FORMAT

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Österreich EUR 3,20 Schweiz sfr 5.90

Luxemburg EUR 3,30

Deutschland EUR 2,80

In Duisburg-Marxloh

EINE MOSCHEE

nuqDaq ‚oH puchpa‘‘e‘

Klingonisch ist in

Puritan International

PORNO MIT STIL

TOTAL BANAL

Wichtige Erfindungen

American Apparel

CHARNEY´s IMPERIUM

Tanz den Milky Way!

TECKTONIK

Modestrecke mit Alex Wek

THE BODY

FO R MAT +

SARAH SILVERMAN

Blutflecken im Schritt

Format - Zeitung für Kunst und Kultur Ausgabe Februar

MIT +

SPENCER TUNICK

Nackt im Stadion

ARNE QUINZE

Punk, Prada & Porno

ADVERTISING

Es gibt kein Entkommen


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Format - Zeitung f端r Kultur 01/09

PREVIEW


FO R MAT +

Format - Zeitung f端r Kultur

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Format - Zeitung für Kultur 01/09

Editorial Format - Die neue Zeitung für Kunst und Kultur. Eine Zeitung für Designer, Künstler, Fotografen, Architekten, kulturell interessierte Bildungsbürger mit dem Sinn für das Schöne und Formale. Wir verstehen uns als Kulturzeitung für Kunst und Leben mit hohem Anspruch an Form, Design, Fotografie, Typografie. Format hebt sich durch klare Positionierung formal und inhaltlich von anderen ab, die sich allgemein über den Begriff Kulturzeitung definieren. Unsere Hauptthemen und Artikel beziehen sich auf die Form, das Förmliche, die Form ordnet sich der Funktion unter. Reduziertes, minimalistisches Design unterstützt das inhaltliche Konzept auch visuell. Der Leitgedanke Form zieht sich als roter Faden durch die Zeitung. Zugleich ist Form variabel, offen und deckt ein großes Themenspektrum ab. So kann durchaus ein Artikel über ein amerikanisches Pornoheft dazugehören: Als Ausdruck von Sexualität in Form eines gestalterisch ansprechenden Magazins - oder auch ein Essay über eine neue, faszinierende Tanzform aus Paris oder etwa das Aussehen einer Moschee. Nachzulesen in dieser Ausgabe. Die weiteren Inhalte sind ein gemischtes Potpourri aus Religion, Kunst, Fashion und Marketing, für jeden Geschmack ist etwas dabei. Der Schwerpunkt liegt bei Themen aus Kunst, Leben und Kultur. Wir freuen uns auf zahlreiches Feedback der Leserschaft! In diesem Sinne: Viel Spaß und Freude bei der Lektüre! Ausserdem: Nicht nur Fraktur reden, sondern Fraktur drucken! Das haben wir hiermit getan. +++ +


Format - Zeitung für Kultur

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FEBRUAR 2009

HAUSBAU AUF KUBA

WERBUNG UND ÖFFENTLICHKEIT: IMMER DREISTERE WERBEKAMPAGNEN EROBERN DIE STRASSEN UND PLÄTZE. DOCH NUN WEHREN SICH DIE ERSTEN STÄDTE. ÜBERALL VERSTELLT RIESENWERBUNG DEN WEG ODER VERHÜLLT GANZE HÄUSER. DEN BÜRGERN BLEIBT NUR, SICH WEGZUDUCKEN. ES GIBT LÄRMSCHUTZGESETZE UND LUFTSCHUTZPARAGRAPHEN, WO ABER BLEIBT DER REKLAMESCHUTZ? EIN ESSAY AUF S.34

Diktaturen sind schrecklich, aber sie haben immer auch das Zeug zur tragischen Komik: Kubas Präsident Raúl Castro erklärte, privater Hausbau sei ab sofort wieder erlaubt: »Baut euch ein Häuschen mit dem, was ihr eben gerade zur Verfügung habt.« Viele Kubaner haben unverzüglich nachgesehen, was sie zur Verfügung haben. Sie fanden nichts. Und da wird es tragisch. Nach den verheerenden Wirbelstürmen der letzten Jahre fehlen auf der sozialistisch- revolutionierten Insel über eine Millionen Wohnungen.

HELMUT SCHMIDT UND DAS GEDÖNS Über den Rummel um seinen 90. Geburtstag im vergangenen Jahr sagte Altkanzler Helmut Schmidt, ihm wäre es lieber gewesen, wenn sich etwas weniger publizistische Aufmerksamkeit darauf gerichtet hätte. »Ingesamt war es mir zu viel Gedöns«. Er habe sich benutzt gefühlt. Was ihn aber sehr gerührt habe, seien eine Reihe von Äußerungen die in einem Extraheft abgedruckt wurden - von alten Gesprächspartnern, Freunden, Kollegen bis hin zum jetztigen Chef des Weltwährungsfonds und dem ehemaligen Ministerpräsidenten Singapurs - seinem Freund Lee Kuan Yew. In ein und derselben Woche wurde Schmidt von gleich drei großen Blättern auf der Titelseite abgebildet: Die ZEIT, der »Spiegel« und »Vanity Fair« widmeten dem Altkanzler Sonderbeilagen und ausführliche Berichterstattungen in ihren jeweiligen Ausgaben. Schmidt erklärt sich die anhaltende Popularität mit »einem gewissen Bedürfnis nach Autorität«. Hoffnungen auf eine bessere Lösung der Finanzkrise schob Schmidt jedoch weit von sich: »Wenn Leute das glauben, dann sind sie im Irrtum«, denn »die Welt von heute ist eine völlig andere.«

DER BLUES IM FEBRUAR +++ Frauen kriegen, wie ich gelesen habe, nach der Geburt eines Kindes häufig die postnatale Depression. Sie denken: »Da ist jetzt dieses Kind – und wie weiter? Wozu das alles?« Verbreitet ist offenbar auch das Phänomen der postkoitalen Depression. Hinterher ist man ganz traurig, ein animal triste, man sagt sich: »Na gut. Aber wo ist bei alldem der Sinn?« Mir persönlich ist noch ein anderes depressives Phänomen bekannt. Wenn ich etwas Größeres eingekauft habe, bekomme ich die Post-Einkaufs-Depression. Der letzte größere Einkauf ist ein Auto gewesen. Ich brauchte das Auto. Ohne Auto ist es schwierig, einem Beruf in der Medienbranche nachzugehen. Ach Quatsch! Man könnte auch ohne Auto in der Medienbranche arbeiten. Ich wollte einfach ein Auto haben, so war das nämlich wirklich.

Trotzdem war ich nach dem Autokauf übellaunig, knarzig, wortkarg. Ich hatte das Lachen verlernt. Ich dachte, dass ich viel Geld ausgegeben und eine Entscheidung getroffen habe. Das Geld ist weg, das ist ziemlich sicher. Ob meine Entscheidung richtig war, weiß ich dagegen erst in einigen Monaten, wenn ich das Auto mit seinen Stärken und Schwächen genau kenne, falls es nicht vorher schon auseinandergefallen ist. Ich habe dieses spezielle Auto gekauft, ich kann nun kein anderes nehmen, jahrelang. Der Gedanke, dass ich eine folgenschwere falsche Entscheidung getroffen haben könnte, hat mich fertiggemacht. Wollte ich überhaupt ein Auto haben, ich meine, wirklich? Warum habe ich das Geld nicht in meine Altersversorgung investiert? Ich werde alt sein und kein Geld für

Sushi haben, und zwar wegen dieses Autos. Im Moment des Kaufes hat mir das Auto gefallen. Aber wie werde ich das Auto in zwei, drei Monaten beurteilen? Vielleicht hat mich auch der Autoverkäufer manipuliert. Deshalb habe ich andere Menschen nach ihrer Meinung gefragt. »Wie findest du mein neues Auto? Ist es schön? Sag, dass es schön ist!« Die anderen Menschen dachten, dass ich angeben will. Ich wollte aber nicht angeben, ich wollte Trost. Aber den meisten Menschen ist es vollkommen egal, ob mein neues Auto schön ist. Das spüre ich doch. Der Mensch ist einsam. Ich sterbe vielleicht, bevor ich alt bin. Dann will ich mir doch wenigstens etwas gegönnt haben, ich will doch wenigstens ein Auto gehabt haben in diesem Hundeleben. Ich brauche plötzlich Geld, aber da ist nun statt des Geldes dieses Auto,von

dem ich nicht einmal weiß, ob es mir wirklich gefällt. Das Auto hat eine schlechte Sicht nach hinten. Einparken ist mühsam. Nun werde ich also jahrelang Mühe beim Einparken haben, und dafür habe ich auch noch Geld ausgegeben, zu viel vermutlich, denn diese Autos gibt es anderswo bestimmt billiger. Geld, das ich bald dringend brauchen und dann nicht haben werde, aber gehabt haben werden könnte oder so ähnlich, wenn nur das verfluchte Auto nicht wäre, dieses Auto, das meine finanzielle Zukunftsperspektive zerstört, meine innere Sicherheit bedroht und für das ich, weil es so hässlich ist, auch noch heimlich von allen verachtet werde. Ich könnte heulen, echt. Animal triste sum. Unser Autor Harald Martenstein schreibt wöchentlich in FORMAT über den Blues


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ETHIK ODER RELIGION? +++ Es scheint merkwürdig: Da sprechen sich Kirchenvertreter gegen eine Initiative aus, die den Namen Pro Reli trägt. Das Volksbegehren sammelt seit September Unterschriften, um zu erreichen, dass das Fach Religion an Berlins Schulen dem Pflichtfach Ethik gleichgestellt wird. Schüler hätten nach einem möglichen Volksentscheid dann die Wahl zwischen beiden Fächern. Pro Reli hat dafür Rückendeckung von beiden großen Kirchen. Dass Christen aber auch gute Gründe gegen einen regulären Religionsunterricht haben können, wurde bislang übersehen. Deshalb meldet sich jetzt die Initiative Christen pro Ethik zu Wort. Sie setzt sich ihrem Namen entsprechend für einen verpflichtenden Ethikunterricht ein. »Wir wehren uns gegen Pro Relis Propaganda, die an Schärfe zugenommen hat«, sagt der evangelische Pfarrer des Französischen Doms, Stephan Frielinghaus. Die Kirchenvertreter unterstützen damit die Linie der rot-roten Berliner Landesregierung: Vor zwei Jahren hat der Senat den Ethikunterricht als ordentliches Lehrfach für alle Jugendlichen der 7. bis 10. Klasse eingeführt. Der Religionsunterricht darf seitdem wie bisher freiwillig und zusätzlich besucht werden. Die Idee hinter einem verpflichtenden Ethikunterricht ist es, Schüler den Dialog verschiedener Kulturen im Klassenzimmer üben zu lassen. Ein separater Religionsunterricht für christliche, jüdische und muslimische Schüler würde zu »Parallelgesellschaften und Intoleranz« führen. So argumentiert auch das Bundesverfassungsgericht. Es hat 2007 die Klage einer Familie abgewiesen, die eine Abmeldemöglichkeit vom Ethikunterricht durchsetzten wollte. »Es ist ein Unterschied, ob sich Christen untereinander über Muslime unterhalten, oder ob Christen und Muslime das Gespräch miteinander suchen«, sagt Michael Bongardt, Professor für Vergleichende Ethik an der Freien Universität Berlin. Bongardt ist eine personifizierte Synthese beider Lager. Wie die Verfechter des Ethikunterrichts will er die »Sprachlosigkeit zwischen den verschiedenen Weltanschauungen überwinden.« Schulen hätten auch einen Integrationsauftrag zu erfüllen und in einem gemeinsamen Ethikunterricht könnten Schüler sich an den Werten des Grundgesetzes und der demokratischen Ordnung orientieren. »Religiöse Grüppchenbildung« müsse besonders in einer multikulturellen Stadt wie Berlin durch gemeinsamen Dialog verhindert werden. Wie die Freunde des Religionsunterrichts plädiert er dafür, Jugendlichen ihre jeweilige Religion erfahrbar zu machen. Theoretisches Wissen über die eigenen Wurzeln genüge nicht. »Schüler müssen in ihre Tradition hineinwachsen und sich kritisch mit ihr auseinandersetzen.« Dafür sei der Religionsunterricht zuständig, denn Ethik könne das nicht leisten. Ethik und Religion stehen nicht alternativ zueinander, sondern müssen sich sinnvoll ergänzen«, sagt Josef Göbel, katholischer Theologe und Mitglied von Christen pro Ethik. Daher ziele Pro Relis Slogan der »Wahlfreiheit zwischen Ethik und Religion« am Kern der Sache vorbei. Diese würde zum »Wahlzwang«, weil junge Menschen auf eines der beiden Fächer verzichten müssten. Nach der aktuellen Regelung blieben beide Fächer erhalten, so die Vertreter von Christen pro Ethik. Im Grunde befürworten auch sie einen Religionsunterricht. »Wir halten aber Freiwilligkeit in der Entscheidung für einen Bekenntnisunterricht für angemessen«, so Göbel. Pro Reli und ihre Unterstützer bezweifeln derweil, dass ein Pflichtfach Ethik und ein freiwilliger zusätzlicher Religionsunterricht praktisch vereinbar sind. Kerstin Griese, Beauftragte der SPD-Bundestagsfraktion für Kirchen und Religionsgemeinschaften kritisiert, dass der »Religionsunterricht oft in die späten Nachmittagsstunden rückt«. Viele Oberschüler, die durch die Verkürzung von 13 auf 12 Schuljahre ohnehin genug Arbeitspensum zu absolvieren hätten, meldeten sich trotz Interesse vom Religionsunterricht ab. Pro Reli befürchtet, Religion könne so nach und nach aus dem Schulleben verdrängt werden. Formell bleibt für das Fach aber alles beim Alten: Im Gegensatz zum Rest der Republik ist Religion in Berlin seit 1948 ein Zusatzfach ohne Einfluss auf den Notendurchschnitt. Wenn es Pro Reli gelingt, bis zum 21. Januar 170.000 Unterschriften zu sammeln, könnte ein Volksentscheid im Juni eine Wahlpflicht zwischen Religion oder Ethik herbeiführen. Zur Halbzeit der Eintragungsfrist fehlen der Bürgerinitiative aber noch etwa 140.000 Unterschriften. Es könnte knapp werden für das Volksbegehren. +++ Von Franziska Günther


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DAS INTERVIEW

ICH FINDE, EIN SAKRALRAUM MUSS ERHABEN SEIN!

es

Weshalb s endlich auch und übt öffentlich zu bitten.

Dörte Gatermann (geb. 19 werke Bochum, RömerMuseu Hans-Otto-Theater in Potsdam.

Böhm ist Schüler von Richard Meie in das von Böhms Großvater Dominik

Frau Gatermann, Sie kritisieren an dem E Typus, der alles in allem beibehalten sei, w

GATERMANN: Richtig. Aber die Kritik ist nur deshal Westfalen, wäre gar keine Auseinandersetzung Debatte um die Höhe von Kuppel und Minarett zu

Kuppel geöffnet und ein florales Thema daraus gem

ist neben dem Turm der stärkste Ausdruck von Zentri


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+++ Über die geplante Moschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld hat es von Anfang an Streit gegeben, weil sie von Kriti kern als Demonstration eines islamischen Machtanspruchs verstanden wurde.

In Deutschland lebenden Muslimen den Neubau von Gottes- bzw. Gebetshäusern gänzlich zu verweigern, dafür dürfte s allerings weder demokratisch noch rechtlich legitimierte Argumente geben.

sich eine sachliche Debatte nicht um das Ob, sondern um das Wie drehen muss: um die Ausprägung des Islams in Deutschland; aber um die Architektur der zeitgenössischen Moschee. Beides ist untrennbar mit einander verbunden, sagt die Architektin Dörte Gatermann, h Kritik an dem von Paul Böhm vorgelegten Entwurf der Kölner Moschee. Anlass für FORMAT, die Kritikerin und den Kritisierten an einen Tisch

956) hat sich vor allem mit Verwaltungsbauten international einen Namen gemacht (LVR-Hochhaus »KölnTriangle«, Schulministerium Düsseldorf, Stadtum Xanten); Paul Böhm (geb. 1959) entstammt einer berühmten deutschen Kirchenbaumeister-Familie und hat selbst Kirchen entworfen, aber auch das

er, während Gatermann bei Böhms Vater Gottfried gelernt hat – und daher zum Gespräch mit Paul Böhm nach 23 Jahren an ihre frühe Wirkungsstätte zurückkam: kus entworfene Domizil im Bauhausstil in Köln-Marienburg, in dem Paul Böhm sein Büro hat. +++

Entwurf von Paul Böhm für die Köln-Ehrenfelder Moschee, dass er nicht wirklich modern und zukunftsweisend sei, sondern sich rückwärts auf die Türkei beziehe. Der werfe keine Fragen nach den Inhalten auf, für die der Bau gedacht sei.

lb lohnend, weil der Entwurf sich auf einem sehr hohen Niveau befindet. Anhand all der anderen Moscheen, die derzeit unreflektiert gebaut werden, auch in Nordrheinmöglich. Bei denen kräuseln sich einem die Nackenhaare. Mich interessiert weniger der Typus an sich, als die Dialektik von Form und Inhalt. Etwas, was in der unseligen kurz gekommen ist. Ich war erstaunt, dass du den Kuppeltypus gewählt hast. Obwohl natürlich in modifizierter Form und in einer sehr starken Architektursprache; du hast die

macht. Aber doch, es ist der Kuppeltyp. Was ist aber der Inhalt, der genau diesen Ausdruck findet? Wenn man sich die Baugeschichte ansieht, dann stellt man fest, der Kuppelbau

iertheit und Machtanspruch.

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DAS INTERVIEW

BÖHM: Das sagst du so! Wenn ich mir die barocken Kirchen angucke, dann sehe ich da nicht die Demonstration eines Machtanspruchs, sondern ich empfinde sie einfach als großartig. Ich gehe gerne hinein, ich habe ein erhabenes Gefühl, wenn ich sie von innen und außen angucke. GATERMANN: Aber das erhabene Gefühl steht doch in Beziehung zur Selbstdarstellung des Baus. Und die ist eine Demonstration des Glaubens, der Kirche. Das müssen wir bei einer Moschee genauso sehen, mir ist nämlich völlig egal, ob wir diese Fragen der Machtdarstellung anhand einer Moschee oder einer evangelischen und katholischen Kirche oder anhand einer Synagoge diskutieren. BÖHM: Oder einer Tabakfabrik? GATERMANN: Ganz genau. BÖHM: Aber da besteht eben ein Unterschied! Sie meinen die Zigarettenfabrik Yenidze in Dresden von Anfang des 20. Jahrhunderts, die die Form einer Moschee besitzt?

DIE KUPPEL IST AUSDRUCK VON MACHT.

BÖHM: Zum Beispiel. Das gibt es doch längst, dass eine Kuppel profanen Inhalten dient. GATERMANN: Das sind zwei unterschiedliche Dinge: eine Kuppel bei profanen und eine Kuppel bei sakralen Bauten. Wir müssen unbedingt diskutieren, welchen Machtanspruch Glaubensgemeinschaften in unserer heutigen Gesellschaft architektonisch formulieren wollen und dürfen. Es wäre ja völlig unsinnig, die Benutzung der Kuppel als architektonischer Form generell zu verbieten. Es ist aber die Frage, was macht man daraus. Und Norman Foster hat, finde ich, etwas Geniales daraus gemacht, indem er es der Bevölkerung ermöglicht, in der doppelschaligen Kuppel über dem Berliner Reichstag herumzugehen. D. h. der Machtanspruch, den die Kuppel symbolisiert, wird konterkariert. BÖHM: Das wäre für einen Gebetsraum nicht richtig, weil ein Gebetsraum etwas Bergendes besitzen muss. Eine Kuppel bildet einfach eine geniale Form, Geborgenheit darzustellen, sie wirkt sozusagen wie ein Iglu. Wogegen ich mich wehre, ist, so einen Kuppelraum als Zeichen oder Ausdruck eines Machtanspruches hinzustellen. Und ich bin davon überzeugt, dass tut mein Entwurf auch nicht. GATERMANN: Da sind wir unterschiedlicher Meinung. BÖHM: Was er sehr wohl tut, und tun darf, ist Erhabenheit zum Ausdruck bringen. Und vielleicht auch einen gewissen Stolz derer, die sich dieses Haus bauen. Stolz, dass sie in unserer Gesellschaft angekommen sind, dass sie es zu etwas gebracht haben und mit ihrer Religion Teil unserer Gesellschaft sind. Die reißen sich ja ein Bein dafür aus, dass sie dieses Haus kriegen. Prinzipiell will ich Räume bauen, die eindeutig einer Funktion zugeordnet sind und dies auch nach außen darstellen. Hier wollte ich einen Raum bauen für Konzentration, Meditation, Gebet, der deshalb eine bestimmte innere Raumqualität haben muss, womit er sich von anderen Räumen unterscheidet. Es hat bis in die 70er und 80er Jahre hinein eine Entwicklung in der christlichen Kirchenbaukunst gegeben, sich in der Neutralität der Städte architektonisch zu verstecken, Kirchen zu bauen, die auch Turnhallen sein könnten. Diese Entmystifizierung des Kirchenraums finde ich ganz schlecht. Mir ist wichtig, dass sich ein Sakralraum auch nach außen als solcher darstellt. Würden Sie da denn zu-


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stimmen, Frau Gatermann?

GATERMANN: Aber wir diskutieren doch viel mit ihm!

GATERMANN: Eben nicht. Ich glaube, dass ein Sakralbau heute, welcher Konfession auch immer, gut daran tut, so offen wie möglich zu sein für alle. Vielleicht ist es auch nicht ohne Bedeutung, dass wir beide als Mann und als Frau darüber sprechen. Ich reagiere sehr sensibel auf das Thema Ausgeschlossensein. Und das ist sofort auf dem Tisch, wenn man Moscheen baut, aber auch Synagogen und katholische Kirchen.

BÖHM: Ja, allerdings. Bis ich kurz vor der Kündigung war. Ich habe Abmahnungen gekriegt. Und ich habe wirklich zeitweise überlegt, ob ich die Arbeit niederlege. Aber dann sind wir inhaltlich immer wieder so weit gekommen, dass ich wusste, ich baue ein Haus, das eine Entwicklung ermöglicht. Zum Beispiel dass irgendwann Männer und Frauen gemeinsam auf einer Ebene beten können. Ohne bauliche Änderung. Schon dass alle in einem Raum beten werden, ist eine Entwicklung gegenüber dem Jetztzustand; außerdem haben wir erreicht, dass Männer und Frauen den gleichen Eingang benutzen. Ich glaube, dass auch der Bauherr viel gelernt hat in diesem Prozess. Was nicht so klingen sollte, als würde ich den Bauherrn entmündigen. Allein schon deshalb ist die ganze Sache gut. Auch im Kirchenbau haben sich die Veränderungen immer nur in kleinen Schritten vollzogen.

BÖHM: Aber symbolisiert dieser Entwurf denn Ausgeschlossensein? Einen Gebetsraum schaffen, das ist ja schon auch ein bisschen wie die Quadratur des Kreises. Einerseits möchte man einen Raum schaffen, der eine gewisse Introvertiertheit bietet. Und andererseits möchte man den Eindruck vermeiden, dass irgendjemand ausgeschlossen wird. Im Gegenteil, unsere Sakralbauten, ob die Katholische Kirche in Köln-Vingst oder nun die Moschee, wollen in besonderem Maß einladend sein. GATERMANN: Wir haben ja als Architekten die Möglichkeit, mit unseren Bauherren über diese Themen immer wieder zu sprechen. Und die DITIB ist mit diesem Projekt im Vergleich zu dem, was sie sonst so baut, unglaublich weit gegangen. Dennoch habe ich, bei aller Faszination der Architektur und großen Qualität, die du lieferst …

BÖHM: Das freut mich! Wirklich! GATERMANN: Nein wirklich! Habe ich trotzdem ein etwas ungutes Gefühl, und das hat mit dem Inhalt zu tun. Was wird mit deinem Entwurf nach außen manifestiert? Das ist für mich genau der Punkt.

