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Ein Museum zum Anfassen

EIN MUSEUM

ZUM ANFASSEN

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Dieter Krabbe zeigt, wie eine Dauerwelle wie zu Großmutters Zeiten gemacht wurde.

In Schönholthauser Heimatstube wird Alltag der Urgroßeltern erlebbar

Text Ina Hoffmann Fotos Martin Büdenbender

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Eine Schnurrbart-Tasse, Hufeisen für Kühe, der Puppenwagen der Ur-Oma oder alte Nähmaschinen: das Museum „Heimatstube“ in Finnentrop-Schönholthausen zeigt zahlreiche Ausstellungsstücke rund um dörfliches Leben, heimisches Brauchtum und Handwerk aus der Zeit von 1890 bis 1950. Warum ausgerechnet ein Blatt Papier das bedeutendste Exponat in der umfangreichen Sammlung ist und wieso ein Schönholthauser 3200 Kilometer zu Fuß ging, erfährt man bei einem Besuch in der Heimatstube. Stolz verweist Norbert Siebert, Schriftführer des Heimatvereins, auf einen Balken mit lateinischer Inschrift, der im Eingangsbereich unter der Decke hängt. „Dieser Balken wurde beim Abriss einer alten Scheune gefunden. Es war einfach viel zu schade ihn zu entsorgen. Da entstand der Wunsch nach einem Ort, an dem man solche Dinge zeigen könnte.“ Zudem wurde bei den Feierlichkeiten zum 750. Ortsjubiläum ein historischer Markt nachgebaut. Dazu wurden alle Schönholthauser gebeten, Keller und Speicher zu durchforsten, ob sie noch einige Gegenstände fänden, mit denen man den Markt so historisch genau wie möglich ausstatten könnte. Und weil dies so gut gefallen hatte, beschloss man, die historischen Zeitzeugen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So wurde im Jahr 1991 der Heimatverein gegründet. Passende Räumlichkeiten wurden im Ortszentrum gefunden:

Ein ausgedienter Kuhstall in einem der ältesten Fachwerkhäuser von Schönholthausen wurde von den knapp 180 Mitgliedern des Vereins in Eigenregie zu einem Museum ausgebaut. Kaum ein Jahr später konnte die Heimatstube ihre Pforten öffnen. Mehrere hundert Ausstellungsstücke beherbergt das Museum heute - ständig kommen neue hinzu. „Als es im alten Kuhstall zu eng wurde, um alle Stücke angemessen zeigen zu können, haben wir den dazugehörigen Heuboden ebenfalls ausgebaut und können jetzt unsere Exponate auf 260 Quadratmetern präsentieren“, erzählt Siebert.

Albert Deimel erfand praktische Küchenhelfer

Allseits bekannt und in vielen Küchen im Einsatz: der Sparschäler wurde in Schönholthausen erfunden.

Bob Schönholthausen 1 liegt in Führung.

Die Ausstellungsstücke werden in liebevoll gestalteten Räumen präsentiert. So beherbergt der Nachbau einer Küche aus Urgroßmutters Zeiten einen Kohleherd mit Koch utensilien und einen alten Küchenschrank mit Geschirr. Auf dem Esstisch steht neben alten Töpfen und Besteck ein besonderes Einmachglas: Die Erbsen und Möhren in diesem Glas wurden laut Etikett im Jahr 1946 eingekocht - und sie sehen immer noch genießbar aus. Aus nostalgischen Gründen möchte man dies jedoch nicht auf die Probe stellen. Besonders stolz ist man hier auf ein altes Stück Papier: Es ist die Patenturkunde für den heimischen Erfinder Albert Deimel. Er erhielt sie im Jahr 1936 für die Erfindung des heute noch gebräuchlichen Sparschälers. „Bestimmt wissen nur wenige, die dieses Gerät zum Kartoffelschälen benutzen, dass der Sparschäler im Sauerland erfunden

wurde“, schmunzelt Siebert. Im Laufe des Zweiten Weltkriegs wurden von den Amerikanern allerdings alle Patente aberkannt, sodass heute ein Schweizer als Erfinder des Sparschälers gilt. Auch das „Schälwunder“ hat der als „Daniel Düsentrieb Schönholthausens“ bekannte Albert Deimel erfunden: „Die Kartoffel wird einfach in das Gerät eingespannt, dann fährt ein Messer drum herum und fertig ist die geschälte Kartoffel“, erklärt Norbert Siebert den Küchenhelfer. Auch dieses Gerät wird heute noch verkauft.

Die Braut trägt schwarz

In der Wohnstube nebenan steht ein Brautpaar mit den typischen Hochzeitsgewändern - aber das Kleid der Braut ist schwarz. „Das war bis etwa 1930 völlig normal. Helle Kleidung trug man zur Arbeit auf dem Feld. Ein schwarzes Kleid galt als besonders edel. Und man konnte es auch zu Trauerzwecken gleich nochmal auftragen. Deshalb trugen die Bräute damals schwarz.“ In einem typischen Schlafzimmer um die Jahrhundertwende im ersten Stock des Fachwerkhauses hat man den Eindruck, die Bewohner seien nur gerade zur Arbeit auf dem Feld - mit viel Liebe zum Detail wurde der Raum ausgestattet. Die Betten sind bezogen, daneben steht eine Wiege aus Holz. „Dass die Betten so kurz sind, liegt zum einen daran, dass die Menschen damals kleiner waren, aber auch daran, dass sie im Sitzen schlie-

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Verkehrte Welt: im Heimatmuseum ist Elias auch mal der Lehrer.

fen, weil sie Angst hatten, im Liegen zu sterben“, weißNorbert Siebert. Auf dem Boden steht ein Nachttopf; inder Ecke die Luxusvariante als Stuhl mit Loch in der Sitzplatte.Auf der Kommode eine Waschschüssel mit Wasserkrug,in den geöffneten Schubladen liegen gefalteteNachthemden und Hosen.

