorsitzenden vor, sie störe „das geordnete Zusammenleben der Betriebsgemeinschaft “. Und damit die Empfängerin auch tatsächlich weiß, dass H&M dies ernst meint, wird es in den nächsten beiden Sätzen gleich zweimal wiederholt. Von „Betriebsgemeinschaft“ zu sprechen, ist also kein blöder „Fehlgriff“ einer unwissenden Filialleiterin, sondern offenbar das wiederholt betonte Ziel von H&M Deutschland; denn diese Abmahnung dürfte wie andere offizielle Stellungnahmen mit der Personal- oder Rechtsabteilung der Hamburger Unternehmenszentrale abgestimmt worden sein. Was ist an diesem Begriff denn so schlimm, werden jetzt einige Leser/innen wie auf der Betriebsversammlung in Viernheim am 26. November manche Beschäftigte fragen. Problematisch ist vielleicht nicht das Wort an sich, aber das, was die Nazis von 1933 bis 1945 daraus machten. Es ist für die Belegschaften in einem demokratischen Staat heute eine Beleidigung und Demütigung, weil die faschistische „Betriebsgemeinschaft“ ein Zeichen der geistigen und menschlichen Unterdrückung war. Mit dem so genannten „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ vom 20. Januar 1934 wurde die „in der Betriebsgemeinschaft begründete Treue“ der Beschäftigten gegenüber dem Arbeitgeber festgelegt, wodurch jede demokratische Struktur oder Regung in den Belegschaften beseitigt werden sollte. Die „Juristische Wochenschrift“ vom 1. Mai 1937 stellte grundsätzlich fest, dass „mit der Machtergreifung der nationalsozialistischen Bewegung das Arbeitsverhältnis eine neue Gestalt erhalten“ habe, wobei

weltweit engagiert und dessen Belegschaften in den Filialen durchweg multikulturell, häufig sogar international zusammengesetzt sind, sollte bei der Wortwahl vorsichtiger sein –- insbesondere gegenüber einer demokratisch gewählten Betriebsrätin und engagierten Gewerkschafterin. H&M besitzt weder hier noch anderswo einen Freibrief, aus Gründen des immer weiter zu steigernden Profits die Beschäftigten wie Unmündige und Marionetten behandeln zu können, wie es dem Arbeitgeber vielleicht beliebt. Demokratische betriebliche und öffentliche Kontrolle von unten ist ein Weg, dies zu verhindern und menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu erhalten oder durchzusetzen. Horst Gobrecht „das kollektivistisch-gewerkschaftliche System durch eine neue Arbeitsverfassung, die ‚Ordnung der nationalen Arbeit’, überwunden“ worden sei. Der Rechtswissenschaftler Martin Becker verwies 2005 in einer Studie über das Arbeitsverhältnis in der Zeit des Naziregimes auf einen Kommentar von 1939 zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), der betont hatte, die Betriebsgemeinschaft sei „die Gemeinschaft aller in ihr Tätigen miteinander und untereinander. Sie umfasse den Unternehmer als Führer des Betriebs und die Beschäftigten als Gefolgschaftsangehörige“; das heißt, sie war die Durchsetzung des antidemokratischen und rassistischen „Führerprinzips“ in den Unternehmen, wie es auch im faschistischen Staat herrschte. Deshalb verbietet sich heute der Gebrauch dieses Begriffs genauso wie „Endlösung“, „Sonderbehandlung“ oder „Politik der verbrannten Erde“. Ein solcher Ausdruck ist nicht „wertfrei“. Wer ihn aber heute trotzdem noch benutzt, muss wissen, auf welches „verminte“ Feld er sich dabei begibt und in welche Tradition er sich damit stellt. Denn hinter einer derart verräterischen Wortwahl steckt nicht selten eine entsprechende Gesinnung. Und es sind hier in Deutschland vor allem die neuen und alten Nazis, die eine solche Politik der Ausgrenzung, Unterdrückung und Menschenverachtung propagieren. Ganz klar: dieses Ansinnen soll und kann H&M nicht vorgeworfen oder unterstellt werden. Aber ein Unternehmen, das sich

„Sozial ist, was Kaufkraft schafft“ ver.di beschließt Tarifforderung für den öffentlichen Dienst bei Bund und Kommunen Die Bundestarifkommission der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) hat am 15. 12. 2009 die Forderung für die Tarifrunde 2010 im öffentlichen Dienst bei Bund und Kommunen beschlossen. Die Mitglieder der Tarifkommission verständigten sich auf ein Forderungspaket mit einem Gesamtvolumen von fünf Prozent – bestehend aus einer spürbaren Gehaltserhöhung (mit einer sozialen Komponente) und verschiedenen qualitativen Tarifverbesserungen. Dazu gehört unter anderem die Forderung nach einer tariflichen Altersteilzeitregelung als Beschäftigungsbrücke für Jüngere. Dies soll mit einer Regelung zur verbindlichen Übernahme von Auszubildenden verbunden werden. Außerdem fordert ver.di, dass die Bewährungsaufstiege wieder in Kraft gesetzt werden. Diese waren mit der Tarifreform 2005 in Erwartung einer zeitnahen Einigung auf eine neue Entgeltordnung ausgesetzt worden. Da es diese neue Entgeltordnung bisher noch nicht gibt, sollen die Bewährungsaufstiege zunächst weiter gelten. Für die neuen Bundesländer soll zudem die Angleichung des Tarifrechts an das Westniveau thematisiert werden. Hinzu kommen in einzelnen Bereichen des öffentlichen Dienstes Sonderentwicklungen, die zusätzliche Forderungen begründen. So ist beispielsweise die Personaldecke in Krankenhäusern so dünn, dass Pflegerinnen und Pfleger ständig aus ihren freien Tagen zurückgerufen werden. Diese kurzfristigen Sondereinsätze sollen künftig höher bewertet werden. Ähnliches gilt für die Überstundenzuschläge bei Teilzeitbeschäftigten in Krankenhäusern. „Die Einkommensentwicklung im öffentlichen Dienst ist – trotz steigender Belastung für die Beschäftigten – in den vergangenen zehn Jahren hinter der durchschnittlichen Entwicklung aller anderen Branchen zurückgeblieben. Wir wissen allerdings auch um die angespannte Finanzsituationen von Bund und Kommunen“, sagte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske. Spürbare Lohnerhöhungen seien aber gerade angesichts der schwachen Binnennachfrage nötig, um die beginnende wirtschaftliche Erholung zu stabilisieren. „Sozial ist, was Kaufkraft schafft“, so Bsirske. ver.di führt die Tarifverhandlungen gemeinsam mit der Gewerkschaft der Polizei (GdP), der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der dbb-tarifunion im Deutschen Beamtenbund. Die Verhandlungen für die knapp zwei Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst bei Bund und Kommunen beginnen am 13. Januar 2010.

Dank für Eure Soli-Erklärung Auf die Solidaritätserklärung des Vorsitzenden der DKP Heinz Stehr an den Betriebsrat, die Vertrauenskörperleitungen und die Belegschaften der Opel-Standorte in der Bundesrepublik Deutschland, in der der DKP- Vorsitzende u. a. schrieb: „Liebe Kolleginnen und Kollegen, selten gibt es solche deutlichen Beispiele, wo offensichtlich wird, wie Profitinteressen über Lebensverhältnisse von Menschen entscheiden. (...) Im Rahmen der Möglichkeiten und der Kräfte werden die Mitglieder der DKP Eure Aktionen und Euren Kampf unterstützen“, haben wir folgende Antwort von Klaus Franz, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates der Adam Opel GmbH bekommen: „Lieber Kollege Stehr, vielen Dank für Eure Solidaritätserklärung vom 5. 11. 2009. Wir freuen uns sehr, in den schwierigen Tagen nach der Entscheidung von General Motors, Opel nun doch nicht zu verkaufen, Unterstützung zu erhalten. Sie macht Mut und gibt Kraft weiterzumachen. Wir werden nicht nachlassen, weiterhin für ein eigenständiges Opel-Unternehmen in Europa zu kämpfen. Wir wollen, dass alle Werke und möglichst viele Arbeitsplätze erhalten bleiben und sowohl die Lasten als auch die Produktionsvolumina über Europa gerecht verteilt werden. Vielen Dank für Eure Unterstützung. Mit freundlichen Grüßen Klaus Franz.“

Tarifverhandlung um Beschäftigungssicherung Mit weiteren Möglichkeiten zur Arbeitszeitverkürzung in der krisengeschüttelten Metall- und Elektroindustrie beschäftigten sich am 17. 12. die Tarifpartner. In der ersten Verhandlungsrunde in Sulzbach bei Frankfurt hat die IG Metall ihre Forderungen zur Neuauflage des Tarifvertrags zur Beschäftigungssicherung für Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland präsentiert. Danach dürfte die Arbeitszeit in einzelnen Betrieben auf bis zu 28 Stunden abgesenkt werden. Bislang waren 30 Stunden die Obergrenze. Die IG Metall verlangt allerdings einen neuen Teilausgleich für die erlittenen Lohnverluste, der bislang in dem Tarifvertrag nicht enthalten war. Die Arbeitnehmer könnten die Last nicht allein schultern, begründete der Bezirksleiter Armin Schild die Forderung. Der Zuschuss müsse steuer- und abgabenfrei gestellt werden. Die Arbeitgeber haben bereits eine gewisse Sympathie für den Vorschlag erkennen lassen, der das bisherige Kurzarbeitergeld ergänzen könnte. Darüber hinaus verlangt die IG Metall eine Übernahmegarantie der im Januar fertig werdenden Lehrlinge und will strengere Regeln für den Einsatz von Leiharbeitern durchsetzen.

„Regierung sendet falsches Signal“ Als falsches Signal und Armutszeugnis hat Franz-Josef Möllenberg, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-GenussGaststätten (NGG), das vom Bundesrat verabschiedete Wachstumsbeschleunigungsgesetz bezeichnet. „Dieses Gesetz verdient seinen Namen nicht. Entgegen der Meinung aller Experten und angesichts leerer Kassen der Kommunen und vieler Bundesländer hat der Bundesrat den sinnlosen Steuergeschenken für reiche Erben und Hoteliers zugestimmt. Das Weihnachtsgeschenk für die Hoteliers kostet den Steuerzahler eine Milliarde Euro und ist an keinerlei Auflagen gebunden“, kritisierte der NGG-Vorsitzende. „Absurde und komplizierte Steuerberechnungen – ob für Frühstück, Campingplätze, Dienstleistungen in Hotels werden die Folge sein“, befürchtet Möllenberg. „Wir fordern den Deutschen Hotel- und Gaststättenverband und seine Landesverbände auf, in den Tarifrunden 2010 die Beschäftigten im Hotel- und Gastgewerbe angemessen an der Senkung der Mehrwertsteuer zu beteiligen. Auch für das Gastgewerbe gilt unsere Tarifempfehlung, die Entgelte um vier bis fünf Prozent zu erhöhen“, kündigte Möllenberg an und ergänzte: „Jetzt ist auch ein Sonderzuschlag für die Beschäftigten fällig“.


Seite 6 / Innenpolitik

Justizministerium sperrt wdr.de Das nordrhein-westfälische Justizministerium hat für ihre Dienstrechner an rund 35 000 Arbeitsplätzen den Zugang zur Website des öffentlich-rechtlichen Senders WDR unterbunden. Neben den Websites des Duden-Verlags, der Branchenauskunft „Gelbe Seiten“ und des Städteportals „Meine Stadt“ war wdr.de eines der wenigen Internetangebote, die von dem Netzwerk aus erreichbar sind. Dieses Angebot sei nun herausgenommen worden, weil das Ministerium „Hinweise auf dienstwidrige Aktionen“ erhalten habe, berichtet der Sender. Der WDR stellt die Sperrung des Zugangs zu seiner Website in einen Zusammenhang mit Kommentaren, die zu WDR-Berichten zum Ausbruch zweier Gefangener aus der JVA Aachen abgegeben wurden. Dort sei offen Kritik an Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) geübt worden. Die Nutzer hätten sich als Justizmitarbeiter bezeichnet und unter anderem die Folgen einer „löchrigen Personaldecke“ angeprangert. (heise.de)

Verlogene Gesellschaft Viele der Menschen im Umland des Frankfurter Flughafens sind einfach entsetzt. Vor allem die, die sich in der Ausbaugeschichte auskennen, wissen, sie werden seit Jahren betrogen und belogen. Ministerpräsident Holger Börner (SPD) erklärte: „Kein Baum wird mehr fallen“ und Ministerpräsident Roland Koch (CDU) versprach: „Ohne Nachtflugverbot, kein Ausbau!“ Alles Schall und Rauch. Der Bannwald ist vernichtet und nachts soll geflogen werden, auch wenn viele wissenschaftliche Untersuchungen belegen: „Unter Flugschneisen stirbt man früher“. Viele resignieren. Sie bleiben weg bei Wahlen, gehen nicht mehr zu Demonstrationen. Einige machen sich Gedanken über diese Gesellschaft. Sie merken wie alles manipuliert wird. Sie erleben, wer reich ist, ist einflußreich. Wer die riesigen Kahlschläge am Flughafen sieht, begreift die Demonstranten in Kopenhagen. Noch sind es wenige, die merken: es ist ja nicht nur eine „verlogene Gesellschaft“ es ist vor allem die falsche Gesellschaft – der Kapitalismus wird die Welt zerstören. Also müssen wir uns zunehmend wieder darum kümmern, wie eine andere, solidarische Zukunft aussehen soll. (rh)

Neonazianschläge auf linke Projekte in Neukölln Im Berliner Stadtteil Neukölln ist es in den letzten Wochen zu einer Serie von Angriffen auf linke Projekte und Kneipen durch Neonazis gekommen. Bei den nächtlichen Anschlägen entstand teils erheblicher Sachschaden durch den Bewurf mit Pflastersteinen. Die aktuellen Angriffe zeigen ein Mal mehr die Notwendigkeit von antifaschistischem Widerstand gegen Nazis. Widerstand gegen Nazis braucht starke antifaschistische Strukturen, die aktuelle Hetze gegen linke Politik ist geschichtsvergessen und verantwortungslos. Dass gerade linke Projekte zum Ziel von Neonazigewalt werden ist kein Zufall. Diese Projekte bieten Menschen einen Platz sich zu versammeln und zu organisieren, die sich explizit gegen Nazis und ihr menschenverachtendes Weltbild aus Rassismus, Antisemitismus und Chauvinismus engagieren. Starke linke Strukturen haben sich in der Vergangenheit immer wieder als das nachhaltigste Mittel gegen rechte Gewalt und die Herausbildung von Neonazistrukturen erwiesen. Dies hat sie in der Vergangenheit oft zu Zielscheiben für neonazistische Gewalt gemacht, beweist jedoch auch jedes Mal aufs Neue ihre Notwendigkeit. Umso mehr zu verurteilen ist, die aktuelle Tendenz in der Berliner Öffentlichkeit linke Politik als „terroristisch“ zu diffamieren. Die indirekte Gleichsetzung linker AktivistInnen mit Neonazis oder gar von Brandstiftungen an Autos mit den Verbrechen des Nationalsozialismus ist ein Zeugnis der Unkenntnis der Geschichte und eine gefährliche Verharmlosung neofaschistischer Gewalt. (antifa Neukölln)

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Donnerstag, 24. Dezember 2009

Friede auf Erden – aber nicht für die neue Leipziger Uni-Aula Weltoffenes Paulinum oder klerikaler St.-Pauli-Verschnitt Was unsereins in seiner Religionsferne mit der Weihnachtsgeschichte dennoch bestätigt bekommt! Da gibt es nämlich nach Lukas ein entscheidendes Detail: Kaum hatte der Engelschor die Botschaft von der Geburt des Heilands aufgenommen und seinen Lobgesang angestimmt, da geriet das Ganze auch schon wieder ins Stocken. Denn justament an der Stelle „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“ hörte ein kleines, fürwahr weises Chorengelchen plötzlich auf zu singen. Das brachte die anderen Sänger durcheinander (natürlich sangen die alten erfahrenen Engel umso lauter weiter und retteten die himmlische Situation). Das Engelchen später über sein plötzliches Schweigen zur Rede gestellt, erklärte, es habe ihm bei den Worten „Friede auf Erden ... “ die Stimme versagt. Denn es habe sich gefragt, wo denn der Friede sei. Selbst das Kind, für das sie sängen, sei doch unter so erbärmlichen Umständen zur Welt gekommen. Und die Mächtigen dieser Welt, all diese Herodes' oder römischen Kaiser würden ihm gewiss nach dem Leben trachten. Hätte das kleine Kerlchen im kurzen Hemdchen kürzlich bei der 600-Jahrfeier der Leipziger Universität (die ja gleichzeitig die Geburt des neuen, nun doch nicht fertigen Paulinums sein sollte) mitgesungen, es hätte wieder gestockt. Friede auf Erden? Sowieso nicht. Nicht einmal Frieden in und um die Universität, ihren Rektor, den Lehrkörper, die Studenten. Gemeint ist dabei gar nicht mal der leidige und vermasselte Bologna-Prozess, der in den letzten Wochen die Luft auch in Leipzig brodeln ließ. Nein, es geht um diesen Neubau. Und um einen kriegswütigen mittelalterlichen „Paulinerverein“, der darauf beharrt, dass der neue Unibau, das Paulinum, in erster Linie Kirche sei. Ersatz für die 1968 gesprengte Universitätskirche St. Pauli. (Lassen wir die nicht mehr ausrottbare Lüge beiseite, sie sei auf Geheiß Walter Ulbrichts gesprengt worden. Der hatte nur entnervt nachgegeben, weil die seinerzeitige Universitätsleitung eine freie Baufläche für eine moderne Universität wollte, obwohl es einen Politbürobeschluss zur Erhaltung von historischen Stadtkernen gab.) Tatsache ist, dass der Neubau selber mit all dem Nebengelass mehr an ein Bischofspalais mit integrierter Kirche, denn an einen zeitgemäßen Universitätsbau erinnert. Nichts desto trotz war nie etwas anderes geplant, als mit der Architektur an die Kirche zu erinnern und der kleinen Kirchengemeinde

Von beträchtlichen Dimensionen, die neue Leipziger Uni-Aula – das Paulinum. dort zwar einen Ort zu geben, ansonsten aber dringend benötigten Raum für die Studenten, für Forschung und Lehre, für Kolloquien, internationale Kongresse und dergleichen zu schaffen. Aber, es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, schon gar nicht der katholische Rektor aus dem Westen, wenn es dem protestantischen Häufchen des Paulinervereins nicht gefällt. Die greifen ihn persönlich geharnischt an, weil er das Recht der Universität auf deren Eigentum verteidigt. Sie wüten seit Jahr und Tag beispielsweise gegen eine aus klimatechnischen wie auch aus akustischen und energetischen Gründen notwenige Glaswand vor dem Altarraum mit seinen aus der alten Kirche stammenden Skulpturen und anderen Kirchenschätzen. Denn die Wand macht schließlich nebenbei auch deutlich, dass der Bau ein multifunktionaler und keineswegs vorrangig Kirche ist. Nun, nach dem 2. Dezember, dem Universitätsgeburtsfest und einem Gottesdienst im Paulinumsrohbau wurde ein neues Scheit ins Feuer geworfen. Nicht zuletzt mit einem Artikel in „Die Welt“ unter dem Brachialtitel: „Gebt uns diesen sakralen Raum zurück“. Was sich die Studenten vom Neubau – längst sachlich dargelegt – wünschen, ist für den Schreiberling, wie für alle „Pauliner“ so was von nebensächlich. Ganz besonders kühn jedoch ist die Ignoranz, die aus einer Presseerklärung des Paulinervereins vom Oktober spricht. Belegt sie doch, dass die aufgerüsteten Herren und Damen nicht einmal das Grundsätzliche geschnallt haben, nämlich, dass das gesprengte Gotteshaus niemals Besitz der evangelischen Kirche war, auch nicht der theologischen

„Friedenskultur.2010 – Unsere Zukunft atomwaffenfrei“ Kongress und Friedensmatinee Im Jahre 2010 wird Essen stellvertretend für das ganze Ruhrgebiet europäische Kulturhauptstadt sein. Die UZ wird dieses Jahr begleiten. Im Januar werden wir in Abstimmung mit der Essener Kreisorganisation der DKP das Programm des Kulturjahres breiter vorstellen und einschätzen. Als kleinen positiven Vorgeschmack stellen wir das Projekt „Friedenskultur.2010 – Unsere Zukunft atomwaffenfrei“ vor. Unter diesem Titel findet vom 19. bis 21. März in der Volkshochschule Essen ein Internationaler Kongress statt. Veranstalter neben dem Essener Friedensforum sind die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Pax Christi und die Ärzte-Organisation IPPNW. Schirmherr der Veranstaltung ist Wolfgang Thierse, Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Zu den zahlreichen ReferentInnen gehören auch Horst Schmidthenner, Prof. Dr. Werner Ruf, Dr. Angelika Claußen und Reiner Braun. Im Rahmen des Kongresses findet am 21. März eine Matinee unter dem Titel KünstlerInnen für den Frieden statt. Fest angekündigt sind Konstantin Wecker, Till Engel, Stoppock, Der andere Chor,

Herdecke, Susanne Zinsius Trio, Männerschmerz und Bettina Wegner. Ausführliche Informationen finden sich unter www.friedenskultur2010.de.

Fakultät. Zeitgemäß ausgedrückt: Die Immobilie wie das Grundstück gehört der Universität, so auch der Neubau. Deshalb hat sie auch das alleinige Recht, über künftige Nutzungen zu entscheiden. Dennoch diktiert der Minderheiten-Verein in besagter Presseerklärung in einer dermaßen arroganten Form sogar der Staatsregierung wie sie zu springen hat, dass man das Fürchten bekommt: „Der Freistaat Sachsen steht nach der Freundschaftsklausel des Kirchenvertrags in der Verantwortung, aufgetretene Konflikte mit der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens zu bereinigen und die dafür notwendigen Maßnahmen und Entscheidungen zu treffen. Die Vertragsparteien des Kirchenvertrags sind danach verpflichtet unter Einbeziehung der Universität und der Theologischen Fakultät eine verbindliche Vereinbarung zu treffen, die sämtliche Fragen der künftigen Nutzung sowie der Ausstattung regelt. Allein die Evangelische Kirche kann aufgrund ihrer religiösen Kompetenz bestimmen, ob simultane Nutzungen möglich und ob und wo z. B. Kanzeln und Altare aufzustellen sind. Vorstellungen über die religiöse und weltanschauliche Neutralität des Staates und die Behauptung, es sei nicht Aufgabe des Staates und der Universität, eine neue Kirche zu bauen sind rechtsfremd und nicht verfassungsgemäß. Die Religionsund Glaubensbetätigung wird im deutschen Verfassungsrecht als Grundbedürfnis des Menschen anerkannt. Dies ist der Grund für den starken Schutz und den hohen Rang der Glaubens- und Religionsfreiheit sowie für eine den Kirchen gegenüber wohlgesonnene Haltung des Staates. Dies gilt auch für die Wiedererrichtung und Unterhaltung einer Univer-

sitätskirche mit öffentlichen Mitteln auf einem Universitätscampus.“ Nur nebenbei, falls Ihnen das beim Lesen obiger Frechheiten entfallen sein sollte: Wir leben trotzdem schon im 21. Jahrhundert. Das sagten sich längst auch andere Leipziger und gründeten deshalb – dies sei nur der Vollständigkeit halber vermerkt – eine Bürgerinitiative „Für eine weltoffene, weltliche und autonome Universität Leipzig“. Und die hat im Unterschied zu den Leipziger Kirchen-Kreuzzüglern enorm viel Zulauf unter der Bevölkerung und Zustimmung von den aufgeklärten Studenten sowieso. Ihre Argumente wie ihre Ziele sind sachlich. Sie wollen jenen Leipzigern eine Stimme geben, die sich gegen eine Umdeutung und Umnutzung des Paulinums zu einer Kirche wehren. Sie wollen ermuntern aktiv zu werden, um die errungene Autonomie und Freiheit entschieden gegen Versuche der Instrumentalisierung oder ideologischen Vereinnahmung jedweder Art zu verteidigen, denn: „Eine Universität, die den Anspruch erhebt weltoffen zu sein, hat Gläubigen unterschiedlicher Religionen und Menschen mit atheistischen Weltanschauungen gegenüber neutral zu sein, wie dies auch die Unterstützer der Bürgerinitiative selbst leben. Eine autonome Universität muss das Recht haben, unbeeinflusst darüber zu entscheiden, welche Art von Veranstaltungen in ihren Räumlichkeiten stattfinden.“ Ein kleiner Engel hat den Chor der Alten wieder einmal zum Stocken gebracht. Bleibt inständig zu hoffen, dass irgendwann auch dem verstocktesten Pauliner die Puste ausgeht – für ein bisschen Frieden. Maxi Wartelsteiner

„Sie lösen sich völlig vom Gesetz“ Gericht rügt Birthler-Behörde In einem Grundsatzstreit zum Umgang mit Akten über sogenannte Begünstigte der Staatssicherheit hat die Birthler-Behörde am Dienstag vor dem Berliner Verwaltungsgericht eine Niederlage erlitten. Die Richter erklärten die Herausgabe von Unterlagen über einen Berliner Pädagogen für unzulässig. Die Behörde hatte die Akten nach entsprechenden Anträgen an Journalisten herausgegeben, weil sie aufgrund einer Indizienkette annahm, dass der Berliner in einem Stasi-Vorgang zu der „Gruppe Ralf Forster“ erfasst sei. Diese habe aus DKP-Mitgliedern bestanden, die als besonders verlässlich galten, in der DDR militärisch ausgebildet und auf Einsätze in der Bundesrepublik Deutschland vorbereitet worden sei. Dazu habe auch die Begehung schwerer Straftaten gehört. Der Lehrer, der erst Mitglied der DKP und dann der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins war, hatte die Vorwürfe bestritten und Klage eingereicht. Der Vorsitzende Richter sagte, laut Gesetz reichten Annahmen und Indizien nicht aus, um Personen als Begünstigte zu klassifizieren. Den Vertretern der Birthler-Behörde, die wiederholt auf ihre „dichte Indizienkette“ hinwiesen, sagte er: „Sie lösen sich völlig vom Gesetz.“ Die Birthler-Behörde erklärte nach Bekanntwerden des mündlichen Urteils, sie

wolle zunächst die schriftliche Begründung abwarten und dann über das weitere Vorgehen entscheiden. Das Gericht hatte bereits während der Verhandlung mehrfach betont, dass es auf den exakten Wortlaut des Gesetzes ankomme. Danach gilt als Begünstigter, wer „mit Wissen, Duldung oder Unterstützung des MfS Straftaten gefördert, vorbereitet oder begangen“ hat. Die Betroffenen müssten solche Handlungen auch wirklich begangen haben. Im Falle des Klägers gebe es darüber „keinen hinreichenden Beleg in den Stasiakten“. Die Birthler-Behörde hatte im Verfahren argumentiert, nach allen Erfahrungen und Indizien habe es zufällige Erfassung von Personen in diesem Bereich nicht gegeben. Die Gruppe „Ralf Forster“ habe die Aufgabe gehabt, die Bundesrepublik gezielt zu destabilisieren, auch durch militärische Mittel. Die vorliegende Indizienkette reiche aus, um für den Kläger den Begünstigtenstatus anzunehmen. An diesem Punkt hatte der Vorsitzende Richter sichtlich ungehalten reagiert. „Sie lösen sich völlig vom Gesetz“, sagte er und fügte hinzu: „Ich bin erschüttert, dass Sie das nach dem Verlauf dieser Verhandlung nicht verstanden haben.“ (ddp/uz)


Donnerstag, 24. Dezember 2009

unsere zeit

Innenpolitik / Seite 7

Kriegshetze im „Stürmer“-Stil Bundeswehrsoldaten werden zum Töten ermuntert · Von Ulrich Sander Das Massaker des Oberst Klein war keine unerwünschte Ausnahme, wie es jetzt vom Kriegsministerium dargestellt wird. Schon lange werden Bundeswehrsoldaten von höchster Stelle zu hemmungslos aggressivem Handeln ermuntert. Und ohne das Parlament zu informieren, hat die Bundeswehr im April 2009 die Vorbehalte gegen militärische Offensiven der NATO in Afghanistan – endgültig über Bord geworfen. In der Operation „Adler“ versuchten im Juli deutsche und afghanistanische Soldaten die Taliban aus dem Distrikt Chahhar Darreh zu vertreiben. Der abgesetzte Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, hat, wie die FAZ schon Anfang 2003 berichtete, „über bisher Undenkbares“ nachgedacht. Über die Frage nämlich, „ob es richtig sein kann, nicht abzuwarten, ob man von einem anderen angegriffen wird, sondern sich gegen diese mögliche Gefahr vorauseilend zu schützen und selbst die Initiative zu ergreifen“. Was seinerzeit „undenkbar“ war, wird in der Bundeswehr heute praktiziert. Frühere Hemmungen sind beseitigt. Und so griff Oberst Georg Klein mit Bombern eine Gruppe von Afghanen an, die zwei geklaute, manövrierunfähige Tanklastzüge umringten. Unter ihnen konnten ja Terroristen sein, und dann ist alles erlaubt. Rund 150 Todesopfer wurden gezählt. Der zuständige Minister billigte den Massenmord sofort, so in seiner Erklärung vom 6. 9. 09. Oberst Klein hatte ihm berichtet, es sei ihm darum gegangen, die Menschen am Kundusfluss „zu vernichten“. Der zurückgetretene Minister dachte ja in ähnlichen Kategorien: Wer zum Beispiel ein Flugzeug entführt, sollte, weil er ja ein Terrorist sein könnte, abgeschossen werden, ob Unbeteiligte dabei sind oder nicht. Ein mutmaßlicher Terrorist war todgeweiht, ungeachtet dessen, dass die Todesstrafe abgeschafft wurde. Daran hielt Jung fest, obwohl das Bundesverfassungsgericht es ihm untersagte. Zwei Wochen nach dem Massaker von Kundus schrieb „Ossietzky“ über Jung: „Da er zudem die Bundeswehr nicht nur in der Luft über

ist angetan mit allem, was die „Soldaten-sind-Mörder“-Industrie derzeit hergibt, und das Gewehr hält er schussbereit. Die Schlagzeile lautet: „Bewährt im Einsatz“, im Kriegseinsatz nämlich und dies „seit 15 Jahren“. Bemerkenswert sind die Texte zum „Wettrüsten“ sowie zum „Atomaren Albtraum“, wobei deutlich wird, dass der Albtraum für die Bundeswehr in der Abrüstung liegt. Obama mit seinem atomaren Abrüstungsvorschlag wird als „Träumer“ dargestellt. Erst nach 30 Seiten taucht in dem Heft das Wort Frieden im Zusammenhang mit der Bundeswehr auf. Und auch die Menschenrechte sind gar kein Begriff mehr für die Truppe. Titelbild des Magazins „Y“, Sept. 2009, ...