BÖHM: Ja, was wird denn manifestiert? GATERMANN: Manifestiert wird ein Inhalt, der für mich zu wenig Fragen stellen lässt. Er bezieht sich auf die historische Kuppelmoschee und damit auf die alten tradierten Inhalte. Ich wollte schon immer von dir wissen, was du selbst davon hältst, dass jetzt die Männer unten beten und die Frauen irgendwohin verbannt sind. (Der Entwurf von Paul Böhm sieht eine Galerie für die Frauen vor, während die Männer unten beten; die Redaktion)

GATERMANN: Na ja, dein Großvater Dominikus und in jedem Fall dein Vater mit der Wallfahrtskirche in Neviges, die haben schon ziemlich große Schritte gemacht im Kirchenbau! Ein Aspekt ist bisher zu kurz gekommen, nämlich die Verankerung des Bautyps Kuppel plus Minarett, den auch Paul Böhms Entwurf deutlich erkennen lässt, in der traditionellen, byzantinisch-osmanisch begründeten Moscheebaukunst der Türkei. Angeblich war in der Ausschreibung gar keine Kuppel vorgeschrieben.

BÖHM: Doch. Der Bauherr wollte eine Kuppel und zwei Minarette. In dieser Anfangsphase haben wir viel bei uns im Haus diskutiert, und wir haben, ehrlich gesagt, Spaß daran gefunden, auch mal eine Kuppel zu bauen. An der Stelle war ich als Architekt vielleicht irgendwo auch etwas schwach!

GATERMANN: Und das passte auch gut mit der DITIB überein, denn die wollten eigentlich viel lieber einen historisierenden Bau haben, sind mehr oder minder zum Wettbewerb genötigt worden und waren auch froh, dass sie ihre Kuppel wiederfanden.

gendwohin verbannt. Aber Dörte, wir machen doch Architektur, keine Politik, wenn wir auch Teil unserer Gesellschaft und verantwortlich sind für das, was wir machen. Wir können doch nicht den Bauherrn verdrehen oder ihm gar etwas anderes hinstellen.

Kuppel aufbrechen. Ein Prinzip, das einen bisher anders gelebten Islam symbolisiert. Das würde eine Moschee ohne Kuppel weit weniger tun. Ein Zelttyp, ein Hallentyp zum Beispiel.

BÖHM: Ich will auch nicht sagen, dass jede Moschee eine Kuppel haben soll. Wichtig ist mir: Ein solcher Raum soll sich darstellen, soll sichtbar sein. Das ist der Reichtum unserer Städte. Rathaus, Kirche, Konzerthaus, alle sollen sich präsentieren. Vielleicht auch potente Wirtschaftsunter nehmen, die sich ein Hochhaus bauen. Eines der größten Ar mutszeugnisse, die Köln sich geleistet hat, ist, dass sie die Philhar monie in die Erde gegraben haben. GATERMANN: Einen mächtigen Ausdruck annehmen, das sollten vor allem die Gebäude, die unsere Gesellschaft allgemeingültig widerspiegeln. Bei Bauten, die wirtschaftliche Macht oder auch religiöse ausdrücken, sollten wir den Symbolgehalt sehr genau abwägen, also bei Synagoge, Kirche und Moschee. BÖHM: Ich glaube eben, dass Sakralräumen dieser Stellenwert zusteht, egal welcher Konfession er ist. Es kommt doch vielmehr darauf an, ob ein monumentaler Bau die Menschen niederdrückt oder erhebt. Hier würde nun die Diskussion über Sinn oder Bedeutung von Religion und Atheismus beginnen. Da sind wir, glaube ich, grundsätzlich unterschiedlicher Meinung. Gab es Vorgaben hinsichtlich der Wirkung, der Repräsentanz?

BÖHM: Nein, nicht in diesem Sinne. GATERMANN: Aber natürlich! Es gab die Größenvorgaben, und wenn man eine Kuppel und zwei Minarette will, dann ist das eine solche Vorgabe. Wie ist denn deine Haltung zu den Minaretten? Für mich die reine Symbolik. BÖHM: Für mich auch! GATERMANN: Hättest du sie gebaut, wenn sie nicht ver-

BÖHM: Oberflächlich betrachtet hast du vielleicht recht. BÖHM: Die Frauen werden in unserem Entwurf nicht ir-

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langt worden wären?

Aber ich glaube, sie sind jetzt auch recht begeistert.

BÖHM: Also – – ich glaube ja. GATERMANN: Ich will ja deinen Entwurf nicht grundsätzlich kritisieren, eben weil er Dinge ermöglicht und nicht verhindert. Aber eines muss ich doch sagen: Nach außen hin stellt er das bekannte Prinzip Moschee dar, auch wenn es modifiziert ist mit den Schalen, die die

GATERMANN: Damit man nicht denkt, dass die Moschee eine Philharmonie ist. BÖHM: Ein bisschen ist das schon so. Das ist ja das, worüber wir die ganze Zeit diskutiert haben: Ich möchte zeigen, was da ist. Zeigen, dass da eine Moschee ist. Damit mache ich den Bau transparent.

GATERMANN: Deswegen würde ich keine Minarette bauen. Ich stelle auch den Kirchturm in Frage. BÖHM: Und ich finde es richtig, dass man wieder Kirchtürme baut. Für mich sind sie auch keine Symbole der Macht, sondern Zeichen der Nutzung, wie aufgestellte Schilder. In den USA gibt es spätestens seit 1995 eine architekturtheoretische Debatte über die Gestalt der Moschee. Hat es auf Fachtagungen von Architekten in Deutschland je in den letzten Jahren solche Debatten gegeben?

BÖHM: Das hat jetzt angefangen. Ich will nicht sagen, mit unserem Entwurf. Aber es liegt in der Luft... +++


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nuqDaq ‚oH puchpa‘‘e‘? Sprechen Sie Volapük? Oder Loglan? Seit mehr als hundert Jahren tüfteln Wissenschaftler und Visionäre an einer Sprache für alle.

+++ So hatte der liebe Gott sich das eigentlich nicht vorgestellt. Ganz ohne anzuklopfen wollten die Menschen ins Himmelreich platzen, damals, in Babylon, und zwar mit Hilfe eines gigantischen Turms. Das war nicht nur unhöflich, sondern auch ziemlich anmaßend. Also zürnte Gott und strafte: Er griff in den Baukasten für Homo sapiens, kramte allerlei Sprachen hervor und schüttete sie über der Baustelle aus. Sollten die Menschen doch zusehen, wie sie klarkamen, wenn sie einander nicht mehr verstanden! Der Turm zu Babel blieb unvollendet. Es war einige tausend Jahre später, um 1875 in Litzelstetten am Bodensee, als Gott seine Strafe wohl ein wenig zu mildern gedachte. Jedenfalls schickte er dem katholischen Priester Johann Martin Schleyer eine Eingebung, wie der babylonischen Sprachverwirrung ein Ende zu machen sei. Und so schuf Pfarrer Schleyer »Volapük« die erste bedeutende internationale Kunstsprache. Nur wenige Jahre später beherrschten bereits 210.000 Menschen das neue Idiom, wie das »Handbook of Volapük« mitteilt. Sie lasen in elf Volapük-Magazinen und tauschten sich auf Kongressen aus. Volapük - das war 1888 die Zukunft. Und Ausdruck der beginnenden Globalisierung. Händler, Politiker, Banker, Wissenschaftler - sie alle sollten eine Sprache sprechen und endlich das Trauma Babylon besiegen. Das jedenfalls war die Vision. Die Wirklichkeit sah etwas anders aus: Parallel zu Volapük wurden allerlei weitere Kunstsprachen erfunden, die einander Konkurrenz machten. So stand die Welt im Jahr 1900 zunächst einmal vor der grundlegenden Frage, welche der Sprachen sie zur offiziellen Weltsprache küren sollten. Musste es überhaupt eine Kunstsprache sein? Ja, es musste! Schon der ausgeprägte Nationalstolz jener Tage verbot es schlicht, eine einzige Sprache über alle anderen zu stellen. Englisch als universelles Kommunikati-

onsmittel? Nein danke. Um die beste unter allen Entwürfen zu finden, bildeten Wissenschaftler während der Pariser Weltausstellung 1900 eine »Delegation zur Annahme einer internationalen Hilfssprache«. Die Arbeitsgruppe bestand aus Wissenschaftlern verschiedener Fächer. Auf ihrer siebenjährigen Suche nach der geeigneten Sprache befragten die Experten Schüler, Abgeordnete, Händler, Stenografen, Korrespondenten, Pädagogen und Kirchenvertreter; sie lauschten den Klängen europäischer Sprachen ebenso wie slawischer, südamerikanischer und nordafrikanischer. Die neue internationale Sprache sollte »einfach sein und klar wie die grundlegenden Naturgesetze«. Und »von allen zivilisierten Nationen verstanden werden« - und zwar »inklusive der Japaner«, wie es im Abschlussbericht der Delegation zu lesen steht. Am Ende stand fest: Keine der neueren Sprachschöpfungen war perfekt. Immerhin: Das 1887 von dem polnischen Augenarzt Ludwik Lejzer Zamenhof erfundene Esperanto entsprach in Ansätzen dem Wunsch der Delegierten. Esperanto basierte wie Volapük und Occidental auf europäischen Sprachen, bedürfte aber weiterer Entwicklung. Der Welt präsentierten die Sprachexperten schließlich ein reformiertes Esperanto, das sie »Ido« nannten. Doch weder Ido noch das rund fünfzig Jahre später erfundene IALA-Interlingua setzten sich je als Weltsprache durch. Allein Esperanto ist heute immerhin so weit verbreitet, dass optimistischste Schätzungen von bis zu zehn Millionen Nutzern ausgehen. Radio Vatikan sendet regelmäßig in dieser Sprache, und die deutsche Esperanto-Bibliothek im württembergischen Aalen besitzt heute rund 40.000 Titel. Aber warum auf eine Weltsprache beschränken? Angesichts des über den Mond hüpfenden US-Astronauten Neil Armstrong deuchte es manchen Visionär, das bald eine einheitliche Galaxiesprache ge-

braucht werden würde. Zum Glück hatte die der deutsche Mathematiker Hans Freudenthal bereits erfunden: »Lincos - Design of a Language for Cosmic Intercourse«, hieß sein 1960 erschienenes Buch. Lincos sollte jedem intelligenten Wesen verständlich zu machen sein - sofern dieses mathematische Grundsätze versteht: o + o = oo, oo + o = ooo und ooo - o = oo.

Lojban wohl erst einmal bei den Menschen durchsetzen. Eine andere Spracherfindung ist da immerhin auf gutem Wege: Weit mehr Erdlinge als man meinen würde, können auf die Frage »nuqDaq ‚oH puchpa‘‘e‘ ?« die richtige Antwort geben. Das würde den Fragesteller vermutlich freuen, denn »Wo ist das Klo?« wäre für einen Klingonen nach der langen Reise quer durch die Galaxis zweifelsfrei eine dringende Frage.

Fast vierzig Jahre nach Freudenthals Erfindung jagte der kanadischen Astrophysiker Klingonen, das wissen wir seit den interstelYvan Dutil 1999 erstmals eine Lincos-Nachlaren Abenteuern des glatzköpfigen Captain richt ins Weltall. Sie enthielt neben mathePicard in »Star Trek«, sind menschenähnliche matischen Grundsätzen wie dem Satz des Wesen mit ausgeprägter SorgenfaltenanaPythagoras auch eine tomie und GrummelBeschreibung des Menlaune vom Planeten O Fat obas, kel binol in süls, schen inklusive DNA. Kronos. Für sie ließ paisaludomöz nem ola, kömomöd Zu guter Letzt forderte der Filmgigant Paramonargän ola jenomöz vil olik, Dutil den Empfänger mount Pictures 1984 äs in sül, i su tal bodi obsik vädeliki der Nachricht auf, die eigens eine kompletgivolös obes adelo. gleichen Informationen te Sprache ersinnen, E pardolös obes debis obsik. über sich preiszugeben gespickt mit Ausdrüund zurückzuschicken. cken, die der menschDie Koordinaten der lichen Zunge AkrobaErde hatte er seiner intisches abverlangen »Vater unser« in Volapük terstellaren Nachricht und unweigerlich zu selbstverständlich beieiner feuchten Ausgelegt. Noch allerdings sprache führen. wartet er auf Antwort. Sehr viel irdischer war das Experiment, das Dennoch entwickelte die Hollywood-Erfinder Soziologe James Cooke Brown 1960 im dung deutlich mehr Dynamik als ihre eher »Scientific American« beschrieb. Er wollte wissenschaftlichen Vorläufer. Laut »Klingon überprüfen, ob die jeweilige Sprache das Language Institute« ist Klingonisch heute Denken von Menschen beeinflusst. die »am schnellsten wachsende Sprache der Zu diesem Zweck entwickelte Galaxie« - auch wenn das Institut nicht mitBrown eine Kunstsprache, die so neutral teilt, auf welchen Daten diese Behauptung und logisch sein sollte, dass sie das Denken basiert. Immerhin gibt es sogar ein Klinin keine Richtung beeinflussen würde: Logonisches Google, und sogar die Internetglan. Bis heute feilt die »Logical Language Seite der hochrespektablen Deutschen Group« an Loglan, das inzwischen Lojban Welle war 2004 zeitweise auf Klingonisch genannt wird. Ihre Mitglieder sprechen verfügbar. Der sozialpsychiatrische Dienst eine Sprache, die ohne Substantive, Verben des Multnomah County im US-Bundesund Zeiten auskommt, und Sätze so exakt staat Oregon suchte laut CNN 2003 einen und neutral ausdrückt, dass in Zukunft soBetreuer mit klingonischem Wortschatz, gar eine Kommunikation mit Computern Begründung: »Wir müssen die Sprache möglich sein soll. Davor aber müsste sich unserer Klienten sprechen.« +++


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EINFACH BANAL! Wäscheklammern, Eis am Stil, Kaffeefilter: Viele grandios simple Dinge entstanden zufällig.

+++ Eines Abends im Jahre 1905 ließ der elfjährige Frank Epperson aus Kalifornien sein Limonadenglas auf der Veranda stehen. Ausgerechnet in dieser Nacht sank die Temperatur im US-Sonnenstaat ungewöhnlich tief und ließ die Brause am Rührstab festfrieren. Fasziniert hielt Frank am nächsten Morgen die gefrorene Masse am Stäbchen in der Hand und leckte daran. »Gar nicht mal so übel«, dachte sich der Junge und präsentierte die Entdeckung seinen Schulkumpels. Die waren von der handlichen, kühlen Brause am Stäbchen ebenso begeistert wie er. 18 Jahre später - Epperson ist inzwischen ein gestandener Limonadenhändler - erinnerte er sich an seinen »Eislutscher«. Er lässt ihn patentieren. Zwei Jahre später verkaufte er die Idee an einen Nahrungsmittelhersteller. Unter dem Namen »Popsicle«, wie Eppersons Kinder den Eis-Lolli tauften, verkaufte sich der kühle Lutscher allein bis 1928 rund 60 Millionen Mal. Dass ihn ein kleines Holzstäbchen einmal zu einem reichen Mann machen würde, damit hatte der Elfjährige an jenem Morgen auf der Veranda sicher nicht gerechnet. Wenn es um Erfindungen geht, haben die meisten Menschen sofort das Bild vom Genie im weißen Laborkittel vor Augen. Man denkt an Tafeln, vollgeschrieben mit komplizierten Formeln, Labore voller Supercomputer und gigantische Denkfabriken, in denen Firmen unter höchster Geheimhaltung die neuesten Errungenschaften für die Menschheit ertüfteln. Dabei sind viele der einstigen Innovationen, die uns heute ständig im Alltag begegnen, mitnichten das Kalkül professioneller Neudenker. Das Rezept für eine bahnbrechende Idee scheint ganz einfach: »Jede Erfindung muss der Menschheit dienen«, nennt Artur Fischer sein Erfolgsgeheimnis. Der 88-Jährige muss es wissen. Fischer ist einer der erfolgreichsten und aktivsten Erfinder der Welt. Über tausend Patente sind auf seinen Namen registriert, mehr nur noch für Thomas

Alva Edison, dem Vater der Glühbirne. Der gelernte Schlosser Fischer erfand 1948 den elektrischen Feueranzünder, revolutionierte nur ein Jahr später die Fotografie mit seinem »Magnesium-Blitzlichtgerät mit Verschlusssynchronisation« und wurde 1958 weltberühmt - als Erfinder des FischerDübels. Der kleine Plastikstopfen sollte das Leben der Handwerker deutlich erleichtern. Wer vor den fünfziger Jahren beispielsweise eine Wandlampe befestigen wollte, musste ein Loch stemmen, einen Holzdübel eingipsen - und beten, dass es hielt. Dieser Missstand ließ den Tüftler einfach nicht los. Ein besserer Dübel musste her. »Das erste Exemplar habe ich an einem Samstagmittag von Hand aus einem Stück hochwertigem Nylon gefeilt«, erzählt Fischer. Dann habe er seine Erfindung in die Wand gehauen und versucht, sie mit einem großen Hebel wieder zu entfernen. Aber »der hielt bombenfest. Da wusste ich: Das ist es!« Fischer hat Recht behalten. Der fischersche Spreizdübel feiert in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag. Bis heute werden rund 14,5 Millionen Stück verkauft - pro Tag. Ein anderes genial einfaches Produkt, das bis heute in nahezu unveränderter Form auf dem Markt ist, wird in diesem Jahr 100 Jahre alt - und beweist, das wir nicht alle Erfindungen Männern verdanken. Schon seit längerem ärgerte sich die Dresdener Hausfrau Melitta Benz über den lästigen Kaffeesatz zwischen den Lippen und den bitteren Geschmack des koffeinhaltigen Getränks, das sie ihren Damen beim wöchentlichen Kaffeekränzchen servierte. Damit sollte ein für allemal Schluss sein! Die Gastgeberin schritt zur Tat: Sie griff nach einer Konservendose und hämmerte Löcher in den Metallboden. Aus dem Vokabelheft ihres Sohnes zog sie das Löschpapier heraus, schnitt es zurecht und legte es auf den Dosenboden, füllte Kaffeepulver hinein und goss heißes Wasser darüber. Fertig war der erste satzfreie Filterkaffee. Zufrieden kredenzte sie das aromatische Heißgetränk

ihren Gästen, die der Hausfrau begeistert wanderte Ire wollte unbedingt als Erfinder zu ihrem Geschick gratulieren. Der Erfolg in die Geschichte eingehen. Unermüdlich spornte Melitta an, sie experimentierte weitüftelte er in seiner Stube, überzeugt davon, ter, testete und verfeinerte ihren Filter. Am eines Tages eine lukrative Entdeckung zu 20. Juni 1908 meldete sie ihre segensreiche machen. Erfindung beim Kaiserlichen Patentamt zu Nach über 80 PatentanmeldunBerlin an. Noch im selben Jahr gründete die gen gelang ihm 1891 endlich ein MeisterEx-Hausfrau mit gerade einmal 72 Reichsstück - der Zeitgeist kam ihm zur Hilfe: Dapfennigen Startkapital das Familienuntermals wurden Getränke mit Kohlensäure nehmen M. Bentz, später schlicht Melitta. immer populärer. Doch der Transport der sprudelnden Getränkeflaschen war prob Der Rest ist Geschichte: Filterkaflematisch. Entweder schlossen die Kork-, fee wurde zum Nationalgetränk - und der Porzellan oder Metallverschlüsse zu wenig Vorname der Erfinderin Kult. Auf ganz ab, sodass die Kohlensäurebläschen und ähnliche Art entstanden viele Dinge, die damit der beliebte Prickeleffekt verloren uns heute fast täglich gingen. Im Ergebnis begegnen. Den Kletthatte man damals Der Kronkorken-Erfinder selbst verschluss erdachte nach dem Einkauf soll zum Öffnen von der Schweizer Ingenivon Limonade oder Flaschen lieber den Gebrauch eur George de Mestral Bier entweder eine von Messern, Schraubendrehern, 1941, als er nach einem klebrige Schweinerei Nägeln oder Eispickel Jagdausflug die Kletin der Tüte oder eine empfohlen haben. ten aus dem Fell seiabgestandene Brühe . nes Hundes zupfte. Auf im Mund. Genau hier den Tetra-Pak kam der sah Painter seine groschwedische Ökonom ße Chance. Über William Painter, Erfinder Ruben Rausing, als er Er präsentierte ein mal wieder einen Kaskleines Wegwerfobten Milch in schweren jekt, das den Druck Glasflaschen die Treppe in der Flasche auf zu seiner Wohnung hochschleppte. Und der 24 (später 21) Zacken verteilte und diese ungarische Journalist Lazlo Biro ärgerte sich mit seiner innen eingelegten Korkscheibe über schmierende Tintenfüller - und kam luftdicht abschloss. Er nannte dieses Ding auf die Lösung des Problems, als er Kindern »Kronkorken« - und es katapultierte ihn in beim Murmelspielen zusah. Der Legende den so lang ersehnten Erfinder-Olymp. nach soll der findige Biro gesehen haben, 1893 gründete Painter die Firma »Crown wie eine Murmel durch eine Pfütze rollte Cork and Seal Company«, heute »Crown und auf dem trockenen Asphalt daneben Holdings Inc.« - eine der weltgrößten Hereinen Strich hinterließ. Dieses Prinzip steckt steller für Kronkorken und andere Gebis heute in allen Kugelschreiberspitzen. tränke-Artikel. Doch woran erkennt ein Doch nicht immer ist es so einfach, eine gute Erfinder eigentlich, ob seine Idee Erfolg Idee zu haben. Während die Erfinder von Eis verspricht? Dübel-Vater Artur Fischer folgam Stiel, Kaffeefilter oder Klettverschluss alte stets einer genial einfachen Faustregel: lesamt einer spontanen Eingebung gefolgt Er habe immer nur in die Augen der Menwaren und damit sogleich einen Volltreffer schen geschaut, wenn er ihnen eine neue landeten, tat sich William Painter (1838Erfindung präsentierte. »Man sieht doch 1906) schwer. Der 1858 in die USA eingesofort, wenn da was leuchtet.« +++


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EHRENRETTUNG FRAKTUR Die FAZ hat sie vor einem Jahr abgeschafft, und viele halten sie für die typische Nazischrift. In Wahrheit ist die Fraktur aber weder braun noch altmodisch. Im Dritten Reich war sie sogar verboten. Art Director Herbert Winkler erklärt, warum die Lettern zu Unrecht verdammt wurden.

