Margarete Petersen
Narren Spr端nge Eine Reise durch das Tarot
Über die Autorin Margarete Petersen wurde in Glücksburg, Schleswig-Holstein, geboren. Sie absolvierte Kunsthochschulen in Kiel, München und Berlin. Als freie Künstlerin arbeitete sie mit unterschiedlichen Medien, mit Foto- und Dia-Serien, mit Foto-Trickfilmen. Pinsel und Farbe sowie die Airbrush-Technik wurden jedoch zu den hauptsächlichen Mitteln ihrer Kunst. Nach Stationen im Tessin und in Oberbayern (wo die alte Dorfschule von Michael Ende ihr Domizil war) lebt sie seit vielen Jahren wieder in Berlin.
Über dieses Buch Ein Lebens-Werk im Wortsinne sind Margarete Petersens Tarot-Karten. 22 Jahre hat sie an ihrer Neuschöpfung des altbekannten Tarot gearbeitet. 22 Jahre hat sie Tarot gelebt – »gewebt«, wie die Künstlerin sagen würde – Tarot für sich er–lebt, um die Archetypen persönlich zu erfahren und neu zu schaffen. Weitere neun Jahre sind vergangen, und zum ersten Mal hat Margarete Petersen ein großes Buch zu und mit ihren Tarot-Bildern gestaltet.
MARGARETE PETERSEN
Eine Reise durch das Tarot
Mit einem Vorwort von Luisa Francia und einem Nachwort von Rachel Pollack
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Originalausgabe © 2010 by Königsfurt-Urania Verlag GmbH D-24796 Krummwisch www.koenigsfurt-urania.com
Umschlaggestaltung: Margarete Petersen unter Verwendung des Narren aus dem Margarete Petersen Tarot Illustrationen: Margarete Petersen Satz und Design: Antje Betken Redaktion: Volker von Beesten Druck und Bindung: Finidr s.r.o. Printed in EU ISBN 978-3-86826-529-3
Inhalt Vorwort ............................................................................................................. 8 Einleitung ....................................................................................................... 11 Urbilder ............................................................................................................15 Die großen Arkanen Struktur der Karten ................................................................................... 19 Wasser, Feuer, Erde, Luft, Raum ................................................................ 28 Die Persönlichkeitskarten ....................................................................... 99 Die kleinen Arkanen: Wasser, Feuer, Erde, Luft .............................. 139 Im alltäglichen Rhythmus die Spiegel polieren ..................................... 139 Wasser, Feuer, Erde, Luft, Raum .............................................................. 142 Eins, Zwei, Drei… ..................................................................................... 144 Im Dreivierteltakt durch die Elemente ................................................... 147 Am Spinnrad der unendlichen Geschichten ..................................... 231 Vom Umgang mit den Tarotkarten oder eine Reise durch das Tarot Identifikationen mit Urbildern................................................................. 233 Stell dir vor.................................................................................................. 234 Fragen ......................................................................................................... 235 Kreative Räume öffnen – Tarot mit Gruppen ....................................... 237 Nachwort ...................................................................................................... 239
Die 78 Karten 0 – Der Narr ............................. 32 I – Magie ..................................... 35 II – Die Hohepriesterin ......... 38 III – Die Herrscherin.............. 41 IV – Der Herrscher ............... 44 V – Der Hierophant ............... 47 VI – Die Liebenden .................. 50 VII – Wagenlenkerin .............. 53 VIII – Gerechtigkeit .............. 56 IX – Die Alte ............................. 59 X – Rad des Lebens .................. 62 XI – Kraft .................................. 65 XII – Prüfung ............................ 68 XIII – Tod ................................... 71 XIV – Grenzgängerin ............ 74 XV – Der Teufel ...................... 77 XVI – Der Turm ........................ 80 XVII – Der Stern ...................... 83 XVIII – Der Mond .................... 86 XIX – Die Sonne ....................... 