... und „Mullah Omar“, Seite 11.

„Stürmer“-Titelbild, Februar 1943

uns, sondern auch auf dem bundesdeutschen Festland einsetzen will, darf man mit Unruhe und Angst erwarten, was er unternimmt, wenn mutmaßliche Terroristen einmal auf einer unserer Autobahnen einen Tanklastzug entführen.“ Für den Fall, dass Soldaten doch noch Hemmungen haben, nach Schneiderhans und Jungs Rezept zu handeln, werden sie mit permanenter Hetzpropaganda aufgestachelt. „Unter der Überschrift ‚Köpfe des Terrors’ werden in der September-Ausgabe des Bundeswehr-Magazins Y am Computer produzierte Bilder von Führern der El Quaida, Taliban und Dschihad präsentiert, die in der Art der Darstellung und der beabsichtigten Wirkung ihre Vorläufer im Stürmer haben. Als Beweis lege ich Ihnen die Faksimiles eines Stürmer-Titelbildes von 1943 bei.“ Das schrieb Alfred Fleischacker, der aus einer jüdischen Familie stammt und als Kind in England den Naziterror überlebte, in einem offenen Brief an den Bundesverteidigungsminister. Der Brief war in der antifa, der Zeitschrift der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten, dokumentiert. Die VVN-BdA wies auf die besondere Aktualität vor dem Hintergrund des Blutbades am Kundus-Fluß hin und warf die Frage auf, „welches Menschenbild der Truppe vermittelt wird, die derartige

Kriegsverbrechen begeht“. http://antifa.vvn-bda.de/200909/0301.php Die Veröffentlichung in Y ist kein Einzelfall. In Publikationen, die in der Bundeswehr verbreitet werden, wird beispielsweise ein Ende der Gerichtsverfahren gegen Wehrmachtskriegsverbrecher gefordert. Bundeswehrgeneral a. D. Jürgen Reichardt äußerte, auch die heutigen Bundeswehrsoldaten könnten „in Situationen“ geraten, in denen sie wie einst Hitlers Soldaten „überreagieren“. (Siehe Ossietzky Heft 8/09) Sie müßten dann befürchten, noch nach Jahrzehnten vor Gericht gestellt zu werden. Deshalb solle Schluss sein mit der Verurteilung der Wehrmachtsverbrechen und der Wehrmachtsverbrecher. In der Zeitschrift Gebirgstruppe sprang Reichardt ausdrücklich dem in München zu lebenslanger Haft verurteilten Leutnant a. D. Joseph Scheungraber bei, der wegen des Mordes an 14 italienischen Zivilisten angeklagt war. Auch die neue „Taschenkarte“, die Minister Franz Josef Jung an die Soldaten ausgeben ließ, trägt mit ihrer aggressiven Tendenz dazu bei, dass deutsche Soldaten wieder verwendungsfähig für Kriegsverbrechen werden. Die „Süddeutsche“ berichtete zwar: Ein Regierungssprecher „bestritt erneut, dass die Regierung jenseits des geltenden Bun-

destagsmandats eine verschärfte Afghanistan-Strategie beschlossen habe, ergänzte dann: „Die Opposition gründete diesen Verdacht darauf, dass im Juli die sogenannte Taschenkarte für die Soldaten präzisiert worden war. Die Taschenkarte ist ein vierseitiges Papier, mit dem den Soldaten im Einsatz die Regeln für die Anwendung militärischer Gewalt verdeutlicht werden sollen. Demnach ist Gewaltanwendung erlaubt zur ‚Verhinderung und Abwehr von Angriffen’ gegen Nato- oder Isaf-Angehörige sowie gegen afghanische Sicherheitskräfte. Angriffe können dadurch verhindert werden, ‚dass gegen Personen vorgegangen wird, die Angriffe planen, vorbereiten, unterstützen oder sonstiges feindseliges Verhalten zeigen’, heißt es.“ (SZ 15. 12. 09) Durch diese Taschenkarte „könnte sich Oberst Georg Klein ermutigt gefühlt haben, die Bombardierung der Tanker zu befehlen.“ (ebenda) Einen weiteren Beleg zur Tatsachenfeststellung, dass die Bundeswehr bereits im Frühsommer 2009 endgültig auf Aggression umgestellt wurde, stellt das Juni-Heft von „Y“ dar. Das Outfit des MaiHeftes war noch geprägt von SchwarzRot-Gold und Bild mit Text: „Soldaten helfen Kindern in Not“. Das Juli-Titelbild des Magazins der Bundeswehr zeigt zwar einen Milchgesichtsbubi, aber der

Die Bundeswehr war nie die größte Friedensbewegung, wie sie sich bis 1989 gern nannte. Die Bundeswehr versteht sich als eine Armee im bewaffneten weltweiten Einsatz. Zu diesem Zweck wurde sie transformiert. In „Y“, Mai 09, schreibt der Chefredakteur, „die Transformation der Bundeswehr war erfolgreich und hält an.“ Die Medien der Bundeswehr, aber auch viele öffentliche Medien wehren sich gegen die Verwendung des Begriffs „Kriegsverbrechen“ im Zusammenhang mit dem „Vorfall“ am Kundusfluss vom 4. September. Was ist ein Kriegsverbrecher? Kriegsverbrecher haben sich im Rahmen des Vernichtungskrieges 1939 bis 1945 an der „Ermordung und Misshandlung von Zivilisten, ihrer Verschleppung zur Zwangsarbeit, Tötung von Geiseln, mutwilliger Zerstörung von Dörfern, Misshandlung von Kriegsgefangenen und an mit Kriegshandlungen nicht gerechtfertigten Verwüstungen“ beteiligt. So definierte es das Nürnberger alliierte Gericht 1946 im Prozess gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher. Von Ermordung von Zivilisten und an 8 mit Kriegshandlungen nicht gerechtfertigten Verwüstungen muss sicherlich im Zusammenhang mit der Untat des Oberst Georg Klein gesprochen werden.

Volkspartei á la Rüttgers NRW-Ministerpräsident fürchtet um seine Landtagsmehrheit Einer von Kohls Hoffnungsträgern, der von ihm als Zukunftsminister ins Kabinett bestellt wurde, hat jetzt „Lehren aus einer historischen Wahl“ gezogen. Der „Hoffnungsträger“ heißt Jürgen Rüttgers, ist Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen und will am 9. Mai 2010 wiedergewählt werden. Einige Wählerumfragen ergaben, dass Rüttgers gegenwärtig keine Mehrheit habe. Da sieht sich natürlich der überraschend gefährdete Ministerpräsident herausgefordert, sein Bild in der Öffentlichkeit aufzupolieren. Soeben ist das Buch „Berlin ist nicht Weimar. Zur Zukunft der Volksparteien“ erschienen, in dem der Schlaumeier u. a. sechs „Lehren aus einer historischen Wahl“ beschreibt. Die „historische Wahl“ war, laut Rüttgers, die Bundestagswahl am 27. September 2009, weil die SPD mit 23 Prozent abschmierte. Dass die CDU mit 27,3 Prozent gerade mal 4,3 Prozent mehr Zweitstimmen erhielt als die SPD, kommt bei Rüttgers nicht vor. Auch diese beiden Zahlen verschweigt Rüttgers: Bei der Bundestagswahl erhielt die CDU in Nordrhein-Westfalen 33,1 Prozent, die SPD 28,5 Prozent. Er bilanziert, dass CDU und CSU zwischen 1953 und 1994 immer über vierzig Prozent und die SPD niemals unter dreißig Prozent erreichten. Aber aus der Tatsache, dass die CDU in diesem bevölkerungsreichsten Land vor der SPD lag, zieht er den Schluss, dass die Union „die einzige Volkspartei“ sei. Das sei aber nicht zwangsläufig, sorgt sich Rüttgers, denn die Bundestagswahl

2009 habe auch gezeigt, dass „die CDU weder von der Schwäche der SPD noch von der Popularität der Kanzlerin profitiert“ habe. Rüttgers verschweigt nicht, dass die Gruppe der Nichtwählenden bei der Bundestagswahl auf fast 28 Prozent angestiegen ist. „Eine verstärkte Tendenz zur Skandalisierung von Politik zerstört das Vertrauen in die Politik“, meint Rüttgers. Das glaubt er jedoch selbst nicht, wie aus dem weiteren Text hervorgeht. Rüttgers analysiert nicht die Ursachen der CDU-Wahlergebnisse, sondern konzentriert sich auf das Desaster der SPD und zieht sechs Lehren. Ein Schelm ist, wer dabei nicht an die Verfasstheit der CDU denkt. „Das Scheitern der SPD zeigt, was eine Volkspartei in Zukunft leisten muss, wenn sie diesem Schicksal entgehen will“, schreibt Rüttgers. Die erste Lehre heiße: „Eine Volkspartei darf ihren Markenkern nicht aufgeben.“ Die SPD habe sich „von ihrer Basis entfernt. Die Hartz-Gesetze waren der Auslöser. Sie haben elementar Regeln der Gerechtigkeit verletzt. ... Sie hat ihr großes Thema verloren, Schutzmacht der kleinen Leute zu sein.“ Eine zweite Lehre sei, dass eine „Volkspartei eine Partei ist, die alle Schichten des Volkes vertritt“ und für das „Allgemeinwohl da“ sei. „Leistung“ müsse sich lohnen. „Das ist der Kernsatz für das Programm einer Volkspartei.“ „Die dritte Lehre aus dem Debakel der SPD ist: Werte sind wichtig. Wer seine

Glaubwürdigkeit aus machttaktischem Kalkül aufgibt, verspielt seine Chancen.“ Da spielt Rüttgers die Karte Hessen, SPD und Linkspartei. So lange die SPD „ihr Verhältnis zur Linkspartei (die keine Partei wie alle anderen sei) nicht klärt, wird sie weiter Stimmen verlieren.“ Die vierte Lehre für die „Volkspartei der Zukunft heißt: Sie muss die Herausforderungen der Zeit erkennen und den Mut haben, sie politisch zu beantworten.“ Die wichtigste Herausforderung sei „die Einheit der Gesellschaft.“ Die fünfte Lehre „für eine Volkspartei der Zukunft heißt: Sie muss nicht nur ein klares, unverkennbares Programm haben, sondern glaubwürdig in Personen und Programm sein.“ Die „Angst vor öffentlichen Diskussionen, die EntpolitisieFoto: dpa rung und Entdemokratisierung müsse über- „Arbeiterführer“ Rüttgers beim Versuch einen Stein wunden werden.“ Poli- aufzusetzen und einen Helm zu vermauern – oder umtik dürfe nicht zu Insze- gekehrt.

nierung, Parteien nicht zu Werbeagenturen werden – ob da Rüttgers über sich selbst spricht? Rüttgers stellt immerhin fest, „dass sowohl die Parteien als auch das Parteiensystem nicht mehr das Lebensgefühl vieler Menschen ansprechen.“ Schließlich verweist Rüttgers auf die sechste Lehre „für Volksparteien“. Sie habe mit der Art zu tun, wie sie auftreten. „Wer Volkspartei sein will, braucht Mehrheiten nicht nur bei seinen Stammwählern. Eine Partei, die mehrheitsfähig sein will, muss nicht nur ökonomische, sondern auch soziale und kulturelle Mehrheiten in der Gesellschaft erringen.“ Rüttgers hat als wichtigste Botschaft für eine Volkspartei ausgemacht: „Sie muss den Menschen zuhören, allen Menschen.“ Dass das die CDU und der Ministerpräsident von Nordrhein- Westfalen tun, war bislang nicht zu erkennen. Und ob das im Landtagswahlkampf anders sein wird, darf aufgrund der gemachten Erfahrungen bezweifelt werden. Die Lehren, die der Demagoge Rüttgers aus der Misere der SPD zieht, zielen allein darauf, das abnehmende sozialdemokratische Wählerpotential als Steinbruch zu nutzen und die verbliebenen Fans von Johannes Rau und Helmut Schmidt auf CDU-Seite zu ziehen. Das könnte ihm bei der bevorstehenden Landtagswahl angesichts der Positionen der SPD-Landesvorsitzenden Hannelore Kraft sogar gelingen. Rolf Priemer


Seite 8 / Aktionen, Erfahrungen, Ideen

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Donnerstag, 24. Dezember 2009

Schwimmbahnen sollen Luxuswohnungen weichen Seit zwei Jahren kämpft eine Bürgerinitiative für den vollständigen Erhalt des Schwimmbades in Hamburg-Ohlsdorf Eine Bürgerinitiative hat bereits im Frühjahr per Bürgerentscheid verhindert, dass im Hamburger Stadtteil Ohlsdorf Freiflächen des dortigen Schwimmbads bebaut werden. Die Auseinandersetzung um das Bad dauert aber immer noch an. UZ: Wie begann der Konflikt? Franz-Josef Peine: Die Bezirksversammlung Hamburg-Nord hatte bereits vor der Wahl im Februar 2008 einen Antrag der städtischen Bäderland GmbH genehmigt, ein Drittel der Außenflächen zu verkaufen, um mit den Einnahmen die Sanierung des Bads zu finanzieren. Auf dem Baugelände sollten Luxuswohnungen entstehen. Dafür hätten zwei 50 Meter-Schwimmbahnen weichen müssen. Lediglich ein Planschbecken wäre im Freien noch übrig geblieben. Die Bäderland-GmbH hatte schon vor Jahren Schwimmbäder in der Umgebung geschlossen. In der Bevölkerung regte sich erster Protest. Auf einer städtischen Anhörung in einer nahegelegenen Kirche sprachen sich vor zwei Jahren von 130 Teilnehmern über dreißig Bürger gegen die Bebauungspläne aus – nicht einer stimmte zu. Dort schlug ich vor, eine Bürgerinitiative zu gründen. Denn nur so war der Bau noch zu stoppen. Dieser Idee schlossen sich Vertreter von Umweltverbänden und auch eine Pastorin an. UZ: Wie ging es dann weiter?

Franz-Josef Peine: Mit drei Mitstreitern beriefen wir eine Gründungsversammlung ein. Schon zu diesem ersten Treffen kamen über vierzig Bürgerinnen und Bürger. Leider wurde mir dort von SPD-Anhängern vorgeworfen, ich wolle mit der Schwimmbad-Initiative Wahlkampf machen. Ich kandidierte nämlich als Direktkandidat für die Linkspartei zur Bezirksversammlung – offen als DKP-Mitglied, wie meine Genossen in ganz Hamburg. Die Anschuldigungen der Sozialdemokraten konnte ich aber leicht zurückweisen. Denn keiner der anderen drei Initiatoren war Mitglied der DKP. UZ: Das Schwimmbad Ohlsdorf wurde dann zum Gegenstand der Volksgesetzgebung im Bezirk Hamburg-Nord. Franz-Josef Peine: Wir mussten mindestens 7 000 Unterschriften für das Bürgerbegehren sammeln. Tatsächlich unterzeichneten 12 000 Einwohner des Bezirks Hamburg-Nord allein. Schwimmbadfreunde aus angrenzenden Stadtbezirken waren nicht abstimmungsberechtigt. Die Unterstützung war enorm. Wir trafen uns ständig, legten Listen bei Ärzten, Apotheken und in Ladengeschäften aus. Ein Kinder- und Volksfest der Initiative in unmittelbarer Nähe des Bades wurde durch Sachspenden z. B. von der Sparkasse unterstützt. Organisationen wie die Partei „Die Linke“ und die DKP beteiligten sich daran. Mit dem Erlös konnte die Öffent-

Franz-Josef Peine (DKP) ist Abgeordneter der Linksfraktion in der Bezirksversammlung Hamburg-Nord. lichkeitsarbeit finanziert werden. Es entstand eine regelrechte Bewegung, das Schwimmbad in Ohlsdorf inklusive seiner beiden 50-Meter-Bahnen zu erhalten. Natürlich fordern auch wir, das Ohlsdorfer Bad zu renovieren. Nur soll das aus Steuergeldern finanziert werden. Wozu zahlt das Volk denn sonst Steuern? Die Bäderland GmbH hat das Bad bewusst jahrelang verkommen lassen, um einen Verkauf zu rechtfertigen. Dabei kann in Hamburg inzwischen jedes dritte Kind

nicht mehr schwimmen! UZ: Hat die Sympathiewelle den Bezirk zum Umdenken bewogen? Franz-Josef Peine: Nicht im Geringsten. Alle Parteien haben in der Bezirksversammlung beschlossen, mit der Schwimmbad-Bebauung fortzufahren – mit Ausnahme unserer neuen Linksfraktion. Obwohl die Mehrheitsverhältnisse in der Bevölkerung jedem klar sein mussten, organisierte die Bezirksverwaltung einen 200 000 Euro teuren Bürgerentscheid. Am Ende siegten wir mit einer Zustimmung von 84,5 Prozent für unser ProSchwimmbad-Begehren. UZ: Doch Du bist in der Sache immer noch aktiv... Franz-Josef Peine: Wir gründen jetzt einen Förderverein für das Freibad Ohlsdorf. Zu den bisherigen Unterstützern kommen immer neue hinzu. So die Naturfreunde, der örtliche Schwimmverein und die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft (DLRG). Wir wollen die Bäderland GmbH an einen Runden Tisch bringen. Wenn die Firma der Badbetreiber das ablehnt, müssen wir uns an den Hamburger Senat wenden. Dieser kann genug Geld investieren, damit das Volk im Sommer wieder dem Schwimmen und dem Badevergnügen nachgehen kann. Es geht um Menschen, die kein Geld haben, um dreimal pro Jahr an die Ostsee zu fahren. Das sind meist alleinstehende

Frauen mit Kindern oder ältere Menschen. Wenn sie baden wollen, müssen sie das hier tun können. Es kann nicht vorrangig um die Profitinteressen von Bäderland gehen. Da spielt es keine Rolle, dass die GmbH in städtischem Besitz ist. UZ: Was habt Ihr als Kommunisten in dieser Auseinandersetzung gelernt? Franz-Josef Peine: Die Genossen der DKP beteiligten sich rege an der Unterschriftensammlung, wir organisierten Infostände und vertraten eigene Positionen. Wir müssen mit den Menschen in unserer Umgebung sprechen, um mit ihnen gemeinsam die Lebensverhältnisse zu verändern. Denn alleine können wir Kommunisten das nicht erreichen. Doch die Bereitschaft, für die eigenen Interessen zu kämpfen, ist da. Das hat unser Bürgerentscheid bewiesen. Außerdem können wir im direkten Gespräch viel Antikommunismus abbauen. Als ehemaliger DKP-Stadtrat in Gladbeck vermisse ich es natürlich, im Kommunalparlament als Abgeordneter meiner eigenen Partei aufzutreten. Trotzdem bilden meine Kollegen von der Linksfraktion und ich eine verschworene Gemeinschaft. Im Bezirk Hamburg-Mitte gab es im Frühjahr einen Todesfall in der Fraktion. Und so zog Olaf Harms als zweiter Kommunist in eine Bezirksversammlung. Die Fragen stellte Mirko Knoche, Hamburg

Wer nicht alles ändert, ändert gar nichts

Keinen Raum für Geschichtsfälscher

Rosa-Luxemburg-Konferenz der „junge Welt“ am 9. Januar

Breites Bündnis erinnert an die Zerstörung Siegens

Alljährlich organisiert die „junge Welt“ mit Unterstützung anderer Gruppen und Organisationen am Vortag der Luxemburg-Liebknecht-Ehrung in BerlinFriedrichsfelde ihre Rosa-LuxemburgKonferenz. 2010 wird bereits die 15. Veranstaltung unter dem Motto „Wer nicht alles ändert, ändert gar nichts“ stattfinden. Die Konferenz, zu der in den vergangenen Jahren bis zu 2 000 Besucher kamen, wird sich auch in diesem Jahr mit aktuellen Aufgaben der Linken beschäftigen. Dabei werden die Folgen der Krise und die notwendige Gegenwehr ebenso Thema sein wie die notwendige internationale Solidarität in den Kämpfen um soziale Grundrechte und Demokratie. Die Konferenz beginnt in den Räumen der Berliner „Urania“ am 9. Januar um 10 Uhr. In diesem Jahr werden unter anderem Silvia Ayala, Parlamentsabgeordnete der Linkspartei UD in Honduras sowie der kanadische Wirtschaftswissen-

schaftler Michel Chossudovsky, sprechen. Mumia Abu-Jamal, Journalist und politischer Gefangener, wendet sich aus der Todeszelle heraus an die Konferenzteilnehmer. Pierre Lévy, Herausgeber der Monatszeitschrift „Bastille – Republique – Nation“, wird über Erfahrungen gewerkschaftlicher Kämpfe in Frankreich berichten. Aus Kuba wird Enrique Ubieta, Direktor der Zeitung „La calle del medio“ und Mitglied im ZK der KP Kubas, sprechen. Ab 13.00 Uhr wird es zusätzlich parallel eine Diskussionsrunde mit Vertretern verschiedener Jugendorganisationen zum Thema „Wie holen wir die Bundeswehr aus Afghanistan?“ geben. Das abschließende Podiumsgespräch (ab 17 Uhr 30) wird sich unter dem Motto „Um uns selber müssen wir uns selber kümmern“ mit der Arbeit und Entwicklungen der Gewerkschaften in Deutschland unter den Bedingungen von Krise und Krieg beschäftigen. Diskutieren

werden Sabine Leidig, ehemalige Geschäftsführerin von ATTAC (MdB der Partei „Die Linke“), Achim Bigus, Betriebsrat bei Karmann, Pierre Lévy aus Paris sowie Christina Kaindl von der Gruppe „soziale Kämpfe“. Moderiert wird die Podiumsdiskussion von Arnold Schölzel, Chefredakteur der jungen Welt. Und wie in jedem Jahr gibt es auf der Konferenz auch viel Kultur. Auftreten werden Pol Mac Adaim, Liedermacher aus Irland, die Berliner IG Blech, eine 17köpfige Brass-Band mit Kuba-Erfahrung, und The Polkes mit Folkpunk. Und wie in jedem Jahr kann man sich an Ständen über die Positionen linker Gruppen und Projekte informieren oder über die Publikationen linker Verlage. Urania (U-Bhf Wittenbergplatz), An der Urania 17, 10787 Berlin Aktuelle Informationen sind über www.rosa-luxemburg-konferenz.de zu finden.

Tagebuch über unser Pressefest 2009 und Zukünftiges! 13. Dezember Vor ein paar Tagen war ich in Essen, im Haus des Parteivorstandes. Natürlich kamen wir auch auf unser Pressefest zu sprechen. Dabei fiel mir auf, das wir noch keinen Bericht über die Einschätzung der Aufbauhelfer/innen gegeben hatten. Anfang November trafen sich in der Karl-Liebknecht-Schule über 50 Aufbauhelfer/innen, um über das vergangene Fest zu reden, aber auch über ein in der Zukunft. Es gab viel Lob, Anregungen und Vorschläge. Es wurde sehr intensiv diskutiert. Zum Schluss herrschte große Einmütigkeit: Es ist das größte Fest der Linken und wir, die DKP machten es möglich. Wir haben alle an einem Strang gezogen, alle gemeinsam. Nur so konnten wir dieses Fest durchführen. Wir brauchen auch weiter unser Pressefest. Nach der Einschätzung gab es noch eine Helfer/innenfete bis in den frühen Morgen. Nochmals allen meinen herzlichen Dank für die Unterstützung vor , während und nach unserem Pressefest! – Wir haben sehr solidarisch ein schönes Fest durchgeführt bei schwierigeren Bedingungen.

– Wir haben ein sicheres Fest, auf dem sich alle Besucher wohlgefühlt haben durchgeführt. – Wir waren wieder Heimat für fortschrittliche linke Kultur, die sich entwickelt hat und sich auf einem hohen Niveau darbot. – Wir haben die größte linke Diskussionstribüne veranstaltet. – Wir haben einmal mehr solidarisch das größte Fest der Linken durchgeführt.

20. Dezember Der Auftakt 2010, Luxemburg-Liebknecht-Ehrung in Berlin ist eine gute Gelegenheit, uns in Berlin zu treffen und über die weiteren Aktionen zu reden. Seit 1996 findet jeweils am zweiten Samstag im Januar die Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin statt. Initiiert wurde sie von der überregionalen marxistischen, parteiunabhängigen Tageszeitung junge Welt. Schwerpunkt der Veranstaltung sind Vorträge und Diskussionen zu Erfahrungen, Analysen und Aktivitäten linker Bewegungen und Parteien weltweit sowie der Austausch zu Entwicklungen und politischen Kämpfen in Deutschland. Die traditionelle LLL-Veranstaltung der DKP findet am 9. 1. 2010 um 19:30 Uhr

nach der Rosa-Luxemburg-Konferenz im Kleistsaal, Haus der Urania, An der Urania 17, Berlin (U-Bahnhof Wittenbergplatz) statt. Sie steht unter dem Motto: Der Mensch geht vor Profit, Sozial’is’mus. Neben der Rede des Vorsitzenden der DKP, Heinz Stehr, werden Vertreterinnen und Vertreter aus den Jugendaktionen für bessere Bildung von Schule und Hochschule sprechen, sowie ein Vertreter der spanischen kommunistischen Partei. Anschließend gib es ein schönes, abwechslungsreiches Kulturprogramm mit den „Bösen Mädchen “ aus Berlin und EWO2 aus Mannheim. Die Demonstration im Rahmen der Liebknecht- Luxemburg-Ehrung ist am Sonntag, 10. Januar 2010 in Berlin, um 10.00 Uhr vom U-Bhf. Frankfurter Tor zur Gedenkstätte der Sozialisten. Wir treffen uns am Lautsprecherwagen der DKP. Bringt eure Fahnen, aber auch Transparente mit! Also, auf nach Berlin am 09. Januar 2010! Ich wünsche Euch allen gutes, kämpferisches und erfolgreiches Jahr 2010. Persönlich gute Gesundheit, Ausdauer, aber auch Spaß an der politischen Arbeit. Ulrich Abczynski, Bauleiter Pressefest 2009 ( 2011 ... ?)