+++ Ich verantworte den Auftritt des renommierten Wiener Theaters. Als ich einer Runde aus Intendanz, Dramaturgen und Kulturmanagern meinen Entwurf der neuen Saisonvorschau präsentierte, war auch etwas in Fraktur dabei. Zusammengekniffene Augenbrauen, verdunkelte Blicke: Nazischrift. Ich war verblüfft. Selbst hier, unter lauter belesenen Menschen, wütete immer noch das größte Typo-Missverständnis der jüngeren Geschichte. Fraktur=Hitler. Mein TypografenHerz blutete. Auf den Bösendorfer-Flügel wurde doch auch nicht nur Marschmusik gespielt. Ich sehe die Fraktur als ein Kind der Renaissance heranwachsen, das sich emanzipiert von der Gelehrtenschrift Latein. Die wurde damals in der Antiqua gedruckt, deutsche Texte in Fraktur. Ich sehe wie der Unterschied sich während der Reformation verschläft. Die Antiqua, angelehnt an die römische Schrift, steht für abendländische Tradition. Die gebrochenen Schriften mit ihren wie gotische Spitzbögen kantigen Rundungen werden mit Luthers Bibelausgabe zum Sinnbild der deutschen Sprache. Im Widerstreit der Schriften kommt schon damals ein klassischer sozialer Gegensatz zum Ausdruck.Die Antiqua fühlt sich weltmännisch an, die Fraktur volksnah. Goethe und Grimm argumentierten leidenschaftlich für die Antiqua. Bismarck weigert sich, etwas zu lesen, was nicht in Fraktur gedruckt ist. Und während der Kriege gegen die Franzosen bis hin zum Ersten Weltkrieg muss die Fraktur immer wieder als nationales Argument gegen die Franzosen und ihre »welsche« Schrift herhalten. 1911stimmen - nach einer polemischen Debatte - drei Viertel der Abgeordneten im Reichstag dafür, die Fraktur als Amtsschrift beizubehalten. Dann kamen die Nazis. Und ich sehe voller Zorn, wie sich in ihren Händen eine schlichte Bleiletter in ein Symbol der Deutschtümelei verwandelt. Heerscharen von Experten versuchten damals zu beweisen, dass die Fraktur wahrhaft deutsch ist. Jüdischen Verlagen wurde verboten, Fraktur zu drucken. Die Schriftschöpfer schufen neue Frakturschnitte unter mar-

tialischen Namen wie »Tannenberg«, »Gotenburg« oder »Deutschmeister«. Aber selbst in diesen Schriften zeigte sich die Schizophrenie des Systems: In ihrer Reduktion der der Schnörkel ähnelte sie erstaunlich der Vorliebe des verpönten Bauhauses für die serifenlosen Groteskschriften. Die Schriftsetzer erkannten die Mogelpackung und nannten sie »Schaftstiefelgrotesken«. Die faschistische Verehrung der Fraktur war nur vorgeschoben. Im Gegensatz zu den Nationalkonservativen sahen sich die Nazis sich ja als Avantgarde. Hitler war der Mahn der Autobahn, des Betons, der Moderne. Seine Lieblingssschrift war die Futura der Bauhaus-Bewegung. Aber so lange ihm die Legende von der Fraktur als »deutschester Schrift« nützlich erschien, setzte er das Ressentiment. In einer krassen Kehrwende denunzierten die Nazis die Fraktur dann als »Schwabenbacher Judenletten«. Im Januar 1941 wurde sie verboten, in Zeiten der Blitzkriege störte die »barocke Floskel« (Originalton Hitler) Der »Völkische Beobachter« stellte auf Antiqua um, die neue »Normalschrift«. Offizielle Begründung: Die Bevölkerung in den besetzten Gebieten sollte deutsche Anweisungen lesen können. Ich sehe dieses demagogisch missbrauchte, gute, starke Schrift und wie über 500 Jahre Kulturgeschichte durch 12 Jahre Hitlerismus völlig ausgeblendet werden. So gut wie nie gelingt es mir, von der Fraktur Gebrauch zu machen. Eine Tragödie: Die doppelt diffamierte Schrift ist schon fast ausgelöscht. Jetzt wirft auch noch die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« die Flinte ins Korn. Keine Fraktur mehr über den Kommentaren. Das Layout verzichtet grundlos auf ein identitätsstiftendes Gestaltungsmittel. Ich hätte, anstatt Mitbewerbern nachzugeben, die Fraktur in der FAZ sogar noch prominenter eingesetzt. Andere Tageszeitungen haben kein Problem damit, bestes Beispiel ist das »New York Times Style Magazine«. Das jüngste Lifestyle-Supplement des Tradtitionsverlags setzt die Fraktur als Initiale ein - kraftvoll und eigenständig. Ein perfekter Bruch zwischen Tradtition und Moderne. Aber vielleicht bekommen wir die Fraktur über Umwege ins Ausland wieder. Ihrem satten Schriftbild hat sie die Bezeichnung »Blackletter« zu verdanken und längst

hat der Hip-Hop-, Computerspiele- und Lifestyle Markt sie für sie entdeckt. Ob auf den Covern von 50 Cent oder Dave Clark, ob in der NBA als Tattoo auf der Haut oder als Akzidenzsschrift in Anzeigenkampagnen von s.Oliver - zur Ehrenrettung der Fraktur treten skurilerweise die LifestyleKreativen an, nicht die Feuilletons. Ich sehe die Fraktur als eine tragisch verkannte Schrift. Sie bringt Ornament und Schriftbild in Einklang. Sie ist eine ausgesprochen schöne Kalligrafie. Sehr nahe an der Kunst, die Schreiber in der Zeit vor dem Buchdruck entwickelt hatten. Jeder Letter wurde förmlich illustriert. Ich erinnere mich an die Kalligrafiestunden in meiner Ausbildung, wie wunderbar diese Schrift mit der Breitfeder zu schreiben war. Frakturlettern sind Kunstwerke. Sie sind ein großartiger Kontrast zur Kühle der heute vorherrschenden Designsprache. Jahrelang haben wir reduziert, nun gibt es eine Sehnsucht nach Handwerk, nach Verspieltem. Technologie ist unser Mammon, Hipness unsere Währung. Börsenspekulation, Internetblase, Markenwahn - auch ich war mit meinem Magazin Wallpaper nicht unbeteiligt. Nun haben wir es satt, de Hype nachjagen zu müssen.Wir wollen Qualität, die hält. Fraktur ist etwas davon. Gerade Desginer sollten die Fraktur beachten. Das digitale zeitalter hat die Profession des Layouters in ein Massenhobby verwandelt. Computer quellen über von grauenhaften Schriften. Kerning, X-Höhe, Punzen: Es gibt einige Regeln, die man kennen sollte. Tyografie ist eine Schule des Auges. Dazu braucht es mehr als ein paar Klicks. Ich sehe das hierzulande als einen regelrechten Bildungsauftrag. Artdirektoren sollten sich auf wenige Schriftfamilien beschränken, und die Fraktur gehört unbedingt dazu. Diese Schrift ist unverdient im Exil, geben wir ihr ihre Macht zurück. Entwickeln wir sie weiter, holen wir sie in die Gegenwart. Die Fraktur muss raus aus der Gemütlichkeitsfalle von Gaststättenschildern, raus aus Tätowierstudios und Musikclubs. Nicht nur Fraktur reden, Fraktur drucken. +++ Herbert Winkler hat den Look des stilbildenden Lifestylemagazins Wallpaper geschaffen und leitet das Designstudio Creative Solutions in Wien


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«SHOW ME YOUR BACK» UND DIE MASSE DREHT SICH UM.


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AUSZIEHEN FÜR DIE KUNST

An einem strahlenden Sonntagnachmittag fährt unser Autor ins größte Stadion Österreichs, um sich nackt auszuziehen, er will ein »euphorisierendes Gemeinschaftsgefühl« erleben - als einer von 3000 Mitwirkenden bei einem Kunstprojekt des amerikanischen Fotografen Spencer Tunick.

+++ An einem strahlenden Sonntagnachmittag fährt unser Autor ins größte Stadion Österreichs, um sich nackt auszuziehen, er will ein «euphorisierendes Gemeinschaftsgefühl» erleben - als einer von 3000 Mitwirkenden bei einem Kunstprojekt des amerikanischen Fotografen Spencer Tunick. US-Fotograf Spencer Tunick bringt Menschen dazu, sich zu entblößen, eine «soziale Plastik» zu sein: 18 000 in Mexico City letztes Jahr, am Schweizer Aletschgletscher legten sich 600 Nackte aufs Eis - die Metapher zum Thema Erderwärmung zählte das «Time Magazine» zu den besten Fotografien 2007. Nach Österreich kam Tunick auf Einladung der Kunsthalle Wien und der österreichischen Promotion-Initiative «Österreich am Ball», die ihm den Schauplatz des Fußball-EM-Endspiels 2008 als Spielplatz zur Verfügung stellt. 50 000 Menschen haben im Ernst-Happel-Stadion Platz, 3.000 haben sich schon angemeldet und diese, so sagt Tunick, «are no nudists. These are people who want to go beyond their limits for the art.» Ja, wir sind bereit. Doch anders als bei einem Rockkonzert herrscht angespanntes Schweigen und trotz Gedränge sind wir von Euphorie in der Gemeinschaft noch meilenweit entfernt, «nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch ihm Unbekanntes», und die Sonne brennt, die gelbe Sau. Gerald Matt, Direktor der Kunsthalle Wien, trifft ein, die Stadiontore öffnen sich und gruppenweise führt man uns hinein, zweitausend werden wir schlussendlich sein. Mein Nebenmann sagt unvermittelt, er habe sich auch «dort» rasiert. «Are you single?» fragt mich ein Ordner. Ich bejahe, er weist mir einen Sitzplatz zu. «Please get undressed when the artist says so.» Ich nicke. «You guys are finished.» Er wendet sich der nächsten Gruppe zu. Nun sitzen wir im kühlen Schatten, vor uns ein leeres Fussballfeld, der Lärm der Außenwelt scheint abgeschirmt: In dieser Arena sind wir nach außen und in sich, also auf zweifache Weise geschlossen. Drei Reihen hinter mir will Maja (5) endlich Fußball sehen. «Den gibt´s heut´nicht», sagt der Vater, er war dabei, als Tunick vor acht Jahren dreihundert Nackte in Wien fotografierte und das war gut und darum ist er wieder hier. Tatjana und Jennie sind aus Frankfurt und Berlin, Theaterwissenschaften studieren sie in Wien und Reue hier zu sein verspüren sie noch keine, aber den kühlen Wind, der durch das Stadion weht. «Frisch wird´s», trägt der Volksschullehrer Adolf (59) bei und Christopher, Student, hat Zeit für Selbsterfahrung

und weiß schon jetzt, dass er sich bald sehr komisch fühlen wird trotz FKK-Erfahrung in Kroatien letztes Jahr. «Wie lange dauert der Quatsch noch?» ruft einer, der heißt Leopold, dem weit entfernten Ordner zu, beantwortet die Frage selbst: «Zu lang! Das ist österreichische Organisation!» Leopold ist 50 und sieht sein Dasein als Protestaktion: Nackt stünde die Menschheit gegenüber der von ihr beschädigten Natur, welcher sie schutzlos ausgeliefert sei, und trotz globaler Erwärmung sei ihm und seiner Enkelin nun kalt. «Who´s in charge of you guys?!» Ein Ordner bringt uns auseinander. «No one should be sitting next to you! The artist will be with you soon.» «Der Godot wär schon längst da», murmelt Benni (25) drei Sitze rechts von mir, Nacktbader aus Leidenschaft, und ein Megafon sagt, Toiletten seien im Mittelgang. «Thank you for coming... from the bottom of my heart!» Dem Dank folgt heftiger Applaus. Tunicks Stimme hallt gottähnlich durch das Stadion, von dessen Lautsprechern überdimensional verstärkt. Er selbst, in Jeans und T-Shirt, winkt uns vertrauenswürdig zu, ein kleiner Mann am Spielfeldrand. «Jetzt beginnt der Spaß!», ruft Maxi, 25. Sie wollte immer schon ein Kunstwerk sein. «We are here to make an exhibition of works. We will do a number of different set ups and especially the last one will be... fantastic!» Die Menge lacht. Sie weiß, das Ganze wird noch ein paar Stunden dauern, ein Übersetzer übersetzt und Tunick blickt uns glücklich an. «Er hat gut reden», murmelt Benni, «er steht ja in der Sonne. Wir sind ein Set Up, das sich verkühlt.» - «When we do the photos please do not smile! Have a straight, sad face!...Haben Sie ein normales Gesicht!», so übersetzt man das hier in Wien. «Und bei Drei, da machen wir uns frei.» «One ...» Das Stadion wird mucksmäuschenstill. «Two ...» Zweitausend Menschen stehen auf, zweitausend Sitze klappern wie ein enthemmtes Metronom. «Three!» Und die Tribüne färbt sich neu, gibt einen monochromen Farbton frei und diese Farbe, die heißt «Mensch». Und der ist schön, denk ich in einem christlichen Moment, Adam & Eva umdrängen mich in diesem Sinn, ihre Bewegtheit und Bewegung schafft warme Umluft und dermaßen aufgewärmt sehen wir uns plötzlich anders in der Welt: Erst sprachlos, dann folgt ergreifender Applaus, für und von uns selbst, «ungeheuer ist die Erleichterung darüber. Um diesen glücklichen Augenblicks Willen, da keiner mehr, keiner besser als der andere ist, werden die Menschen zur Masse»

und ich sehe einen wunderschönen Busen. Nun bittet Spencer, die Klappsitze zu besteigen. Wir steigen auf, suchen Balance, denn wer den falschen Schwerpunkt wählt, dessen Sitz klappt zu, doch diese Gefahr scheint von allen achtsam anerkannt, nicht so von der Enkelin des Leopold: Sie fällt, schreit auf und bricht die Stille. Leo umarmt die Weinende, sucht Trost für sie. Und wir? Wir blicken stumm und nackt auf die Rettung dieser Kinderseele und helfen nicht und blicken wie auf Leopold hinab, als er, schon wieder angezogen, dem Stadion den Rücken kehrt und mit seiner Enkelin das Weite sucht. Und erstmals hör ich unsere Stimme: Wir buhen Leopold und seinem erschreckten Mädchen hinteher - schnell reagierte unsere Seele. «Dieser Angriff von innen ist gefährlich, die Masse fürchtet ihren Zerfall.» «Be quiet!» und zweitausend Nackte stehen still. Ein Greis sucht noch das Gleichgewicht, ein Baby weint und jemand niest. «Show me your back!» Die Masse dreht sich um. Abgewendet steht sie nun da, blickt in hunderte von nackten Rücken, in Reih und Glied und gottergeben, schutzlos dem Betrachter ausgeliefert, und bei Drei, da wird gefeuert und auch die Schüsse sind nur Imagination und Bennis Stimme bringt es auf den Punkt: «Jetzt muss ich blöderweise an Konzentrationslager denken.» «Strecken Sie ihre Hände aus wie ein Flugzeug!» Wir sind ein menschliches Geschwader. «And now be balls!» Und wir sind Bälle, die auf den kalten Sitzen knien, Rücken gekrümmt und Kopf der Erde zugewandt, mit Kniegelenken, die bald schmerzen. «Jetzt will ich Geld dafür!», schreit Maxi, blickt wie jede/r in das Arschloch seines oder ihres Nachbarballs. «Heads down!» Der Ausblick hat ein Ende. «Thank you from the bottom of my heart!» Das erste Set up ist erledigt und jene, die einander besser kennen, umarmen sich, um sich zu wärmen, und jene die allein sind, sind allein. Verschämtes Lächeln am Pissoir, bloßflüßig am uringetränkten Boden, Natürlichkeit hat ihren Preis. «Hast du Ausländer gesehen?», fragt Adolf. «Woran erkennt man die?», fragte Benni. Rücklings sitzen wir auf kalten Sitzen, Köpfe dem Süden zugewandt, und starren auf das Stadiondach. Rechts von mir spricht man von Treue, indes ich spüre fremde Zehen in meinen Haaren. Nun bäuchlings über Rückenlehnen, das Hinterteil dem

Künstler zugewandt. Körper verkrampft, Disziplin gelockert. Schon zynisch kommentieren manche Tunicks Instruktionen, allein Verrat kommt nicht in Frage, das Murren bleibt in unseren eigenen Reihen. Das nächste Ziel heißt Sonne: In der Nordkurve, da scheint sie noch. Dort stehen wir wie Vieh auf manikürtem Rasen, wärmen uns an den Sonnenstrahlen und auch die Presse ist beglückt, ihr Sektor ist gleich nebenan. Blitzlichtgewitter sieht Brüste, Schwänze, Menschenmaterial. Und erstmals fühl´ich mich heut´ausgeliefert, nackt und gänzlich ausgenutzt. Ich suche das Zentrum unserer Herde, dort wähne ich mich sicher, dicht an dicht gedrängt, «keine Verschiedenheit zählt, nicht einmal die der Geschlechter. Wer immer einen bedrängt, ist das Gleiche wie man selbst.» Wie Vieh warten wir auf Signale, auf Worte, die uns sagen, was zu tun. Ein Journalistenpaar ist plötzlich nackt und überspringt die Bande, die sie von unserem Rasen trennt. Wir johlen. Wir, die Masse, wächst. «wer immer wie ein Mensch gestaltet ist, kann zu ihr stoßen. Nur der Zuwachs der Masse verhindert die ihr Zugehörigen daran, unter ihren privaten Lasten zurückzukriechen.» «This is an Austrian Artwork!», ruft Spencers Stimme und die privaten Lasten verschwinden auch zugunsten des nationalen Aspekts. Am Boden liegen wir Männer einem lückenlosen Teppich gleich, es dämmert bereits, Fußbälle bedecken unsere Scham. «Play with your balls!» Das Wortspiel macht die Runde, als letzets Set Up kommen noch die nackten Frauen dran. Dann Kleider gesucht und auch gefunden, «eine Erfahrung war´s», sagt Benni und reicht mir seine Hand. «Gibt es ein nächstes Mal?» «Durch Aussicht auf wiederversammeln täuscht sich die Masse über ihre Auflösung hinweg.» In der U-Bahn, nun wir angezogen, zwei Reihen vor mir: ihren schönen Körper kenne ich, doch erst jetzt, in den Kleidern, verströmt er Attraktivität. Vor zwei Stunden waren ihre Zehen in meinen Haaren, unsicher blickten wir aneinander vorbei. Wir sind «nicht wirklich und für immer gleich geworden, laufen unseren Familien nicht davon». Wir fahren fort und jeder in sein Leben. Und jeder Körper ist allein. Was bleibt, sind die Bilder eines Fotografen, in denen wir uns suchen und vielleicht auch wiederfinden. Seltsame Leere bleibt, weil uns niemand mehr sagt, was zu tun. +++ Florian Flicker ist Filmemacher in Wien Kursive Zitate aus Elias Canettis «Masse und Macht».


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BLUTFLECKEN IM SCHRITT

+++ «Juden lieben richtigen Antisemitismus. Denn das ist etwas, was man fassen kann, es ist real. Es ist nicht nur Gas in der Luft.» Der Gesichtsausdruck, mit dem US-Komikerin Sarah Silverman solche und andere politische Unkorrektheiten zum Besten gibt, oszilliert zwischen leichter Verwirrung und kindlicher Selbstzufriedenheit, als ob sie gerade ihre Hausaufgaben erledigt hätte und dafür eine Belohnung erwartete. Sobald das Publikum reagiert, fährt sie unbedarft fort: «Alle geben den Juden die Schuld am Tod Christi. Die wiederum versuchen es den Römern anzuhängen. Ich bin eine der wenigen, die glauben, dass es die Schwarzen waren.» Ungeheuerlich, denn seit dem rassistischen Ausbruch des früheren SeinfeldStars Michael Richards, der seine Club-Zuschauer letztes Jahr als «Nigger» beschimpfte, fasst die gesamte Entertainment-Branche der USA Schwarze mit Samthandschuhen an. Nur Silverman nicht. Denn ihr ist nichts und niemand heilig, seien es Leukämiepatienten, tote Grossmütter oder allerheikelste Frauenthemen wie Vergewaltigung. Permanent droht bei ihr die delikate Balance eines Witzes zu kippen, doch immer kriegt sie so die Kurve, dass es o.k. ist zu lachen. Sicher, die Konstruktion ihrer Komik ist einfach – um nicht zu sagen plump. Doch die Wendungen ihrer deftigen Witze sind brüsk und scharf. Es mag einigermassen erstaunen, dass die 36-Jährige derzeit einen eigentlichen Boom erlebt und in den USA nach langen Jahren der Tingelei durch ungezählte Clubs und unbedeutende TV-Rollen gerade jetzt zum Mainstream-Star avanciert.

Können Frauen lustig sein?

Andererseits darf nicht allzu sehr überraschen, dass in der Zensur- und Moralin-Grossmacht die Zeit auch überreif ist für ein unsägliches Schandmaul. Im gesellschaftlichpolitischen Kontext betrachtet, ist es wohl für viele Amerikaner eine Wohltat, heilend gar, wenn jemand so treffsicher die Heuchelei und Selbstgerechtigkeit Politischer Correctness aufdeckt und mit gnadenlosem Mut zum schlechten Geschmack der omnipräsenten Doppelmoral eine Schippe schlägt. Für die US-amerikanische Kultur ist die Erscheinung Silvermans deshalb Good News, da ist man sich einig: Am 1. Februar 2008 ist die «Sarah Silverman Program» auf Comedy Central angelaufen, der Heimat von Southpark und Jon Stewart. Zur Premiere schalteten 1,8 Millionen Zu-

schauer ein – so fulminant ist seit Jahren kein Humorformat mehr gestartet, so dass der Sender schon nach zwei Episoden eine weitere Staffel in Auftrag gab. Das ist nicht schlecht für eine ehemalige Bettnässerin und College Dropout, einer gescheiterten Senkrechtstarterin, die bei «Saturday Night Life» an der Seite von Branchengrössen wie Mike Myers oder Adam Sandler spielte – und nach einer Saison gefeuert wurde. Weit verblüffender ist allerdings, dass dieser Clou ausgerechnet einer Frau gelang, denn die Komik ist für weibliche Künstler nach wie vor ein hartes Pflaster. Es ist die letzte Kunstform, bei der noch offen diskutiert wird, ob Frauen das überhaupt können. Erst vor wenigen Jahren verkündete der alternde Starkomiker Jerry Lewis, dass Frauen schlicht nicht komisch sein können. Ein Sturm der Entrüstung brach los – doch Lewis drückte einen Knopf, der zweifelsohne in vielen Köpfen existiert. Derzeit gibt es zu just diesem Thema ein Hin- und Her bei Youtube, in dem diese Frage ziemlich eindeutig abgehandelt wird: Frauen sind nicht lustig. Unflätigkeit wird bis heute bei Männern anders beurteilt als bei Frauen. Offenbar ist es einfach etwas anderes, wenn sich Frauen über Fürze oder gar deren vaginale Variante die Mäuler zerreisen, als wenn Männer vom Schlage eines Howard Stern oder Billy Conolly ihren Machohumor ausbreiten, denn den Machismo geben die Männer nicht gerne preis. Der überzeugendste Grund hierfür, der auch in all den neokonservativen Debatten in aktuellen Genderfragen mitschwingt, ist paradoxerweise ein merkwürdig überhöhtes Frauenbild, wie Jerry Lewis es formulierte, als er seine Behauptung in einer Fernsehshow präzisierte: «Frauen als Komikerinnen machen mir Angst. Wir sprechen hier von einem Wunder Gottes, das Kinder hervorbringen kann». Wenn nun also diese Wunder Gottes so ganz unheilige Dinge sagen, ist das eher Blasphemie als lustig. Obschon zu Recht gesagt wird, dass Humor stark an den jeweiligen Kulturkreis gebunden ist, fällt auf, dass Komikerinnen weltweit ähnliche Strategien anwenden, um mit ihrem Frausein auf der Humorbühne zu bestehen. Eine Möglichkeit ist, der Genderfrage eine Perücke aufzusetzen, sich seltsam zu kleiden und mit der eigenen Hässlichkeit zu kokettieren. Diese Komikerinnen werden zu (androgynen) Clowns, so praktiziert von der Schweizerin Gardi Hutter oder der Amerikanerin Phyllis Diller, die sogar Jerry Lewis zum Lachen bringt, wie dieser später zugab. Der zweite Ausweg besteht darin, sich äusserst burschikos zu geben, wie dies die amerikanische Humoristin

Ellen Degeneres tut. Einige, wie die grandiose Schweizerin Nadeschkin tun gar beides. Sarah Silverman hingegen, tut nichts dergleichen. Sie ist ausgesprochen schön – mit ihren glänzenden Haaren könnte sie genauso gut für Haarprodukte werben, mit ihrem makellosen Porzellanteint als Aushängeschild für eine Kosmetikfirma auftreten. Kurzum: Sie entspricht ganz dem gängigen Schönheitsideal, was ihr aber ausgesprochen egal ist – sie präsentiert sich als zugängliches, wenn auch reichlich verschrobenes Schneewittchen und bricht diesen Charakter nie. WieKomiker Penn Jilette erklärt, gibt ein Standup Komiker dem Publikum stehts auch ein Rätsel auf: Wer bin ich? Für Komikerinnen ist das ein Drahtseilakt. «Auf der einen Seite gibt es jene, die mit ihrer Weiblichkeit bewusst reizen, also andeuten, dass wir sie vielleicht ficken können. Das ist einfach und billig. Und dann gibt es jene, die von sich selbst absolut gar nichts preisgeben, und stattdessen versuchen, männliche Komik zu imitieren. Da muss man genau die Mitte treffen, und genau das schafft Sarah Silverman.» Die Art, wie sie über sich selbst redet, und das scheint sie immer zu tun, ist so ausgeklügelt, dass schwer zu sagen ist, ob man jetzt die verletzlichste Frau der Welt vor sich hat, oder die Verstellung als sichere Festung ihres wahren Selbst dient. Was Silverman mit ihrer Komik anstellt, ist radikaler Feminismus ganz im Zeichen der Zeit. Sie stösst die mythisierte Frau mit Lust und Wucht vom Sockel. Sie räumt mit der Vorstellung, dass Frauen auf geheimnisvolle Weise bessere, überlegene Menschen sind, (un)gehörig auf – eine Rhetorik übrigens, mit dem paradoxerweise auch der Feminismus gerne hantierte. Im Trailer zu ihrer Show erscheint sie zwar im blütenweissen Tennisdress, trällert dann aber: «Hey, näher an eine Vagina werdet ihr nie kommen.» Ihr Umgang mit der weiblichen Anatomie ist sie obsessiv und pubertär – als wolle sie den Jerry Lewises und Eva Herrmanns dieser Welt ein für alle Mal sagen, dass es hier weder um Wunder noch um höhere Aufgaben des Lebens handelt, sondern um ganz profane Dinge, die man gut auch ins Lächerliche ziehen kann. Bei einem ihrer frühen Auftritte etwa schmetterte sie die Musicalschnulze «Memories», nur das sie bei ihr «Mammaries» (Busen) hiess und davon handelte, wie gerne sie endlich Brüste hätte, Das tut gut, denn nicht nur verstockte Typen zucken zusammen, wenn man von Tampons und Periodenschmerzen redet. Apropos Periode: zu dem Thema beschloss die Komikerin, «etwas Konzeptuelles

auszuprobieren» und das geht bei Silverman so: Sie besorgte sich ein paar Khaki-Hosen, schmierte rote Farbe in den Schritt und begab sich auf die Bühne. Dort erzählte sie ihre Witze und bemühte sich, dass das Publikum den roten Fleck mitbekam, während sie selbst erst gegen Ende des Programms davon Notiz nahm. «Oh. Oh my god», sagte sie dann, «ihr habt jetzt sicher geglaubt, ich hätte die Periode, klar, warum auch nicht. Aber das ist es nicht». Pause, dann triumphierend: «Ich hatte heute zum ersten Mal Analsex.»