89 XX – Erneuerung ..................... 92 XXI – Die Welt ......................... 95 Mutter der Kelche ...............106 Vater der Kelche .................. 108 Tochter der Kelche ............. 110 Sohn der Kelche ................... 112 Mutter der Flammen .......... 114 Vater der Flammen ............... 116 Tochter der Flammen ......... 118 Sohn der Flammen ................ 120 Mutter der Münzen ............. 122 Vater der Münzen ................. 124 Tochter der Münzen ........... 126 Sohn der Münzen .................. 128 Mutter der Federn .............. 130 Vater der Federn .................. 132 Tochter der Federn ............. 134 Sohn der Federn .................... 136
Ass der Kelche ....................... 150 Zwei der Kelche .................... 152 Drei der Kelche .................... 154 Vier der Kelche ..................... 156 Fünf der Kelche .................... 158 Sechs der Kelche .................. 160 Sieben der Kelche ................. 162 Acht der Kelche ................... 164 Neun der Kelche ................... 166 Zehn der Kelche ................... 168 Ass der Flammen .................. 170 Zwei der Flammen ................ 172 Drei der Flammen ................ 174 Vier der Flammen ................ 176 Fünf der Flammen ................ 178 Sechs der Flammen .............. 180 Sieben der Flammen ............ 182 Acht der Flammen ............... 184 Neun der Flammen ............... 186 Zehn der Flammen ............... 188 Ass der Münzen ..................... 190 Zwei der Münzen ................... 192 Drei der Münzen ................... 194 Vier der Münzen ................... 196 Fünf der Münzen ................... 198 Sechs der Münzen ................. 200 Sieben der Münzen ............... 202 Acht der Münzen .................. 204 Neun der Münzen .................. 206 Zehn der Münzen .................. 208 Ass der Federn ....................... 210 Zwei der Federn .................... 212 Drei der Federn ..................... 214 Vier der Federn ..................... 216 Fünf der Federn .................... 218 Sechs der Federn ................... 220 Sieben der Federn ................. 222 Acht der Federn ................... 224 Neun der Federn ................... 226 Zehn der Federn .................... 228
Vorwort Die wenigsten Menschen sagen von sich, dass sie gern Ratschläge hören oder befolgen. Doch wenn es ums Kartenlegen geht, werden oft die fragwürdigsten RatSchläge angenommen, die unwahrscheinlichsten Prognosen geglaubt. Eher Rad schlagend bewegt sich Margarete Petersen durch den Weg der Karten und ihre Karten sind eher eine große Landkarte, auf der wundervolle, beglückende, bestürzende, poetische Orte verzeichnet sind. Die Texte öffnen spielerisch, assoziativ, bildmächtig Räume, in denen Energien am Wirken und Weben sind. Obwohl sie sich von allen Seiten an diese Energien, an diese Räume annähert, sie abschmeckt, beschreibt, manchmal mit plötzlichen Ausbrüchen von Heiterkeit oder Kaskaden von Assoziationen, gibt sie auch ganz erdig Zusammenhänge mit dem Alltagsleben durch, die es möglich machen, das Poetische mit dem Banalen des Lebens zu verbinden. Wer einfach eine Anweisung zum Handeln sucht, findet hier Schicht um Schicht die Dimension und Tiefe der Situation, um die es gerade geht. Margarete Petersen entzieht sich dem üblichen Frage- und Antwortspiel, aber das war ja schon immer das Langweiligste am Tarot. Soll ich diese Schiffsreise machen? Hmmm... ich sehe da Unheil kommen, sagt die Kartenschlägerin. Doch wenn mir die wilden Wellen beschrieben werden, kann ich selbst entscheiden, ob ich die Herausforderung annehme, weil ich sie aufregend und anregend finde, anstatt mit einem umwölkten Gefühl der Gefahr in die Situation einzusteigen. Die größte Schwäche der meisten Tarotbücher ist es, dass sie Wertungen und Warnungen aussprechen. Die schlimmsten von ihnen formulieren Flüche, die schwer abzuschütteln sind. Dieses Buch spielt mit allen Bildern und Kräften und die Verantwortung bleibt bei den Lesenden, ja bei den Lebenden. Denn lebendige Kraft ist nicht einfach glatte, konturlose, konfliktlose immerwährende Harmonie. Konflikte sind nötig, um das Unerwünschte zu entdecken. Die Entdeckung und genaue Deutung des Unerwünschten ist nötig, um es nicht mit Energie zu nähren.