Am 16. Dezember fuhren ab 15.00 Uhr keine Linienbusse mehr durch die Siegener City. Der innerstädtische Verkehr kam nahezu komplett zum Erliegen. In der Innenstadt bewegte sich in vier Blöcken mit jeweils mehreren hundert Demonstranten ein Sternmarsches zum Rathaus. Der Grund: Am 16. Dezember 1944 wurde Siegen durch alliierte Bomber zu 85 Prozent zerstört. Alljährlich erinnern zahlreiche Bürgerinnen und Bürger daran, dass an diesem Tag die Stadt in Schutt und Asche gelegt wurde, dass Hunderte im Bombenhagel des Krieges starben, der seinen Weg zurück zu Deutschland fand, von dem er ausgegangen war. Wie im letzten Jahr, so auch diesmal, hatten NPD und „Freie Sozialisten Siegerland“ (FNSI) für den 16. Dezember eine Gegenkundgebung angemeldet, um den Gedenktag für ihre Geschichtsverfälschungen und für die Verherrlichung der Nazi-Diktatur zu missbrauchen. Unter Federführung des DGB entstand das in der Breite und Vielfalt für Siegen beispiellose „Siegener Bündnis für Demokratie“. Es arbeiten hier alle Einzelgewerkschaften, alle Parteien – angefangen von CDU bis zur Partei „Die Linke“ und der DKP, Landrat und Bürgermeister (beide CDU) , der AStAder Uni Siegen, Kirchengemeinden und christliche Institutionen, Schüler und Jugendorganisationen, die VVN/BdA, die Antifa und eine Vielzahl von Gruppen und Initiativen zusammen. In einem gemeinsamen Aufruf heißt es: „Niemand kann den noch Lebenden ihre Trauer und Erinnerung nehmen! Die Neonazis benutzen dies heute, um die Opfer der deutschen Zivilbevölkerung mit den Opfern des Nationalsozialismus gleich zu setzen. ... Tief eingeprägt in das Gedächtnis der Völker sind die Verbrechen der nationalsozialistischen Diktatur: die millio-

nenfache Ermordung der Juden, der Zwangsarbeiter, die brutale Verfolgung und Ermordung all derer, die der Nationalsozialismus zu Schädlingen stempelte: die Homosexuellen, die Sinti und Roma, die Behinderten, die sozial Schwachen, die Zeugen Jehovas, die aufrechten Priester und gläubigen Christen und die Menschen mit Zivilcourage. Und schließlich der ununterbrochene Terror gegen die, die dieses Regime bekämpften, die unbeugsamen Demokraten aller Parteien, die Kommunisten, Sozialdemokraten, Christen, Gewerkschafter – viele von ihnen wurden verhaftet, grausam gequält und/oder ermordet ...“ Nach der Kundgebung mit Bürgermeisterrede und Zeitzeugenberichten, fanden abends weitere verschiedene Aktivitäten statt. Gut besucht war die Veranstaltung der VVN/BdA, unterstützt von der Partei „Die Linke“, der DKP, der Arbeitsgemeinschaft Siegerländer Friedensbewegung, der Juso-Hochschulgruppe, den Pädagoginnen und Pädagogen für den Frieden, dem VEB Politik Kunst Unterhaltung und dem Zentrum Friedenskultur statt. Vor etwa 200 Anwesenden hielt Alice Cziborra, eine der beiden Töchter von Peter Gingold, eine sehr persönlich gehaltene Rede, in der Verfolgung und Flucht, Deportation und Tod, aber auch Kampf in der Resistance und im deutschen Widerstand der Familie Gingold in beeindruckender Weise geschildert wurde. Ein Höhepunkt war der Auftritt der Kölner Rap-Band Microphon Mafia, die ihr Kommen spontan zugesagt hatte. Microphone Mafia und Jan Vering, Dramaturg des Apollo-Theaters in Siegen, setzten gemeinsam mit dem Kinderlied von Brecht/Eisler den emotionalen Abschluss der Veranstaltung. Uli Winkel


Donnerstag, 24. Dezember 2009

unsere zeit

Das Thema / Seite 9

Schuldenhaushalt und Tumulte Christel Wegner: Aus der niedersächsischen Dezember-Landtagssitzung Nach viertägigen Haushaltsberatungen beschloss der niedersächsische Landtag am vergangenem Donnerstag mit der CDU/FDP-Mehrheit den Schuldenhaushalt für das kommende Jahr. 2,3 Milliarden Nettokreditaufnahme sind eingeplant. Genau diesen Betrag hatte die Koalition bereits für das laufende Jahr im Rahmen eines Nachtragshaushalts beschlossen und will so die Folgen der Wirtschaftskrise auffangen. „Zu viel“, meint die Opposition. Grüne und SPD klagen schon vor dem Staatsgerichtshof gegen den Nachtragshaushalt, weil die Kreditaufnahme nicht den zu erwartenden Einnahmeausfällen entspräche. Auch die Verschuldung für 2010 sei zu hoch und ließe sich reduzieren. Die Partei „Die Linke“ rechnet sogar einen ausgeglichenen Haushalt vor wenn denn bundesweite Initiativen wie die Einführung einer Vermögens-, Großerben- und Börsenumsatzsteuer sowie die Anhebung der Körperschaftssteuer und eine personelle Verstärkung der Finanzämter erfolgen würden. Ein zwar kleiner aber dennoch symbolischer Beitrag beim Sparen wäre es, wenn die Ausschüsse des Landtags auf teure Auslandsreisen verzichten würden, so mein Beitrag zur Landtagsdebatte, was natürlich auf wenig Gegenliebe im Parlament stieß. Mehr Geld gibt es in 2010 unter anderem für den Verfassungsschutz sowie für Großprojekte mit zweifelhaftem Wert. Erhöht werden die Zahlungen an die „Landsmannschaft Schlesien“ und den „Bund der Vertriebenen“. Und auch einen neuen Landtag will sich die Koalition leisten und dafür 45 Millionen Euro locker machen. Gekürzt wird dafür unter anderem bei den Frauenhäusern oder bei Zuweisungen an die Kommunen. Deren Selbstverwaltung wird ohnehin ausgehebelt, wozu das „Wachstumsbeschleunigungs-

genheit die Linken im Landtag für die DDR verantwortlich zu machen, was zumindest die Fraktion der Linkspartei weit von sich weist und sich dabei auf die allgemeinen Umgangsformen laut Geschäftsordnung beruft. Als jüngst ein grüner Abgeordneter den Innenminister Uwe Schünemann (CDU) wegen dessen harter Haltung beim Thema Bleiberecht für Flüchtlinge im Internetdienst „Twitter“ als „unerträglichen Hetzer“ bezeichnete, musste die Tagung nach der Drohung des Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU), die Sitzung zu verlassen, unterbrochen werden, bis sich der Grüne entschuldigte. In einer außerordentlichen Sitzung von Ältestenrat, Präsidium und Fraktionsvorständen soll im Januar über den weiteren Umgang miteinander gesprochen werden. Dann wird hoffentlich auch die Rolle des

Parlamentspräsidenten Hermann Dinkla beleuchtet, der offenbar auf dem linken Ohr besser hört als rechts und so die provozierenden Zwischenrufe der CDU/ FDP nicht oder seltener wahrnimmt als er Ordnungsrufe gegen die Opposition ausruft. Wie gut, dass es da noch die Straße gibt. Aus Protest gegen die Bildungspolitik hatten sich Studierende in die Landtagssitzung „geschlichen“ und auf der Besuchertribüne ein Plakat entrollt sowie Flugblätter in den Plenarsaal geworfen, auf denen sie eine kostenlose Bildung für alle forderten. Doch angesichts der Tumulte, die sich fast schon normalerweise zwischen den Abgeordneten abspielen, blieb das Präsidium ruhig und verhängte nicht einmal ein Hausverbot gegen die „StörerInnen“. Er ist offenbar schlimmeres gewohnt.

Soziale Projekte fördern Rede von Christel Wegner in der der Haushaltsdebatte

Christel Wegner in der Debatte am 16. 12. 2009. gesetz“ der Berliner Koalition, das für Niedersachsen Belastungen in Höhe von 135 Millionen Euro bedeutet, sowie andere absehbare Einnahmeausfälle beitragen. Und das in einer Situation, wo die Städte und Gemeinden voraussichtlich steigende Ausgaben im Sozialbereich durch die krisenbedingten Belastungen haben. Auch das Schulobstprogramm der EU will die CDU/FDP nicht unterstützen und versuchte, mit Taschenspielertricks den Bürokratieaufwand dafür künstlich

in die Höhe zu treiben, um so das Projekt ablehnen zu können. Mit Trickserei und Täuschung versucht die Regierung bereits seit einigen Monaten, sich den bohrenden Fragen der ParlamentarierInnen zu entledigen. Anfragen werden gerade mal mit „Ja“, „Nein“ oder anderen wenig aufklärenden Aussagen beantwortet. Es werden Informationen vorenthalten und Abgeordnete provoziert. So lassen es sich die Konservativen nicht nehmen, bei jeder sich bietenden Gele-

„Fast alle Abgeordneten, die bisher zum Haushalt gesprochen haben, forderten einen verantwortungsvollen Umgang mit den Steuergeldern ein. Ich habe mich da gefragt: Ist das verantwortungsvoll, wenn Hinweise, wie und wo man sparen kann, einfach ignoriert werden. Wenn dieser Haushalt beschlossen sein wird, hat dieses Haus die Chance vertan, ein – wenn auch klitzekleines – Signal, ein Zeichen zu setzen und bei sich selbst anzufangen. Ein Beispiel: Der Steuerzahlerbund hat die Abgeordneten angemahnt, die Praxis der jährlich durchgeführten Ausschussreisen zu überdenken. Zugegeben: 250 000 Euro sind im Gegensatz zum Gesamtvolumen des Haushalts 2010 wenig. Ein Tropfen auf den heißen Stein.

Aber damit könnte fast die Imagekampagne zur Intensivierung der Altenpflege finanziert werden oder es könnten die Zuschüsse an die Landesgeschäftsstelle des Kinderschutzbundes für Projektförderung im Bereich der Migrationsförderung und dazu noch die Kosten der Aufbewahrung, der Lagerung, Kontrolle und Versicherung für die im Jahr 2009 beschafften antiviralen Arzneimittel finanziert werden, ohne Schulden dafür aufnehmen zu müssen! Und als ein vorbeugender abschließender Satz: Bevor mir jetzt jemand unterstellt ich wollte die Reisefreiheit einschränken – ich persönlich reise gerne und häufig, aber ich bezahle es immer selbst.“

Niedersächsischer Landtag – 16. Wahlperiode Drucksache 16/2017

Niedersächsischer Landtag – 16. Wahlperiode Drucksache 16/2029

Kleine Anfrage mit Antwort

Kleine Anfrage mit Antwort

Wortlaut der Kleinen Anfrage der Abgeordneten Christel Wegner (fraktionslos), eingegangen am 30. 10. 2009

Beteiligung von V-Leuten an Straftaten Am 16. November 2009 beginnt vor dem Berliner Landgericht der Prozess gegen die Betreiber des Internetradios European Brother Radio (EBR) wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Verstoß gegen das Waffengesetz und Anstiftung zum Rassenhass. Sandra F., eine der sieben Beschuldigten, arbeitet für den niedersächsischen Verfassungsschutz. Bei den 250 Straftaten, die der Gruppe vorgehalten werden, gilt sie laut Staatsanwaltschaft als maßgebliche Person. Vermutlich wird die Verteidigung der Frau F. deren Stellung als Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes ausnutzen, da sie von einer Duldung ihrer Taten durch ihren Auftraggeber ausgegangen sei. Dies ist offensichtlich nicht der erste Fall, bei dem V-Leute in Straftaten der Neonaziszene verwickelt waren. Ich frage die Landesregierung: 1. Geht die Landesregierung trotz dieser Umstände davon aus, dass durch den Einsatz von V-Leuten die Zunahme von Straftaten der Neonazis verhindert werden kann? Welche Gründe kann sie dafür anführen? 2. Wie will die Landesregierung in Zukunft verhindern, dass sich V-Leute an schweren Straftaten beteiligen, oder sie gar maßgeblich ausführen? 3. Wie will die Landesregierung verhindern, dass der Einsatz von V-Leuten sich als Verfahrenshindernis bei der Verfolgung von solchen Straftaten auswirkt? (An die Staatskanzlei übersandt am 9. 11. 2009 – II/721 – 498)

Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 8. 12. 2009 für Inneres, Sport und Integration – 63.116-049-A-480010-36/09 – Aufgabe des Verfassungsschutzes nach dem Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetz ist es, Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beobachten. Die Eingriffsschwelle für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist gesetzlich klar festgelegt und damit verbindlich für die Arbeit des Verfassungsschutzes. Demnach müssen „tatsächliche Anhaltspunkte“ (§ 5 Abs. 1 NVerfSchG) für eine extremistische Bestrebung vorliegen. Dabei ist für eine entsprechende Zuordnung einer Organisation das Gesamtbild der Organisation maßgebend, d. h. das Zusammenspiel personeller, institutioneller und programmatischer Faktoren, die für ihre Ausrichtung und ihr Auftreten in der Öffentlichkeit prägend sind. Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Der Einsatz von V-Leuten als nachrichtendienstliches Mittel dient der Informationsgewinnung. Die Verhinderung der Zunahme von rechtsextremistisch motivierten Straftaten ist hingegen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und fällt staatsorganisatorisch vor allem in die Zuständigkeit der Polizei. Zu 2: Die Rechtslage für den Einsatz von V-Leuten ist in § 6 Abs. 3 NVerfSchG eindeutig geregelt. Die Niedersächsische Verfassungsschutzbehörde duldet keine Übertretungen der darin gezogenen Grenzen durch ihre V-Leute. Zu 3: Es ist nicht erkennbar, wie der Einsatz von V-Leuten sich als Verfahrenshindernis im Strafprozess auswirken sollte.

Wortlaut der Kleinen Anfrage der Abgeordneten Christel Wegner (fraktionslos), eingegangen am 30.10.2009

Überwachung der NPD durch V-Leute des Verfassungsschutzes Ich frage die Landesregierung: 1. Lässt das Ministerium des Inneren die NPD durch V-Leute des Verfassungsschutzes überwachen? 2. Wenn das der Fall ist, welche politischen Ziele verfolgt es damit? 3. Würde die Landesregierung durch den weiteren Einsatz von V-Leuten in dieser Partei bewusst in Kauf nehmen, dass ein erneuter Verbotsantrag gegen diese Partei nicht möglich sein wird? 4. Aus welchen Gründen kann sich die Landesregierung nicht der Analyse der zuständigen Minister bzw. Senatoren der Bundesländer Berlin, Bremen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein vom 4. Mai 2009 anschließen, nach der sich die Verfassungswidrigkeit der NPD allein schon aus allgemein zugänglichen Quellen ergibt? (An die Staatskanzlei übersandt am 9. 11. 2009 – II/721 – 499)

Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 8. 12. 2009 für Inneres, Sport und Integration – 63.116-049-A-480010-35/09 – Der Niedersächsische Verfassungsschutz beobachtet im Rahmen der ihm nach dem Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetz zugewiesenen Aufgaben Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung. Die Eingriffsschwelle für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist gesetzlich klar festgelegt und damit verbindlich für die Arbeit des Verfassungsschutzes. Demnach müssen „tatsächliche Anhaltspunkte“ (§ 5 Abs. 1 NVerfSchG) für eine extremistische Bestrebung vorliegen. Dabei ist für eine entsprechende Zuordnung einer Organisation das Gesamtbild der Organisation maßgebend, d. h. das Zusammenspiel personeller, institutioneller und programmatischer Faktoren, die für ihre Ausrichtung und ihr Auftreten in der Öffentlichkeit prägend sind. Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung ihres Beobachtungsauftrages unter den Voraussetzungen des § 6 NVerfSchG u. a. V-Leute einsetzen. Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Ja. Zu 2: Der Einsatz von V-Leuten als nachrichtendienstliches Mittel dient der Informationsgewinnung. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. Zu 3: Die Landesregierung hat ihren Standpunkt zu einem neuerlichen NPD-Verbotsverfahren wiederholt dargelegt, zuletzt in der 51. Sitzung des Niedersächsischen Landtages am 25. November 2009 (TOP 16 bis 18). Im Übrigen verweise ich auf die Antwort in der Landtagsdrucksache 15/3552. Zu 4: Diese Frage stellt sich der Landesregierung aus den in der Antwort zur Landtagsdrucksache 15/3552 genannten Gründen nicht. Uwe Schünemann


Seite 10 / Internationale Politik

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Gemeinsames Kommuniqué von ELN und FARC-EP Die beiden großen Guerillagruppen Kolumbiens haben in einem gemeinsamen Kommuniqué ihre Bereitschaft erklärt ihre Anstrengungen gegen die Kriegspolitik der Regierung und der USA zu konzentrieren und dabei Streitigkeiten der beiden Guerillas in einigen Regionen des Landes zu unterlassen, zu analysieren und wiedergutzumachen. In den letzten Jahren war es im östlich gelegenen Arauca auch zu bewaffneten Auseinandersetzungen gekommen; in anderen Regionen kooperieren die beiden Gruppen.

„Nicht zu Lasten der Wirtschaft“ Unmittelbar vor seiner Abreise zum Klimagipfel in Kopenhagen hat Präsident Medwedjew eine Klima-Doktrin für Russland unterzeichnet. Sie enthalte eine Analyse des Klimawandels für Russland und formuliere die Herausforderungen, mit denen das Land dadurch konfrontiert sei – so Präsidentenberater Dworkowitsch. Die Doktrin setze als Gegenmaßnahme vor allem auf eine Erhöhung der Energieeffizienz. Er betonte aber auch, Klimaschutz dürfe nicht zu Lasten der Ökonomie gehen. Medwedjew hatte zuvor bereits am 14. Dezember erklärt, dass Russland bis 2020 seinen Treibhausgas-Ausstoß gegenüber dem Stand von 1990 um 25 Prozent verringern wolle. Die Effektivität der verbrauchten Energie solle im gleichen Zeitraum um 40 Prozent steigen. Bis 2030 solle der Anteil der Kernenergie auf 25 Prozent erhöht werden. Der russische Präsident betonte, dass sein Land bereits „Welt-Spitzenreiter bei der Ausstoßverringerung“ sei. Allerdings verschwieg er dabei, dass dies nicht die Folge geplanter Maßnahmen, sondern das Ergebnis des enormen Rückgangs der Industrieproduktion nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist. W. G.

El Salvador tritt ALBA nicht bei Hoffnung auf grundlegende Veränderungen – das waren Beweggründe für die ganz große Mehrzahl der 1 354 000 Salvadorianer/innen, die am 15. März ihre Stimme für die FMLN und deren Kandidaten Mauricio Funes abgaben. Nicht alle, sondern wohl aus Dankbarkeit vorwiegend die 100 000 Wähler, die den entscheidenden Einbruch in die konservativen Wählerschichten der rechten ARENA und auch den dünnen Vorsprung für einen Sieg brachten, sind es, die Präsident Funes nun zu bevorzugen scheint. Jedenfalls sind die Meinungsunterschiede zwischen der linksorientierten Regierungspartei FMLN und dem Präsidenten, der erst nach seiner Nominierung in die Partei eingetreten war, nach einem halben Regierungsjahr mehr als graduell. Ausgeschlossen ist für ihn ein Beitritt zum Bolivarianischen Bündnis (ALBA), weil er die „strategische Allianz mit den USA“ nicht gefährden und die zentralamerikanische Integration bevorzugen will. Hintergrund ist dabei die Tatsache, dass fast 30 Prozent der Salvadorianer/innen in den USA leben und ihre Überweisungen seit Jahrzehnten ein entscheidender Eckpfeiler der heimischen Ökonomie sind. Rein formal hat Funes eigentlich weniger enttäuscht als jetzt denkbar wäre, denn er hat schon im Wahlkampf jede Unterstützung durch Venezuela abgelehnt, aber in Sachen Honduras will er in Kürze sogar die dortige Regierung anerkennen. Ein Grund mag die öffentlich gewordene Warnung der rechten Opposition an Funes nach dem Putsch in Tegucigalpa gewesen sein, nach dem Motto „das passiert, wenn man ALBA beitritt“. Sein Vizepräsident und Bildungsminister Salvador Sánchez Cerén, der ehemalige Guerillakommandant „Leonel González“, sieht die Unterschiede in der Außenpolitik. Politisch trifft der Präsident die Entscheidungen, und „die FMLN unterstützt sie, weil sie nicht die Regierung ist“, obwohl der hauptsächlich FMLNMitglieder angehören. Angesichts der parlamentarischen Mehrheit für die Rechte (48 gegen 36 Sitze) tut die FMLN wohl gut daran, den Ball flach zu halten. Sie ist aber dennoch gerade wegen des Putschs in Honduras in der Verantwortung. Sonst ließen Zentralamerikas Regierungen Nicaragua drei Jahrzehnte später noch einmal allein. Günter Pohl

Donnerstag, 24. Dezember 2009

Armes reiches Griechenland Nur Widerstand verhindert Staatspleite Die Zauberlehrlinge des Finanzkapitals rotieren: zunächst Island und Irland, aber auch Großmächte wie Großbritannien und die USA, durchaus möglich auch Japan, Italien, Portugal, Spanien, Belgien, Ungarn, Lettland, Griechenland, die Schweiz., Österreich und zahlreichen anderen Ländern wird der Stempel der drohenden Staatspleite aufgedrückt. Nach jeweiliger politischer Opportunität gerät jeder x-beliebige Staat in den Fokus der Finanzstrategen. Schließlich hängen alle kapitalistischen Staaten am Tropf der Verschuldung. Ständig auf der Suche nach „kreativen“ Maßnahmen, wie sie die Kosten des Schuldenmachens bewältigen können, öffnen die Finanzminister und ihre Regierungen doch stets die Schubladen mit den sattsam bekannten neoliberalen Programmen, die in die kapitalistische Krise führten, und verschleudern nicht zuletzt dabei horrende Summen an Staatsknete, die sich kein Normalsterblicher vorstellen kann. Selbst von den noch vor Monaten völlig diskreditierten Rating-Agenturen lassen sich Regierungen leiten, wenn es um die Kreditwürdigkeit ganzer Staaten geht. So hat vor zwei Wochen die Agentur Fitch die „Bonität“ Griechenlands herabgestuft und die Anleihen des griechischen Staates schlechter als mit dem staatlich erwarteten A bewertet, was auf dem Finanzmarkt höhere Zinsen zur Folge hat. Das aktuelle Defizit hat sich in Griechenland auf über 10 Prozent des Inlandsprodukts erhöht. Für andere Staaten, wie etwa die USA mit einer erheblich höheren Staatsverschuldung, kein Problem, wenn

es um Kreditvergabe geht. Warum wird das Problem der Staatsverschuldung gerade jetzt auf Griechenland zugespitzt? Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) sieht verschiedene Ursachen. In kaum einem anderen europäischen Land hat sich der Widerstand gegen den mit der Krise besonders verbundenen Sozialabbau und gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf die Arbeiterklasse und die bäuerliche Bevölkerung derart verstärkt wie in Griechenland. Zudem wird der Kampf angeführt von einer klassenbewussten Gewerkschaftsorganisation, der PAME. Opportunistische Gewerkschaftsführungen sozialdemokratischer oder anderer bürgerlicher Couleur geraten zunehmend in die Defensive. Die Widerspenstigkeit der griechischen Arbeiter/innen sowie vieler Bauern, aber auch der lernenden Jugend in den Schulen und Hochschulen soll gebrochen werden. Erst unlängst haben die Unruhen zum Gedenktag der Ermordung des Schülers Alexis Grigoropoulos das Widerstandspotential der Jugend neu aufflammen lassen. Die neue, jetzt sozialdemokratische Regierung mit Ministerpräsident Jorgos Papandreou setzt auf schärfere Polizeieinsätze, um den Kampfeswillen der Jugend für ihre demokratischen und Bildungsinteressen einzudämmen. Hochschul- und Schulbesetzungen breiten sich erneut aus, um den Ausverkauf der Schulen und Hochschulen zu verhindern und gleichzeitig der Forderung nach mehr Investitionen in die Ausbildung entschiedenen

Nachdruck zu verleihen. Griechenland sei ein reiches Land, von Staatsbankrott könnten nur die reden, die das gesellschaftliche Potenzial dem Profitstreben des internationalen Kapitals preiszugeben bereit seien, betont die KKE. Diese Politik zu durchbrechen könne nur gelingen, wenn die Beschäftigten, die Arbeitslosen, die Migranten, wenn die Arbeiterklasse mit den Bauern die Macht des Kapitals stürzten, den EU-Vertrag aufkündigten und die Geschicke des Landes in die eigenen Hände nähmen, was nicht ein Verkriechen in der nationalen Höhle bedeute, sondern die nationale und internationale Kooperation mit allen Organisationen und Staaten fördere, die gleichberechtigte Beziehungen suchen und wünschen. Die Generalsekretärin der KKE Papariga konkretisierte diese Haltung jüngst vor Seeleuten in Piräus: 240 Milliarden Euro Bruttoinlandsprodukt habe die Arbeiterklasse 2009 erwirtschaftet, wovon über 50 Prozent (126 Milliarden) in die Taschen einer Handvoll Unternehmer und Vertreter der herrschenden Klasse gewandert seien, allein, um ihr Ausbeutungsund Profitsystem zu stabilisieren. Ein Bruchteil davon könne alle sozialen und ökonomischen Probleme Griechenlands lösen. Also: sofortige Erhöhung der Steuern für große Unternehmen auf mindestens 45 Prozent; Befreiung von Steuern für die durchschnittliche Familie mit einem Einkommen von 40 000 pro Jahr und 5 000 für jedes Kind; Abschaffung der Mehrwertsteuer und der Verbrauchsteuer auf Heizöl und Diesel für den ländlichen

Verkehr; Schluss mit dem Sozialabbau; kostenlose Gesundheitsversorgung für alle, ein auskömmliches Leben für Rentner/innen; die Rente für Frauen ab 55, für Männer ab 60 Jahren; unentgeltliche Bildung für alle, keine Privatisierung der Bildung und Gesundheit; mithin keine Abwälzung der Krisenlasten auf die Arbeiterklasse und die einfachen Bauern; Arbeitszeitverkürzung auf die 35-Stunden-Woche, um allen Arbeitsfähigen eine existenzsichernde Arbeit zu ermöglichen. Die regierenden Sozialdemokraten der PASOK wie auch die Vorgängerregierung der Nea Dimokratia steuerten und steuern in die Gegenrichtung. Deshalb könne nur der Widerstand der Betroffenen selbst eine Wende schaffen. Die der KKE nahestehende Gewerkschaftsorganisation PAME hat für den 17. 12. einen Generalstreik im ganzen Land ausgerufen. Die Betroffenen selbst zu mobilisieren, das steht ganz oben auf der Agenda der Partei- und Gewerkschaftsstrategie der Kommunisten/innen Griechenlands. Typisch ist, dass der reformistische Gewerkschaftsbund GSEE diesen Streik boykottierte. Den Arbeitern, die nicht zu den Streik aufrufenden Basisorganisationen gehören, drohten sie, dass die Wahrnehmung ihres Streikrechts nicht durch den Gewerkschaftsbund gedeckt sei. Aleka Papariga äußerte im Fernsehen, dass der GSEE nicht nur „Handlanger der Arbeitgeber“ sei, sondern vielmehr „Streikbrecher“. Udo Paulus

Putsch im Putsch Guinea: Ein „deutscher Putschist“, außer Kontrolle geraten, scheint „entsorgt“ zu werden Derzeit sieht alles danach aus, dass der Staatschef des westafrikanischen Staates Guinea, Moussa Dadis Camara, der am 3. Dezember von seinem persönlichen Adjutanten durch einen Schuss am Kopf verletzt und zur Behandlung in ein Militärkrankenhaus in die marokkanische Hauptstadt Rabat geflogen worden war, noch einige Zeit in Marokko bleiben wird. Vielleicht kommt er auch überhaupt nicht mehr in sein Amt zurück. In Guineas Hauptstadt Conakry wird unter dem bisherigen Verteidigungsminister, Brigadegeneral Sékouba Konaté, der nach dem Attentat die Macht „interim“ übernommen hat, die „Nach-Dadis-Ära“ vorbereitet, wie französische Experten sagen. Dies scheint auch dem Wunsch französischer und US-amerikanischer Regierungskreise zu entsprechen. Dadis Camara hatte am 23. Dezember 2008 an der Spitze einer Offiziersjunta namens „Nationalrat für Demokratie und Entwicklung“ (CNDD) per Militärputsch die Macht übernommen. Verfassung, Regierung und alle staatlichen Institutionen wurden für vorübergehend außer Kraft gesetzt erklärt. Am Tag zuvor war der vorherige Staatschef Lansana Conté gestorben. Dieser hatte nach dem Tod des Staatsgründers Sekou Touré im April 1984 die Macht ebenfalls per Militärputsch übernommen. Unter Sékou Touré war 1958 die Unabhängigkeit von Frankreich erkämpft und eine antikoloniale und antiimperialistische Politik mit sozialistischer Orientierung eingeleitet worden. Conté beendete diesen Kurs und öffnete das Land wieder für die „freie Marktwirtschaft“, verbunden mit umfassenden Privatisierungen. Dies führte zur Verstärkung der sozialen Unterschiede und Klassengegensätze. Auf die wirtschaftliche Notlage und Verarmung eines großen Teils der Bevölkerung reagierte Conté mit zunehmend autoritärem Regierungsstil. Generalstreiks und Soldatenmeutereien zeugten 2007 und 2008 von angewachsener Unzufriedenheit. Camara hatte es deshalb nach dem Tod des Diktators Conté ziemlich leicht, sich als „Retter der Nation“ zu präsentieren, zumal er gleichzeitig verkündete, die Macht so bald wie möglich wieder an Zivilisten abtreten zu wollen.

keln Frankreichs, der EU, der USA und der Weltbank. Camara behauptete zwar hinterher, er sei nicht dafür verantwortlich, Teile der Armee seien außer Kontrolle geraten. Als er aber versuchte, seinem Adjutanten Sidiki Diakité, genannt „Toumba“, die Schuld in die Schuhe zu schieben und ihn verhaften zu lassen, hat dieser die Pistole gezogen und auf Camara geschossen. Seitdem ist „Toumba“ auf der Flucht. Obwohl er bei landesweiten Razzien von Polizei und Armee „unauffindbar“ blieb, konnte der französische Radiosender RFI ein Telefoninterview mit ihm aufnehmen. „Toumba“ wies darin die Anschuldigungen des Staatschefs zurück und beschuldigte seinerseits Camara, das Vorgehen gegen die Kundgebung selbst veranlasst zu haben.