Typisch weibliche Ignoranz

Ihre zielstrebige Dekonstruktion des weiblichen Wunders beschränkt sich aber keineswegs auf anatomische Belange. Mit dem rücksichtslos arroganten und selbstverliebten Zerrbild ihrer selbst parodiert sie auch treffend typisch weibliche Ignoranz: «9/11 war verheerend, mehr als verheerend», sagt sie tief betroffen. «Besonders für mich, denn es war derselbe Tag, an dem ich herausfand, dass der Soya Tschai Latte 9’000 Kalorien hat. Ich habe den jeden Tag getrunken. Duhörst Soya, du denkst: gesund. Und das ist eine Lüge!» Oder als sie sich ziemlichen Ärger einhandelte, nachdem sie in einer Talkshow das Wort «Chink» (eine sehr abfällige Bezeichnung für Chinese) verwendete, meinte sie in einer späteren Stellungnahme: «Es tat weh, in der Zeitung lesen zu müssen, ich sei eine Rassistin. Als eine Angehörige der Jüdischen Gemeinschaft war ich besorgt, dass wir die Kontrolle über die Medien verlieren. Was für eine Welt ist das, in der ein niedliches weisses Mädchen am Fernsehen nicht «Chink» sagen darf? Aber eigentlich ist es mir egal, wenn ich als rassistisch gelte, solange mich die Leute für dünn halten.» Ihre Arbeit brachte ihr unter anderem den Übernamen «Miss Borat» ein. Über den Film ihres Kollegen meinte sie: «Das war der geistig zurückgebliebenste und doch wichtigste Film, den ich seit Jahren gesehen habe» und genau so verhält es sich auch mit Sarah Silverman selbst. Denn deren Grobschlächtigkeit ist natürlich auch ein probates Mittel und auf wundersame Weise trotzdem subtiles Mittel, die mitunter bitteren weiblichen Wahrheiten anzusprechen. In einer textlich kahlen Serenade, dargeboten über eine peppige Popnummer fragt sie eine Pornoaktrice: «Nimmst Du eigentlich Drogen, um Sex zu haben, ohne zu weinen? Yeah, yeah, yeah». +++


LA FEMME N‘EXISTE PAS.


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Format - Zeitung für Kultur 01/09

WAFFEN UND MODE

GELD ODER LEBEN

Eine goldene AK-47 von Louis Vuitton oder eine Handgranate im Look einer Parfüm-Flasche - das sind nur zwei Beispiele aus der extravaganten Ausstellung ARM ME von Justin Melnick. Die Kalaschnikow AK-47 gehört

Wer unschuldig im Gefängnis gesessen hat, bekommt 25 Euro Entschädigung für jeden Tag. Kriegsgefangene, die 1947 aus der Sowjetunion in den sowjetisch besetzten Teil Deutschlands zurückkehrten, erhalten jetzt umgerechnet ein bis zwei Euro pro Tag. Ja, das darf man nicht vergleichen, wir wollten es nur mal gesagt haben.

zu den am weitesten verbreiteten Waffen auf der Welt. Über 100 Millionen Stück sollen davon schon produziert worden sein. Doch dieses Exemplar ist einzigartig. Es existiert zwar nur auf einem Bild, und trotzdem ist es ein echter Hingucker. Die Knarre ist golden und trägt klassische Louis-Vuitton-Zeichen an den Griffstücken. Bei so viel Kunst vergisst man verblüffend schnell, dass es sich um eine todbringende Waffe handelt.

LOUIS VUITTON AK-47 7.62x39mm

FUTURISMUS DIE ZUKUNFT VON GESTERN Fahrt schnelle Autos, führt Kriege, verachtet die Frauen! Vor 100 Jahren entstand der Futurismus. Jetzt ist er im Museum. »Klotzen nicht kleckern« - dem Prinzip folgte ihr Zukunftsentwurf: alles Vergangene ganz begraben, das Neue reflexhaft jubelnd begrüßen, Technik, Geschwindigkeit, Aggression und Krieg verherrlichen, dafür Frauen hassen. In manchen Fällen auch: Faschist sein. Die Futuristen, wie sie sich selbst nannten, kamen aus Italien, wo man sich unter der Last der Kunstgeschichte schon mal erstickt fühlen kann. Ihre neue, ganz andere Malerei beeinflusste viele andere Künstler, ihre Ideologie glüwaren allerdings immer fulminant und endeten gelegentlich in Massenschlägereien. Dass sie eines Tages im Museum hängen würden, hätten sie sich selbst wohl kaum träumen lassen. Denn laut Filippo Marinetti, der 1909 das Futuristische Manifest verfasste und unter Mussolini Kultusminister wurde, ist ein Museum ein »Friedhof der vergeblichen Anstrengungen und gekreuzigten Träume«. Geblieben ist der große Auftritt, den ihnen das Pariser Centre Pompidou posthum inszeniert. LE FUTURISME A PARIS Centre Pompidou, Paris, bis 26. Februar

YVES SAINT LAURENT .380ACP FENDI Kettensäge

+++ Wenn Waffen und Mode eins werden: Neben der Kalaschnikow werden noch viele weitere Exponate in New York präsentiert. Die Ausstellung in der Gallery 385 nennt sich ARM ME und stammt von Justin Melnick. Der Fotograf schafft am Computer künstliche Waffen-Realitäten, die absolut echt aussehen. Neben der Gold-Wumme gibt es unter anderem virtuelle Kreationen von Gucci, Chanel oder Yves Saint-Laurent zu bestaunen. Mit dieser Kunst ist er nicht allein: Versace, Fendi, Dior, Chanel oder Louis Vuitton steht drauf, doch Peter Gronquist steckt dahinter: Der

29-jährige US-Künstler veredelt wie Melnick Gewehre und Kettensägen mit den Emblemen bekannter Modelabels. Normalerweise zeichnet er, doch wenn Peter Gronquist zum Stoff greift, gehen Waffen und Mode einen seltsamen Pakt ein. Plötzlich mischt sich Gewalt mit Glamour, Exklusivität mit Radikalität. Geschmacklos? Oder verbirgt sich hinter der scheinbaren Glorifizierung eine spitzfindige Kritik an einer Verbindung von Konsum und Gewalt? Der Künstler lässt das offen. Vor zehn Jahren gab als ihm ein Freund eine Doktortasche von Louis Vuitton. Damals war die

LAGERFELD & DIE DICKEN protzige Bling-Bling-Kultur der Hip-Hop-Szene in vollem Gange, und die Schriftlogos angesagter Labels auf Mode und Accessoires waren omnipräsent. »Eine Schrotflinte schien der nächste logische Schritt«, so Gronquist, und bezog fortan jugoslawische SKS-Gewehre mit den typischen Stoffen der Modehäuser, experimentierte mit Federn oder Goldgalvanisierung. Er perfektionierte seine Technik, denn FendiKettensäge, Chanel-Raketenwerfer oder Prada-Schrotflinte sollten ebenso perfekt gearbeitet sein wie die Mode der Labels, die Gronquist kopierte. +++

Magersucht und spindeldürre Models sind für den Designer Karl Lagerfeld nicht der Rede wert. Viel anstössiger findet er dicke Menschen. »In Frankreich ist vielleicht gerade mal 1 Prozent der Bevölkerung zu dünn. Rund 30 Prozent ist hingegen zu fett. Lasst uns lieber um die Unmenge von Fetten kümmern, als um die paar Dürren«, so Lagerfeld in einem Radio Interview. Im gleichen Atemzug verteidigte der Desginer das Tragen von Pelzen. Schliesslich würden für das Obermaterial nur »Bestien getötet, die uns töten würden, wenn sie es könnten«. Gesetzt den Fall, sie würden, wenn sie könnten – würden sie uns dann auch als Mäntel tragen?


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DIE KRAFT DES ANDEREN Fass mich an! Globalisiert, distanziert, entfremdet? Nicht wirklich: Der Mensch lässt sich gern mal berühren. Und sei es beim Frisör. Ein Bericht aus dem Dickicht der Städte

+++ Samstag, elf Uhr, noch ein wenig zerknautscht sehen die zehn Männer und Frauen aus, die sich gerade in der Frankfurter Fußgängerzone versammeln. Aber sie haben sich nun mal zum »Free Hugs Day« verabredet: zum Umarmen fremder Leute. Jeder nimmt sich ein Schild mit der Aufschrift »Gratis Umarmungen«, dann ziehen sie los. »Heute schon gedrückt worden?« - der Mann, der Passanten so fragt, ist werktags Projektleiter im IT-Bereich. Eine ranke Dame, sonst unterwegs als Flugbegleiterin, steuert mutig auf ganze Gruppen zu: »Für Sie eine kostenlose Umarmung?« Ein anderer steht nur da, mit ausgebreiteten Armen: Topp, das Angebot gilt. Manche Passanten drehen ab, gehen einen Umweg; viele andere aber laufen - nach kurzem Zögern - geradewegs in die offenen Arme. Kleine alte Frauen schmiegen sich an große junge Männer, gehetzte Radfahrer steigen extra ab, muffelig nebeneinander hertrottende Eheleute lassen sich umarmen, sichtlich erstaunt über sich selbst. Bierbäuche stoßen aneinander, Arme verheddern sich, egal. »So viele Leute habe ich auf der Zeil noch nie lachen sehen«, sagt atemlos eine Umarmerin. Natürlich fragen viele: Sind Sie eine Sekte, eine Partei, wollen Sie was verkaufen? Wie, Sie machen das einfach so? Das ist aber schön, danke! Ja, sie machen das einfach so. Auch für den Neuling Frank Herrmann, 35, ist das »Free Hugging« keine Bewegung, an die er glaubt. Aber es ist auch nicht bloß ein Event. Herrmann arbeitet als Coach, er lacht gern, ein offener Typ. Dabei kann er sich nicht erinnern, dass seine Mutter ihn je am Geburtstag umarmt hätte. Mit Mitte zwanzig fiel er ins andere Extrem und umarmte die Eltern dauernd, heute nur noch, wenn es für beide Seiten passt. Aber immer öfter Freunde, und jetzt auch Fremde. »Denn wir sind doch alle gleich, wir suchen alle nach Liebe, wir müssen uns nicht voreinander verstecken.« Die Frankfurter Umarmer ließen sich anregen vom Video der ersten »Free Hugs«-Aktion eines jungen Australiers. Der war, gerade verlassen von seiner Verlobten, am Flughafen Sydney angekommen, und niemand stand da und freute sich. Das hat er geändert und seitdem Hunderttausende umarmt. Wie viele Leute die Frankfurter umarmt haben, haben sie nicht gezählt. Nach zwei Stunden sind sie ein wenig erledigt, gleichzeitig aufgekratzt und bester Laune. Sie haben nicht die Welt geändert, aber vielleicht eine Wende in den Tag des einen oder der anderen gebracht. Eine wahre »Umarmungsinflation« beobachtet Tilman Allert, Soziologieprofessor an der Frankfurter Universität. Dieses dauernde Umarmen von meist gar nicht besonders Nahestehenden, fast immer vor Publikum, habe etwas unglaublich Demonstratives: »Wie die sich kennen! Eine Art Selbstfeier gegen den Selbstzweifel. Da suggeriert man sich Zugehörigkeit und Daseinsfreude.« Hört man da Unbehagen durch? Nun ja, gibt der 61-Jährige zu, »als ich jung war, haben wir doch dreimal nachgedacht, ob jemand nun ein Freund, eine Freundin ist. Heute umarmt man sich erst mal, Hauptsache, man

ist dabei. Möglicherweise ist das ein Sorgfaltsverlust.« Ob »Free Hugging«, Bussi-Bussi oder Kuschelparty - daraus spricht für ihn die pubertäre Sehnsucht nach anstrengungsloser Berührung: ohne vorherige Kommunikation, ohne eine gemeinsame Geschichte, an deren Ende die Bereitschaft zur Berührung steht. Er findet diese »Abkürzung« bedauerlich, aber historisch natürlich höchst interessant. Denn die große Errungenschaft der Moderne seien doch gerade die abstrakten Austauschbeziehungen. Ich muss nicht die Tochter an den Mann verheiraten, mit dessen Firma ich kooperieren will. Sondern wir machen einen Vertrag. Der gilt, genau wie all die Gesetze, darauf kann ich mich verlassen. Weil alle gelernt haben, ihre spontanen Gefühlsaufwallungen im Zaum zu halten. Das ist der Fortschritt. Der Preis dafür ist das gelegentliche Gefühl, eingekapselt zu sein. Es ist eine zweischneidige Sache mit dem Berühren: Strenge Regularien schützen vor Übergriffen und verhindern andererseits allerlei spontan-liebevolle Berührung. Außerhalb von Liebesbeziehung und Familie ist für Erwachsene wenig vorgesehen: ein förmlicher Händedruck, eine schulterklopfende Kürzestumarmung, das war‘s dann schon. Nur in sehr emotionalen Situationen wird das Tabu aufgehoben - etwa bei schwerer Krankheit, Triumph, großer Bedrohung. Dann wird einer Berührung kein sexuelles Motiv unterstellt. Unter Jugendlichen allerdings scheint häufiges Umarmen selbstverständlich zu sein, genauer: unter Mittelschichts­jugendlichen. Mädchen kraulen einander im Unterricht den Rücken so abgelenkt, dass die Lehrerin sie schließlich auseinandersetzt. Hier herzen sich 12-jährige Gymnasiasten zur Begrüßung, dort sitzen 17-jährige Jungs so ineinander »verschränkt« vor dem Fernseher, dass sich selbst ihre in Alternativszenen sozialisierten Eltern wundern. Doch auch Erwachsene suchen mehr Körperkontakt: streicheln auf Kuschelpartys fremde Menschen oder gehen regelmäßig zur Massage, um sich zu spüren. Eigentlich logisch, sagt die 47-jährige Soziologin, »denn um heute erfolgreich zu sein, muss man von Kopf bis Fuß dabei sein, und zwar jederzeit; da muss dann auch die Entspannung eine umfassende sein«. Der Schritt zur Funktionalisierung ist nicht weit: Man umarmt nicht, weil die Haut so weich ist oder weil man jemanden mag, sondern um wieder fit und kreativ zu sein. Wie eine neue Norm klingt dieser Spruch: »Wir brauchen vier Umarmungen am Tag zum Überleben, acht zum Leben und zwölf zum Wachsen.« Aber immerhin, resümiert Katharina Liebsch, »da tut sich was, und es sieht nach Vervielfältigung aus«. Neue Berührungsformate werden ausprobiert. Die Reaktionen darauf sind gespalten: Was die einen »anrührend« finden, nennen andere »bizarr«. Und viele rufen spontan: »Wie grässlich!« Hier eine Massage, dort mal gedrückt werden, das reicht den 10 Frauen und 13 Männern nicht, die zum Wohlfühl-

Kuschel abend in ein Frankfurter Loft gekommen sind, dafür 18 Euro gezahlt haben und sich jetzt vorstellen: viele Singles, aber nicht nur, manche Stammkuschler, andere neu und entsprechend verlegen - wie wird das gehen, mit Fremden zu kuscheln? »Aber ich hab gemerkt«, sagt ein junger Mann, »mit wildfremden Menschen zu kuscheln, ist gar nicht so schwer; in der Pause ein Gespräch anzufangen, ist viel schwerer.« Die Runde kichert zustimmend. Nein, diese Großstädter zwischen Ende 20 und Ende 50 fallen jetzt nicht übereinander her. Sie werden behutsam angeleitet von Kuscheltrainerin Rosi Doebner, 42, mit Übungen, wie sie jede Päda gogikstudentin kennt. Zunächst aber die Regeln: »Hört auf euer Gefühl, was tut euch gut, wo ist es euch zu eng? Traut euch, eine Hand weg zu tun, den Platz zu wechseln oder auch was zu sagen.« Und: Wer Erotik verspüre, möge die genießen, soll aber nichts daraus machen. Kurz: Wer grabscht, fliegt raus. Dann die erste Übung: sich herumtasten, im Stehen, mit geschlossenen Augen - damit man nicht denkt: »Bäh, das ist der, mit dem ich nicht wollte«, denn vielleicht kann gerade der »schön berühren«. In Kürze entsteht ein großer Knubbel, überall tastende Hände: drahtige und gut gepolsterte, warme und kühle; manche krabbeln aufgeregt herum, andere bleiben ratlos liegen, die meisten erkunden im Flaneurstempo Arme, Rücken und Haare. Nach der Pause das große Kuscheln auf Matratzenlager. Hier finden sich zwei, dort liegen gleich vier Kopf auf Brust oder Rücken an Bauch. Manchmal setzt sich jemand auf, sucht einen neuen Platz, dann rücken die anderen auseinander, bis eine neue Ordnung gefunden ist. Nach drei Stunden ist Schluss. 23 Erwachsene krabbeln seufzend auseinander, setzen sich - rotwangig, mit zerzwuselten Haaren - zur Abschlussrunde in den Kreis. »Es war schön, in Menschen eingepackt zu sein«, sagt einer; ein anderer ist traurig, weil er seine Sehnsucht gespürt habe; eine weitere fühlt sich »genährt« - sie stammt aus ExJugoslawien und vermisst die dort üblichen häufigen Berührungen. Ein Mann kann gar nichts sagen, er sei »noch ganz bekifft von dem Kuschelhaufen«. Eine junge Frau, die anfangs am Rand lag, strahlt: »Es war eine schöne Erfahrung, dass ich was ändern kann; dass ich einen Platz fand und eine Einladung.« Und die 48-jährige Bankerin, die vor allem mit dem 31-jährigen Physiker kuschelte, sagt: »Frieden, ich spüre Frieden.« Rosi Doebner gibt die aufbewahrten Brillen zurück und freut sich über all die Veränderungen, die ihre Gäste erleben: Frauen erzählen ihr, dass sie endlich mal ihre Grenzen deutlich gemacht haben. Männer, die vorher sagten: »Ich fass aber keinen Mann an!«, tun‘s dann doch. Und einer, vaterlos und im Kinderheim aufgewachsen, bat darum, mal von einem Mann im Arm gehalten zu werden. Es fand sich einer. +++ Christine Holch ist freie Autorin und Redakteurin


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THE BODY FOTOSTRECKE MIT ALEX WEK

+++ Alek Wek’s Gesicht ist auf allen großen, internationalen Modezeitschriften zu sehen. Sie wird für Modeschauen weltbekannter Designer, wie Karl Lagerfeld und John Galliano, engagiert. Für viele ist Alek Wek jedoch mehr als nur eines von vielen Topmodels. Sie ist zu einer Art Botschafterin geworden. Eine, die es geschafft hat, obwohl sie nicht dem klassischen, amerikanischen, das heißt »weißen Schönheitsideal« entspricht. Ein geblümtes Baumwollkleid mit elastischer Taille, dazu halbzerrissene Sandalen. Das ist das Outfit, mit dem Alek Wek sich als Neunjährige auf die erste große Reise ihres Lebens begibt. Eine Flucht zu Fuß, zwei Wochen lang. »Obwohl wir noch Kinder waren, wussten wir bereits, dass wir wahrscheinlich getötet würden, wenn wir in Wau blieben.« Im Süden Sudans herrscht Bürgerkrieg. So zieht sie los, die Wek-Armee, wie die Familie aus dem Volk der Dinka bei den Nachbarn heißt: acht Kinder, Mutter, Vater, der wegen eines Hüftleidens eigentlich gar nicht marschieren kann. Und dann stehen sie an diesem Fluss. Das Mädchen soll in einen Einbaum steigen. Es gibt keine Wahl - hinter ihr liegen Nächte, in denen immer wieder Katjuscharaketen zischten und Milizionäre Kommandos brüllten. Vor ihr der schmutzig-aufgewühlte Fluss, breiter als alles, was sie bisher gesehen hat. »Ich komme nicht mit«, sagt Alek. Ihre Mutter sieht sie sehr streng an. »Wenn du überleben möchtest, steigst du in das Boot.« Und Alek, das neunjährige Mädchen im bunten Blumenkleid, steigt ins Boot. Schwimmen lernt sie erst mit 27 Jahren. Armani, Versace, Lagerfeld - für alle großen Designer ist sie über den Catwalk gelaufen, hat mit Fotografen wie Herb Ritts und Peter Lindbergh gearbeitet. Auch auf dem Höhepunkt ihrer Karriere bleibt sie unverwechselbar, außergewöhnlich. Entdeckt wird sie nicht im Busch, wie immer wieder fälschlich behauptet, sondern in einem Londoner Park. Zunächst aber will es gar nicht recht vorangehen mit der Karriere, die Wek allenfalls halbherzig verfolgt, nebenbei studierend, jobbend und immer noch bei Mama wohnend. Eines Tages geht sie zu ihrem Agenten und verlangt ein monatliches Fixum. Unmöglich, antwortet der, überrascht von so viel Forschheit. Man trennt sich. Im zweiten Anlauf aber klappt es - Wek landet beim Starfotografen Steven Meisel und schließlich 1997 als erstes afrikanisches Model auf dem Titelblatt der »Elle«. Im weißen, höchst lässig zugeknöpften ArmaniBlazer erschüttert sie lachend den konventionellen Begriff von Schönheit und veranlasst die Hohepriester der Branche, darüber nachzudenken, ob diese brikettfarbene »Bohnenstange« eigentlich wirklich gut aussehe. Zwar sind schon davor einige wenige schwarze Models, wie Naomi Campbell, für das Titelbild ausgewählt worden. Diese haben aber laut vorherrschender Vorstellungen der westlichen Modewelt, »halbwegs akzeptable« Züge. Unter diesen Gesichtspunkten passt eine Frau wie Alek Wek mit ihrem, auch für sudanesische Verhältnisse sehr dunklen Teint, wie das Model über sich selbst sagt, nicht in das vorgegebene Raster. Anders als erwartet erzielt das Titelbild von Alek Wek jedoch eine äußerst positive Resonanz von Seiten der Leser und auch der Presse. Oprah Winfrey meint dazu: »Wenn Sie, als ich aufwuchs , auf der Titelseite eines Magazins gewesen wären, hätte ich ein völlig anderes Selbstbild gehabt.« Doch positives Feedback kommt nicht nur von Afroamerikanern, sondern von Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft. »Es ist wichtig, sie zu haben, denn die Welt ist nicht nur blond«, stellt Karl Lagerfeld fest. Schönheit ist für Alek Wek ein unverhoffter Zufall, kein Verdienst. »Es ist seltsam, dass ich nun als Erwachsene meinen Lebensunterhalt mit meinem Aussehen verdiene, nachdem ich so viele Jahre lang einem Monster ähnelte.« Wegen einer hartnäckigen Schuppenflechte, die als unheilbar galt. Gerade dieses Leiden habe sie gelehrt, Schönheit generell nicht so wichtig zu nehmen. Dennoch: Sie sieht aus, als habe Brancusi sie geschaffen. Das macht das sanfte, engagierte Supermodel aus dem Sudan zur perfekten Verkörperung der geometrisch inspirierten Kollektion von Martin Margiela, dessen Label in diesem Jahr 20. Geburtstag feiert. +++


MANTEL /

MAISON MARTIN MARGIELA


THE BODY FOTOSTRECKE MIT ALEX WEK

ALLES VON MAISON MARTIN MARGIELA FELDSTIEFEL / GESEHEN BEI TRASH


ALLES VON MANTEL / MAISON MARTIN MARGIELA


ANZUG UND STIEFEL / MAISON MARTIN MARGIELA


ALEX WEK IN MARTIN MARGIELA

MANTEL BODY / /MAISON MAISON MARTIN MARTIN MARGIELA MARGIELA FELDSTIEFEL / GESEHEN BY TRASH


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Format - Zeitung f端r Kultur 01/09

Form des Monats


Format - Zeitung für Kultur

HÖHER SCHNELLER WEITER Spektakuläre Bauprojekte am Golf:

Der erste Dynamic Tower von David Fisher soll 2010 in Dubai stehen. Die Daten: 420 Meter Höhe und 80 Stockwerke. Wie die Entwürfe zeigen, kann der Turm seine Fassade verändern.Die gleichmässigen Formen kommen allerdings nur zu Stande, wenn sich die Eigentümer sauber absprechen.

