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Iñigo Giner Miranda

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Raphaël Pichon

Raphaël Pichon

Anders hören

Die Konzertreihe Neuland ist ein besonders innovatives Format am Konzerthaus Dortmund. Am 27. Januar 2023 präsentiert der in Bilbao geborene Musiker, Komponist und Regisseur Iñigo Miranda mit dem WDR Sinfonieorchester hier das Programm »Am Rande des Lichts«. Zu hören sind Komponistinnen und ihre Werke, denen er auf außergewöhnliche Weise Aufmerksamkeit verschaffen will. Hörbar-Autor Dr. Heiko Schmitz sprach mit ihm über das Projekt.

Iñigo, in deinem Projekt »Am Rande des Lichts« geht es explizit um Komponistinnen und ihre Musikwelten. Was dürfen wir uns darunter vorstellen und wieso hast du Musik von Komponistinnen für das Programm ausgewählt?

Das ist eine gute Frage. Kurz gesagt: Ich beschäftige mich damit und will Antworten auf die Frage liefern, warum diese Komponistinnen und ihre Werke nie gehört worden sind. Ich möchte das Publikum einladen zu einer Entdeckungsreise und die Frage aufwerfen: Ist es eigentlich richtig und ist es fair, dass wir diese Musik nicht kennen und aufführen? Und vor allem: Wollen wir das ändern?

Eine besondere Rolle spielt das Klavierkonzert von Clara Schumann. Warum gerade dieses Stück?

Clara Schumann gehört ja nicht gerade zu den unbekannten Komponistinnen. Ja, Clara Schumann und Fanny Hensel sind die bekanntesten Komponistinnen im Programm – was auch wieder typisch ist, denn beide sind in der Wahrnehmung natürlich an bekannte Männer geknüpft, Ehemann Robert Schumann und Bruder Felix Mendelssohn Bartholdy, beides berühmte Komponisten. Das Klavierkonzert von Clara ist eines der bekannteren Werke, aber auch ein sehr frühes und trotz seiner Qualität selten gespieltes Werk. Clara und Fanny sind auch deshalb wichtig fürs Programm, weil Texte eine zentrale Rolle spielen und wir von ihnen viele Texte aus Briefen und Tagebüchern haben – so ist es einfacher als bei anderen, an ihre Gedanken und Lebensbedingungen zu gelangen.

Du sagst in einem Interview, dass du den Begriff »Konzert« aufbrechen willst. Was vermisst du am traditionellen klassischen Konzert?

Ich vermisse vieles, wobei mir klar ist, dass es vielen Konzertbesuchern anders geht. Wir verharren in der Gegenwart, aber ich möchte überraschen, faszinieren. Ich will mich neu verlieben in Musik. Ich finde auch den Begriff »traditionell« problematisch, denn es gab früher viele verschiedene Arten von Konzerten und Räumen für Musik. Reine Konzerte in großen Sälen sind eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, also nicht die Tradition beispielsweise der Barockensembles oder einer Schubertiade.

Beim Versuch, dein künstlerisches Schaffen zu beschreiben, liest man Sätze wie: »Miranda komponiert Konzerterlebnisse«. Wie arbeitest du konkret an den Projekten?

Komponieren möchte ich im weitesten Sinne verstanden wissen: Es geht um den Ablauf des Konzerts, um Licht, um Text und den Dialog, der zwischen Künstlerinnen und Künstlern und dem Publikum entsteht. Der Raum ist ein sehr wichtiges Element. Ich habe viel mit Raum und Licht gespielt – die Musik kann durchaus mal dahinter liegen, was sich im Laufe des Konzerts aber ändert. Ich möchte Aufmerksamkeit für Effekte und Klänge wecken, das Publikum soll anders hören als gewohnt. Es ist wie eine Party – nur ohne tanzendes Publikum.

Muss man Vorkenntnisse über das Stück haben, um die Inszenierung zu verstehen?

Es schadet sicher nicht, Vorkenntnisse über die Komponistinnen oder meine Arbeit zu haben. Das Publikum soll schon verstehen, was passiert, wobei ich mein Bestes gebe, um genau das zu vermitteln, sonst habe ich etwas falsch gemacht. Ich bin aber kein Erklärer, der dem Publikum sagt, was es wissen muss, um diese Kunst würdigen zu können.