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Es gibt bei den klügsten Personen diese Hingabe ans Schicksal – was mir ausgeteilt wird, muss ich fressen. Deshalb werden die Karten auch fast immer verdeckt ausgegeben und gezogen. Wir wollen überrascht werden und ärgern uns, wenn die Überraschung keine angenehme ist. Denn auch bei der Deutung von Tarotkarten gibt es eingeschliffene Vorurteile, die sich nur schwer entkräften lassen. Die Schwertkarten zum Beispiel. O je, Schwerter! Dieser Stress fällt bei Margarete Petersens Tarotkarten weg, weil die Schwerter Federn sind und damit die Luft einfach besser beschrieben ist. Luft ist das erste, was uns fehlt, wenn es nicht da ist. Ohne Luft kein Leben. Wer Schwertkarten braucht, um seine Beziehungsdramen zu illustrieren, wird bei diesen Karten und ihren poetischen Bildern nicht fündig, denn beschrieben ist der Raum darunter, dahinter. Beschrieben ist bei allen Karten, ob große Arkana-Karten oder Elemente-Karten, die Energie, die eine Situation entstehen lässt. Nun können wir selbst entscheiden, ob uns diese Energie den Aufwand wert ist, ob wir uns dieser Energie wirklich in all dieser Vielfalt und Wirksamkeit aussetzen, oder doch lieber entziehen, ob wir daran wachsen oder sie lieber faul auf dem Sofa liegend von weitem beobachten wollen. Alles ist möglich. Wenn wir aufhören zu werten, ist die Sofa-Möglichkeit auch nicht schlecht: Karte ziehen, Text lesen, träumen. Margarete Petersen lässt uns die Wahl, mit ihr grübelnd, lachend, wirbelnd, Rad schlagend durch die Landkarte des Lebens zu tanzen oder einfach genau zu beobachten, ohne zu handeln und daraus so langsam den Sinn zu erkennen, den unser Leben da vor unseren Augen in uns entwickelt. Wer in die Landschaft einer Karte, eines Seinszustandes einsteigen, sich vertiefen und meditativ darin verweilen mag, wird Margaretes Karten und die zauberhaften Texte besonders lieben. Für alle, die eine schnelle Deutung suchen, gibt sie dennoch aus ihrem über dreißigjährigen Umgang mit dem Tarot ganz handfeste und erdige Beschreibungen durch. Doch das beglückende dieser Texte ist die Freiheit, zu der sie uns mitnehmen. Auch die langweilige Routine des Arbeitsalltags, enthält eben auch die Dimension des Wunderbaren, die Ebenen der vielfältigen Energien, die entdeckt werden wollen. Ein fester Körper ist bei näherem Hinsehen eine Komposition aus Bewegung. Die genaue Wahrnehmung aller Energien, die eine Situation formen und ihrer Umsetzung in Farbe, Form, Worte ist Margarete Petersens größte Kunst. Luisa Francia 9
Einleitung Bin ich eine Geschichte? Nein, nicht nur eine, denn es gibt mehr als nur eine. Durch das Weitererzählen über Jahrtausende vermischen sie sich und es werden so viele Geschichten, wie es Menschen gibt, die leben und gelebt haben. Geschichten, die zusammengefaltet, übereinandergelagert, verpackt, verknotet und geschichtet in unserem Körperarchiv lagern und darauf warten, dass jemand erscheint. Jemand, dessen Schicksal es sein möge, diese Geschichte zu erzählen. Meine Geschichte beginnt mit der mittleren der drei Hirnhäute. Die mittlere ähnelt einem Spinnennetz und wird deshalb Arachnoidea genannt. Die Ururgroßmutter von Arachnoidea war eine berühmte Weberin und Spinnerin namens Arachne aus der griechischen Mythologie. Wenn sie die Wolle zupfte, die Fäden spannte, kamen selbst die Nymphen, um ihr bei der Arbeit zuzusehen. Keine verstand es, so kunstvoll die Farben und Fäden in prachtvolle Bilderteppiche zu verwandeln wie sie. Und keine geringere als die Göttin Athene war es, die sie in die Kunst des Webens und Spinnens einweihte. Es kam eine Zeit, da Arachne die Göttin zu einem Wettkampf herausforderte. Athene erschien als alte Frau verkleidet und sprach: »Begnüge dich damit, unter den Sterblichen die größte Spinnerin zu heißen, aber weiche der Göttin und bitte sie, du Unbesonnene, inständig um Vergebung. Vergebung wird sie dir gewähren, wenn du zu ihr flehst.