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WIEDERENTDECKUNG

Norman Mailer, Tennessee Williams, Robert Mapplethorpe, Stephen Sprouse: In dem amerikanischen Porno- Magazin »Puritan International« trafen sich in den 80ern Hochkultur, Avantgarde und Cumshot.

+++ Manche Bilder könnte man fast klassisch nennen. Jenes vom Unterleib einer Frau etwa. Zwischen den weit gespreizten Oberschenkeln sieht man, das Foto genau im Goldenen Schnitt teilend, den Schlieflmuskel ihres Hinterns, darüber die zur Kralle gebogene Hand, deren Mittelfinger in ihrer Vagina steckt. Selbstverständlich streng symmetrisch.Ein anderes zeigt einen Mann, der eine auf einem schwarzen Podest liegende Frau penetriert. Seine Hinternmuskeln sind vor Anspannung und Workout präzise definiert, die Glieder der beiden Kopulationspartner, einer uralten Choreografie des Geschlechtsaktes folgend, so klar ineinander verschränkt, dass das Motiv einem Rorschachtest gleicht. Die peniblen Arrangements auf den Seiten der Zeitschrift »Puritan International« können jedoch, ebenso wie der irref¸hrende Name, nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hier zuvorderst um Pornografie handelt. Schamlippen und erigierte Penisse (sowie deren Verschmelzen) werden in all ihrer Schönheit gezeigt. Bei Fellatio, Cunnilingus und Anilingus rückt die Kamera besonders nahe. Und auch großzügig verteiltes Ejakulat darf nicht fehlen. Denn der Cumshot ist dem Pornografen, was dem Politiker das Familienbild: Ausweis für Authenzität und Lebensnähe. Das Bedürfnis, Menschen beim Sex zu zeigen und zu beschreiben, ist nicht besonders neu, was etwa die Besucher der Ruinen von Pompeji bestätigen können. Was das Pornomagazin »Puritan International« jedoch interessant macht, sind die prominenten Mitarbeiter. Norman Mailer, Timothy Leary, Tennessee Williams tauchen als AUtoren und Interviewpartner auf. Der Rockfotograf Ron Raffaelli und Robert Maplethorpe haben für das Heft fotografiert. Letzerer ist zwar für freizügige Fotos bäkannt, aber hier sind am Sex auch mal Frauen beteiligt, die Bilder sind in Farbe und sie hängen nicht in Galerien, sondern kleben in einem stark dem Zeitgeist der 80er Jahre verhafteten Layout. »Puritan International«

ist ein ebenso interessantes wie rätselhaftes Produkt. Erschienen ist das Heft in der ersten Hälfte der 80er Jahre, es kostete zwischen 12.95 und 19,95 Dollar, kam also offenkundig aus den USA. Im Impressum werden nicht nur die Mitarbeiter genannt, sondern auch die Kamera, Linsen und Schriften, die bei der Herstellung verwendet wurden. Der altersmilde Schriftsteller Tennessee Williams erklärte in dem Magazin, dass ihm Penetration nicht mehr wichtig und ein Leben ohne Orgasmus möglich sei, Timothy Leary schwärmte von der Intelligenz als ultimativem Aphrodisiakum. Was die Magazinmacher offenbar im Sinn hatten: pornografische Inhalte auf einem höhren ästhetischen und intellektuellen Niveau zu verhandeln. Quasi der Fick mit erhobe-

ist so spannend, weil es gewissermassen in einem pornografischen Vakuum erschienen ist. In den frühen 70ern wurde Pornografie noch eine befreiende Qualität zugesprochen. Zwischen Playboy Mansion, dem Film »Deep Throat« und den Penisgipsabdrücken des als Cynthia Caster Plaster berühmten Groupies wurde eine Zeit lang auf sexuelle Libertinage gehofft. In den 80ern jedoch galt Pornografie als ultimatives Instrument der Frauenunterdrückung und wurde in schmuddelige Videoläden verbannt. In diesem unfreundlichen Umfeld schaffte »Puritan International« ein Paradox. Hochstilisierte Bilder, in denen trotdem etwas Unbekümmertes zu spüren ist. Die Fotografen folgten dem Traum, dem schon Dirk Diggler in dem Film »Boogie Nights« nachjagte: Sie

ner A u g e n braue. Wer allerdings hinter diesem Zeitschriftenprojekt steckte, bleibt ein Rätsel. Und die Hefte sind heute eine absolute Rarität. Der schwedische Art Director und Kurator Greger Ulf Nilsson hat durch Zufall einige Ausgaben von »Puritan International« in die Hände bekommen. Ein Freund hatte sie 1989 in irgendeinem schwedischen Zeitschriftenladen entdeckt. »Die Zeitschrift umweht ein grofles Geheimnis«, sagt Nilsson. Selbstr der Fotograf Martin Parr, einer der manischsten Sammler von Bildbänden, Magazinen und Bildern in Europa, hatte noch nie davon gehört. Was Nilsson, der regelmässig mit Parr Bücher macht, eine gewisse Genugtuung bereitet. Das Heft

wollten Pornografie, die eine bessere, oder zumindest neuere Welt versprach. Die Bilderwelt der 80er-Jahre kam den Blattmachern dabei entgegen. Die rosa Dreiecksohrringe eines Models und ihr farbenfrohes Make-Up sind in ihrer artifiziellen Metaphorik dem Genre angemessen. Da der pornografische Blick die Darsteller automatisch zu Sexmaschinen macht, funktionert der puppenhafte Stil jeder Dekade als kongeniale visuelle Entsprechung. In die lautstarken Klamotten des New Yorker Designers Stephen Sprouse gekleidet (zumindest auf einigen Bildern) und mit viel Haarspray auf dem Schopf sehen wir hier die New Romantics als Sexarbeiter. Was an »Puritan Interna-

tional« besticht, ist der Idealismus, das nicht zu übersehende Prickeln, das stehts beim Betreten von ästhetischem Neuland zu spüren ist. Natürlich sind die Kopulationsbilder auf Leuchtstoffröhren, die Ron Raffaelli produzierte, keine Kunst und ihre kühler Glamour hat ein wenig Patina angesetzt. Trotzdem wirkt der Spirit dieser Fotos frisch, wenn etwa die Schamhaare des Mannes von rotem Licht zu glühen scheinen und die mit dem Blowjob beschäftigte Frau von Seifenblasen umschwebt wird. Sex sieht hier wie ein Spiel aus. Heute dagegen ist das Spielmit der Pornografie zum Allgemeinplatz geworden. Der klassische Pornomarkt ächzt darunter, dass jede erdenkliche Ware im Internet frei verfügbar ist. Aber jede Spielart von Medien und Massenkultur bedient sich der Bilderwelt des Nicht-Jugendfreien: Werbekampagnen zeigen Mädchen und Jungs in Posen der Verfügbarkeit, die Karrieren von Pamela Anderson und Paris Hilton wurden durch angeblich gegen ihren Willen verbreitete Sexvideos beflügelt, die Kunst schwelgt sowieso im, allerdings völlig unbedenklichen Tabubruch: Francesco Vezzoli lässt einen Pornodarsteller seine tief hängenden Eier wie Glockenschlägel schwingen, Bjaner Melgaard modeliert Bronzeskultpuren von sich gegenseitig fistenden Affen, für das Fest der Liebe 2007 entwarf Paul McCarthy einen Schokoladenweihnachtsmann, der in der Hand keinen Tannenbaum hält, sondern einen Buttplug. Insofern geben die über 20 Jahre alten Ausgaben von »Puritan International« auch Aufschlüsse über unser heutiges Leben: Angesichts der Trivialisierung des Fleisches wirkt selbst der überraschend lange Penis von Robert Mapplethorpes Hauptdarsteller eher rührend. +++ Adriano Sack lebt als Autor in New York, er schreibt für »Vanity Fair« und »Welt am Sonntag« und veröffentlichte zuletzt zusammen mit Ingo Niermann bei Eichborn »Breites Wissen. Die seltsame Welt der Drogen und ihre Nutzer«.


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Format - Zeitung f端r Kultur 01/09

Titelthema


Format - Zeitung für Kultur

DU KANNST NICHT ENTKOMMEN. Werbung ist überall. Die Enthüllung der neuen Giorgio Armani-Posterkampagne mit einem überlebensgroßen David Beckham in Unterhosen führte in Paris zu Verkehrschaos und hämischer Kritik über David »Sockhams« bestes Stück.

Wer schützt die Bürger?

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Format - Zeitung für Kultur 01/09

DU KANNST NICHT ENTKOMMEN!

Noch keine Diktatur war so gut gelaunt wie diese. So bunt und fröhlich, so hell erleuchtet. Sie will uns nichts Böses, ganz bestimmt nicht. Sie will uns verführen, will unser großes Glück. Doch wie in jeder Diktatur gibt es auch in dieser, in der Diktatur der Werbung, kein Entkommen.

+++ Wo wir auch hinschauen, überall hängen, kleben, flattern ihre Bilder und Zeichen. Werbung auf Litfaßsäulen und Plakatwänden, an Haltestellen und Bussen, Werbung auf Rolltreppen, Taxidächern, Bürgersteigen, Werbung noch an den höchsten Hochhausfassaden. Es gibt Lärmschutzgesetze und Luftschutzparagrafen, wo aber bleibt der Reklameschutz, wer bewahrt uns vor den immer monströseren Plakaten, vor der Allgegenwart der Poster und Leuchtschriften? Die Werbung hat die visuelle Vormacht an sich gerissen, ihre Bilder beherrschen das Bild der Städte. Nun währt diese Herrschaft nicht erst seit gestern. Mit der Großstadt entwickelte sich auch die Großwerbung – und groß war schon immer die Klage darüber. Be-

reits vor gut hundert Jahren fluchten viele Bürger über die »Blechpest« der Emailleschilder oder die »Heuschreckenschwärme von Schrift« (Walter Benjamin), sie fühlten sich von der Werbung gestört, und das sollten sie ja auch. Denn Störung ist eines der Grundprinzipien jeder Reklamekampagne: Sie muss sich hervortun, soll Blickfang sein, Augenfalle. Sie ködert uns mit lauten Bildern und Sprüchen, die immer noch lauter werden, je mehr wir uns an sie gewöhnen. Denn auch das ist ein Prinzip der Werbung: Sie muss sich ständig überbieten. Manche der Riesenposter, die seit einigen Jahren ganze Häuser verhüllen, sind groß wie ein Fußballfeld, damit auch ja niemand mehr an ihnen vorbeischauen kann. Anders als die Emailleschilder

von einst sind sie kein städtisches Beiwerk, sondern erzeugen eine eigene übermächtige Wirklichkeit. Wer davorsteht, dem kommt es so vor, als würde er von einem Subjekt in ein Objekt verwandelt. Nicht das Ich schaut das große Plakat an, sondern das Plakat das kleine Ich. Auf diesen Effekt legen es viele Werbekampagnen an: Sie wollen der Normalwelt nicht nur ihre Brandzeichen, ihre Produktlogos aufdrücken, sie wollen aus dem Marktplatz einen H&M- oder Nike-Platz machen. In Berlin zum Beispiel werden neuerdings ganze U-Bahnhöfe in Produkthaltestellen umgestaltet, exklusiv vermietet an jeweils ein Unternehmen, das Säulen, Vitrinen, Wände und Böden mit seinen Werbebotschaften pflastert. In Düsseldorf gibt es sogar »multisensorische


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Erlebnishaltestellen«, ausgestattet mit Lautsprechern, aus denen Reklamelieder trällern, und mit Beduftungssystemen, die den Geruch des beworbenen Waschmittels verströmen. Augen, Ohren, Nase müsste man sich zuhalten, um diesem Anschlag auf die Sinne zu entgehen. Die Werbung hat offenbar eifrig von der Gegenwartskunst gelernt, von raumgreifenden Installationen und Environments, die jede Distanz zwischen Betrachter und Objekt auflösen. In Düsseldorf gibt es sogar duftende Waschmittelwerbung

Auch auf die Strategien des Happenings greifen manche Werbeleute zurück, so ließ etwa Swatch eine neue Uhrenkollektion mit großen Beamern auf die Berliner Siegessäule und den Fernsehturm projizieren. Die nächtliche Aktion war nicht genehmigt, das Unternehmen wurde zu einer Geldstrafe in fünfstelliger Höhe verurteilt. Damit hatte Swatch aber gerechnet. Die Illegalität gehörte mit zur Kampagne, sie sorgte für zusätzliche Aufmerksamkeit. Ähnlich streben viele der neuen Werbeformen im öffentlichen Raum dreist und rücksichtslos nach Totalität. Selbst ein Krankenhaus wie die Charité in Berlin wurde über Jahre von Riesenplakaten verhängt, obwohl viele Patienten und Mitarbeiter darunter litten. Tagsüber herrschte Dämmerlicht in den Krankenzimmern; wenn es aber draußen dunkel wurde, wurde es drinnen gleißend hell, denn abends beleuchteten grelle Strahler die gigantischen Poster. Vernehmbare Proteste gegen solche Übergriffe hat es in Deutschland bislang kaum gegeben. In Frankreich hingegen entwickelte sich bereits vor einigen Jahren eine Art Widerstandsbewegung, und Jugendliche zogen in Gruppen los, um die plakative Verlockung plakativ zu bekämpfen. »Besonders geeignet für Sozialhilfeempfänger«, schrieben sie auf ein Werbeposter für Ferien in der Karibik. Und ein Poster, das einen stolzen Bodybuilder zeigte, verzierten sie mit dem Spruch: »Demnächst kaufe ich mir ein paar Gramm Hirn.« Über 60 Aktivisten wurden schließlich festgenommen. Die Schadensersatzforderung: eine Million Euro. Anders in São Paulo, dort kam der Widerstand per Gesetzesbeschluss. Gerade gewählt, verfügte der Bürgermeister Gilberto Kassab vor zwei Jahren den größten Bildersturm der Moderne, alle Riesenplakate und Werbeschriften mussten abgehängt werden, und wer dem nicht nachkam, musste Strafe zahlen. Auf keine andere Weise hätte Kassab derart eindrücklich, derart sichtbar demonstrieren können, dass er die Stadt verändern will – es war ein symbolischer Aufstand gegen die Übermacht der Symbole. Auch hierzulande wollen sich manche Kommunen nicht mit der Werbeflut abfinden, in einigen Städten gibt es mittlerweile strenge Regeln, wo, wie und in welcher Größe

plakatiert werden darf. Und doch heiligt im Zweifel der gute Zweck alle Werbemittel. Ob Bikini-Damen in XXL an Hamburgs Petri-Kirche oder lila Milka-Landschaften auf dem Bremer Rathaus – wo immer Baudenkmäler saniert werden müssen, dauert es nicht lange, und von den Gerüsten grüßen die Riesenposter. Nicht selten hängen sie sogar länger, als die Bauarbeiten dauern, denn jeder Tag mehr bedeutet Geld. Allerdings werden für solche Großplakate in der Regel eher bescheidene Beträge gezahlt. So machte die Berliner Marienkirche, nahe am Alexanderplatz gelegen, drei Jahre lang Reklame für CNN oder Mercedes und erzielte am Ende 70.000 Euro.Auch ein TVSpot kann leicht 70.000 Euro kosten – allerdings für 30 Sekunden Sendezeit. Über solche Missverhältnisse schauen viele Kirchengemeinden aber hinweg. Selbst für kleinere Werbeeinnahmen sind sie bereit, ihre Wahr- in Warenzeichen zu verwandeln, so machen es schließlich alle, die

beobachten: Die Städte werden gleichförmiger. Ihre Eigenart geht verloren, wenn überall dieselben Kampagnen, dieselben Logos und Ketten das Straßenbild prägen. Und was tun die Städte dagegen? Viele beauftragen ihrerseits Werbeagenturen, die mit viel Geld das Profil wieder schärfen sollen. Oder sie bauen sich architektonische Wahrzeichen, Museen oder Opernhäuser, um so die eingebüßte Unverwechselbarkeit zurückzugewinnen. Und natürlich um neue attraktive Flächen für weitere Großplakate zu gewinnen. Am Ende interessieren sich viele Kommunen doch allein für die monetären Aspekte des öffentlichen Raums und nicht für seine ideellen, identitätsstiftenden Werte. Jüngst kam in Berlin ein Baustadtrat sogar auf die Idee, die Sanierung von 130 Kinderspielplätzen durch Werbung zu finanzieren. Ausgewählte Firmen sollten an Sandkästen und Klettergerüsten ihre Reklame anbringen und gegen ein ordentliches Entgelt den Plätzen ihren

privaten und auch die öffentlichen Hausbesitzer. Wie das Fernsehen Werbeplätze verkauft, verkaufen auch die Kommunen seit einiger Zeit Werberechte für Straßen und Plätzen, oft auf viele Jahre im Voraus. Viele Städte haben sich sogar exklusiv an einen der drei Hauptvermarkter für Außenwerbung gebunden. So konnte Hamburg jüngst einen Vertrag bis 2023 abschließen, dafür bekommt die Stadt mehr als 500 Millionen Euro, dazu viele neue Bushäuschen und beleuchtete Plakatständer. Paris lässt sich auf ähnliche Weise sogar ein System mit 20.000 Leihfahrrädern finanzieren.

Namen geben dürfen. Das Beispiel zeigt: Wer einmal mit dem Ausverkauf des öffentlichen Raums begonnen hat, vermag in ihm bald nur noch als eine potenzielle Gewinnquelle zu sehen. Alles, was sich vermarkten lässt, wird auch vermarktet. Gewiss, Reklame hat auch ihre Reize. Mancherorts, wie am Times Square in New York, wird sie sogar zu einer eigenen ästhetischen Erfahrung. Seit je gehören Werbetafeln zur Urbanität dazu, immer schon war die Stadt ein Ort des Marktes. Aber sie war es eben nie ausschließlich. Sie war auch eine Art Spielplatz, ein Freiraum, ein Ort, der – pathetisch gesprochen – aus dem gewöhnlichen Menschen erst einen Bürger macht. Dieser Bürger zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht nur sich selbst kennt und nicht allein den eigenen Interessen folgt. Zwar hat die Stadt den Individualismus, wie wir ihn heute kennen, erst hervorgebracht; zugleich aber verlangt sie von diesen Individuen, von sich selbst abzusehen, sie verlangt Toleranz. Denn nur so werden die Gegensätze und Konflikte, ohne die eine Stadt nicht urban wäre, erträglich und im beste Falle sogar produktiv. Deshalb braucht es den öffentlichen, den ungeteilten Raum. Er ist es, der die Menschen trotz ihrer Unterschiedlichkeit verbindet. Ein paradoxer Raum: Er gehört jedem Einzelnen und doch allen zusammen. In ihm zeigt sich, wie es bestellt ist um das, was man Gemeinsinn nennt. Hier lässt sich besichtigen, wie wir uns als Gesellschaft aufführen. Öffentlich ist der öffentliche Raum aber nur, wenn er erstens nicht von den Interessen Einzelner dominiert wird, von Unternehmer- und Werbeinteressen

Viele Wahrzeichen verwandeln sich in Warenzeichen

Es lässt sich also nicht von der Hand weisen: Von der Werbung im öffentlichen Raum profitieren viele, die Produkthersteller, die Plakatvermarkter, die Kommunen, die Bürger. Und in gewisser Weise könnten die Städte sogar stolz darauf sein, dass sie als Werbeflächen derart begehrt sind. Die Werbung drängt ja nicht zufällig auf die Straßen und Plätze: In Magazinen wird sie überblättert, im Fernsehen weggezappt, in der Stadt aber dringt sie ein ins wirkliche Leben. Oft sucht sie sich authentische Orte, aufgeladen mit historischer Bedeutung, und hofft, etwas von der Bedeutung möge auf die beworbenen Produkte abfärben. Imagetransfer nennt sich das. Nur leider bleibt von diesem Image der Stadt wenig übrig, wenn es nach und nach unter lauter Zeichen, Schildern und Logos verschwindet. Schon heute lässt sich das

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zum Beispiel. Wenn er sich zweitens als ein realer Raum erfahren lässt, als ein Raum also, der nicht so glatt und künstlich wirkt wie die Riesenposter und der sich auch nicht im Takt der Werbekampagnen verändert, sondern so langsam, dass sich darin kollektive Erinnerungen ablagern können. Und drittens wird der öffentliche Raum nur dann so etwas wie städtischen Zusammenhalt stiften, wenn sich die Bürger in diesem Raum nicht allein als Käufer angesprochen fühlen, wenn sie nicht gegängelt, bedrängt, verfolgt werden von den Botschaften der Werbung, sondern den Raum als offen und frei erleben. Wenn sie die Stadt als ihre Stadt erfahren und nicht als die Stadt der Produktindustrie. Reklame braucht also Grenzen, und einige Kommunen haben das verstanden. Nicht nur São Paulo, auch Paris verbannt neuerdings die Riesenplakate. Und überall wächst der Unmut, viele Bürger wollen die Durchökonomisierung des öffentlichen Raums nicht länger hinnehmen, sie wollen, dass die Städte wieder Stadt sind und keine dreidimensionale Dauerwerbesendung. So gut gelaunt die Diktatur der Plakate und Poster auch sein mag – der Bildersturm wird kommen. Das große Brausen ist schon zu hören. +++ Text von Hanno Rautenberg