Foto: dpa

Dadis Camara, immer mit dem deutschen Fallschirmspringerabzeichen am Käppi. In den Monaten danach richtete sich die von Camara repräsentierte Junta aber immer deutlicher auf Dauer ein. Von manchen wurde der neue Staatschef als „le putschiste allemand“ („der deutsche Putschist“) bezeichnet. Er hatte nämlich einen wesentlichen Teil seiner Offiziersausbildung zwischen 1996 und 2005 in Deutschland absolviert, u. a. an der Bundeswehroffiziersschule Dresden und bei einem Fallschirmjägerlehrgang. Auch als Staatschef trug Camara an seinem roten Käppi stets das deutsche Fallschirmjägerabzeichen. Die Bundesregierung verlautbarte allerdings, sie könne nicht dafür verantwortlich gemacht werden, was bei der Bundeswehr ausgebildete ausländische Militärs hinterher tun. Schon unmittelbar nach dem Putsch tauchte die Frage auf, ob Camara, bisher nur als Capitaine (Hauptmann) Chef des Treibstoffnachschubs der Armee, tatsächlich der Chef oder nur das Aushän-

geschild der Junta war. Als eigentlicher Drahtzieher des Putsches galt General Konaté – also genau der Mann, der nach dem Attentat auf Camara jetzt tatsächlich die Fäden in der Hand hält. Das bestärkt Vermutungen, dass sich der ehrgeizige, selbstverliebte, zu ständigen Improvisationen und öffentlichen Wutanfällen neigende Camara im Lauf der letzten Monate immer mehr auch für die restlichen Junta-Mitglieder zu einem Problem entwickelt haben könnte und deshalb „entsorgt“ werden sollte. Insbesondere nachdem Armee und Polizei am 28. September ein blutiges Massaker an den Teilnehmern einer großen Kundgebung der Oppositionsparteien im Fußballstadion von Conakry begangen hatten, bei dem mehr als 150 Menschen getötet wurden. Das führte zu einem Aufschrei der Empörung nicht nur im Land selbst und bei der Afrikanischen Union (AU), sondern auch in den Führungszir-

Inzwischen haben „Vermittler“ der „Internationalen Kontaktgruppe für Guinea“, der neben der Wirtschaftsgemeinschaft der Staaten Westafrikas (CEDEAO) und der AU auch die EU angehört, den „Interimschef“ Konaté aufgefordert, rasch einen „friedlichen Übergang“ zu „demokratischen und transparenten Wahlen“ vorzunehmen. Die USA haben zu erkennen gegeben, dass sie bereit sind, Konaté zu unterstützen. Auch seitens der Oppositionsparteien wurde Bereitschaft zu Gesprächen mit dem neuen Machthaber bekundet. Allerdings bleibt abzuwarten, ob es angesichts der tiefen Gegensätze innerhalb der führenden Kreise des Landes und auch innerhalb der Armee tatsächlich zu einem Abkommen zur „Stabilisierung“ der Situation in Guinea kommen wird. Dies ist jedenfalls der dringende Wunsch der in Guinea tätigen internationalen Konzerne, der EU und der USA. Denn in Guinea lagert die Hälfte der Weltvorkommen an Bauxit. Außerdem gibt es andere wertvolle Rohstoffe in dem Land. Kürzlich wurden Uranvorkommen entdeckt. 51 Prozent der „Compagnie des Bauxites de Guinée“, die den Rohstoff für die Aluminiumherstellung abbaut, gehören dem US-amerikanischen Helco-Konzern (49 % noch dem Staat Guinea). Hinter Helco wiederum steht der weltweit agierende US-Aluminiumkonzern Alcoa. Pierre Poulain


Donnerstag, 24. Dezember 2009

unsere zeit

Internationale Politik / Seite 11

Hilfe für die Opfer des Gaza-Kriegs

Neue Regierung fördert Hass

DKP will traumatisierten Kindern und Jugendlichen helfen

Antisemitische Attacken in Moldawien

Im palästinensischen Gazastreifen vegetieren 1,5 Millionen Menschen auf nur 360 Quadratkilometern, die Hälfte davon Kinder und Jugendliche. Sie leiden besonders unter den Folgen der jahrelangen Hungerblockade durch Israels Machthaber im „größten Freiluftgefängnis der Welt“. Es mangelt an allem: Wasser, Strom, Brennstoff, Baumaterial, Lebensmitteln, Medikamenten, Schulbüchern und Spielzeug. Ohne Hilfe des UN-Flüchtlingshilfswerkes UNWRA wären viele zum Hungertod verurteilt. Schon der alltägliche Kampf ums nackte Überleben lässt nur wenige Nischen für ein kinder- und jugendgerechtes Leben. Der israelische Angriff vor einem Jahr, in dessen Verlauf die israelische Armee laut Goldstone-Bericht gegen die Genfer Konvention verstoßen hat, Soldaten absichtlich getötet, gefoltert und unmenschlich gehandelt haben, hat die Lage noch verschlimmert. Viele Kinder und Jugendliche wurden durch die Ereignisse traumatisiert. Einigen von ihnen mit der Unterstützung von Psychologen und Sozialarbeitern bei der Überwindung ihrer Traumata zu helfen ist das Anliegen eines Solidaritätsprojektes, das der Parteivorstand der DKP beschlossen hat. Für dieses sollen Spendengelder ab jetzt bis zu den Ostermärschen 10 500 Euro gesammelt werden.

Partner vor Ort bei dieser Solidaritätsaktion wird die Demokratische Volksbefreiungsfront Palästinas sein, deren entsprechende Bitte um Unterstützung den Anstoß gab. Die DFLP ist eine marxistisch orientierte Befreiungsorganisation, die als erste schon in den siebziger Jahren für eine Zwei-Staaten-Lösung im Nahen Osten eintrat und Kontakte zu

nahe stehenden sozialen Organisationen bilden gemeinsam mit anderen laizistischen Kräften einen gewissen Gegenpol gegen reaktionäre Gesellschaftsentwürfe. Der dreiwöchige Krieg Israels gegen die Palästinenser im Gazastreifen hatte neben dem Tod von mehr als 1 400 Menschen auch materielle Schäden in Höhe

Spenden für das Solidaritätsprojekt auf folgendes Konto des DKP-Parteivorstands – Internationale Solidarität: Postbank Köln, BLZ 370 100 50 Konto-Nummer 253 525 - 502 Stichwort: Solidarität mit Palästina fortschrittlichen Organisationen in Israel knüpfte. Sie lehnt den bewaffneten Kampf in Palästina nicht ab, spricht sich aber für eine Beschränkung auf militärische Ziele aus. In ihrem Umfeld wirken verschiedene soziale und Selbsthilfeorganisationen sowohl in Palästina als auch in den in umliegenden arabischen Staaten liegenden Flüchtlingslagern. In Europa bekannt ist insbesondere die Frauenorganisation NASDEH. Der in weiten Bereichen dominierende Einfluss fundamental-islamischer Kräfte rührt auch von der guten materiellen Ausstattung ihrer Hilfsorganisationen her, die reichlich Spenden aus der islamischen Welt erhalten. Die DFLP und die ihr

von 4 Milliarden US-Dollar verursacht. Dies ist das Dreifache der jährlichen Wirtschaftsleistung des Gebietes an der Nahtstelle von Afrika und Asien. So schlecht wie derzeit ist die Lage seit 1967 nicht mehr gewesen. Zur desolaten Wirtschaftslage kommt die schlechte Wasserversorgung für die 1,5 Millionen Menschen in dem abgeriegelten Gebiet. Jahrtausende wurde das Gebiet durch Grundwasserströme aus dem Norden versorgt. Heute pumpen 27 israelische Brunnen an der Grenze zum Gazastreifen das Wasser ab. Die Blockade verhindert die Einfuhr von Ersatzteilen und Benzin für Pumpen und Klärwerke, wodurch Abwasser ungeklärt versickern

oder ins Meer laufen. Israel blockiert aber nicht nur die Lieferung von Hilfsgütern, es will auch verhindern, dass man sich in Europa und anderswo ein eigenes Bild von der Lage in Gaza macht. Trotz Protesten des EU-Parlaments wurde erst Anfang Dezember einer Delegation von Parlamentariern aus sieben EU-Ländern vor Ort die zuvor zugesagte Einreise verweigert. Die DKP will nicht nur in den eigenen Reihen, sondern auch bei Freunden der Partei, Gewerkschaftern und Angehörigen sozialer Bewegungen für die Unterstützung des Hilfsprojektes Spenden sammeln. Humanitäre Hilfe ist wichtig, sie wird aber gepaart sein mit Protest gegen die meist völlig kritiklose Unterstützung der völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik Israels durch die Bundesregierung. Uri Avnery bezeichnete einmal jene als die wahren Freunde Israels, die für eine Friedenslösung auf Grundlage der UN-Resolutionen eintreten. Und das hieße unter anderem sofortige Beendigung des Siedlungsbaus, Auflösung der Siedlungen in einem überschaubaren Zeitraum und die Bildung eines palästinensischen Staates mit Ostjerusalem als Hauptstadt. So könnte aus einem Pulverfass eine Region werden, in der Israelis und Palästinenser als Nachbarn friedlich zusammenleben. Volker Metzroth

CGT-Kongress – streckenweise turbulent Kritische Debatte französischer Gewerkschafter über Strategie und Kampfformen Es ging teilweise hoch her auf dem 49. CGT-Kongress, der vom 7. - 11. Dezember in der westfranzösischen Stadt Nantes stattfand. Bei der Tagung des größten französischen Gewerkschaftsbundes hatte sich erstmals eine lautstarke Opposition „von links“ zu Wort gemeldet. Am Rednerpult lösten sich viele „linksradikale“ Kritiker mit heftigen Angriffen auf die Führungsspitze ab. Teilweise wurden Redner durch massive Zwischenrufe unterbrochen, Emotionen kochten hoch. Das hinderte die rund 1000 Delegierten allerdings nicht, am Schluss mit Quoten zwischen 70 und 80 Prozent die vorgelegten Resolutionen zu beschließen. Der bisherige Generalsekretär Bernard Thibault wurde mit 88,4 Prozent der Stimmen zum vierten Mal für drei Jahre wiedergewählt. Und zum Abschluss sangen alle gemeinsam die Marseillaise und danach mit erhobener Faust die Internationale. Die CGT wird noch immer gern als „kommunistische Gewerkschaft“ etikettiert, obwohl die Führung schon seit mehr als fünfzehn Jahren darauf Wert legt, ihre politische Unabhängigkeit von allen Parteien zu betonen. Die frühere enge Verbindung zwischen CGT und Französischer Kommunistischer Partei (PCF) wurde vor Jahren durch das Ausscheiden des CGT-Vorsitzenden aus dem Zentralkomitee der PCF auch formell gelöst. Zum Unterschied von den konkurrierenden „reformistischen“ Gewerkschaftsbünden betont die CGT allerdings nach wie vor ihren Charakter als „klassenorientierte“ Gewerkschaft. Die Diskussion auf dem CGT-Kongress drehte sich in der Hauptsache um die gewerkschaftliche Strategie in Zeiten der Krise und ihre Durchsetzungsfähigkeit gegenüber der harten Haltungen der Unternehmverbände und einer rechtsorientierten neoliberalen Regierung, wie sie ähnlich auch in anderen EU-Staaten zur Debatte steht. Der Rechenschaftsbericht des CGT-Führungsgremiums konnte zwar mit einiger Genugtuung darauf verweisen, dass die CGT ihren Platz als „erste Gewerkschaft Frankreichs“ trotz verstärkter Angriffe erfolgreich bewahrt hat. Sichtbar wurde dies u. a. im Ergebnis der letztjährigen Wahlen zu den „Betriebskomitees“ (ähnlich deutschen Betriebsräten) bzw. Vertrauensleutewahlen, bei denen die CGT mit 34 Prozent im Landesdurchschnitt an der Spitze lag, weit vor den konkurrierenden Gewerkschaftsbünden CFDT (22 %) oder „For-

ce Ouvrière“ (16 %). Die Mitgliederzahl der CGT hielt sich mit rd. 655 000 auf gleicher Höhe wie vor drei Jahren, obwohl wirtschaftliche Umstrukturierungen zum Wegfall früher wichtiger Wirtschaftszweige mit traditionell hohem Organisationsgrad geführt hatten. Allerdings waren von den 56 000 angegebenen Neuaufnahmen seit dem letzten Kongress nur 19 Prozent unter 30 Jahren alt, was auf Probleme bei der Gewinnung junger Mitglieder verweist. Zur Mitgliedschaft gehören auch ca. 117 000 Renterinnen und Rentner, sodass die Zahl der noch in Unternehmen tätigen CGT-Mitglieder nur wenig über 500 000 liegt. Im Verhältnis zu den ca. 24 Millionen Beschäftigten insgesamt in Frankreich macht dies nur wenig mehr als 2 Prozent aus. Insgesamt sind rund 8 Prozent der Beschäftigten Frankreichs in den acht größeren Gewerkschaftsbünden organisiert. Die wichtigste Frage in der Debatte war die nach den Möglichkeiten und Mitteln, wie sich die Gewerkschaften unter den Bedingungen der Krise und des Sarkozy-Kurses erfolgreicher zur Wehr setzen

und bessere Ergebnisse erkämpfen können. Die CGT-Führung konnte zwar auf die großen gemeinsamen Kampfaktionen der acht Gewerkschaftsbünde am 29. Januar und 19. März d. J. mit mehr als 3 Millionen Beteiligten verweisen, an deren Zustandekommen sie maßgeblich mitgewirkt hat. Doch nach der Sommerpause war zwischen den beteiligten Gewerkschaftsbünden keine Einigung mehr über eine Fortführung oder gar Verstärkung dieser Aktionen bis hin zu einem landesweiten Generalstreik zu erreichen. Faktisch konnten Unternehmer und Regierung trotz der demonstrierten Gegenwehr ihre Vorhaben ohne große Abstriche durchsetzen. Das ließ Fragen nach dem Sinn und der Wirksamkeit der von der CGT-Führung verfolgten Strategie und des Strebens nach Einheit mit den „reformistischen“ Gewerkschaftsbünden laut werden. Vor diesem Hintergrund entwickelte die „linke“ Opposition heftige Kritik. Eine Gruppe von Gewerkschaftern, die sich um den Regionalsekretär der CGT-Metallarbeitergewerkschaft des Bezirks Nord-Pas-de-Calais, Jean-Pierre Delan-

noy, gesammelt hatte, nutzte die Situation, um der Führung unter Thibault eine Öffnung der CGT für eine „Politik der Klassenkollaboration“ vorzuwerfen. Die CGT sei dabei, sich in ein bloßes Anhängsel des reformistischen Gewerkschaftsbundes CFDT zu verwandeln. Statt einer eigenen klassenkämpferischen Linie betreibe sie nur noch eine Politik der „Gewerkschaftseinheit von oben“ und sei nur noch zu einem Kurs der „sozialen Begleitung“ der Regierungs- und Unternehmerpolitik fähig. Von der amtierenden Führung her wurde darauf mit dem Argument reagiert, dass kein Gewerkschaftsbund in Frankreich heute allein in der Lage sei, den Lauf der Dinge zu ändern. Das Bemühen um gemeinsame Aktionen und Gewerkschaftseinheit und sei deshalb unerlässlich. Man könnte sich die Partner dabei aber nicht aussuchen – auch nicht bei Verhandlungen und Abschlüssen mit Unternehmerverbänden und Regierungsstellen. Zugleich warnte die CGTSpitze vor „fraktioneller Spaltertätigkeit“, die von „linksradikalen“ Kreisen wie „Lutte Ouvrière“ („Arbeiterkampf“) und der „Neuen Antikapitalistischen Partei“ (NPA) aus Gründen der parteipolitischen Konkurrenz gegen die PCF und das von ihr unterstützte Bündnis der „Linksfront“ in die CGT hineingetragen werde. Eine „Kampfkandidatur“ von Delannoy gegen Thibault bei der Wahl der neuen Führung und das damit verbundene „Kräftemessen“ kam am Ende aber nicht zustande, weil Delannoy seine Kandidatur zum Generalsekretär zwar in Presseinterviews angekündigt, aber nicht innerhalb der Organisation statutengemäß angemeldet hatte, sodass sein Name nicht auf den Stimmzettel aufgenommen werden musste. Der Kongress beschloss am Ende mit der großen Mehrheit von drei Vierteln der Delegierten das Festhalten am Kurs der Gewerkschaftseinheit mit den anderen Gewerkschaftsbünden, aber zugleich die Entwicklung einer umfassenden eigenständigen Forderungskampagne der CGT im Frühjahr 2010 mit den Schwerpunkten Arbeitsplätze, Löhne, Kaufkraft und Renten. Eine weitere Kampagne soll für die Verteidigung und Förderung der öffentlichen Dienste entwickelt werden. Außerdem wurde die Teilnahme an der für den 24. März geplanten „Euromanifestation“ des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) beschlossen. Pierre Poulain

Aus den Parlamentswahlen vom 29. Juli 2009 in Moldowa ist die „Partei der Kommunisten der Republik Moldowa“ (PKRM) erneut mit weitem Abstand als stärkste Partei hervorgegangen. Nach achtjähriger Regierungsverantwortung hat sie allerdings ihre absolute Mehrheit verloren. Das hat den übrigen im Parlament vertretenen Parteien, die ein militanter Antikommunismus verbindet, die Möglichkeit verschafft, gemeinsam eine Koalitionsregierung zu bilden. Durch den von ihr eingeschlagenen antikommunistischen und nationalistischen Kurs fühlen sich ultrarechte, nationalistische und antisemitische Kräfte offenbar ermuntert, nun wieder offen hervorzutreten. So verübten orthodoxe Antisemiten in der Hauptstadt Kischinew (Chisinau) unlängst einen Anschlag auf das jüdische Lichterfest Chanukka. Dieses wird aus Anlass eines „Wunders“, das sich vor etwa 2 000 Jahren in Jerusalem zur Rettung des jüdischen Volkes ereignet haben soll, eine Woche im Dezember von den Juden in aller Welt gefeiert. Zeichen dieses Festes ist der Chanukkia, ein Leuchter mit 8 Kerzen. Der Leuchter war im Europapark im Zentrum der Stadt aufgestellt worden. Am Sonntag dem 13. Dezember zog dann eine Gruppe von mehr als 100 Kirchgängern einer nahe gelegenen orthodoxen Kirche mit dem Popen an der Spitze, antisemitische Parolen skandierend, zum Chanukkia. Die jüdische Reliquie wurde umgestürzt und weggeschleppt. An ihrer Stelle errichteten die Antisemiten ein christliches Kreuz. Mit einem Aushang an der Kirche dieser orthodoxen Gemeinde, in dem die ungeheuerliche Behauptung aufgestellt wurde, dass Juden christliche Säuglinge erschlagen, waren Gottesdienstbesucher und Passanten bereits einen Monat zuvor gegen ihre jüdischen Mitbürger aufgehetzt worden. Weder von der neuen Regierung des Landes noch von den Behörden Kischenews wurde etwas gegen diese Provokationen unternommen. Mehr noch, bei den Ereignissen am 13. Dezember waren Milizionäre der Stadt zugegen und haben zugesehen. Die jüdischen Gemeinden in Moldowa und die Kommunistische Partei der Republik Moldowa haben gegen die antisemitischen Provokationen scharfen Protest erhoben. In einer am 14. Dezember veröffentlichten Erklärung der PKRM wird insbesondere auf den Zusammenhang mit der von der neuen Regierung geschaffenen Atmosphäre im Land hingewiesen. Die PKRM – so wird betont, „hat wiederholt die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die gefährlichen Tendenzen hingewiesen, die in den Handlungen und Äußerungen der Führer der sog. Liberalen Parteien deutlich werden, die heute Moldowa regieren. Die Heroisierung der Anführer des Nazismus und Faschismus, die offenen Beleidigungen an die Adresse der Vertreter bestimmter Nationalitäten ... durch die Führer und Repräsentanten dieser Parteien, die provokatorische Informationspolitik in den elektronischen Massenmedien, all das ist Ausdruck der politischen Handschrift und der Mentalität der Führer der sog. Allianz für europäische Integration (so der Begriff unter dem sich das gegenwärtige Regierungsbündnis sammelt – W. G.). Gerade diese besondere Atmosphäre der Gesetzlosigkeit und des Fehlens jedweder moderner Werteorientierungen ist es, die in Moldowa erneut einen bei uns längst vergessenen Dunstkreis von Unduldsamkeit zwischen den Nationalitäten, von Obskurantismus und Dunkelmännertum, von sanktionierter Fremdenfeindlichkeit formiert.“ Die PKRM fordert von der Generalstaatsanwaltschaft eine gründliche Untersuchung der verbrecherischen antisemitischen Handlungen und eine harte Bestrafung der Schuldigen. Willi Gerns


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unsere zeit

2009 das Jahr der ersten Etappe der Krise geht zu Ende 2010 muss das Jahr des Widerstandes gegen die Krisenauswirkungen, für Alternativen und Perspektiven werden Den 19. Parteitag als Chance zur Stärkung der DKP und UZ nutzen! Es kommt darauf an die Welt zu verändern!

Die Gegenwart mag trügen Die Zukunft bleibt uns treu Ob Hoffnungen verfliegen Sie wachsen immer neu. Karl Liebknecht

Ein erfolgreiches Jahr 2010 für unsere gemeinsame und gerechte Sache, für eine starke DKP und für viele neue UZ-Leser wollen wir gemeinsam mit Euch eintreten. DKP-Gruppe Altdorf

DKP-Gruppe DKP-Gruppe Lauf / Peg. Röthenbach / Peg.

DKP - Kreisvorstand Nürnberger Land Auch 2010 – wieder ein Jahr, in dem wir für unsere Interessen kämpfen müssen und viele Diskussionen führen werden! Lasst es uns angehen. Liebe Genossinnen und Genossen, der Kreisvorstand wünscht Euch auf diesem Wege schöne Feiertage und alles Gute für das Neue Jahr 2010. DKP Frankfurt/Main

Donnerstag, 24. Dezember 2009 All unseren Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunden herzliche Neujahrsgrüße und gute Wünsche für Gesundheit und Familie für ein solidarisches Miteinander für einen zuversichtlichen Blick auf das Neue Jahr und die weitere Zukunft. Gerda und Herbert Mies Allen Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunden, die besten Wünsche und ein erfolgreiches Neues Jahr 2010 Herzlichen Dank an alle GenossInnen, die im vergangenen Jahr mitgeholfen haben, in den außerparlamentarischen Auseinandersetzungen, den Wahlkämpfen und beim UZ-Pressefest, die DKP zu stärken und ihre politischen Vorstellungen zu verbreiten. Euch allen ein paar erholsame Feiertage und ein gutes, gesundes und friedliches neues Jahr. Rheinland-Pfalz Eduard Bredin, Dieter Gottlieb, Volker Metzroth, Silvia Schall SprecherInnen des Bezirkvorstands

Wir wünschen allen Genossinnen und Genossen, den Leserinnen und Lesern der UZ erholsame Feiertage und ein gesundes und erfolgreiches Jahr 2010 Annegret und Willi Gerns Allen Genossinnen und Genossen, Freunden und UZ-Lesern wünschen wir Gesundheit, erholsame Feiertage und ein gutes und friedliches Neues Jahr 2010. Schluss mit Kriegspolitik – raus aus Afghanistan. Bringen wir uns ein im Kampf gegen Sozialabbau und für die Verteidigung der demokratischen Rechte!

„WIDERSTAND BRAUCHT DAS LAND!“

DKP Kreisvorstand Hagen

war das Motto unserer Bezirksmitgliederversammlung im November. Der DKP-Bezirksvorstand Baden-Württemberg dankt Euch allen für die Anstrengungen, dieses Motto mit vielen Aktivitäten im (fast) abgelaufenen Jahr mit Leben erfüllt zu haben. FÜR 2010 WÜNSCHEN WIR EUCH UND UNS ALLES GUTE, VIEL KRAFT, ENERGIE UND IDEEN! Bei unserer nächsten Bezirks-Mitgliederversammlung am 26. Juni wollen wir nicht nur feststellen können: „MEHR WIDERSTAND GIBT'S IM LAND“, sondern auch: „MEHR KOMMUNISTEN GIBT'S IM LAND!“ Der Jahresauftakt wird wie immer unser Offenes Treffen am 6. Januar um 10.00 Uhr in der Gaststätte Friedenau in Stuttgart sein.

„Wer die Welt verändern will, muss sie erkennen. Wer sich befreien will, braucht Genossinnen und Genossen. Wer Kraft entfalten will, muss sich organisieren. Wer ein freies, menschliches Leben erringen, die Zukunft gewinnen will, muss kämpfen.“

Wir wünschen allen Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunden, ruhige und erholsame Feiertage und ein gesundes und kämpferisches Jahr 2010! DKP Darmstadt-Dieburg DKP Reinheim – Vorstand und Stadtverordnetenfraktion DKP Darmstadt

Ein kämpferisches, erfolgreiches Neues Jahr bei bester Gesundheit mit viel Elan zum 19. Parteitag zur Stärkung der Partei wünscht allen Freunden, Genossinnen und Genossen die Elmshorn Vormerken: „Wasserturm“-Fest am Samstag, den 21.08.2010

Wir wünschen allen Genossinnen und Genossen Kraft, Optimismus und Gesundheit für die vor uns stehenden Herausforderungen in unserem Kampf gegen Sozialabbau, Rechtsentwicklung und Kriegseinsätze im Jahr 2010!

DKP-Bezirksvorstand Hamburg

Genossen, hoch die Gläser, wir stoßen auf Euch an. Wie leicht vergisst man doch im Kampf den eignen Nebenmann! (Oktoberklub)

Den Mitgliedern und Freunden unserer Kommunistischen Partei erholsame Feiertage und ein kämpferisches Jahr 2010! Spucken wir der Kriegstreibern und Sozialräubern kräftig in die Suppe. Glück auf! Deutsche Kommunistische Partei Kreisorganisation Recklinghausen

Diese Welt muss besser werden! Dafür zu kämpfen wünsche ich allen für das neue Jahr Kraft und Gesundheit.

Ilse Werner Stuttgart Allen Kameradinnen/Kameraden, Genossinnen/ Genossen wünschen wir ein ruhiges Weihnachtsfest ein, gutes neues Jahr und die erforderliche Kraft, unsere Gesellschaft zu verbessern, und natürlich ein Wiedersehen in „Heideruh“ Euer Heideruh-Team

Allen Genossinnen und Genossen wünschen wir ein kämpferisches, friedliches und solidarisches

Neues Jahr 2010 Gruppe Köln-Innenstadt Für eine stärkere, aktive & attraktive DKP! Allen Genossinnen und Genossen, UZ-Lesern und Freunden wünschen wir erholsame Feiertage und viel Kraft für die vor uns liegenden Aufgaben im Neuen Jahr 2010! DKP Kreisvorstand Köln KMV zur Aufstellung der Landtagskandidaten am Dienstag, 12. Januar 2010 um 19 Uhr im Freidenkerzentrum, Bayenstraße 11, Köln-Südstadt Und wenn im Kampfe selbst die Mehrheit der Werktätigen – nicht nur die Mehrheit der Arbeiter, sondern die Mehrheit aller Ausgebeuteten und Unterdrückten auf unserer Seite stehen wird, dann werden wir wirklich siegen. W. I. Lenin

Allen Kommunistinnen und Kommunisten, allen Freunden der DKP vom Rhein bis zur Oder, von Rügen bis Berchtesgaden, wünschen wir ein erfolgreiches und klassenkämpferisches

2010 Ein besonderer Gruß geht an unsere Genossinnen und Genossen nach Esch-sur-Alzette der KPL, sowie die Genossinnen und Genossen der Partei Die Linke, Kreis Zwickau. Deutsche Kommunistische Partei Stadtbezirk VIII Köln-Kalk „Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt.“ (Karl Marx: Aus der Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie)

Die große Spekulationskrise und der Krieg in Afghanistan sind, als die zwei Seiten einer Medaille, längst auch in Nordhorn angekommen. Auf der Range, dem Bombenabwurfplatz, wird immer noch mit Düsenjets der Krieg geprobt. Das Ende der Textilindustrie vor Ort war lange vor dem Crash eine Auswirkung kapitalistischer Wirtschaft, die sich um Menschen nicht kümmert, die notfalls mit Staatsgewalt und Waffen gegen Hindernisse vorgeht. Wir sind nicht viele, und unsere kleine Grafschaft ist nicht der Nabel der Welt. Mut und Engagement sind aber auch hier keine Fremdwörter. Und wer genug Kraft hat, hat auch Kraft zur Gegenwehr. Dazu wollen wir auch im kommenden Jahr beitragen. Wir wünschen allen Genossinnen, Genossen und Freunden ein besinnliches Fest und viel Mut und Kraft für das Neue Jahr! DKP-Kreisvorstand Nordhorn-Lingen Herbert Ranter, Ralf Czogalla DKP im Kreistag Landkreis Grafschaft Bentheim Herbert Ranter DKP-Fraktion im Rat der Stadt Nordhorn Herbert Ranter, Andreas Mersmann

DKP / Karl-Liebknecht-Schule Am Stadtpark 68, 51373 Leverkusen Tel: 0214 / 45418 – Fax: 0214 / 46450 e-mail: karl-liebknecht-schule@web.de Wir starten mit folgenden Veranstaltungen im Jahr 2010: Fortsetzung des Fernstudiums mit Abschnitt III 30. Januar von 11.00 bis 17.30 Uhr Her mit der Bildung – Bildung für Alle – Alternativen für NRW – Schülerstreiks 6./7. Februar IT-Lehrgang III Der Computer als moderne Schreibmaschine. Textverarbeitung, -formatierung, Adressbanken 20. Februar von 14.00 bis 17.30 Uhr K-Treff 1: Arbeitereinheit rettet Republik. 50 Jahre Kapp-Putsch und Rote-Ruhr-Armee. Referent. Prof. Dr. Heinz Karl Wir wünschen allen unseren Förderern und Freunden erholsame Feiertage, einen guten Rutsch ins Neue Jahr und uns allen ein Vorankommen im Jahre 2010. Und immer dran denken: Wir brauchen Eure Solidarität. Karl-Liebknecht-Schule der DKP, Am Stadtpark 68, 51373 Leverkusen Konto 0101005064 ? BLZ 37551440 www.dkp.de/KLS oder karl-liebknecht-schule@web.de

Solingen muss wieder rot werden! Wir arbeiten daran! In diesem Sinne wünschen wir allen Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunden, allen, die unsere Stadtzeitung „Klingenstadt“ lesen, allen, die uns mit Spenden unterstützen oder sonst helfen, allen, mit denen wir in Initiativen und Organisationen zusammenarbeiten, auch für das neue Jahr Optimismus und Freude am gemeinsamen Wirken für eine andere Politik in diesem Land. Widerstand braucht das Land! Mehr Rot braucht die Welt! DKP Solingen – Redaktion „Klingenstadt“ Allen Freundinnen und Freunden, Genossinnen und Genossen ein ruhiges und erholsames Weihnachtsfest, Gesundheit und Frieden für das kommende Jahr. Einen Parteitag, aus dem wir einheitlich und gestärkt hervorgehen.