In einer Schusterwerkstatt, Arztpraxis, Schneiderei, Feldschmiede,Schreinerei und einem Friseursalon werdenArbeitsgeräte der Berufe ausgestellt. „Mein liebstes Ausstellungsstückist die Zeigerschreibmaschine von 1900:Statt verschiedene Tasten zu drücken, hat man den Zeigerüber den jeweiligen Buchstaben bewegt und danneinen Hebel betätigt, um den Buchstaben abzudrucken.Das ist eigentlich nicht viel anders als heute bei unserenSmartphones. Besonders praktisch war, dass man sogardie Schriftart verändern konnte“, erzählt Norbert Siebert.

Rechnen lernen mit Kartoffeln

Die alte Schulstube beherbergt Bänke, die einst in derGrundschule in Bamenohl genutzt wurden. In der Eckesteht eine hölzerne Tafel mitbunten Bildern. Die Rechenmaschinehier gibt es nur nochzweimal weltweit. Sie wurdevon einem Lehrer aus Meggenerfunden. Er wollte den Schülerndas Rechnen mit einem visuellenHilfsmittel beibringen.Als besonders geeignet für diesauerländer Schüler hielt er anscheinenddie Kartoffelernte. Esgibt bewegliche Tafeln, auf denenBilder gezeichnet sind. DieKartoffeln sind die Einer, von denenpassen zehn in die Hände,

deshalb sind die Hände als Zehner abgebildet. Hundert Kartoffeln passen in einen Korb und so geht es weiter bis zu einer Millionen Kartoffeln in einer Scheune. In der Sonderausstellung „Geliebter Bruder“ zeigt die Heimatstube Ausstellungsstücke aus dem Leben der gut 170 Auswanderer, die das Kirchspiel Schönholthausen im 19. Jahrhundert verließen, um in Amerika ein neues Leben zu beginnen. Die nachgebauten Schiffskojen von 50x180 cm verdeutlichen die Entbehrungen, die die Menschen auf sich nahmen, um in die neue Welt zu gelangen. „Auf einem Platz, den man heute gerade mal vier Menschen zum Schlafen zumuten würde, mussten damals 24 Personen auf den Schiffen bis zu 90 Tage lang schlafen, essen und verdauen. Die Menschen mussten außerdem ihr Essen selbst mitbringen. Da von den Reedereien angekündigt wurde, die Überfahrt dauere nur 50 Tage, was aber oft wegen schwieriger See länger dauerte, hatten sie auch nur entsprechend viele Lebensmittel dabei. Da kann man sich vorstellen, was da ab dem 50. Tag los war“, erzählt Siebert.

Auf den Spuren der Auswanderer

Auszüge aus Tagebüchern, die dem Heimatverein von Angehörigen der Auswanderer überlassen wurden, dokumentieren die Schwierigkeiten beim Start ins neue Leben, aber auch von den Abenteuern, die sie dort erlebten. So wanderte Casper Hennecke zu Fuß mit einem Ochsenkarren 1600 Kilometer quer durch die USA,

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Die Heimatstube ist an jedem ersten Sonntag im Monat von 14 Uhr bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist für Kinder bis 12 Jahre kostenlos, für ältere Kinder kostet der Besuch 1 Euro und für Erwachsene 2 Euro.

Als seien die Urgroßeltern nur gerade zur Arbeit auf dem Feld und würden gleich zurückkehren.

um in Pikes Peak in den Rocky Mountains Gold zu suchen und ebenso viele Kilometer wieder zurück. Er wurde der unternehmerisch erfolgreichste der Schönholthauser Auswanderer, als er viel Geld mit dem Verkauf von Statuen und Nippes verdiente. Heinrich Martin Arens aus Bausenrode, das damals ebenfalls zum Kirchspiel Schönholthausen gehörte, wurde gar Vizegouverneur in Minnesota. „Wir haben Kontakt zu einigen amerikanischen Nachkommen der heimischen Auswanderer. Jack Carson aus Kansas kommt jedes Jahr zum Schützenfest, um das Heimatdorf seiner Familie zu besuchen. Seine Frau ist die Enkelin eines gebürtigen Schönholthausers“, erzählt Norbert Siebert. Bei verschiedenen Eventtagen können Grundschüler aus dem Kreis Olpe die Heimatstube besuchen und dort das Leben der Urgroßeltern hautnah nacherleben. „Wir sind ein Museum zum Anfassen. So kann man hier beispielsweise Papier schöpfen, Sütterlin schreiben oder Waffeln am offenen Feuer backen. Die meisten staunen nicht schlecht, dass das Getreide von Hand verlesen wurde oder der Herd mit Holz und Kohle angefeuert werden musste“, sagt Norbert Siebert. Das Angebot des Heimatvereins wird immer wieder gerne von den Schulen aufgegriffen. „Einmal hatten wir innerhalb von 14 Tagen 550 Schüler bei uns zu Besuch. Da war ganz schön was los.“

Norbert Siebert erklärt wie die Rechentafel funktioniert. Diese gibt es zwei mal weltweit.

„Museum zer good“ - Die Nachfahren Schönholthauser Auswanderer haben sich im Gästebuch verewigt.

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