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PUNK & PRADA & PORNO


Titelthema

QUINZE

Format - Zeitung f端r Kultur

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Das beste Design kommt nicht immer aus London, Tokio oder Berlin, sondern immer öfter aus Kortrijk, einem Nest im belgischen Flandern. Hier produziert Arne Quinze schräge Kunststoffmöbel - und stattet damit weltweit Hotels, Clubs und Lounges aus.


bi

++

+ ne n ve et Hin C d n d h w rs e te a er F Ste efd Q ür f tau s b r ei u e el ne b 25 uf d ra g m es w in l t i g Le en nkf it gn de oll ze in e M isc r G en s Bo a h ar ut M ur se er Q m v e e n i t s a en a e n o d de uin v te r B ei e in nb ch n S ge r e r A o n un kt De n on B i n H nk ze n tä nt i n D e e l t b b a e d e d u M r s un us en ist V IN- He sc Ha zeic lie farb un dtc ür di ing ign nt or or A iz h um d e w au ein h in nd h r. en o H ve e i u 4 A r b n W en d s en ei F f H rs n. nn K so z Se eut fün -Ze ng me vo un o n p da eg eg de re s a a en Fü u un u St us r ak de in e g f J tte sr o n ll i g be us uck Ko em s an u e iA . si i h l n La r d al. sts be s se att un De n, nd Ba . V r a t r e F N te t h h r e tz o s S tr In L s st as Th tof sp Ka lbs nu d sig sic leb ust on ry x« ob chr tal r e än n t, u r n für teli eb ch ijk du w r fl e fi e r t h e B g he lts e ag u m ie c p ng n a a te s lle sei d in un by ille tet n k e un nt ati ein er en au ste stri »E n. ch ntw op en r ni a: gen hen an nd uf ec vi nem ch enh Se d i de n P er an n, d d er on en ein an mg ht eg p a g n e d » h » un a Ic u ic ig le w g Gr au . F Po en ot at n R s s ol d nt am Ne mi ale K e s ha um ein es z er e t e o e re tl ir d M af r d l, o h b ms kel e E u z er r St M Le Tea e u y ie e e e t r f e o e i L a fi z t e N b r in no Pu l b e. m pe ur e c n it s nrö Gla Ju ller hr A mi er n ti- up tag o i ew Pa in sse es ntw ich eu aß na ute m s i e n Q i n s e e s K r h th o hr sw g ra w r n e K n t e e k M e F r m t t , a zu ui oo ip a ls im e ha P s r. , Yo rfü in l hi a ürf ne e. A zu e a er pric a ni en ol de um ohl e s un pp in n n t w be ull tyli He ein Lu ze lha pe sc en nd ch , So tiv st en Ca l rk mfl Op nle ter e w n, be ls S se ht l o s a e sig , i t s n a i b i x a h i . D a tim g a m ve ch ut bi u g as te r n l, m . A nn au Rä A so n iso ne n K en l ie d est er ha tree ein er g e m s s ‘ e n er co u r d u i er da Sta lle es mu K er ihr r u en e sch ya sta ge op m m ne ble den lier r Fi ns, st m ?), Pol en ellt as pt tki er d er n en d rm M i do s jä dt wo d ss in in e nd T r mp en ch lte fei en -Sit e yu T e d e Q nd e e a r a h d M t e a i rs . » n r H ls rt hr au lle s te en ob t ei afü re ag rt ag ze de ui en n er Ch Ber mi in fän P en te t a M e A e a nz . r l r e ‘ a ca ic m n in m in e t gr ilt ne r a tha lia te r e st m an in l e g a . M m he «. Ar teh r n öb a, ch Rin gs t d da Qu lles Pu ne eh We e. ün ele r g b te ria a an dw er s n t ti e a pi F Di n l i b r g h r e m lle lie l a ler er de fo es er e H er r e e e Q wü ch lk um gu en ose er un nze v lic »H n in t. r s ne un ein it e Ch n u uf nt dam rke ard ol ng u , 34 d ak T u om L ot e r M , i d d u d d n l ch L ib el r. c K in a n n e -J e st o e , 1 -T r n in ig a ek die : nu ast en ul er ir, d b r M rt, un Er ore V ter ine äh in b ein Stu ra50 r ef sch ze. e » ila tio P e pp wa Po tob gu ein au ö zu d B er -Ro r m n n d H r ig is b n o r K fen uh Im ot d, er ge rtio jek m en te be kä rü zäh ck e d ga en b e sc is ilo in fir M el t d n n t. m um inz uk ng A ab un he s-B Se Pr lm m sse lt m m i M ut tio en ug y ie w Ar Fü ar ss ot es pf l. da an s n et de a ai g a ü n Lu e ro r d tig el oty se en M s d er r W O e en bla in es rtin neu te s ft nn ga as en m pe in «, s it 1 nic , be n u n. ei W . D H de m n ol üs its tal ez« e h n n M a 7 i o h H it i zl te uk te r R a z«, an au de . N ai gt ha t o de w Pr o Mi er ch e a t n e m h l s r a v t t e a i a e t d t ei j a r e t n l e e e t en on T i r m l d k wo rs r ch es gt ge in A ch nd . W r z e t g us en en de fe se w en ul Sto der zu Ne er it en e m ch d s r e t a e c l t de Sp e n Fr v z s t w un we r S ig r he hs r, z . a h te e m ad ill m ru it d er t e Q on r m a, im b ng er d B fen oot St ige n a Mo em sic ine uin tm e ü rit n h n en h i n te au rü ka ng ck e ei at Ep et Sch ze b ann n ta at kom isc ins , h n s ne en iz w sin fü f H m n ta g Q F r u c ke u m hen 21. ei d hrt au te , e r ü ibt ab r G ha ent as le üst und n e a b g n r r n inz en K Ja r e D b j s a i A en ie et w , e tw e s k. be tte um us esu t si de ,d e d ün h b e z r ä n s c Ku er e el t s nd tw erf sic ine Ta l a ich d die ch h r R ie ein en st r hu S e g e o e n b ta u in e sc ge a s h t J le u e i n r ‘ a n m , l e d r e l m gi ah r K de er hä en i a dt nd G n u ft P w se an iat fge ei De r Z ab r n die lb ge el ga r S h ba C ra i e n s e d l E r r m n l Ka zu tze i z i e n d nd n n as rt w d iva es st. h fi W le w reh e gnw t be r be it ug su ta p n, s ich em uen an kb .« B V e tis ea ha ag t r s l a t v s s e fl w e on in ic de ch ke y el üro ah ill Qu org rte ur er te el »d pe log eg on t n is . e a t d e t . h N n rs ar n u rv e ge en r e st en de ur Q Irg »G w n, inz en list e ud Kol , fa hrt der er B is , b N u v n r er eg A a n H he w ne eh . A n Pü in en los ag Pri e & om e, a ie el lek nd ha s o ik t. W rü e r m im d h dw sy« go va M m u lle n, tio er t, d ft h er- eg Pi at e n k en rge t d uf au nk ze h c b i f c n e t d r e t n s c u kt ba a an at de h lic e vi at r e an n tic r an we s jet ilan n de ht en al an ing n en en r n a Q h d ha r un les n ite en s u s so el m ig n« ich ch Slo m ein hke r b e d n u k e n E i e l S Ta S p u h e i i n sie ao ga ak w it ew w r. tw nd st s t e au ein ink d , w Un ga pr in Rä ll Spa it e ent . n z e r i n e K c a g t n a i i r i c d t a l u ä l l s n B l un ke Lu ho si A ke «, e err en e S e g D um ie ß. es uf ine s e bh ge ye r Ta em ich »M uel de nd uss e r a h « c e a x n n n r r d l ä D nn e r us je h ne tse er n n t bg ol un on be 4 U Id ne un y len s Im g t, d se en H sa ng ist Ve too vi zs d d d h l u t Q m t Vo esig g in 0-k nd gro ea l e a a , i e r z g a e e k o ne b r u T- r a e n w G in Qu g te s te t in l: uin r ( ro uf h, igk er n ga s u er m ns ibt ein öp ein ße le? e. Q s s ei es d en »la e an lp Sh u , d nd »P l w ß n i fi s n n s e z t i e A ß 6 e i . G n ro e e u ca tm . ar es r ge n e n t. ch g r nt tur irts sste en S Q ic tze is l ze Da al ine ra tw du au r m In Sch gw Qu t. S enh sein so um Q eu ch uin Kh se al bis s. h, ik & s w itä w en v llu hö t i c s f e u k l e g a g e f e t e i z e fi i e u f 1 er tw on n lz w eb o M e t ++ as ü f. e ar eb in s ti rp td h e g rie ld ili nz att it. s d 0 i i I i de o Q g er S e g F e g e e ß s l c e n s d + ha r D ie . M t ur n ze ch h ri M a i a p i c T s n « n k t e e i nag ut rü n. r fe ui au ch Q ya es De a if f w ns un ign ige ho fir m .« D . »Ic üm sse it 1 ne b u & e h i i n. nz f t n s es n i : gn sig w i r i . s g 5 t l s h n n a i d m l ie st N ei en s er lic Fa M In ze M e vi »Ic N . ir d m e sp gi stu H n a n n u E i , h ai A ht b la zw el it nu on u m m pa an x-S iet rt s rüh ng dio m r n An in b -A rik nr e G g i r e an e nu d no ko de n v ar zub tre te ch te er -Bo rb et Tr ei M el in e d e ei ag up an Qu al r ch ng r A on ta ie etk m ein er vo dy o u in ts Fr i pl e b pe na nd fü , D nfa H use ten id ir e en Gr n z s G nze stat an t ät e r A al e n oll n , f be in n D af u ra k t ze zie eu n us las g«, yw d E erti w kle rec fiti ffi wi find fur h ti- rd fü e e t st un sa oo ur gt ies in k Ku z en er el n r e di . lu d S gt d-G o fü er Mu es ns us , e Fes e ng y A r t r s t am in th en dn r ne öße ein ein : in m Sh al e l e n . sz Q n D y, en en ow e en M uin ste ie m St osk ze r e it il, n. a . de u n

de

Format - Zeitung für Kultur

PRUNK, PRADA & PORNO 43


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Format - Zeitung für Kultur 01/09

WOHIN MAN GEHT

MÄRZ 2009


Format - Zeitung für Kultur

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VERANSTALTUNGSKALENDER

01

Sa

08

20.00 - 22.00 Ein Sommernachtstraum Schauspielhaus NRW

16

Sa 09.00 - 19.00 Thomas Bayerle Museum Ludwig, Köln

Deutsch von Frank Günterh. Thomas Ostermeier,

Durch metergroße Schlaufen betritt der Besucher

Deusch-Amerikanische Freundschaft, so DAF aus-

Constanza Macras (R+CH); Jan Pappelbaum (B);

die Ausstellung. Und um Schlaufen geht es im

gesprochen, ist eine Düsseldorfer Band, die in

Ulrike Gutbrod (K); Chris Dahlgren, Maurice de

übertragenen Sinn auch. Bayrles Kunststrategie

den 80ern zu den innovativsten zählte. Ihr tech-

Martin, Alex Nowitz (M); R.Chris Dahlgren (M

ist das Looping, die ständie Wiederholung ein

noider Synthie-Sound war Vorlagengeber für den

Leitung); Erich Schneider (L). Mit: Nabih Ama-

und desselben Motivs, das zum Superzeichen wird.

Techno-Hype.

roui, Robert Beyer, Lars Eidinger, Markus Gert-

Geöffnet bis zum 01. April 2009.

ken, Jörg Hartmann, Bettina Hoppe, Alex Nowitz (Sänger); R. Chris Dahlgren, Maurice de Martin, Alex Nowitz (Musiker) Eine Koproduktion

09

des Schauspielhaus NRW mit dem Hellenic Festival

02

So 20.30 Chinesischer Nationalzirkus Phillipshalle, Düsseldorf

21

Do 11.00-20.00 Reiner Ruthenbeck Wilhelm Lehmbruck-Museum, Duisburg Er gehört zu den bedeutendsten deutschen Bild-

Seit 1989 zählt er über neun Millionen Besu-

hauern seiner Generation. Schon früh er Impul-

cher, und auch mit seiner neuen Show »Konfuzius«

se aus dem Surrealismus sowie der Minimal-und

20.30 DEUTSCHLANDSAGA - DIE 50er JAHRE Schauspielhaus NRW

lockt er wieder in eine geheimnisvolle, frem-

Concept-Art auf. Seine Objekte baut er verspielt

de Welt. Eine gelungene Symbiose aus Artistik,

aus Stoff, Asche, Möbeln. etc.

Das Erinnern als Grundlage demokratischer Na-

und Musik.

Athen 2009.

So

Sa 20.00 - 22.00 DAF Kulturfabrik, Krefeld

Tanz, Schauspiel, farbenfrohen Kostümen, Licht

22

tur. Vortrag von Dr. Joachim Gauck.(R+CH); Jan Pappelbaum (B); Ulrike Gutbrod (K); Chris Dahlg-

Fr 20.00 Deichkind Palladium, Köln

ren, Maurice de Martin, Alex Nowitz (M); R.Chris

Die mobile Freakshow der Electric Supersance

Dahlgren (M Leitung); Erich Schneider (L).

Band ist in der Gegend und wird alles tun, um ihren Ruf alle Ehre zu machen. Die Hip-Hop-

03

Mo

20.00 Das letzte Band Capitol, Düsseldorf von

Samuel

Beckett

mit

Electro-Sounds werden mit Mummenschanz und Verwüstungen unterstrichen.

Josef

23

Bierbichler.

Deutsch von Erika und Elmar Tophoven. Eine

Pro-

duktion der Stiftung Schloss Neuhardenberg

04

Di

21.00 Betrunken genug zu sagen ich liebe dich? Capitol, Düsseldorf von

Caryl,

aufführung.

Churchill. Deutsch

von

Deutschprachige Maja

Zade.

Deutsch von Volker Schlöndorff und Florian Hopf. Luk Perceval (R); Katrin Brack (B); Ilse Vandenbussche (K) Mark Van Denesse (L). Mit: Bruno Cathomas, Christina Geiße, Ulrich Hoppe, Mi-

25.03.2009

Erst-

06

chael Raste, Carola Regnier, Marcus Schinkel,

Benedict

Christian Schmidt, Thomas Tierne.

TIP DES MONATS

Andrews(R, Magda Willi (B+K).

Do

Sa 21.00 Tod eines Handlungsreisenden von Arthur Miller Schauspielhaus NRW

DEICHKIND

20.00 Brickland Schauspielhaus NRW

28

Do 20.00 Delicatessen Palazzo, Düsseldorf Erstmals

gastiert

das

Gourmet-Theater

vom

Uraufführung. Constanza Macras (R+C); Christoph

12.03. bis 08.04. auch in Düsseldorf. Die Gäste

Hetzer (B); Gilvan Coelho De Oliveira (K); Klaus

im historischen Spiegelpalast werden gleichsam

Erbskorn, Almut Lustig, Ulf Pankoke (M); Maria

verwöhnt mit artistischen Varieté-Häppchen und

Onis (V). Mit: Knut Berger, Nir de Volff, Jill

einem viergängigen Feinschmecker-Menü, für das

Emerson, Jared Gradinger, Hyoung Min Kim, Ron-

Sternekoch Peter Nöthel (Hummer-Stübchen) sich

ni Maciel, Ana Mondini, Angela Schubot, Gail

verantwortlich zeichnet.

Skrela. Eine Produktion von Constanza Macras / DorkyPark und Schauspielhaus NRW

07

Fr

12

Mi 22.30 nachtcafé cafeschaubühne, Hamburg

20.00 Room Service Schauspielhaus NRW

Die

Uraufführung. Constanza Macras (R+C); Christoph

Schaubühne

öffnet

ihre

29

Übersetzungswerk-

Sie gehörten in den 90er Jahren hinter Cypress

statt. Mit Vorlesungen von Rafael Stachowiak,

Hill zur zweitbesten Latino-HipHop-Combo. Da-

Lore Stefanek, Vincent Redetzki. Anschliessend

mit das vorm Aussterben bedrohte Genre nicht

Party mit dem DJ-Duo Fantomas.

in Vergessenheit gerät, ziehen sie ihre Runden

Hetzer (B); Gilvan Coelho De Oliveira (K); Klaus Erbskorn, Almut Lustig, Ulf Pankoke (M); Maria Onis (V). Mit: Knut Berger, Nir de Volff, Jill Emerson, Jared Gradinger, Hyoung Min Kim, Ron-

Fr 20.30 Delinquent Habbits Zakk, Düsseldorf

durch die Welt.

14

Fr 20.00 Harald Schmidt Ko(m)mödchen, Düsseldorf

30

Sa 09.00-19.00 Spot on O2 MKP, Düsseldorf

ni Maciel, Ana Mondini, Angela Schubot, Gail

Unter der Anleitung von Lore Lorentz begann Ha-

Skrela. Eine Produktion von Constanza Macras /

rald Schmidt in den 80er Jahren auf diesen Bret-

Für die Ausstellungsreihe verzauberte das Künst-

DorkyPark und Schauspielhaus NRW, in Koproduk-

tern seine kabarettistische Laufbahn. Somit ist

lerpaar Steiner / Lenzlinger den Eingangsbereich

tion mit DuoDjion, Kampnagel Hamburg, Teatro

es auch Ehrensache, dass er hier »Live & Exklu-

des Museums MKP mit dem »Vegetativen Nervensys-

Communicale di Ferrara.

siv« auf der Bühne steht.

tem«, eine filigrane Installation aus Drähten.


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AMERICAN APPAREL ™

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AMERICAN APPAREL ™

Die amerikanische Bekleidungsfirma American Apparel gilt als cool, sexy und politisch korrekt. Die Frage ist: Wie lange noch?

+++ Irgendwann hat sich Dov Charney überlegt, dass es eine ziemlich gute Idee ist, in Unterhosen durch die Firma zu laufen. Schließlich produziert er welche, und was ist dagegen zu sagen, seine Produkte zu lieben? Also ließ er eines Tages Hose und Hemd weg und führte seine Firma in Unterhosen. Mit erstaunlichem Erfolg: Von 2003 bis 2007 hat sich der Umsatz von American Apparel vervierfacht und liegt jetzt bei mehr als 300 Millionen Dollar. Hätte sich Charney in all diesen Jahren ordentlich gekleidet, wäre das geradezu image-schädigend gewesen. Denn American Apparel möchte vor allem eines sein: cool. Und cool ist man nicht, wenn der Chef im dunklen Anzug herumläuft, sondern aussieht wie ein Pornodarsteller aus den siebziger Jahren – mit dickem Schnäuzer, Koteletten, Brustbehaarung und einer riesigen Sonnenbrille, die er auch drinnen nicht abnimmt. Die Unterhosen-Nummer war Stufe eins. Mittlerweile ist Charney ein bisschen aus seiner Rolle herausgewachsen. Und belässt es dabei, in die Werkhalle mit den Näherinnen zu rennen, die Arme emporzureißen und »yeeaaah« zu schreien. Er hat auch allen Grund dazu: Charney hat bewiesen, dass die Welt des Marketings ganz einfach ist. Im Grunde genommen ein Witz. Aber ein sehr guter. American Apparel stellt Kleidung her, von der man nicht wusste, dass sie noch mal ein Renner wird: einfache T-Shirts mit Rund- und V-Ausschnitt zum Beispiel, Sweatshirts, Kapuzenjacken, die jetzt Hoodies heißen, Leggings, die mal recht unmodern waren, Männer-Slips mit Eingriff. Kurz: alles, was im Modegeschäft unter dem Begriff Basics zusammengefasst wird. Die bietet American Apparel in allen erdenklichen Farben an und lässt so dem Kunden wenig Grund, nichts zu kaufen, weil es auf jeden Fall irgendein Shirt oder eine Jacke gibt, die farblich gut zu der Hose passen, die er schon hat. Außerdem werden die bunten Schlabbersachen noch erotisch aufgeladen. So hat American Apparels Werbekampagne nur eine Botschaft: Kauf die Sachen, um sie möglichst schnell wieder auszuziehen. Im Grunde genommen ist nämlich bei American Apparel alles Unterwäsche. Die Anzeigen und Plakate, die in den Filialen hängen, zeigen Menschen, die sich der AmericanApparel-Kollektion entledigen, und das in verschiedenen Stadien. Menschen, die nicht so künstlich aussehen wie die üblichen Models, sondern leicht abgerockt, ein bisschen lädiert, mit Haaren unter den Achseln und Augenringen. Eine wohltemperierte Nachlässigkeit, wie auf den Fotos des Fotografen Terry Richardson, die aussehen wie das reale Leben, nur eben ein bisschen gefährlicher, verführerischer. Die Models auf den Bildern sind Mädchen von der Straße, oft sucht der Chef sie selbst aus, oft fotografiert er auch selbst, und manchmal ist er sogar selbst mit auf dem Bild. Es ist also auch eine ziemlich gute Werbung für Dov Charney. Das ist die eine Seite des American-Apparel-Konzepts: eigentlich eher unerotische Produkte durch sexualisierte Werbung zu heißer Ware umzudeuten. Es ist, als würde man von heute

auf morgen Müsli zu einem Aphrodisiakum erklären. Die andere Seite ist, dass immer mehr Menschen versuchen, durch ihren Konsum die Welt zu verbessern – oder sie zumindest nicht noch schlechter zu machen. Charney hat begriffen, dass die Welt der Mode eine der schlechtesten ist und man gar nicht viel machen muss, um in ihr eine Lichtgestalt zu werden.