Lasst uns also im nächsten Jahr kräftig singen und tanzen! Uns allen wünschen wir revolutionären Elan für das Jahr 2010

Margot Konetzka, Bremen

DKP Aachen SDAJ Aachen

Die Karl-Liebknecht -Schule braucht deine Solidarität KTO: 0 101 005 064 • BLZ: 375 514 40 • Sparkasse Leverkusen


Donnerstag, 24. Dezember 2009

unsere zeit

Feuilleton / Seite 13

Die erschreckende Wirklichkeit Indiens Und das Wort ward Fleisch Aravind Adigas „14 Geschichten aus sieben Tagen“ Gerd Semmer:

Wie nicht anders erwartet: Aravind Adiga setzt auch mit seinem neuen Buch die in dem international ausgezeichneten Roman „Der weiße Tiger“ praktizierte scharfe Kritik an den derzeitig herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen Indiens fort. Der Titel des Werkes: „Zwischen den Attentaten“; sein Genre: 14 lose durch den Ort des Geschehens, die fiktive südindische Stadt Kittur, verbundene „Geschichten“ aus sieben Tagen. Angespielt im Titel wird auf zwei terroristische Ereignisse: das an Indira Gandhi 1984 verübte Attentat sowie auf den Mord an ihrem Sohn Radjiv von 1991, womit sich der Zeitraum der Handlungen ergibt, über die wir allerdings sagen müssen, dass sie ihrem Wesen nach unbesehen in die Gegenwart reichen. Erneut begegnen wir den unteren und untersten Schichten der indischen Bevölkerung und ihrem unbarmherzigen Kampf um das tägliche Leben sowie den ihnen überliegenden Schichten in ihrer Brutalität und moralischen Verkommenheit, wenn es um gesellschaftliche Macht, um Profit und das eigene Wohlleben geht. Die vom Autor gewährten Einblicke in die Kämpfe der Klassen bleiben spärlich, da diese selbst – im Gegensatz zu ihrer historischen Notwendigkeit und andererseits gelähmt vom Kastengeist – spärlich erscheinen. Oben und Unten sind weit voneinander entfernt. Hier die Paläste, dort die Slums. Dazwischen räkelt sich eine anwachsende und sich rigoros sättigende Mittelschicht mit ihren übersteigerten Ansprüchen an Lebensqualität und Konsum. Die 14 „Geschichten“ aus den sieben Tagen nachvollziehen zu wollen, hieße, dem Leser die Lust an der Lektüre zu nehmen. Deshalb wollen wir, summierend sozusagen, einen Blick auf einige von Adiga berührte und bewertete gesellschaftliche Zustände werfen. Es gibt dabei, um aus eigener fünfjähriger indischer Erfahrung zu sprechen, keine wesentlichen Ansatzpunkte zur Kritik, die Adiga in seinen realistischen Erzählungen ausgelassen hat. Bestechung und Korruption, Rauschgifthandel und Prostitution, Umweltverschmutzung und der „beschissene Lohn eines Unberührbaren“, gewerbsmäßiger Autodiebstahl und organisierte Bettelei, die Steinigung eines Hundes und die städtischen Müllweideplätze der Heiligen Kühe, Obdachlose, Kinderarbeit, das unsägliche Elend von Mädchengeburten bei denen da unten, das bejammernswerte Dasein der Rikschakulis, der sich ausbreitende Analphabetismus und der sorg-

sam „behütete“ Glaube an eine Wiedergeburt mit besseren Lebensbedingungen sind einige der bitteren Fakten dieses Buches. Einer der Rikschafahrer sagt, was er denkt: „Wer in diesem Land arm geboren wird, ist dazu verdammt, arm zu sterben. Für uns gibt es keine Hoffnung und keinen Grund für Mitleid. Ich bin neunundzwanzig Jahre alt. Ich bin jetzt schon gebeugt und ausgelaugt ...“ Über Indien im Allgemeinen lässt Adiga den Lehrer Mr. D’Mello urteilen: „Indien war einst von drei Mächten beherrscht worden: England, Frankreich und Portugal. Heute waren an deren Stelle drei hausgemachte Übeltäter getreten. Betrug, Stümperei und Hinterhältigkeit.“ Das Fazit: Immer wieder auftretende Niedergeschlagenheit und Resignation. Selbst dort, wo sie nichts zu suchen haben: bei den linken Parteien Indiens, der Kommunistischen Partei Indiens, der Marxistischen Kommunistischen Partei Indiens und der Maoistisch-Marxistischen Partei Indiens. In Gesprächen des Genossen Thimma, eines Funktionärs der MMPI, erfahren wir, dass sich seine Partei nicht als „Partei der Armen“, sondern als „Partei des Proletariats“ versteht. An anderer Stelle lässt Adiga Thimma sagen, dass Karl Marx die Menschen für „zu anständig“ gehalten habe, was der Grund dafür sei, dass der Kommunismus „überall aussterben“ werde. Murali, ein Journalist, zeitweilig politischer Weggefährte von Thimma, war einst angetreten, um „einen Feind“ zu besiegen: das „alte, schlechte Indien der Kasten- und Klassenprivilegien, das Indien der Kinderehen, misshandelten Wit-

wen und ausgebeuteten Unterprivilegierten ...“ Erlebte Korruption veranlasst ihn, von der Kongresspartei zu den Kommunisten zu gehen. Da er auch dort auf Bestechlichkeit stößt, „wechselte er von einer kommunistischen Partei zur nächsten“. Sein erschreckendes Resümee beim Anblick eines alten Plakates, das zeigt, wie die „Proletarier ... zum Himmel emporsteigen, um die alten Götter zu stürzen“ : „Die Kommunisten waren erledigt. Das hatte der Besucher aus Europa gesagt. Und sämtliche Zeitungen sagten das auch. Irgendwie hatten die Amerikaner gewonnen. Genosse Thimma würde zwar immer noch weiter reden, aber es gab nichts mehr, worüber sich reden ließ, weil Marx verstummt war. Die Dialektik war zu Staub zerfallen. So wie Gandhi, so wie Nehru. Draußen in den Straßen Kitturs fuhren die jungen Leute mit nagelneuen Suzukis herum, aus denen westliche Popmusik plärrte.“ Murati gibt seine Mitgliedschaft in der Maoistisch-Marxistischen Partei Indiens endgültig auf, um sich enttäuscht „Bernstein, Trotzki und all den anderen Renegaten“ anzuschließen. Thimma jedoch bleibt. Ein Hoffnungsfunken?! „Zwischen den Attentaten“ ist ein Werk mit sehr bitteren Einsichten, einer nachhaltigen Gesellschaftskritik, vielen resignativen Tönen und überaus ernst zu nehmenden Mahnungen aus der Dritten Welt, die nicht nur zum Nachdenken drängen sollten. Bernhard Igel Aravind Adiga, Zwischen den Attentaten. Geschichten aus einer Stadt. Aus dem Englischen von Klaus Modick.C.H.Beck, München 2009, 384 S. 19,90 Euro.

Foto: dpa

„Wer in diesem Land arm geboren wird, ist dazu verdammt, arm zu sterben.“

Alles voller Dampf hier

Es kam das Kind in unsere Welt, um die war es nicht zum besten bestellt. Die armen Leute und Weisen eilten sofort aus Ost und West, zu hören das neue Wort. König Herodes hatte es kaum vernommen. da kam er schon mit hundert frommen Kriegern, um alle Kinder zu schlachten, die ihm etwa nach dem Leben trachten. Die Mutter hat früh davon geträumt. Der Vater hat den Esel aufgezäumt. Sie flüchteten das Kind nach dem Süden. Das neue gefährliche Wort hieß – Frieden.

LuftSchlagOberst Klein-MyLai: Wenn ein Jung-Freiherr Frauen aus der Burka freibombt dann gibts den passenden Freispruch! Gutti geht in die Offensive! Dem Luftschlag folgt der Befreiungsschlag: der Gesalbte Freiherr unterbreitete gestern den Vorschlag eines weiteren Nationalen Feiertages. In Absprache mit dem heiligen Vater soll dem Karfreitag jetzt der Burkafrei-Tag folgen oder vorausgehen und den internationalen Frauentag würdig ersetzen. Unter der Schirmherrschaft von Christina Köhler, der Extremismus-Familien-Päpstin, wird der Burka-Befreiungs-Tag mit dem Motto: „FrauenRechte ohne Grenzen“ zum ersten Mal 2010 am 5. März als Beitrag zur Befriedung Afghanistans, Pakistans, des Iran, des Sudan, Somalias, usw. ... gefeiert. Als Überraschungs-Luftschlag landet die Bundeswehr auf dem zentralen Festgelände im Berliner Olympia-Stadion mit 20 Kampfhubschraubern, denen – sozusagen als Sahnehäubchen – die bisher als geheime Komandosache aufgebaute Bundeswehr-Frauen-Big-Band entsteigen und anschließend die verswingte Nationalhymne spielen wird – dirigiert von Christina Köhler, Angela Merkel und Alice Schwarzer ... Ehrengast: LuftschlagOberst Georg Klein-MyLai, der vorschlug den Gedenktag auf den 16. März zu legen, sich aber nicht durchsetzen konnte, weil IM Angela schnell noch Mal gegoogelt hatte. Wenn ein Jung-Freiherr Frauen aus der Burka freibombt – (bereits am 27. Oktober 2009 geschrieben –aber immer noch brandaktuell!) Wer Frauen aus der Burka bombt, muss das ja irgendwie als „womens-lib“ verkaufen. Und all die anderen daneben befreit man mal so eben bombersicher aus ihrem unterdrückten Leben. Hartmuth Barth-Engelbart, 16. Dezember 2009

Von Leander Sukov Ich habe gar nichts gegen Kapitalisten. Ich habe etwas gegen den Kapitalismus. Ich habe ja auch nichts gegen Pestbeulen. Ich habe etwas gegen Pest. Penicillin zum Beispiel. Beim Kapitalismus ist das nicht so einfach. Und offenbar herrscht eine ziemliche Verwirrung über das Ding an sich und das Ding für sich, wenn ich mich mal so klassisch ausdrücken darf. Der Kapitalist, um es einfach zu sagen, also die Leute in den Vorständen und ihre Subalternen tun, was sie tun müssen: Sie vermehren so gut sie es können den Profit. Sonst wird es nämlich zappenduster. Wer nicht den Profit vermehrt, wird gefressen, weil die kapitalistische Chose der Monopolisierung zustrebt. Man kann das übrigens prima bei Karl und Friedrich nach lesen. Verwirrung scheint auch zu stiften, dass der Normalkapitalist gar keine komischen Anzüge trägt, kaum einer bekannt ist, der Torpedozigarren raucht und schon seit mehreren Jahrzehnten kein Berufsvertreter mit Melone auf dem Kopf gesichtet wurde. Gleichwohl wird er von Kommunisten, die per Definitionen eigentlich auch kulturell avantgardistisch sein müssten, gerne so dargestellt. Ich weiß nicht genau warum. Weil die Bildchen halt auf Schreibtischen oder Harddisks rumliegen? Weil es so

Art und Sitte ist? Oder weil man glaubt, sonst würde er gar nicht erkannt werden. Wie auch immer: Es sind hübsche, groteske, überholte und altertümliche Bildchen. Es soll Leute geben, die glauben, so etwas würde gut zu uns passen. Aber ich meine, wir sollten nicht auf den üblichen Tratsch hören und wieder das sein, was wir früher mal waren: Vorne weg auch in der Außendarstellung und nicht hinten dran. Hinten dran dampft es auch gerne: Was macht den Bossen Dampf – Klassenkampf. Na, das wäre ja noch schöner! Ich hoffe, das ist nicht so gemeint, wie es geschrieben ist. Ich für meinen Teil will den Jungs und Mädels von der Parallelklasse nämlich gar keinen Dampf machen, sondern allenfalls Beine. Gut, das reimt sich nicht, hätte allerdings den schweren Vorteil, richtig zu sein. „Dampf machen“ bedeutet nämlich jemanden dazu zu veranlassen schneller und richtiger zu arbeiten: Meister machen Auszubildenden Dampf, Lokomotivführer in Museumsvereinen (womit wir wieder beim dicken Zigarrenmelonenkapitalisten wären) ihren Lokomotiven. Aber die Arbeiterklasse hoffentlich nicht den Kapitalisten. Dampf verdunkelt übrigens. Im Wald ist es auch dunkel und im Dunkeln wird gerne gepfiffen. Kampflieder zum Bei-

spiel. Oft aus dem letzten Loch. Wir pfeifen offenbar auch gerne, nämlich auf die Ängste von Otto Normalverbraucher und Erna Mustermann. Die sind wegen der Deutungshoheit (das ist Neudeutsch für Propagandamacht) der bürgerlichen Medien hinsichtlich der DDR und der anderen ehemaligen und ehemalig sozialistischen Staaten nicht nur falsch, sondern auch richtig verlogen informiert, weil die Gegenseite ja immer so schlau ist, mit der Wahrheit zu lügen: Zum Beispiel durch die Art der Zusammenstellung oder durch Weglassen. Nun wäre es unsere Aufgabe, das eine oder andere klarzustellen. Ich meine das nicht historisch, sondern sozusagen futuristisch. Also klarzustellen, dass wir weder Überwachungsstaat noch Umzäunung wollen, keine AKWs (auch nicht im Sozialismus, denn da sind die auch nicht sicherer) und dererlei mehr auch nicht. Wenn wir erstens ehrlich mit den Fehlern von gestern umgehen und zweitens mitteilen, dass wir gar keine Lust haben, die morgen zu wiederholen – dann klappt es vielleicht auch wieder mit Massenverbundenheit. Und dann können wir auch einer Klasse Dampf machen oder wenigstens ein Dämpfchen: Der Arbeiterklasse nämlich.

Weihnachten ist ein großer Mist! Dies ist die Zeit, in der alle Christen zu kleinen Bonzen werden und die Dogmatiker das Schlagwort benutzen: Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Aber welcher Frieden und welches Wohlgefallen? ... An diesen Festtagen stoppen die Mächtigen der Welt am 25. 12. die Kriege und es gibt eine Feuerpause, damit die Soldaten in dieser Nacht die Geburt des Jungen feiern können, der, von Gott geschickt, auf diesem Planeten die Menschheit erretten soll! Am 26.12. schießen sie wieder und das Todesungeheuer frisst sich wieder in den Schützengräben voll. Ah, armer Junge! Erfundene Geburt für die Schwänke Hollywoods! Unbefleckte Geburt, jungfräuliche Mutter, ein geborener Junge, ohne dass die Mutter Sex gehabt hatte? Wissenschaftlich unmöglich! ... Mit 33 ans Kreuz genagelt und sein Vorhaben, uns von unseren Sünden zu erlösen? Wir sind nach dem Bild Gottes gemacht, warum sind wir Sünder? ... (Das Gute und das Böse, beides ist in uns.) Der geheimnisvolle Jesus, der die Liebe unter den Demütigen verkündete: Fischer, Prostituierte, Arme, Kranke, und um an Fernando Pessoa zu erinnern, der

die Zeilen schrieb: Es heißt nicht, dass Jesus weder ein Bankkonto noch eine Bibliothek besessen habe! ... Diese großen Theologen, Könige in majestätischen Tempeln, die die Lehre der Bescheidenheit des Zimmermanns verteidigen, aber in größtem Überfluss leben, die den Menschen die Lüge vom Verzicht auf irdische Güter zugunsten geistiger Werte predigen? (Leute, die ihre Religionen vertreten, aber nie ihre eigenen Gebote erfüllen?) Wird der Papst, durch den Weihnachtsmann, den Hungernden der Welt was zu Essen schicken anstelle von sklerotischen Botschaften aus seinem Fenster am Petersplatz? Ein rassistischer Weihnachtsmann, der mit seinen dämlichen Rentieren nur in die Häuser derjenigen kommt, die alles haben, und wieder raus aus dem Kamin? ... Caramba. Bettler, die nichts zu essen haben, Tausende schlafen draußen, wie sollen sie Kamine haben? Hat er irgendwann mal angehalten auf S. Vicente oder den andern Inseln, in den Armenvierteln? In Kalkutta? In Bangladesh? Oder in all den Favelas, die sich über die ganze Welt ausbreiten? Tchalê Figueira (Übers.: Martin Kramm)


Seite 14 / Leserbriefe

unsere zeit

Militarismus ist herrschende Politik Betr.: „Bundeswehr war und ist Staat im Staate“, UZ vom 4. 12. 2009, S. 2 Die Aussagen von Ulrich Sander in der UZ vom 4. 12. 2009 finde ich problematisch. Seine These, die Bundeswehr sei ein „Staat im Staate“ und die oberen Bundeswehr-Offiziere seien gegen die Regierung illoyal, nimmt die Politik aus der Verantwortung. Ist also Krieg nicht die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln? Ich glaube schon. Denn wie sonst sollten die Herrschenden ihre Interessen vermitteln? Diese Interessen sind überwiegend strategischer Natur und von Politikern in Weißbüchern und anderen Dokumenten, wie dem EU-Reformvertrag niedergelegt. Der Afghanistan-Einsatz verfolgt strategische Ziele. Die Durchsetzung unmittelbar ökonomischer Interessen durch unmittelbares militärisches Handeln ist die Ausnahme. Ein Beispiel dafür ist der Geleitschutz für Handelsschiffe gegen Piraten. Eigenmächtigkeiten im Offizierskorps kommen vor, am Primat der militaristischen Politik ändert das nichts. Auch Ulrich Sanders Sichtweise, die Herrschenden bräuchten die Wehrpflicht, um sich „Menschenmaterial“ zu bewahren finde ich nicht folgerichtig. Berufsarmeen in den USA oder Großbritannien oder staatliche und private Söldnertruppen wie die Fremdenlegion oder der Blackwater-Konzern zeigen, dass es zu imperialistischer Kriegführung keiner Wehrpflicht bedarf. Im Gegenteil, eine Berufs- oder Söldnertruppe ist im Sinne der Herrschenden nicht nur effektiver, sondern vor allem bequemer als eine mit der Bevölkerung verbundene Wehrpflichtigen-Armee. Weshalb sonst, schickt die Bundeswehr nur Unteroffiziere, Offiziere oder Freiwillige ins Ausland? Die Abschaffung der Wehrpflicht wäre kein Fortschritt. Dem Kriegsdienst kann man sich durch Kriegsdienstverweigerung individuell entziehen. Entzieht man sich damit auch dem Militarismus, wie Ulrich Sander schreibt? Wohl kaum, denn er ist herrschende Politik, und sie muss bekämpft werden. K. Weber, Jülich

Mieter-Not in Deutschland Betr: Schwarz-gelbe Angriffe auf die Mieter (...) Bei uns in der Gemeinde kann es

nicht mehr schlimmer kommen. Vor einem Jahr hatten wir in unseren Plattenbauten 80 % Belegung. Heute sind es zur Zeit nur noch 30 % durch Terror gegen die Mieter. Die Ursachen sind in der Privatisierung zu suchen, nicht in der Qualität der Wohnungen. Der Vermieter ist einer der dort genannten Vermieter-Nomaden, wie bereits sein Vorgänger. Durch Fördergelder und unsere Miete machten sie ihre Geschäfte. Die Betriebskosten wurden aber nicht an die Versorger weitergegeben. So ist für 100 Wohneinheiten seit Wochen das Wasser abgestellt und auch die Heizung. Die Not-Wasserversorgung befindet sich unter freiem Himmel und das vor dem Winter und dem Weihnachtsfest. Diese Wohnbedingungen betreffen alte, kranke Menschen, wie auch alleinerziehende Mütter mit vier Kleinkindern, die dann das Wasser im Wassereimer in den 4. Stock tragen müssen. Wir sind ein kleiner Ort und der Bürgermeister hat alle verfügbaren Wohnungen zur Verfügung gestellt. Der Mieterbund und selbst der Landrat, an die wir uns gewandt haben, können nicht helfen. Die (...) Ängste der Mieter lassen die Menschen wegziehen und natürlich auch nicht mehr zur Wahl gehen. Trotz Presse, Rundfunk und Fernsehen gibt es keinen Weg aus dem Elend, der mich, als Vorkriegskind, an die erste Zeit nach dem 2. Weltkrieg erinnert. In der DDR wäre das nicht möglich gewesen. Nun will die neue Bundesregierung diesen Schmarotzern noch mehr Rechte einräumen! Elisabeth Dietze, Klietz

Helle Empörung Betr.: Wettskandal beim Bundesfußball Helle Empörung quillt aus den Medien. DFB-Präsident und andere Offizielle sind außer sich über die Machenschaften. Wer sich an den Bundesfußball in den 1970er erinnert, weiß: So neu ist das alles nicht. Die befallenen Vereine sind andere, aber das war es schon. Der weitaus größere und Widerwillen erregende Skandal, der in den Medien so gut wie nicht vorkommt, ist jener den die Deutsche Bank zu verantworten hat. Diese hat vor Jahren Fonds aufgelegt die US-Lebensversicherungen kauften und hiesige Anleger einsammelten. Diesen wurden hohe Renditen auf das Ableben

der Versicherten, auf deren Tod, der ohne ihr Wissen von ihren „Arbeitgebern“ versicherten US-Bürger versprochen. Das ist in den USA eine von den Unternehmen gern genutzte Möglichkeit zusätzliche Profite zu realisieren. Aus dem Tod ihrer Beschäftigten. Die Angehörigen der Verstorbenen sehen davon nicht einen Cent. Sie können auch keinen Anspruch geltend machen. Die Deutsche Bank folgte damit den Vorgaben des christlichen Vorstandes der Renditen von mehr als 25% öffentlich anvisierte. Nun ist das irgendwie schief gegangen. Die Versicherten wollten nicht das Hier verlassen. Die Anleger, auch hochangesehene Bundesbürger, sehen die erwartete Dividende nicht und sind empört. Natürlich nicht über das Streben aus dem Tod von Menschen Gewinn zu ziehen. Nun wollen sie die Fonds der Deutschen Bank verklagen. Die nicht sichern konnte, dass die ohne ihr Wissen auf ihr Ableben Versicherten nicht starben. Gerade traf sich unsere Kanzlerin mit den bundesdeutschen Führungspersönlichkeiten im Hotel Adlon. Dabei auch Josef Ackermann. Der diesen christlichen Deal zu verantworten hat. Werden die Steuerzahler wieder in Haftung genommen, wie bei der HRE an deren Bankrott die Deutsche Bank nicht ganz unbeteiligt ist? Darüber kein Wort in den Medien, den der Menschlichkeit verpflichteten. Herbert Rubisch, Berlin

„Frauensachen“ Betr.: DKP attraktiver machen Mit großem Interesse las ich in den Marxistischen Blättern „Frauensachen“, den Bericht unserer Genossin Marianne Konze. Ich fände es sehr gut und wichtig, wenn auch die UZ diesen Bericht veröffentlichte. Nicht nur, weil es gut tut zu lesen, welche Rolle und welchen großen Einfluss, die Genossinnen in der DKP hatten, sondern auch, wenn es um die aktuelle Frage geht, was können und müssten wir Genossinnen heute tun, damit die Politik der DKP in der Öffentlichkeit mehr Beachtung und Anerkennung gewinnt, besonders wenn es um die Rechte der Frauen und Kinder geht. Viele Forderungen von „damals“, die Marianne aufzeigt, haben heute noch volle Gültigkeit. Auch die Frage, wie konnten die Genossinnen der DKP viele Frauen für die Partei gewinnen. Ich erinnere mich dabei nicht nur an die Veranstaltun-

Donnerstag, 24. Dezember 2009 gen und Aktionen am Internationalen Frauentag und den Einfluss, den die Genossinnen in den Betrieben und Gewerkschaften ausübten. Auch in den Kinderferienaktionen „Frohe Ferien für alle Kinder“ konnten wir dank der solidarischen Hilfe der DDR tausenden Kindern schöne erlebnisreiche Ferien in den schönsten Urlaubsgebieten in der DDR ermöglichen. Auch in den von der DKP durchgeführten Kinder-Zeltlagern haben wir Kindern aus „sozial schwachen“ Familien schöne Ferien geboten und in der Vorbereitung und Durchführung haben wir Frauen – und auch Männer – zur Mitarbeit in der Partei gewinnen können. Bestimmt gibt es noch bedeutend mehr Möglichkeiten heute, die DKP wieder attraktiver zu machen. Es wäre sicher gut und nützlich hierzu mehr Berichte und Vorschläge aus den Parteigruppen in der UZ zu lesen. Unsere kleine Gruppe in Heiligenwald nimmt sich z. B. vor, zum nächsten Internationalen Frauentag die „gute alte Tradition“ einer öffentlichen Veranstaltung zum 8. März – dem Kampf- und Feiertag der Frauen – wieder ins Leben zu rufen. Inge Holweck, Neunkirchen

Hohe Wertschätzung für Friedrich Engels Betr.: „Im Konflikt mit den sozialen Verhältnissen“, UZ vom 4. 12. 2009, S. 13 In ausgezeichneter Weise hat Cristina Fischer die außergewöhnliche Revolutionärin Franziska Anneke gewürdigt. Ich möchte hinzufügen, was diese in ihren detaillierten Gefechtsschilderungen über Friedrich Engels schrieb, der als Stabschef und Adjutant im Freikorps Willich, dem besten Truppenteil der BadischPfälzischen Revolutionsarmee kämpfte und in vier Gefechten und in der erbitterten Schlacht bei Rastatt an der Murg immer in der vordersten Linie stand und dabei auch das Kommando über Einheiten übernahm. Ich erwähne das vor allem deshalb, weil darüber kaum Berichte vorliegen und Engels selbst sich nie zu seiner herausragenden persönlichen Rolle in diesen Kämpfen äußerte. In ihren „Memoiren“ schilderte Franziska Anneke u. a. wie Engels in einem Gefecht bei Rinnthal als Kommandeur eines Seitendetachements mehrere Stunden „zeitweise im dichtesten Feuer“ stand. „Sein Eifer und sein Mut wurden von seinen Kampfgenossen ungemein lobend hervorgehoben.“ Wilhelm Liebknecht hielt zu Engels

fest: „Zum Militär war er übrigens wie geschaffen: ,Helles Auge, rascher Überblick, rasches Wägen auch der kleinsten Umstände, rascher Entschluss und unerschütterliche Kaltblütigkeit.’“ Der Literatur über die Annekes wäre noch die Biographie von Klaus Schmidt hinzuzufügen: „Mathilde Franziska und Fritz Anneke. Aus der Pionierzeit von Demokratie und Frauenbewegung“, Köln 1999. Daraus geht auch hervor, dass die Annekes nicht vor der Niederlage bei Rastatt entkamen, sondern erst danach. Franziska verfolgte die zweitägige erbittert Schlacht am 28.und 29. Juni 1849, in der die noch 13 000 Mann zählende Revolutionsarmee 40 000 Preußen gegenüberstand, vom Wall der Festung aus, die mit ihrer weitreichenden schweren Artillerie Unterstützung gab. Ihr Mann stand unten an der Murg mitten im Feuer. Als die Schlacht verloren war, zog sich ein Teil der Truppen, darunter Fritz, in die Festung zurück. Etwa 7 000 Mann schlugen sich in die Schweiz durch. Engels kommandiert die Nachhut, die am 12. Juli bei Lottstetten als letzte in die Schweiz übertrat. Franziska und Fritz gelang es, durch ein noch offenes Stadttor zu entkommen, bevor die Preußen den Belagerungsring um die Festung schlossen. Siehe dazu auch „Die letzte Etappe der deutschen Revolution 1848/49", in der UZ vom 13. August 1999. Gerhard Feldbauer, Poppenhausen

Proletenpassion Betr.: „Die ‚Schmetterlinge’ schmettern wieder“, UZ vom 6. 11. 2009, S. 13 Vielen Dank für den kleinen Bericht über die Schmetterlinge. Schön zu lesen, dass sie noch aktiv sind. Die Schmetterlinge haben wirklich ein einzigartiges Kunstwerk erschaffen. Ihre Schallplattenkassette „Proletenpassion“ über die Geschichte der Pariser Commune hat einen Ehrenplatz in meinem Regal. Aber wer keinen Plattenspieler mehr hat, hat dennoch eine Chance: Wer sie sich anhören und sogar -sehen will, schaue nach bei YouTube (....) Es genügt das Suchstichwort „Proletenpassion“ einzugeben. Konni Schmidt, Kaiserslautern Wir bitten darum, uns kurze Leserzuschriften zuzusenden. Sie sollten unter der Länge von einer Spalte bleiben.Die Redaktion behält sich außerdem vor, Leserzuschriften zu kürzen. Die Redaktion