« »Lass diese Weisheiten doch deine Töchter hören«, erwiderte Arachne mit finsterem Blick und bestand auf dem Wettkampf. (Ovid: Metamorphosen, Albatros) Beide gingen an ihre Webstühle und der Wettkampf begann. Die Fäden wurden gespannt und das Weberschiffchen flog hin und her. Athene webte die Welt der Götter, die in ihrem Glanz und ihrer Vollendung die Unvollkommenheit der Menschenwelt sichtbar werden ließ. Arachne hingegen webte die Geschichte der Götterwelt mit ihren allzu menschlichen Eigenschaften. Ihr Teppich bildete zahlreiche Götter ab, die als Tier verkleidet schöne Menschenfrauen verführten, entführten und schwängerten. 11
Beide Teppiche wurden eingehend geprüft. Arachnes Werk mit den Göttern, der Flora und Fauna war so vollendet, dass es kaum von der wirkenden Natur zu unterscheiden war, und es übertraf Athenes bei weitem. Diese zerriss in rasender Wut Arachnes Teppich in tausend Fetzen. Verzweifelt versuchte Arachne, sich an einem Faden ihres zerstörten Teppichs zu erhängen. Aus Mitleid verwandelte Athene Arachne in eine Spinne und seither webt sie Geschichten, zieht Fäden, knüpft Netze und wird als Urmutter der Schicksalsfrauen wie der Moiren, Parzen oder Nornen gesehen. Man erzählt, dass eine den Faden spinnt, eine das Lebensmuster webt und eine, wenn es an der Zeit ist, den Faden abschneidet. Möglicherweise hatten die drei Schicksalsfrauen auch die Hand im Spiel, als mir Arachne in einer entscheidenden, ja ich möchte sagen schicksalhaften Frage in einer Nacht auf einer schneeweiß gekalkten Wand, die zu einem kleinen Häuschen im fränkischen Wald gehörte, erschien. Doch zuerst spult sich der Faden zu den Rauhnächten im Jahre 1978 / 1979 ab. Ich war mit zwei meiner drei Schwestern auf der dänischen Insel Mön. Wir wollten dort in einem kleinen Ferienhaus an der Ostsee die Tage zwischen den Zeiten gemeinsam verbringen. Schneeflocken taumelten auf die Erde, Wellen zerstoben an dem Deich und die Ostsee atmete keuchend ein und aus. Es dämmerte und im Laufe des Abends entfesselte der Nordostwind aus tanzenden Schneeflocken einen ekstatischen Schneesturm. Die Ostsee brüllte und der Wind rüttelte an Fenster und Türen. Wir hatten uns ein Feuer im Kamin gemacht und genossen es, warm und geschützt dem Toben der Naturkräfte zu lauschen. Eine meiner Schwestern hatte Tarotkarten dabei und es war genau die Stimmung, uns die Karten, die ich bis dahin nur flüchtig kannte, zu legen. Ich zog die Fünf der Münzen aus dem Smith / Waite Deck. Das Bild zeigt zwei Figuren, die durch ein Schneegestöber gehen. Eine scheint blind zu sein, die andere ist lahm. Hinter ihnen leuchtet ein farbiges Kirchenfenster, was bedeuten soll, dass zwei Personen außerhalb einer schützenden Institution versuchen, einen Weg zu finden, der nicht direkt sichtbar oder vorgegeben ist. Wenn sie sich mit ihren psychischen Symptomen (blind und lahm) annehmen und kooperieren, könnten sich ihre Mängel und Nöte in Reichtum und Erkenntnis verwandeln. Am nächsten Morgen war unser Haus von Schneewehen umgeben. Wir hatten weder Strom noch Essensvorräte und waren vollständig von der Außenwelt abgeschnitten. Meine Schwester und ich beschlossen, zu Fuß zu der nächst größeren 12