Man nehme: ein simples Geschäftsmodell und eine gute Story. Und siehe da: Marketing kann kinderleicht sein

Der Baumwollanbau hat eine der verheerendsten Ökobilanzen. Verarbeitet wird der Rohstoff vor allem in asiatischen Billiglohnländern, teilweise von Kindern und zu Löhnen von 30 Cent pro Stunde und weniger. Es gibt kaum eine Industrie, die durch die Globalisierung moralisch so in Misskredit geraten ist. Angesichts der Tatsache, dass selbst in Turnschuhen für 200 Euro nur ganz klein gedruckt steht: »Made in Bangladesh«, ist das kein Wunder. Made in Downtown L. A.: die Produktion von American Apparel.Auf den Etiketten von American Apparel steht nicht Thailand, Taiwan, Kambodscha oder Vietnam wie in fast allen Textilien, die in den Industriestaaten verkauft werden, sondern: »Made in Downtown L.A.«, was nicht nur politisch korrekter, sondern auch lässiger klingt. Und außerdem steht dort bedeutungsschwer: »Vertically Integrated Manufacturing«. Auch so eine Schöpfung von Charney, die darauf verweist, dass alles unter einem Dach produziert wird. Die mittlerweile 6700 Arbeiter – vom Marketingmanager bis zur Näherin – sitzen in einem mehrstöckigen Fabrikgebäude in Los Angeles, an dessen Dachfirst wechselnde politische Botschaften hängen. Zum Beispiel die, dass American Apparel »una compañia rebelde« ist – ein rebellisches Unternehmen. American Apparel hat es besser als andere Firmen verstanden, auf das kritischer gewordene Konsumentenbewusstsein zu reagieren und es für seine Marketing- und Geschäftsstrategie zu nutzen. American Apparel produziert laut Unternehmensdarstellung nicht in sogenannten Sweatshops, lässt also keine unterbezahlten Näherinnen in Südostasien für sich schwitzen. Die Arbeiter, darunter viele Immigranten aus Lateinamerika, bekommen mehr als die acht Dollar Mindestlohn, sie besuchen kostenlose Englischkurse und können sich zwischendurch massieren lassen. Auch wenn dadurch ihr Akkord-Lohn sinkt. »Linke sehen in uns eine Firma, die ihre Arbeiter gut behandelt. Künstler sehen unser gutes Design«, so Charney, der sich gern als »Hyper-Kapitalist« bezeichnet. »Und republikanische Bush-Anhänger sehen darin ,Made in the USA‘, so haben alle was davon.« Der Erfolg des Unternehmens

erscheint fast unglaublich. Jedes Jahr wuchs das Filialnetz, eröffneten Läden dort, wo das Lebensgefühl der jungen, modernen Postmaterialisten, die hedonistisch und komsumkritisch zugleich sind, dominiert. »Emerging neigbourhoods in large metropolitan areas« heißt so was im Geschäftsbericht, der mittlerweile rund 180 Filialen in 13 Ländern aufzählt. Während also in Europa und den Vereinigten Staaten die Textilindustrie stirbt, weil die Firmen ihre Arbeit nach Asien verlegen, um konkurrenzfähig zu bleiben, produziert American Apparel im Hochpreisland USA und bietet seine Kollektion dennoch zu Preisen an, die kaum höher sind als die von Konkurrenten wie Hennes & Mauritz, GAP oder Zara. Die Erklärung für dieses Paradox ist, wie alles bei Dov Charney, recht simpel: »Weil alles unter einem Dach passiert, können wir schneller auf die Nachfrage des Marktes reagieren. Wenn ich mir am Wochenende einen neuen Schnitt ausdenke, kann das Produkt schon am Freitag samt Werbekampagne im Laden sein.« Ähnlich begründet übrigens auch der legendäre Trigema-Chef Wolfgang Grupp sein Festhalten am Standort Deutschland. Idee, Design, Weben, Färben, Nähen, Ausliefern, Fotoshooting – das alles dauert in der Dov-Charney-Welt keine Woche. Seltsam ist nur, dass American Apparel laut Eigenaussage vor allem eben jene Basics anbietet, deren Design sich so gut wie nie ändert. Dass Charney also gar nicht so viele Eingebungen braucht, die sich wenige Tage später in den Filialen rund um den Globus materialisieren. Das Gute, das seine Firma tut, erklärt vielleicht den Marketing-Erfolg, die Umsatzzahlen erklärt es nicht. So steht die Frage im Raum, ob es American Apparel mit dem viel beschworenen »Vertically Integrated Manufacturing« vielleicht gar nicht so genau nimmt. Gewebt werden die Stoffe jedenfalls zu einem großen Teil woanders: Laut Geschäftsunterlagen bezieht der Konzern rund 70 Prozent der fertigen Stoffe von Drittanbietern, ebenso werden zwei Drittel der Ware von anderen Firmen gefärbt. Zwei entscheidende Prozesse der Herstellung – das Weben der Baumwolle und das Färben der gewebten Stoffe – sind also überwiegend ausgelagert. Unter dem Dach des pink gestrichenen Fabrikgebäudes in L.A. wird vor allem genäht. Woher die Zulieferungen kommen, mag American Apparel nicht verraten. Kann es also sein, dass diese Firma die böse Textilwelt garnicht auf den Kopf stellt? Dass man nur so viel anders macht, wie nötig, um als verantwortlich zu gelten? Fragen, mit deren Beantwortung sich das Unternehmen schwertut. Mit dem Hinweis auf das strenge amerikanische Börsengesetz gibt es keine Auskunft auf Fragen, die die Ernsthaftigkeit der Corporate Social Responsibility klären könnten. Es steht einem aber frei, von der Firmen-Homepage etliche Artikel herunterzuladen, in denen von Charneys Unternehmergeist geschwärmt wird. Etliche Versionen der Geschichte seines Aufstiegs, vom Sohn jüdischer Intellektueller in


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Montreal, der schon als Jugendlicher Hanes-T-Shirts aus den USA nach Kanada schmuggelte, hin zum philanthropischen T-Shirt- Mogul. Irgendwann saß er in amerikanischen Talkshows und sprach ohne Unterlass darüber, dass sich alles weltweit befruchte – Filmemacher in New York, Fotografen in Berlin, Designer in Tokio. Und dass er gern bald Autos herausbringen würde, weil er genau wisse, wie man die American-Apparel-Generation auf diese hässlichen Hybrid-Autos heiß mache. Je weiter die Medien vom Firmensitz in Downtown L.A. entfernt sind, desto verklärter wird offenbar ihr Blick. Die Zeitschrift »Stern«, in Downtown Hamburg beheimatet, lobte ausdrücklich den Einsatz von teurer organischer Ökobaumwolle – obwohl man bis heute in den American-Apparel-Läden nur einige wenige Shirts findet, die mit weniger Pestizideinsatz hergestellt wurden. So wurde Dov Charney, der Gute, in den Medien zum Übermenschen. Vom Spezialisten für T-Shirts zum Fachmann für eine bessere Welt. Die Frage ist nur, wie lange der Glaube noch hält. Und ob man irgendwann nachlegen muss. Ob die Unterhosen- Nummer, die Massagen, die Englischkurse und die Erfindung des Vertically Integrated Manufacturing reichen. Fest steht: Es wird in Zukunft nicht leichter werden für Charney, Gutes zu tun und darüber zu reden. Seit Dezember des vergangenen Jahres gehören 45 Prozent des Konzerns dem Finanzinvestor Endeavor Acquisition, dessen Vorstandsvorsitzender, Jonathan Ledecky, das Ziel seines Strebens so beschreibt: »Wir wollen Profit.« 244 Millionen Dollar haben Ledecky und seine Teilhaber bezahlt, dazu kamen bis zu 150 Millionen Dollar Schulden, die American Apparel angehäuft hat. Das war der Preis für den rasanten Ausbau des Filialnetzes, die Summe, mit der die Umsatzsteigerungen der vergangenen Jahre erkauft wurden. Von Januar bis September 2007 setzte man 275,6 Millionen Dollar um – 30 Prozent mehr als in derselben Zeitspanne des Vorjahres. Gewinnangaben macht American Apparel nicht. Ohne den Einstieg des Investors wäre es für American Apparel möglicherweise eng geworden.

In letzter Zeit hat’s der Chef ein wenig zu toll getrieben. Das rächt sich nun

Schon in den vergangenen Jahren wurden die Kreditlinien der Banken des Öfteren erweitert. Nun wird Endeavor nicht nur den schnellen Return seines Investments erwarten, sondern auch eine hohe Rendite, die gemeinhin wenig Platz lässt für ein kuscheliges Arbeitsklima. Auch die sexuelle Be-

Dov Charney in American Apparel

freiung, für die Charney einst mit der Unterhose durch das Büro rannte, steht nun zur Debatte. Mehrere Prozesse wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz hat Charney hinter sich und vor Gericht freimütig eingeräumt, mit Angestellten geschlafen zu haben. Wie er es sieht, hat er nie einen Zweifel daran gelassen, dass er mit seiner Firma nicht nur ganz viel Geld verdienen, sondern auch eine Menge Spaß haben möchte. »Ich sage ja nicht, dass ich mit allen Frauen in der Firma schlafen will, aber wenn ich mich verliebe, wird es sexuell und schön«, ließ er einen Reporter wissen. Als ihn vor Jahren die Reporterin eines Modemagazins über Wochen begleitete, onanierte er mehrere Male vor ihr, ein anderes Mal ließ er sich in ihrem Beisein von einer Angestellten oral befriedigen. Kritik an seinen Allüren begegnete Charney mit Sprüchen, die ihn noch wilder erscheinen ließen. Er habe es nur mit »scheißliberalen Schwuchteln« zu tun. Und sicher bezeichne er Frauen in seiner Firma auch mal als Schlampen – aber natürlich sei das zärtlich gemeint. Die größte Protestbewegung gegen American Apparel hat sich mittlerweile im Netz gebildet, dort, wo man die Kundschaft des Konzerns am besten erreicht. »Früher war der geile, alte Boss total uncool – aber Charneys neue Version von Belästigung ist ein.Die rebellische Firma setzt sich unter anderem für illegale Einwanderer ein Phänomen«, lästert ein Blogger. Andere fragen, wie sich der Ruf

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eines verantwortungsvollen Unternehmens mit sexistischer Werbung und den Belästigungsprozessen vereinbaren lässt. Und ob am Firmensitz nicht trotz der guten Löhne eine Atmosphäre der Einschüchterung herrscht, in der all die Frauen um ihren Job bangen, die sich den Avancen des Chefs entziehen. Mittlerweile ist der Protest auch auf der Straße angekommen. Vor einigen Wochen wurde in New York ein großes American-Apparel-Plakat, auf dem ein Model in Leggings weit die Beine spreizt, mit Farbe bekleckert und mit einem neuen Spruch versehen: »Ich frage mich, warum Frauen vergewaltigt werden.« Auch in Deutschland ist die Laune nicht mehr ganz so toll. Was womöglich daran liegt, dass die sozialen Leistungen der Firma außerhalb der USA eher bescheiden sind. Zwar wissen die Verkäufer auch in Frankfurt oder Düsseldorf das Glaubensbekenntnis der Firma – vom Vertically Integrated Manufacturing bis hin zum Sweatshop-free-Gedanken – aufzusagen, beim Stichwort Bezahlung werden sie aber meist einsilbig. Nur knapp über sieben Euro sollen Einsteiger bekommen, was zwar auch nicht weniger ist, als die Konkurrenz bei C&A oder H&M zahlt, aber für ein Unternehmen, das sich seine sozialen Leistungen auf die Fahne schreibt, doch eher wenig. Die American-Apparel-Tarife liegen unter den von den Gewerkschaften und auch der Bundesregierung vorgesehenen Mindestlöhnen. Charney, der Berlin für einen der hippen Plätze der sich gegenseitig inspirierenden jungen Kreativen hält, muss jetzt aufpassen, Kurs zu halten. Kurs auf sein Ziel, im nächsten Jahr weitere 100 Filialen zu eröffnen und langfristig »ekelhaft viel Geld zu verdienen«. Er ist jetzt 39 und nicht mehr ganz so wild. Das Porno-Outfit hat er bereits ein bisschen abgeschwächt. Der halbseidene Schnurrbart ist einem Dreitagebart gewichen, der mehr nach Arbeit als nach Freizeit aussieht. Über der Unterhose trägt er nun meist Jeans und setzt außerdem auf gute Taten. Im Dezember kündigte American Apparel an, 300 000 Kleidungsstücke kostenlos an modebewusste Bedürftige zu verteilen. In diesem Frühjahr sollen die Mitarbeiter mit vier Prozent am Unternehmen beteiligt werden. In der »New York Times« schaltete American Apparel eine viertelseitige Anzeige mit einer lateinamerikanischen Arbeiterin darin, um die Legalisierung illegal eingewanderter Menschen zu fordern und vor einem Apartheidstaat zu warnen. Und um bei so viel Rebellentum nicht doch ein paar George- Bush-Wähler unter seinen Kunden zu vergraulen, ließ Charney noch darunterschreiben, dass American Apparel »den Stolz Amerikas« und den »amerikanischen Traum« unterstützt. Sicher ist sicher. +++ Text: Oliver Gehrs / Foto: Johannes Kroemer


TCK - Das K端rzel der neuen Bewegung


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TANZ DEN MILKY WAY!

Sie verrenken die Körper, sie verdrehen die Arme, sie zucken zum Beat der Musik. Was als neuer Tanzstil begann, hat sich zu einer regelrechten Jugendbewegung ausgewachsen. Sie heisst Tecktonik und kommt aus Frankreich.

+++ Treaxy und Vavan. Der Film beginnt, er zeigt Paris im Sommer. Die Kamera fährt auf eine grüne Holzbank zu, auf einen dort mit gesenktem Kopf Sitzenden, ein schmaler, sehniger Junge. Treaxys Kleidung ist schwarz. Enge Hose mit unnötigen Reißverschlüssen und ein knappes Tank-Top rahmen seine Schätze. Da beschäftigt sich einer mit sich selbst, eine Menge Details. Sauber gezupfte Augenbrauen. Tiefschwarze Haare, durchdacht. in verschiedenste Richtungen bearbeitet. Ganz kurz an den Seiten, hinten länger, spitz auslaufend neben den Ohren. Seine in Winkeln scharf geschnittenen Augen erkennen die Beobachtung und suchen Kontakt. Ins Bild rücken: Eine Nase, die römisch, mächtig im Zentrum steht. Ein gerader, über die ganze Breite gezeichneter Mund. Unter seiner Lippe steckt eine schwarze Perle. Die Kamera schwenkt um ihn herum. Auf der anderen Seite sitzt Vavan, ebenfalls ganz in Schwarz gekleidet. Sein Körper ist kräftiger. Seine Augen liegen tief wie Einschusslöcher. An der linken Braue sitzt ein Piercing. Am rechten Mundwinkel auch. Die Haare laufen ihm weit in den Nacken. Sein Blick sagt: Achtung! Beide tragen am rechten Oberarm ein BAnd, auf das ein stilisierter, weißer Adler gedruckt ist. Erinnert ein wenig an das Logo der UCK, Kosovos Befreiungsarmee. Noch gar nicht so lange her. Schnitt. Die beiden stehen auf einer Mauer über der Seine. Sie explodieren. Ihre langen Arme rasen in schnellen Schwüngen, gestreckt, verwinkelt, dann verknäueln sie sich ganz eng, um den Kopf. Hüfte ruhig. Die Beine gestreckt, dann Knie stark gebeugt, marschieren auf der Stelle einen Rhythmus. Immer wieder drehen sich die Körper um ihre Achsen, vor, auch zurück, vor allem voran. Im Hintergrund vorbeiziehende, japanische Touristen bleiben an diesem Bild hängen. Schrecksekunden. Dann feuern sie fasziniert ihr elektronisches Equipment ab. Schnitt. Treaxy und Vavan stehen auf Pollern vor Notre Dame und tanzen wie mit Ritalin Aufgezogene. Sie sehen aus, als würden sie einen spastischen Anfall erleiden, nicht Scham, sondern AdrenalinOrgasmen zur Folge. Sie sehen unheimlich cool aus. Schnitt. Wir sehen den Eiffelturm. Treaxy und Vavan springen ins Bild, als wäre der Pariser Alltag ein Martial Arts Streifen. Manchmal scheint es, als schweben

sie in der Luft. ihre Bewegungen sind nicht synchron, aber sie ergänzen sich. Aus dem Off hämmert Techno. Eine Stimme kündet von The Plesasure of Music. Keine Frage, die beiden sind auf einer tollen Droge. Die letzte Einstellung des Films zeigt ein Standbild in Schwarz-Weiß: Zwei Lippenpaare, unter beiden Mundwinkeln kleine Metallperlen, nah aneinandergelegt. Wir. Ich denke, schon klar, das wird so ein Trip werden. Eigentlich sollte ich in Berlin sein und weiter an meinem Skandal-Roman schreiben. Stattdessen bin ich mit dem Frühflug in Paris-Orly gelandet und sitze jetzt in einem Toyota Yaris, den Milen, gekonnt rasant die Spuren wechselnd, über die Stadtautobahn treibt. Die Sonne scheint den Morgennebel weg. Hübsch gebogene Straßenleuchten hier. Der Berliner DJ Fetisch, ein Weiser der Nacht, der mich nach Paris begleitet, schimpft noch immer über den Berliner Flughafen Schönefeld. »Alter, nie wieder. Nie wieder.« Fast unbemerkt fahren wir unter eindem über die sechs Spuren gebauten Betonriegel hindurch. Dort oben ist der Club Metropolis. In dieser Vorstadtdisco, ein Großraum für 8.000 hungrige Seelen, haben Treaxy und Vavan ihre Bewegungen perfektioniert. Wir haben ihren Filmen auf YouTube gesehen. Wir wissen schon: Sie nennen ihren Tanz: »Tecktonik«. Treaxy und Vavan sind nicht alleine. Unzählige Jungen, auch Mädchen aus dem Großraum Paris, inzwischen auch aus ganz Frankreich, Belgien und der französischen Schweiz haben ihre Interpretation des Tecktonik-Tanzes auf Video festgehalten und auf YouTube oder dem französischen Äquivalent Daily Motion online gestellt. Sie tanzen in Kinderzimmern, auf dem Schulhof, auf Tecktonik-Raves. Bei der Pariser Technoparade wurde Tecktonik endgültig zur nicht mehr übersehbaren Jugendbewegung. Die französischen Medien berichteten intensiv. Tecktonik scheint ein Fieber zu sein, das bereits heftig geliebt, gehasst und von unterschiedlichen Parteien vermarktet wird. Mal sehen, wie es uns so geht. Im Club Metropolis findet alle zwei Wochen eine Party statt, von der alles ausgeht: Tecktonik-Killer. Laser stechen los. Grün, blau, rot, gelb schneiden sie durch das Dunkle. Schatten werden sichtbar.

Da ist eine Menge. Töne kommen ins Spiel: Mächtig schwillt die Carmina Burana zu ihrem Moment an. Die Menge reagiert. Sie wogt. Die Laser fächern über sie hinweg. Für einen Moment erkennbar: Nackte Arme über den Köpfen, Hände kreisen aus dem Gelenk. Dann flackern Stroboskope bis zur Flimmerfrequenz. Weißes Licht und das von den Benediktinern erdachte Lied, da hinein spricht eine tiefe Stimme: In the beginning was... Nur Fetzen sind verständlich. The brut and from the brut... Aufkreischen. I am the real ... and this is my house... and our house. Die Aufnahme der Mobiltelefon-Kamera stößt an ihre Grenzen. Antrax94 hat diese Sequenz, den Auftakt zur Tecktonik-Killer-Party, auf YouTube gestellt. Paris im November, dystopische Chaostage. Aus den Toyota-Boxen ballert Tecktonik-Musik. »Nosebleed Techno haben wir 1992 dazu gesagt,« meint Fetisch. Es sind harte Detroit-Klänge, die in Europa vor allem in Belgien weiter gepflegt wurden. Neu dazwischen gemischt sind softe House-Stimmen. Let´s be young, tranct eine verführerisch. Wir flgen schon zu lange den Anweisungen einer kalten Frauenstimme. »In 200 Meter rechts abbiegen, Biegen sie rechts ab.« Rechts ist keine Straße. Im Schneckentempo haben wir uns in der letzten Stunde durch Einbahnstraßen gekämpft. Als wieder die Rückseite des Centre Pompidou ins Bild kommt, ist klar: Wir bewegen uns im Kreis. Die einzigen, die in diesem Chaos noch richtig vorankommen, sind dick Eingepackte, die sich in fast tecktonischen Bewegungen auf Suzukis zwischen den Autos hindurchdrücken. Wir lassen den Toyota stehen und laufen. Sofort ist alles neu. Es dauert wenige Minuten und wir stehen in der »Boutique Tecktonik«, Rue des Archives. Dort arbeitet Romain, schmaler Junge aus der Vorstadt, leicht arabischer Abstammung. Sein Augenausdruck: Ein durchaus dehnbares Starren. Die Pupillen weit und dunkelfeucht wie ein schöner Waldsee. Klar, tanzt er Tecktonik. Jump Style ist sein Ding. Das heißt, bei ihm passiert viel aus den Beinen. Was für ein Tier bist du beim Tanzen? »Ein Pit Bull.« Klare Antwort. Schöne Fantasie. Der 20-jährige hat sich ein schwarzes Basecap auf seinen Kopf gesetzt. Aufdruck: ein Totenkopf und die Schrift Wild&Style.

Um den Hals trägt er ein »Dog Tag« aus dunkelrosa gefärbtem Metall mit dem Tecktonik-Zeichen das man hier im »Atelier Self Creation« kaufen kann. Für eine frische Bewegung gibt es eine bereits fast perfekte Merchandising-Collection. Interessanter: Romain erzählt, auf einer Tecktonik-Killer-Party trinke er nur Wasser. Keine Drogen. Er sei da keine Ausnahme, sondern die Regel. Für den Tecktonik-Tanz selbst gibt es nicht so viele Regeln. »Wir nennen ihn auch Milky Way. Oder Vertigo.« Hauptsache er sieht gut aus - der Tanz und der Mann. Wenn wir wissen wollen, wer Tecktonik erfunden hat, sagt Romain, müssen wir mit Cyril sprechen. Gar nicht so leicht, den zu erreichen. Der kluge Adrien Walter, ins Leben verliebter Frontmann von »Sex in Dallas«, gerade aus Berlin wieder nach Paris gezogen, hilft uns schliesslich. Merci! Cyril Blanc. Manipulator! Nationalist! Teufel! Eifrig diskutiert wird der Mann in zahlreichen Anti-Tecktonik-Internetforen. Seit er dieses Plakat entworfen hat, gegen das aus der jüdischen Gemeinde protestiert wurde, beschäftigen sich auch die französischen Medien mit Blanc - dem Mann mit dem verdächtigen Nachnamen. Auf dem Plakat, einer Werbung für eine Tecktonik-Sendung auf »Radio FG« ist ein kleiner Junge zu sehen. Der Junge ist blond und sehr wütend. Seine Augen sind böse schwarz geschminkt. Er erhebt aggressiv die Faust. Auf seinem Oberarm ist das Tecktonik-Logo tätowiert. In Frankreich weckt das Assoziationen. »Boche« wurde Cyril Blanc danach genannt, ein französischer Ausdruck für die deutschen Besatzer. Dann steht er da. Sonntagabend, Untergeschoss Fitnessclub »Vit´Halles«, gegenüber dem Centre Pompidou. Überraschung: Der Mann ist ein schöner Gott. »Bonjour«, sagen Cyril Blancs volle, helle Lippen. Seine Augen senden neugierige Blicke. Lächeln, strahlen. Wahnsinn, der Erfinder von Tecktonik sieht aus, wie von einer Fantasie erfunden: Hard-Body, 1,88 Meter, Bräune im Gesicht, perfekte Proportionen, breite Brust, haarlose Arme, fester Händedruck, Er trägt: schwarze Kappe, dunkelblaues V-Neck-Shirt, weiße Diesel-Unterhose. Sicher steht er da in mächtigen Y-3-Stiefeln und einer hundertfach abgesteppten Jeans, gehalten von einem Stoffgürtel mit dicker Dolce&Gabbana Schnalle. Ganz klar: All der sündigen Attraktio-