José Martí: „Die Wahrheit ist auf unserer Seite!“ Während die Anwälte der Fünf erleichtert sind, dass sie immerhin zwei der lebenslänglichen Strafen, die für Antonio und Ramón, außer Kraft setzen konnten und eine minimale Strafreduzierung für Fernando erreicht haben, betonen sie gleichzeitig, dass sie auch dies nicht ohne die Öffentlichkeit erreicht hätten. Noch wichtiger ist aber ihre Versicherung, dass sie sich damit nicht zufrieden geben wollen. Vor allen Dingen gilt es jetzt, sich auf Gerardos Rehabilitation zu konzentrieren. Im Rahmen des kommenden Rechtsstreites um dessen Strafurteil von zwei Mal lebenslänglich plus 15 Jahren werden nicht nur seine Anklagen angefochten, sondern auch die aller Fünf. Schon bei seinem Besuch 2004 in Berlin hatte Anwalt Leonard Weinglass auf Nachfragen des Komitees ¡Basta ya! den langen möglichen Instanzenweg über die verschiedenen Anhörungsverfahren vor den Bezirksberufungsgerichten, die Anrufung des Supreme Court und als letztes

Impressum

Unsere Zeit (UZ) – Zeitung der DKP ISSN 0943-4216

Rechtsmittel das beschrieben, worauf sich die Anwälte jetzt vorbereiten: ein nachträgliches Gerichtsverfahren unter Berufung auf „Habeas Corpus“ – das USGesetz Nr. 22-25, wie es Thomas Goldstein, der Experte für Supreme-CourtAngelegenheiten im Verteidigerteam der Fünf, in einem Interview am 12. Juli 2009 gegenüber Radio Havana nannte. Wie schon am 24. 12. 2008 der Anwalt Richard Klugh in seinem Interview mit Gloria La Riva, der Koordinatorin des National Committees to Free the Cuban Five, haben die Anwälte jetzt, wie auch Ramóns Anwalt William Norris in seinem Interview mit Deisy Francis Mexidor von Granma, nochmals angekündigt, dass sie dieses Verfahren unter Einhaltung der vorgegebenen Frist im kommenden Juni anstrengen werden, das wieder in dem ursprünglichen Gerichtsort Miami, aber dann ohne Jury abgehalten werden würde, wobei dann endlich alle ihnen vorliegenden Beweise für die Unschuld

Erscheint wöchentlich

dass sie ihre Strafen zu Unrecht bekommen hätten ...“ Währenddessen häufen sich nicht nur bei „Miami Herald“ Diffamierungsartikel des kubanischen Systems, sondern z. B. auch im Reutlinger Generalanzeiger am 5. 12. und kurz darauf im Westfalenblatt. Dazu die Los Angeles Times vom 7. Mai 2008: Das 12 Jahre alte mit einem 45-Millionen-Dollar-Budget ausgestattete „Demokratisierungsprogramm“ diene in erster Linie dazu, Kommunikationsmittel nach Kuba zu schmuggeln, um die „Dissidenten“ beim Sturz des kubanischen politischen Systems zu unterstützen. In dem Artikel hieß es u. a. „Nun versucht die ‚U.S. Agency for International Development' (USAID), .... mitteleuro-

päische und lateinamerikanische Nichtregierungsgruppen zu überzeugen, sich US-Organisationen bei der Zuteilung der Subventionen anzuschließen.“ Nicht gesagt wurde, dass es in jedem Land der Welt verboten ist, von feindlichen Staaten Mittel entgegenzunehmen, die dazu dienen, das Staatssystem zu zerstören. Die Bundesrepublik begründet u. a. damit die Existenz ihres Verfassungsschutzes. Die Fünf und ihre Unterstützer haben zwar keine Millionenbudgets zur Verfügung dafür aber die Fakten auf ihrer Seite, und die gilt es, so bekannt wie möglich zu machen, s.: www.miami5.de. – getreu der Devise ihres Nationalhelden José Martí: „Die Wahrheit ist auf unserer Seite!“ Josie und Dirk Brüning

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ihrer Mandanten vorgetragen werden könnten. Allerdings betonen alle Anwälte immer wieder, wie wichtig die öffentliche Unterstützung für die Fünf weiterhin sei und dass es, abgesehen von der juristischen, ja auch noch eine diplomatische Lösung gebe, die Freilassung der Fünf zu erreichen, die ist wiederum auch nicht ohne „die öffentliche Meinung“ zu haben. Auf Nachfrage von Bernie Dwyer, Radio Havana, am 9. Dezember bestätigte Richard Klugh, die Aussage von Antonio, Ramón und Fernando in deren Erklärung vom 8. Dezember, dass sie während ihrer gesamten Haft immer wieder Angebote von der US-Regierung bekommen hätten, mit ihnen zu kollaborieren, um mildere Strafen zu bekommen, was sie aber jedes Mal abgelehnt hätten. Klugh sagte: „Ich glaube, dass sie in ihrer gestrigen Erklärung einmal mehr aufrecht erhalten, dass sie hier waren, um friedliche, anti-terroristische Arbeit zu leisten, und ...

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Donnerstag, 24. Dezember 2009

unsere zeit

Hintergrund / Seite 15

Halbzeit?

Einige Anmerkungen zum bisherigen Verlauf der Finanz- und Wirtschaftskrise · Von Klaus Wagener Zu irgend etwas muss es doch gut sein. Blickt man in die Pokergesichter von Kopenhagen, auf die Tausende absaufender Flüchtlinge im Mittelmeer, die Millionen Arbeitslosen und die Milliarde Hungernder, stellt sich, oder müsste sich stellen, so etwas wie die Sinnfrage: Welchen Sinn macht es, angesichts dessen, Geld aufeinander zu stapeln? Eine schwierige Frage. Aber es gibt Lösungen. Eine erfolgreiche Firma im Sinnstiftungsgewerbe ist die schwäbische Firma AMG. AMG hat auf der Dubai Motor Show ihren „Supersportwagen AMG SLS“, einen retrodesighneten, 571-PSMercedes, der an den Flügeltürer 300SL erinnert, in einer Goldvariante vorgestellt. „Desert Gold“. Zu diesem Zeitpunkt war längst klar: Das Reichenghetto Dubai ist Pleite. Ohne Abu Dhabi läuft hier nichts mehr. Nicht selten ist die „Gold Edition“, die letzte Sumpfblüte vor dem Untergang. Die Krise lässt die Luft aus der Blase. Die Papiere, auf denen die wunderbare Geldvermehrung des Casinos gedruckt erschienen, offenbaren ihren wahren Wert: Papier. Und die Projekte, die mit ihnen finanziert wurden, erscheinen wie auf den Wüstensand Dubais gebaut. Am 18. 12. 2009 ist mit der First Federal Bank of California die 166. Bank in den USA, seit dem 1. 1. 2008, zusammen gebrochen. Das Volumen dieser Pleiten liegt bei 535 Mrd. Dollar. Die Krisenverluste der europäischen Banken beziffert die EZB mit 553 Mrd. Euro. 198 Mrd. bei den Wertpapierabschreibungen, 355 Mrd. bei den Kreditverlusten. Für 2010 werden weitere 187 Mrd. erwartet. Wie das „Drama“ Hypo Group Alpe Adria zeigt, ist das Ende der Fahnenstange längst nicht erreicht. Ebenso wenig erreicht ist so etwas wie die Regulierung des Finanzsektors. Trotz der massiven Subventionierung durch praktisch kostenloses Zentralbankgeld ist der Bankensektor weiter unterkapitalisiert und keineswegs auf seine Kernaufgabe, die Kreditversor-

Staatspleite als allgemeines Phänomen Ebenso vor der Pleite, wenngleich aus anderen Gründen, stehen auch andere: Portugal, Italien, Griechenland, Spanien (PIGS) beispielsweise. Aber auch Schwarzeneggers „Golden State“, California. Und da werden noch einige dazu kommen. Aber vor allem das griechische Defizit beherrscht seit einiger Zeit die Schlagzeilen. Tenor: „Die Hellenen haben ihre Staatsfinanzen nicht im Griff“ (FTD). 12,7 Prozent Neuverschuldung seien in 2010 geplant. Zu hohe Beamtengehälter, zu hohe Renten, so die Diagnose. „Schamlos gelogen“. (Münchener Merkur) Wir lassen uns „nicht mehr so dreist wie bisher an der Nase herumführen.“ Kurz: Mer gäbbe nix! Das ist von den Aposteln des Vereinten Europa schön und schlicht gedacht. Hat aber einen Haken. Im gegenwärtigen Kapitalismus gibt es Gewinner und Verlierer. Der Gewinn des einen ist der Verlust des anderen. Die deutsche Exportindustrie realisiert auf Grund ihrer Dumpinglöhne Auslandsanteile von bis zu 90 Prozent. In Griechenland sind die Lohnstückkosten nach EU-Zahlen in den letzten 10 Jahren um 26 Prozent gestiegen, in Deutschland um acht. Selbst in der Krise 2008 betrug der deutsche Außenhandelssaldo 176,2 Mrd. Euro plus. Irgendjemand muss also das Zeug kaufen und entsprechend Schulden machen. Bislang haben diesen Part die USA, aber vor allem das EU-Ausland übernommen. Dieses Modell hat erkennbar keine Ewigkeitsgarantie. Jetzt, wo die Wechsel platzen, macht sich für einige der deutschen Hauptkunden der Umstand schmerzlich bemerkbar, dass sie im selben Währungsboot mit ihren Gläubigern sitzen. Das versperrt den traditionellen Ausweg: Abwertung. Es ist die Wahl zwischen Pest (bleiben und Staatspleite) und Colera (austreten und Wirtschaftscrash). Die mediale Arroganz gegenüber den Südeuropäern hat da in etwa die Qualität wie Marie Antoinettes Rat an ihre hungernden Bauern, „... sollen sie

Daseinsberechtigung hat im Kapitalismus nur, was Profit abwirft. Hinreichend Profit. Nach dieser Logik sind ohnehin mehrere hundert Millionen in den postkolonialen Staaten überflüssig. Konsequenterweise verhungern etwa 25 000 pro Tag. Manche sprechen von 100 000 pro Tag. gung, reduziert. Die Bürgschaften, Kreditgarantien und Liquiditätshilfen für das europäische Bankensystem liegen bei 3,8 Billionen Euro. Des ungeachtet will die Deutsche Bank (DB) beispielsweise, wie ihre US-Vorbilder Goldman Sachs und JP Morgan Chase, 2010 wieder satte Gewinne einfahren. Um sie dann postwendend auf die Konten ihrer Aktionäre und unverzichtbaren Leistungsträger zu überweisen. 10 Mrd. Euro vor Steuern sollen es sein. Nun dürfte selbst die Kanzlerin nicht glauben, dass ihr „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ einen derartigen Boom lostritt, dass solche Profite möglich werden. Ermöglichen kann dies nur der Eigenhandel, der Gang ins Casino – oder eben auch nicht. Wenn es schief geht, gibt es ja bekanntlich den Steuerzahler. Als Eigenkapital für 2009 weist die DB 34,5 Mrd. aus. Bei einer Bilanzsumme von 1 660 Mrd. Euro (2 Prozent) nicht gerade üppig. Bei gegebenem Geschäftsvolumen gilt: Je geringer das Eigenkapital, umso höher die Eigenkapitalrendite. Aber eben auch das Risiko. (Für die Steuerzahler). Auf der letzten Sitzung des internationalen Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht konnte Deutschland, vertreten durch Bundesbank und BaFin, klare Festlegungen zur Verschärfung der Eigenkapitalregeln erfolgreich torpedieren. Auch hier sind Selbstdarstellung und Realität zwei paar Schuhe.

doch Kuchen essen.“ Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Auch die Idee, den aufstrebenden Boomstaaten Maschinen, Anlagen und Nobelkarossen verkaufen zu können, ist eine begrenzte. Die Entwicklung Japans hat gezeigt wie schnell das Potential heranwächst, sich von den technologischen Abhängigkeiten frei zu machen. Und wie es aussieht, schafft es die VR China eher schneller. Der Jubel über die neu erwachte chinesische Konjunkturlokomotive könnte schnell in Katerstimmung umschlagen. Der chinesische Maschinenbau ist laut Verband Deutscher Maschinen- und Anlagebau (VDMA) mit einem Marktanteil von 17,2 Prozent zum Weltmarktführer des 1,58 Billionen-Marktes aufgestiegen. Die Bundesrepublik folgt mit 14,7 Prozent auf Rang 2. Danach USA 14,6 Japan 11,8 und Italien 6,8 Prozent. Mit 10,9 Mio. verkauften Einheiten in den ersten 10 Monaten dieses Jahres ist China kurz davor die USA als weltgrößten Automarkt sowie Japan als größtem Autohersteller in den Schatten zu stellen. Beim Schiffbau liegen die Dinge noch klarer: Von den weltweit in Auftrag gegebenen 2,42 Mio. Bruttoregistertonnen halten Chinas Werften satte 53,5 Prozent. Wie es sich anfühlt gnadenlos niederkonkurriert zu werden, dürfte die VR China vermutlich so manchem, der heute sich über die faulen Südländer mokiert, schneller demonstrieren als ihm lieb sein

kann. Und wie es dann um die deutschen Staatsfinanzen bestellt sein wird, bei einer gesamtstaatlichen Neuverschuldung in 2010 von schon jetzt geplant 144 Mrd. Euro und der dann in Kraft tretenden Schuldenbremse, mag man sich kaum vorstellen. Danach darf das Strukturdefizit nur noch 0,35 Prozent/BIP (etwa 9 Mrd. Euro) betragen. Derzeit etwa 70 Mrd. Euro. Schäuble möchte das mit einem strukturellen Sparvolumen von 10 Mrd./Jahr bewerkstelligen. Wenn dann noch der Binnenmarkt durch Absenken

Konjunkturprogramme nicht hinweg, wie bald zu besichtigen sein wird.) So bleibt die Lage ziemlich trostlos. Zwar wird von den wirtschaftswissenschaftlichen Stimmungsmachern in regelmäßigem Abstand das Ende der Krise ausgerufen, de facto kann allenfalls von einem Zwischenstopp die Rede sein. An der Quelle des Tsunami, bei den US-Immobilien, lag die Zahl der Baubeginne im November 2009 bei 74,19 Prozent unter ihrem Hoch, September 2005. Kein Wunder, denn allein in den ersten

Nicht selten ist die „Gold Edition“, die letzte Sumpfblüte vor dem Untergang. der Dumpinglöhne und die Exporte durch übermächtige Konkurrenz ausgetrocknet werden, bleibt nur noch eins: Den Briten und US-Amerikanern folgen. Ab ins Casino. Über die Griechen braucht dann jedenfalls keiner mehr die Nase zu rümpfen. Die ausufernden Staatsschulden stellen sozusagen eine Vertagung des Klassenkonfliktes zwischen dem international agierenden Finanzkapital und den von ihm dominierten exportorientierten Monopolen einerseits, der binnenmarktorientierten Bourgeoisie und der arbeiten Bevölkerung andererseits dar. (Auch wenn sich das im Bewusstsein der Akteure reichlich anders widerspiegelt). Da die Sozialstaatsversprechen und die staatlichen Vorsorgeapparate politisch nicht so schnell abgeräumt werden können, wie die Finanzbourgeoisie zugunsten ihrer internationalen Konkurrenzfähigkeit sich ihrer Zahlungsverpflichtungen entledigt, muss die so entstehende Lücke durch Kredite gefüllt werden. Kredite, die von jenen gegeben werden, die zuvor aus ihrer Steuerpflicht entlassen wurden. Die hoheitliche Abgabenpflicht ist somit einer privatrechtlichen Kreditgeschäftsbeziehung gewichen. Eine Staatsfinanzierung, die mit Zins und Tilgung bezahlt wird. Dieser Defizitaufbau wird in der Krise durch weiter sinkende Einnahmen, die Kosten von Banken- und sonstigen Rettungsaktionen sowie Konjunkturprogrammen beschleunigt. Mit der zunehmenden Durchsetzung der neoliberalen Gegenreform unter der Dominanz des Finanzkapitals wird das progressiv zunehmende Staatsdefizit sowie die exorbitante gesamtgesellschaftliche Verschuldung zu einem allgemeinen Phänomen und einem Sozialstaats-Killer in allen hochentwickelten kapitalistischen Staaten.

Der Aufschwung kommt – aber wann? Durch die Schwächung der Staatsfinanzierung, sowie die zwangsläufig sich ausbreitende Klientelpolitik, fehlen Ressourcen und Durchsetzungskraft für angemessene zielorientierte Konjunkturprogramme. Schon Barack Obama sah sich gezwungen ein Drittel seines 787Mrd.-Paketes für Klientelpolitik (Steuersenkungen) zu opfern. Bei SchwarzGelb gerät das mit ihrer Hotelier- Subvention nun völlig ins Absurde. Die Abwrackprämie, eine Subvention der Autoindustrie, zeigte aber zumindest, dass da konjunkturpolitisch einiges möglich wäre, wenn man es richtig anfangen würde. (In Grenzen. Über die globalen Strukturprobleme helfen auch die besten

11 Monaten dieses Jahres reichten die Banken 3,6 Mio. Anträge auf Zwangsversteigerung ein. Seit Januar 2005 waren es 11,11 Mio.. Bei mehr als 10 Mio. übersteigt die Hypothekenschuld den Zeitwert. Laut dem Bericht der US- Notenbank (Fed), „Flow of Funds“, ist das Gesamtvermögen der privaten USHaushalte seit dem zweiten Quartal 2007 von 66 Bio. auf 53,4 Bio. Dollar, also um 12,6 Bio Dollar gesunken. Dieser Käufer der letzten Instanz dürfte erst einmal ausgefallen sein. Die Auslastungsquote der US-Betriebe lag laut Fed trotz 7,3 Mio. vernichteter Arbeitsplätze im November bei nur 71,3 Prozent. In der Autoindustrie bei 51,5 Prozent. Das Volumen der Fertigprodukte liegt ziemlich genau auf dem Niveau des Jahres 2000. Ein Einbruch des Produktionsindex von seinem Hoch Dezember 2007 um 12,3 Prozent. Deutlich höher war der Absturz der Industrieproduktion in der EU. Der Produktionsindex der EU-27 (2005 = 100) fiel laut Eurostat von 111 auf fast 90. Nach einer leichten Konsolidierung ist die Industrieproduktion im Oktober zum Vormonat wieder um 0,7 Prozent gefallen. Ebenso fiel der Auftragseingang der deutschen Industrie im selben Zeitraum um 2,1 Prozent (Volumenindex) auf das Niveau von Januar 2000. Verlust zum Hoch, November 2007, minus 27,2 Prozent. In der Fahrzeugindustrie sind es minus 33,9 Prozent. Nicht nur die Aufträge auch die Produktion schrumpfte. In der Sprache des Brüderle-Ministeriums: „Nach einem kräftigen Anstieg im Vormonat hat die Produktion im Produzierenden Gewerbe im Oktober einen Dämpfer erhalten. Sie ging preis- und saisonbereinigt um 1,8 Prozent zurück.“ Von einer stabilen Erholung kann bislang keine Rede sein. Wie auch? Ohne einen neuen Konsumjunkie, der sich bis ins Nirwana verschuldet, wird das wohl auch nichts werden.

Die Überflüssigen Die Krise hat Banken, Autokonzerne, Warenhäuser, Werften und Modehersteller überflüssig gemacht. Sie hat auch Millionen Menschen überflüssig gemacht. Daseinsberechtigung hat im Kapitalismus nur, was Profit abwirft. Hinreichend Profit. Nach dieser Logik sind ohnehin mehrere hundert Millionen in den postkolonialen Staaten überflüssig. Konsequenterweise verhungern etwa 25 000 pro Tag. Manche sprechen von 100 000 pro Tag. Das ist, zu Ende gedacht, in etwa das, was Marktradikale mit dem Begriff der Markträumung insinuieren. Ein Angebot muss nur entspre-

chend billig sein, um Nachfrage auszulösen. Ob das dann auch zum Leben reicht, ist in einem so wunderbar logischen Denkgebäude eine unwissenschaftliche Fragestellung. Gegen den Markt kann eben niemand an. In den Industriestaaten geht es (noch) etwas gesitteter zu. Man stirbt hier nicht einfach massenweise auf der Straße. Es gibt eine bürokratische Verwaltung der industriellen Reservearmee. Die International Labor Organisation (ILO) beziffert in ihrem Report „World of Work 2009“ die Zahl der in der Krise verlorenen Jobs auf mehr als 20 Millionen. Dazu seien Millionen Jobs gefährdet, davon wenigsten 5 Mio., die zur Zeit noch mit Kurzarbeitergeld gestützt würden. Wenn nicht entsprechende Maßnahmen ergriffen würden, könnten bis zu 43 Millionen Menschen aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden oder in die Langzeitarbeitslosigkeit fallen. In der EU-27 waren im Oktober offiziell 22,51 Mio. Menschen (9,3Prozent) ohne Job. In der weit gefassten, offiziellen US-Statistik (U-6) waren es 26,4 Mio. (17,2 Prozent). Viele werden von diesen Zahlen nicht erfasst. Beispielsweise gelten in den USA satte 82,8 Mio. Erwachsene, als „Not in Labor Force“ (dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehend), also mehr als die Hälfte des 152,8 Mio. umfassenden „Civilian Labor Force“ (des zivilen Arbeitsheers). Auch die statistischen Erfolgsmeldungen der Bundesanstalt für Arbeit (BA), 3,215 Mio. Arbeitslose, beruhen nicht zuletzt auf einer Reduktion der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Personen (-135 000/2009) und einer enormen Ausweitung der Kurzarbeit auf bis zu 1,5 Mio. (Mai 2009). Die Krise befördert eine Verschiebung hin zu prekären, sogenannten atypischen Beschäftigungen (Teilzeit, befristete und geringfügig Beschäftigte, Zeitarbeit) 2008: 7,7 Mio. Personen. Dazu kommen 2,1 Mio. Einzelselbstständige. Von den 40,7 Mio. Beschäftigten, welche die BA erfasst, sind nur 27,79 Mio. sozialversicherungspflichtig. Atypische Beschäftigung hat in den letzten 10 Jahren um 46,2 Prozent zugenommen. Geringfügige Beschäftigung sogar um 71,5 Prozent. Inzwischen entfallen mehr als 22 Prozent aller Beschäftigung auf den Niedriglohnsektor. Die offizielle Armut hat inzwischen 14,3 Prozent der Bevölkerung erfasst. 800 „Tafeln“ mit 1 700 Ausgabestellen „versorgen“ mehr als 1 Mio. Menschen. Der „Sozialstaat“ wird zum Almosenstaat. Eine preiswerte Variante der Lebensmittelbranche ihren unverkäuflichen Überschuss zu entsorgen.

Unter Wölfen Nicht nur die verkaufsfördernde Weihnachtsdudelei, gute Stimmung ist wieder zum strategischen Gut geworden. Die Problemlösungsfähigkeit strebt selbst bei solchen elementaren (ökonomischen) Herausforderungen wie der Bildung hart gegen Null und muss durch substanzlose Propaganda ersetzt werden. Ähnliches war von der „Klimakanzlerin“ in Kopenhagen zu sehen. Zum Armutsgipfel war man gar nicht erschienen (keine guten Bilder). Und nicht anders ist es bei der Finanzmarktregulierung, der Verkehrspolitik, der Gesundheitspolitik etc. etc. Die Niederlage der gesellschaftlichen Herausforderung und damit der Wegfall der sozialdemokratischen Geschäftsgrundlage haben die politische Gestaltungsfähigkeit des Kapitalismus im Sinne einer Selbststabilisierung hart angeschlagen. In der Krise tritt diese Unfähigkeit bizarr zu Tage. Die stetigen sozial-kulturellen Desintegrations- und Entzivilisierungsprozesse dürften nicht gerade abnehmen. Im Wolfsrudel gilt das Recht des Stärkeren. Oben wie auch unten.


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Donnerstag, 24. Dezember 2009

Hoffnungslos hoffnungsvoll Ein Blick auf die Beschreibung der vermeintlichen Entwicklung in Lateinamerika · Von Günter Pohl „Ich wundere mich über die Menge an Gerüchten und Phantasie, die es in Europa gibt. Ich werde am Ende noch denken müssen, dass Europa die uninformierteste Region der Welt ist.“ Fidel Castro in einem Interview mit Gianni Miná über den angeblichen Unwillen Kubas, 1967 der Guerilla-Kolonne in Bolivien unter Führung von Che Guevara zu helfen, erschienen im Buch „Un Encuentro con Fidel“, Havanna 1987 Man muss nicht alles für die exakte Faktenlage halten, was Fidel Castro sagt. Gerade von ihm selbst ist eine kritische Überprüfung gewollt und gefordert. Daher ist es richtig sich von ihm zu emanzipieren, ohne sich politisch zu distanzieren: aber wo er Recht hat, hat er Recht. Und deshalb geht dieses Zitat dem Text voraus. Dermaßen gleichen sich Schlagzeilen konservativer wie fortschrittsgeneigter Medien, wenn es um Lateinamerika geht, dass man fast dazu neigt, den Begriff der Pressefreiheit etwas enger gefasst zu wünschen. Durch die Bank wird vom Linksruck gesprochen, der – für die einen ein Schreckgespenst, für die anderen eine Hoffnung – den Sozialismus nach sich ziehen würde, als sei er heutzutage wählbar geworden. Liegt es bei den einen im mangelhaften oder nicht vorhandenen marxistischen Ansatz, so sollten linke Zeitungen oder marxistisch gesinnte Politiker/innen doch schon ein wenig genauer hinschauen. Besonders wenn sie nur Etiketten zur Verfügung haben – für die „Linksregierungen“, für die „Rechtsregierungen“ und letztlich auch noch eines für die „gemäßigten Regierungen“. Die Kategorisierung vereinfacht ein zugegeben komplexes Thema, aber gleichzeitig verstellt sie den Blick. Denn es ist nicht damit getan und geht auch in die falsche Richtung, einfach mehr Etiketten zu benutzen, die die grobe Einordnung verfeinern könnten. Es ist durch die in Europa üblich gewordene Verengung auf Wahlvorgänge (ein sehr fragwürdiges Synonym für Demokratie) inzwischen selbst unter Linken Usus geworden, Staaten nach der derzeit gewählten Regierung zu bewerten. Natürlich geben Wahlen häufig einen Zwischenstand von politischen Stimmungslagen, aber nur selten erlauben sie eine Aussage über den Klassenkampf und noch weniger über die Aussicht auf eine sozialistische Gesellschaft, es sei denn, man glaubt an ein „Hineinwachsen“ in den Sozialismus. Eine Beurteilung über die Chancen auf eine doch wohl noch immer notwendige Revolution kann jedoch nicht aus der Vogelperspektive geleistet werden. ★ Weil souveräne Präsidenten wie Hugo Chávez oder Evo Morales richtigerweise den Kapitalismus für das Elend in der Welt verantwortlich machen, sagt man ihnen schnell nach, „den Sozialismus“ einführen zu wollen. In den Zeugenstand wird meist der „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ berufen, wobei suggeriert wird, die Präsidenten dieser Länder bezögen sich dabei auf das theoretische Beiwerk zum Computersozialismus des Professors Dieterich aus Mexiko. Täten sie das wirklich, dann hätte die CIA ein effektives Mittel gefunden, sich überflüssig zu machen, weil die Linken den Kampf um den Sozialismus mit dessen scheinbarer Einführung endlich aufgeben können. Weil es weitreichende Sozialprogramme und zuweilen über Rhetorik hinausgehende antiimperialistische Politik gibt, reden Freund und Feind bereits vom „sozialistischen Venezuela“. Bolivien, das eine nationale Souveränität über die eigenen Ressourcen und deren freie Verwendung mit Hilfe einer nachholenden Entwicklung zur Akkumulation angeht, strebe mit Evo Morales eine sozialistische Gesellschaft an, heißt es. Ist die Macht des historischen Subjekts Arbeiterklasse gemeint oder sind es die kommunitären Strukturen der indigenen Gemeinschaften? Zwar ist richtig, was der nicaraguanische Soziologe Orlando Núñez sagt: „Wenn man der revolutionären Linken Chan-

cengleichheit lässt, gewinnt sie jede Wahl in Lateinamerika.“ Aber das gilt eben für Wahlen, nicht für die Umgestaltung der Gesellschaft. Da steht seit dem 11. September 1973 die einzige Spielregel fest, die da lautet: Es gibt keine Regel, an die sich die Herrschenden halten würden. Eine sozialistische Entwicklung also als Goodwill-Aktion? Wohl kaum; es bedarf nicht nur der Existenz, sondern auch des Willens des nach oben zu wälzenden Subjekts sowie einer Kraft, die den Weg zum Sozialismus theoretisch und die Revolution praktisch anpackt. Und da ist von den meist kleinen KPen abgesehen außer in Kolumbien nichts in Sicht, und genau dort sind die Bedingungen schwierig. Aber deswegen vielleicht auch günstig. ★

breit gemacht und Chiles Regierungsbündnis „Concertación“ hat sich nach zwanzig Jahren verbraucht, egal ob es die Stichwahlen im Januar gewinnen sollte. Hinzu kommt die Rolle Brasiliens, dessen wirtschaftliche Tentakel sich notwendigerweise in die Nachbarländer legen, was nicht nur in Zeiten der Krise nicht allen schmeckt. 2010 stehen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Costa Rica, Kolumbien und Brasilien an, dazu Parlamentsneuwahlen in weiteren sechs lateinamerikanischen und karibischen Ländern. Dabei werden maximal Positionen zu halten und in Kolumbien perspektivisch zu verbessern sein; auf Regierungsebene kann Elan demnach wohl nur aus einer intensiveren Strahlkraft der Bolivarianischen Allianz, der ALBA, kommen. Ein neuer Impuls für die revolutionären Kräfte ist eher aus den kommenden Auseinandersetzungen um die Deutungshoheit der Mexikanischen Revolution im November 1910 zu erwarten. Auch die Zweihundertjahrfeiern des Beginns der Unabhängigkeitskämpfe1 werden im Jahr 2010 helfen Fragen aufzuwerfen. ★