Ortschaft zu gehen. Es war ein anstrengender Weg. Unsere Körper verwischten sich im Wirbel tausender Flocken und wenn ich nach oben schaute, war mir als hätte sich die Welt auf einen schwebenden Flockenteppich reduziert. Und ich zerfiel in zwei, vier, in hunderte, tausende unzählbare Flocken, die aus einem wattigen Universum taumelnd übereinander herfielen. Ich landete auf einer hauchdünnen Folie und verschmolz mit der Blinden und der Lahmen. Ich erinnerte mich an die Karten, »Tarot« stand auf dem Spiel. Spinnerei? Realitätssinn steht auf dem Spiel. Zwei Menschen kämpfen sich durch einen Schneesturm, die eine blind, die andere lahm. Sind wir das? Ich mit einem nicht unbedingt verlässlichen Orientierungssinn und meine Schwester mit ihren nachlassenden Körperkräften. Die Synchronizität der Ereignisse verlieh uns ungeahnte mentale Kräfte, um durchzuhalten und so schafften wir den Weg hin und zurück. Erst später erfuhren wir, dass diese Tage als Schneekatastrophe von apokalyptischen Ausmaßen in die Geschichte Norddeutschlands und teilweise die Dänemarks eingingen. Ganze Ortschaften waren von der Außenwelt abgeschnitten. Strom und Telefonnetze sowie der Verkehr waren zusammengebrochen und Menschen und Tiere, die nicht mehr gerettet werden konnten, waren erfroren. Eine Flut von Erinnerungen drängt sich unter meine Augenlider und sobald ich meine Augen schließe, verknüpfen sich Ereignislinien. Ich bin in dem Haus einer Freundin im fränkischen Wald. Es ging um eine Entscheidung, die getroffen werden musste. Als Malerin, die damals noch nicht genau wusste, welchen Weg sie gehen sollte, schien es mir als zögen mich unbekannte Magneten in die geheimnisvolle Welt der Mythen, Urbilder und Symbole. Fünf Bilder aus der Großen Arkana hatte ich gemalt und ein unerwartetes Feedback bekommen, worauf in mir der Wunsch entstand, mich vollständig auf diesen Prozess einzulassen. Gleichzeitig war dieser Wunsch mit einer ungeheuren Existenzangst verbunden. Werde ich und meine damals fünfjährige Tochter davon leben können, oder sollte ich doch lieber auf das Zugpferd der sozialen Sicherheit setzen und mein zweites Studium der Pädagogik beenden? Hin und her wälzten mich die Gedanken. Ich konnte nicht schlafen. Schaltete das Licht an und da sah ich sie. Arachne, groß, schwarz und unbeweglich auf einer weiß gestrichenen Wand. Ich könnte sie töten, dachte ich. Mit einem Schuh oder mit dem Buch. Sie könnte entwischen oder ein Fleck auf der Wand. Ich versuchte, mich mit ihr zu einigen. Ich lass dich, du lässt mich. Ich löschte das Licht. Ich 13
versuchte zu schlafen. Ich machte Licht an und das makellose Weiß schien ihre Macht noch zu verstärken. Sie weiß, dass ich sie nicht töten werde, dachte ich. Sie durchschaut mich. Vergeblich versuchte ich, über das Zählen von Schafen, eine ganze Herde tummelte sich durch mein Hirn, einzuschlafen. Und sie saß da, seelenruhig wie eine Zenmeisterin. Ihre Ruhe multiplizierte meine Unruhe und Nervosität. Ich hasste sie. Sie raubte mir den Schlaf, zerrieb und pulverisierte meine Kräfte, die ich doch so dringend brauchte, um Klarheit zu bekommen. Sie wurde immer mächtiger ohne das Geringste zu tun. Und ich? Ich schob mein Bett in die Mitte des Zimmers. Die Dunkelheit umhüllte mich und ich wartete auf den Schlaf. Sie sollen in geöffnete Münder von Schlafenden kriechen, sie lieben die Wärme und kriechen in die Ohren und andere Körperöffnungen. Ein Spinnenhorrorgeschichtennetz wickelte mich ein und eingerollt wie ein Embryo schwebte ich zwischen Sinneseindrücken, Empfindungen und Ängsten und lauschte in die dröhnende Stille. Und da hörte ich sie, wie sie über die Bettdecke zu mir tappte. Näher und näher kam sie. Ich war hellwach. Wie die Einbildungen und die Welt, die wir Wirklichkeit nennen, sich in der