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nen wegen, die Cyril Blanc so ungeniert präsentiert - der dem sie ihre Silhouette betonende Röhrenjeans, knappe Höhepunkt ist ein breiter, kaum erträglich gebogener Tank-Tops und Kosmetik mitbringen. Auf den Toiletten Jeans-Reißverschluss, den er während der ersten Geerfinden sie sich neu. Cyril Blancs Hände unterstützen seisprächsminute ganz ernsthaft unbewusst, zwei mal sanft ne Ausführungen in wohl orchestrierten Schwüngen. berührt, wie ein in seinenTagträumen verlorener Junge -, Dazu Freudestrahlen. Er erzählt, dass er sieht, wie Junglaubt man sofort an die totale Unschuld dieses Mannes. gen mit ihren Freundinnen zur Tecktonik-Killer kommen Im Hintergrund sehen wir auf einem Podest Treaxy vor einer Spiegelwand stehen. An seinem Kopf, parallel zum spektakulären Wangenknochen, ist ein futuristisches Mikrofon angebracht. Der 18-jährige flüstert anfeuernde Fetzen. Zwei Dutzend Jungen und Mädchen, unterschiedlichste Typen, stehen hinter ihm auf dem Parkett und lernen Tecktonik. In der Ecke kauert ein Elternpaar. Ihr Sohn ist zwölf, hat eine Brille und leichten Babyspeck, vieleicht belastend. Es geht schon ganz gut, seine Arme fliegen. »Relax,« ruft Treaxy. Cyril Blanc, 30, setzt sich in en Schneidersitz vor eine Wand mit Gewichten und beginnt seine Geschichte zu erzählen. Ich frage ihn nach seinen Vorbildern. Kennt er Michael Alig, Erfinder der Club-Kids, die Ende der 80er New York im Sturm nahmen? »Nein.« Die konsequente Formung einer Marke führt auf eine andere Spur. Hat ihn Warhol beeinflusst? Cyril Blanc zuckt die Achseln. »Wer ist das?« Jetzt wird es richtig interessant, wir wollen alles wissen. Bitte erzählen, von Anfang an. Cyril Blanc, den man sich leicht als einen von seiner eigenen Hübschheit irritierten Jungen vorstellen kann, wächst in Gien auf, einer 15.000-Einwohner-Kleinstadt an der Loire, 150 Kilometer südlich von Paris. Als er 18 ist, zieht er in die Hauptstadt und stürzt sich, endlich, in das Nachtventil. Er erwähnt eine Ausbildung als Tänzer, Modern Jazz, aber das war wohl nur eine Episode. Er hört viel Happy-House-Musik in Pariser Schwulenclubs. Und harten Techno auf Trips nach Brüssel. Zwei prägende Erfahrungen, die er nutzen kann, als er mit 25 »Creative Director« im Club Metropolis wird und Tecktonik erfindet. »Es ist ein geografischer Begriff. Stell dir zwei tecktonische Platten vor, die aufeinander stoßen und miteinander verschmelzen.« Harter nordeuropäischer Techno und sanfter südeeuropäischer House. Und warum Killer? »Aggression als Fantasie er»Was für ein Tier bist Du beim Tanzen? füllt das Bedürfnis nach Schutz.« Seit fünf Jahren arbeitet er konsequent »Ein Pitbull« Klare Antwort. Schöne Fantasie.« an diesem Projekt. Ihm vorzuwerfen, die Tecktonik-Bewegung habe keine soziale Ziele, findet er beleidigend. Unsicher schiebt er an dem schwarzen Schweißband mit dem Logo an seinem Oberarm herum. Kleines Detail: Der Adler trägt und am Morgen mit einem Jungen im Arm gehen. »Wer einen rosa Stern auf Brusthöhe. Blanc kann die Ziele der zwischen 18 und 25 möchte heute nicht bisexuell sein?« Tecktonisten in ein Wort fassen: »Offenheit.« Um was es Themawechsel: Nicht wahr, dass es im Metropolis keinen ihm geht, erschliesst sich aus einer Erfahrung, von der er Ecstasy-Wahnsinn gibt? Doch, er nickt. Mit der gleichen spricht: »Auch wenn unsere Gesellschaft toleranter wird, Ernsthaftigkeit, mit der er seine Warhol-Unkenntnis vorin vielen Pariser Hetero-Clubs ist es immer noch ein Probgetragen hat, bekennt er, noch nie Drogen probiert zu lem, wenn sich zwei Jungen öffentlich küssen.« haben. Auch Alkohol sei seine Sache nicht. Stolz erzählt Tecktonik-Killer ist keine schwule Party, aber er, von seinem eigenen Energy-Drink ohne Taurin, den Blanc erzählt von Jungen, die in der allgemein verbreitesie im Metropolis verkaufen. Red Bull ist in Frankreich ten Uniform der Vorstadt zum Metropolis kommen:Weite verboten. »Tecktonik ist viel zu anstrengend für Ecstasy.« Hip-Hop-Klamotten. Dazu tragen sie einen RUcksack, in Der Mann ist so unglaublich, dass man ihm sofort alles

glauben möchte. Verdient er nicht eine Menge Geld mit der Tecktonik-Armee? Die drei bisher bei EMI erschienenen Sampler-CDs haben sich etwa 100.000 Mal verkauft. »In letzter Zeit hatten wir ein paar Probleme,« sagt Cyril Blanc und dreht mit der Fingerspitze sein altes Samsung Handy im Kreis. Seit dem Sommer, als Tecktonik so ein großes Thema wurde, versuchen viele sich ein Stück von dem Kuchen zu sichern. Er erzählt, dass es Alexandre, seit Jahren sein fester Freund, der Mitarbeiter der Investmentbank Merill Lynch ist, gelungen sei, Tecktonik weltweit als Marke schützen zu lassen. Bald möchten sie ein Haarprodukt und ein Videospiel auf den Markt bringen. Das große Geschäft werden vermutlich andere machen: Der Plattenmulti Universal hat Mondotek ins Rennen geschickt. Deren auf ein weiteres Publikum zugeschnittenen Hit »Alive« steigt in den französischen Charts. »Ich fühle,« sagt Cyril Blanc, »dass wir Tecktonik jetzt beschützen müssen.« Treaxy. Die Arme erhoben, klatscht er Applaus. Die Tanzstunde ist vorbei. Seine glatten Achseln glitzern wie ein frisches Schneefeld. Treaxy, wer bist du? »Der Beste. Keiner kann zurzeit besser Tecktonik tanzen als ich.« Es klingt nicht so, wie es klingen könnte. Sondern ehrlich stolz. »Komm, triff meine Freunde,« sagt er. »Das ist Nemoo«, ein 18-jähriger Schlacks mit zu langen Armen und schmalen Wolkenkratzer-Beinen, der Atem raubend bewegen kann. »Und das ist Fredau«, ein anmutiger 17Jähriger, dessen Eltern aus dem Kongo eingewandert sind. Er sagt: »Meine Spezialität ist Vouging.« Kleiner Einschub: Auch Cyril Blanc, der Warhol nicht kennt, schätzt verehrt, liebt Madonna. Weil? »Sie Vouging unterstützt hat.« Der Name kommt von der Pose, in der die Models auf dem gleichnamigen Magazin verharrten. Es ist ein Aspekt eines ähnlich exaltierten, aber sanfter als Tecktonik fliessenden Tanzes. Die Ursprünge sind ähnliche. Schwarz und schwul, schlimmer kann es im Amerika der 80erJahre, auch in New York, nicht kommen. Chancenlos auf einen Oscar, organisierten sich in der Bronx und in Harlem die jungen Männer, die Transen oder anders Perversen in der Ballroom-Szene einen Abend lang ihren Auftritt als Superstar. Es ging um das beste Outfit, die richtige Pose und um das wichtigste: Respekt. In Anlehnung an Modeindustrie schlossen sie sich zu Clans, sogenannten »Houses« zusammen, zum Beispiel das »House of Ninja«. Oder das »House of Mizrahi«. Und was tat Madonna? Sie pflückte sich die besten Vogueing-Charaktere für ihr Video (Regie: David Fincher) heraus und sag auf ihrem 1990er Album »I´m breathless«: It makes no difference if your´re black or white / If you´re boy or a girl / If the music´s pumping it will give you new life / You´re a superstar, yes, that´s what you are, you know it. / Treaxy, wovon träumst du? »Ich möchte um die Welt reisen und Tecktonik tanzen. Ich möchte, dass man mich überall kennt.« Es gibt Einladungen aus Algerien und Japan. Treaxys Telefon in seiner Hand leuchtet auf. Im Display steht: Vavan. Wir. Tanzen bald schon Tecktonik. Henning Kober ist freier Journalist in Berlin und schreibt für »Taz« und »Vanity Fair«.


Der Mann, der Tecktonik erfand: Cyril Blanc ist Kreativdirektor des Club Metropolis


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FINANZKRISE IM MUSEUM

HERFORDER TRHILLS

WEIL SPONSOREN SPAREN MÜSSEN, SIND WELTWEIT AUSSTELLUNGEN IN

Dass man beim Namen Herford nicht mehr nur an Bier denkt, ist auch sein Verdienst: Jan Hoet hat in wenigen Jahren aus dem neuen Museum MARTa eine Institution für Kunst gemacht. Sieben Jahre hat er als Gründungsdirektor das Museum geleitet, und dass diese Jahre auch schwierig waren, hört und sieht man auf seinem Abschiedsfest: Jan Hoet spricht Klartext. Er lobt in seiner Rede zwar den Mut der ostwestfälischen Politik und Wirtschaft, für 47 Millionen Euro diesen Bau des Stararchitekten Frank Gehry zu verwirklichen, in einer Stadt mit nur 65 000 Einwohnern. Dennoch verschwieg der progessive Ausstellungsmacher nicht die Schwierigkeiten. Er sei isoliert worden. Und in sieben Jahren wurden ihm sieben wechselnde Geschäftsführer zur Seite gestellt, sogenannte Profis, die auf das Geld aufpassen sollten - »unglaublich, unglaublich!«. Der Belgier wusste von Anfang an, wie er das Akronym MARTa lesen wollte: Von »M« wie Möbel, »ART« wie Art und »a« wie Architektur war ihm die moderne und zeitgenössische Kunst am wichtigsten. Da aber die Institution zu einem beträchtlichen Teil von der heimischen Möbel- und Textilindustrie gesponsert wurde, stand das Programm immer wieder zur Diskussion. Als Hoet sich für eine weitere Amtzeit zur Verfügung stellte, wurde er nicht wiedergewählt. Sein Nachfolger wird nun zum 1. März Roland Nachtigäller. Hoet bleibt als freier Kurator dem Haus erhalten. Er wollte eben kein »Schaufenster für die Möbelindustrie«, sagte der ehemalige DocumentaLeiter Hoet trotzig. »MARTa war immer ein Haus der Künstler.« Und die sind zu diesem Fest - gemeinsam mit anderne Unterstützern zahlreich erschienen. Als FORMAT später zum Gruppenfoto ruft, laufen immer mehr Leute vor die Kamera, und wie von selbst gruppieren sie sich um den Noch-Direktor. Nach ein paar Aufnahmen ruft Jahn Hoet »Und jetzt bitte alle die Kontrolle verlieren!«; »Loss of Control« heißt seine letzte Ausstellung. Ein Titel, der programmatisch gemeint ist.

GEFAHR - deutschland ist ein sonderfall. DER museum kunst palast in düsseldorf hat die ausstellung »DRESSED - art en vogue«, die die beziehungen zwischen zeitgenössischer kunst und mode sichtbar machen sollte, abgesagt, weil das museum für das ambitionierte ausstellungsprojekt keine zusätzlichen finanziellen förderer finden konnte.

+++ In der Albertina in Wien verzichtet man auf die Jörg Immendorff-Ausstellung. In London scheiterte um Haaresbreite die Ausstellung zum 500. Geburtstag von Andrea Palladio. Der Sturm, der die Finanzmärkte durcheinander wirbelt, hat die Museumswelt erreicht. Dabei kommt Deutschland noch glimpflich davon, weil hier die meisten Kulturinstitute von der öffentlichen Hand alimentiert werden. Sie zahlen rund acht Milliarden Euro pro Jahr, während von privaten oder institutionellen Geldgebern lediglich 525 Millionen Euro dazukommen. Das sind zwar nur sechs Prozent, aber es ist oft der entscheidende Betrag, der das Besondere erlaubt. Das musste das Städel in Frankfurt am Main erfahren. Bislang bekam das Haus einen fünfstelligen Betrag von Lehman Brothers. Damit ist es vorbei. Aber Frankfurt hat dieses Schicksal nicht allein zu ertragen. 2007 sponserte die Investmentbank mit rund 39 Millionen Dollar auch das MoMA, das Guggenheim und den Louvre, die Tate Modern, das Victoria & Albert Museum und die Roy-

al Academy in London sowie Kunstmuseen in Chicago, Dallas, Miami, Los Angeles, San Francisco, Philadelphia und Tokio. Während in verschiedenen amerikanischen Museen bereits Gehälter gekürzt werden, bleibt das deutsche Museumspersonal, weil Beamter oder öffentlich Angestellter, wohl vorerst von den Einschnitten verschont. Gespart wird jedoch bei Neueinstellungen und freien Mitarbeitern. Denn die Fundraising Manager, die sich so manches Haus leistet, um zusätzliche Gelder aufzutreiben, wissen wenig Gutes zu berichten. Die Sponsoren erfüllen in aller Regel zwar die Verpflichtungen, die sie eingegangen sind, zeigen aber wenig Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen. Davon kann die Ruhr 2010 GmbH, die die Kulturhauptstadt Essen (samt Ruhrgebiet) managt, ein Lied singen. Zwar stehen E-ON und RWE, die als Energieversorger weniger konjunkturanfällig sind, zu ihren Zusagen, zwei und 2,5 Millionen Euro zu dem 63,5 Millionen-Etat beizutragen. Aber da davon nur 52 Millionen von öffentlichen Geldgebern übernommen werden, fehlen

noch gut 7 Millionen. Und da die erhofften Spenden ausblieben, hat die GmbH nun auf Gemeinnützigkeit - und damit das Recht, steuermindernde Spendenbescheinigungen ausstellen zu können - verzichtet, um für Sponsoren, die nun deutlicher hervorgehoben werden dürfen, attraktiver zu sein. Trotz der schlechten Nachrichten aus der KulturGeld-Welt mangelt es nicht an Leuten, die der miesen Lage noch Positives abzugewinnen mögen. »So paradox es klingt, könnte sich das Mäzenatentum trotz der aktuellen Krise gut entwicklen«, bemerkte der kurzzeitige Kultur-Staatsminister Julian Nida-Rümelin gegenüber dem Internetportal »artnet«, denn gerade in einer Wirtschaftskrise müssten die Unternehmen ihr Image pflegen. Fest steht jedenfalls, dass es imageschädlich wäre, die unternehmenseigenen Sammlungen jetzt auf den Markt zu werfen. Zum einen, weil dann aus dem Pathos des kulturbeflissenen Sammlers ein geldgieriger Koof-mich würde. Zum anderen, weil die Erlöse angesichts des zögerlichen Kunstmarktes eher bescheiden ausfielen. +++

DES IRANS NEUE REIZE Ist iranische Kunst das nächste neue Ding? Jedenfalls trumpften die Galerien mit iranischen Künstlern bei der Kunstmesse Paris Art-AbuDhabi im November auf. Und der indische Sammler Anupam Poddar hat begonnen, neben chinesischer und indischer auch iranische Kunst zu kaufen. Vor gerade mal zwei Jahren bekam man Arbeiten von Farhad Moshiri für 25 000 Dollar – heute, da Sammler wie der Brite Frank Cohen oder der Mexikaner José Garrez ein Auge auf ihn geworfen haben, muss man mindestens 200 000 hinblättern. Andere angesagte Newcomer sind Parviz Tanavoli und Hossein Zenderoudis. »Der Markt wird vor allem aus der Diaspora gespeist. Was außer Kunst bleibt uns da?« sagt der Exil-Iraner Farbod Dowlatshadi, Mitinhaber der Galerie B21 in Dubai.


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ARME,BÖSE SCHAFFNER ... Wer ist Schwarzfahrer ? Bei ihren Kontrollen stehen Zugbegleiter der Bahn massiv unter Druck. Das bekommen die Reisenden zunehmend zu spüren.

+++ Krach zwischen Bahnreisenden und Zugbegleitern gibt es immer wieder. In Regionalzügen der Deutschen Bahn passiert das in letzter Zeit allerdings besonders häufig. Und meist geht es darum, ob ein Fahrgast ohne Fahrkarte tatsächlich zum Schwarzfahrer wird. Eine Frage, die nicht ganz einfach zu beantworten ist. Denn seit ein bis zwei Jahren verkauft die Deutsche Bahn in der Mehrzahl ihrer Regionalzüge keine Tickets mehr. Wer mitfahren will, muss sich seine Fahrkarte also vor dem Einsteigen besorgen: am Fahrkartenschalter, oder, wenn dieser geschlossen oder eingespart wurde, am Automaten. Damit aber haben ältere, eilige und gelegentliche Bahnfahrer meist Probleme. Oft ist der Automat schwer zu finden, defekt, oder er wird von anderen Kartenkäufern blockiert. Manchmal ist die Reiseverbindung auch so kompliziert, dass das Gerät selbst empfiehlt: »Karte bitte im DB-Reisezentrum kaufen«. Fährt dann der Zug ein, konnten Fahrgäste früher hoffen, beim Zugbegleiter ihre Fahrkarte lösen zu können, und sei es gegen Aufpreis. Inzwischen erleben sie nicht selten das Gegenteil: Schaffner, die das erhöhte Beförderungsgeld von 40 Euro einziehen, erklärende Gespräche verweigern, stattdessen Polizei oder Bahnpolizei rufen, ja, sich mitunter aufgeregt – »Nichts geht mehr, Sie fahren schwarz!« – vor den im Zug eventuell noch vorhandenen Kartenautomaten stellen. Auch junge Fahrgäste gerieten nun ins Visier der Zugbegleiter. Kurz vor Weihnachten wollte eine Kontrolleurin auf der Strecke Stuttgart–Aalen ein vierjähriges Kleinkind der vorsätzlichen Beförderungserschleichung überführen. Die Frau alarmierte sogar zwei Polizisten, die beflissen drohten, das Kleine samt mitreisenden Geschwistern und Eltern mitzunehmen. Daran, dass Kinder unter sechs Jahren kostenlos Bahn fahren dürfen, erinnerte sich die Schaffnerin erst später. Ein paar Wochen zuvor hatten Zugbegleiter in Ostdeutschland zwei 12und 13-jährige Mädchen ohne gültige

Fahrkarten aus ihren Zügen gewiesen. Die eine, die vom Musikunterricht kam und ihre Fahrkarte vergessen hatte, musste mit ihrem Cello fünf Kilometer bis nach Hause laufen. Der anderen verwehrte der Schaffner selbst einen kurzen Anruf bei der Mutter von seinem Diensthandy, bevor er das Mädchen 42 Kilometer vor ihrem Heimatbahnhof aussteigen ließ. Ganz klar, die Kontrolleure handelten nicht nur ohne Augenmaß, sie handelten auch gegen die Dienstanweisung, nach der Minderjährige ebenso wie Schwangere, Kranke und Alkoholisierte nicht aus Zügen verwiesen werden dürfen. Aber so falsch sie auch handelten, sagen Bahnmitarbeiter hinter vorgehaltener Hand, sie handelten höchstwahrscheinlich unter starkem Druck. Die sich häufenden Berichte über Konflikte zwischen Fahrgästen und Zugbegleitern und über unangemessenes Verhalten entnervter Kontrolleure sind nach Ansicht von Bahnkennern im System angelegt. »Was sich in Zügen der Deutschen Bahn abspielt, ist nicht die Verkettung unglücklicher Umstände, sondern das Ergebnis eines Verfolgungswahns, den die Führung der Deutschen Bahn ihren Zugbegleitern verordnet hat«, formuliert Rainer Engel, Rechtsexperte beim Fahrgastverband Pro Bahn. Denn nicht nur die Fahrgäste, auch die Schaffner selber stecken in einem Dilemma: Zwar sollen sie kundenfreundlich sein, aber Fahrkarten dürfen sie nicht mehr verkaufen. Bei einem Zugbegleiter aus Niedersachsen, der versuchte, einen Mittelweg zu finden, lief es denn auch schief: Er schickte eine dreifache Mutter, die ihr Ticket nicht entwertet hatte, bei einem Zwischenhalt schnell zum Automaten auf den Bahnsteig. Nur, der war kaputt, und dummerweise fuhr der Lokführer weiter, bevor die Frau vom Nachbargleis wiederkam – zum Entsetzen ihrer neun, elf und zwölf Jahre alten Kinder, die noch an Bord waren. Und zum Schrecken des freundlichen Zugbegleiters, der laut Vorschrift eigentlich von Frau und Kindern gleich viermal 40 Euro hätte

kassieren müssen. »Im Regionalverkehr herrschen Zustände weitab von Kundenorientierung«, sagt der Pro-Bahn-Bundesvorsitzende Karl-Peter Naumann. »Und es fehlen für die Bahnkunden durchschaubare einheitliche Regeln.« Ob der Automat auf dem Bahnsteig wirklich defekt oder von Menschen umlagert war, und der Betroffene deswegen kein Ticket ziehen konnte, wird erst dann nachgeprüft, wenn er sich schriftlich bei der Inkassostelle der Deutschen Bahn beschwert. Ursprünglich wollte die Führung der Deutschen Bahn mit der Pflicht, die Karte vor dem Einsteigen zu kaufen, etwas gegen die vielen »Graufahrer« tun: Fahrgäste, die absichtlich ohne Ticket einsteigen und sich freuen, wenn kein Schaffner kommt. Kommt einer, kaufen sie eben ein Karte. Sofern sie nicht zufälligerweise auf die Toilette müssen oder sich im anderen Stockwerk des Doppelstockwaggons am Zugbegleiter vorbeimogeln – und somit zu vorsätzlichen Schwarzfahrern werden. Zwei bis drei Prozent aller, die in Deutschland in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind, fahren schwarz; 250 Millionen Euro beträgt der jährliche Einnahmeausfall laut Verband deutscher Verkehrsunternehmen im Jahr – mit steigender Tendenz. Um Kosten zu reduzieren, baute das Bahnmanagement in den Regionalzügen während der vergangenen Jahre 3.800 Zugbegleiter ab. Dafür gibt es zwar mobile, aus mehreren Leuten bestehende »Prüftrupps«, die unterwegs einsteigen, um die Fahrkarten zu kontrollieren, doch die können nur in einem kleinen Teil der Züge präsent sein. Gute Zeiten für Schwarzfahrer also. Zumal »das Unrechtsbewusstsein beim Schwarzfahren sinkt«, sagt Jürgen Knörzer von der Gewerkschaft Transnet und Gesamtbetriebsrat für die DB-RegioZugbegleiter. Wer ohne Ticket erwischt werde, der finde obendrein häufig noch die Unterstützung anderer Fahrgäste. »Schwarzfahren«, klagt Knörzer, »das ist für einige eher ein Hobby.« Besonders gern üben sich Ju-

gendliche darin, Kontrollen zu entgehen. Denn selbst wenn sie im Monat ein- oder zweimal erwischt werden, kommt das oft immer noch günstiger als die Monatskarte. Falls es überhaupt etwas kostet; Gerichte urteilten wiederholt, dass reisende Unter-18-Jährige nicht zahlen müssen, weil sie nur beschränkt geschäftsfähig sind. Und so macht es einigen auch Spaß, die in ihren Augen machtlosen Zugbegleiter zu provozieren und als »Nazis« oder »Mehdorn-Schlampen« zu beschimpfen. »Vor allem am Wochenende und abends geht das so weit, dass einige Kollegen keine Kontrollen mehr machen.« Genau das kann die Zugbegleiter ihren Job kosten. Denn die überraschend auftauchenden mobilen Prüftrupps der Deutschen Bahn sollen auch ihnen auf die Finger schauen. Zusätzlich sind in den Zügen »Mystery Customers« unterwegs: Als Fahrgäste getarnt sollen sie im Auftrag der Bahn testen, ob sich ein Kontrolleur beispielsweise gegenüber einem Schwarzfahrer auch wirklich vorschriftsgemäß verhält. Anderenfalls drohen Schwierigkeiten bis hin zur Abmahnung und Entlassung. Bahninsider berichten, die Angst vor dem »Spionagesystem« einerseits und der Druck durch renitente Bahnfahrer andererseits seien so groß, dass manche im Zweifel und aus Hilflosigkeit »härter durchgriffen« und es auch vorkommen könne, dass Minderjährige einfach an die Luft gesetzt würden. Gewerkschafter Knörzer plädiert dafür, auf regionalen Strecken wieder mehr Zugbegleiter einzusetzen, und zwar in Zweierteams, statt die verbleibenden Kontrolleure in diesem Nervenkrieg allein zu lassen. Für Karl-Peter Naumann von Pro Bahn ist das allerdings nur der erste Schritt in die richtige Richtung: »Nun muss es für Fahrgäste, die vorher nicht an ihre Karte gekommen sind, wieder einen Weg geben, im Zug ihr Ticket zu erwerben, ohne gleich als Schwarzfahrer dazustehen. Gerne gegen Aufpreis – oder, wenn die Bahnführung das lieber so nennen möchte: gegen einen Bedienzuschlag.« +++


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FOR R MAT + Format - Zeitung für Kultur Dominikanerstraße 47 40545 Düsseldorf Öffnungszeiten Redaktion Mo-Do 09-20 Fr 09-16 So 09-18 +49 211215509 info@format-zeitung.de www.format-zeitung.de


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