Praxis so schwer anzugehen ist, solange dort noch so manche Parteikaninchen auf die Wahlschlange starren, als würden ihre Ideale und Ideen nicht von ihr verschlungen, sondern vermehrt und radikalisiert, ist schon schwierig genug. Aber es wird noch unwahrscheinlicher, wenn auf die Übertragbarkeit der Entwicklungen gehofft wird und noch dazu die Klassengesellschaft nur aus Geschichtsbüchern bekannt ist. Manche linken Zeitungen oder Internetportale, die sich mit Lateinamerika zu beschäftigen wagen, weil sie sich inhaltlich daran nahe genug wähnen, aber davon körperlich weit genug weg wissen, greifen dann zu den „attac“-Slogans von der „Zivilgesellschaft“ beziehungsweise den „sozialen Bewegungen“ als Ersatz für Kenntnisse der Arbeiterklassen, der Beschäftigten in Stadt und Land, der Bauern, der gewerkschaftlichen Positionen und natürlich der Möglichkeiten und der Bereitschaft zum Äußersten zu gehen. Oder als Ersatz für das fehlende Vertrauen in diese Gruppen. Das Problem der „sozialen Bewegungen“ als Scheinavantgarde ist aber nicht nur ihre schwierige Verortung im gesellschaftlichen Gefüge der Gesellschaften, da sie

mientos sociales“, die von gar nicht wenigen europäischen Linken, aber eben auch von der EU-Kommission und, mit etwas spitzeren Fingern, von der USRegierung als soziale Bewegungen gehätschelt werden, weil sie den Sturz der Regierung von Daniel Ortega betreiben. Die angestrebte Rückkehr zur brutalen Ellenbogengesellschaft des postsandinistischen Nicaragua der Rechtsregierungen die Tat einer „sozialen“ Bewegung? Auch auf Kuba werden von bestimmten Kreisen soziale Bewegungen ausgemacht, als ob es eine wie auch immer geartete Sozialpolitik neben der des kubanischen Gesellschaftssystems gäbe: die „Damen in Weiß“, die „unabhängigen Gewerkschaften“, die Dissidentenszene jeder Art, sogar eine einzelne Internetbloggerin. Die Einführung der Begrifflichkeit „Soziale Bewegungen“, wo es um gesellschaftliche Gruppen geht, führt in die Irre. Mit diesem Phänomen verhält es sich wie mit den famosen Nichtregierungsorganisationen (NRO), die hierzulande einen Linkspersilschein zu haben scheinen, und das fast unabhängig davon, ob es Gruppen sind, die einen klaren Auftrag von der Regierung ihres Heimatlandes haben, inklusive einer hilfreichen Finanzierung. Zu Nichtregierungsorganisationen zählen „Brot für die Welt“, „Greenpeace“ oder „Caritas“, egal ob sie in Kopenhagen das Klima abkühlen oder es in Kolumbien anheizen, indem sie mit „zivilgesellschaftlicher Intervention“ – sagen wir: ungewollt – militärische Vorfeldarbeit im Kampf gegen die Guerilla machen. Und zu den NROs gehörte in diesem Sinne natürlich auch die – weil damals in Deutschland noch oppositionelle – Friedrich Naumann-Stiftung, die ihre Freunde in Honduras zum innerparteilichen Putsch gegen Honduras’ Präsidenten Zelaya ermunterte. ★

Foto: dpa

„Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme.“ (Karl Marx) Im Gegensatz zu den sechziger und siebziger Jahren, als es auch eine Reihe fortschrittlich gesinnter Regierungen mit ähnlicher Rhetorik gab (Peru, Panama, Ecuador), würde sich heute die Verteidigung einer den Namen verdienenden Revolution aber nicht mehr auf militärische, wirtschaftliche und politische Hilfe einer UdSSR stützen können; es müsste also der regionale Kontext gesucht werden. Die Integration der lateinamerikanischen Staatenwelt ist dazu eine richtige und notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung. Zumal die Tendenz derzeit nicht mehr so eindeutig ist, wie manche bis vor ein paar Monaten glaubten: der scheinbar unaufhaltsame Linkstrend ist kein Selbstläufer und wenn er gelingen soll, setzt er eine konsequente Haltung wie in Bolivien voraus. Panama wählte im Mai rechts, der Putsch in Honduras beschleunigte dessen Rückkehr in das konservative Lager, El Salvadors Präsident macht keine Anstalten, sein Land so zu regieren, wie es die Wählermehrheit wollte, Paraguays Präsident sieht sehr schweren Zeiten entgegen, Venezuelas Umgestaltungsprozess kann selbst bei freundlichster Auslegung derzeit nur als stagnierend bezeichnet werden, in Uruguay hat sich Ernüchterung über die Regierungspolitik

Wie aber zum qualitativen Sprung ansetzen? Der kubanische Amerikaspezialist Roberto Regalado formuliert es in seinem Buch „América Latina entre Siglos“2 so: „All diese objektive, reale, offenbare Macht des Kapitals zur Absicherung seiner Herrschaft hat als Gegenpart die Verschärfung seiner antagonistischen und unlösbaren Widersprüche, die auch objektiv, auch real und auch offenkundig sind, auf die man sich aber normalerweise nicht besinnt. Wir können uns bei den Formen des Kampfes (...) über drei Dinge sicher sein: 1) früher oder später wird die Zuspitzung der integralen Krise des Kapitalismus sie selbst erzeugen; 2) die politischen Alternativen der Linken müssen in Richtung der Revolution gehen, obwohl sie heute um das Terrain der fortschrittlichen gesellschaftlichen Reformen gegenüber der neoliberalen Konterreform kämpfen muss; und 3) wird es unvermeidlich sein, irgendeine Art von revolutionärer Gewalt auszuüben, weil jene, die in der Welt die Macht haben, sich an solche Gewalt klammern werden, bis zur letzten Konsequenz.“ ★ In Europa theoretisch zu verstehen, was in Lateinamerika in der Vorphase der

ja selbst den Klassen angehören, und ihrer daraus erwachsenden Bewusstseinssituation, egal ob in Lateinamerika oder Europa oder anderswo. Hinzu kommt nämlich, dass sie im Wortsinn aus einem Missverständnis entstanden sind. Im Englischen „social movements“, im Spanischen „movimientos sociales“, wird zur einfachen, aber meist falschen Übersetzung „soziale Bewegungen“ gegriffen. Denn die suggeriert mit dem Adjektiv „sozial“ eine grundsätzlich positive Besetzung, wobei aber „social“ (sowohl im Englischen wie im Spanischen) in der Regel für „gesellschaftlich“ steht; diese Sprachen kennen die im Deutschen gemachte Unterscheidung nicht. Demnach sind es gesellschaftliche Bewegungen, was mit Ökologie-, Frauen-, Bauern-, Friedens-, Indigenenbewegungen, aber eben auch z. B. mit rassistischen, Antiguerilla-, Pro-Freihandels-, homophoben, klerikalen oder Antiabtreibungsbewegungen zu tun hat. Letztere sind minoritär, fast immer autoritär und in der Regel elitär, aber auch sie sind Bewegungen der jeweiligen Gesellschaft, die sie hervorbringt; und von daher auch „movimientos sociales“, also gesellschaftliche Bewegungen – die eben sozial sein können, es aber nicht unbedingt sind. In Nicaragua sind es solche „movi-

Demnach ist der Sprachgebrauch eine Waffe im Klassenkampf, besonders von denen, die die Existenz von Klassen zugunsten von „Bewegungen“ negieren. Aber darüber hinaus gibt es auch handwerkliche Fehler der anderen, die Fidels Aussage über die Oberflächlichkeit „der Europäer“ bestätigen. Nehmen wir das zum siamesischen Zwilling gewordene Begriffspaar Internationaler Währungsfonds und Weltbank – anscheinend so paarweise agierend, dass sie nicht auch nur einmal in einem Text allein vorkommen dürften. Aber sie sind sich nicht so ähnlich, als dass sie immer in einen Topf gehörten. Der IWF ist eine Institution, die sich mit Wirkungen und Begrenzungen von Währungsschwankungen auf die Volkswirtschaften und darüber auf die Weltwirtschaft befasst; und die Weltbank ist eine Entwicklungsförderungsbank. Das ist auch die neu gegründete „Banco del Sur“ (Bank des Südens), die sich vorgenommen hat, Förderung für Entwicklungsprojekte zu geben, die ansonsten international finanziert werden. Unverdrossen macht man sie in vielen Veröffentlichungen dennoch zu einem „Ersatz für Weltbank und IWF“. Falsch also nach der Form. Die Bank des Südens wird außerdem angesichts ihres kleinen Portfolios nur wenige solcher Projekte finanzieren und die Weltbank leider nicht ersetzen können. Falsch also auch nach dem Inhalt. ★ Und auch wenn es wohl ein Ruf in der Wüste bleibt: die fortgesetzte Verwendung des Begriffs „Embargo“ im Fall der Blockade Kubas durch die USA, die ebenfalls von Linken wie Konservativen gemacht wird, ist demgegenüber ein Beispiel für beides: bei den Rechten eine sprachliche Waffe, bei den Linken traurige Bestätigung von Fidels durchaus ernst gemeintem Erschrecken über derartige Geringschätzung von Theorie und Akribie. 1 In Ecuador 1809, aber in den meisten Ländern im Jahr 1810 begonnen 2 Etwa: Lateinamerika zwischen den Jahrhunderten, Havanna 2006


Donnerstag, 24. Dezember 2009

unsere zeit

Hintergrund / Seite 17

Wohin zurück aus der Zukunft? Wie uns die Medien zeigen, was auf uns zukommt – oder auch nicht · Von Hans-Günther Dicks Na, schon alles gepackt? Das Visum fürs nächste Leben schon geholt? Alle Konten aufgelöst und die Milliarde Euro für das Ticket auf der Weltraum-Arche schon überwiesen? Oder gehören Sie zu den 400.000 Auserwählten, die von Amts wegen überleben dürfen? Viel Zeit ist nicht mehr. In zwei Jahren ist Schluss mit der Welt. Jedenfalls wenn man Filmregisseur Roland Emmerich glaubt. Der schildert im (vorerst?) letzten seiner Katastrophenfilme den Weltuntergang, bei dem neuartige Sonneneruptionen das Erdinnere zum Überkochen bringen, und datiert ihn schon im Filmtitel auf das Jahr „2012“. Was tut's zur Sache, dass er in „The Day After Tomorrow“ (2004) die nördliche Halbkugel in einer neuen Eiszeit hatte ersterben lassen? In „Independence Day“ (1996) waren es noch Aliens, zerstörungswütige Außerirdische, die den Gral aller (westlichen) Werte, das Weiße Haus in Washington, in die Luft jagten – was im Kino oft johlendes Gelächter auslöste. Nun hat Emmerich im Interview angekündigt, sich anderen Stoffen zuwenden zu wollen, da es im Film „nichts mehr zu zerteppern“ gebe. Dabei konnte man gerade auf spiegel.de lesen, dass Wissenschaftler sogar den Zusammenstoß unserer Galaxis mit einer anderen für wahrscheinlich halten – allerdings erst in ca. zwei bis drei Milliarden Jahren, und für einen so weiten Blick in die Zukunft hat man kein Auge frei, wenn man heute mit kosmischen Katastrophen im Kino Geld scheffeln will. An die Spitze der Topbudgets in Hollywood hat es das „schwäbische Spielbergle“ Emmerich allerdings noch immer nicht geschafft, denn dort thront unangefochten der „Titanic“-Regisseur James Cameron. Dessen neues Opus „Avatar“ hält sich wie viele ähnliche Filme vor ihm („Panic in Year Zero“, „Waterworld“, „I Am Legend“ und viele andere) nicht erst beim Weltuntergang auf. Die Erde ist in diesen Filmen längst kein lebensfähiger Planet mehr. Ihre restlichen Bewohner müssen sich in fernen Galaxien in Avatare, gentechnisch erzeugte Körper, hüllen, um die nötigsten Mittel und Rohstoffe zusammenraffen. Typisch für das Genre: Die Mittel und Methoden, mit denen sie dies tun, gleichen denen der Urzeitmenschen aufs Haar. Sollen wir also ernsthaft glauben, unsere Zukunft liege im Neandertal? „Avatar“ ist soeben in den Kinos weltweit angelaufen und wird wohl selbst sein titanisches Gesamtbudget von ca. 500 Millionen Dollar wieder mehr als einspielen.

den, aber sind nicht die Aufputschmittel, die sie uns verabreichen, im Ergebnis oft Sedativa, die uns ruhigstellen sollen, damit die Profitmaschine ungestört weiterlaufen kann? Eine verdienstvolle, vom Stuttgarter Haus des Dokumentarfilms (HDF) unter dem Titel „Voll daneben?!“ veranstaltete Tagung ging kürzlich dem „Bild der Zukunft in Dokumentarfilm und Fernsehen“ nach, mit Filmbeispielen und hochkarätigen Referenten. Zu dem Titel inspiriert hatte HDF-Geschäftsführer Wilhelm Reschl die Erkenntnis, dass in filmischen Ausblicken der 60er Jahre auf das Millenniumsende ausgerechnet jene technische Entwicklung fehlte, die diese Jahrzehnte mehr geprägt hat als alle an-

von Ökologen befürchteten Entwicklungen der Umweltzerstörung, malt deren Fortgang für die nächsten 36 Jahre aus und bringt alles in die Form einer strafrechtlichen Ermittlung „nach Artikel 26 der Europäischen Verfassung“. Mit den seinerzeit verfügbaren Mitteln der Computeranimation zeigt er entwaldete Landschaften und Flüsse, deren nicht mehr zu bändigende Fluten idyllische Kleinstädte in Schlammwüsten verwandeln. Dem düsteren Pessimismus in den Bildern der von Menschen verursachten Katastrophe stellt er ein geeintes und ökologisch fortschrittliches Europa gegenüber, das gegen Umweltverbrecher „nach dem Verursacherprinzip“ hart durchgreift – ein heute und angesichts

Aus: „Unsere Welt von morgen – Verkehrsmittel von morgen“, DDR-Fernsehen vom 14.3. 1961 deren: das Internet.“ Wie also steht es um die Verlässlichkeit von Prognosen, an der, wenn schon nicht im Spielfilm, so wenigstens in der dokumentarischen Form sich die Filme messen lassen sollten? Puristen des „reinen“ Dokumentarfilms hätten wohl schon den Untertitel der Tagung als voll daneben bezeichnet, denn Bilder der Zukunft kann es natürlich nur

Vermutlich von Mark Twain stammt die ironische Erkenntnis, dass Prognosen immer schwierig sind, besonders wenn sie die Zukunft betreffen, und sie werden umso riskanter, je weiter man sich in die Zukunft vorauswagt. Psychologen haben die Attraktivität solcher Katastrophenfilme oft mit einer „Lust am Untergang“ erklärt, die uns unwiderstehlich an Unfall- oder Katastrophenorte treibe. Aber wer will wirklich untergehen? Als Beobachter genießen wir nur heimlich den Schauder der Bedrohung und vor allem die Erleichterung, selber noch einmal davongekommen zu sein. Davon, dass Zuschauer bei der Oderflut sich scharenweise gleich von der Brücke gestürzt hätten, hat man jedenfalls nichts gehört. Allerdings auch nicht, dass sie zur nächsten Öko-Initiative gegangen wären, um die Umweltsünder das Fürchten zu lehren. Schon gar nicht nach einem Kinobesuch oder Fernsehabend mit einem Film, der unser soziales oder Umweltgewissen „so richtig wachrütteln“ sollte. Das Engagement der Filmemacher – sofern vorhanden – soll hier nicht in Zweifel gezogen wer-

Kommentar zur Zukunft erklären.“ Aus einem Text der Hamburger Kurzfilmagentur zitierte er die Erkenntnis, dass „der Betrachter solcher Zukunftsvisionen der letzten hundert Jahre oft eher den Einblick in die Zeit und Wirklichkeit des Filmschaffenden als in dessen Zukunft“ gewinne, und erläuterte an Spielfilm-Beispielen aus der Nazizeit („Weltraumschiff I startet“ von Anton Kutter, 1940) und der späteren Bundesrepublik, wie Herrenrassedenken bzw. Technikund Konsumgläubigkeit den kritischen Blick auf Entwicklungen propagandistisch vernebelten. Die Leipziger Medienwissenschaftlerin Judith Kretzschmar, die über „Das Zukunftsbild des DDR-Fernsehens“ referierte, zeigte sich

in der Zukunft geben; dokumentarisch festhalten lassen sich nur heutige Vorstellungen von der Zukunft. Entsprechend dünn ist denn auch die Materiallage in Sachen Dokumentarfilm, und was Manfred Breuersbrock, Wolfgang Dresler und Dieter Fietzke in ihrem Kompilationsfilm „Fröhliche Zukunft“ 1988 eingesammelt hatten, löste im Saal nur nachsichtiges Lächeln aus: Fliegende Autos, Weltraumtourismus und friedliche Nutzung der Nukleartechnik bestimmten die Bilder, die man sich in den 50er und 60er Jahren von der Zeit um 2000 machte: keine fundierten Visionen, sondern Wunschträume, geboren aus dem Wirtschaftswunder-Optimismus der Nachkriegsjahre. Das Material, so HDF-Studienleiter Kay Hoffmann, „stammt häufig aus Wochenschauen, die uns skurrile Erfindungen und Erfinder präsentieren und dies mit reißerischem

überrascht, dass in den „westlichen“ Beispielen „eigentlich nur Katastrophen gezeigt und Zukunftsängste geschürt“ werden. Zwar sei in Sendungen des DDR-Fernsehens zu Zukunftsthemen, besonders zur Frage zukünftiger Gesellschaftsordnungen „immer auch der Einfluss der jeweiligen Parteilinie sichtbar“ gewesen, ihr „sachlicherer, wissenschaftlicherer Ton“ habe sich deutlich von dem stark werbenden Charakter der Westsendungen unterschieden, sogar in Sendungen für Kinder. Der weitaus größere Programmanteil in Stuttgart gehörte somit dem Fernsehen, das die Grenze zwischen Dokumentarischem und Fiktionalem weit ungenierter ignoriert. Fiktive Dokumentation, Realityshow, Dokudrama oder Dokufiction heißen hier die wohlklingenden Namen für Formate, die Realismus vortäuschen und doch nur die vermeintlich „langweilige“ Realität mit reißerischen Titeln und anderen Mitteln des Spielfilms quotentauglich machen sollen. Vermutlich von Mark Twain stammt die ironische Erkenntnis, dass Prognosen immer schwierig sind, besonders wenn sie die Zukunft betreffen, und sie werden umso riskanter, je weiter man sich in die Zukunft vorauswagt. „Crash 2030 – Ermittlungsprotokoll einer Katastrophe“, „2030 – Aufstand der Alten“, „2057 – Unser Leben in der Zukunft“, die Kühnheit der TV-Auguren kennt keine Grenze, und wenn's dann „voll daneben“ geht, ist Twains Bemerkung als beliebte Ausrede schnell bei der Hand. Aufschlussreich ist ein Vergleich der beiden erstgenannten Sendungen, beide in das Jahr 2030 „vorausschauend“, die erste 1994 von Joachim Faulstich für den Hessischen Rundfunk realisiert, die zweite 2007 in der Regie von Jörg Lühdorff beim ZDF. Faulstichs Film behandelt die sich bereits abzeichnenden oder

des Lissabon-Vertrages wunderlich anmutender Optimismus. 2007, also dreizehn Jahre näher am virtuellen Berichtsjahr als Faulstichs Sendung, sind Umweltzerstörung und Ökokatastrophen für den ZDF-Dreiteiler (!) „2030 – Aufstand der Alten“ kein Thema mehr – das durch staatliche Rentenpolitik zum Medienthema gewordene Problem des demografischen Wandels und der „Überalterung“ der Gesellschaft verspricht höhere Einschaltquoten. Außerdem bietet der filmtechnische Fortschritt inzwischen einen ungleich größeren Spielzeugkasten von Spezialeffekten an, und da es sich nun um Menschen statt um Wälder und Flüsse dreht, lässt sich der Stoff auch leichter dramatisieren und den inzwischen gängigen TV-Formaten anpassen. So entwirft der Dreiteiler eine Zukunftswelt, in der die oberen Schichten ihren Lebensabend in Wellness- und Fitnesscentern genießen, während die

Massen der Minirenten-Empfänger aus Kostengründen nach Afrika geschafft werden, wo sie in riesigen Lagern an Infusionssystemen hängen, bis man ihre Leichen im Pappkarton-Sarg entsorgt; sie hatten in der Hoffnung auf sorglosen Ruhestand ihre Renten dem gigantischen „ProLife“-Konzern verpfändet, der in der verfehlten Sozialpolitik die Marktlücke für ungehinderte Profitmacherei entdeckt und flächendeckend genutzt hatte. Dass trotz des größeren zeitlichen Abstands zum Zieljahr 2030 Faulstichs Film ein ungleich „realistischeres“, also dem heutigen Kenntnisstand wahrscheinlicher scheinendes Bild der Zukunft zeichnet als der ZDF-Dreiteiler, ist nur scheinbar ein Paradoxon. Vielmehr spiegelt sich darin die alte Weisheit, dass in jede filmische Darstellung früherer und erst recht zukünftiger Zeiten ein erheblicher, wenn nicht gar ein prägender Anteil aus der Gegenwart ihrer Entstehungsgeschichte eingeht, Zukunft also immer nur „heutige Zukunft“ sein kann. Wie zuverlässig solche Visionen oder Prognosen sein können, hängt zu einem großen Teil von der Seriosität der Recherche und des Ausgangsmaterials ab – und damit auch von der Interessenlage derjenigen, die sie erstellen; endgültig überprüfen lässt es sich ohnehin erst, wenn das Morgen zum Heute geworden ist. Dem Berliner Zukunftsforscher Karlheinz Steinmüller, der in Stuttgart über „Spielregeln, Möglichkeiten und Grenzen der Zukunftsforschung“ referierte, bringt diese Ungewissheit auf die Formel: „Am Zukunftsbild eines Menschen oder einer Gesellschaft erkennt man ihr Menschenbild“ – und hat für sich daraus einen überraschenden Schluss gezogen: Neben seiner Beratungstätigkeit für Firmen schreibt er Science-Fiction-Romane! Ganz anders Ursula Lehr, Professorin für Gerontologie und von 1988 bis 1991 Bundesministerin für Jugend, Familie und Frauen in der Regierung von Helmut Kohl. Mit reichlichem Zahlenmaterial aus ihrer Forschung wagte sie einen Blick in die „Zukunft des Alterns“, in der man von einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 90 Jahren ausgehen müsse, so dass die Menschen beim Erreichen des Rentenalters „noch ein Viertel ihres Lebens vor sich haben“. Lehr kritisierte den in vielen Filmen der Tagung hervorgetretenen Pessimismus und forderte die Filmemacher auf: „Zeigen Sie die Probleme auf, aber bieten Sie auch Lösungen an!“ Ihr eigener Lösungsvorschlag, die Alten sollten mit „flexibler Weiterbeschäftigung nach der Rente“ diesen „vierten Lebensabschnitt kreativ und aktiv gestalten“, stieß allerdings im überwiegend jungen Auditorium fast zwangsläufig auf Widerspruch. Wer schon heute kaum Chancen auf eine befriedigende Arbeitskarriere hat und damit rechnen muss, mit 50 zum „alten Eisen“ geworfen zu werden, für den sind solche Vorschläge mehr Fiction als Science.


Donnerstag, 24. Dezember 2009

unsere zeit

TRADITION HEISST, NICHT ASCHE VERWAHREN, SONDERN EINE FLAMME AM BRENNEN HALTEN! Jean Jaurès

Allen politisch Verfolgten aus der alten und neuen Bundesrepublik Gesundheit für das Jahr 2010 und Kraft für unseren Kampf um unsere berechtigten Forderungen. Allen Unterstützerinnen und Unterstützern unseres Anliegens ein herzliches Dankeschön und alles Gute im neuen Jahr. Unserer Tradition verpflichtet, halten wir die Flamme am Brennen! IROKK – Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges. i.A. Karl Stiffel

Stoppt den Krieg! – Sofort!

Seite 18

Achtung Preissturz !!

Auf zur LL-Demo nach Berlin Die Bezirksorganisation Rheinland-Westfalen fährt am 09. Januar 2010 wieder nach Berlin Nachtbus: Freitagnacht, 24.00 Uhr, ab KL-Schule, Leverkusen Preise: Nur-Fahrt (Hin- und Rück-) Nur-Übernachtung gibt es nicht!

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Bitte möglichst früh melden bei: Anne Frohnweiler anne.frohnweiler@web.de oder im Bezirksbüro:0214/49323

Ein rotes 2010 wünscht Euch allen und natürlich auch sich selbst! Euer Dedenitzer Hollerhof-Kollektiv

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Inhaber: Hans Georg Müller Hauptstraße 1 57392 SchmallenbergGrafschaft Hochsauerland

Am 18. Dezember 2009 verstarb im Alter von 59 Jahren unsere Genossin

Olivia Alfaro Quade Wir verlieren eine konsequente Kommunistin und aufrechte Kämpferin, die seit dem Eintritt in den kommunistischen Jugendverband Chiles und später in der Partei für eine andere, für eine bessere Zukunft eintrat. Wir werden ihr Andenken in Ehren halten.

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In unmittelbarer Nähe des Klosters Grafschaft liegt unser Gasthof. Wie vor Jahrhunderten sorgt auch heute der Wirt persönlich für das Wohl der Gäste. Komfortable Zimmer und Räumlichkeiten, gutes Essen, gepflegte Getränke. Alle Zimmer haben Bad, Dusche, WC, Telefon, Fernseher, die meisten Balkon und Vorraum. Im Hotelbereich befinden sich Lift, Sauna, Solarium, Nichtraucherzimmer und Kamin, Kinderspielraum, Salatbüffet, Frühstücksbüffet.

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Donnerstag, 24. Dezember 2009

unsere zeit

Marxistische Theorie und Geschichte / Seite 19

Deutsche „Besonderheiten“ Über einige historische Probleme der Bewusstseinsentwicklung · Von Robert Steigerwald In vielen gegenwärtigen Diskussionen in der DKP gehen Genossinnen und Genossen davon aus, die Kampfbereitschaft, das nötige Widerstandspotential in den Betrieben, seien in der Mehrheit der Bevölkerung nicht besonders entwickelt. Und das, obwohl gerade sie unter den Folgen der Krise, der Angriffe des Kapitals, der Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen am stärksten zu leiden haben. Gefragt wird, warum das so sei und was man dagegen tun könne. Ich denke, da sind – neben einer nötigen genaueren Untersuchung der Klassenlage, der Situation in den Betrieben, der Möglichkeiten zur (Neu-)Entwicklung von Klassenbewusstsein – vor allem auch historische Erfahrungsbereiche zu berücksichtigen. Auf sie werde ich meine Betrachtung beschränken, sie bestimmen die Spezifik des Problems in unserem Land mit und müssen beachtet werden. Denn bekanntlich ist Theorie, die Erfahrungen – wozu eben auch historische Erfahrungen gehören – unberücksichtigt lässt, „für die Katz“.