Dunkelheit aneinander tasten. Wie sie sich umschlingen und verknoten. So eng, dass ich nicht mehr imstande war, das eine von dem anderen zu unterscheiden. Ich war mir ganz sicher, ihre Schritte zu hören und gleichzeitig zu wissen, dass es unmöglich sein kann. Man kann keine Spinnenschritte hören. Es muss einen Täuschung meiner überreizten Sinne sein, dachte ich. Entnervt raffte ich in der Dunkelheit mein Bettzeug zusammen, ging hinunter in die Küche, legte mich auf die harte Holzbank und schlief tief und fest ein. Als meine Freundin am nächsten Tag in die Küche kam, erzählte ich ihr geradezu lustvoll von meiner nächtlichen Begegnung. Während meiner Geschichte fuchtelte sie plötzlich mit den Händen und starrte auf das Kopfkissen. Da saß sie: Arachne. Schreiend liefen wir aus der Küche und sie verschwand ebenfalls lautlos. Und sie lehrte mich, das es einen Ort gibt, wo ich und die Welt durchsichtig werden. Ein Zentrum inmitten kreisender Gedanken und tosender Gefühle. Einen Ort der Ruhe und Kraft. Für einen Moment war alles Feste aufgebrochen. Ich wurde zum Raum. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft wurden eins, nur einen Lidschlag lang. Ein winziger Augenblick, bis der Schleier des Vertrauten und der alltäglichen Tätigkeiten alles wieder verhüllte. Der Weg hatte mich gefunden und zwei Fäden blieben zurück: einer heißt Erinnerung und der andere heißt Vergessen. 14
Urbilder Die großen Arkanen Das menschliche Wesen gleicht einem Spiegel, der in Millionen kleinster Splitter zerbrochen ist, heißt es in einer Sufigeschichte. Aufgrund dieser Zersplitterungen entsteht eine Sehnsucht nach Ganzheit und diese tiefe innere Sehnsucht treibt uns dazu, uns auf den Weg zu machen, um uns suchend, verlierend und findend zu begegnen. Von dieser Reise und Suche berichten zahlreichen Mythen aus allen Teilen der Welt. Die Suche und die Frage nach dem »Wer bin ich« scheint ein menschliches Bedürfnis zu sein. Es ist ein Prozess, der durch Verlust und Gewinn erfahren und erlebt wird. Verlust, weil die konstruierten Wunsch- und Vorstellungsbilder, die mich von mir selbst trennen, durchlässiger und transparenter werden. Verlieren bedeutet hier gewinnen, denn nur das löst sich, was mich von dem abhält, mich an die zu erinnern, die ich bin. Es ist eine Art Paradox, denn genau das, was mich hindert oder hemmt, ist das, was mich lebendig und real macht. Sich einstimmen und abstimmen, auf die feinen Nuancen des Körpers, der Gefühle und Gedanken hören, ist ein meditativer Prozess, der Geduld, Zeit und Achtsamkeit erfordert. Man hört in sich eine Musik, die aus Empfindungen, Sehnsüchten, Geschichten und Bildern komponiert ist. Durch Spiegelungen und Kontakte mit anderen Menschen werde ich zu einem sozialen Wesen und ich erfahre mich. Durch Spiegelungen und Identifikationen mit Urbildern verlasse ich die Persona beziehungsweise Persönlichkeitsmaske, und ich werde mir meiner Verbundenheit mit allem, was ist, bewusst. Je tiefer ich in mein Ich hineingehe, desto stärker trete ich aus mir heraus und ich werde ein menschliches Wesen, das sich selbst ohne moralische Vorbehalte durch die Augen eines Urbildes betrachtet. Es ist ein Weg, der sich entrollt und ein breites Spektrum emotionaler Eigenschaften entfaltet, die uns helfen, das Menschliche zu akzeptieren. Durch das Akzeptieren schaffen wir uns die Voraussetzungen dafür, einengende Verhaltensweisen zu lockern. 15