Ganz wichtig ist für dich ein erweiterter Begriff von Musiktradition. Du sagst, auch das Unbekannte ist unser Erbe. Worin besteht der besondere Wert des Unbekannten oder Vergessenen?

Die Idee kam vom Dramaturgen Guillem Borràs. Wir haben nach einem Thema gesucht, wobei ich gar nicht wusste, dass es diese Musik gibt. Ich hatte nichts aus diesem Programm vorher gehört. Komponistinnen zum Thema zu machen, war nicht einfach, eben weil wir im Gegensatz zu den Genies der Musikgeschichte relativ wenig über sie wissen. Wobei das nicht zwingend ein Mann/ Frau-Thema ist. Man hätte das Thema auch mit unbekannten Komponisten bearbeiten können.

Im Zusammenhang mit deiner Arbeit am Projekt #bebeethoven der Bundeskulturstiftung hast du gesagt, du willst »über Meilensteine springen«, also über Beethoven und andere Komponisten hinaus. Wie hängt das mit der Idee zu »Am Rande des Lichts« zusammen?

In der Musikgeschichte gilt wie andernorts: »The winner takes it all«. Die Großen werden bevorzugt. Ich frage immer: Haben wir vielleicht etwas übersehen? Wir behaupten, Hüter des kulturellen Erbes zu sein. Aber welches und vor allem wessen Erbe ist das?

Du bezeichnest die katholische Kirche und die klassische Musik als Institutionen, die sich besonders ungern verändern und sagst, dass du die Vorstellung von reiner Musik im Klassikbetrieb fast katholisch findest. Kannst du diesen Zusammenhang erklären?

Ich bin katholisch aufgewachsen. In der Kirche spielt der Kult eine wichtige Rolle, ähnlich wie in der klassischen Musik: Auch da gibt es Geniekult, auch da werden Künstler quasi heilig gesprochen. Nicht falsch verstehen: Ich liebe Beethoven über alles und weiß, dass seine Musik so gut ist, dass wir sie immer weiter spielen und hören werden. Aber das hat eben wie in der Kirche auch etwas mit Glauben zu tun: Niemand weiß, ob wir wirklich das Beste kennen.

Du experimentierst mit der Klassik der Zukunft. Welche Zukunft siehst du für die klassische Musik? Müssen wir ihre Präsentation verändern, um neues, jüngeres Publikum zu erreichen?

Wahrscheinlich ja. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, dass jemand sagt: Nein, wir lassen alles so, wie es ist. Unsere bürgerlichen Kulturtempel sind eine Hürde für jüngere Menschen. Die Szene muss sich öffnen, womit ich nicht sagen will, dass wir alles auf TikTok präsentieren. Aber wir können nicht einfach weiter auf der alten Schiene fahren. Die Menschen verändern sich, die Verfügbarkeit von Musik hat sich dramatisch verändert. Das hat einen Effekt, den wir auch in unseren Konzertformaten und -angeboten berücksichtigen müssen.

Das Interview führte Dr. Heiko Schmitz.

Steckbrief

Iñigo Giner Miranda

Geboren 1980 in Bilbao (Spanien)

Studierte Klavier bei Albert Nieto in Vitoria, ab 2002 Komposition bei Wim Henderickx in Amsterdam

Als Komponist, Konzertinszenierer und Musiker regelmäßig Gast in vielen Konzerthäusern und Theatern Europas

Spezialist für die Kreation von szenischen Konzerten

Arbeit als musikalischer Leiter und Performer für Regisseurinnen und Regisseure wie Barbara Frey, Ruedi Häusermann, Matthias Rebstock oder Rafael Sanchez am Schauspielhaus Zürich, Teatro Real Madrid, Schauspielhaus Köln und HAU Berlin

Gründungsmitglied des Ensembles DieOrdnungDerDinge

Als Pädagoge lehrt er in Kursen, Seminaren, Workshops und Vorträgen über alternative Konzertformen und szenische Arbeit in der Musik, u. a. an der Humboldt-Universität zu Berlin

Live im Konzerthaus: Fr 27.01.2023 20.00 Uhr Am Rande des Lichts: Komponistinnen gestern und heute

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