Historische Spezifik und sozialökonomische Veränderungen Da ist einmal die langfristige Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Mit ihren Erfolgen und Niederlagen. Für beide gibt es viele Gründe. Es geht dabei nicht nur um die Entscheidungen und das Handeln von „Führungen“. Erstens: Erfolge im Kampf, und die alte deutsche Sozialdemokratie hat solche auf sozialpolitischem, gewerkschaftlichem, kommunalpolitischem Gebiet erzielt, können Kampfbereitschaft dämpfen oder anstacheln. Das hängt von der Qualität der Partei, der Gewerkschaft ab, die solche Erfolge erkämpften und nun sagen: Nun gut, das ist der Groschen, doch wo bleibt die Mark? Oder ob so reagiert wird: Nun, das also hätten wir erreicht. Wir haben es nicht durch revolutionäres Gehabe geschaffen, sondern durch Verhandlungen, auch durch Druck, im Endergebnis jedenfalls durch Nach-Geben und Kompromissbereitschaft. Das ist der richtige Weg. Erfolge im Kampf um nötige Reformen können also unterschiedlich wirken, demobilisierend oder anfeuernd, entschieden wird das nicht durch die Reform, sondern durch die Kräfte, die eine solche erkämpften und mit welcher Strategie sie den Kampf führten. Was den Linksradikalismus angeht: Auch der kann in der Folge von Niederlagen zu Formen der Resignation, der Hoffnungslosigkeit beitragen. Zweitens: Auch das Verhalten der Massen kann eine Wurzel für Reformismus, Opportunismus sein und ergibt sich keinesfalls nur aus dem Verhalten von Führungen. (a) Zu beachten sind sozial-ökonomische Veränderungen und ihre Wirkungen. Ein wichtiges Beispiel sei genannt: Die – im Gegensatz zu den Erwartungen des „Kommunistischen Manifests“ – zunehmende Differenzierung der Klasse durch ökonomische und technologische Erfordernisse bewirkten nicht deren Homogenisierung und hatten unter anderem als Folge branchenspezifische Borniertheiten, gegenseitige Abgrenzungen (Beispiel Chemie- und Metallarbeiter-Gewerkschaft), auch Konkurrenz. Nicht ignorieren darf man, dass die Arbeiterklasse hierzulande mehr zu verlieren hat als ihre Ketten. In der Lebenslage der Arbeiterklasse entwickelter kapitalistischer Industrieländer – insbesondere der Bundesrepublik, die als „Schaufenster für den Osten“ ausgebaut wurde – haben sich nach dem Zweiten Weltkrieg wichtige Veränderungen vollzogen. Vor allem dadurch, dass in langwierigen und beharrlichen Aktionen (auch bei stetiger „Beachtung“ der DDR, etwa als Drittem Verhandlungspartner in Tarifkämpfen) – politische und soziale Errungenschaften erkämpft, eine Erhöhung des Lebensstandards erreicht wurden. Das Kapital hat dabei auch Mittel gefunden, „Zugeständnisse“ gemacht, um lohnabhängig Beschäftigte in das System einzubinden, sie

aufzuspalten, die Kampfkraft der Belegschaften und Gewerkschaften zu schwächen. (b) Aber wir haben es doch auch mit dem Problem zu tun, dass es auf die Bewusstseinsbildung der Arbeiterklasse „verschleierndes“ Wirken gibt. Nicht nur die Medien sind hier gemeint, es geht um die verschleiernden Wirkungen des Kapitalismus selbst. Dass die Worte Arbeitgeber und Arbeitnehmer in regelrechter Umkehrung ihres Sinnes benutzt werden, ist noch vergleichsweise harmlos. Schwieriger zu durchschauen ist es dann schon, dass dem Arbeiter keinesfalls im Lohn seine Arbeit bezahlt wird. Es ist hier nicht der Ort, sich mit den Mystifikationen zu befassen, die dem Kapitalismus selbst entspringen und der Bildung von Klassenbewusstsein, also auch von Kampfbereitschaft hinderlich sind. (c) Zu bedenken ist auch, wie verheerend die schlimmen Niederlagen der Arbeiterbewegung 1914,1918/19, 1933 und jetzt 1989/90 gewirkt haben. Da gab es ja nicht nur die Empörung über den beispiellosen Verrat rechtssozialdemokratischer Führungen. Da sollte man auf keinen Fall vergessen, dass Arbeitermassen – beispielsweise beim Kriegsausbruch 1914 – nicht weniger nationalistisch verseucht waren als andere soziale Kräfte. Auch das hat tiefe Wurzeln in der jüngeren deutschen Geschichte, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Aber dass es etwa 1918/19 noch eine recht große bäuerliche Bevölkerung mit entsprechenden Bewusstseinsformen gab, (das war z. B. 1918/19 eine Rekrutierungsbasis für die Konterrevolution und für Freikorps) wird oft nicht gesehen. Solche (und noch einige andere) Faktoren trugen zur Zurückdrängung des Klassenbewusstseins bei. (Ich habe das im ersten Band der Klassenanalyse der Marx-Engels-Stiftung mehr ausgeführt). All dies betrifft die historischen Voraussetzungen, macht den „Bodensatz“ aus für heutiges Massenbewusstsein, und der wurde ja durch „Aktuelles“ noch verstärkt.

Spaltung, Krieg und Antikommunismus Unser Land war für Jahrzehnte gespalten. Schon das erwies sich als ein Faktor, der nationalistische Reaktionen hervorrief. Aber es ging ja nicht einfach um Spaltung, sondern beide Teile waren jeweils eingebunden in die Konfrontation der beiden zu diesem Zeitpunkt politisch, ideologisch, militärisch mächtigsten Potentiale der Welt. Zu beiden Seiten dieser Grenze standen Panzerdivisionen, und das bedeutete selbst in den Jahren des europäischen Entspannungsprozesses eine ständige Gefahr eines drohenden gewaltigen Konflikts, was auf beiden Seiten zu „Maßnahmen“ nötigte, die nicht normal waren, aber angesichts der unterschiedlichen Bedingungen in beiden Staaten, in beiden Koalitionen, im westlichen Teil des Landes weniger restriktiv sein mussten als im östlichen. Dafür gab es Gründe, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Erstens: Die Situation wurde geprägt durch die große Lüge eines ständig drohenden sowjetischen Angriffs. Dass die Sowjetunion im vorherigen Krieg 27 Millionen Menschen verlor, darunter doch gerade auch die jüngeren Jahrgänge, die man nach 1945 (beispielsweise als Soldaten) „gebraucht“ hätte, wenn die Sowjetunion einen Angriffskrieg geplant hätte. Dass das Land durch den Krieg völlig verwüstet war, spielte in der Bewusstseinsentwicklung im „freien Westen“ keine Rolle. Dass die Menschen in der Sowjetunion gegen jeden Krieg waren, nur den Frieden wollten, wurde „natürlich“ verschwiegen. Es war der „Westen“, von New York bis Bonn, der als Ziel erklärte, den Sozialismus aus Europa zurück-zu-rollen: Adenauer erklärte zum Beispiel „Nicht Wiedervereinigung ist unser Ziel, sondern Befreiung.“ Und am 5. März 1953 erklärte er im Rundfunk: „... es geht dabei nicht allein um die Sowjetzone, es geht um die Befreiung von ganz Osteuropa hinter dem Eisernen Vorhang.“

In solcher Politik war doch der Krieg enthalten. Dem diente ein perfider Antikommunismus, der aus einem faschistischen, auch dank sozialdemokratischer „Mitwirkung“, in einen „demokratischen“ übergeführt wurde. Angesichts dieser Bedingungen war es die oberste Maxime der sowjetischen Deutschland-Politik – und dies kann man auch aus den allerdings durch Politik und Medien herunter gespielten „Stalin-Noten“ beweisen: – Herstellung eines einheitlichen Deutschlands auf der Grundlage einer Verfassung ähnlich jener der Weimarer Republik, – auf den reinen Vereidigungsfall beschränktes Militärpotential – einer Festlegung, sich an keinem Bündnis zu beteiligen, das sich gegen eines der Länder richtet, die im Zweiten Weltkrieg gegen Deutschland Krieg führen mussten. Dies ging in einer bespiellosen Gehirnwäsche, an der nicht wenige Goebbels-Schüler aktiv beteiligt waren, unter. Darum aber auch konnten die so „informierten“ Bundesbürger nicht einsehen, welche Politik in ihrem ureigensten Interesse gelegen hätte. Aber gerade auf die Herstellung eines einheitlichen, friedlichen und demokratischen Deutschlands war die Politik der Kommunisten beiderseits der Elbe orientiert. Zweitens: Zu den für Deutschland besonderen Bedingungen gehörte (und gehört) es, dass es im Land zwölf Millionen Mitglieder der Nazi-Partei gab, dazu weitere Millionen in nazistischen Massenorganisationen – und das ist noch nicht „vorbei“. Drittens: Sechzehn Prozent der Bewohner unseres Landes sind Umsiedler. Die sorgfältig gepflegten und gehätschelten Landsmannschaft-Treffen (man denke nur an das Wirken der „Berufsvertriebenen“ Steinbach) zeigen, wie es um deren Bewusstsein steht. Viertens: Eine Besonderheit wird auch oft nicht bedacht – auch nicht von Kommunisten, die sich um Bewusstseinsentwicklung, um Aufklärung bemühen: Es gibt bei uns Millionen Menschen: ehemalige Bewohner der DDR, die konkrete Erfahrungen mit dem Sozialismus, mit einer marxistisch-leninistischen Partei haben oder zu haben meinen. Positive wie auch negative. Wir können ihnen diese „Erfahrungen“ nicht einfach wegdekretieren. Es gibt da ja durchaus objektive Ansatzpunkte für die antikommunistische Gehirnwäsche. Das sollten wir nicht ignorieren. Wir müssen uns deshalb nicht fragen, wie wir die Dinge sehen, sondern wie es damit bei unseren möglichen Adressaten aussieht. Natürlich wissen wir, welche Beschränkungen zu ihren Erfahrungen beitrugen, Beschränkungen, die zwar auch durch Außenbedingungen und -wirkungen auferlegt, aber eben auch durch das Wirken von Sozialisten begründet waren.

Erfahrungen beachten Wie wurden und werden solche Erfahrungen – angesichts einer riesigen „Gehirnwäsche“ vor und nach 1989/90 – verarbeitet? Wie also steht es um das Bewusstsein der Bevölkerung unseres Landes? Wir können und müssen zu ihren Sichtweisen argumentieren, dürfen nicht leichtfertig darüber hin weg gehen. Wir können und müssen ihre Wahrnehmungsfähigkeit, ihre Begrenztheiten beachten – sie nur zu kritisieren bringt gar nichts, denn Erfahrungen, mögen sie noch so oberflächlich sein, sie sind ein hartes Ding. Und sagen wir nicht oft: Massen lernen durch Erfahrungen? Was also haben sie „gelernt“? Und was nicht? Und was war der „Beitrag“ von Sozialisten, von Kommunisten bei solcher Art des Lernens? Da wären wir dann bei dem, was wir hätten besser machen können und sollen, es war ja nicht alles nur aus der Not geboren, was wir nicht richtig gemacht haben. Arroganz und Dummheit sind nicht Privileg nur unserer Gegner, sie prägten auch manche unserer Entscheidungen. (Wie

man sieht, ich habe zwar immer im „wilden Westen“ unseres Landes gelebt, aber ich identifiziere mich durchaus mit dem, was in der DDR geschah, denn wenn ich dort gelebt hätte, ich wäre kein Dissident, Bürgerrechtler, keine Art Schabowsky geworden). Ich gehe hier, aus Raumgründen, nicht auf die Frage ein, wie wir mit der nationalen Frage umgegangen sind, in wie weit wir sie und in wie weit wir den Nationalismus richtig behandelt haben. Und was den Antikommunismus angeht, so sind nicht nur die „Überreste“ der faschistischen Ideologie, die wir sicher unterschätzt haben, zu beachten, sondern ist vor allem zu bedenken und zu verdeutlichen, dass seine wirklichen Adressaten weit weniger die Kommunisten sind – die sind solches „Brot“ seit ehe und je ge-

wohnt – nein, Adressaten sind jene, in deren ureigensten Interessen die Überwindung des Kapitalismus, die Erringung des Sozialismus liegt: Sie sollen durch Antikommunismus an solcher Erkenntnis gehindert werden – und im Umkehrschluss bedeutet dies für uns, dass aktive, plausible, Einsicht vermittelnde Sozialismus-Propagierung zu unseren wichtigsten Aufgaben gehört. Weltweit diskutieren Sozialisten über Sozialismus, über vergangenen, über zukünftigen. In Deutschland diskutieren wir darüber nicht wie der Blinde vom Sehen, denn es gibt bei uns Tausende von Praktikern des sozialistischen Aufbaus und Hunderte von Wissenschaftlern auf diesem Gebiet. Wütenden Antikommunismus gibt es in jedem der ehedem sozialistischen Länder (nicht nur dort), aber die eben angeführten Probleme und Themen sind Besonderheiten, die es so in keinem anderen europäischen Land gibt und die eben auch einen besonderen, insbesondere nationalistischen und antikommunistischen Bodensatz erzeugten.

Jenseits des Kapitalismus Dann aber: Wie ist mit alledem umzugehen? Da steht im Vordergrund die Frage: Wie nehmen wir zum Sozialismus (und zur Parteifrage) Stellung? Da müssen wir beachten, dass die antikommunistische Hetze zwar nicht so erfolgreich ist, wie sich das ihre politischen und medialen Einpeitscher versprachen, dass sie aber nicht erfolglos anknüpfen an die genannten „Erfahrungen“. Mit allen möglichen (und unmöglichen) Mitteln hetzen sie gegen die Idee und die Realität des Sozialismus. Sie wissen, solange sie die Massen antisozialistisch „dopen“, ist das kapitalistische System gesichert, aber wehe, wenn sich das Volk vom imperialistischen Rauschgift befreit. Das muss verhindert werden, und sie sind insoweit erfolgreich, dass selbst jene, – und das ist die Bevölkerungsmehrheit – sagen: Ja, der Sozialismus, das ist eine gute Idee, sie wurde nur falsch verwirklicht. Oder: Ja, wir wären schon für den Sozialismus, nur nicht

für den, den es gab, und dann entwickeln sie, wenn überhaupt, kleinbürgerliche oder utopische Sichtweisen auf den Sozialismus, was immerhin bedeutet, dass sie einen möchten. Wir hören auch: Die Menschen sind nicht gut genug für den Sozialismus usw. usf. Dies ist der Boden, auf dem sie stehen und so lange der nicht aufgebrochen wird, werden sie sich mit dem Kapitalismus zufrieden geben. Und dies ist ja derzeit auch die Stimmung, von Massen eingenommen, die dabei durchaus wissen, dass der Kapitalismus ein mieses System ist. Aber solange sie nicht davon überzeugt sind, dass es eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus geben kann (und letztlich muss, wenn die Menschheit nicht untergehen soll), werden sie unseren Argumenten verschlossen bleiben. Das bedeutet: Die Hetze gegen die Idee und Realität des Sozialismus richtet sich gar nicht so sehr gegen die doch seit zwanzig Jahren untergegangene DDR, sondern gegen uns Heutige: Wir hier sollen mittels dieser Hetze daran gehindert werden, im Sozialismus eine Orientierung zu sehen. Diese Einstellung muss also aufgebrochen, die Menschen vom ideologischen und politischen Gängelband des Kapitalismus losgerissen werden. Aber wie? Auf keinen Fall damit, dass wir uns eingliedern in die Schar jener, die sich in würdeloser und charakterloser Weise, dem Kapitalismus anbiedernd, „entschuldigen“, dass es den Sozialismus gab und dass sie dabei mitgewirkt haben. Doch wir dürfen uns auch nicht – gerade angesichts der erwähnten „Erfahrungen“ – mit solchen inhaltslosen Floskeln zufrieden geben: Ja, es hat Fehler und Dummheiten gegeben. Wo denn gibt es keine Dummheiten und Fehler? Schaut euch doch die Verbrechen an, die der Imperialismus, auch gerade mit deutscher Beteiligung, weltweit begeht. Da hätten wir viele Anklagepunkte. Das wissen aber viel mehr Menschen als mancher denken mag. Dennoch: Es rührt sich da kein nennenswerter Widerstand. Bestenfalls sind sie zu Abwehrgefechten bereit, auch zu gewissem „Verzicht“, um Arbeitsplätze zu erhalten usw. usf. Denn, wie gesagt: Sie wissen nicht, dass es oder wie es ein Jenseits des Kapitalismus geben kann. Natürlich, das aufzubrechen ist unsere Aufgabe Nr.1. Indem wir die wegweisenden Erfolge der DDR verteidigen und propagieren. Ja, da war Vieles noch nicht weit genug entwickelt. Aber wir dürfen auch nicht unsere Fehler und Dummheiten verschleiern. Denn von uns erwartet man – und das zu Recht – einen ehrlichen Umgang mit uns selbst. Und das bedeutet, klar zu sagen, was wir, sofern es nach uns gehen sollte (da mischen ja immer auch die „anderen“ mit), in Zukunft anders und besser machen möchten. Was wir gelernt haben aus der DDR- und SED-Geschichte, wie wir uns einen künftigen Sozialismus vorstellen. Da haben wir im neuen Parteiprogramm der DKP schon gute Antworten entwickelt, auf deren Grundlage man argumentieren kann, die man natürlich vertiefen, ausbauen muss.

Schlußfolgerungen Dabei, das ist meine Erfahrung, helfen uns solche Forderungen nach mehr revolutionärem und radikalerem Argumentieren gar nichts. Nicht solche Worte bringen die „Rettung“, sondern wir müssen Inhalte vermitteln. Wir müssen durch unser Handeln und mittels langfristiger (denn solche „Dinge“ sind eben nicht billiger zu haben) Überzeugungsarbeit unseren Beitrag leisten Bewegungen auszulösen. Was diese Inhalte angeht, sollten sie konkrete Forderungen einbinden in Zusammenhänge einer langfristig angelegten politischen Strategie, die auf Widerstand orientiert, progressive Reformen anvisiert, dafür nötige Kämpfe entwickeln hilft und in alledem auf die Verbindung mit unserem sozialistischen Ziel achtet. Ohne dies sind noch so radikale Forderungen und Worte sinnlos. Fortsetzung auf Seite 20


Seite 20 / Die letzte Seite

unsere zeit

Fortsetzung von Seite 19

Realist und Visionär

Deutsche „Besonderheiten“ Massen, die nicht mal bereit sind, aktiv und entschieden zu verteidigen, was sie errungen haben, werden sich nicht durch radikale Töne zum Kampf aufraffen, da ist schon mehr nötig. Auch Formulierungen wie: Notwendig ist eine marxistisch-leninistische Partei bringen uns nicht voran. Ich erinnere daran: Millionen bei uns haben mit einer solchen Partei Erfahrungen gesammelt. Wir müssen uns nicht nur über Sozialismus, sondern auch über die Partei, z. B. auch über ihr Innenleben, wie wir uns der Öffentlichkeit gegenüber darstellen und noch gar manch anderes neue Gedanken machen. Um das nicht bei bloßen Worten zu belassen: Es genügt nicht, die Macht- und Eigentumsfragen zu stellen. Es gab eben Jahrzehnte sozialistischen Aufbaus und seine Lehren. Es gab aber auch weitere Entwicklungen im Kapitalismus. Der kapitalistische Staat bei uns ist anders als 1917 in Russland. Er ist ein Polyp, der sich bis in die untersten Ebenen der Gesellschaft hineingefressen hat. Folglich muss die Lösung der Macht-, der Staatsfrage, der Politik bis hinab zu diesen Ebenen reichen. Was das bedeutet, darüber muss nachgedacht, diskutiert, geforscht werden, denn das stellt ganz andere Fragen an den demokratischen Charakter der Arbeitermacht, als dies früher nötig und möglich war. Und dies ist hinsichtlich der Eigentumsfrage nicht anders. Es genügt nicht, die Kommandohöhen des kapitalis-

tischen Eigentums, die Monopole und ihre Zentralen, mittels der Eingriffe der sozialistischen Staatsmacht auszuhebeln, durch Neues zu ersetzen, auch das erfordert die Lösung der Eigentumsfrage bis hinab in die unteren Ebenen der Gesellschaft. Aber das wirkt dann auch auf den Charakter der Partei. Auch sie muss befähigt sein, solches demokratisches Durchorganisieren der Macht- und Eigentumsfrage nicht nur an der jeweiligen Spitze der Pyramide zu lösen, sondern dies bis hinab nach „unten“ wo das gesellschaftliche Leben konkret ist. Das sind so einige Haupt- mit ihren Unterfragen, die zu beantworten nötig sind, damit wir mit einsehbaren Argumenten statt mit bloßen Floskeln die Massen erreichen. ★ Ich denke, wir sollten aus dem, was ich hier darzulegen versuchte, folgendes Fazit ziehen: Es hilft uns nicht, einfach bei anderen abzuschreiben, was sie für richtig halten. „Uns aus dem Elend zu erlösen müssen wir schon selber tun.“ Wir müssen uns den eigenen Kopf über unsere Probleme und die Methoden zu ihrer Lösung anstrengen. Es geht also auf keinen Fall mit einem „So-weiter-wiefrüher“ oder gar durch ein Zurück in die – je nach Beurteilung – Höhen oder Tiefen der „Stalin-Zeit“.

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Die Einmaligkeit dieses Spielverständnisses fand seinen höchsten Ausdruck 1983, als der HSV in Athen den Europa-Pokal der Landesmeister gewann. Gegner war die hochfavorisierte Mannschaft von Juventus Turin. Dort spielten sechs Spieler der italienischen Weltmeister von 1982 – plus Platini und Boniek! Nach dem Spiel schrieb die italienische Fachzeitschrift Tutto Sport: „Eine griechische Tragödie. Der HSV gewann verdient, die Zuschauer erlebten den Sonnenuntergang Platinis. Happel, der unsympathische Magier, ist der beste Trainer der Welt.“ Zumindest war es ihm gelungen die Turiner zu überrumpeln. Überfallartig und unerwartet hatte die Mannschaft des HSV von Anfang angegriffen. Bereits in der achten Minute fiel das erste und einzige Tor – für die Hamburger. Der Torschütze hieß Felix Magath. Dieses Spiel dürfte das Seine dazu beigetragen haben, dass Magaths Überzeugung sich festigte, dass Fußball – in Grenzen – berechenbar ist. Eine Erfahrung, die er nach eigenen Worten auch aus dem Schach kennt, das er leidenschaftlich be-

Meine progressive Woche Geistig verwirrt – so bezeichnet die Presse natürlich denjenigen, der dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi eine Nachbildung des Mailänder Doms mit Wucht ins Gesicht stieß. Solche Aktionen mögen sinnlos sein, grundlos war die Tat nicht. Wer seit Jahren versucht, Italien zu usurpieren und Geld und Macht zum Schaden anderer aufhäuft, hat zum Widerstand Gründe genug geliefert. Mit Berlusconi braucht niemand Mitleid zu haben. Vor allem nicht, nachdem der alte Mann eben nicht sofort ins Krankenhaus fuhr, sondern medienbewusst die Situation nutzte, um mit zwei Zähnen weniger und blutverschmiertem Gesicht eine spontane Rede in die laufenden Kameras zu halten. Das ist wahrscheinlich das, was auch der Duce unter einem römischen Krieger verstanden hätte. Auf solcherlei Härte können wir gut verzichten.

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Trotz Jupp Heynckes und Louis van Gaal, trotz Uli Hoeness und Klaus Allofs ist Felix Magath zur Zeit die dominierende Figur der Fußball-Bundesliga. Was er zur Zeit anfasst, hat Erfolg, selbst wenn es Schalke 04 heißt. Das ist kein Zufall, sondern Ergebnis von Talent, Verstand und harter Arbeit. Wolfgang „Felix“ Magath wird am 26. Juli 1953 als Sohn eines US-amerikanischen Besatzungssoldaten aus Puerto Rico und einer Ostpreußin in Aschaffenburg geboren. Knapp ein Jahr nach der Geburt entschwindet der Vater. Fortan wird der kleine Wolfgang von seiner Mutter allein erzogen. Trotz Geldmangel scheint das nicht schlecht funktioniert zu haben. Davon zeugen das bestandene Fachabitur und ein begonnenes Studium der Wirtschaftswissenschaften. Da ist Magath schon längst ein weithin bekanntes Talent des Fußballs, den er schließlich mit 21 Jahren beim 1. FC Saarbrücken zu seinem Beruf macht. 1976 wechselt er zum Hamburger Sportverein, wo er seine Karriere 1986 beendet. Nur zwei Stationen als Profi. Man könnte meinen, Magath habe da nicht viel lernen können. Tatsächlich arbeitet er unter zwei der besten Trainer aller Zeiten. Zunächst unter Branco Zebec, der von bis den HSV trainiert und dann unter Ernst Happel. Bei Zebec konnte Magath lernen, wie unbekannte Spieler zu Weltstars geformt werden können, wenn der Trainer sich nur intensiv genug mit deren individuellen Möglichkeiten beschäftigt. Wenn das überhaupt möglich ist, war der folgende Trainer Ernst Happel noch prägender als der Jugoslawe Zebec. Schon als Spieler in der österreichischen Liga war der Stopper Happel durch sein überragendes taktisches Verständnis aufgefallen. Max Merkel, auch er ein Meistertrainer, nannte Happel den „abgezocktesten Spieler“, der je aufgelaufen sei.

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Die Wurzeln des Meistertrainers

Vom bis 12. bis 18. Dezember

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Donnerstag, 24. Dezember 2009

Dass Barack Obama Tränen vergossen hätte, als er 30 000 weitere Soldaten nach Afghanistan schickte, ist nicht überliefert. Geheult hat er allerdings bei der Weihnachtsfeier im Weißen Haus während des Absingens der jahreszeitlich einschlägigen Lieder. Der Mann hat eben doch noch Mitleid – vor allem wahrscheinlich mit sich selbst.

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Jürgen Trittin hat gesprochen: Guttenberg hat gelogen, hugh! O.K. Das stimmt. Aber, was ist, wenn Guttenberg sagt, Steinmeier hat gelogen. Und wenn der sagt, Merkel hat gelogen. Und Merkel sagt, Westerwelle hat gelogen. Und Westerwelle, dass Trittin gelogen hat. Dann hatten alle Recht. Es kömmt eben – frei nach Marx – nicht darauf an, Recht zu haben, sondern etwas zu verändern. Aber dazu werden die obengenannten Damen und Herren nicht bezahlt.

Und so werden sie weiter quaken. Solange diese Frösche das Sagen haben, wird niemand den Sumpf trockenlegen. Das können wir nur selber tun.

Mittwoch Wer noch Zweifel hatte, dass das Kasino wieder im Höchstbetrieb läuft, wird heute eines Besseren belehrt. Der drohende Staatsbankrott ist eine Katastrophe für die griechische Arbeiterklasse. Für Spekulanten ist es eine Möglichkeit, gut zu verdienen. Wer darauf wettet, dass Deutschland und Frankreich Griechenland auf jeden Fall „retten“, kann auf dem italienischen Markt mit einem Renditeaufschlag von 4 Prozent, auf dem irischen sogar von 4,8 Prozent rechnen. Das sind die kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten, der Rubel muss rollen – bei Strafe des Untergangs.

Freitag Die allseitige Beherrschung des Betriebes von Schienenwegen und -fahrzeugen durch die Bahn AG führt heute Abend für mich zu einem Zwangsaufenthalt im Hauptbahnhof Duisburg. Rund um den Bahnhof sind drei Gruppen von Uniformierten versammelt: Blauweiße Fans des MSV Duisburg, schwarz-gelbe Anhänger der Alemania aus Aachen und grüngekleidete Ex-Jünger von Wolfgang Schäuble. Wie der neue Innenminister heißt, fällt mir immer noch nicht auf Anhieb ein – aber wahrscheinlich ein Adeliger. Die Grünen setzen alles daran, die beiden anderen Gruppen auseinander zu halten. Dafür flitzen sie – Männlein und Weiblein – immer wieder treppauf, treppab. Für den Steuerzahler eigentlich die helle Freude, wie flink seine Bediensteten sind, wenn's nur nicht so teuer wäre. Außerdem erfüllen sie ihre Aufgabe nur unzureichend. Als eine Gruppe gröhlender Alemania-Fans die Duisburger minutenlang und lautstark als „Ruhrgebiets-Kanaken“ bezeichnet, sieht an-

treibt. Vor allem aber scheint Magath Realist zu sein. Er fordert von sich und anderen nur das Mögliche. Aber er sorgt dafür, dass es auch erreicht werden kann. Insofern ist er auch Visionär. Diese Charakterzüge werden bei Magath schon früh deutlich. Bereits mit 15 Jahren nimmt er Kontakt mit seinem Vater in Puerto Rico auf. Ein Schritt, der dem Jungen nicht leicht gefallen sein dürfte. Das Ergebnis spricht für sich. Auch hier ist Felix* „der Glückliche“. Seit langem verbringt er seinen Urlaub immer wieder in Puerto Rico. Den Schritt zum heutigen Niveau vollzieht Magath nach seinen Erfahrungen bei Bayern München. Trotz zweier Meisterschaften und zweier DFB-Pokalsiege wird er entlassen, weil ein Trainer bei Bayern immer erst hinter Hoeness, Beckenbauer und Rummenigge kommt. Von jetzt an heuert Magath nur als Trainer und Manager mit weitreichenden Vollmachten an. Mit dem VFL Wolfsburg wird er nach zwei Jahren Meister. Wenn das mit Schalke 04 jemand schaffen kann, dann nur Magath. Siggi Emmerich *felix ist lateinisch und heißt glücklich

Der rote Kanal Märchenfilme „made in socialism“ An allen Weihnachtstagen hervorragend gemachte Märchenfilme aus den sozialistischen Ländern!

Die lange StaatsanwaltNacht, DDR 1985-1987 Verschiedene Folgen der Staatsanwalt-Reihe der DDR. Sa., 26. 12., 23.25 - 5.25 Uhr, mdr

Chaplin-Reihe bei arte Mit den Filmen „Rampenlicht“ von 1952, „Die Nächte einer schönen Frau“ von 1923 am Montag und „Goldrausch“ von 1925, „The Kid“ von 1921 am Donnerstag setzt arte seine Chaplin-Reihe über Weihnachten fort.

scheinend kein Polizeibeamter einen Grund wegen Diskriminierung und Volksverhetzung einzuschreiten. Wahrscheinlich sind alle „Grünen“ gebildet genug, im Begriff Kanake nicht die heute übliche diskriminierende Bedeutung zu sehen, sondern die ursprünglich respektvolle Bezeichnung. Ende des 19. Jahrhundert bezeichneten deutsche Seeleute als Kannakermann ihre Berufskollegen aus Polynesien oder Ozeanien. Diese standen im Ruf besonders fähig und treue Kameraden zu sein. Die Bezeichnung wurde sogar als Ehrentitel für besonders gute Kameraden europäischer Herkunft verwandt. Entlehnt wurde das Wort vom polynesischen kanaka für „Mensch“. Aber das weiß wahrscheinlich kaum ein Mensch hier im Duisburger Hauptbahnhof, wieviel weniger ein Bulle. Adi Reiher


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