Urbilder und Mythen sind Wortgewebe, eine universelle Symbol- und Zeichensprache. Der Weg ist eine von außen nach innen gehende Bewegung, Worte sind eine von innen nach außen gehende Bewegung. Wenn ein Urbild unsere Persönlichkeit berührt, sind wir in einem Raum, der uns für einen ewigen Augenblick aus dem betäubenden Einfluss der Gewohnheiten trägt. Ich bin einer der vielen Splitter, in dem sich Alles spiegelt. Innen und Außen werden eins und ich bin ganz. Es gibt ein Wissen, das durch die unmittelbare Erfahrung über die sechs Sinne erworben wird. Ich rieche, schmecke, höre, sehe, taste und reflektiere diesen Erfahrungsprozess durch das Bewusstsein.Ich fühle, dass eine Feder leichter ist als ein Stein, ich schmecke, dass eine Zitrone saurer ist als Vanillepudding, ich rieche, dass Käse anders duftet als einen Rose, höre, dass Geräusche angenehme oder schmerzhafte körperliche Reaktionen auslösen können, sehe, dass ich anders aussehe als du. Auf diese Weise mache ich seit meinem Dasein in dieser Welt ununterbrochen sinnliche Erfahrungen und Lernprozesse, die in meinem Gedächtnis abgespeichert werden. Das Lernen über Sprache beruht nicht unmittelbar auf sinnlichen Erfahrungen. Nur über Sprache erfahre ich etwas über die Geschichte unserer Erde. Ich weiß, dass sie rund ist, dass der Mond um die Erde und die Erde um die Sonne kreist, dass Blauwale die größten Tiere und Bakterien älter als Menschen sind. In Urbildern verflechten sich die Wissenslinien über Sprache und unmittelbare Erfahrungen. Es sind Wortbilder, die ihre Kraft erst entfalten, wenn sie gehört, erträumt, erlebt und gedacht werden. Wenn ich sie beachte, erlebe ich sie unmittelbar ganz direkt, wenn ich sie nicht beachte, verschwinden sie wie ein Tropfen im Meer. Ein Mythos pocht nicht auf Wahrheit oder Unwahrheit, sondern auf das, was unmittelbar wirkt. Seit es Menschen gibt, gibt es Urbilder, in denen unmittelbare Erfahrungen gespeichert sind. Über dieses Wissen, das durch Sprache, Symbole und Zeichen weitergegeben wurde, konnte eine Generation auf dem Erfahrungsschatz der vorhergehenden wachsen. Engel, Nymphen, Elfen, Hexen, Teufel, Weise, Helden, Narren, Dämonen und Tiergötter/Innen sind Metaphern einer sehr genauen Beobachtung der natürlichen Vorgänge und Rhythmen. Tag, Nacht, hell, dunkel, Wege, Spiralen, Berge, Bäume, Quellen, Wetter und Lichtphänomene, Sternenbilder, Wachsen und Verfall wurden gefürchtet und verehrt. 16
Der kreative Ausdruck war ebenso wichtig, wie die Tätigkeiten, die zum Überleben notwendig waren; darüber erzählen die zahlreichen Spuren, die Generationen vor uns auf der Erde hinterlassen haben. Mein Weg zu den Urbildern im Tarot wurde mir über Träume mitgeteilt und es bedurfte etwas Zeit, um mich dieser Sprache, die ich fast verlernt hatte, wieder zu erinnern. Eine Sprache, die die Neugier und das spielerische Erforschen weckt. Mich inspirierte die Idee, dass das Tarot ein Spiegel sei, in dem Körper und Universum eine Verbundenheit zeigen, die allein mit dem gewohnten Sehen nicht zu erkennen ist. Der Blick in andere Kulturen, die mir körperbewusster erschienen als die, in der ich aufwuchs, lag auf der Hand. Der Körper ist der Tempel der Seele, sagen die indischen Yogis. Der Körper ist das Tor zur Achtsamkeit, sagen die Buddhisten. Der Körper ist Natur und wie sie beseelt, sagen die animistischen Religionen. Und so wurde das Tarot zu einer Art Landkarte, deren Linien und Zeichen mir zur Orientierung auf der Reise durch mich selbst wurden. Ich malte die Karten nicht numerologisch, sondern ließ mich auf die labyrinthischen Wege, die sich dem Zugriff der Kontrolle entzogen, ein. Die ersten Bilder entstanden in Österreich in den Bergen und in der Schweiz im Tessin, wo ich mit meiner Tochter in einem Dorf an der italienischen Grenze lebte. Geld verdiente ich mit den ersten sechs Tarotkarten, die es in Frauen- und Esoterikbuchläden zu kaufen gab. Als ich das Lebensrad malte, begegnete mir Arachne ein zweites Mal. Ich kam nicht weiter, hing fest und zappelte in einem selbstkonstruierten Bewertungsnetz, das jeden kreativen Impuls im Keim erstickte. Erschöpft und verkrampft in Nacken und Schultern gab ich auf. Als ich am nächsten Morgen in mein winziges Atelier ging, sah ich hauchdünne Fäden über das Bild leuchten. Ich erkannte ein meisterhaft gewebtes Netz, das im Licht der Sonne wie ein kostbares Gewebe regenbogenartig schimmerte. Das leicht nach Innen gewölbte Bild, die vier Ecken an denen die Fäden befestigt waren und das kreisförmige Netz erinnerten an ein Mandala. Das Wort Mandala bedeutet unter anderem wörtlich Gruppe, Gemeinschaft, Gesellschaft, etwas das miteinander verflochten ist. Das Verwobene wurde durch Körperbewusstsein realer erfahren, wobei der vergessene Atem zu einem erinnerten Atemweg wurde. 17
Struktur der Karten Die meisten Tarotdecks setzen sich aus den 22 großen Arkanen, den 16 Hof- oder Persönlichkeitskarten und den 40 kleinen Arkanen zusammen. Ich möchte hier drei Bilder vorstellen, die das ganze Tarot in seiner Struktur sichtbar machen.
Das erste Bild ist ein Baum. Der Baum ist ein Urbild, das in allen Kulturen auf diesem Planeten eine zentrale Stelle einnimmt. Er bildet eine Synthese zwischen Erde, Kosmos, Wasser, Luft, Sonnenlicht und Raum. Er steht für das Leben mit seinen zyklischen Wechseln und ist unter anderem ein Aspekt der großen Mutter. Im Gilgamesch-Epos spielt der Baum eine bedeutende Rolle. Evas und Adams Weg, die Vertreibung aus dem Paradies, begann mit einem Biss vom Apfel, der am Baum der Erkenntnis wuchs. Der Bodhibaum unter dem Buddha Erleuchtung erlangte, gilt als Symbol der großen Erweckung. Seine Wurzeln reichen tief in das Erdreich und seine Krone mit den Blättern, Blüten und Früchten in den Kosmos. Der Baum gilt als Abbild des Menschen und spiegelt das alchemestische Konzept von Mikro-und Makrokosmos. Schon die Sprache verdeutlicht die Analogie zum Menschen: Hirnstamm, Nasenwurzel, Schulterblatt, Nervenverzweigungen, Kronen- und Wurzelchakra. Wälder werden als grüne Lunge des Organismus Erde bezeichnet. »Im Zentrum der menschlichen Lunge steht der Bronchialbaum, ein Luftwegesystem, das einem auf dem Kopf stehenden Baum gleicht. Die Lunge ist der Stamm, die sich immer weiter verästelnden Abschnitte in der Lunge sind die Zweige. Die Verästelungen sind schließlich an den Membranenden so dünn und zahlreich, dass Gasmoleküle durch ein Kapillarnetzwerk ins Blut gelangen.« (aus Wunder Mensch/ GEO) 19
In der Tarotkarte Prüfung/Heilung, die ein Schlüssel zum Verständnis der großen Arkanen ist, hängt ein Mensch an einem Baum. Die Füße zeigen zum Universum und der Kopf zu den Wurzeln, aus denen er wie aus einer genetischen Bibliothek die evolutionäre Geschichte seines Lebens lesen kann, um über sich selbst Bewusstsein zu erlangen. Die großen Arkanen könnte man, um bei der Baummetapher zu bleiben, mit den Wurzeln vergleichen, die weit zurückreichen und uns als einzelne Individuen mit unserer Geschichte verbinden und für seelische Wachstumsprozesse unverzichtbar sind. Die Persönlichkeitskarten sind der Stamm und die kleinen Arkanen die Äste und Blätter, die einem ständigen Wandel unterworfen sind.
Das zweite Bild gleicht einem Mandala Das Sanskritwort Mandala bedeutet heiliger Kreis, wobei das Wort heilig im Sinne von ganz, heil werden zu verstehen ist. In einer anderen Definition heißt das Wort auch Gemeinschaft, Zusammenkunft, denn es zeigt die Dinge in ihrer Verbundenheit. Z F
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